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Faschings-Freude


Den Todten gebühren Thränen: Weinet, gefühlvolle Herzen, um den erblaßten Fasching! Er ist nicht mehr.

Und er ist doch ein so stattlicher Mann gewesen, der Fasching. Sein Antlitz roth und voll, wohl gerundet sein Bauch, die Augen schwimmend in Vergnügen und Sekt alle Glieder des feisten Leibes beweglich und munter. So wie der Mund nur lachte, oder trank, oder speiste, so machte seine Faust immer die Bewegung eines Transchirenden, und die Füße strampelten entweder einen Walzer oder einen Hopser.

Er ist nicht alt geworden, der gute heurige Fasching. Er ist auch nicht allzufett geworden, und nicht in seinem Fette erstickt, wie es häufig seinen Vorgängern begegnete. Er war gerade nicht unmäßig, der liebe Mann; aber sein Stündlein kam, und der graue Aschermittwoch war viel früher da, als gewöhnlich, und streckte ihn auf die Bahre, wie gewöhnlich. Die Erde sey ihm leicht, und das künftige Jahr bringe ihm eine fröhliche Auferstehung.

Ich hatte ihn auch einmal bei mir, den lieben dicken Freudengeber. Er ist der gefälligste Patron auf Erden, denn er kömmt, wenn man will, er folgt jedem Ruf: dem der Fidel, wie des klingenden Bechers, wie der prasselnden Schmalzpfanne.

Er kam also auch auf meine Einladung. Meine Vorbereitungen dazu glichen bereits einem Feste. Der Gast, den man nur an Einem Tage bewirthen darf, wird immer mehr gehätschelt, als eine Einquartirung auf ein paar Wochen. Nun frage ich aber jeden Mann von der Feder, der, wie ich, nur sechshundert Gulden jährliche Besoldung hat, und sich dabei einer vernünftigen Sparsamkeit befleißigt, wie es von einem vierzigjährigen Hagestolzen zu erwarten steht, ob ihm wohl möglich sey, den Fasching mehr als einmal im Fasching bei sich zu sehen, und wäre der Fasching auch noch so lang?

Ich erließ daher einen Tagsbefehl an mein Hausgesinde, und schmückte meinen kleinen Palast aus. Er ist so compendiös, wie man nur eine Junggesellen-Wohnung in Regensburg finden mag. Ich wohne zwar nur im zweiten Stockwerk, aber dafür gegen den Hof hinaus: ein lieber schmaler Hof, von charmanten hohen Feuermauern eingeschlossen, recht einsam und recht wild. Denn auf dem Boden steht Brennessel an Brennessel, und Schierling wuchert um den Brunnen und um dessen moosbewachsene Holzbekleidung. Nicht weit davon steht ein alter, invalider Schleifstein, neben welchem eine melancholische Leiter lehnt, und diese Leiter reicht bis an den Sims eines Fensterchens, welches die blinde Feuermauer mir gegenüber mindestens zu einer einäugigen macht. Außerdem ist noch im Hof zu schauen eine tägliche Parade von Wasserkübeln jeden Calibers; ferner ein verfaulender Schubkarren, ein paar Schaufeln, mit Kalk und Rost überzogen, und ein paar ungebrauchte Fensterrahmen, welche die kluge Hausfrau in der Nässe zu Grunde gehen läßt, damit sie nicht etwa versucht wären, sich im Trockenen zu conserviren.

Diese sind die todten Bewohner meines Hofs. Mit den lebendigen sind wir geschwinde fertig, denn das Wasser meiner Cisterne ist so gut als gestorben, und das liebliche Mädchen, das sich von Zeit zu Zeit an dem Auge der Feuermauer sehen läßt, gehört nur zu den vorübergehenden Erscheinungen. Neben dem unheimlichen Leben der Brennessel und des Schierlings im Hofe strebt indessen aus einem Winkel desselben, dem Brunnen gegenüber, ein Hollunderbusch hervor, schwächlich und krüppelhaft, aber dennoch schön grün, und seine Blüthen sind den schönsten gleich zu achten, weil sie die einzigen in diesem stillen Reiche sind.

Damit hätte ich meine Aussicht beschrieben. Die Einsicht in mein Quartier ist jedoch viel lustiger. Ich habe mir seit ein paar Jahren, da ich schon das alte Haus bewohne, stets eingebildet, ich sey ein Gefangener, und daher meine Zelle so bunt als möglich verziert. Die Thüre zu meinem Corridorchen ist zwar schmal und niedrig, aber ein prächtig illuminirter Holzschnitt fällt an der inwendigen Seite einem Jeden, der eintritt, und die Thüre zumacht, höchst gefällig in's Auge. Ich habe den napoleonischen Lebenslauf hingeklebt: das Bild, worauf der Held die verschiedenen Altersstufen durchzugehen hat. Es ist allgemein bekannt: auf der Spitze einer Art von Brückenbogen steht der Mann im blutrothen Kaisergewande, auf der andern Seite fährt er, wie von einem Rutschberge, auf einem Schlitten hinab, und unter dem Bogen liegt sein stilles, einsames, wenig beschattetes Grab. – Wie oft hat nicht dieses Bild von der Vergänglichkeit der höchsten irdischen Größe meinen Ehrgeiz gezügelt, wenn ich hin und wieder zornig nach Hause kam, weil mir eine Beförderung mißglückte, oder eine Nase zuwuchs, oder eine Gratification in die Brüche ging!

Wir stehen nun in dem Corridor selbst, der das Gute hat, daß man Darinnen nicht umfallen kann, weil er viel zu schmal und zu kurz zu diesem Zwecke ist. Links ist die Küche, von der ich nicht reden will, weil sie nicht in mein Departement gehört, so wie noch weit weniger die Kammer meiner alten Magd, die an die Küche stößt. Was sich rechts vorfindet, verschweige ich den Lesern billig, und führe sie alsobald in diejenige Stube, zu deren Thüre wir nur anderthalb Schritte haben, und die zugleich mein Vorzimmer, mein Besuchzimmer, mein Speisezimmer und mein Arbeits-Cabinet ist. Das anstoßende Schlafgemach, so genannt, weil es meines Wissens noch kein Diminutiv des Wortes »Gemach« gibt, ist zugleich mein Schmollwinkel, wenn mich meine Haushälterin erzürnte, und mein Freudenwinkel, wenn ich das Bedürfniß fühle, recht behaglich in dem alten grünen Großvaterstuhle zu ruhen, und mein Luginsland, wenn mir gelüstet, zwischen den braunzeuchenen Vorhängen hindurch nach meiner schönen Nachbarin zu schielen, so oft sie den Geraniumstock begießt, der auf ihrem Fenster steht, oder den Schnittling mäht, der ebenfalls in ihren Blumenscherben unaufhörlich fort und fort wächst, wie der Kopf der lernäischen Hyder.

In diesem Schmollwinkel saß ich oft im Laufe des Faschings und fragte mich selbst, wohin denn wohl die in früherer Zeit so sehr gerühmte Geselligkeit meiner Vaterstadt gekommen seyn möchte. In diesem Freudenwinkel ließ ich zur selben Zeit gar oft meine Phantasie zu mir kommen: die freundliche Gefährtin, deren Besuche der französische Dichter so anmuthig beschreibt. Ja! sie kam auch zu mir, in der Dämmerstunde, wo der Mensch so geschickt ist, das Brodleben zu vergessen, und seine Ahnungen zu kultiviren.

Sie kam zu mir, die herrliche Erscheinung, und näherte sich mir, nahm meinen Kopf in ihre durchsichtigen Hände, und weckte darinnen Träume, so heiter wie der Sternenhimmel, und in der Schwermuth selbst noch erquickend. In jenen heiligen Stunden gingen alle meine Erinnerungen vor mir in die Höhe, als ob sie aus dem Keime in dichte volle Aehren schößen, und der Carneval spielte darinnen eine Hauptrolle.

Es gab eine Zeit, wo ich den Fasching in Rom und Venedig gesehen habe. Eine herrliche Zeit, voll von Kraft und Jugend und Freudigkeit!

Der Fasching war mir dazumal auf der Straße entgegen gekommen, und hatte mir versprochen, seinen Sohn, oder Enkel, oder Urenkel in meine nordische Hütte zu schicken, um mir sein Compliment zu machen. Heuer, in Regensburg, entsann ich mich dieses Versprechens, und bildete mir ein, unmittelbar vor meinem Fenster läge ein großer Corso, durchwimmelt von Masken und Spaßmachern aller Art. Da liefen Hanswürste hin und her, die man in Welschland so häufig sieht; Nonnen, die man dort so selten sieht; Ritter und Krähwinkler, Räuber und Teufel, und Türken in der schönsten orientalischen Pracht. Alles war so, wie ich es in Hesperien gesehen; aber es schneite stark, und schwarz und kothig waren die Straßen, und der Wind pfiff hindurch.

Daher lud ich den Fasching zu mir ein, auf eine gute Hausmannskost, ein freundliches Gesicht, und die Erlaubniß, sich davon zu machen, sobald es ihm nicht mehr bei mir gefallen würde. Meine alte Gudula mußte Alles bereiten.

Mein Speisesaal ist recht schön: zwei Fenster breit, und in deren Mitte hängt ein großer Spiegel. Mein Pult in der Ecke wurde zu einem Schenktisch umgewandelt, das Clavier unter dem Bilde meines ehrwürdigen Vaters zur Desserttafel bestimmt. Im Ofen brannte eine tüchtige Flamme, Räucherkerzen glimmten auf ihm und unter meinen Sohlen knisterte der feine weiße Sand, den meine Gudula der Festlichkeit halber ausgestreut hatte.

Ich besitze einen Pudel, der einem Rattenfänger nicht ganz unähnlich; eine rothgestriemte Katze von viel Fett und Schläfrigkeit, und einen braunen Waldvogel, dessen Herkunft und Gattung mir völlig unbekannt ist. Der Käfig dieses armen Waldbewohners war mit einem kleinen Tannenzweiglein geziert, mein Pudel prangte mit gewaschenen Ohren und geschorner Schnauze, und die Katze hatte vierundzwanzig Stunden lang hungern müssen, um den Festabend nicht zu verschlafen.

Noch muß ich bemerken, daß mir durch das gütige Schicksal schon vor langen Jahren ein Stiefelputzer bescheert wurde, der mich zugleich barbiert, und da er auch meine Röcke ausklopft, somit meinen ganzen Körper in seiner Botmäßigkeit hält. Der Mensch ist ein arger Protestant, und kann den Carneval nicht recht leiden; wenn er aber bei solcher Gelegenheit ein Glas Wein oder ein Stück Pastete – die seltensten Vögel seines Lebens – erwischen kann, so drückt er ein Auge zu.

Der Stiefelputzer war für jenen Abend als Mundschenk angeworben, und Gudula machte den Truchseß.

Von dem Tische glänzten das feinste Linnen, zwei silberne Bestecke, Vorleglöffel, Salzfaß und silberne Becher, die noch aus dem Hausrath meiner geliebten Eltern herstammen. Der Pudel bewachte den Tisch, die Katze schnurrte unter dem Ofen, und mein Vogel, von den vielen Lichtern, dem balsamischen Duft und dem grünen Tannenzweige bethört, träumte und sang vom Frühling.

Der Fasching wollte lange nicht kommen. Gudula meinte, er hielte sich so lange im Frohsinn auf. (Für Leser, die in unserer Stadt fremd sind, bemerke ich, daß eine Gesellschaft daselbst diesen Namen führt). Ich gab meiner Gudula zu verstehen, daß der gute Fasching nicht mit geringerer Heiterkeit aus dem Frohsinn kommen würde, als er hineingegangen, indem man von solcher Waare dort nicht viel verbraucht. Gudula gab sich zufrieden.

Und er kam endlich, im rosenrothen Frack, mit etwas derangirtem Jabot, funkelnder Uhrkette und gleißenden Füßen. Er setzte sich ungenirt an meine Tafel, bedauerte, so spät zu kommen, was eigentlich daher rühre, daß seine Uhr im Grunde nur eine falsche sey, weßwegen er auch nie wisse, wann seine Stunde schlage. Unter guten Freunden vergibt man leicht, und wir machten uns heiter und wohlgemuth an die köstlichen Gerichte, die meine Köchin hereintrug, und den vortrefflichen Wein, den mein Stiefelputzer einschenkte.

Es war gerade so, als ob ich mich allein befände, allein mit meiner Zufriedenheit; und – wie oft der Fall ist – meine fröhliche Vermessenheit ging so weit, daß ich mich mit Fleiß und gerne an eine Vergangenheit erinnerte, die völlig dazu gemacht war, in den Becher meiner Wonne jenen unheimlichen Tropfen zu gießen, der, dem Wermuth gleich, den süßen Wein der Gegenwart nur pikanter macht.

» Ecce quam bonum, habitare fratres in unum!« rief ich meinem lustig plaudernden Nachbar zu, indem mein Glas mit dem seinigen anklang: »Wie schön sitzen wir nicht hier, mein Bester, und sind doch nur selbander, aber voll von Eintracht und Herzlichkeit! – Im verflossenen Fasching war es ganz anders. Die Gesellschaft worinnen ich mich am Fasching-Dienstag befand, war zahlreich, aber nicht ergötzlich; in Maskenkleidern aber nicht mit Maskenscherz; und wenn Ihr Vater, vortrefflichster Herr Fasching, dazumal unter uns war, so war er noch tüchtiger maskirt, als wir Alle, denn wir verspürten ihn nicht.«

Mein rosenrother Gast verschluckte hier schnell ein fettes Stück Welschhahnenbrust, schwang sein Kelchglas, als ob er eine Sanduhr schüttelte, um mir anzudeuten, daß es zu füllen sey, räusperte sich, und sprach mit wichtig gefalteter Stirne und einsinkenden Backentaschen, wie folgt:

»Mein ehrwürdiger Vorgänger war freilich in jener Gesellschaft, und hat mir eine Instruktion in Bezug auf dieselbe gegeben, die ich noch zu erfüllen habe.«

Hier seufzte er etwas vernehmlich auf, und fuhr dann mit Gelassenheit zu mir fort: »Wie war es aber eigentlich mit jener Faschings-Lustbarkeit? Ich glaube noch nicht von Allem gehörig unterrichtet zu seyn, denn wir Faschinger pflegen so schnell hinzusterben, daß uns nicht die Zeit bleibt, unsere Erben gehörig von Allem in Kenntniß zu setzen.«

Ich erwiederte hierauf: »Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Ihnen die beinahe verjährte Historie mitzutheilen, wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen dieselbe vorzudenken, weil ich nicht gern von Sachen rede, die ich längst erfahren.«

»Denken Sie nur zu, mein werther Gastfreund. Ich verstehe diese stille Sprache so gut, wie die gewöhnliche laute. Denken Sie mir vor; ich werde dann der Geschichte nachdenken, und das ist nicht bei jedem Fasching der Fall.«

Ich begann also zu thun, wie er erlaubte, und stellte mir recht lebhaft im Geiste vor, wie unsere damalige Genossenschaft aus sechszehn lebenslustigen Leuten bestanden, die den vorjährigen Carneval sowohl in der Hauptstadt, als in der Vaterstadt unzertrennlich miteinander gefeiert, und nur den einzigen Schmerz empfunden, daß sogar auch jener langlebige Fasching sein Ende hatte erreichen müssen. Ferner dachte ich an den Abend, wo wir beschlossen, den letzten Tag der fröhlichen Zeit, oder besser, ihre letzte Nacht, mit einem üppigen Schmause zu begehen, und dabei sämmtlich in Masken zu erscheinen. Wir Freunde gehörten den verschiedensten Ständen an, und es ließ sich erwarten, daß ein Jeder einen absonderlichen Witz entfalten, und somit ein regenbogenfarbiger Humor, und nicht ein zünftiger Spaß herrschen würde.

Wir hatten uns geirrt. Die Masken waren wohl mannigfaltig, aber ein düsterer, schläfriger Geist wohnte hinter den Larven. Zu dieser ersten Verstimmung mochte beigetragen haben, daß Mehrere aus unserer Mitte sich der Einladung entzogen und zum ersten Male die Ausreißer gespielt hatten. Kamen wir auch, einer nach dem andern, noch so lustig hereingesprungen in das zierlich geschmückte und beleuchtete Speisezimmer, so fiel doch gleich das erste bittere Wort über das Wetter, und das zweite über die ausbleibenden Freunde her. Eine seltsame Verstörung schwang die Fittige über unsern Häuptern, und so männlich wir auch aßen und tranken, so kamen dennoch nur Zwitterspäße der albernsten Art zum Vorschein. Ein Einziger belebte in etwas die Gesellschaft: ein junger Maler, der sich in dem Costüm eines Bauern aus den Apenninen sehr gut ausnahm, auf der Mandoline spielte, italienische Gassenhauer sang, und von Lustigkeit sprudelte, die nur etwas weniger vulkanischer Natur hätte seyn müssen, um mehr zu gefallen.

So kamen wir bis zum Champagner, als plötzlich der Präsident seinem Nachbar zuflüsterte, daß wir heute schon zum Unglück bestimmt seyen, indem dreizehn Personen an der Tafel säßen. Er sagte dieses mit lächelnder Lippe, aber ängstlich im Gemüth, und hätte die Bemerkung besser für sich behalten. Nun aber ging sie wie ein Lauffeuer um den Tisch, und manches Auge wurde trübe, und mancher Mund ernst, wie bei einem Leichenmahl. Manche spotteten über Vorurtheil und Aberglauben; es ging ihnen aber nicht von Herzen. Andere schwiegen voll Ahnung, und die Vernünftigeren machten dem vorlauten Präsidenten Vorwürfe.

»Ei was!« rief der oben besprochene Maler in diese Verwirrung hinein: »Wir sind kluge und fröhliche Leute, die sich wahrhaftig nicht vor einem Ammenmährchen fürchten werden. Ich gebe zu, daß der Schutzgeist unseres Festes leicht einen gescheidteren Text hätte angeben können; aber – da wir doch einmal daran sind, so wollen wir ihn con amore bis zu Ende lesen. Der Aberglaube will, daß von Dreizehn, die am Tische sitzen, binnen einem Jahre Einer sterbe. Gut; wir wollen aber auf eben so untrüglichem Wege erfahren, wer dieser Eine sein mag, damit die Andern ruhig und ohne Sorgen schlafen. Ich habe zu diesem Behufe dreizehn zusammengewickelte Zettelchen bereitet, von denen zwölf weiß sind, das dreizehnte aber mit einem Kreuze bezeichnet ist. Ich thue sie in diese Schale, die unsere Schicksalsurne vorstellen soll. Jeder von uns ziehe sein Loos, und der, dem das Kreuz zufällt, bereite sich zu einem gottseligen Ende.«

Die Zettelchen raschelten in der Porzellanschale. Tiefes Schweigen herrschte einige Augenblicke lang. Ihm folgte ein unmuthiges Gemurmel. Ein paar blasse Gesichter voll Seelenangst waren die Einzigen, die dem kecken Maler beistimmten. Alle Uebrigen verwarfen den Vorschlag ohne Bedenken. Der kühne Freund lachte, und rief: »Ihr seid arme Schächer. Welche unnütze Furcht! Wollt Ihr einen Vortänzer zu diesem Spasse? Seht: Ich ziehe unerschrocken zuerst das Loos.«

Er that es. Demungeachtet wurde seine Motion fast einstimmig verworfen, und der Grundsatz aufgestellt, daß man, um der Schwachen willen, den ungeheuerlichen Scherz nicht weiter treiben solle.

Unterdessen hatte, wie man erzählt, der Maler sein Loos verstohlen eröffnet, sich entfärbt, und ging darauf schnell an's Fenster, und schüttelte die übrigen Zettel aus der Schaale hinaus in den Sturmwind.

Es ist leicht zu errathen, daß nun vollends alle Fröhlichkeit dahin war, und die Gesellschaft sehr bald aufbrach, um nach Hause zu gehen. Die Meisten suchten mit Widerwillen ihr Bett; ich that es aber gerne, indem mir das Nachtschwärmen nicht gelingt; eben so wenig als eine Erzählung, wie man aus diesen Blättern merkt, die eine Erzählung hätten werden sollen, und nur ein Galimathias geworden sind.

Auf der dunkeln Straße drückte mir der Maler, in der südlichen Kleidung frierend und schlotternd, die Hand, und sagte mit klappernden Zähnen: »Gute Nacht, lieber Max. Ich gehe noch auf den Ball, um mich zu erwärmen. Gute Nacht!« –

Ich hatte meine Erzählung bis hieher dem Fasching vorgedacht, als dieser plötzlich die Augen aufriß, auf meine Schwarzwälder Uhr sah, und sprach: »Apropos, ich muß auch noch fort; fort auf den Ball ...« Er schüttelte wieder das Glas wie eine Sanduhr – »muß hinüber zu Deiner schönen Nachbarin, deren Fenster Du oft belauerst, ... muß hinüber um ihr gute Nacht zu geben. Sie hat sich müde getanzt, sie soll ausschlafen. Es ist hohe Zeit.«

Das Haar sträubte sich mir ein wenig, als ich dem Fasching in's Gesicht sah, das immer hohler zusammenfiel, worauf auch die Augen tiefer einsanken, die Lippen sich spannten wie Pergament, und der Rücken sich krümmte, während die Füße mühsam in die Höhe strebten.

»Was habt Ihr denn, mein lieber Gast?« fragte ich bestürzt: »Seht Ihr doch aus, als würdet Ihr steinalt in dieser Minute?«

Der Fasching erwiederte mit einer rauhen Greisenstimme: »So ist es auch, trefflicher Gastfreund Maximilian. Mein Stündchen scheint nahe zu seyn, und vor der Thüre der Augenblick, da mich der Kalender umbringen wird. Ich muß zum Abzuge mein Gefolge um mich versammeln.«

Da er unaufhaltsam zu gehen strebte, so rief ich meine Dienerschaft, die bei den Pastetenreliquien in Gudula's Kammer saß, dem Gast zu leuchten, und sagte ihm Lebewohl.

Wieder aber war mir's, als sey zwar der Fasching fort, ich aber dennoch nicht allein. Mir saß ein Gast gegenüber, und dieser war der Maler, von dem ich gesprochen. Rings um uns war Alles stille; der Vogel rührte sich nicht mehr, der Kater lag langgestreckt unter dem Klavier, und der Hund träumte leise ächzend von Mondenschein oder Kirchhof. Mit den Augen meiner Seele aber sah ich, wie Gudula in ihrer Kammer schlief, und mein Stiefelputzer längst fortgegangen war, so, daß ich in dem schweigenden Hause ganz allein saß mit dem Maler, neben abgestorbenen Weinflaschen, und einer Punschbowle, die in den letzten Zügen lag. Der Maler sah sehr blaß und gealtert aus, wie der scheidende Fasching, und hüstelte, und bewegte sich fort und fort unruhig auf seinem Stuhle.

»So sehr ich mich freue, Dich wieder zu sehen, sagte ich mit einiger Besorgniß, so thut mir doch Dein Zustand leid. Du bist von Deiner Reise krank zurückgekommen.«

»Das habe ich seit dem letzten Faschingdienstag, wo ich auf den Ball ging, wie ein Wüthender tanzte, und vielleicht in die Hitze allzukühl trank. Italien hat mir nicht geholfen, und die Aerzte von Albano schickten mich in die vaterländische Luft zurück. Dein Wein und Dein glühender Punsch haben mir indessen gut gethan, und ich fühle mich von dem Feuer des Prometheus durchwärmt. Wir wollen auf den Maskenball gehen. Komm', Freund. Vielleicht ist er der letzte, dem ich auf Erden beiwohne.«

»Rede nicht so vermessen. Du bist jung, und mit zwei und zwanzig Jahren kann man noch gefährlichere Uebel heilen.«

»Leerer Trost. Habe ich nicht am letzten Faschingdienstag das Kreuz gezogen? Es wird bald mit mir aus seyn.«

»Aberglaube! Heute geht der Fasching zu Ende.«

»Freilich; aber das Jahr ist noch nicht um. Der vorjährige Carneval zog sich tiefer in die Jahreszeit hinein. – Laß uns gehen; mich zu zerstreuen willige darein.«

Wir nahmen schweigend die Mäntel um, ließen das stille Zimmer mit der abgeleerten Tafel und den herunter gebrannten Lichtern hinter uns, und suchten den Ball auf, wo uns Trompeten und Paukendonner bewillkommten. Mein blasser Freund wurde von seinen Bekannten jubelnd aufgenommen, und wie ein Wunderthier in dem schwülen Saale auf und nieder geschleppt. Viele Masken waren vorhanden; die meisten in der Farbe der Trauer. Zwischen durch schlich der Fasching mit eitlem Gebrause, aber das Gesicht gefaltet in schlaffe, beinahe hämische Züge.

Dem kranken Maler wurde bald zu heiß in dem Gewirbel des Tanzes. Er folgte einer koketten Schäferin voll Neugierde und aufglimmender Sehnsuchtsflamme in ein kühlendes Nebengemach. Nach einigen Minuten rief ein gellender Schrei alle Anwesende dorthin.

Ich war mit darunter; die Schäferin flog verstört an mir vorüber; an einem Blusturz verschieden lag der Maler entseelt am Boden.

Am folgenden Tage trugen lustige Leute den Fasching zu Grabe; zwei Tage später brachten wir, die weinenden Freunde, den geschiedenen Bruder in seine Gruft. – Und dieses Alles, so verworren ich es auch erzählte, war kein Traum, sondern ernste, bittere Wahrheit.

An meinem Fenster hinter den braunzeuchenen Vorhängen lausche ich nun vergebens nach der schönen Nachbarin. Das Geranium hängt welk und müde seine Blätter zu Boden und der Schnittling wird fahl in Sonne und Regen. Der Fasching hat der holden Blumenpflegerin gute Nacht gegeben.


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