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Die Herzogin von Ciceri

1.

Der edle Graf Kerqhanu stieg vom schäumenden Pferde. Sein treuer La Brie kam ihm mit verstörtem Gesicht entgegen. »Kerl, ist's wahr?« fragte der Herr des Schlosses. »Der Procurator war da? Haussuchung in meinem Schlosse?« Und der Diener bückte sich tief, rang die Hände in wehmüthiger Zerknirschung und versetzte: »Bei unserer lieben Frau von Roannes, so ist's! Der königliche Procurator, der Hauptmann der Gensdarmerie, der Instructionsrichter …« – »Was ist das für ein Mensch? Was hat die Instruction in meinem Hause zu thun? Wonach haben die Häscher gesucht?« – »Nach Ihren Papieren, Herr Graf, nach Ihren Briefen, Ihrer Correspondenz.« – »Unnöthiges Bemühen! Ich führe keine Correspondenz, ich habe keine Papiere, als die, deren Cours durch die vermaledeite Revolution heruntergedrückt worden ist.« – »Das hab' ich auch gesagt. Sie haben in diesem Jahr Ihren Namen nur dreimal unterschrieben. Seit die Katze vor vier Monaten das Schreibzeug umwarf, haben wir keinen Tropfen Tinte im Hause.« – »Die Pest auf die Katze! Schade um das hübsche Tintenfaß. Mein Großvater hatte es zuletzt gefüllt. Was wollten aber die Hunde?« – »Die Herren öffneten Alles mit Gewalt, sprachen von Verschwörungen, schimpften über die Carlisten, fanden nichts, und zogen ab.« – »Und zogen ab. Das ist die Hauptsache. La Brie, es wird immer schlechter in Frankreich. Der ruhigste Edelmann wird gehudelt. Ich saß so ruhig drüben beim Vicomte, als die verfluchte Nachricht mich just zwischen Birn und Käse erwischte. Schade, daß die Jakobiner fort sind, ich hätt' einen niedergeschossen. La Brie, gib mir meine Doppelflinte, ich will irgend eine Ente oder einen Raben schießen.« – »Ach, Herr Graf, die Gensdarmen haben Ihre Flinte mitgenommen, sammt Pulver und Blei, ja sogar den verrosteten Carabiner, den Ihr Onkel bei Quiberon liegen ließ.« – »Hol' der Teufel die Trabanten des Usurpators! Du wirst sehen, La Brie, daß man uns zur Zeugschaft vor die Assisen ladet. Das thut aber kein rechter Edelmann. Ich will fort. Wär' ich mit Geld versehen, thät' ich's im Augenblick. Ist's nicht eine Schande? Ich bin der ruhigste Cavalier im Lande. Ich liebe die königliche Familie von Herzen, aber ich habe mit Holyrood nichts zu schaffen. Ich habe keine Bauern bewaffnet, ich mache keine Revolution. Im offenen Felde stünde ich schon für Seine Majestät den König Carl meinen Mann, weil ich die verdammte Aufklärung hasse, aber zum Complottirer bin ich verdorben. Und dennoch solche Chikane! Ich schreibe nicht, und man sucht meine Briefe, ich schimpfe nicht, und man verdächtigt mich, ich will auf die Jagd gehen, und man nimmt mir Waffe und Munition. Wenn nur meine Finanzen besser wären!« – »Dafür wäre gesorgt, Herr Graf; der alte Mathurin brachte heute Morgen achttausend Francs wohlgezählt, die er für den Wald schuldete, den er uns abkaufte, Herr Graf. Ich habe in Ihrem Namen quittirt, und die Summe wäre hinreichend, uns aus dem Lande zu schaffen, bis wieder Recht und Ordnung im Lande ist.« – »Du hast Recht, ehrlicher La Brie. Sechstausend Francs gehören freilich meinen Vettern, aber die braven Edelleute mögen warten. La Brie, wir wollen fort. Ich halt' es nicht mehr aus. Der Champagne soll sich aufsetzen und nach der Präfectur reiten. Man darf mir einen Paß nicht verweigern.« – »Wohin aber, Herr Graf?« – »Meiner Treu, ich weiß auf Ehre nicht. Ich bin nie aus der Bretagne gekommen. Wo lebt man am besten, La Brie?« – La Brie zuckte die Achseln und sagte, an den Fingern herzählend: »Da hätten wir erstens England.« – »Pfui Teufel; dort ist mir's zu neblig, und ich verstehe den vermaledeiten Jargon nicht.« – »Da hätten wir zweitens Spanien.« – »Nichts da; dort ist mir's zu warm.« – »Da hätten wir drittens Deutschland.« – »Bewahre; nach dem barbarischen Norden geh' ich nicht.« – »Die Schweiz?« – »Pfui doch! eine Republik! Weißt du was, La Brie? Wir wollen nach Italien gehen. Du hast ja einmal eine Reise dahin gemacht. Was meinst du zu dieser Idee?« – »Ja, Herr Graf, ich war drei Jahre lang in Neapel. Das ist eine herrliche Stadt, Herr Graf. Dort scheint immer die Sonne, und mein Bischen Italienisch verdank' ich blos meinem Aufenthalt in jener Residenz, wo man die Sprache am reinsten spricht.« – »Italienisch hör' ich für mein Leben gern, und ich liebe die Sonne, wie mein Leben. Eine Residenz, sagst du? Also wenigstens keine Republik?« – »Behüte, Herr Graf; Neapel ist ja das Vaterland der Frau Herzogin von Berry.« – »So? das lass' ich mir gefallen; es lebe die Frau Herzogin! Wir wollen nach Neapel. Laß den Wagen abstäuben, packe das Geld ein. Mein Cousin soll in diesem Schloß den Verwalter machen. Champagne kann heute Abend mit dem Paß zurück sein, und noch diese Nacht reisen wir. Die Windhunde müssen mit. Benjamin! Constant! Wo sind die vermaledeiten Thiere? – »Ach, Herr Graf, der arme Benjamin ist in das Fuchseisen gerathen und Constant hat sich verlaufen.« – »Da haben wir's. Als der Cousin die beiden Hunde taufte, sagte ich gleich, daß die verwünschten Namen den armen Thieren Unglück bringen würden. Thut nichts indessen. Bürste meine Röcke aus, packe den Koffer und bestelle Pferde. Schlag neun Uhr fahren wir ab. Wann sind wir in Neapel?« – »Hm, es wird doch ein paar Wochen dauern, Herr Graf.« – »Ei zum Teufel, so lange? Ich glaubte, Neapel läge gleich hinter Lyon. Oder können wir nicht einen nähern Weg über Metz gehen, wo mein Neveu, der Cavallerie-Officier, in Garnison steht?« – »Behüte, Herr Graf, das ist viel weiter; Metz liegt an der Grenze von Hannover, nur ein paar Stunden von Hamburg. Wir werden durch das Dauphiné reisen müssen.« – »Gut; da kann ich gleich Seiner königlichen Hoheit, dem Dauphin, meine Aufwartung machen. Es schadet nicht, wenn man einem so wackern Fürsten seinen Respect beweist, da es sich ohnehin so leicht thun läßt. Wie gesagt, La Brie, heute noch reisen wir, und bis zum nächsten Frühjahr ist ja doch Alles wieder beim Alten in Frankreich, der Herr Pfarrer sagt es, und der Herr Pfarrer lügt nicht. Er ist ein gescheidter Mann und liest fleißig die Zeitungen, womit sich ein Edelmann freilich nicht abgibt. Wo werden wir in Neapel logiren?« – »Ich logirte dazumal mit meiner Herrschaft in dem Hotel Castiglione, in der Straße Toledo.« – »Siehe da! ich habe immer geglaubt, die Straße sei in Spanien. Was man nicht Alles auf Reisen lernt! Also im Hotel Castiglione. Du sollst meinen Dolmetscher machen, La Brie. Mache nur, daß wir so schnell als möglich dem gottlosen Frankreich entrinnen.

2.

Es war ein Festtag, oder vielmehr der Abend desselben. Durch ganz Neapel schwirrten die Klänge der Freude. Volksgewühl, Gesang und Jubelruf wogte durch alle Straßen. Eine Menge von doppel- und einspännigen Fuhrwerken durchkreuzte die Stadt, entweder dahinrollend wie im Fluge, oder langsam rasselnd mit schwerfälligem Prunk. Durch den Tumult schnellte ein über und über bestaubter Reisewagen, von dessen Kutschbock ein Bedienter in ziemlich auffallender Livree rechts und links herabspähte, als ob er sich in der großen Stadt nach alten Erinnerungen umsähe. Ein brauner, trockener, hochgewachsener Mann, tief in seine Reisemütze vermummt, hielt aus dem Fond des Wagens hervor eine beständige Unterredung mit dem Bedienten. Der Postillon peitschte dabei gleichmüthig seine Gäule und fuhr in die Toledostraße ein. – »Zum Teufel, La Brie, sind wir bald an Ort und Stelle? Mir wird in dem Getümmel ganz unheimlich zu Muthe. Du wirst sehen, daß wir schon wieder unvermuthet in eine Revolution gekommen sind. Gott schütze uns nur vor Kugeln und vergifteten Dolchen.« – »Ich erkenne mich kaum mehr, Herr Graf. Die Häuser haben sich ganz verändert. Noch seh' ich das Hotel Castiglione nicht. Jenes rothe Gebäude könnte es sein, aber es ist's doch nicht. Ein großer Heiliger stand vor dem Hause, und auch eine Laterne, wenn ich nicht irre.« – »Die Schurken von Jakobinern werden die Heiligen weggebracht haben. Sieh dich nur wacker um, mein Kind, es leidet mich nicht mehr im Wagen.« – La Brie stieß ein lautes Jubelgeschrei aus. Er hatte das Haus gefunden, wonach er gespäht, und wies den Postillon an, darauf los zu fahren. – »Dorthin, Signore?« fragte der Bursche und verzog höhnisch den Mund.– »Richtig, dorthin«, radebrechte La Brie und gestikulirte dabei so heftig, daß der Rossebändiger sich beeilte, obschon kopfschüttelnd, dem Befehle zu gehorchen. Die Kutsche polterte vor das Haus und in den öden Thorweg hinein. Der Postillon hatte mehrere Minuten Zeit, auf das Erbärmlichste zu sacramentiren, bis endlich ein menschliches Wesen sich zeigte, um dem hohen Reisenden aus der Kutsche zu helfen. Ein zerlumpter Hausknecht war's, dem der bittere gelbe Mangel aus dem Gesichte schaute, und der sich vergebens bemühte, sowohl mit künstlichen Körperwendungen, als vermittelst geschickter Schwenkungen der spitzigen grauen Filzmütze die Verwüstungen zu bedecken, welche die Zeit in seinem Kleide angerichtet hatte. Zu ihm gesellte sich nach einer Minute der Herr des Hauses, ein markirter Affenkopf, auf krummen Beinen dahersäbelnd und mit unverschämter Dreistigkeit die Verlegenheit bemäntelnd, welche die Ankunft des unerwarteten, vornehmen Gastes in ihm erregte. Der Graf Kerqhanu, schon betäubt von dem Lärm auf der Straße, fühlte sein Ohr zerrissen von den Complimenten des Hausvaters und seines Gehilfen und ließ sich willenlos über die breite, aber schmutzige Treppe nach dem Zimmer geleiten, das für ihn aufgethan wurde. Dieses Gemach, mit der schönsten Aussicht auf die prächtige Straße, trug die unverkennbaren Spuren veralteter Pracht und langjähriger Vernachlässigung. Spinngewebe hingen wie Trauerfahnen in jedem Winkel, die Malereien der Wände waren verwischt und verwetzt, die goldenen Leisten klebten nur noch lose am Getäfel, und an der Schnur des Kronleuchters schwebten zerrissene und unbrauchbare Krystallfragmente. In einer Alkove stand ein breites, aber unbequemes Bett, und Tische, Sopha und Stühle befanden sich in dem bedenklichsten Stadium der Wandelbarkeit. Ein jeder andere Gast würde sich schnell aus dem Gemach entfernt haben, um nie mehr dahin zurückzukehren; aber Kerqhanu fühlte sich darinnen wohl und behaglich, denn es erinnerte ihn lebhaft an sein eigenes Schloß, wo seine Ahnen gehaust hatten mit lehensherrlicher Machtvollkommenheit, wo er selbst sechsunddreißig Jahre alt geworden war, ein höchst zufriedener Hagestolz, ein Feind alles Wildprets, aller Weiber und aller Revolution. – Er ging vergnügt von einem Fenster an das andere, betrachtete mit Erstaunen das Volksspektakel zu seinen Füßen, rieb sich die Hände, schnalzte mit der Zunge und sah sich nach dem Vertrauten um, der ihn völlig verstand: nach dem getreuen La Brie. Dieser plauderte indessen im Hintergrunde des Zimmers mit der Diebsphysiognomie des Wirthes und näherte sich erst nach einer langen Unterredung seinem Gebieter. – »Was sagte denn der Spitzbube, La Brie? Das ist ja eine Sprache, wie die armen Seelen im Fegefeuer sie kaum reden. Der Dialekt unserer lieben Heimath ist Gesang dagegen. Ich fürchte, daß ich nie italienisch lerne, guter La Brie. Was wollte aber der Wirth?« – La Brie entgegnete verlegen und zögernd: »Es hat sich hier Vieles verändert, Herr Graf. Ich merke jetzt, warum der Satan von Postillon spöttisch lachend von dannen zog. Dieses Wirthshaus scheint in der That nicht mehr das beste von Neapel zu seyn, und so eben hat der Gastwirth von mir einen Vorschuß verlangt, um Monseigneurs Tafel würdig zu bestellen.« – »So? das ist schlimm, La Brie. Aber ein Mann von meiner Distinction muß doch einmal gut essen und kann nicht von Wirthshaus zu Wirthshaus patroulliren, wie die Schaarwache. Gib daher einige Goldstücke aus unserem Vorrath her. Wer hat denn den Wirth so sehr heruntergebracht?« – »Er sagt, die Revolution habe ihm Alles genommen.« – »Da siehst du's nun wieder, guter La Brie. Die Revolution bringt alle ehrlichen Leute um das Ihrige. Mußten wir gerade hierher gerathen! Seit wann haben sie denn hier die Revolution?« – »Ach, das ist eine alte Geschichte. Es sind schon mehrere Jahre seitdem verflossen.« – »Nun, so stärke mich der liebe Gott. Das tobt ja auf den Gassen, als wäre der Aufruhr erst in seinem Beginnen. Die armen Leute! Wie kommen wir nur von hier fort? In Boulogne sür Mer haben wir denselben Spektakel gehabt.« – »Zu Bologna wollen Sie sagen, Herr Graf?« – »Meinethalben, wenn du willst. Da laufen wir aber von einer Rebellion in die andere, von dem Sylla zum Cambyses.« – »Lassen Sie sich doch unterthänigst bedeuten, Herr Graf. Hier ist Alles ruhig; die Oesterreicher haben schon lange hier Ordnung gemacht. Neapel sieht alle Tage so aus, wie heute, und wären Sie ein einziges Mal in Paris gewesen, so würden Sie sich gar nicht über den Tumult verwundern. Neapel lebt ruhig unter seinem von Gott eingesetzten König.« – »Ach, wenn das ist, bin ich schon zufrieden. Wo ein König ist, ist gewiß keine Revolution. So wollen wir denn ruhig essen, trinken und schlafen, guter La Brie. Leiste dem Wirth den Vorschuß, präge ihm jedoch ein, daß er französisch koche. Die italienische Tafel behagt mir weit weniger, als …« – »Als? Was wollten der Herr Graf sagen?« – »Als die italienischen Weiber«, versetzte der Graf und wurde über und über roth. Dann wendete er sich von dem lächelnden La Brie weg und setzte sich an's Fenster. Der Bediente ging hinaus, die Aufträge seines Herrn zu besorgen, und ließ den Gebieter einige Zeit allein.

3.

Kerqhanu, ein starker und geübter Jäger, besaß helle Falkenaugen und hatte auf der ganzen langen Reise Städte und Länder weniger eines Blickes gewürdigt, als die Menschen, und weniger die Tracht derselben, als deren Gesichter, und weniger die Physiognomie der Männer, als das Antlitz der Frauen. Obschon im Reiche des Schönen völlig fremd, hatten doch die Züge der italienischen Weiber den ihnen eigenthümlichen Zauber auf seine Sinne geübt. Er hatte gewagt, Vergleichungen zwischen den Italienerinnen und den Schönen der Bretagne anzustellen, und die letzteren hatten den Prozeß verloren. Und er hatte nicht einmal Paris gesehen, das Paradies der Weiber, das Treibhaus des schönen Geschlechts. Bei Nacht und Nebel hatte er die Hauptstadt umkreist, wie er denn überhaupt auf der ganzen Reise am Tage schlief und in der Nacht fuhr, um nicht von dem Anblick der dreifarbigen Fahnen geärgert zu werden. Darum schwelgte er jetzt in der Anschauung welscher Frauenreize, und der Hagestolz, der bisher aus Grundsätzen Liebe, Galanterie und Ehe verschmäht, ertappte sich jetzt oft auf sehnsüchtigen Seufzern, auf lüsternem Verlangen.

In Neapel ist, wie bekannt, Frauenschönheit ein seltenes Ding. Die Natur, die Parthenope's Gestade so verschwenderisch schmückte, hat das zweite Geschlecht unschön gelassen. Dennoch geräth mancher Reisende mit seinem Herzen in's Gedränge, wenn er die Naivetät der neapolitanischen Weiber, ihre Freiheit in Sprache, Gang und Geberden und ihre in den lebendigsten Farben prangende Feiertagspracht zum ersten Male sieht. So auch Kerqhanu. Von seinem Fenster herab musterte er mit Neugierde und Hast die aus der Straße wie im Tanz vorüberschwebenden Gestalten und fand schneller, als er gehofft, ein würdiges Ziel seiner Wünsche und Blicke. – Eine Frau von majestätischem Äußern, einfach, aber vornehm gekleidet, schritt an der jenseitigen Häuserreihe daher und wendete die großen brennenden Augen bald rechts, bald links, und betrachtete sogar einen Moment den bretagnischen Edelmann, und ihm war, als ob aus diesem festen und forschenden Blicke ein günstiger Strahl in seine Seele leuchte. Die Dame war etwas Weniges still gestanden, setzte dann ihren Weg weiter fort und verschwand in einem der gegenüberliegenden Häuser. Ein ältlicher Bedienter, in etwas abgetragener Livree, ein Gebetbuch und ein Sammetkissen unter dem Arme, folgte der Dame, die augenscheinlich aus irgend einer Kirche kam. – Es dauerte nicht lange, und auf der Plattform des Hauses, worein sie gegangen, erschien die Unbekannte wieder, in derselben reizenden rosenrothen Kleidung, lehnte sich sinnend auf das Geländer, zerpflückte einen Myrtenzweig und schaute dann und wann, wie verstohlen und geheimnißvoll, nach Kerqhanu's Fenster, wo der Graf stand, lang wie er war, und neugierig und verliebt wie der naivste und jüngste Krautjunker. Er verwandte kein Auge von der schönen, hohen Gestalt und vergaß darüber Alles um sich her. La Brie trat mit einigem Geräusch in's Zimmer. »Kusch dich, Benjamin!« schnurrte der Herr in bittersüßer Zerstreuung, »ruhig, Constant! Die verdammten Hunde verscheuchen mir das beste Wildpret.« – Da bewies La Brie durch eine demüthige Entschuldigung, daß er kein Hund sey, und Kerqhanu drehte sich nach ihm um und dann wieder zum Fenster, – und die schöne Fremde war verschwunden, wie hinweggeblasen. Deß wurde der Herr wüthend und schnauzte den Diener mit energischen Flüchen an. Aber aus den dunkeln Abgründen dieser Blasphemien stieg dennoch unwillkürlich ein ziemlich klares Geständniß hervor, und La Brie merkte, wie viel es geschlagen. Zu demüthig aber, um sich eine direkte Frage zu erlauben, schwieg er, ein gehorsamer Knecht, und erinnerte den Gebieter, daß es Zeit zum Speisen sey.

4.

Am nächsten Morgen hatte der Graf just sein Frühstück eingenommen, als La Brie hereintrat und eine Dame meldete, die mit dem Herrn Grafen zu sprechen wünsche. Eine süße Ahnung bemächtigte sich des wackern Edelmannes; ehe er jedoch ein Wort zu sagen vermochte, öffnete sich schon die Thüre, und das tief verschleierte Frauenzimmer schritt edel und unbefangen ein. Kerqhanu eilte ihr entgegen, drei Schritte von ihm schlug die Dame den Schleier in die Höh', und der Cavalier fühlte sich wie vom Blitze getroffen, als er diejenige erkannte, die schon gestern sein starkes Herz bezwungen. Ein Elysium ging in seiner Brust auf; an dem Tage, wo er zum ersten Mal einen Bauer prügelte, war ihm nicht wohler gewesen.

Die Dame begann mit einem geflügelt gesprochenen Antrittscompliment in italienischer Sprache. Der Graf zuckte verlegen die Achseln und schilderte seine Verzweiflung, nicht Italienisch zu verstehen. – »Das thut nichts zur Sache, Herr Graf«, antwortete die Fremde in ziemlich gutem Französisch, »ich verstehe Ihre Landessprache, und unsere Unterredung wird keinem Hinderniß unterliegen, wenn Sie nur zuerst unnöthige Zeugen entfernt haben werden.« Ein scharfer Seitenblick auf La Brie deutete hinlänglich an, was die holde Unbekannte meinte, und der Diener, nachdem er ihr einen wurmstichigen, aber vergoldeten Fauteuil hingeschoben, entfernte sich, wie die Pflicht gebot. – Die Besucherin nahm mit dem vornehmsten Anstand Platz und eröffnete ohne Weiteres das Gespräch. Mit der liebenswürdigsten Freimüthigkeit und Sicherheit begann sie: »Einem französischen Edelmann gegenüber wird es dem unverschuldeten Unglück leicht, sich auszusprechen. Der Franzose kennt die Gefühle der Menschlichkeit und versteht sie zu ehren. Sie sehen eine Frau von bedeutendem Range vor sich, die durch zahllose Widerwärtigkeiten des Lebens bis zum Rande der Verzweiflung gebracht ist. Ich bin eine Genueserin, in dem schönen Turin erzogen, aus dem berühmten Hause der Spinola. Meine Güter liegen auf Korsika, Sardinien und dem piemontesischen Boden zerstreut. Einige körperliche Annehmlichkeiten verschafften mir in meiner Jugend zahlreiche Anbeter. Ach, mein Herr, die Blüthe der Jugend vergeht so schnell! Ein neapolitanischer Herzog warb um meine Hand, ich schenkte sie ihm und streute damit die Saat des Elends in mein Daseyn. Mein Gatte, der Herzog von Ciceri, ist einer der verschwenderischen Männer, die Alles an ihre Leidenschaft setzen. Das Spiel, dem er blind zugethan, verschlang unser beiderseitiges Vermögen. Er verschleuderte meine Habe, der ungetreue Verwalter; er verschleuderte endlich mein Herz und meine Frauenwürde, der ungetreue Gatte. Zu spät öffnete ich die Augen und sah mich abscheulich betrogen. Die stürmischen Revolutionsauftritte der letzten Jahre raubten mir den Rest meiner Habe, und ich sah mich bald gänzlich von dem verlassen, der geschworen hatte, mein Freund und Beschützer zu seyn. So leb' ich von ihm getrennt, allen Schmerzen der Erinnerung preisgegeben, und sogar dem Mangel blosgestellt, da der Unmensch böslicher Weise sogar das Gut mir vorenthält, das er mir zum Wittwensitz bestimmt hatte. Ja, mein Herr, der Mangel bedroht mich. So schwer es mir wird, dieses Wort auszusprechen, so thu' ich's dennoch einem Manne gegenüber, der mein Vertrauen nicht mißbrauchen und seine edle Physiognomie, die mich zu diesem Geständniß bewogen, nicht Lügen strafen wird. Ihrer Delikatesse, würdiger Fremdling, überlass' ich nun getrost, was Sie thun werden, um eine unglückliche Herzogin aus einem der urältesten Geschlechter der Christenheit von dem Zustande der Hilflosigkeit zu retten, dem sie jetzt erliegt.«

Bei diesen Worten zog die Herzogin hastig den Schleier vor ihr Angesicht und saß stumm, wie in ihren Schmerz verloren, da. Halb unterdrückte Seufzer verriethen dem gerührten Grafen, daß die Leidende mit Thränen kämpfte. Kerqhanu überlegte nicht lange; seiner Empfindung folgend, durchdrungen von dem schweren Loose, worunter hier eine Frau vom höchsten Adel schmachtete, eilte er zu seiner Chatulle und drückte zwei Goldrollen in die Hand der schönen Unglücklichen. Ohne ein Wort zu erwiedern, neigte sie ihr Haupt verbindlich vor dem Wohlthäter und ließ die Rollen, wie unbeachtet, in das Schnupftuch gleiten, das sie in der Hand trug. Der Graf versetzte aber hierauf mit außerordentlicher Verlegenheit und peinlichem Zögern: »Empfangen Sie, Frau Herzogin, das Wenige, das mir im Augenblick für Sie zu thun vergönnt ist. Es ist viel zu gering für eine Dame von Ihrem Stande und Ihrer Liebenswürdigkeit. Vielleicht erlauben Sie mir jedoch, Ihnen meine Aufwartung zu machen, und über die Art und Weise weiter nachzudenken, die etwa geeignet und in meiner Macht wäre, Ihren Kummer zu lindern.« – Die Herzogin schüttelte den Kopf und entgegnete mit weiblicher Verschämtheit: »Sie dürfen mich unmöglich besuchen, mein edler Freund. Unübersteigliche Hindernisse verbieten dieses. So schwer es mir fällt, Ihnen dieses schwache Zeichen meiner Erkenntlichkeit zu versagen – dennoch ist's nicht thunlich.« – »Sie versetzen mir den Todesstoß, Madame. Wenn ich Ihnen gestehe, daß ich seit gestern nur an Sie denke, nur in Ihnen lebe, werden Sie mir zürnen? Ich habe Alles über Ihrer Liebenswürdigkeit vergessen, meine Familie, meine Heimath. Sie wohnen nur ein paar Schritte von diesem Hause entfernt, und versagen mir die Erlaubniß, Ihnen meine Huldigung darzubringen?« – »Sie sind im Irrthum. Ich wohne nicht in jenem Hause. Ich kann mich nur vorübergehend einige Augenblicke daselbst aufhalten. Ich darf Ihnen nicht sagen, wo ich wohne. Aber täglich soll mein Gebet für Sie zu Gott emporsteigen, und so oft ich in einer unbewachten Minute von jener Altane in Ihr Gemach herabschauen werde, will ich Ihrer mit den zärtlichsten Gesinnungen gedenken.« Zugleich hob sie, von dem Sessel aufstehend, den Schleier etwas von dem Gesichte, und Feuerstrahlen der Sehnsucht und Dankbarkeit zuckten aus ihren Augen in Kerqhanu's Herz. Der Verstand lief dem alten Jungen weg, und er suchte sich an der Hand der schönen Herzogin festzuhalten. Die böse weiche Hand! Sie drückte zärtlich Kerqhanu's Rechte; ihm schwanden die Sinne, und die Enkelin der Spinola war verschwunden, als er wieder zum Bewußtseyn gelangte.

5.

An der Stelle, wo die Herzogin gesessen, stand nun La Brie mit wichtigem Hofgesicht, freundseligem Lächeln und bückelnd vor seinem Herrn, als ob dieser den cordon bleu erhalten hätte. Das höchste lakailiche Entzücken im Angesicht, deklamirte er, ein zweiter Dazincourt: »Solch' glückliche Zufälligkeit kann doch nur einem französischen Edelmann widerfahren! Wahrlich, Herr Graf, wenn Ihre selige Frau Mutter noch lebte, sie würde Freudenthränen vergießen. Ich hab' es ja immer gesagt: Italien ist das Land der Wunder, das Paradies aller galanten und niedlichen Abenteuer. Empfangen Sie meinen Glückwunsch, Herr Graf, und der Himmel führe diese äußerst glücklich geknüpfte Verbindung bis zum Altare, woran ich durchaus nicht zweifle, wenn ich Ihre Liebenswürdigkeit in Anschlag bringe, und die ritterliche Tugend, womit Sie sich aus der unvermutheten Prüfung zogen.«

»Faselst Du, La Brie?« fragte der Graf überrascht und mit zornigem Blicke, »was soll das heißen? Am Ende hast Du gehorcht, Spitzbube, und erfrechst Dich, meiner Gutmüthigkeit zu spotten?« – »Spotten? Wie unterstünd' ich mich? Aber gehorcht? Meiner Treu, ich muß es bekennen! ich habe am Schlüsselloche gelauscht, ich habe mich verwundert; aber nun, da ich besser unterrichtet bin, juble ich vor Freude. Die schönste Frau von Neapel liegt in Ihren Armen, sobald Sie's verlangen.« – »Das mag seyn, La Brie,« versetzte der Graf selbstgefällig, und schielte nach dem Haus gegenüber: »wie würde sich's aber mit den Grundsätzen der Ritterschaft vertragen, wenn ich die Hilflosigkeit einer Unglücklichen mißbrauchen wollte?« – »Ei den Teufel auch, Herr Graf. Eine schöne Hilflosigkeit, die nicht weiß, wohin sie mit ihrem Ueberfluß soll. Ein schweres Unglück, welches sich auf Millionen stützt. Sie sind, mit Ihrer Erlaubniß, etwas Weniges hintergangen worden, können sich jedoch den Betrug immerhin gefallen lassen. Die Herzogin von Ciceri ist nicht arm, wohl aber ungeheuer reich. Es fehlt ihr nicht an einem Obdach, aber wohl hat sie der Paläste die Hülle und Fülle, und beiläufig gehört auch dieses Haus ihr ganz allein, da sie dem Wirth, ihrem ehemaligen Kammerdiener, weit mehr darauf lieh, als der Steinhaufen werth ist. Die Herzogin leidet endlich durchaus nicht unter der Laune eines schlechten Gemahls, wohl aber ist sie seit einigen Jahren Wittwe, und auf Sie wird es ankommen, ob sie es allzu lange bleiben soll.«

Kerqhanu's Gesicht fiel bei diesen Worten aus allen Fugen. Es wurde dem eines Merino-Widders nicht unähnlich. Je pfiffiger der Bediente aussah, je alberner wurde die Figur des Herrn. Kerqhanu befühlte seinen Kopf, tappte um sich her, wie ein Träumender, und wußte nicht, wie er die Rede seines Dieners zu nehmen habe. »So erkläre mir doch, was ich nicht begreife,« stammelte er.– »Sie sind mystificirt, Herr Graf. Die Herzogin, allbekannt durch die bizarrsten Launen, denen jedoch das edelste Herz zu Grunde liegt, hat Sie bemerkt, hat Ihre einnehmende Persönlichkeit liebgewonnen. Die italienischen Damen gehen rasch zu Werke. Es kam darauf an, Ihren Charakter zu erforschen, und ein sonderbares, aber nicht trügliches Mittel wurde von der scharfsinnigen Dame gewählt. Sie, der Mann, der so edelmüthig zu helfen suchte, der mit so bescheidener Delikatesse das Recht eines Wohlthäters nicht mißbrauchte, haben sich völlig würdig gezeigt, der vertrauteste Freund dieser seltenen Frau zu werden. »»Endlich hab' ich einen Menschen gefunden!«« hat die Fürstin im Scheiden unserm Wirth zugerufen, und die Freude desselben ließ nicht zu, daß er mir ein Geheimniß aus der ganzen Schelmerei machte, wie sehr ihm auch seine hohe Gönnerin das Plaudern verboten. Sie werden hören, Sie werden sehen, was Sie bis jetzt nicht glauben.« – Der Graf ging, verdutzt die Hände reibend, auf und ab, und bedauerte nur, daß er nicht gleich seine ganze Chatulle der geheimnißvollen Fremden angeboten, als nach demüthigem Klopfen der Wirth in das Zimmer trat und mit tiefen Verbeugungen den ältlichen Bedienten hereinließ, den Kerqhanu schon im Gefolge seiner Dame gesehen. Unterwürfig näherte sich der Diener dem Grafen und überreichte ihm ein glänzendes Etui, mit der Bitte, dasselbe von der Gebieterin als ein wohlgemeintes, wenn gleich unbedeutendes Andenken aufzunehmen. Zitternd vor Hast und Ahnung öffnete Kerqhanu das Futteral; ein prächtiger Ring mit großen blitzenden Edelsteinen strahlte ihm entgegen. Dabei lag ein rosenrothes, lieblich duftendes Papier, auf welchem in anmuthigen Zügen zu lesen war: »Zum Andenken an eine Stunde, in welcher die Humanität des wackersten Cavaliers ihren Triumph feierte.« – Das Herz des Grafen pochte in lauterer Seligkeit; golden war die Belohnung, die er dem Liebesboten reichte, und die süßesten Worte, die je seinem ungelenken Munde entflossen, gab er dem Diener in den Kauf, mit der Bitte, sie der Herrin zu Füßen zu legen, und ihm das Glück zu erwirken, sie noch einmal zu sehen. Mit einem tiefen Etiquettenbückling empfahl sich der Bote, und Kerqhanu's Augen verloren sich in dem Schimmer der Juwelen und dem Zauber, der von dem rosenrothen Papierstreifen ausging. La Brie und der Wirth sahen über des Grafen Schulter in das Etui und konnten nicht satt werden, die Wahl und den Reichthum des Geschenks zu preisen. – »Das ist recht fürstlich!« rief Bocchino, der Wirth, enthusiastisch: »Dieses Präsent ist gewiß seine zehntausend Franks werth.« – »Zehntausend Franks!« wiederholte La Brie mit weit aufgerissenen Augen: »Hören Sie, Herr Graf? sagte ich's nicht? Wenn Tugend und Menschlichkeit nur immer so hohe Zinsen trügen!« – »Zehntausend Franks!« wiederholte nun auch der Graf: »Leicht möglich, guter La Brie, nicht möglich, ehrlicher Wirth. Das wäre ja allzu viel für die paar Goldstücke, die ich der Dürftigkeit zum Opfer zu bringen gedachte.« – »Wenn Sie erlauben, erlauchtester Herr, so stell' ich Ihnen einen ehrenwerthen französischen Cavalier vor, der mein geringes Haus öfter besucht und sich just im Billardzimmer befindet. Der Herr ist ein gewaltiger Kenner von Edelsteinen und wird sich ein Vergnügen daraus machen, einem Landsmann durch die Schätzung dieses Ringes einen angenehmen Dienst zu erweisen.« – »Ein französischer Edelmann?« rief Kerqhanu, nachdem er durch La Brie erfahren, wovon der Wirth gesprochen: »er sei mir willkommen; ich hungre jetzt nach einem französischen Cavalier von altadeligem Ursprung, den ich zu meinem Vertrauten machen kann. Eile, geschäftiger Wirth, bringe mir schnell den ersehnten Landsmann.«

Nach einer Minute stand der angekündigte Franzose vor dem Grafen; ein leidlich junger blasser Mann, mit tiefgefurchten Zügen, obligatem Backenbart, elegant gekleidet, Ringe an den Fingern, Brillanten statt Knöpfen im Jabot, freimüthig, offen, degagirt, mit dem Ton der besten Gesellschaft. Nach den ersten Begrüßungsformeln sagte der Fremde mit der wichtigen Betonung, die in den Salons der Vorstadt Saint Germain einheimisch ist: »Ich freue mich einmal wieder recht herzlich, einen Mann aus so ehrwürdigem Geschlechte vor mir zu sehen. Mein Name ist Hymbercourt; er wird Ihnen als Bürgschaft für meine Gesinnungen dienen.« – »Das will ich meinen, mein Herr. Der Enkel dieser berühmten normannischen Barone verdient mein volles Vertrauen. Wenn ich nicht irre, war Ihre Familie schon zu den Zeiten Karls des Grausamen eine der ältesten der Christenheit.« – »Karls des Kühnen, wollten Sie sagen. Ich glaube sogar, daß Walter Scott einen Roman über meine Vorfahren geschrieben hat.« – »Wer ist der Walter Scott?« – »Ein Engländer.« – »Pfui Teufel!« – »Ein Baronet, Sheriff, was weiß ich.« – »Also ein Edelmann; das ändert die Sache. Sehen Sie, Herr von Hymbercourt, ich habe mich nie mit Büchern abgegeben, und reise jetzt, um die Menschen zu beobachten. Was kann man Besseres thun? Sie wissen selbst, wie es in Frankreich aussieht.« – Hymbercourt seufzte schwer und tief, und versetzte: »Keine Religion, kein Königthum mehr. Die Anarchie ist los, Banquiers sind Minister, der Adel wird mißhandelt. Bin ich etwa aus einem andern Grunde hier? Zu Neapel findet man doch noch die guten alten Institutionen. Der Umgang mit dem hiesigen Adel zerstreut den Kummer, den mir das Vaterland macht.« – »Kennen Sie die Herzogin von Ciceri?« – »Ei, wie mich selbst. Ich bin oft in ihren Cirkeln. Sie ist die liebenswürdigste Frau von der Welt. Das macht, weil sie in Turin französischer Erziehung genoß.« – »Richtig, in Turin. Sie ist schön, nicht wahr?« – »Eine reife Schönheit, eine aufgeblühte Rose, reizend, wie nur je eine Genueserin gewesen.« – »Richtig, eine Genueserin. Aus dem altadeligen Geschlechte …« – »Der Spinola, die auf Korsika und Sardinien mehr Schlösser besaßen, als Tage im Jahr sind.« – »Richtig, Spinola, Korsika, Sardinien … Ich sehe, mein edler Freund, daß Sie die Herzogin genau kennen. Was halten Sie von ihrem Charakter?« – »Die abenteuerlichste Phantasie, verbunden mit der edelsten Empfindung. Man könnte Bücher schreiben à la Scudery, wenn man von ihren Handlungen, von ihren Wohlthaten, von ihren Einfällen berichten wollte. Sie geht incognito, wie der Chalif Harun al Raschid. Sie ist ein weiblicher Diogenes, und sucht, wie Jener, Menschen, nur mit dem Unterschiede, daß sie statt der Laterne des Philosophen ihre wunderschönen Augen leuchten läßt.« – »Ach ja, das thut sie«, seufzte der Graf andächtig. – »Wo soll ich anfangen, wo aufhören, um Ihnen einen Begriff von dieser seltenen Frau beizubringen? Ist irgendwo, im verstecktesten Winkel der Stadt, ein armes Liebespärchen – flugs ist die Herzogin da und verheirathet es mit namhafter Aussteuer. Schmachtet irgendwo ein Unglücklicher im Kerker, – die Herzogin steigt zu ihm hinab, bringt ihm Hilfe und Trost. Darbt irgendwo ein talentvoller Künstler oder Handwerker, so ernährt sie ihn durch reichliche Bestellungen; erliegt Einer ungerechtem Urtheil, so verbessert die Fürsprache oder der Reichthum der Herzogin die Elendigkeit der Justiz; bei den ärmsten Wöchnerinnen steht sie zu Gevatter, den verschämten Dulder sucht sie in seinem Dachstübchen auf, in ihrem Incognito entdeckt sie Talent und Herzensadel selbst unter der rauhen Jacke des Lazarone. Sie ist die Mutter der Waisen, die Freundin jedes Unglücklichen. Ihr weitläufiger Palast am Strande des Meers wimmelt stets von Clienten; oft hat sie die bescheidene Tugend aus dem Staub gezogen, oft erhabene Verbrecher entlarvt. Sie schämt sich nicht, für einen mildthätigen Zweck zu betteln, sie begleitet mit der Brüderschaft den Verbrecher zum Tode. Durch die sinnreichste List, von der Schlauheit des Weibes entworfen und von männlicher Kühnheit ausgeführt, dringt sie in alle Geheimnisse, um überall Segen zu verbreiten. Ihre Schätze sind unermeßlich, unerschöpflich ihre Thätigkeit, unumschränkt ihr Wille, seitdem sie Wittwe geworden, einen Punkt ausgenommen …« – »Und dieser Punkt?« fragte Kerqhanu, dessen Neugierde auf's Höchste gestiegen war, als Hymbercourt schwieg und sich räusperte, als hätte er schon zu viel gesagt. – »Ei nun, lieber Freund, die Angelegenheiten des Herzens sind bei den Weibern die wichtigsten. Die Fürstin ist eine äußerst kluge und strenge Frau, jedoch, wie ich meine, einer zärtlichen Neigung nicht unzugänglich, und vielleicht bereit, ihre Freiheit mit Blumenfesseln zu vertauschen. Da ist aber ein Bruder, der ihres Vermögens Erbe zu werden hofft und daher tyrannisch jedes zartere Band zerreißt, das sich zwischen der Herzogin und einem ihrer zahlreichen Freunde anknüpfen möchte. Von diesem Bruder wäre viel zu sagen; ein Glück, daß er, Dank seinen Ausschweifungen, schon am Rande des Grabes steht. Sein Tod erst macht die Herzogin völlig frei, und dieses seltene Juwel wird alsdann erst in vollem Glanze strahlen. – Aber was sehe ich? Was schimmert aus diesem Etui? Welch' köstliches Kleinod besitzen Sie, Herr Graf! Auf Ehre, nie hab' ich schönere Diamanten gesehen. Erlauben Sie, daß ich sie näher betrachte. Ich bin ein Kenner, bester Freund. Ich habe unter dem höchstseligen König Ludwig alle Diamanten der Krone abschätzen müssen. Hören Sie, das ist eine massive Pracht. Solche Edelsteine in Frankreich? Ich hätte mir's nimmer träumen lassen. Gewiß aus dem Familienschatze, den Ihre Vorfahren aus dem gelobten Lande mitbrachten?« – »Nicht doch, Herr von Hymbercourt«, versetzte der Graf, verlegen hustend: »ein Geschenk, ein freundschaftliches Souvenir.« – »Nun, wahrhaftig, so beneide ich Sie um Ihre Freunde. Das ist fürstlich, das ist königlich!« – »Ohne Scherz? Glauben Sie? Sollte der Werth dieses Ringes wirklich so bedeutend seyn?« – »Wenn Sie mir erlauben wollten, dieses Kleinod zu kaufen, so zahle ich Ihnen in dieser Stunde fünfzigtausend Franks baar dafür, und würde mit der größten Sicherheit noch zehntausend hinzulegen, wenn nicht gerade meine Kasse sich in einer kleinen Unordnung befände. Es müssen wieder Unruhen in Frankreich vorgefallen seyn, denn meine Monatswechsel sind nun schon seit zwei Posttagen ausgeblieben, und ich fürchte mich vor jeder, auch noch so geringen Verlegenheit in Geldsachen.« – »Ich werde Sie nicht in Verlegenheit bringen«, entgegnete Kerqhanu beinahe grob: »ich verkaufe dieses theure Geschenk gewiß nicht. Lassen wir das; erlauben Sie, daß ich das Etui einschließe, und sagen Sie mir dann, ob Sie mich bei der Herzogin von Ciceri einzuführen im Stande sind.« – »Warum nicht, bester Freund? Ich bin heute Abend bei ihr, werde Ihren Namen nennen und Ihnen ohne Zweifel die Einladung auf morgen bringen. Ist Ihnen vielleicht jetzt gefällig, eine Fahrt durch die Stadt zu machen? Ich will Ihnen die Merkwürdigkeiten Neapels zeigen, und darunter den Palast, wo die poetische Fee wohnt, die man hier zu Lande, prosaisch genug, die Herzogin von Ciceri nennt.« – »Freilich ist mir's gefällig«, rief der Graf mit schwer verhaltener Freude und folgte dem dienstfertigen ebenbürtigen Landsmann.

6.

Die Toilettenstunde des folgenden Tages hatte geschlagen. La Brie frisirte seinen Herrn, dessen Mund heute von Extase überfloß. Er schwelgte noch in den Entzückungen des vorigen Abends, denn Hymbercourt hatte ihn, nachdem er ihm alle Herrlichkeiten der Hauptstadt gezeigt, auch nach San Carlo geführt und ein Ballet bewundern lassen. Noch musicirte es dem edlen Grafen vor den Ohren, noch schwenkten sich die reizenden Tänzerinnen vor dem Auge seiner Seele. »Du kannst nicht glauben, La Brie«, sagte er: »wie schön das Alles war. Von der Oper verstand ich natürlich nichts. Welch' ein schönes Theater! Welche noble Gesellschaft! In Paris haben sie gewiß das nicht. Ich war selig, La Brie, und nur etwas mangelte zu meinem vollkommenen Glücke. Stelle dir vor: die Loge, worein wir geriethen, befand sich gerade über der Loge der Herzogin von Ciceri. Ich hätte vergehen mögen vor Aerger. Gegenüber wäre mein Platz gewesen, um die schönste aller Frauen nach Herzenslust betrachten zu können. So mußt' ich mich begnügen, zu horchen wie ein Jagdhund, um einige Klänge ihrer lieblichen Stimme zu erhaschen. Es war eine große Gesellschaft unten; die Teufelsleute lachten und schäkerten die ganze Oper hindurch, und ich verzweifelte oben wie der heilige Lorenz, bis die Tänzerinnen kamen und mich Alles vergessen machten. Nach dem Schlusse des Ballets eilte ich mit Hymbercourt, was ich konnte, um gegenwärtig zu seyn, als die Herzogin in die Kutsche stieg. Wir kamen gerade recht. Die vermaledeiten Schleier, die man hier zu Lande trägt! Nicht einen Zug hab' ich von ihr gesehen, aber die Gestalt … der niedliche Fuß … nun, La Brie, du kennst die Gestalt, du kennst den niedlichen Fuß. Drei Gesellschaftsdamen bei ihr, ein Schwarm von Lakaien um den vergoldeten Wagen, sechs Pferde, deren sich der König von Frankreich nicht zu schämen hätte. Vorreiter, Fackeln, was weiß ich! Der glückliche Hymbercourt! er ging von San Carlo aus zu ihr, er schwelgte in dem Sonnenschein ihrer Nähe, in ihrem glänzenden Cirkel, während ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte und nur an sie dachte und an das Mißgeschick, das mich so lange in der Bretagne festhielt, wo die Bauern so dumm, die Weiber so häßlich sind. Aber frisire mich recht hübsch, La Brie, lege meine schönste Wäsche heraus und den braunen Frack, der mir so gut steht, und die goldenen Schuhschnallen, die mir die Cousine geschenkt hat. Ich muß erwarten von Stunde zu Stunde, daß die reizendste aller Herzoginnen mich zu sich entbieten läßt. Wie viel Uhr ist es, guter La Brie? Hymbercourt zögert wie ein … Gott verzeih' mir die Sünde, bald hätt' ich den wackersten Edelmann geschimpft!«

Um den Grafen vollends zu beschämen, stürzte Hymbercourt, als er kaum ausgeredet, in das Zimmer. Mit freudestrahlendem Gesichte flog er auf den Grafen zu, drückte ihn an die Brust, spendete ihm den obligaten Doppelwangenkuß und gab ihm mit geheimnißvoller Miene ein Zeichen, den Diener zu entfernen. – Als dieses geschehen, begann er mit feierlichem Pathos: »Sie sind ein Glückskind, lieber Graf. Ihr beneidenswerthes Loos gehört in die Prophezeiungen des Nostradamus. Sie kommen, sehen und siegen. Es ist zum Teufelholen. Hören Sie, ich möchte mit Ihnen ein Hasardspiel machen. Ich würde Ihr ganzes Vermögen gewinnen. Sie müssen in den Karten unglücklich seyn, da Sie bei den Weibern so glücklich sind. Dabei sind Sie aber der zurückhaltendste Freund, den ich kenne. Warum mir nicht sagen, welch' zartes Band Sie bereits mit der Herzogin verknüpfte? Hören Sie nur zu. Ich eile gestern zu ihr in den Feenpalast am Meere, den ich Ihnen schon gezeigt. Die ganze Welt war da versammelt, ich brauchte eine Ewigkeit, um mich der edlen Fürstin zu nähern. Endlich ist der Moment günstig, ich beuge mich zu ihr hernieder, ich nenne Ihren Namen, verlange, Sie bei ihr einzuführen: da röthet Freude, Ueberraschung und zarte Verschämtheit ihr Gesicht. Sie flüstert: »Ich kenne ihn schon, den liebenswürdigen Mann. Meine größte Glückseligkeit würde seyn, ihn in meinen Enkeln zu sehen, wenn ich nicht fürchten müßte, meine Gefühle der schnöden Welt Preis zu geben. Er ist Besseres werth, als hier in diesen Prunksälen sich zu langweilen. In der Nähe von Caserta habe ich eine niedliche vor der Welt versteckte Villa. Bringen Sie Ihren Freund dorthin; kein lästiger Zeuge wird daselbst den Erguß der reinsten Freundschaft hemmen. Ich erwarte Sie morgen mit dem Mann, der mir gefährlich werden könnte, wenn seine Delikatesse nicht noch größer wäre, als die Neigung, die er mich errathen ließ. Morgen also, wenn die Sonne sinkt.« Kaum konnte ich den Morgen erwarten, um Ihnen die willkommene Kunde zu bringen. Wie ist es nun, lieber Graf? Sie sind stumm vor Entzücken, ich begreife das. Ihr Glück überrascht Sie, aber die italienischen Damen sind einmal nicht anders. In ihrer Wahl schnell entschlossen, ist Liebe ihr Bedürfniß, wie das Athemholen, und gewöhnlich krönt ein ewiger Bund den schnell gefaßten Augenblick. Schmücken Sie sich, statten Sie Ihre körperlichen Vorzüge so reich aus, als möglich, die Sonne steht schon im Mittage, einige Flaschen des brausenden Ai sollen uns begeistern, und alsdann zwei flüchtige Renner uns an das Landhaus bringen, wo die beneidenswertheste Liebe Ihrer harrt.«

Der Graf hatte nichts Eiligeres zu thun, als den Forderungen des Freundes zu entsprechen; La Brie bekam alle Hände voll zu thun, in einer Stunde war Kerqhanu vollkommen adonisirt, geschmückt mit dem Ringe, den er von der Herzogin erhalten, duftend von Wohlgerüchen, die der Krautjunker früher nie gekannt, und im höchsten Grade begierig, die Früchte schneller Eroberung zu ernten. – Mit inniger Freude sah der ehrliche La Brie, wie sein Herr so schnell auf dem Pfade der Galanterie sich ausbildete, und begleitete mit tausend Segenswünschen den Grafen, als derselbe das Haus verließ. Bei einem französischen renommirten Restaurateur frühstückten die Freunde verabredeter Maßen, naschten von den köstlichsten Südfrüchten, von den Schätzen, die der Golf so verschwenderisch den Leckermäulern bietet, und schlürften in vollen Zügen den vaterländischen Feuergeist aus der Champagne. Ehe Kerqhanu sich's versah, hatte er dem Rausch des Entzückens einen zweiten beigesellt, und die Straßen und Gebäude Neapels schwebten vor seinen Blicken auf und nieder in zauberischen Schleiern wie eine Fata Morgana, als ihn beim Sinken der Sonne der schnellste Wagen nach Caserta entführte. Dem guten Bretagner war nie so leicht gewesen, und noch leichter machte seinen Kopf das ziemlich schwindende Bewußtseyn. Endlich hält der Wagen, Hymbercourt schwingt den Begleiter mit starkem Arm auf den Boden, eine grüne süßduftende Wildniß umfängt die Freunde, Kerqhanu schwebt gleichsam am Arm des Gefährten durch den Hain von Orangen und Cypressen, das blaue Dunkel einer zierlichen Halle nimmt ihn auf, über glatten Marmorboden schlüpft sein Fuß, er fühlt sich durch eine Reihe milddämmernder Gemächer geschoben, er steht in einem Boudoir mit Vorhängen drapirt, wie ein türkisches Zelt. Farbige Lampen schweben von der Decke herab, der letzte Sonnengoldschein glimmt durch die geschlossenen Jalousien; auf einer Ottomane sitzend, in verführerischem Negligé, erwartet ihn die Königin seiner Gedanken. Wie ein französischer Chatelain aus den Romanen des würdigen Grafen von Tressan beugt er die Knie vor seiner Huldin, so übel es ihm auch gelingt. Die weichste Hand begegnet der seinigen, er sitzt an der Seite der Geliebten, ehe er es sich versieht, zärtliche Laute schlagen an sein Ohr, Champagner, Enthusiasmus und Einsamkeit beflügeln seine Zunge, er stammelt Liebe, er hört, trunken von Wonne, daß er wieder geliebt ist. Wer berechnet die Zeit in solcher Begegnung? Aber dennoch verläuft die Stunde und in ihrem Gefolge hinkt der Verrath. Der erste Kuß zur Besiegelung des zärtlichen Bundes sollte gegeben werden, als Kerqhanu sich aus seinem Wonnetraume emporgerüttelt fühlt. Hymbercourts Gesicht, entstellt von Entsetzen, erscheint plötzlich. »Ihr Bruder, Herzogin!« ruft er bestürzt; die Herzogin schreit, Kerqhanu taumelt auf, und schon steht mit gezücktem Degen der fürchterliche Friedensstörer vor ihnen, schnaubend vor Wuth, rachedürstend, den Fremdling mit der Waffe bedrohend. Wehrlos bietet der Graf seine Brust, aber Hymbercourt drückt ihm die Klinge seines Degenstocks in die Hand und ruft ihm zu: »Vertheidige Dich, französischer Edelmann!« Und die Klingen kreuzen sich, Kerqhanu fällt aus, und im zweiten Gange liegt der Bruder der Herzogin röchelnd zu seinen Füßen. – Ein Moment der Bestürzung, eine Pause des Entsetzens, dann erfüllt jedoch neuer Jammer das Haus. »Sie sind verloren!« klagt die Herzogin. »Flüchten Sie sich, die Häscher werden gleich hier seyn,« donnert Hymbercourt in Kerqhanu's Ohr. »Nach Salerno!« fährt die Herzogin fort in der höchsten Bewegung: »auf meine Villa Terramota! Hier ein Brief an meinen Verwalter, vor der Gartenthür der Wagen, eilen Sie, eilen Sie!« – »Ein Brief? Nach Salerno? Fliehen?« stottert der entgeisterte Graf, und Hymbercourt reißt ihn von dannen, schiebt ihn in den Wagen, drückt ihm die Karte der Herzogin in die Hand und sagt ihm zum Abschied: »Verhalten Sie sich in Terramota ruhig, Ihr La Brie soll nachkommen, ich sorge für ein Schiff, das Sie der Heimath wieder zuführt. Vorwärts, Kutscher, auf die Straße nach Salerno!« Kerqhanu sank auf den Rücksitz, fühlte sich schnell von dannen geführt, seufzte schwer auf: »Ach, meine schönen Träume! Unglückliche Herzogin von Ciceri! Aermster aus dem Geschlechte der Kerqhanu!« und entschlief. – Da er wieder erwachte, war es dunkle Nacht, er lag auf bethautem Boden unter einer von Reben bekränzten Ulme, und die von oben flammenden Sterne schienen den Fremdling neugierig zu fragen: »Woher?«

7.

Die Herzogin von Ciceri war seit einigen Tagen sehr übel gelaunt. Ihre Gesellschaftsdamen, ihre Hauscavaliere wußten nicht, was der Gebieterin widerfahren. Die niedlichen Launen, womit sie sonst jeden Tag zu schmücken pflegte, wie mit einem Kranze von Phantasieblumen, waren versiegt, und dennoch hatte die schöne und reiche Frau alle Ursache, ihrem Schicksal nicht zu grollen. War doch ihr Bruder dahin, der, vom Testamente des verstorbenen Herzogs begünstigt, alle ihre Schritte eifersüchtig bewachte, um sich das Erbe nicht zu verkümmern. Die Trauer, die sie für den Verstorbenen trug, konnte nicht ihr Herz berühren, und dennoch war sie so zurückgezogen, so verschlossen, so untheilnehmend. – Stumm und nachdenkend saß sie in ihrem Schmollwinkelchen und warf nur hin und wieder einen gleichgültigen Blick zwischen den Vorhängen hindurch auf die schöne Chiajastraße, wo ihr Palast stand, als Giannettina, die zierlichste und verständigste ihrer Kammerfrauen, hereintrat und auf weichem Teppich der Gebieterin näher schlich. »Sie versinken in tiefer Schwermuth, gnädige Herzogin,« sprach die Dienerin mit zarter Sorglichkeit, »ich hätte nimmer gedacht, daß der Tod des Marchese so ernstes Schweigen über dieses fröhliche Haus bringen würde.« – Die Herzogin konnte den Schmeichellauten nicht widerstehen, faltete die Hände ernst im Schooße, und versetzte: »Du bist ein gutes, wohlgezogenes Geschöpf und kennst mich von Jugend auf. Du warst die Vertraute auf manchem meiner Lebenswege und weißt genau, wie sehr die reinste Menschlichkeit mich beseelt, und wie ich gerne Wohlthat und Segen allenthalben verbreite, wenn ich's gleich auf eine Weise thue, die häufig von der Welt eine Thorheit, ein Capriccio genannt wird. Das kümmerte mich nicht. Jung und lebenslustig, wie ich bin, begehr' ich nicht das Evangelium zu üben, wie ein steifer Bischof, wie ein trockner Moralist, wie ein ruhmrediger Mönch. Das Maskenspiel bei meinen wohlthätigen Handlungen war mir Bedürfniß, die höchste Lust; die dürre Pedanterie des Bruders hielt mich nicht zurück, das ganze Jahr hindurch meinen Carneval zu halten, und die Summen, die ich freigebig spendete, betrachtete ich nur als einen billigen Zoll, den meine Freude abzutragen hatte. Doch werde ich mit Undank belohnt, und seit wenigen Tagen ist mir nur zu deutlich der Beweis geworden, daß mein Name, der Himmel weiß von wem? mißbraucht wird und den Deckmantel strafbaren Betrugs abgibt. Ich sehe nun in Jedem, der meine Hilfe in Anspruch nimmt, einen Betrüger, fürchte mich vor jeder üblen Deutung meiner Schritte, und werde nicht eher ruhig sein, bis ich Allem auf die Spur gekommen, das mir bis jetzt noch ein Geheimniß ist.« – »Undank ist der Lohn der Wohlthätigkeit,« meinte die Zofe, und fuhr schüchtern fort: »da ich jedoch meine erhabene Gebieterin in so übler Stimmung finde, so scheint mir kaum gerathen, diesen Brief zu übergeben, der aus der Vicaria kommt, wo ein unglücklicher Gefangener auf den Trost und das Fürwort Eurer Excellenz hoffen mag.«

Die Herzogin griff gleichgültig nach dem Billet, entfaltete es und las folgende Zeilen in französischer Sprache stille vor sich hin:

 

»Wenn noch ein Funke des Gefühls in Ihnen glimmt, liebenswürdigste Herzogin, des Gefühls, das Sie mir an jenem verhängnißvollen Abend zu Caserta gestanden, so werden Sie mich aus der Teufelslage befreien, worinnen ich vergehe. Ich will lieber geköpft sein, als länger unter dem Spitzbubengesindel sitzen, das meine tägliche Gesellschaft ist. Verrathen von dem Postillon, der mich von Ihrer Villa wegbrachte, fiel ich in die Hände einer Gensdarmerie, die mit den Briganten und Straßenräubern Alles gemein hat, nur nicht die Menschlichkeit, die mich von Kerker zu Kerker bis nach der Hauptstadt zurückschleppte und behauptet, in den Zeilen, die Sie mir für Ihren Verwalter anvertrauten, gerade den bündigsten Beweis meiner Strafbarkeit gefunden zu haben. Ich soll darinnen ein Verschwörer genannt seyn, ein gefährlicher Vagabund, was weiß ich. Genug: ich bin des Lebens müde, denn man behandelt hier einen Edelmann noch weit schlechter, als in Frankreich. Können und wollen Sie mich nicht retten, so besorgen Sie wenigstens, daß ich geköpft werde. Nur nicht hängen! Man wird hier zu Lande wenigstens noch so viel Achtung vor dem Adel haben, daß man einen Cavalier, der einen andern aus Versehen todtschlug, nicht mit dem Strick bestraft, wie einen Dieb. Auch Ihren Ring haben mir die Barbaren genommen. Ich bin Ihr tiefgebeugter

Graf Kerqhanu

 

Die Herzogin hatte kaum diesen Namen gelesen, als sie in heftigster Bewegung aufsprang, die Klingel ergriff und wie zum Sturme läutete. Zofen und Kammerdiener flogen von allen Seiten heran, und die Herzogin rief wie außer sich: »Endlich! Geschwind! Meinen Staatswagen! Ich will zum Justizminister, mein Secretär soll nach der Vicaria. Mein Schreibzeug her! Ich will eigenhändig an den Custode des Gefängnisses schreiben. Meinen Shawl, meinen Schleier, eilt doch, ihr Schnecken. In einer Stunde muß Alles geschehen und ich wieder im Palaste zurück seyn!«

Wie ein Sturmwind flog das Dienervolk durcheinander. Die Herzogin war ganz wie ehedem. Sie schrieb, sie kleidete sich, Alles mit Blitzesschnelle, Boten gingen, der Secretär kam, empfing die herzogliche Depesche und rollte im Cabriolet nach der Vicaria, während die Herzogin in vollem Pomp zum Großsiegelbewahrer fuhr.

8.

Es war um die von der Herzogin anberaumte Zeit, als das Cabriolet des Secretärs, von Polizeiwachen zu Pferd begleitet, an dem Palast der Herzogin von Ciceri still hielt. Der Secretär half mit zuvorkommender Freundlichkeit dem neben ihm sitzenden Herrn heraus und führte ihn in die gastliche Vorhalle ein. Die Polizeireiter hielten sich in ehrerbietiger Entfernung. Ein Heer von Portiers und Lakaien stand unter den Säulen aufgepflanzt. »Ihre Excellenz zu Hause?« fragte der junge Abbate, und der breitbordirte Schweizer antwortete mit einem demüthigen »Ja.« Die Porphyrtreppe hinan schritt der Secretär mit seinem Nachbar durch die geräumigen Vorsäle, und auf der Schwelle ihrer Appartements kam ihnen die Herzogin selbst entgegen, voll von Heiterkeit und liebenswürdigem Freimuth. »Seyen Sie mir willkommen, Herr Graf«, sagte sie. »Ich habe bei Ihnen viel gut zu machen, da Sie das Opfer einer Begebenheit wurden, die mich selbst auf das Empfindlichste berührt. Ein abscheulicher Betrug hat Sie in eine Täuschung verwickelt, die ich nicht genug beklage. Betrachten Sie indessen dieses Haus als das Ihrige, bis das ganze Gewebe der erbärmlichen Betrügerei zu Tage liegt.« – »Ich sehe mit Bedauern«, erwiederte der Franzose, »daß mir das Schicksal sehr feindselig gewesen und mir einen Traum vorgespiegelt, dessen Ausgang nicht bitterer hätte seyn können. Ihrer Huld vertrauend, überlass' ich mein Loos gänzlich Ihren Händen.« – »Sie haben Alles verloren, Herr Graf, aber Alles soll Ihnen ersetzt werden, darauf mein Wort; sogar den Ring nicht ausgenommen, dessen falsche Juwelen den verderblichen Knoten Ihres Abenteuers schürzten. Er bleibe Ihnen zum Gedächtniß des fatalen Abenteuers, welches ungeschehen zu machen Ihnen gegenüber meine heiligste Pflicht seyn wird. Belieben Sie, Ihre Aussagen diesen würdigen Gerichtspersonen vorzulegen, die sich bei mir versammelt haben; erlauben Sie mir jedoch zuvörderst, daß ich Ihrem Herzen einen süßen Trost gewähre, indem ich Ihnen den gewiß schmerzlich vermißten treuen Diener wieder zuführe.« Die Herzogin gab ein Zeichen, und herein trat in der Mitte der Gerichtspersonen der schüchterne La Brie. Erstaunen und Ueberraschung malten sich auf den Zügen des Bedienten, das Gesicht des Gefangenen wurde lang und blaß. »O, wie dumm, wie dumm!« murmelte er, von seiner Zuversicht verlassen, vor sich hin, während La Brie mit gerungenen Händen ausrief: »Ach, Herr von Hymbercourt, wo kommen Sie her? Wo haben Sie meinen Herrn gelassen? Soll ich denn den wackersten Edelmann Frankreichs nicht mehr sehen?« – »Hymbercourt?« wiederholten verwundert alle Anwesenden; der Franzose stampfte mit dem Fuße und starrte finster auf den Boden, und La Brie fuhr klagend fort: »Ich glaubte Sie schon über alle Berge, ich hoffte meinen Herrn wieder in die Arme zu drücken. Wissen Sie denn gar nichts von ihm? Sie führten ihn ja zu dem unglückseligen Rendezvous!« – Der Abbate unterbrach ihn dringend und mit verdutztem Gesicht: »Bursche, was redest Du? Ist dieser nicht Dein Herr? dieser nicht der Graf Kerqhanu?« – »Gott bewahre!« seufzte La Brie und attakirte den Pseudoherrn mit bitteren Vorwürfen. »Ich glaube, Herr Baron, daß Sie nur Ihren Scherz mit uns treiben. Sie wollen sich für meinen Herrn ausgeben? Wie fällt Ihnen das ein? Haben Sie meinen Herrn nicht verlockt? Kamen Sie nicht bei sinkender Nacht zu mir, und sagten mir, der Herr Graf habe einen Fürsten todtgeschlagen und erwarte mich in Capua? Waren Sie nicht dabei, als der Polizeiofficier kam und die Effekten und Chatulle meines Herrn in Beschlag nahm? Haben Sie mich nicht nach Capua begleitet, wo ich den Herrn nicht fand, und verschwanden Sie da nicht plötzlich wie ein Geist? Ich hätte verhungern müssen, man hätte mich als Vagabunden aufgegriffen, wenn nicht just der französische Gesandte, nach Neapel gehend, durchgereist wäre. Ich liebe die dreifarbigen Cocarden nicht, aber dieses Mal waren sie meine Retter. Ich kannte den Courier und klagte ihm mein Leid, der Courier klagte es dem Koch, der Koch dem Kammerdiener, der Kammerdiener der Kammerfrau, und diese dem Herrn Gesandten. Welch' ein Glück, daß ich in Paris war und dort den Courier kennen gelernt hatte! Der Herr Gesandte war nicht so einfältig, wie mein Herr, und witterte auf der Stelle eine Spitzbüberei. Unter seinem Schutz kam ich wieder hierher, wurde ich der Frau Herzogin vorgestellt, die gar nicht die Herzogin meines Herrn ist, ließ ich den schändlichen Bocchino gefangen nehmen, der aber bis jetzt noch Nichts bekannte und immer meine Ehrlichkeit Lügen strafte. Wo aber ist mein Herr? Wo sind die Effekten meines Herrn? Wo sein Geld? Die Polizei hat nichts davon gesehen, und verschwunden ist die schlechte Betrügerin, die uns genarrt hat. Aber gerne Alles eingebüßt, wenn nur der Herr Graf wieder vorhanden wäre!« – Die naiven Vorwürfe des guten La Brie trugen den Stempel der Wahrheit viel zu sehr, als daß sie nicht tiefen Eindruck hätten machen müssen. Hymbercourts Frechheit erlag in dumpfem Schweigen, aber man bedurfte seiner Worte nicht, denn die Entwickelung kam rasch herbei, und zwar in der Person des Custode der Vicaria. Zitternd vor Angst trat der Gemeldete vor die Herzogin und die Gerichtspersonen, und fuhr, plötzlich wieder auflebend, wie ein gereizter Geier auf seine Beute, auf Hymbercourt, indem er rief: »Gelobt sey der heilige Januarius, der mich diesen Gauner wiederfinden ließ. Der Herr Abbate hat den Unrechten mit sich genommen; das Spitzbubenvolk sammt und sonders war zur Spazierstunde im Hof versammelt, der Graf hütete aber seine Spelunke wegen Unpäßlichkeit. Kaum hatte der Schließer gerufen: »Wo ist der Franzose, der an Ihre Excellenz die Herzogin von Ciceri geschrieben?« als schon dieser Galgenvogel sich auslieferte, begierig, seinem Käfig zu entkommen. Der Teufel merke sich die vermaledeiten Namen, welche die Franzosen aus ihrer Heimath mitbringen. Eine Verwechslung läuft leicht mit unter, aber ein Ungefähr entdeckte diese gleich nachher, und der andere Franzose wartet draußen.« – Keine Minute verging, und Kerqhanu stand in abgerissener schmutziger Kleidung vor der Versammlung, weinte und lachte in den Armen seines La Brie, und wußte nicht, wie ihm der Herzogin gegenüber geschah. »Sie hier, Hymbercourt?« fragte er gutmüthig. »Wie hängt das Alles zusammen? Bin ich denn noch immer betrunken? Wo ist denn die Herzogin, die ich meine? Das Beste ist, daß endlich die Geschichte aufs Reine kommen wird, daß ich frei werden muß, wenn ich in der That keinen Menschen umgebracht habe, wie mir der ehrliche Custode sagte. Aber ich werde gewiß ein Narr; der Marchese soll am Fieber gestorben seyn, und ich sah ihn doch so natürlich vor meiner Klinge zu meinen Füßen fallen. Was soll ich davon denken, Hymbercourt? Als ich Sie diesen Morgen in das Gefängniß bringen sah, behaupteten Sie, nicht zu wissen, warum Sie verhaftet, und der Custode erzählt mir just, daß Sie in der Kirche eine goldene Uhr gestohlen. Der Himmel bewahre mir meine Sinne; wenn ich wieder heimkomme, werd' ich ein Trappist.« – Während dessen trat der Abbate, der hinausgerufen worden war, zu der Herzogin, und sagte ihr: »So eben erhalte ich die Nachricht, daß Bocchino Alles zu gestehen begehrt.« Mit zufriedenem Lächeln vernahm die Herzogin diese Botschaft, ließ den falschen Baron Hymbercourt nach der Vicaria zurückbringen und erquickte den Grafen mit allen Bequemlichkeiten, die sein leidensvoller Zustand ihm nothwendig machte.

9.

Am Meeresstrand, unfern vom Hafendamm, dort, wo das letzte Bischen Ehrlichkeit in Neapel ausgeht, trieb in einem kleinen Häuschen, dessen Thüre streng verschlossen war, ein Weib geschäftig ihr Wesen, bemüht, Bündel und Kisten zu packen und Alles aufzuräumen, was ihr zu Händen war. Es war Abend und dunkelte bereits. – Die geschäftige Frau wurde dann und wann in ihrer Arbeit unterbrochen. Man klopfte häufig an den Fensterladen, durch dessen Ritze sich ein schwacher Strahl der Lampe stahl. »Heda, Maddalena, komm heraus!« – »Was soll's?« – »Mamma Rosina läßt Dich rufen; es sind schöne Engländer bei ihr, haben viel Geld.« – »Laß mich zufrieden, ich kann heute nicht.«

»Heda, Maddalena!« – »Ei, was gibt's?« – »Der Herr Superior fragt nach Dir.« – »Laß mich, ich habe keine Zeit.«

»Holla, Maddalena!« – »Ei, um Jesu Willen, wer ist denn schon wieder draußen?« – »Ein Briefchen von dem jungen Leonardo.« – »Gott helf' Euch! Bringt's morgen Abend.« – »Seyd Ihr eingesperrt, Maddalena? Hat Euer Mann, der alte Narr, wieder seine eifersüchtigen Grillen?« – »Gott bessere ihn und Euch; ich bin für Euch heute nicht zu Hause.«

»Ho, ho, Maddalena!« – »Wer da?« – »Matteo.« – »Gleich, guter Junge, laß ich Dich ein.« –

Maddalena öffnete, Matteo schlüpfte ins Haus, eine stämmige Lazaronifigur, ziemlich unbeholfen in modischen Kleidern. – »Was bringst Du, guter Knabe?« – »Der Franzose ist gefangen; er hat sich, während er auf einer Uhr arbeitete, erwischen lassen.« – »Hu, wie ungeschickt! Den muß ein böses Auge angesehen haben. Ich hab' ihm oft gesagt, daß er sich mit solchen Kleinigkeiten nicht mehr abgeben soll. Wir fanden unser Auskommen so gut, und ganz allein von Fremden, ohne die lieben Mitbürger zu betrüben.« – »Wenn der Franzose nur nicht plaudert, Maddalena.« – »Das thut er nicht; er hat zu viel Welt dazu, er ist ein Philosoph.« – »Wenn die Geschichte mit dem Grafen herauskäme … wir kämen auf die Galeere. Du, Maddalena, ins Zuchthaus, und wir Uebrigen auf die Ruderbank. Der Franzose wird sein Geld haben wollen, sonst plaudert er gewiß.« – »Das heben wir ihm auf, mein Junge. Kein Denar soll daran fehlen.« – »Ihr könntet mir wohl ein paar Dukati mehr von der Beute geben, weil ich den dummen Franzosen so vortrefflich fuhr und noch vortrefflicher absetzte.« – »Später, mein Junge; Du sollst nicht vergessen werden.« – »Was bedeuten denn aber die Koffer und die Kisten?« – »Mein Alter will nach Sorrento ziehen, um dem müßigen Gerede auszuweichen. In drei bis vier Tagen ziehen wir dahin. Hole früher Dein Geld.« – »Das will ich. Schade, daß wir uns trennen müssen. Du hast's aber auch zu arg gemacht mit dem Franzosen. Zu viel auf einmal.« – »Nach Hohem strebt eine edle Seele. Geh' aber jetzt; ich höre meinen Alten, und er sieht Dich nicht gern allein bei mir.«

Matteo schwang sich zum Gartenfenster hinaus, während der Mann Maddalena's die Hausthüre öffnete. Er steckte in der Tracht eines Mannes aus dem niedern Volke. Sein Gesicht war mürrisch, hastig sein Gang, und er begann mit schlecht verhaltenem Groll: »Da siehst Du nun, wohin Deine Habsucht uns gebracht hat. Das Abenteuer mit dem Franzosen macht von Neuem Lärm in der Stadt. Hättest Du lieber Dein stilles Handwerk fortgetrieben, wie zuvor, ich trüge noch heute Deine Adressen herum, und wir befänden uns wohl. Aber da fuhr der Donna der alte Tänzerhochmuth durch den Sinn, und sie wollte die große Dame spielen, und ich mußte eine Livree anziehen, und den Bedienten machen, und am Ende beredet sie noch der Gauner, der Henry, auf die Herzogin von Ciceri zu lügen, eine ganze Bande zusammenzubringen, und auf eine Weise zu arbeiten, wozu unsere Mittel nicht hinreichen. Nun sitzen wir in der Christbescherung. Hab' ich darum so oft zur Mutter Gottes gebetet, daß sie uns ja immer zuerst die Fremden zuschicke, die ans Land steigen? Wir sind verloren, wenn wir nicht eilends davon können. Der französische Graf ist wieder hier, sein Bedienter ist wieder da, der Teufel hat alle Täubchen wieder zusammengeführt. Der Betrug ist offenkundig, die Kupplerin Leontine von Casserta schwitzt schon Blut ob einer möglichen Entdeckung. Was aber das Schlimmste ist, Bocchino will Alles gestehen, hat vielleicht schon gestanden.«

– »Was?« schrie Maddalena außer sich, »hat der Schurke nicht den besten Antheil erhalten? Was konnte er sich Besseres wünschen, als die Garderobe des Grafen? Der Spitzbube, der verflucht sey, und vermaledeit seine Aeltern, und vermaledeit alle seine Todten im Fegefeuer! Er hat schon früher Alles verrathen, der Hund, ich wette. Wie käme sonst der Graf aus den Händen der Häscher? Hab' ich ihn nicht in jenem Briefe als einen gefährlichen Menschen bezeichnet, und brauchen unsere Carabinieri mehr, als das? Unser Sohn, der gute Nicolo, der sich als Prinz erstechen ließ und sodann als Polizeibeamter die Beute in Beschlag nahm, der brave Bursche hat uns sicherlich nicht verrathen. Aber Bocchino, Henry, Matteo, Leontine, sie sollen büßen. Hier steht die Chatulle des Grafen, noch unangerührt, hier stehen unsere übrigen Ersparnisse, aber verdammt sey der Carlin, den einer von jenen Spitzbuben von uns erhält. Hast Du ein Schiff, Alter? Ein Schiff nach Sicilien, oder nach Rom, oder Livorno?« – »Ich nicht, Maddalena; wenn Nicolo nicht glücklicher ist, als ich …«

Während dessen klopfte Nicolo und brachte stürmische Freude in die Hütte. Ein Schiffer aus Civitavecchia würde binnen zwei Tagen aus dem Hafen laufen, drei Plätze seyen gemiethet, und mit Tagesanbruch solle man die Effekten an Bord schaffen. – »Gelobt seyen alle Heiligen!« rief das würdige Paar mit dankbar erhobenen Händen, und der Alte setzte hinzu: »Mir ist wieder ganz wohl zu Muthe, denn mir zitterte vor Schergenfurcht der Boden unter den Füßen.«

Da polterte es an der Thüre mit Waffengeräusch, und die Pforte sprang auf. »Die Häscher!« schrien die Schuldigen, und die Männer sprangen aus den Fenstern – in die Hände bewaffneter Soldaten, die das Haus umringten. Maddalena ließ sich, in anständige Ohnmacht versunken, von den Polizeiofficianten festnehmen und lieferte die Schätze ihrer Industrie aus, denn Kerqhanu's und La Brie's Gesichter unter dem Haufen wahrnehmend, hatte die Exherzogin und Extänzerin begriffen, daß ihre Rolle ausgespielt sey. Als das Dreiblatt abgeführt wurde, donnerte vom Castel nuovo der Kanonenschuß, der den Hafen schließt.


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