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Zigeuner-Idylle


Der Tag brach an, die Hähne krähten, das Kind schrie. »Puppa, Puppa, was schreist Du so?« fragte die braune Czanka, über den schwärzlichen Buben gebeugt: »Vater schläft noch, und wenn er zu ungelegener Zeit aufwacht, bekomm' ich Schläge.«

Der kleine Junge besänftigte sich, und ließ sich geduldig aus dem Korbe nehmen, worinnen er, vergraben unter Lumpen und Heu, zu schlafen pflegte. Czanka wickelte ihn behende in ein Stück carmoisinrothen Wollenzeugs, kauerte sich in einen Winkel der Hütte, und legte das Kind an die Brust. – Mittlerweile gähnte der Mann auf seinem Lager, dehnte sich, und schlug die großen dunkeln Augen auf, noch kämpfend mit dem Taumel des Schlummers. Dann rief er dem Weibe, und Czanka trat mit dem Kinde an sein jämmerliches Bett, bereitet von Stroh und ungegerbten Fellen.

»Was da für Lärm?« fragte der Zigeuner und richtete sich auf den Ellenbogen auf: »War es das Grunzen des Schweins, und wollte irgend ein Schuft es uns stehlen?«

»Nicht doch, Hiripi,« antwortete Czanka blöde: »Die Hähne des Dorfs haben gekräht, und Puppa hat von der Hexe geträumt.«

Hiripi, einen Blick auf den dunkelfarbigen Sprößling seiner Liebe werfend, verklärte sein Angesicht zum wohlgefälligsten Lächeln, daß seine Augen blitzten, und die blanken Zähne behaglich zwischen den wulstigen Lippen hervorsahen, wie Perlmutterglanz aus der Muschel. Er schnalzte fröhlich mit der Zunge, klatschte in die Hände, und fing den kleinen Buben auf, den ihm Czanka schäkernd in die Arme warf. Des Säuglings Ungeduld wurde zur völligen Ruhe, als er sich beim Vater sah, und er ließ sich eine Weile alles gefallen. Bald wiegte ihn Hiripi, wie eine Amme, bald hätschelte er ihn, wie ein Affe sein Junges, dann stellte er den Buben auf den Kopf, und rollte ihn über's Bett, und warf und fing ihn wie einen Ball, bis der Kleine endlich böse wurde, und aus vollem Halse schrie. Da verwandelte sich der Muthwille des Zigeuners schnell in die übertriebenste Besorgniß: nun wurde das Kind gestreichelt, geliebkos't, geküßt, und mit Brei geätzt, bis es abermals schwieg, und mit sich spielen ließ, wie mit einer Puppe. Mann und Weib überboten sich in kindischem Scherz, um so mehr, als sie selbst kaum aus den Kinderjahren getreten waren. Hiripi zählte kaum sechszehn, Czanka erst vierzehn Jahre, und schon hatten sie über ein Jahr zusammen gehaust, vereinigt durch den Segen ihrer Eltern, und die Zustimmung des Woywoden oder Altzigeuners.

Die Sonne schien indessen bereits durch die Lucken im gebrechlichen Dach der Erdhütte, und Czanka fragte, ob denn Hiripi heute nicht aufzustehen begehre. Der Zigeuner schüttelte den Kopf.

»Der heilige Stephan hat gestern meine Mäklerbemühung gesegnet,« sagte er lächelnd, und legte sich faul auf den Rücken, die Arme über dem Kopf gekreuzt: »Der Slowak, dem wir gestern das Pferd anhingen, soll nicht umsonst seine Siebenzehner ausgegeben haben. So lang das Geld dauert, will ich mir gütlich thun. Wir wollen heute Braten essen. Auf dem Hof des deutschen Bauern ist gestern Abend ein prächtiger Stier gefallen. Gehe hin, Czanka, und verständige Dich mit dem Wasenmeister, daß er uns ein feistes Lendenstück abgibt.«

Czanka suchte aus den Kleidern Hiripi's den kleinen Leinwandbeutel und meinte lachend: »Mit dem wenigen Geld werden wir bald fertig seyn, Hiripi. Entweder bin ich blind, oder es ist nur ein Siebenzehner mehr übrig. Da ist noch etwas Kupfermünze und ein silberner Fingerhut.«

Hiripi glotzte in den Beutel, fuhr sich verlegen und verwundert in die grausen Haare, und versetzte, nach und nach sich besinnend: »Wahrlich, Czanka, die Hallunken müssen mir das Geld im Spiel gestohlen haben. Der Branntwein war verdammt schlecht, und hat mich verwirrt gemacht. Was den Fingerhut betrifft, so habe ich ihn irgendwo gefunden, und will Dir einen Ring daraus schmieden. Aber deßwegen wollen wir dennoch Feiertag halten. Ich habe, weiß Gott, die Woche her genug gethan: einmal zum Tanz gespielt, vier Dutzend Nägel gemacht, zwei Bündel Reisig geholt, und ein Pferd vermäkelt. Ruhe muß auch seyn. Sage nur ja dem Vater nicht, liebe Czanka, daß ich mir das Geld habe stehlen lassen. Er würde sich grämen, und mich an keinem Handel mehr theilnehmen lassen.«

Somit legte er sich wieder auf die Seite, und wollte von Neuem einduseln, als die Thüre der Hütte aufging, ein altes Zigeunerweib die paar Stufen in die Erdhöhle herabhumpelte, und mit kreischender Stimme sagte: »Heda, hollah, faule Leute, arme Leute! stehe auf, Schwiegersohn, in der Stadt ist Jahrmarkt, und viele ungeputzte Bänke sind zu fegen. Komm mit!«

Hiripi brummte unverständliches Zeug, aber Czanka entgegnete: »Ach, Mütterlein, wie ist Hiripi so müde! Er kann kein Glied rühren, so hat ihn gestern der Büffel gestoßen. Laß das Männchen daheim, lieb Mütterlein, daß ich es pflege.«

Worauf die Alte versetzte: »Reib' ihn mit Oel ein, und gib ihm Branntwein mit Pfeffer, mein Kind. Pfeffer hilft den Mannsbildern auf's Pferd, und bis morgen ist er frisch und gesund. Dann komme ich wieder, und bringe schöne Sachen mit, die ich auf dem Jahrmarkt finden werde: schöne glänzende Dinge für Dich und die herzige Puppa.«

Hier nahm sie den Buben mit übergroßer Zärtlichkeit in die Arme, beehrte ihn mit vielen Küssen, sprach in der Geschwindigkeit eine Segensformel über ihn, ließ sich eine Zwiebel, die an der Dachsparre hing, zum Frühstück geben, und wanderte mit dem leeren Zwerchsack fürbaß.

Kurze Zeit hierauf guckte wieder ein schwarzes Gesicht in die Hütte: ein Kamerad Hiripi's. »Jahrmarkt in der Stadt, Hiripi! Stecke Deine Würfel ein, und gehe mit. Die Karten, die ich bei mir führe, sind die glücklichsten im Königreich, und Deine Würfel fallen am besten. Halbpart und komme mit!«

Hiripi erkannte an der Stimme einen der gewandten Freunde, die ihm gestern sein Geld entfremdet hatten, knurrte halblaut vor sich hin und rührte sich nicht.

»Er schläft,« jagte Czanka, und wies den begehrlichen Spieler ab.

Während dessen hatte Hiripi's aufmerksames Ohr schon von Ferne den Laut einer Stimme vernommen, die in ihm Besorgniß erregte. »Czanka,« sagte er leise und dringend, »der Bauer kommt, dem ich noch Geld schuldig bin. Führe geschwinde das Schwein in's Feld hinaus, daß mich der Hund nicht pfände.«

Das Weib that, wie ihm geheißen wurde, legte das schlafende Kind auf des Vaters Bett und eilte, sich mit dem Schwein zu befassen. Kaum hatte sie das unreinliche Thier gezwungen, unter unwilligem Grunzen seine Lagerstätte zu verlassen, als schon der gefürchtete Mahner in die Jurte stolperte.

»Die schwarze Pest über Eure verfluchten Hütten!« rief der Hirt, und rieb sich die Schienbeine: »Man bricht sich den Hals, ehe man sich's versieht. Heda, Schwarzer, wie steht's mit dem Gelde für die Sau? Wo ist der Thaler, den Du mir schuldig bist? Ich lasse mich nicht länger narren. Stehe auf, schwarzer Dieb, und rücke mit Deinem Hexengeld heraus!«

Der Zigeuner kroch feig und demüthig dem Hirten entgegen, und versetzte: »Ach, redlicher Kanacz, wie soll ich doch den Thaler aufbringen, da mir just am letzten Freitag das gute fette Schwein gestohlen wurde?«

»Lüge nicht, verfluchter Morre,« schimpfte der Hirt, und machte verdächtige Bewegung mit seinem schweren Stock: »Das Vieh grunzte noch, als ich in Deine verdammte Keuche trat. Heraus damit, oder das Geld her!«

Hiripi schob das Brett weg, das den Eingang in den Stall verkleidete, und zeigte mit wehmüthiger Miene auf das leere Nest. Der Kanacz ließ sich indeß nicht irre machen, und drohte und wetterte so ungeheuerlich, daß dem Zigeuner angst und bange wurde. Doch ließ er von der Vorstellung nicht ab, und wiederholte zwanzigmal: »Ich habe kein Geld, und habe auch das Schwein nicht mehr; da ist meine Hütte, mit allem, was ich habe. Nehmt es in Gottes Namen.«

Worauf der Hirt mit rauhem Spott erwiederte: »Du schwarzer Schurke, was soll ich Dir nehmen? Deine Lumpen voll Ungeziefer? Deine Fiedel, worauf kein ehrlicher Christ spielen kann? Deinen elenden Ambos, den ich nicht auf der Straße aufheben möchte, oder Deinen geflickten Blasbalg? Der Teufel hat mich geritten, daß ich mich mit Dir einließ. Betrügen wir arme Schweinhirten unsere Herrschaft darum, daß wir von solchem Lumpengesindel noch bestohlen werden? Da wäre mir doch meine Ehrlichkeit viel zu lieb.«

Hiripi bleckte seine Zähne mit grinsendem Lachen, und meinte, die Ehrlichkeit eines Kanacz sey schon hinreichend zum Sprichwort geworden. Für diesen Scherz steckte ihm der Hirt eine Ohrfeige. Nun sagte Hiripi weinerlich: »Aber das Schwein war ja ohnehin in schlechtem Zustand, guter Hirt. Wär' es an dem zerbrochenen Vorderfuß verreckt, hätte ich's ja auch haben müssen. Ihr verkauft ja uns Zigeunern niemals ein gutes Stück Vieh.«

Eine neue Ohrfeige war die Antwort. »Für Euch schwarzes Teufelsvolk ist Alles noch zu gut,« setzte der Kanacz bei, und verdoppelte seine drohende Mahnung. Der Zigeuner flüchtete sich von einem Winkel in den andern, und protestirte unaufhörlich gegen Drohungen, Schimpf, Ohrfeigen und Stock. Der Hirt gerieth in die größte Wuth, und wollte schon seinem Knechte und Hunde pfeifen, die an der Thüre paßten, als sein Auge auf den schlafenden Buben fiel. »Nun denn,« rief er mit schadenfrohem Lachen, »wenn Alles nichts hilft, so will ich für mein Schwein dieses Ferkel mit mir nehmen. Der Teufel hole die Brut an und für sich, ob sie also meine Eber fressen, oder ob sie am Leben bleibt, kommt auf Eins heraus. Guten Tag, Schwarzer!«

Mit diesen Worten packte er den Zigeunerbuben in seinen Mantel, und lief mit seinem Raube hinaus. – Diese That drang wie ein Blitz in Hiripi's Seele. Mit dem Jammergeschrei der Verzweiflung rannte der Zigeuner dem Räuber nach, halbnackt wie er war, und erwischte ihn, der wohlbedächtig sich erwischen ließ, eine kleine Strecke von der Hütte. Nun gibt es keine Demüthigung in der Welt, welcher sich Hiripi nicht ausgesetzt hätte, um sein Kind, den höchsten Schatz des Zigeuners, wieder zu gewinnen. Er rutschte vor dem Kanacz auf den Knieen, küßte ihm die Füße, zerschlug sich die Brust, heulte und versprach Himmel und Hölle. Der Kanacz sollte unfehlbar am nächsten Morgen sein Geld haben, er wollte es ihm mit Zinsen erstatten, er wollte sich ihm selbst verkaufen mit Haut und Haar, nur das Kind sollte er dem Vater lassen. Der Hirt willigte nach einigen scheinbaren Weigerungen ein, gab sein Pfand zurück, drohte aber mit den gräßlichsten Schwüren, es am nächsten Morgen unfehlbar wieder zu holen, wofern er sein Geld nicht bereit fände.

Hiripi kehrte triumphirend mit dem Buben zurück. Die kluge Czanka traf bald nach ihm, da sie die Luft rein wußte, mit dem geretteten Schweine wieder ein, und Vater und Mutter drückten nach der Reihe der geliebten Puppa ihr Bedauern aus, und beschwichtigten sie mit Spiel und Brei. – Als nun das Kind abermals schlief, kratzte sich Hiripi hinter den Ohren, und sagte nachdenklich: »Jetzt ist guter Rath theuer, Czanka. Einen Thaler – wo kriegen wir den her? Und wenn ich den ganzen Tag hindurch Nägel schmiedete, fleißig wie ein Pflugstier, ich schmiedete keinen halben Thaler zusammen. Ach, wie sind uns die schönen Feiertage in den Brunnen gefallen! Was fangen wir an? Es zeigt sich heute kein einziger von den verdammten Bauern, um nur einen Kessel flicken zu lassen, kein Pferd das ich beschlagen könnte. Willst Du nicht in's Dorf gehen, und eine Närrin suchen, die sich wahrsagen ließe? Ich wollte die Puppa indessen herumtragen und füttern.«

»Ei, daß uns der Bube indessen krank würde, weil er die Muttermilch entbehrt? Sey doch nicht so faul, lieber Hiripi. Weißt Du nicht mehr, was unser Woywod sagt? Ein braver Sinde verhungert nie, und macht sich am Ende aus dem blauen Himmel einen Rock, wenn er nichts anderes dazu hat.«

Das Schicksal klopfte, in der Person des alten Hiripi, den man in der Umgegend nur den schwarzen Tanzkönig nannte, an seines Sohnes Hütte. »Aufgepaßt, mein Sohn,« sagte der Alte, der auf der Brust einen Triangel, auf dem Rücken eine Trommel, ein Hackbrett unter dem linken, und eine Geige unter dem rechten Arm trug; »noch schläfrig, und in der Stadt warten sie schon auf unsere Musik? Die Barbiererzunft will sich heute recht satt tanzen, und mein erster Geiger ist leider schon dermaßen besoffen, daß er den Fidelbogen nicht zu halten vermag. Tritt Du an seine Stelle. Zu essen und zu trinken vollauf, und, so Gott will, viele klingende Zwanziger in den Sack. Dein Vater gönnt Dir auch etwas Gutes, Du träger Spitzbube. Rede ihm zu, Schwiegertochter. Sagt ihm, er soll für Dich und die kleine Puppa da ein Paar Bratwürste verdienen.«

Czanka klopfte voll kindischer Freude in die Hände, hüpfte und tanzte, fiel dem zaudernden Hiripi um den Hals und jauchzte: »Bratwürste, lieber Mann! Für mich und die Puppa! Siehst Du; daß Gott keinen ehrlichen Sinden verläßt? Da sind Deine Zischmen, so schön grün, mit Goldfäden gestickt; da sind die rothen Beinkleider, mit schönen Schnüren verbrämt, worauf Du so stolz bist, und die so prachtvoll aussehen; da ist Deine Jacke, Deine Mütze, Deine Geige! Geschwinde, ziehe Dich an, gehe mit dem Vater.«

»Schöne rothe Hosen!« meinte der Alte, und prüfte das Tuch mit klugem Finger: »Kein Magnat dürfte sich schämen, dieselben zu tragen, obgleich hie und da die Schnüre mangelhaft sind. Du wirst bei dem Aufzug, den wir nach dem Zechhaus machen, einen rechten Mann vorstellen. Die Zunft gibt uns dreieckige Hüte dazu, mit klafterlangen Federbüschen.«

Der Sohn richtete plötzlich den Kopf hoch auf, und sah schon im Geiste den wallenden Federstutz auf seinem Haupte; nebenbei dachte er an die Bratwürste, und somit an das Schwein, und folglich an den Kanacz und den Thaler, den er demselben versprochen. Darum folgte er endlich, obschon sehr widerstrebend, dem Aufgebot des Vaters, fuhr in die Kleider, knüpfte die zerrissenen Saiten seiner Fiedel, und ging nach inbrünstigem Abschied von Czanka und seinem Buben mit dem Tanzkönig zur Stadt.


Im Hause des reichen Zischmenmachers Worolay wurden große Anstalten gemacht. Es sollte eine Mahlzeit absetzen, die überfestlich den Jahrmarkt und den Geburtstag des Sohnes vom Hause zugleich zu feiern bestimmt war. In der Küche wurde gesotten und gebraten, was gut und theuer war; das feinste und zugleich riesenmäßig ausgebackene Hopfenbrod kam just aus dem Ofen, die Fische, die zu der köstlichen Fischersuppe bestimmt waren, wurden just auf dem saubern Schlachtstein zubereitet, um in die Pfanne zu schlüpfen; die Köchin war kunstfertig beschäftigt, die großartigen Krautköpfe zu füllen, die des ungarischen Bürgers Lieblingsspeise sind, und die wohlbeleibte Hausfrau, die Ordnerin aller Dinge, stand in der nahegelegenen Speisekammer, um die eingemachten Gerichte zu bestimmen und zu wählen. Alles hatte vollauf zu thun, und so mochte es geschehen, daß ein Zigeunerweib in das Haus einschlich, obschon die Stallknechte und die herumlungernden Gesellen dem Jahrmarktsgesindel so viel als möglich den Eintritt wehrten. Das Weib drang, von ihrem feinen Geruch geleitet, schnell bis zur Küche vor, ohne Jemand zu begegnen, eine Taglöhnerin ausgenommen, die ihr mit abgewendetem Gesichte in Eile eine Kupfermünze reichte, und ohne umzusehen, an ihr vorüberlief. Auf der Schwelle der Küche stehend, sendete die Zigeunerin ihre scharfen Blicke durch die weite Halle, und weil der Leute allzu viele darinnen zerstreut waren, als daß von einer harmlosen Entfremdung die Rede hätte seyn können, so heftete sich die Sehnsucht der alten Schwarzen an einen Büschel Knoblauch, der am Heerde hing.

Eine junge Magd stand unfern, und wollte gerade mit kurzen Worten die Zigeunerin wegweisen, als diese mit feierlichem Tone zu ihr sagte: »Junges Mensch, gib mir jenen Knoblauch, der mir sehr gefällt.«

»Was? Warum denn, Du schwarze Landfahrerin?«

»Mich hungert sehr, mein Schatz. Gib mir den Büschel, und Du sollst glücklich seyn auf Zeitlebens.«

»Warum nicht gar! Packe Dich, unverschämte Lügnerin. Ich möchte lieber vom Teufel mein Glück bescheert sehen, als von einer alten Hexe Deines Volks.«

»Abgeschmackte Närrin!« schalt nun die Alte, und unter ihrer braunen Haut dämmerte ein düsteres Roth auf, wie bei erzürnten Truthähnen. »Dir wird auch noch der Teufel Unglück in Dein Feld säen. Weißt Du, daß man uns nicht ungestraft beleidigt? Ketzerin, Du! Du wirst wenigstens am Galgen sterben, oder verbrannt werden, weil Du alle Kinder umbringen wirst, welche Du mit Deinem Buhlen hast. Unglück, Krankheit und Verlahmung sollen Dir auf dem Fuße folgen. Du schäbiges Unkraut!«

Da die Alte immer lauter eiferte, und die erzürnte Magd nach einem Stück Holze griff, um es der Flucherin an den Kopf zu werfen, nahmen auch die übrigen Dienstboten in der Sache Partei. Man hielt die junge Magd zurück, man murrte nur leise gegen die Zigeunerin, deren Schimpfen im Volke gefürchtet ist, und die Alte, die ihren Vortheil verstand, ließ sich nicht irre machen, und fuhr immer tobender fort: »Du sollst keinen vergnügten Augenblick mehr haben, Du unreifes Ding; keine Dienstherrschaft soll Dich mehr behalten, Du magst noch so oft in den Backofen des Hauses gucken; und wenn Du an einem Sonntag in Deinen Dienst trätest, so soll der heilige Tag für Dich eben so unglücklich seyn, als ob er ein Mittwoch oder Freitag wäre! Pfui, Du grober Satan! Speit sie an, Ihr ehrlichen Dienstleute, denn sie ist eine Hausdiebin und Kindsmörderin!«

In diesem Augenblick trat die Frau des Zischmenmachers, von dem Lärmen erschreckt, unter die Dienstleute, und erkundigte sich nach der Ursache des Tumults. Die Zigeunerin ließ sich nicht stören, und wich nicht von der Stelle. Was die Hausfrau hörte, war gerade Wasser auf der Zigeunerin Mühle, denn die Bürgerin war abergläubisch, wie nur irgend eine in der Stadt. Sie riß, blaß vor Schrecken, den verhängnißvollen Knoblauch von dem Heerde, warf ihn der Schwarzen zu, und noch obendrein flog ein Regen von ungarischen Groschen aus der Ledertasche der Zischmenmacherin in die aufgehaltene Schürze der Zigeunerin. Dabei rief die Abergläubische: »So entferne Dich doch ins Himmels Namen, und hebe Dich weg, Du unseliges Geschöpf, denn ich will nicht, daß Du mein Haus verfluchst, und den fröhlichen Tag, an dem mein lieber Sohn geboren ist. Gehe hin in Frieden, Du böses Auge, und schaue in ein anderes Haus, wo böse Leute wohnen.« Zugleich setzte sie hinzu, mit den Mägden redend: »Dreht Euch um, Kinder, und schaut der Alten nicht nach.«

Dieses geschah wie auf's Commandowort. Alle Weiber drehten sich auf dem Absatz um, gleich wie im Tanze, spien aus, und während dessen ging die Zigeunerin, schadenfroh in sich hineinlachend, und ihre gewonnenen Groschen bergend, von dannen.

Als Frau Worolay in ihre Stube zurückkam, machte ihr der Sohn – ein gestrenger Herr Feldwebel, der just in der Stadt auf Werbung lag, und behaglich des Vaters Geld verputzte und der Mutter Vorräthe aufspeiste – lebhafte Vorwürfe über ihre Leichtgläubigkeit und ihren abergläubischen Wahn. Der Soldat hatte durch das Fenster in der Thüre den ganzen Auftritt mit angesehen.

Die Mutter erwiederte verdutzt: »Lieber Sohn, Ihr Soldaten seyd Freigeister, aber ich glaube, was ich glaube. Mir hat nicht umsonst heute Nacht von der seligen Mutter geträumt. Wenn man aber von Todten träumt, so bedeutet es Regen oder Unglück, und da es heute nicht regnet, so mußte also ein Unglück im Anzuge seyn, und die verdammte Zigeunerin war just das Unglück, das beseitigt werden mußte, damit es meinem lieben Sohne und unserem Hause nicht schade. Die Seelenruhe, deren ich jetzt genieße, ist wohl die paar Groschen werth, die ich daran gewendet.«

»Eitel Trug und Lumperei!« versetzte der Soldat: »Seht, dort unten auf dem Platze steht der alte Zigeunerrabe, und plaudert ganz vergnügt mit einem schlanken Burschen, der gewiß der Sohn der alten Bestie ist. Schaut, wie sie ihn hätschelt, wie sie zusammen das Geld zählen, das Eurer Thorheit abgewonnen wurde. Sie lachen Euch aus; ich wollte aber, der junge Kerl liefe mir in's Garn. Die feige Zigeunermemme müßte Soldat werden, und wenn die Mutter mich verfluchte und verwünschte, bis sie selber daran erstickt.«

Die Dazwischenkunft des feisten Herrn Worolay, der, von seinen ehrbaren Gästen umgeben, aus der Weinschenke kam, unterbrach und endigte das Gespräch.


Es mochte noch so lustig in dem Hause des Zischmenmachers hergehen – auf der Zeche der ehrsamen Barbierzunft war's viel lebendiger. Der feierliche Umzug durch die Stadt war vollendet, das Mittagessen aufgetragen, und zum größten Theil schon verzehrt. Der Feierlichkeiten mehrere fielen an diesem Tage für das Handwerk zusammen: Der Jahrmarkt, der Zunfttag, eine Meisterwahl und zugleich die Hochzeit des jungen Meisters. Der Wein floß in Strömen, Gesundheit auf Gesundheit wurden ausgebracht, denn seit Langem hatte kein junger Meister so vortrefflich aufgetischt. Die Gesichter der bejahrten Herren glänzten bereits von Lust und Tafelfreude; schon hatten die jüngeren Collegen von den Vorstehern die zunftgemäße Weisung erhalten, sich nicht zu betrinken, um auf die älteren Acht zu geben, und im Nothfall mit Rath und That bei der Hand zu seyn; die allerliebsten Meistertöchter und daneben manche junge Frau erwarteten mit glühenden Wangen und mühsam verborgener Ungeduld das Zeichen zum Tanz.

Wie Alles im Leben nach und nach an die Reihe kommt, also auch hier das Signal zum Reigen. Die jungen Herren, angeeifert vom köstlichen Oedenburger und Menescher, klatschten in die Hände, und der schwarze Tanzkönig mit seinen Gesellen, in einem Winkel des Saales um einen Tisch stationirt, klopfte auf den Triangel. Ein derber Schlag auf die Trommel folgte, und alsobald begannen jene wunderhafte Tonschwingungen, die der Zigeuner auf seiner Geige zu schaffen weiß, jene begeisternden Tänze, die unwillkürlich auch den kältesten Zuhörer mit sich fortreißen. Nicht die Noten werden da in Töne verwandelt, sondern die Gesammtidee, der innigste Geist der musikalischen Weise sprüht gleichsam wie ein Zauber unter den Fingerspitzen und dem Bogen der schwarzen Geige hervor.

Hiripi lieferte von Anbeginn ein Meisterstück, und sein Vater, der abwechselnd den Triangel rührte, und die Baßgeige strich, schaute mit stummer Zärtlichkeit und gerechtem Stolze auf seinen Sohn, welcher die Stelle des bezechten Primisten so vollgültig und allgewaltig ausfüllte. Manchmal, wenn Hiripi die Augen gegen ihn aufschlug, nickte der Alte dem Künstler freundlich zu, und nach Beendigung des ersten Tanzes zwickte er ihn vertraulich in das Ohr, schenkte ihm ein volles Glas Branntwein ein, und sagte: »Du mußt Dich ganz auf die Geige verlegen, Bursche. Das Nägelschmieden ist für Dich viel zu gering. Würdest auch Deinen alten Vater brav unterstützen. Fiedle nur wacker zu, und Du wirst Dich verwundern über das Geld, das Du heimbringst«

»Ach, hätte ich nur schon einen ungarischen Thaler in der Tasche!« seufzte Hiripi vor sich hin, und gedachte des groben Schweinhirten und seines Versprechens.

Indessen sollte der zweite Tanz beginnen. Die Köpfe der Tänzer waren schon bedeutend erhitzt, Hiripi's Kunst hatte manchen angehenden Rausch schon volljährig gemacht. Ein Jeder ziemlich von den Tänzern hatte sein Liebchen an der Seite, und begehrte, ihm gefällig zu seyn. Daher wünschte der Eine seine eigene Lieblingsmelodie, der Andere diejenige Weise zu hören, wonach sein Mädchen verlangte. Wohlwissend, daß dem Zigeuner das Talent angeboren, gleichsam im Fluge eine angegebene Melodie zu behalten und auszuführen, drängten sich die Männer um Hiripi, und pfiffen und sangen ihm, so gut sie's vermochten, ihre Themata in das lauschende, aber bald zum Wirbeln ermüdete Ohr. Bald wußte Hiripi nicht mehr, wo er anzufangen, woran er sich zu halten habe, und doch befahl der Tanzkönig mit gebieterischem Fußstampfen die Eröffnung des Reigens. – Und als nun der Primist die ersten Töne strich, so war allen Tänzern nicht recht, was er spielte, und der Grimm getäuschter Barbiere hat bekanntlich keine Grenzen. Ein allgemeiner Aufstand unterbrach den schon begonnenen Tanz, Fluchen und Schelten, Gelächter und Geschrei erfüllten den Saal, die alten Trinker an der Tafel spotteten ihre verblüfften Collegen aus; diese geriethen dadurch in größeren Zorn. Sie fuhren wild und schnaubend auf die armen Zigeuner ein, belferten, tobten und schimpften durcheinander; die Versammlung verwickelte sich in einen wirren Knäul.

»Schwarzer Schuft, warum spielst Du nicht meinen Tanz?« brüllte der Eine, und gab dem armen Hiripi einen Rippenstoß. »Warum spielst Du nicht: theurer Schatz, ich liebe Dich?« raste ein Zweiter, und riß den Primisten an den Ohren. »Schwarzer Hallunke! Warum nicht: ungrisch leben, ungrisch sterben?« schimpfte der Dritte und schlug dem Künstler ins Gesicht. Dazwischen sangen die Alten an der Tafel: »Freudig ist's Barbiererleben,« und die Weiber klagten und lachten wie die Gänse.

Hiripi duckte sich, wie er konnte, und sein Vater hielt den Triangel schützend über seinem Haupte, aber zum Unglück nahte der Festgeber, der flaumbärtige junge Meister, entrüstet, daß man seinen Ehrentag verschimpfire, und rief mit grober Autorität: »Zahle ich darum meinen Ducaten per Kopf, daß wir uns am Ende wie die Hunde um eines Zigeuners Willen balgen?«

Wirklich rauften sich schon einige Gäste, die für Hiripi Partei genommen, mit seinen Gegnern.

»Soll ich etwa das Barbiermesser herumschicken, um die Gesellen zu der Prügelei aufzubieten?« lallte der Zunftmeister, und wälzte sich wie ein Stückfaß in den wogenden Knäul: »Still, sage ich, Du schwarzer Teufelsohn!« zeterte er auf den guten Hiripi hinein, der mäuschenstill gewesen war, hob die fleischige Faust, und zerschmetterte die Geige, die der Zigeuner, um der gewichtigen Kopfnuß zu entgehen, vor die Stirne hielt.

Hat Jemand gesehen, welchen zauberischen Eindruck ein niederklirrendes Glas in einer Versammlung macht, die schon kampffertig durcheinander wogt? schon gesehen, wie die fallenden Scherben das Zeichen zum Raufen geben? – Kaum lag die Geige in Trümmern zu Boden, als auch der Streit im Saale unaufhaltsam losbrach. Die Einen wehrten sich für Hiripi, die andern aber in großer Mehrzahl erachteten, daß nun schon einmal das Musikvergnügen des Abends hin sey, und prügelten noch zu guter Letzt den armen Tonkünstler waidlich durch. Der Alte wurde unter einen Tisch geworfen, wo schon die übrigen Zigeuner der Bande versteckt lagen, – mit blauem Rücken und zerrauftem Haar entfloh Hiripi den Flegeln, die auf ihn droschen. Thränen im Auge, mit Verzweiflung im Herzen und leerer Tasche kam er auf den Markt, unschlüssig, ob er nach Hause laufen, ob er in's Wasser springen solle. Seine Geige dahin, der so heiß ersehnte Thaler dahin, nirgends Recht und Gerechtigkeit für den Zigeuner, – das Leben war ihm zur Last, und er hätte es alsogleich endigen mögen, wäre ihm nur der Muth dazu nicht abgegangen.


Die Sonne schien noch warm und lebendig, und ein buntes Menschengewühl jagte sich auf dem Markte durch die Budenreihe, drängte sich in den Zelten, wo man Erfrischungen verkaufte, wie das Volk sie liebt. Der größte Tumult tobte jedoch um das Zelt, welches die Werber aufgeschlagen hatten, die den günstigen Jahrmarktstag nicht versäumen wollten. Das Zelt war offen von allen Seiten, von der Höhe flatterte eine Fahne, grün, roth und weiß gestreift. Eine lärmende Janitscharenmusik brauste darunter hervor. Tanzende Dirnen mit Soldaten in der glänzendsten Unlform drehten sich beim Schall der Musik, ein pfiffiger Marketender schenkte berauschenden Wein und höllisch gewürzten Slibovitzer. Hochmüthige Unteroffiziere, starrend von Gold und Silber, wie Feldmarschälle, in den blanksten Husarenkleidern, obgleich in der Garnison demüthige Infanteristen, schaukelten sich vor der Schenke auf bequemen Stühlen, oder fegten, im Zelte spazierend, mit ihren himmelhohen Federbüschen die langherabwallenden Leinwandzacken des Daches. Dabei musterten sie mit geübtem und gierigem Auge die wohlgewachsenen Bursche, die sich zu nah an die Leimruthe wagten, und klirrten mit den Sporen, und rasselten mit dem glitzernden Säbel, und bliesen wohlriechende Wolken aus ihren Pfeifen, und thaten so gemüthlich und vornehm, als ob des Schlaraffenlebens bei ihnen nie ein Ende werden könnte. Das junge Volk, das sich nicht satt sah an den schmucken Reitern, träumte ohnehin schon von einem unerschöpflichen Paradiese zu Pferd, vom bequemsten Königsdienst; aber noch mehr als dieser Anblick füllt mit funkelnagelneuen Zwanzigern, die in der Mitte des Zeltes stand, und bestimmt war, ihre Schätze denjenigen zu spenden, die nach des Königs Dienst begehrten. Hunderte starrten nach der ergiebigen Silbermine, und hätten für ihr Leben gern einen Zug daraus gethan; aber die Warnungen versuchter alter Leute machen selbst die habsüchtigste Neugier behutsam, und die meisten der Bursche, die da gafften, hüteten sich, die Hände aus den Taschen zu thun, damit der gesprächige Werber dieselben nicht erwische, und durch einen unfreiwilligen Handschlag den gefährlich kitzlichen Kauf abschließe.

Nicht so Hiripi, der auch hinzugetreten war, aber an nichts weniger als die Soldaten dachte, sondern nur an das Geld in der Schüssel, das ihn reicher gemacht haben würde, als den Fürsten Esterhazy all seine Schätze. Sein Ohr war taub für das Getümmel um ihn her, er wußte kaum, daß er unter Menschen war; blind war sein Auge für Alles, nur für das Geld nicht, welches er anstarrte, wie einen Zauberfund. Dafür sahen zwei fremde Augen etwas heller als die seinen: die des Feldwebels Worolay, der auf den Platz gekommen war, um den übermäßigen Familienschmaus spazierend zu verdauen. Der Unteroffizier, ein schadenfroher Mensch, daneben begierig, seiner Mutter eine lebendige Note zu dem Text zu liefern, den er am Morgen ihr gelesen, erkannte den Zigeuner als denjenigen, der vor dem Essen mit der Mutter der braunen Czanka geplaudert und gelacht. Den Vogel zu fangen, wie er es sich vorgenommen und gewünscht, näherte er sich rasch dem Zigeuner; ergriff, ohne viel Federlesens zu machen, dessen schlaff herabhängende Hand, schüttelte sie derb, und rief laut: »Sei froh, Neubauer, daß des Königs Rock Dich wieder ehrlich macht; marschiere in's Zelt, laß Dir das Handgeld geben, trink einen Schluck und folge dem Gefreiten in's Werbhaus.«

Hiripi erwachte wie aus einem Traume, und hatte nicht Zeit, zu protestiren, denn schon flog er, von Worolay's Hand geschleudert, in die Arme des Marketenders, der ihm ein Kännchen Branntwein, und des lauernden Gefreiten, der ihm seinen eigenen Hut präsentirte. Mit den Worten: »Es lebe der König! Sauf' aus, Du schwarzer Tausendsapperment!« wurde ihm der Hut auf den Krauskopf gedrückt, und das Zwetschgenwasser in die Zähne gegossen. Nun wußte freilich Hiripi, wo er war, und das erbärmlichste Geschrei aus seinem Munde übertönte die schmutzigen Scherze der Soldaten und das gellende Hohngelächter des Volks. Er versuchte, sich zur Wehre zu setzen, zu beißen, zu kratzen, mit den Füßen auszuschlagen; aber starke Fäuste und derbe Haselstöcke tanzten auf seinem Rücken, und erinnerten ihn schmerzlich an die Barbiererfreude, deren Gegenstand er unlängst gewesen. Bald stand der arme Schelm ruhig, wie ein zitterndes Schaf, und erwartete, was der grimmig blickende Worolay über ihn beschließen würde, als die Scene sich plötzlich änderte.

Der schwarze Tanzkönig trat auf den Schauplatz, schlug sich athemlos bis zum Sohne durch, und sagte zu ihm in gutzigeunerischem Rothwälsch: »Was machst Du hier, Du einfältiger Spitzbube? Was hast Du mit den Soldaten? Komm mit mir! die Zunft ist wieder zu Vernunft gekommen; die Musik soll fortdauern, eine Geige liegt bereit, und für Dich und die zertrümmerte Fiedel habe ich schönes, neues, blankes Sammelgeld im Sack.«

»Ach!« seufzte Hiripi schluchzend: »Grüße meine Czanka; mit mir ist's aus, und Ihr seht mich alle nimmer wieder.«

»Was aus, dummer Bube? Komm mit, sage ich Dir; mische Dich nicht in Soldatenhändel!«

Der Alte wollte den Sohn mit Gewalt am Arme hinwegreißen; Soldaten traten dazwischen, und ein paar Drohworte verriethen dem Tanzkönig, wie erbärmlich es mit seinem Sohne stehe. Mit der jammervollsten Geberde umklammerte er die Kniee des Feldwebels, und begehrte heulend die Loslassung seines Jungen. Worolay verweigerte mit Trotz und Spott die Bitte des verachteten Schwarzen, und befahl dem Gefreiten, Hiripi ohne Weiteres wegzuführen. Vater und Sohn wurden getrennt; Hiripi ließ sich weinend von dem Gefreiten aus dem Zelte stoßen; der Tanzkönig wollte ihm mit Gewalt nach. Hieraus entsprang zur Belustigung des Pöbels ein Raufstreit, worinnen Hiripi's Vater natürlich den Kürzern zog. Er wurde zu Boden geworfen; aus der Tasche seines Dollmans rollten Zwanziger vom neuesten Gepräge.

»Bindet den schwarzen Schurken fest,« schnaubte Worolay seinen Soldaten zu: »Der Hallunke hat des Königs Werbkasse bestohlen und des Königs Rock beschimpft. Der Galgen wird dem Kerl nicht entgehen!«

Gebunden, geknebelt war der Tanzkönig im Augenblick. Man schleppte ihn unterm hellen Auflauf des Volks nach dem Comitatshause, und darinnen in ein finsteres, unterirdisches Loch. – Mittlerweile hatte, durch ein enges Gäßchen gehend, Hiripi bemerkt, wie der Gefreite, der ihn führte, eine Prise aus der wohlgefüllten Dose nahm; flugs riß er dem Soldaten den Tabak aus der Hand, schleuderte ihm denselben in die Augen, und entkam auf flüchtigen Füßen, über Zäune und Gräben setzend, aus der gefährlichen Stadt.


Der Winter war so gräulich geworden, als der Herbst schön gewesen. Unabsehbare Massen von Schnee waren vom Himmel gefallen, und bedeckten weit und breit das Land. In den Gassen der Städte lag der Schnee oft neun bis zehn Fuß hoch, so daß man als von einem hohen Damm in die Fenster der Erdgeschoße schaute, die man wie Kellerlöcher ausgraben mußte. Auf Haide und Feld war manche Heerde sammt ihren Hirten erfroren und begraben unter Schneelasten; verschneit und zugeweht stand manche Hütte, und Niemand hätte geahnt, daß unter dem eisigen Hügel noch warme Herzen schlugen. – In einer solchen Erdhütte, gelegen auf flacher Haide, saß Hiripi mit Weib und Kind, und klopfte lustig, wenn's Noth that, den Ambos, und brachte kümmerlich sein Leben durch, auf Märkten umherziehend und in Kneipen aufspielend, ein Fremder unter Fremden.

Denn er hatte weit weg laufen müssen, der arme Schelm, um dem Haselstock zu entgehen, und der drohenden Peitsche des groben Kanacz. In einem andern Comitate hatte er für den Winter seine Wohnung aufgeschlagen, und schätzte sich glücklich, daß er nur das Leben hatte, und ein bischen Gesundheit, um das Leben zu ertragen.

Seit wenigen Tagen hatte das fürchterliche Schneegestöber aufgehört, und der Frost hatte die weiße Decke überlaufen und starr gemacht. Spiegelglatt war die Haide, und die Nacht zum Erfrieren. – Da brannte Hiripi seine Fettlampe an, und sagte zur braunen Czanka: »Weiblein mein, lege die Puppa in's Heu, denn sie schläft schon ein, und hilf mir das Spielwerk vollenden, woran ich schon seit ein paar Tagen arbeite, denn ich wills morgen verkaufen. Der gichtbrüchige Pfarrer im Marktflecken nimmt mir's schon ab. Er darf nicht mehr in's Wirthshaus zum Wein, und Freunde besuchen ihn selten. Da ist das Zigeunerspiel just wie für ihn gemacht.«

Die beiden Eheleute huckten sich zusammen, und schnitzelten an den Stiften des Eremitenspiels. Mittlerweile traten aber dem Hiripi recht bittere Thränen in's Auge, die sich nicht verwischen ließen, wie eifrig er auch das Auge rieb. Czanka bemerkte es. »Was ist Dir, Hiripi? Du bist so wehmüthig,« fragte sie.

Da schlug Hiripi die Hände kläglich zusammen, und sagte weinerlich: »Ich denke just an meinen Vater, der noch verlassener ist, als der lahme Pfarrer. Gott helfe ihm aus seinen Nöthen.«

Die Czanka sah auch starr vor sich hin, und versetzte: »Du hättest ihn doch nicht im Stich lassen sollen, es ist Schade um den Tanzkönig, und er sollte nicht in solchem Elende schmachten.«

»Bin ich denn ein Riese?« fragte Hiripi beschämt und scheu: »Ich mußte meine eigene Haut retten. Hätte es ihm denn genützt, wenn ich mich auch zu Grunde gerichtet hätte? Er hat noch viele starke und listige Gesellen, die ihn aus der Pfütze ziehen sollen. Mein einziger Trost ist aber, daß er nicht bei seinem Diebstahl erwischt wurde. Da ist's Deiner Mutter viel schlimmer ergangen.«

»Erinnere mich nicht an das arme Mütterlein. Sie hat das Gefängniß nicht lange vertragen. Der Pferdehändler hat mit eigenen Augen gesehen, wie man sie aus dem Thurme wegschaffte, da sie eine Leiche war. Wer mir das gesagt hätte, als sie nach jenem unglücklichen Jahrmarkt vor mir stand, und mir die paar Groschen schenkte, die ich noch an meinem Sonntagshalsband trage! Weißt Du, Hiripi? Wir hatten schon bei Nacht und Nebel Reißaus genommen, und wanderten, unser Geräth auf dem Rücken, das Kind auf dem Arm, und das gerettete Schwein am Seil. Niemand von den Nachbarn wußte, wo wir hingekommen, aber die Mutter spürte uns auf, denn ihr entging nichts, und sie wußte viel geheime Künste. Ich war nur zu dumm, um von ihr zu lernen, darum sagten unsere Leute so oft, daß ich nicht von unserm Volke sey, und die Mutter mich gestohlen haben müsse.«

Hiripi lachte auf, seine Traurigkeit schnell vergessend, und sagte; »So wollte ich, daß unsere Leute Recht hätten, und Dein Vater irgend ein Obergespan oder der Palatin selbst wäre. Der sollte uns schon aus allem Elende helfen, den Tanzkönig frei machen, mich zum Baron erheben, und uns viel Geld schenken. Ich bin ohnehin des Lebens, wie wir's führen, müde. Das Schmiedhandwerk geht immer schlechter, und wenn ich gleich wieder eine Geige habe, die ich bei dem jüdischen Musikanten fand, der neulich auf unserer Haide erfror, so schmeckt mir's doch nicht mehr, vor den dummen Bauern aufzuspielen.«

»Ei ja, Du versäumst auch die Gelegenheiten, wo viel Geld zu verdienen wäre. Da war vorgestern die große Hochzeit, wo der reiche Schweinhirt seine Tochter verheirathete ...«

»Warum nicht gar! Da hätte ich ja meinen Kanacz wieder finden können, und mein Buckel ist mir doch viel zu lieb. Ich habe das Leben satt; seit der Vater im Kerker sitzt, und Deine Mutter darinnen starb, mag ich auch nicht mehr das Geringste stehlen. Es ist abscheulich, wie man mit der Mutter umging. Ist denn ein Bischen hänfene Leinwand so viel Aufhebens werth? Ewig Schade um die kluge Frau, es wußte keine die Hexen so gut zu bannen, wie sie.«

Czanka sagte etwas nachdenklich vor sich hin: »Wenn ich nur gewiß wäre, daß ich ihre Tochter bin. Hiripi, es wäre doch lustig, wenn ich eines reichen Mannes Kind wäre. Man erzählt sich vielerlei Geschichten solchen Schlags.«

»Schau in den Spiegel, Du wunderfitziges Ding, so schön braun wie Du, mit solchen prächtigen Augen und solchen Perlzähnen kommt kein ungarisches Kind auf die Welt. Was würdest Du aber anfangen, wenn der Spaß, den wir machen, wahr wäre? Mich verlassen, den armen Hiripi verachten, einen schönen blanken Offizier heirathen, und Dich unserer Puppa schämen – nicht wahr?«

»Nicht doch, Hiripi, Du böser, mißtrauischer Bube. Ich hätte es schon wie im Himmel haben können, bevor ich Dein Weib wurde. Die alte Ruszka wollte mich an einen Edelmann verkuppeln, aber Hiripi war mir doch lieber als der reiche Edelmann.«

Hiripi zog die kleine Czanka recht froh und dankbar auf seine Kniee, und küßte sie, und vergaß darüber das Eremitenspiel, den Tod der Mutter, und des Vaters Elend. – Da wurde plötzlich an der festverrammelten Thüre der Hütte gekrazt, und man hörte das Schnobern eines Hundes durch die Ritzen, und dessen ängstliches Winseln. Czanka fuhr zusammen, und flüsterte erschreckt: »Mach' nicht auf, Hiripi. Es ist ein Wolf, der uns äfft, und nach der Puppa Verlangen trägt, oder ein Bär, den die Kälte vom Gebirg gejagt hat. Bleibe ruhig, Hiripi. Hört der grobe Gast nichts von uns, so zieht er ab.«

Hierauf versetzte Hiripi, obwohl nicht ganz ohne Angst: »Draußen muß klares Schneelicht seyn, ich will an den Rauchfang kriechen, und hinaus schauen. Decke das Feuer unterdessen zu, daß ich nicht im Dampf ersticke.«

Czanka that, wie er gesagt. Die Gluth wurde bedeckt. Hiripi kroch an einer Stange empor, und guckte durch das Loch im Hüttendach, wo der Rauch den Ausgang nahm, wenn es ihm gerade nicht beliebte, sich blos in der Hütte zu verbreiten, und wo zur Zeit des großen Schneegestöbers zugleich der Eingang in die Jurte genommen werden mußte. Ringsum war es ziemlich hell, obschon düstere Wolken vor den Sternen schwammen, und Hiripi erkannte deutlich einen großen Hirtenhund, der unruhig an der Thüre auf- und absprang, dann wieder aus der Schlucht hervorlief, die, in Schnee gehauen, zur Hütte führte, und einem Gegenstande, der von ferne sich näherte, zuzuheulen schien. »Der Kanacz!« war Hiripi's erster, schreckensvoller Gedanke; aber schnell wurde die Furcht verscheucht, denn das Wesen, welches herankam, war ein Reiter auf einem schwarzen Gaul, der mühsam geleitend, stolpernd und rutschend, über das Eis schlurfte, und endlich an der Hütte still hielt.

»Wer da?« schrie Hiripi, dessen Muth zusehends wuchs.

»Ein Verirrter, der um ein Bischen Ruhe und Obdach bittet,« lautete die heisere Antwort.

Hiripi willfahrte, öffnete seinen räucherigen Palast, und half dem Reiter, der an Händen und Füßen erstarrt schien, vom Gaule, führte ihn zu der Grube, worinnen die Kohlen glimmten, setzte ihn nieder, und bedeckte ihn mit seiner zerrissenen Pelzdecke, denn der Mann war wie todt vor Frost und Schläfrigkeit. Czanka rieb indessen draußen das Pferd mit einem rauhen Strohwisch, denn das Thier war nicht minder steif, als sein Herr. – Beide kamen auch zu gleicher Zeit wieder zu sich.

»Gott vermaledeie den verfluchten Branntwein,« war des Reiters erstes Wort, indem er sich behaglich bei der belebenden Wärme reckte und dehnte. Dabei zog er den Hund auf seinen Schooß, und setzte bei: »Ich will des Teufels seyn, guter Lompos, wenn ich Dir je vergesse, daß Du mich gerettet. – Und auch Dir, braver Schwarzer, vergesse ich's nie. Ich war am Erfrieren; mein Knecht liegt eine Stunde von hier, am Frost gestorben. Wir hatten uns auf der Hexenhaide verirrt. Die Trude muß uns irgendwo ein Kreuz gelegt haben; und vollends den Branntwein ... Nun, fahr' wohl, Du guter Knecht Andreas! Nie verstand ein Seiler sein Handwerk besser, als Du. – Ja, Schwarzer: mein Gaul hat mich gerettet, und mein Hund und Du. – Dafür sollst Du meinem Pferd an den Vorderfüßen neue geschärfte Eisen aufschlagen. Es hat die seinigen verloren. Schür' das Feuer an, armer Zigeunerschelm, zieh' den Blasbalg, schleppe altes Eisen an. In einer Stunde muß ich wieder auf dem Wege zur Stadt seyn, und Du sollst mir den Weg zeigen dürfen.«

»Das geht ja wie im Fluge!« meinte Hiripi, und musterte neugierig seinen Gast.

Die Miene desselben verrieth just nicht die längste Geduld, sondern im Gegentheil einen zornmüthigen Befehler. Die Zöpfe an den Schläfen, und die Spitzen des Schnauzbarts standen borstig vom Gesichte ab, und dennoch war das Eis, das darinnen starrte, bereits hinweggeschmolzen. Die Kollerader auf der Stirn lag dick, die Backenknochen standen weit vor, und grünschillernde Augen blitzten darüber. – Auch die Tracht des langen hagern Mannes war resolut, wie sein Gesicht: ein lederner Dollman mit schwarzem Pelz besetzt, rothe Beinkleider mit gelben Schnüren; darüber ein grauweißer Mantel mit blutrother Einfassung am Saum und gleichfarbigen Zotteln am Kragen. Eine Pelzmütze von Marderfell saß auf dem Kopfe. – Der Mann trug einen breiten Hirschfänger an der Hüfte, und ein Czakan hing am Sattelknopfe des Pferdes. – Das ganze Aussehen des nächtlichen Gastes war so abenteuerlich, daß Hiripi ihn ohne Anstand für irgend einen Anführer einer Horde seines Volks genommen haben würde, wäre sein Gesicht dunkelbraun gewesen und nicht hellroth, und schwarz das Haar, statt fuchsblond. Auch der Dialekt des Fremden war nicht der eines ächten Sinden, ob er gleich das Zigeuner-Rothwälsch ziemlich geläufig sprach, als einer, der wohl schon öfters Gelegenheit zur Uebung gehabt.

»Was guckst Du, Schwarzer?« fragte der Reisende unwirsch: »Willst Du gleich an die Arbeit, oder soll ich Dir Beine machen?«

Hiripi merkte am Ton seines Schützlings, daß keine Zeit zu verlieren sey, stellte die Neugier ein, und rief seiner Czanka, Kohlen und Eisen herbeizuschaffen. – Das Weib brachte das Verlangte herbei, gestohlene Kohlen, stipizte Eisenbrocken. Im Nu war die Werkstätte des Zigeunerschmieds organisirt. Ein ächter Morre macht Alles aus freier Hand, nach dem Augenmaß, und bedarf keiner Maschine und künstlicher Vorrichtung, wie dieselbe auch heißen möchte. Czanka regierte den Blasbalg, Hiripi handierte mit dem Hammer, Kohle glühte, Eisen sprühte, Lompos schnarchte, der Gaul, dem nach dem Wiedererwachen seines Herrn Hiripi's Pelzdecke wurde, scharrte draußen geduldig auf dem Eis, der Reiter schimpfte auf den Schnaps, und trank dazwischen regelmäßig aus seiner Branntweinflasche. So verging eine lange Weile, und Niemand sprach ein Wort, die braune Czanka ausgenommen, die zwischen die Hammerschläge hinein in Hiripi's Ohren flüsterte: »Lieb Männlein, gelt Du gehst nicht nach der Stadt mit dem Fremden? Was wolltest Du auch dort?«

Worauf Hiripi erwiederte, eben so leise und vertraulich: »Er wird mich nicht lange fragen, fürcht' ich. Will ich das Geld für meine Eisen haben, so muß ich schon mit ihm gehen. Ach, wenn ich nur zum Vater dringen könnte, wie gerne wollt' ich's wagen. Es läßt mir gar keine Ruhe, daß Du mir vorhin Vorwürfe machtest. Ich bin ein undankbarer Sohn, und der Tanzkönig hatte mich doch immer so lieb.«

»Wenn man Dich aber erkennt, zum Soldaten nimmt, welch ein Unglück!«

»Was habt Ihr da zusammen?« fragte der Gast, der nicht ohne Mißtrauen das heimliche Geflüster der Zigeuner bemerkt hatte, und plötzlich Theil am Gespräch nahm: »Heraus mit der Sprache. Du sollst nicht nach der Stadt gehen, Schwarzer? Warum nicht, wenn ich Dich gut bezahle?« – Hiripi erzählte kurz und bündig die Begebenheiten des letzten Jahrmarkts. Der Fremde lachte hell auf, und versetzte: »Dummes Zeug. Die Werber sind schon lange fort, Niemand denkt mehr an den Schwank, ich wollte darauf schwören. Sey auf die Paar Tage mein Knecht, Schwarzer. Ich brauche ohnehin einen, da der liebe Gott meinen Andreas zu sich genommen. Dann mögen die gestrengen Herren vom Militär kommen und Dein begehren, aus meinem Dienste geht man nicht in den Dienst des Königs. Was ist aber mit Deinem Vater? Wo steckt er?«

Hiripi, von dem Vorhergehenden aufgemuntert, und ahnend, daß in dem Unbekannten ein vornehmer und gewichtiger Mann verborgen seyn möchte, antwortete ganz vertraulich: »Mein armer Vater sitzt im Comitathause, Herr. Ich möchte ihm Trost bringen, und vielleicht könnte Euer Fürwort dem guten Mann wieder zur Freiheit verhelfen.«

Bei diesen Worten lachte der Fremde vor sich hin, und versetzte: »Ich halte nicht viel auf meine Empfehlung, Schwarzer. Es wäre vielleicht für Deinen Vater nicht gut, wenn ich mich mit ihm abgäbe. Aber ich habe übermorgen ohnedieß im Comitathause ein kleines Geschäft, und kann Dir Gelegenheit verschaffen, dahin zu kommen, und mit Deinem Vater zu reden. Dann sprechen wir weiter von der Sache. Eile jedoch; schon sind die Eisen abgekühlt. Weib, halte die Lampe, wir wollen dem Pferd seine Schuhe anlegen.«

Das Werk wurde rasch vorgenommen. Hiripi bewunderte die Geschicklichkeit, womit der Fremde ihm beistand, der mit dem Pferde so behend und unerschrocken umging, als sey er ein gelernter Hufschmied, oder von Kindsbeinen an im Stalle beschäftigt. Er wies dem Zigeuner mit der größten Genauigkeit die Stellen, wo die Nägel einzutreiben waren, und richtete selbst, obgleich mit stumpfem Meißel, den Huf des Pferdes zum Beschlagen her.

»Ei Herr, wie versteht Ihr doch das Ding so gut, und habt doch gewiß immer Knechte gehabt, die Eure Pferde besorgten!«

»Ja doch, Schwarzer. Der Herr muß aber Alles verstehen, damit ihn die Knechte respektiren.« Diese letztern Worte sagte der Fremde wieder lachend, wendete sich zu der braunen Czanka und fuhr fort: »Zum Abschiede prophezeihe Du mir Glück aus meiner Hand. Wird das Geschäft, so ich vorhabe, gut ablaufen?«

Czanka betrachtete die dargebotene Rechte des Gastes, und erwiederte mit der pfiffigen Lügenmiene, die sie von ihrer Mutter gelernt: »Es ist mir gerade, als ob Euer Geschäft nicht das beste wäre, und etwas dazwischen kommen müßte.«

»Ei Du schwarze Hexe, ein schönes Glück, das Du mir prophezeist.«

»Ihr könnt ja doch immer noch Glück dabei haben, Herr. Ist's nicht schon ein Glück, daß Ihr heute Nacht nicht erfroren seyd? Ich hoffe, daß Ihr Euch dankbar meines guten Hiripi erinnern werdet, und ihn wohlbehalten wieder heimschafft.«

»Topp, Du kleines Teufelskind. Was ich für ihn thun kann, der mein Leben rettete, soll geschehen. Nun aber, Zigeuner, setz' Dich zu mir auf's Pferd, und zeige mir beim Schneelicht den Weg, als ob Du ein ehrlicher Mann wärst. Der Satan soll die Haide holen. Die Pfähle und Steine, nach denen man sich richten konnte, sind alle verweht, und ich fände die Straße in meinem Leben nicht mehr.«

Hiripi kletterte auf die Croupe des Gauls, nachdem er seine Czanka vielmals umarmt und geküßt. Dem armen Weiblein standen helle Thränen in den Augen. Es rief. »Du gehst, Hiripi? Wenn aber wilde Thiere kommen, und mich und die Puppa fressen?«

Hiripi erwiederte: »Der erste Morgenschein verscheucht die Bestien, und alsdann putze Dich sauber, nimm' den Buben auf den Rücken, und wandre nach dem Marktflecken und bringe dem Pfarrer das Spiel, das wir heute vollendet. Ich hole Dich bei der alten Obsthändlerin ab, die uns schon so oft erlaubt hat, in ihrer Küche zu schlafen. Dort thut Dir nicht Mensch, noch Wolf etwas zu Leide und in ein paar Tagen bin ich wieder bei Dir mit Nachrichten vom Vater.«

Hierauf lenkte der Reiter den Gaul in's Freie, und klapperte mit Hiripi und dem Hunde fort. Czanka sah noch lange den Reisenden nach, bis in der Dunkelheit ihr die Sehkraft vergieng. Dann schlüpfte sie in die Hütte, verrammelte die Thüre und lauschte, bis der Schlaf sie übermannte, an einer halbgeöffneten Lucke. Denn noch lange hörte sie in der Ferne die fluchende Stimme des Reiters, und Hiripi's Ruf, wie er bald links, bald rechts den sichern Pfad anzeigte.


Hiripi's Ortskenntniß war nicht unfehlbar. Ehe die Reiter auf einem Pferd sich versahen, waren sie schon wieder irre geritten, abenteuerten links und rechts auf der Haide umher, und hatten nur dem Himmel zu danken, der gegen Morgen mit der grimmigen Kälte etwas nachließ, und den Anflug eines Thauwindes über die Erde sandte. Endlich kam die Sonne, bleich und müde, am Horizont herauf, und beleuchtete einige ferne Thurmspitzen, die zwar den Zigeuner wieder auf den Weg brachten, ihm aber zugleich verriethen, wie weit er von der Straße ab gewesen. Hiripi's Patron schimpfte in einem fort, bald auf den sogenannten Wegweiser, bald auf die Stadt, und rief im Unmuth: »Da bin ich beinahe zusammengefroren, wie mein armer Knecht, und habe erst nur davon, was ein »schöner Dank« gilt. Die Hexen sollen alle Freundschaftsdienste holen. Der Teufel soll die Stadt und das ganze Comitat holen. Ich hätte große Lust, gerade wieder nach den Meinigen umzukehren. Einen geschicktern Burschen, als den Andreas, find' ich im Leben nicht mehr. Es wäre mir schier lieber, wenn mir ein Pferd gefallen wäre. Wie der Kerl mit Allem umgehen konnte! ... Höre, Schwarzer: wie weit noch bis zu dem verfluchten Nest?«

»Noch ein paar Stunden,« meinte Hiripi, und redete, um den Patron nicht zu erzürnen, fürder kein Wort, weder auf dem Wege, noch in der schlechten Kneipe, wo eingekehrt wurde. Der Patron dagegen schalt und fluchte immer eifriger, bis ihm endlich der Faden solch gottseliger Betrachtungen ausging, und er wie sein ergebenster Diener in dumpfes Schweigen versank. – So ritten sie an ziemlich spätem Nachmittage, bei wolkigem Wetter, endlich und endlich auf die Stadt los. Einen Büchsenschuß vom Thore stand der Galgen, und daran baumelte ein in Ketten aufgehängtes Skelett.

Hiripi war abgestiegen, und wanderte neben dem Pferde. Er wollte an dem Hochgerichte scheu vorüber, als er bemerkte, daß sein Begleiter den Gaul anhielt, den Dreibein aufmerksam betrachtete, und wie mit kunstgerechten Augen maß. Hierauf brach er in die Worte aus: »Ein schlechter Galgen, Gott straf' mich. Mir ist noch keiner so baufällig vorgekommen. Und wie schlecht hängt man hier! Gar nicht nach der Kunst, nicht nach der Regel. Der nächste Windstoß wirft das Geripp aus seinen Ketten. Schöne Justizverwaltung, mein Seel'! Da konnte es mein armer Andreas besser. Schlingen, wie er, machte keiner, und seine Stricke waren immer wie getheert, unverwüstlich. Es konnte Einer Jahre lang darin hängen, besser als jene Vogelscheuche in den Ketten.« – Hier bemerkte der Fremde, daß ihn Hiripi mit offenem Maule anstarrte, und sagte: »Hast Du gute Fäuste, schwarzer Maulaffe? Du sollst mir morgen beim Gurgelzuschnüren helfen.«

Da schlotterten dem armen Hiripi die Kniee, und er stammelte: »Ich ...? Ich, gestrenger Herr? Ihr seyd doch wohl nicht ...?«

»Merkst Du's endlich, dummer Tölpel? Warum zitterst Du? Du kannst ruhig seyn, den Henkersknecht nimmt man nicht zum Soldaten.«

Die natürliche Aengstlichkeit des Zigeuners wurde abermals riesengroß. Er hätte gerne Fersengeld gegeben; aber das Pferd des Henkers trabte immer scharf auf seiner Spur. Zugleich war ihm zu Muthe, als ob ihm der leidige Galgen nachliefe, und nur in der Nähe des blutigen Mannes Hülfe für ihn sey. Darum versuchte er nicht, zu entrinnen, und begleitete den Gefährten, in sein Schicksal ergeben, bis an die Scharfrichterwohnung, die am Ende der Vorstadt lag. Ein schlechtes Haus, verwahrlost und öde, mit weitem Hofraum und leeren Ställen. Das Handwerk schien hier keinen goldenen Boden zu haben. Ein eisgrauer Knecht badete im Hofe einen räudigen Hund, eine schmutzige Magd nahm das Pferd des Fremden und rief den Scharfrichter herbei. Dieser Mann, schwindsüchtig zum Umblasen, empfing die Ankömmlinge auf der kleinen Treppe, die in das Innere des Hauses führte. Die Collegen umarmten sich mit brüderlicher Zärtlichkeit, und der Schwindsüchtige keuchte mühsam die Worte: »Dachte schon, daß Du nicht kommen würdest. Es wäre mir sauer ergangen, weil der verdammte Katarrh, den ich habe, mich auf recht sonderbare Weise entkräftigt hat. Leinsamen, Dachsfett und Häringe waren bis jetzt ohne Wirkung. Morgen will ich's mit einem Oel versuchen, das mir der Judendoktor verschrieben hat. Ich konnte gar nicht mehr in's Freie gehen, wegen der Kälte, die mich erstickt. So Gott jedoch will, haben wir morgen Thauwetter, und ich werde Dein Meisterstück mit ansehen.«

»Verdammt,« sagte der Andere, »verdammt, daß mein Knecht unterwegs hin wurde. Wo sind die Deinigen?«

Der Scharfrichter zuckte die Achseln wie ein Bankruttier, und entgegnete, verlegen lächelnd: »Der eine ist mir gestern davongelaufen, – der Schurke behauptet immer, sich bei mir nicht satt essen zu können, – und ein zweiter steht erst in vierzehn Tagen ein. Mein uralter Joseph aber kann den Sprung auf die Schultern des Patienten nicht mehr machen. Es gibt jedoch nicht viel zu thun. Es wird ja morgen gerade nur gerichtet, weil just die Zeit ist, wo die Stadt einen richten muß, damit sie den Blutbann nicht verliert. Darum hat man geschwinde einen schlechten Kerl verurtheilt, und der muß morgen pro patria baumeln. Es wäre zwar schon eine zum Tod verurtheilte Person im Comitathause gewesen, die schon seit drei viertel Jahren fix und fertig ist, bis auf's Stabbrechen und Hinausführen, aber Du weißt schon, wie das geht. Es ist ein sauberes Mensch, und ist nach der Reihe der Schatz von den Herrn beim Comitat gewesen; man spart sie auf, so lange als möglich.«

»Also nur Einer?« fragte der fremde Scharfrichter mit verächtlichem Spott: »Nur ein Hallunke zum Hängen? Es war nicht der Mühe werth, Gevatter, mich so weit hieherzusprengen, doch damit Du siehst, daß ich ein redlicher Freund bin, so will ich auch sogar diese Lumperei auf mich nehmen. Geh, Schwarzer, nach meinem Pferde zu sehen, und schicke Dich alsdann, mich ins Gefängniß zu begleiten. Ich pflege, wenn es auch nur eine Galgenexpedition gilt, immer am Abend zuvor mit dem Halse des Galgenschwengels Bekanntschaft zu machen.«

Hiripi schlenderte nachdenklich nach dem öden Stall, und der Scharfrichter, erschöpft von vielem Reden, und gemartert von dem Zugwinde an der Thüre, geleitete schwankenden Schrittes und hustend den Gast nach der Wohnstube.


Während die Genossen des schauerlichen Handwerks zusammen tafelten, umgeben von verstaubten Schränken, worinnen alte Rüstschwerter hingen, und Skelette neben Thierarzneibüchsen standen, faulenzte Hiripi, an die Thüre des Stalls gelehnt, und kaute ein Stück Brod, das er aus der Herberge mitgenommen. Da rief die alte Magd aus dem Fenster der Küche: »Morre, komme her!« Hiripi that, wie sie verlangte. Die Magd brodelte am flammenden Heerde, und übergab dem Zigeuner eine Schüssel mit dem Bemerken, daß ihm der Herr befehle, dieselbe in das Comitathaus zu dem ausgesetzten Delinquenten zu tragen, und ihm einen schönen Gruß vom Scharfrichter zu vermelden. Auf der Schüssel lag aber ein wohlgebratener Capaun, mit einer Bindfadenschlinge um den Hals. Diese Zierde fiel dem Zigeuner auf, aber die Magd erklärte ihm mit geflügelter Zunge, daß die zum Strange Verurtheilten keine bessere Galanterie zu erwarten hätten. Mit den zum Schwert Verdammten hätte es schon eine andere Bewandtniß, und ein schönes, blutrothes Seidenband versehe dann die Stelle des gemeinen Spagats. – Der köstliche Geruch des Bratens erweckte Hiripi's Lüsternheit im höchsten Grade. Aber jeder Appetit verging ihm, da er hörte, wie der Scharfrichter ihm alsobald auf dem Fuße folgen wolle. Er trug daher die anvertraute Schüssel mit der nöthigen Enthaltsamkeit und dem erforderlichen Anstand nach dem Comitathause. Ihm klopfte das Herz bang und scheu, als er den Gang durchschritt, der ihn nach dem Armensünderstübchen führte, wo der Verurtheilte ausgesetzt war; nämlich, wo er schon seit drei Tagen gemästet wurde, mit allen lieblichen Speisen, deren er begehrte, und mit aller geistlicher Nahrung, wenn er ihrer auch nicht begehrte. Dießmal saß ein verstockter Verbrecher auf den Tod. Der Pfarrkaplan kam gerade von ihm, und schwitzte Blut und Thränen, und verzweifelte an der Seligkeit des Delinquenten. Dem Priester folgten einige Personen aus der Stadt, die letzten, denen heute vergönnt worden war, den Verurtheilten anzugaffen. Der Kerkermeister, ein alter halbblinder Mann, führte den Zigeuner zu dem Gefangenen, an dessen Thüre ein paar Spießwächter Schildwache hielten.

»Freue Dich, Tanzkönig!« sagte der Schließer mit rohem Scherz im Eintreten: »Ein Capaun, so fett, wie noch nie einer, den Du gestohlen, wird Dir die Gurgel schmieren. Das Scharfrichteressen, Du schwarzer Sünder! Lange zu, aber gestatte, daß ich den Vogel zerschneide, damit alles mit rechten Dingen zugeht.«

Hiripi wäre schier vor Schrecken umgefallen, als er seinen Vater vor sich sah, ohne Fesseln zwar, aber bereits in das Armesündergewand von grobem, weißem Linnen mit schwarzen Schleifen gekleidet. Der Tanzkönig seinerseits schien von Grund der Seele erfreut, und sendete einen Blick voll Hoffnung und Lebenslust dem schnell erkannten Sohn entgegen. Doch sprachen die verschmitzten Gesellen kein Wort, um den Kerkermeister nicht argwöhnisch zu machen, der beschäftigt war, den Capaun zu zerlegen. Dagegen wurden zwischen Vater und Sohn Zeichen gewechselt, und so wie eines auf das andere folgte, kam auch wieder Trostlosigkeit in Beider Herzen. Der Vater begriff, wie der Sohn nicht als Retter komme, und der Sohn fragte vergebens nach der Möglichkeit einer Befreiung. Der Tanzkönig zeigte auf die streng vergitterten Fenster, und deutete an, daß die nächste achte Morgenstunde schon die letzte seines Lebens seyn würde. Die Angst Hiripi's stieg immer höher, er wäre gern in die Arme seines Vaters geflogen, aber noch hielt ihn eine dunkle Ahnung zurück, sich dem Schließer zu entdecken. Kämpfend mit sich selbst stand er wie fest gebannt auf dem Flecke, als der Gefängnißwärter sich plötzlich zu ihm wendete, und fragte: »Was willst Du noch hier? Ist dort nicht die Thüre? Was zauderst Du?«

Der Alte war mit der Lampe dem Zigeuner näher getreten, und erschrack fast, als er die braune Farbe desselben bemerkte. Heftig schrie er: »Verfluchter Kerl Du! Gewiß ein Geselle dieses schwarzen Diebes? Gewiß ein Kniff und Lumperei mit diesem Capaun: Hinaus mit Dir! Heda, Ihr Wächter, haltet den Burschen fest. Ich muß jetzt erst den Braten untersuchen, ob nicht ein Zettel darin steckt, oder eine Feile, oder gar ein Bäckchen Grünspan zum Vergiften.«

In der That schleppte einer der Wächter den zitternden Hiripi hinaus, während der andere dem Schließer meldete, daß der Scharfrichter angekommen sey. Dieser Respektperson mußte alsobald gehorcht werden. Der Kerkermeister eilte, ihn einzuführen, und Hiripi rief dem Patron entgegen, wie man ihn behandle, wie man ihn verdächtige.

»Euch soll ja Allen das Wetter in die Knochen fahren!« schrie der gestrenge Meister, der einen Kapitalrausch mitbrachte: »Wollt Ihr aufhören, meinen Knecht zu mißhandeln? Auf der Stelle hört auf, sag' ich! Komm mit herein, Schwarzer, und fürchte Dich nicht. Wer Dir nur ein Haar krümmt, wird alsogleich von mir aufgehängt. Das wäre schön, wenn nicht einmal im Hundeloch ein ehrlicher Henkersknecht ungeschoren bleiben könnte. Platz da, Ihr Hallunken. Leuchte voran, alter Kelleresel!«

Der Kerkermeister gehorchte erschrocken, die Wächter sagten kein Wort mehr, und guckten mit langen Hälsen dem kecken Scharfrichter nach, und belagerten mit ihren gaffenden Gesichtern das Fenster in der Thüre des Stübchens.

»Guten Abend, alter Galgenkandidat!« lallte der Meister, auf Hiripi's Vater losgehend: »Nimm mir's nicht übel, wenn ich Dir morgen die Kehle zuschnüre. Sieh, wenn's auf mich ankäme, so wäre mir ein Hund gerade so lieb wie Du. Aber die Obrigkeit befiehlt's, und so erlaubst Du mir schon, daß ich mich morgen eine Minute lang mit Deinem Genick abgebe. Es ist gleich vorbei, für guten Strick sorg' ich, reite dann auf Deiner Achsel, und wenn Du ein braver Kerl bist, so laß ich Dich von meinem Knecht noch obendrein bei den Beinen ziehen. Alles in Freundschaft. Nicht wahr, Schwarzer?«

Er drehte sich lachend zu Hiripi, der ihm weinerlich in's Ohr flüsterte: »Ach Herr, der Arme ist mein Vater, ein unschuldiger Mann, und ein Geiger, wie es keinen mehr gibt.«

Diese Rede verblüffte den Scharfrichter; Hiripi hatte ihm schon die Geschichte des Vaters erzählt, nun stand er ihm selbst gegenüber, und ein Gefühl wie Rührung und Dankbarkeit stieg, augenscheinlich vom Rausch begünstigt, in ihm auf. »Was?« sagte er stammelnd: »der wäre Dein ...« Hier bemerkte er die Anwesenheit des Kerkermeisters und fuhr denselben an: »Hörst Du nicht, daß man läutet? Gewiß ist es der Herr Fiskal, der so lange warten muß.«

Der alte Narr von Schließer lief, als ob Feuer im Dach wäre, und nun plauderten die Drei im Armesünderstübchen plötzlich auf gut Zigeunerisch. Hiripi appellirte an die Erkenntlichkeit des Meisters, sein Vater betheuerte seine Unschuld, und flehte um Hülfe; der rauhe Diener der Gerechtigkeit erinnerte sich, daß des schwarzen Tanzkönigs zauberische Akkorde einst seine Füße zum ersten Tanz begeisterten; der Weintaumel that das Seinige, und Thränen rollten über seine Backen, während sein Mund keck und lachend Alles versprach. »Seyd gescheidt,« sagte er, »und ich helfe Euch durch. Mag dann das nichtsnutzige Weibsbild gehangen werden, das man so lange verschonte, oder die Stadt den Blutbann verlieren, was geht das mich an? Euer Galgen ist ohnehin der elendeste, den ich je gesehen, Eure Scharfrichterei die erbärmlichste die es gibt. Nicht geschenkt möcht' ich sie haben; im schlechtesten Wein hab' ich mich heute betrinken müssen. Was mach' ich mir aus dem Spektakel? Prügeln kann man mich nicht, man muß mich frei in mein Comitat abziehen lassen, wo eine ganz andere Ordnung ist, als hier.«

Hiripi versetzte, von Hoffnung belebt: »Wie aber retten wir den Vater?«

»Meine Sache!« entgegnete der Meister: »Thu', was ich Dir sage, und fange draußen mit dem Gefängnißwärter und den Wächtern Händel an. Das Andere geht schnell, aber seyd Ihr es auch, sonst steh' ich für nichts, und hänge Euch, werdet Ihr beigebracht, alle Beide auf, hättest Du mir auch tausendmal das Leben gerettet.«

In diesem Augenblick kam der Schließer mürrisch zurück, und berichtete, daß ein Spaßvogel geläutet haben müsse, denn keine Seele hätte vor dem Hause gewartet. »Laß mich einen Augenblick mit dem Spitzbuben allein,« brummte der Scharfrichter: »er hat mir noch etwas zu sagen.« –

Der Wärter sah nach seiner Uhr, und bequemte sich hinaus zu gehen. Hiripi folgte ihm, und versäumte nicht, ihm im Vorübergehen herzhaft auf den Fuß zu treten. »Junger Zigeunertölpel!« schimpfte der Alte giftig, und stieß Hiripi auf die Seite. Der Zigeuner fiel einem der Wächter auf den Leib, der ihn dem andern zuwarf, und so entstand ein Wortwechsel, der immer heftiger wurde, und zur Folge hatte, daß Hiripi von seinen gereizten Gegnern gegen die Ausgangspforte getrieben wurde, wo man ihn mit einigen Schlägen zu entlassen suchte. – Da rasselte die Thüre des Armensünderstübchens, und, tief in seinen Mantel gehüllt, die Pelzmütze in's Gesicht gedrückt, erscheint die Gestalt des Scharfrichters, geht rasch, obgleich mit unsicherm Gang und brummend, durch die Wächter, die von ihrer Beute ablassen, um an ihren Posten zurückzukehren. Der Kerkermeister schließt die Thüre auf, Hiripi schlägt ihm, vorüberlaufend, die Leuchte aus der Hand, und verschwindet mit seinem Patron um die Ecke. Hier entfaltet dieser seinen Mantel, und Hiripi fühlt sich von seinem Vater an die Brust gedrückt. Der Zigeuner verliert aber keine Zeit, vogelschnell reißt er aus, und wetteifernd mit ihm der Sohn. Sie sind schon weit, als der betrogene Kerkermeister den sogenannten Delinquenten im Armensünderstübchen mörderisch schreien hört, voll Angst hineinstürzt, und den fluchenden Scharfrichter trifft, der an Händen und Füßen gebunden am Boden liegt, und das Opfer unglaublicher Gewaltthätigkeit zu seyn vorgibt. Bis die Herren vom Comitate von des Zigeuners Entweichung benachrichtigt sind, bis die Panduren in ihren Schenken gefunden worden, bis die alte Lärmtrommel durch die Straßen wirbelt, sind bereits Tanzkönig und Hiripi in Sicherheit, und die bis jetzt aus den schnödesten Gründen verschonte Mörderin erfährt mit Bestürzung, daß an sie die Reihe gekommen sey, durch schimpflichen Henkertod den Bann der Stadt aufrecht zu erhalten.


Der Tanzkönig, Hiripi und die braune Czanka wanderten einige Zeit nachher in Eisenstadt ein, wo der Fürst die beiden erstern in seine Kapelle, folglich in seine Protection nahm, und alle Verfolgungen gegen sie niederschlug. Die Zigeuner wußten sich sehr bald in die Civilisation zu finden, und noch erinnert man sich, in Eisenstadt sowohl als auf dem Schlosse Esterhazy, des Herrn Hiripi, wie er im blau und schwarz gestreiften Atlasfrack, mit Manschetten, seidenen Strümpfen und Berloques herumstolzirte.


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