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Der Weber an der Wand


Im baierischen Gebirge gibt es viele schöne Thäler, die erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit, und zwar nur von Bewohnern der Hauptstadt oder von Fremden, die sich nur vorübergehend in München aufhalten, besucht werden. Es ist hier weniger die Rede von den Gegenden, welche von dem heiteren Schliersee, dem romantischen Wallersee, oder dem großartigen Würmsee geschmückt werden, als vielmehr von jenem Gebirgsstriche, durch welchen die Straßen nach Salzburg und Berchtesgaden sich öffnen. Ein wohlgelegener Punkt, von wo aus jene Thäler und Höhen besucht werden können, ist der Marktflecken Rosenheim. Seine Lage ist anmuthig zu nennen, und was auch in der nächsten Umgebung des Fleckens an Reiz und Schönheit der Gegend mangeln mag, läßt den Beschauer wenigstens das Gebirgspanorama ahnen, welches sich vor seinen Blicken ausbreitet. – Rosenheim ist mit einer Mineralquelle gesegnet, und in dem Badhause sammelt sich alljährlich eine leidliche Zahl von Gästen, die, wenn sie gerade nicht im Schwefelpfuhl oder in der Soole schwimmen, welche von der landesherrlichen Saline spendirt wird, nichts Besseres zu thun haben, als Excursionen in die entferntere Umgegend zu machen, theils um der Langeweile zu entgehen, theils um Schatten und Erquickung zu suchen, die ihnen in Rosenheim selbst nicht werden. – Man hat eine leidliche Wahl in seinen Ausflügen zu treffen, und kann sich solchergestalt die Badezeit recht angenehm vertreiben, wenn nicht das Wetter sich gar zu ungünstig einstellt.

Auch ich war in Arkadien, auch ich seufzte nach den Bergen, und stellte einst eine harmlose, sentimentale Wanderung zu ihnen an. Der Chiemsee mit seinen aus gewisser Entfernung wie italienische Inseln anzuschauenden Eilanden lockte mich, einen Tag auf seinen Wellen zu verträumen. Wie aber der Mensch ungenügsam ist, so war mir hernach des Genusses zu wenig, und ich zog mich von den Ufern dieses reizenden See's weg nach dem stillen Thale, wo Hohenaschau liegt: ein alterthümliches Schloß sammt weitläufigen Dependenzien, zwischen den Dörfern Nieder- und Hohenaschau mitten innen stehend, und umgeben von einzelnen friedlichen Hütten, unruhigen Eisenhämmern, Waffenschmieden und Drathzügen. Hohe Berge, bald von steilen Felswänden bekrönt, bald bekleidet mit fruchtbaren Almen, schützen das stille, trauliche Thal, wo eine milde und dennoch belebende Luft herrscht, und krystallreine Gewässer, zum Theil in sehr romantischen Fällen, allenthalben sprudeln, mit ihrem Rauschen das Ohr betäubend und ergötzend das Auge durch das Blinken ihrer Strahlen und Perlen.

Das Schloß gehört, wie gar manches andere im südlichen Bayern, dem berühmten Geschlecht der Grafen Preysing. Dieser Stamm, hochgestellt in der Landesgeschichte durch eine lange Reihe ausgezeichneter Ahnen, ist im Begriff abzusterben, und seine weitläufigen Besitzungen werden mit der Zeit in die Hände anderer Geschlechter übergehen. Das Schloß Hohenaschau, obgleich vollkommen gut erhalten, wie es mit den Preysing'schen Gütern überhaupt der Fall seyn soll, trägt bereits das Gepräge eines ausgetretenen Familiensitzes. Den großen menschenleeren Raum bewacht ein einziger Hüter, der zugleich den Meßner in der Schloßkapelle macht, wo von einem alten, ehrwürdigen Geistlichen der Gottesdienst gehalten wird. Der Meßner waltet unbeschränkt in den zahlreichen Gemächern der Burg, die noch sämmtlich in altväterischem Styl erhalten sind, und wischt gleichmüthig zu gewissen Zeiten den Staub von den kolossalen Figuren der alten Preysinger, die im Rittersaal, imponirend, wenn schon im Perückengeschmack, aufgestellt sind. Er macht den Cicerone bei den Fremden, die das Schloß besuchen, zeigt die starkgeplünderte Waffenkammer, die in eine Dachstube verlegt wurde, die lange Reihe von Stuben mit unschönen Bildern, Vorhangbetten und verblichenen Meubeln, und zieht – indem er dienstfertig alle Fenster aufsperrt, um die entzückende Fernsicht hervorzuheben – mit größter Bereitwilligkeit dem vom Bergsteigen erhitzten Wanderer Rheuma und Gicht an den Hals. Dann läutet er zu gesetzten Tagesfristen die Kapellenglocke, sorgt für nothwendige Reparaturen, und ist in den langen Mußestunden, die ihm bleiben, stets im herrschaftlichen Bräuhause zu finden. Dieß sey zum Trost der Reisenden gesagt, die gleich mir ein- oder ein paarmal den Hügel vergebens erklimmen, und den Kastellan nicht zu Hause treffen. Ein gastfreundliches Weilplätzchen ist in diesem Falle bei dem ehrwürdigen Beneficiaten oder Expositus zu erwarten, der dicht am Eingang des Schlosses ein ganz bescheidenes Häuschen bewohnt. Das Aeußere dieses Priesters, wie er sich dem Fremden darstellt in seinem violetten Kleide, mit schwarzsammtnen Aufschlägen und mit der Mütze von schwarzem Sammt auf dem schneeweißen Haupt, ist wirklich rührend, und nicht übel die Parallele zwischen einem armen Landgeistlichen dieses Schlages und dem prunkenden Kardinal zu Rom, der oft nicht einmal weiß, wie groß die Zahl der Clienten und Diener ist, die zugleich mit ihm seinen Marmorpalast bewohnt. Oder, der Reisende zieht es vor, den Meßner beim Braumeister aufzusuchen, wo ein vortrefflicher Labetrunk, in jenen Gebirgen besonders berühmt, nebenbei zu finden, oder er wartet bei dem Stadelwirth im Dorfe Hohenaschau, im Schatten eines engen Lusthäuschens, wo sich die Gelegenheit trifft, dann und wann einen der kräftigen Menschen zu sehen und zu sprechen, die in jenen Thälern geboren werden, und bei harter Arbeit in den Hämmern, im Steinbruch und im Schacht ihr Leben zubringen.

Ich machte auf diese Weise flüchtige Bekanntschaft mit einem kerngesunden Burschen, der sich wie ein Kind auf die Hochzeit freute, die er binnen wenigen Wochen mit einer Dirne aus einem entfernten Dorfe zu feiern gedachte. Band und Ring, bunte Tücher und Hutquasten von Gold waren bereits zwischen dem rüstigen Seppel und seiner Walpurg gewechselt worden. Die Hand sollte bald dem Zuge der Herzen folgen, und Seppel stand im Begriff, von einer Wanderung in Arbeitsangelegenheiten zurückkehrend, seinem Mädel einen Strauß der allerschönsten Strohblumen zu bringen. Die Schönheit dieser Blumen, wie ich sie zuvor noch nie gesehen, verleitete mich zu der Frage, wo der Bursche dieselben aufgetrieben, und er antwortete lächelnd: »Ei, die sind aus einem Garten, wo es noch viel schönere Blumen gibt; sie sind weit her, aus dem Garten des Webers an der Wand.«

Der Name klang romantisch, und bald erfuhr ich, daß die kleine Wirthschaft des Genannten nicht minder romantischen Ursprungs sey, und die Aufmerksamkeit der Wanderer im Gebirge auf sich zu ziehen gar wohl verdiene. Der Weber sey ein blutarmer Mann gewesen, der vor langen Jahren bei Niederaudorf unfern von der tyrolischen Festung Kufstein sich mit seiner Familie an eine steile Felsenwand angebaut habe, wie eine Schwalbe an die Mauer eines Schlosses, und der im Laufe der Zeit durch wohlberechnete Spekulationen zu einem gewissen Wohlstand emporgekommen sey. Die Art und Weise dieser Industrie zeugt für den Takt des schlichten Webers. Es leuchtete ihm ein, daß die Lust, welche die Gebirgsleute an hellen, buntfarbigen Blumen haben, einem kleinen, gemüthlichen Detailhandel in diesem Artikel wohl als sichere Grundlage dienen dürfte. Darum hatte er theils mit unsäglicher Mühe, theils mit Aufopferung unter mancherlei Art eine Blumenpflanzung angelegt, die weit und breit ihres Gleichen suchte, nach Seppels Behauptung. Um den ehemals spröden Felsen sey, wie der Bursche meinte, jetzo weit mehr an Blumen und wohlriechenden Pflanzen zu finden, als in fürstlichen Gärten selbst, und Gott segne augenscheinlich das Bestreben des klugen Webers, und seine fromme Blumenliebhaberei. – Ich zeichnete den romantischen Namen in mein Notizenbuch und schied freundlich von dem heirathslustigen Seppel, der mich zum ersten Mal mit einer wahren Merkwürdigkeit jener Thäler bekannt gemacht. – Dennoch vergaß ich bald der gegebenen Adresse, als ich neben dem romantischen Wasserfalle vorüber, der die Maschinen des Drathhammers treibt, den etwas steilen Weg nach der sogenannten Hofalme antrat, wo ich eine entzückende Aussicht über den Chiemsee genoß, und bei den hexenähnlichen, aber gutmüthigen Sennerinnen mich zur weiteren Wanderung nach dem Hochriesen stärkte. Die bewundernswerthe Fernsicht von der Kuppe des genannten Berges vertilgte vollends jedes Andenken an Seppels Blumenlieferanten in mir, und noch lange nachher, als ich schon wieder in dem klosterähnlichen Garten des Wirthshauses zu Niederaschau bei vortrefflichen Krebsen und vorzüglichem Biere saß, schwelgte ich nur in der Erinnerung an den umfassenden Blick über des Bayerlandes weite, fruchtbare Ebene, und des Tyrols fantastische Gebirge, der mir auf dem Berggipfel vergönnt gewesen, und gedachte nicht mehr des Webers an der Wand.


Es waren einige Wochen seit der Fahrt nach Hohenaschau verflossen, als ich den Beschluß faßte, das schöne Innthal zu besuchen, und darinnen bis zu der tyrolischen Gränze, bis nach Kufstein vorzudringen. Am rechten Ufer des Inns, von Rosenheim aus fortwandelnd, kam ich nach Neubeuern, einem gleichfalls unbewohnten gräflich Preysing'schen Schlosse. Seine Lage ist von wundersamer Anmuth, und von der Zinne des wohlerhaltenen alten Schloßthurmes genießt man eine überraschende Aussicht. Zu den Füßen des Schlosses liegt ein bescheidener Markt von wenig Häusern, aber unter diesen fehlt wieder ein herrschaftliches Bräuhaus nicht. Hinter dieser Bierfabrik steigt ein romantischer Fels empor, dessen Fuß sich, wie ich glaube, in dem Flusse badet, und von dessen Gipfel der Lauf des Stromes und die gegenüberliegenden Ufer in weiter Ausdehnung belauert werden können. Einem Barbiergesellen des kleinen Fleckchens war es vorbehalten, diesem bisher nicht benützten Belvedere eine Bedeutung zu geben. Er hat sich nämlich ein Lusthäuschen von Latten mit eigener Hand dort oben erbaut, und verträumte wahrscheinlich jeden schönen Sommerabend dort oben, fern von Blutegeln und Schröpfköpfen, und beneidet von den Bewohnern des Marktfleckens, die seinem Bau einen baldigen Umsturz durch Windesgewalt prophezeit hatten, und jetzt mit Verdruß sich gestehen müssen, daß sogar das Gebäude eines Badergesellen fester gegründet seyn kann, als manches Haus in der Residenzstadt.

Ich schwamm mit einiger Todesgefahr, von einem halbtrunkenen Schiffer gesteuert, über den unruhigen Inn nach dem jenseitigen Ufer, und eilte, was ich konnte, seitwärts von der Straße ab, um ja die Gelegenheit nicht zu versäumen, wieder ein Schloß der Preysinger, das Schloß Brannenburg, zu sehen. Diese Burg ist doch wenigstens noch bewohnt; einer der noch lebenden Grafen hat dort seinen Sitz aufgeschlagen, und labt sich in der gesunden Luft der Berge. Er hat nur wenige Schritte aus seinem Hause zu thun, um die schönsten Aussichten zu finden; er braucht nur an seine Fenster zu treten, um schon eine reiche Natur voll von romantisch-anmuthigem Reiz zu begrüßen. Unfern von dem Schlosse hebt eine Wallfahrtskirche ihr weißes Haupt aus den dunkeln Bäumen, und die schöne Bergperspektive, deren man dort oben, vor der Pforte der Kirche gelagert, genießt, läßt gern den schmutzigen Namen, den das Volk diesem Platze gibt, vergessen. Er heißt nämlich: die schwarze Lacke.

Das Gewitter war eben im Anzuge, und folglich war es ungefähr sechs Uhr Abends – denn der Sommer 1831 war jeden Tag so regelmäßig mit einem Gewitter ausgestattet, daß man solches, wenn es gleich nicht immer zum Ausbruch kam, füglich als einen Zeitmesser brauchen mag – als ich den Weg wieder zurückmachte, und spornstreichs nach Flintsbach eilte, um eine Herberge zu suchen; nach dem Dorfe Flintsbach, wo zwei Wirthe sich vor gar nicht zu langer Zeit eine seltsame Fehde erklärt, in einen sonderbaren Wettstreit eingelassen haben. Die Concurrenz der beiden Gastgeber war groß, und ein Jeder glaubte sich durch den Andern beeinträchtigt. Da ersann der Eine das Mittel, eine niedliche Kapelle neben sein Gasthaus zu bauen, um somit das andächtige Publikum in sein Garn zu locken. Flugs baut hierauf sein Nebenbuhler ein Theater neben seine Wirthschaft, ließ wacker darauf spielen, und die Sage, die mir die ganze Historie zu Ohren trug, behauptet, daß der sündige Theaterinhaber mit seiner Spekulation besser gefahren sey, als der Kapellenerbauer. Wie dem auch seyn mag: das Schauspielhaus soll heute noch dort vorhanden seyn, und noch manchmal zu Schulkomödien und dergleichen benützt werden. Ich habe mich von dem Grund oder Ungrund der Sache nicht überzeugen können, weil das Gewitter, indem es vorüberzog, mir die Erlaubniß ertheilte, weiter zu wandern; eine Erlaubniß, die ich benützte, um in dem nächsten Posthause mein Unterkommen zu suchen. Der Ort heißt, wenn ich nicht irre, Fischbach, und das Posthaus, nicht viel von Posten geplagt, ist eine ziemlich anständige Herberge. Von dem Hausherrn mit einigen Münchner Tagsblättern versorgt, von einer niedlichen Kellnerin mit Speise und Trank hinlänglich bewirthet, und von einem ungeheuern Hunde, dessen Lebensaufgabe die Bewachung verdächtiger Fußreisenden zu seyn schien, unaufhörlich und argwöhnisch umkreist, verbrachte ich dort in stiller Abgeschiedenheit Spätabend und Nacht. – Wie einst Napoleon in jedem Quartiere sich's angelegen seyn ließ, die Karten zu mustern, und sowohl seine als seiner zahlreichen Reisegefährten Tour zu bestimmen, so hatte auch ich in Fischbach nichts Angelegentlicheres zu thun, als mein Kärtchen zu studiren, die Erinnerungen meiner früheren Bergreisen Revüe passiren zu lassen, und dem Himmel zu danken, der mir bisher auf jedem schönen Punkte nach der lästigen Tageshitze immer einen erfrischenden, eindringlichen Platzregen geschickt hatte. So liegt immer neben dem Uebel das Heil, und wo die Schwüle am größten ist, ist auch in der Regel Sturm und Wetter am nächsten. Schläfrig geworden, suchte ich unter der Aegide der vorleuchtenden Kellnerin das Schlafgemach, und mein Blick wurde durch einen schönen Blumenstrauß erfreut, der, sauber in eine Schachtel gepackt, auf einem Tische stand. Die Freude ging indessen schnell vorüber. Ich habe etwas von des seligen Feldpredigers Schmelzle Natur an mir: bei der Rose fällt mir immer gleich der Dorn ein, in der saftigen Himbeere wittere ich unverzüglich den Wurm, und der schönste Sonnenschein zwingt mir unwiderruflich den Regenschirm in die Hand. So fürchtete ich mich auch plötzlich vor den Blumen, indem ich mich erinnerte, daß schon manche Person durch den verrätherischen Duft derselben in das Land befördert worden, von wannen man nimmer wiederkehrt; und ich hatte doch noch das romantische Kufstein zu sehen und in München schlugen mehrere freundliche Herzen meiner Rückkehr entgegen! –

»Die Blumen sind schön,« sagte ich: »nimm sie aber weg, meine gute Nanni.« – In jener Gegend heißen alle Mädchen Nanni, darum darf man es wagen, ein jedes mit diesem Namen anzureden.

»Warum denn, lieber Herr?«

»Sie riechen zu stark, und ich scheue einen frühzeitigen Tod.«

Das Mädchen lachte, und ich konnte seine Barbarei nicht mit den sanften Augen vereinigen, bis es in die Worte ausbrach: »Warum nicht gar! Die Blumen sind ja keine natürlichen; sie sind künstlich gemacht, und sollen morgen oder übermorgen nach München geschickt werden.«

Nun faßte ich mir wieder ein Herz, besichtigte die Kunstprodukte in der Nähe, und wunderte mich, dieselben in dieser abgelegenen Gegend zu finden. Ich fragte nach der Verfertigerin.

»Die Blumen werden bei dem Weber an der Wand gemacht,« versicherte Nanni, und ich staunte, so unvermuthet von dem schon vergessenen Wundermann wieder zu hören.

Auch erfuhr ich in wenig Minuten, daß Alles, was ich von Seppel über diesen Kunst- und Naturgärtner gehört, nur eine unvollkommene Skizze seiner Leistungen und Existenz gewesen, und daß der berühmte Weber sich einer Zahl von neun Töchtern erfreue, ich erinnerte mich Mnemosynens Kinder, von denen eine die Blumen, die der Vater in Natura ziehe, mit eigener Geschicklichkeit nachzubilden verstehe. Das Mädchen habe vor einigen Jahren in einer Dame von Landshut eine freundliche Beschützerin gefunden, die verhältnißmäßig weite Reise dahin gemacht, und die Blumenfabrikation aus dem Grunde erlernt. Nun versprach ich mir aber heilig, sobald es nur immer thunlich sey, einen Besuch auf der Oase des Webers an der Wand gewiß nicht zu versäumen. Kunst und Natur rein idyllisch in diesem schlichten Bergthale vereint zu sehen, machte mir schon im Voraus mehr Freude, als ein schlechtes Theaterstück unter obigem Titel mir einst in Frankfurt am Main Mißbehagen erregt hatte.


Immerfort die Tyroler Landstraße verfolgend, hatte ich noch in keinem Augenblick Reue empfunden, in der versengenden Juliushitze dem Ziele meiner kleinen Reise unablässig nachzutrachten. So ein Juliustag ist oft ein wahres Fegefeuer des Wanderers; wem jemals Juliustage heiß gemacht haben, der wird meine Exclamation gewiß bekräftigen. Die Straße zieht sich eine geraume Strecke auf einer bedeutenden Anhöhe um die Ecke; und so genießt man in jedem Anblick neue Reize, welche die Nähe der göttlichen Alpenkönigin Tyrols verkündigen.

Ein halbrundes Thal, mit hohen Pappeln eingesäumt, von rastlosen Wiesewässerchen durchrauscht, lag zu meinen Füßen. In der That! nicht bedeutungslos brauchen wir für die Sprache des Quells das Wort: » Rauschen«! Ist's doch, als ob ein Wonne rausch die Trunkenheit des seligsten Lebensbewußtseyns alle Athem der Natur höher schwellen mache. Diese sanften Busen, mit dem knappanliegenden grünen Gewand, fühlen erwärmender Liebe himmlische Kraft. In stiller Heimlichkeit, wenn sie sich unbelauscht wähnen, vertrauen sie einander, verklärt von Liebe und Gegenliebe, die überströmende Wonne.

Kufstein lag vor mir. Wo rings die Bergwände schroff niedersinken, um den Ausgang des Thales zu verengen, durch welches sich der Inn mit mächtigen Silberwellen Bayern zuwälzt, steigt eben so schroff ein einzelner Fels empor, unheimlich mitten in der blühenden Natur: die alten Ringmauern, an den ritterlichen Gemsjäger auf der Martinswand erinnernd, dessen sie so lange spotteten, bis Pinzenauers Kraft brach und Max das edle Herz von grausamer Rache überwältigen ließ; jene grauen Thürme, für die Ewigkeit gebaut, jene labyrinthischen Laufgräben, Stiegen und Aufzugsmaschinen, das kleine Schlößchen endlich oben mit den traurigen Gitterfenstern, sie bohren einen schlimmen Eindruck in die Seele des Wanderers, dessen Augen sich auf österreichischem Grund und Boden dieser erste Anblick darbietet. Nicht Trutz und Schutz, woran sich ein kräftiges Herz erfreut, ist es, nicht der offene, redliche Charakter der Vertheidigung, – das sind Kerker, Gefangene schmachten in jenen Thürmen; – hier, wo die Natur alles gethan hat, um verschwenderisch mit Freiheitsodem das Herz zu schwellen, wehen heimliche Klagen entgegen, die Mahnung der Verzweiflung und Verwesung. Ach! ihr selber, ihr weißköpfigen Tyroler tief hinten, treuherzige Gletscher! wie Hüter und Douaniers scheint ihr aufgestellt, wenn auch aus euern Augen so manche Ströme des Mitleids rinnen, so manche Thränen des Grimms; – Frühlingsbäche und Lawinen. Und so sitzt an der Schwelle des blühenden Landes der Kraft ein Mauthherr, schwarz und gelb, schwarz wie der Tod, und gelb wie der Argwohn; ein bitterer Vorgeschmack der Dinge, die da kommen werden.

Einem Oesterreicher mag es recht wohl um's Herz seyn, wenn er die zwei schmutzigen Farben wieder sieht, und den Adler, sey es nun der große zweiköpfige oder der bescheidene tyrolische Berg- und Steinadler, der bekanntlich nur einen Kopf trägt. Dafür ist so ein Steinadler aber auch ein ganzer Vogel, seine zwei Flügel und Klauen gehören nur Einem, und den Einen Kopf kann er drehen und wenden, wohin er will.

Obwohl ich für meine Person vor den Adlern gleichfalls vielen Respekt habe, so kann ich doch meine naturhistorischen Studien zeitlebens nicht vergessen, eben so wenig als den alten, magern Professor mit der fuchsrothen Perrücke über den spärlichen weißen Haaren, der seine Vorträge über die Raubvögel mit der stereotypen Phrase eröffnete:

»Zu den rapacibus gehört der Geyer ( vultur), der Adler und Falke ( aquila, falco), der Würger ( lanius) u. s. w.«

Wenn man zu Kufstein in der Post einkehrt und sich das wohlfeile Vergnügen macht, zum Fenster hinauszusehen, kann man unter den zweiköpfigen Adlerschilden, die über dem Thor jedes Kanzleigebäudes und jeder Offizierswohnung hangen, sehr friedliche Barbaren als Schildwachen wandeln sehen. Als ich schon vor dem Thore einen langen, blassen, mageren Kerl in einem sackleinenen Kittel, mit der Muskete im Arm, auf- und abwandeln sah, war ich versucht, ihn für einen Hospitaliter, d. h. für einen Gast des Hospitals zu halten, welcher, seiner Grille zu genügen, im Krankenkittel spazieren ginge, und eben versuche, ob er das schwere Gewehr schon zu tragen verstünde. Als ich jedoch vom Fenster des Posthauses aus vor einer Offizierswohnung einen ditto langen, blassen, alten Mann umherwandeln sah, der zwar keinen Kittel trug, aber ein weißes Röcklein, welches gewiß noch älter war als er (denn dem Tuch waren die Haare ausgegangen), überzeugte ich mich, Kufsteinische Schildwachen vor Augen zu haben. Die guten Leute, welche dahin exilirt werden, sind gewiß alle volljährig; – wenn man aber die Jammergestalten sieht, die eingefallenen Gesichter, die bleichen Lippen (welche fremdartige, unverstandene scythische und magyarische Laute hervorlallen), die schmalen Brüste und dünnen Beine, welche in den abgeschabten weißen Uniformen stecken, endlich die bis zum Knie hinaufreichenden schwarzen Kamaschen, innerhalb welcher man kaum Waden vermuthen sollte, – so wird man versucht, diese seltsamen Geschöpfe eher für Strandläufer oder sonst etwas zu halten als für Söhne des Mars.

Ich habe mich schon oft in die wichtige Untersuchung vertieft, was für ein Unterschied sey zwischen einem Schneider und einem Menschen; nie stieg mir aber dieser begründete Zweifel lebhafter auf, als heute, da ich vom Posthausfenster die Schildwache gegenüber betrachtete. Offenbar war es der Sohn irgend eines barbarischen Schneiders (eines Sarmaten oder von was immer für einem andern noch nicht zahm gewordenen Geschlecht), den man vor grauen Jahren in das weiße Röcklein gesteckt und heute als Schildwache hingepflanzt hatte. Pecus quaerit umbram, fiel mir ein, als ich die gutmüthige Muskete die Mittagssonne vermeiden sah; der Triumph des Possierlichen waren jedoch die mannigfaltigen Bemühungen, seinem vermuthlich von Ungeziefer beunruhigten Leib durch wohlthätiges Jucken und Inquisition auf öffentlicher Straße eine Linderung zu verschaffen. Auf offener Straße? Ja wohl! und doch hatte diese Handlung auf offener Straße nicht den Charakter der Oeffentlichkeit, denn die Straße (die Hauptstraße) war so leer – bei heller Mittagszeit – daß man sie zu einem Stelldichein heimlichster Gattung hätte anwenden können.

Das Mittagessen war lang noch nicht bereitet, ich wanderte daher die paar Schritte vom Hause fort auf die Brücke, die Aussicht auf den Inn zu genießen. Derselbe Augenblick gewährte ein erschütterndes Schauspiel. Ein Artilleriesoldat schlenderte in voller Trunkenheit einher (es war mir begreiflich, wie man sich in einer Einöde betrinken könne); ich hatte ihn kaum kommen gesehen, so war er mir auch schon verschwunden. Ein Satz über das Geländer der Brücke! der Hut noch einen Augenblick über dem Wasser! – und kein Auge sah ihn wieder. Ein paar Leute rannten einige Minuten darauf zusammen und beguckten die Stelle, von der er in's Wasser sprang. Seltsam! das Wasser verrieth nichts, und rauschte gleichgültig weiter.

Mir war es allmählig peinlich geworden in der einsamen Grenzstadt. Ein junger Lazzaroni, der vor meinem Fenster auf einem Grasfleck lag und sich sonnte, als müßte ihn die liebe Wärme erst ausbrüten, war die erquicklichste Erscheinung. Gäbe es doch so viel noch auszubrüten, was lang in dunkeln Keimen liegt und schmachtet! Ach, dieselbe Sonne, die sich so freigebig bemühte, mir mit ihrer Liebe und Wärme zur Last zu fallen, sie war streng genug, den Aermsten, die oben schmachten, hinter Schloß und Riegeln, oft nicht einen Blick zu gönnen. Sollte man nicht glauben, die Sonne sey Frau Baronin geworden?!

Es war mir sehr erquicklich, unmittelbar nach Tisch einige Blicke in das frische Volksleben tyrolischer Kernnatur zu werfen. Es war eben Festtag: Kegelspiel hatte Männer und Dirnen vereint, geschäkert, gelacht, gespottet wurde nach Herzensgrund. Die wackeren Tyroler hatten seit mehreren Jahren der neuesten Zeit Manches bereuen gelernt, daß es ihnen nicht mehr ungelegen ist, Manches zu verspotten! – Pst! –


Als ich Kufstein wieder verließ, hatte ich den Weber an der Wand keineswegs vergessen. Der Nachmittag bis zum Abend war dafür aufgespart; denn obwohl sich am fernen Horizont einzelne Wolken zeigten, so war doch an ein Gewitter nicht zu denken und ein sehr erfreulicher Abend zu hoffen.

Zwischen Nieder- und Oberaudorf erhebt sich ein schroffer Felsen, nackt und blendend, dem Wanderer, der von Kufstein kommt, gerade im Auge. Wie freundlich sich das niedliche Häuschen ausnimmt, das sich an den Felsen lehnt, mit den blendend weißen Mauern, den grünen Jalousieen und Fensterstöcken, dem zierlichen Treibhaus, dem allerliebsten Gärtchen auf der kunstvoll eingeplankten Terrasse, ist schwer zu beschreiben.

Durch einen anmuthigen, versteckten, nicht sehr beschwerlichen Fußpfad gelangte ich zur Wohnung des Webers an der Wand, der vor einigen Jahren vom Landgericht Rosenheim auch die Concession zu einer kleinen Tavernwirthschaft erhalten, und sein Gehöfte nach seinem Landesherrn, dem König Ludwig, getauft hatte. Der Weber, eine kräftige, treuherzige Gestalt, mit blauen, freundlichen Augen und stämmigem Antlitz, in sauberer Bergtracht, empfing mich an der Thüre. Sein Weib, eine gutmüthige Alte, hausmütterlicher Natur, bot mir Erfrischungen an. Als mich der Weber, bei dem ich mir einige Blumensträuße bestellte, im Garten herumführte, und mich selbst die schönsten Kinder Florens wählen ließ, war es ein eigenthümlicher Eindruck, bald hier, bald dort, wie mit den Blumen emporgewachsen, unvermuthet ein freundliches, rothwangiges, kerngesundes Mädchenantlitz zu gewahren, so daß ich am Ende fast irre ward, und glaubte, die Zahl neun, mit welcher der Weber von der Weberin gesegnet war, hätte sich verdoppelt und verdreifacht, wie die Könige von Macbeths Blicken. Eins fiel mir freilich wieder anmuthig auf und riß mich aus der tragischen Erinnerung: die neun Hexen nämlich, welche lieblicher waren, als jene drei vor Macbeth; eine zierliche Orgel der ländlichen Schönheit.

Die Blumenmacherin wußte von Landshut gar Manches zu erzählen; auch von der freundlichen Königsstadt mit dem Wahrzeichen der Frauenthürme, von städtischen Lustbarkeiten, was sich im Munde der Bauerndirne köstlich und drollig ausnahm. Eine Halbe ächten Prannenberger Biers und reinlicher Ziegenkäse mit frischer Butter schmeckte auf bayrischem Boden recht angenehm, während der Weber und sein Weib neben mir am Tische saßen, und, von den Töchtern unterstützt, die gepflückten Blumen säuberten und zu mächtigen Sträußen banden. Der Weber erzählte mir die Chronik seines kleinen Anbaus. Man mußte seinem hausbackenen, gesunden Verstand volle Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn für Reinlichkeit und Zierlichkeit hatte er alles Mögliche gethan. Röhren waren geleitet, um die Wohnung vor der herabsickernden Feuchtigkeit der Felsen trocken zu erhalten; der Garten genoß ein ordentliches Privilegium von Seiten der Sonne; und so mußte sich allseitige Glückseligkeit im kleinen Raum vollständig ausbilden. An Strohblumen (Eternellen) hatte der Weber einen besondern Reichthum. Ich mußte gestehen, diese wunderbare Blume, ein ächtes Bild der Treue über'm Grab, die selbst gepflückt, ihren Blüthenkelch nicht verliert, – nirgends in so zarter Ausbildung, von so intensiver Farbe gesehen zu haben.

»Der Seppel! der Seppel!« rief während unseres Gesprächs das jüngste Mädchen, und zog den Burschen dieses Namens in das Treibhaus.

Ich gedachte meines gleichnamigen Freundes von Hohenaschau; als ich dem Eintretenden in's Auge blickte, erkannte ich wirklich den Bräutigam. Was war das? Sein Auge starrte zu Boden. Seine Wange war bleich.

»Was bringt Ihn zu uns?« rief der Weber, und die Weberin hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als sich um seine junge Braut zu erkundigen.

»Guten Abend, Seppel!« redete ich ihn an, erfreut, den Burschen wieder zu sehen, wenn auch erschüttert von seinem Aussehen.

»Weber!« sprach der bleiche Bräutigam. »Ich brauche wieder einen Kranz für meine Braut.«

»Wann wird die Hochzeit, Seppel?« fragte die Weberin.

»Sie ist verschoben worden,« erwiederte der Bursche leise; – »auf lang hinaus. Ich brauche keinen Brautkranz, sondern einen Todtenkranz!« – –

Als ich heimwanderte, war der Abend herangebrochen; wieder mein Vermuthen hatten sich schwere Gewitterwolken am Horizont aufgehäuft und umzogen die weite Landschaft mit einem fahlen, farblosen Schein. Gegen Westen lag ein Streif dunkelsten Rothes. Ich beflügelte meine Schritte. Der Sturm, der dem Gewitter vorangeht, wie ein Herold vor der Schlacht, sauste scharf hinter meinem Nacken; wie ein Verfolger keuchte das Gewitter hinter mir. Dumpfe Schläge rollten wie schwere Fieberträume über meinem Haupte. Mit genauer Noth erreichte ich noch vor dem wirklichen Ausbruch des Unwetters mein Nachtlager.

Den Weber an der Wand, seine Strohblumen – und den traurigen Bräutigam, den ich wiederfand, und der auch noch immer auf ein Wiedersehen hofft, werde ich lange nicht vergessen. – Er kann seine Braut auch nicht vergessen.


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