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Siebentes Kapitel.
Intermezzo im Bädle am 22. September 1848.


Die Vorwürfe, die der Badwirth in seinem Abendbericht dem guten Doktor verkündet hatte, ließen am nächsten Morgen nicht lange auf sich warten. Hinterbein war nicht der Mann, der eine Vernachläßigung ertrug, ohne sie zu rügen. Darum schenkte er auch nicht dem Doktor, nach der ersten freundschaftlichen Begrüßung, die Strafrede, die gleich nach der ersten Tasse Kaffee anhob. »Es ist unbegreiflich,« sagte er mit der finstern Würde, die er bei dergleichen Geplänkel anzunehmen pflegte, »wie in unsern jetzigen Revolutionszeiten die Liebe, die Freundschaft, die Ehrfurcht und die herkömmlichen Rücksichten in der Gesellschaft abnehmen. Zu meinen Zeiten ... da war es ganz anders. Wenn da ein guter Freund, ein Schwager oder so dergleichen geschrieben hatte, daß man einem bestimmten Tage da oder dort von seiner Reise eintreffen würde so war der Adressat richtig auf seinem Platzes und empfing den Ankömmling nach Brauch und Schick, mit aller Freundschaft und Aufmerksamkeit. [194] Heutzutage springt alles über die Schnur, thut ein Jeder eben nur, was ihm beliebt, geht weitläufig spazieren, statt zu Hause zu seyn, und der arme Reisende muß noch froh seyn, wenn das Zusammentreffen in einem Wirthshause verabredet worden ist, sonst fände er nicht nur das leere Nest, sondern auch eine verschlossene Thür. Meine Niedergeschlagenheit können Sie sich nicht vorstellen, Herr Schwager, als ich gestern hören mußte, daß Sie über Stock und Stein gewandert seyen, ohne mir die Ehre Ihres Empfangs zu gönnen. Zwar hab' ich demungeachtet die Nacht hindurch recht brav geschlafen, aber mit mir zugleich ist die bittere Erinnerung an bemeldete Kränkung erwacht und ich frage Sie, womit ich sie verdient habe, diese Kränkung?«

Der Doktor, der seinen Schwager allzugut kannte, um nicht zu wissen, daß der Sprudel seines Unmuths plötzlich in die versöhnlichste Gutmüthigkeit umschlug, wenn man ihm nur ein freundlich Wörtchen gab, entschuldigte sich sanftmüthig, und schob alle Sünde auf sein botanisches Steckenpferd, welches ihn weiter hinausgetragen in die Gebirgswelt, als er es vorgehabt, und auf die Begebenheit im Hirzenbach, die seine Heimkehr noch ferner verzögerte. – Die fragliche Begebenheit sprach den »Plantageur« wenig an, aber da der Schwager Miene machte, seine botanischen Schätze und Findlinge aus Büchse und Portfolio dem Gekränkten vorzukramen und eine wissenschaftliche Abhandlung einzuleiten, so fing Papa Hinterbein an, sich zu fürchten, und reichte schnell die Hand zum Abschluß des lieben Friedens. »Na, na, es soll alles wieder gut seyn;« sagte er lächelnd, und zwickte den Doktor gar brüderlich in [195] das Ohrläppchen: »ich will Ihnen glauben, und vergeben und vergessen. Dagegen berichten Sie mir, wie es zu Freiburg steht. Meine Geschäfte in der Schweiz sind gut ausgefallen; ich bin vergnügt, und das Wetter ist so schön, als man es sich nur wünschen kann. Jetzt nur noch ein paar gute Nachrichten aus der Familie und aus der lieben Heimath, und ich bin mit Freuden dabei, noch den ganzen heutigen Tag hier zu verschlenzen und zu verplempern und erst morgen den Weg nach Hause zu machen, und zwar in Ihrer werthen Gesellschaft, wenn Sie mir die Ehre schenken wollen.« – Der Doktor machte viele Bücklinge, rieb sieh die Hände, und meinte, die Ehre werde ganz auf seiner Seite seyn, und was dergleichen Höflichkeitsschnacken mehr sind. Papa Hinterbein fuhr aber fort: »Geschwinde denn, heraus mit Ihren Neuigkeiten, liebster Schwager. Wie geht es, um bei der Respektsperson anzufangen, wie geht es Ihrer lieben Frau? Was macht ferner Braut Mathilde und Bräutchen Cymbeline? Hat der Verlobte der Erstern, der Sieger von Mailand, seinen Urlaub noch nicht erhalten? Freut sich der Bräutigam der Letztern gehörig auf den fünfzehnten Oktober, der mein Geburtstag ist und sein Hochzeitstag seyn wird? Was macht Herr Alfred, der Vermittler und Friedensstifter bei dem närrischen Liebespärchen, welches vor eitel Zärtlichkeit sich beinahe gekratzt und gebissen hätte? Was treibt endlich die kindische Trine, die langweilige Exrepublikanerin Cornelie?«

Worauf der Doktor sich in Positur setzte, und nach Begehr vermeldete: Meine gute Laura befindet sich wohl und ist gewiß recht dankbar für Dero schätzbare Nachfrage; Mathilde schmaust noch immer an dem lieben [196] Brief, der ihr zu Ende August von ihrem Geliebten geworden, welcher so ruhmreich bei Custozza und Mailand mitgefochten; Cymbeline ist ernsthaft und wortkarg, aber darum nicht weniger in ihrem Innern still beseligt. Der Herr von Wildian muß noch immer seinen Urlaub nicht erhalten haben, denn er ist noch immer nicht angekommen, hat auch nicht ferner geschrieben; der Herr Sekretär dagegen ist fest in Freiburg, und freut sich ohne Zweifel seiner nahen Hochzeit, da er bei unserm vornehmsten Schneider, wie ich aus ganz sicherer Quelle weiß, ein prächtiges Hochzeitgewand für seine Person bestellt hat. Von Herrn Alfred zu sprechen, so ist derselbe vor Kurzem auf sein Gut verreist, wird jedoch pünktlichst am Tag der Hochzeit eintreffen. Von Kathrinchen ist nur zu sagen, daß sie in ihren Kindereien fortmacht, und von Cornelia, daß sie sich vernünftig und gemessen beträgt. So; das ist alles, und alles der Wahrheit gemäß. Und bei dieser Gelegenheit erlauben Sie mir wohl, lieber Schwager, daß ich Sie wegen Ihrer glücklichen Ankunft und der brillanten Gesundheit, welche Sie mitbringen, herzlichst beglückwünsche? –

»Ich danke Ihnen, Doktor;« versetzte Hinterbein, während beide Schwäger einen Spaziergang antraten, um den Vormittag umzubringen: »Es thut mir wohl, daß in meiner Familie und in meinen Geschäften alles sich ordnet, alles sich gut anläßt. Ja, wir hatten zu fürchten, daß eine trübe Zukunft über uns kommen möchte; die Aspekten standen überall schlecht, die Stürme des März drohten Alles zu entwurzeln. Aber, Gott sei Dank, es ist besser gekommen, als wir dachten. In Berlin ist die demokratische Fluth abgelaufen; in [197] Wien sind die Zustände wieder befestigt. In Italien hat die tapfere kaiserliche Armee die gottvergessene Empörung niedergeworfen – hab' ich nicht auf das Haus Oesterreich immer gebaut und getraut? – In unserm gesegneten Ländchen haben die Hessen und Württemberger dasselbe gethan, und die Rebellion hat auf immer ein Ende! Noch zu guter Letzt haben die Jakobiner einen Umsturzversuch zu Frankfurt gemacht ...«

Zu Frankfurt? fragte der Doktor verwundert und neugierig. – »Wissen Sie das noch nicht, lieber Schwager? Ja so, ich besinne mich: Sie sind bereits seit einigen Tagen hier im Eisenbach, und natürlich lesen Sie hier keine Zeitungen, erstens, weil Sie gewöhnlich nicht zu Hause sind, und zweitens, weil überhaupt nur alle Quatember eine Zeitung sich in's Bädle verirrt. In Frankfurt aber ist es heftig drunter und drüber gegangen. – Warum? Das weiß ich so eigentlich nicht – und der Ausgang der schmählichen Revolutionshetze ist wiederum und wiederum ein erbärmlicher gewesen. Die wackern Hessen und andere Oesterreicher von Mainz haben den Aufruhr niederkartätscht, wie ich noch gestern in Schaffhausen gelesen, und jetzt wird's Ruhe geben überall. Wir wollen Ruhe haben, Sapperment! Wozu wären Kanonen und Soldaten auf der Welt? Ruhe also, und damit Amen. Es war ja, bei Gott, in der letzten Zeit, als sollte der Unfriede in allen Verhältnissen eingebürgert werden! Denken Sie nur an die Zerwürfnisse, womit sich meine Cymbeline und der Sekretär geplagt haben! Da hatten sich die beiden Menschen lieb, lieb zum Fressen, und dennoch nichts als Argwohn, Verdächtigung, Selbstquälerei! Sie wissen, bester Doktor, welche Mühe sich Ihre Frau [198] gegeben, wie beschwichtigend ich selber in die Sache eingetreten bin, so wie ich nur konnte, und wie das Alles schier gar nichts half. Ich fürchtete schon, die ganze Heirath würde rückgängig werden; und, Sapperment, welche Schande wäre das vor den Leuten gewesen? Ich hätte freilich meine Cymbel gern als ein ledig Mägdlein bis an mein seliges Ende bei mir – aber, da es nun einmal so ist, so muß die Heirath stattfinden, und wenn alles draufginge. Zum Glück ist der Herr Alfred gekommen, und hat den Leutchen den Kopf zurecht gesetzt. Ich werd' es ihm noch im Grabe danken, und halte große Stücke auf ihn. Jedoch – sind wir nicht von der Politik ganz abgekommen? Wir sind, denke ich, bei den Zeitungen stehen geblieben, und da will ich nur hinzufügen, daß die Zeitungen, wenigstens die wohlfeilen, ganzen abgethan werden sollten. Wer unter hundert Gulden Steuer zahlt, sollte gar keine Zeitung zu lesen kriegen. Was thun denn, Sapperment, die Handwerker und die Bauern, die Kleinbürger, Fabrikarbeiter und Taglöhner mit den Zeitungen, von denen sie nur mit Lug und Trug abgefüttert, nur zum Wirthshaussitzen, zur Liederlichkeit und zum Aufruhr verführt werden? Wenn keine Zeitungen wären, so würden die demokratischen Ratten nicht so flink hin und her springen, und in den Köpfen der Menschheit sich festsetzen. Die Zeitungen allein, und auch die Eisenbahnen, wie schon lang der Nachbar Sattler sagt, sind an allem Uebel schuld. Wiewohl: Ich freue mich selber immer auf die Blätter, wenn ich in's Museum komme; aber ich verdiene auch, sie zu lesen, weil ich ein guter stiller Bürger bin, der sich in der Welt getreulich geplagt, und auch ein bischen Geld [199] vor sich gebracht hat, und deshalb einen Umsturz nicht will und fein bei der Stange bleibt. Ja, Sapperment, ein Bürger, so wie ich, darf freilich in Ruh' und Bequemlichkeit lesen, wie es draußen bei den Türken und Spaniolen zugeht, und wird darum weder seinem Fürsten noch dem Vaterland gefährlich seyn!«

Mit solcher Weisheit verzierte Hinterbein den Vormittag. Und die Schwäger kamen heim in's Bädle, und setzten sich zum Mittagsmahl, und speiseten und tranken mit Maaß und Ziel, unterhielten sich fein von dem Hauptmann Wildian, der nächstens mit Sieg und Ruhm gekrönt aus Italien kommen würde, tranken ihren Kaffee, gingen dann noch einmal spazieren durch Berg und Wald, und kamen noch einmal, da es dämmerte, zum Bädle zurück. Hinterbein, trotz seiner Abneigung vor den Zeitungen, war der Erste, der nach Zeitungen sich erkundigte, und der Badwirth gab ihm eine, am selben Abend angelangte, welche Hinterbein schon lange gelesen; aber dem Doktor überreichte er einen Brief. Hinterbein beneidete seinen Schwager. Der Glückliche! dachte er, – der einen Brief erhält, welcher doch unfehlbar von jüngerm Datum seyn wird, als diese Zeitung von Anno Eins, die ich in der Hand halte! – Noch wußte Papa Hinterbein nicht, daß und wie sehr jener Brief auch ihn anging. Erst nach ein paar Minuten stiller Lesung näherte sich der Doktor seinem Schwager, und sagte ernst und bedeutsam: Ich habe Ihnen aus diesem Schreiben, das von meiner Laura kommt, einiges mitzutheilen, und will Ihnen lieber den ganzen Brief vorlesen, da er die Sachen folgerichtiger darstellt, als mir etwa gelingen möchte. Hören Sie:

[200]

»Mein lieber Sebastian, mein theurer Freund!

Es dünkt mich eine Ewigkeit, seit wir uns nicht mehr geseh'n. Ich hätte nicht geglaubt, daß in meinem Herzen die Sehnsucht nach Dir ...«

– Ich überspringe hier ein paar Zeilen, die für mich allzu schmeichelhaft sind, als daß ich sie Ihnen, lieber Schwager, vorlesen möchte, und gehe gleich zu der fraglichen Sache über:

»Dieser Brief ist übrigens nicht nur eine Liebestaube und ein Seufzer der Sehnsucht; sondern ich melde Dir hiemit eine traurige Nachricht, die ich Dich bitte, meinem Schwager mitzutheilen, wann derselbe bei Dir angelangt seyn wird. Ich ersuche Dich zuvörderst, den Schwager glimpflich auf die schlimme Post vorbereiten zu wollen.

– Was ich hiemit gethan haben will, bester Schwager; erschrecken Sie deßhalb nicht:

»Stelle Dir vor, daß gestern von der Mutter meines Vetters Hugo der Bericht ankam, daß eben dieser arme Vetter, nachdem er Anerkennung und Soldatenehre im höchsten Maaß errungen, von dem Typhus ergriffen worden, und nach kurzem Krankenlager zu Pavia gestorben ist!«

Sapperment! fuhr Hinterbein in der größten Ueberraschung auf: Ist denn das möglich? Steht denn das wirklich in dem Brief? Ei, Sapperment, das hätt' ich mir nicht gedacht! Ich falle ja aus allen sieben Himmeln herunter! Was wird jetzt aus der Heirath werden? Und meine arme Mathilde! Ich will fort, auf der Stelle fort ...!

Bleiben Sie nur vor der Hand da; ermahnte der Doktor: Sie würden die Mathilde ja gar nicht mehr [201] in loco vorfinden ... worauf ich Sie ebenfalls und ergebenst vorbereitet sehen möchte! –

Hier wurde Hinterbein noch viel unruhiger, schnaubte wie ein gefangener Tiger in der Stube hin und her, und rief, die Hände verzweiflungsvoll gen Himmel streckend: Das sind mir schöne Geschichten! Nicht mehr vorfinden? Herr, Sie bringen mich langsam um! Thun Sie's lieber mit einem Schlag, mit einem Schuß, mit einem Knall! Sagen Sie mir lieber gleich, daß Mathilde gestorben, daß sie vor Kummer gestorben!

Da schüttelte der Doktor ruhig den Kopf und meinte mit großem Gleichmuth: Wenn Sie doch nur Geduld hätten! Wenn Sie doch erst hören wollten, was da im Brief steht, ehe Sie höchst unnöthiger Weise verzweifeln! – Nun denn; antwortete Hinterbein trotzig, wenn gleich getrösteter, und setzte sich wieder nieder, verschränkte die Arme auf der Brust, und horchte unbeweglich der weitern Lesung zu, welche Herr Doktor ungestört bis zu Ende führte:

»Das war ein Donnerschlag für die gute Mathilde, für mich, und für uns Alle, indem selbst Kathrinchen dem zu früh verstorbenen Hugo ein paar Thränchen nachweinte! Aber – was soll man zu geschehenen Dingen sagen, die nicht mehr zu ändern sind? Ich nahm mir Lehre und Beispiel an der gottergebenen und christlichen Fassung der unglücklichen Mutter, und stellte dieses Exempel auch unserer trefflichen Mathilde zur Nachfolge auf. Zugleich aber mußte etwas gethan werden, um den herben Schmerz des Augenblicks zu lindern, und ich fand eine Veränderung des Aufenthalts hier sehr am Platz. Um meine gute so tief betrübte Nichte einem Hause zu entführen, worinnen jeder Schritt ihr das Andenken [202] des Verlorenen erneuern mußte, nahm ich die, mir so eben zugegangene Einladung, ein paar Wochen dieses schönen Herbstes bei meiner langjährigen Freundin, der guten alten Frau Valentine in Staufen zuzubringen, an; und gleich nachdem dieses Schreiben geschlossen seyn wird, reisen wir ab. Mathilde läßt sich, von Schmerz gebeugt, wie ein Kind leiten, und folgt mir ohne Bedenken. Die brave Cornelia, die weit mehr Gefühl im Busen trägt, als man gemeiniglich glaubt, hat sich erboten, uns Gesellschaft zu leisten,und ihre Mathilde zu hüten und zu erheitern und zu beschäftigen, so daß meiner lieben Gastfreundin die Betrübniß der armen Braut etwas ferner gerückt und eine erträglichere Last seyn wird. Du wirst, lieber Sebastian, den Umständen Rechnung tragen, und mir die selbstherrliche Ausführung des schnellen Entschlusses verzeihen. Genieße Du indessen Deine kurzen ländlichen Ferien ungestört, komme bald gesund nach Freiburg zurück, wo unser Cymbelchen bis zu meiner Wiederkunft Dir haushalten wird, und erfreue uns einmal in Staufen mit Deinem Besuch. Ich zweifle nicht, daß unser lieber Schwager Dich begleiten werde; er liebt ja seine Mathilde so innig, und sie vergilt ihm diese Neigung so warm, daß der Besuch des Vaters hinreichen wird, die größte Last des Kummers von der Tochter zu nehmen ...«

Die Schlußzeilen überschlage ich, wie ich zumeist den Eingang überschlagen habe; bemerkte der Doktor: Laura schmeichelt mir zu sehr; sie könnte mich stolz machen. Aber, wie nun, Herr Schwager? Sie sitzen ja noch so griesgrämig da, als wäre das Unglück noch größer, als es wirklich ist? Schade um den armen [203] Hauptmann, aber Mathilde ist ja gesund, und die Zeit der geschickteste Doktor auf Erden! – Worauf Hinterbein, den Blick tiefsinnig zu Boden gekehrt, ohne übrigens seine Stellung zu verändern, gleichsam ermattet antwortete: Friede seiner Asche, Ehre seinem Angedenken, und leicht sei ihm die Erde! Es war eben sein Schicksal, und Gott wird mir ja meine Mathilde erhalten! Das soll mir aber eine Warnung seyn, daß ich in Zukunft nicht mehr zögere, wenn es gilt, die Hochzeit meiner Töchter anzuberaumen. Verliebt und verlobt, verlobt und verehelicht – das muß unverzüglich auf einander folgen. Ich werde jetzt kaum den fünfzehnten Oktober erwarten können, an welchem meine Cymbeline unter die Haube kommt! – Aber – fuhr Hinterbein etwas freundlicher zum Doktor fort – nicht wahr, Schwager, wir wollen morgen, sobald der Tag leuchtet, vom Bädle fort? Mein Bartelmä soll brav drauf los fahren, meine Gäule sollen brav laufen ... so können wir am frühen Nachmittag zu Freiburg eintreffen, und auf der Eisenbahn und so weiter noch vor Abend in Staufen seyn! Denn ich habe jetzt nur einen Gedanken, nur eine Begierde: meine Tochter, meine liebe liebe Tochter wiederzusehen! Die Zeit ... ja, die Zeit wird hoffentlich der beste Arzt für das liebe Mädchen seyn. Aber mit alledem ist's ein Unglück, das ich nicht erwartet habe. Meine Geschäfte gingen so gut, obschon ich in diesem Jahre erst so spät meine Reise machen konnte, da ich, wie Sie wissen, nach der Erstürmung von Freiburg ein paar Wochen auf der Fahrt vertrödelt habe, die ich mit meinen Töchtern über Stuttgart und München machte! Alles Uebrige steht jetzt in Deutschland und in Europa so [204] gut! Die Revolution ist allenthalben zu Boden geschlagen, und steht in den nächsten Hundert Jahren nicht mehr auf – und gerade jetzt dieses Unglück! O, ich habe Pech, wie die Studenten sagen! Aber, nicht wahr, noch einmal, lieber Schwager, wir reisen morgen ganz bestimmt?

Nicht sobald hatte der Doktor seine Einwilligung gegeben und zum Schluß ausgerufen: »Meine Laura ist doch ein herrliches Weib! Zum Staunen, wie sie in der Noth die beste Auskunft gefunden hat!« – als der Badwirth hereintrat, und sich mit äußerst verlegenem Gesichte den Herren näherte, hüstelnd, die Hände reibend, und endlich mit ungewisser Stimme beginnend: Aha, die Herren sind hinter dem Brief ... Sie werden's also schon wissen ... werden schon besser unterrichtet seyn als ich ...?

Als der Doktor hierauf lächelnd versetzte: Nun freilich schmeicheln wir uns, besser als Sie zu wissen, was in diesem Briefe steht – aber wie sehen Sie denn aus, Herr Badwirth? Was haben Sie denn auf dem Herzen? – da rückte der Badwirth mit seinen Nachrichten heraus, obschon auf sehr konfuse Weise, indem er sagte: Dem Martin aus der Enge, der mir's bereits gleich nach dem Essen gesagt, dem Martin hab' ich's nicht geglaubt ... der Martin ist ein Revolutzer von Profession ... aber der Briefbote hat dasselbe erzählt, und jetzt kommt auch noch der Hannes von Friedenweiler, und sagt's ebenfalls ...!

Durch diese ganz verwirrte Ansprache waren die Herren in der That neugierig geworden, und namentlich Hinterbein, der eine neue Hiobspost aus seinem [205] Hause und seiner Familie fürchtete, drang mit ungestümen Fragen in den Wirth, der unversehens herausplatzte: Nun, wenn Sie also noch nichts erfahren haben, so will ich Ihnen sagen, daß der Struve gestern in's Land eingebrochen ist, und zu Lörrach die deutsche Republik proklamirt hat. Der Teufel ist im ganzen Oberland los, und für dießmal ist's Ernst, und die Volksmänner haben ihren Kopf aufgesetzt, daß die Republik durchgeh'n soll, und gehe es, wie es wolle!

Auf diese kurze und barsche Meldung hin waren nicht nur im Oberland, sondern ebenfalls im Papa Hinterbein und im Doktor Faust alle böse Geister los. Der Erstere packte den Badwirth an, schüttelte ihn heftig, und schrie auf: »Was? schon wieder eine Revolution, schon wieder die Republik? Herr, sind Sie nüchtern, oder haben Sie einen Rausch und wollen uns bange machen?« – Worauf der Badwirth gekränkt: Ich betrinke mich nie, mein Herr. Was ich da sage, muß wahr seyn, denn der Hannes hat's gesagt, und der ist kein Lügner wie der Martin; und der Briefbote hat auch schon darum gewußt ... und so wünsche ich wohl zu schlafen, meine Herren!

Dem Hinterbein war nicht mit diesem kühlen Bescheid gedient. Er ließ den Badwirth nicht abgehen, und rief heftig: »Was schlafen, was ruhen? Wenn abermals die Republik im Kurs ist, so will ich nach Freiburg, gleich jetzt in der Nacht nach Freiburg! Die Kutsche heraus, die Pferde heraus! Den Bartelmä her, die Rechnung her! in einer Minute will ich schon fort seyn!« – Und der Doktor machte das Echo seines Schwagers, und wiederholte mit vielem Geräusch: »Gäule her, Kutscher her, Rechnung her! me [206] hercle, ich muß Morgen mit Tagesanbruch in Staufen seyn!«

Aber der Badwirth verbeugte sich gelassen und entgegnete geschmeidig: Unmaßgeblich zu bemerken, daß der Kutscher mit Ihrer Erlaubniß, Herr Hinterbein, zu seinem Vetter hinüber nach Oberbränd gegangen und bis dato noch nicht zurück ist ... – »Sapperment! das hatt ich ganz vergessen!« zeterte Hinterbein, schlug sich vor die Stirn, und sank vernichtet auf den Stuhl zurück. Der Doktor hingegen, wie ausgewechselt, trippelte hin und her, und schrie: »Ein Pferd, ein Wägele! ich muß ja fort, bei Gott, zur Eisenbahn muß ich, nach Staufen muß ich ... meine Frau will ich sehen ... sie stirbt mir sonst vor Angst!« – Und wiederum versicherte der Badwirth: Mein Pferd ist fort, Wägele und Knecht sind fort ... und wenn ich den Herren rathen darf, so bleiben Sie fein hier im sichern Eisenbächle, und wagen sich nicht in den republikanischen Sturm hinaus. Der Hannes hat gesagt – und Hannes ist ein ehrenwerther Mann – daß der Struve mit zehntausend Freischärlern auf der Eisenbahn von Schliengen herabkomme ... sie fahren grad' auf Freiburg los ... unfehlbar sind sie jetzt schon dort, und sengen und brennen wollen sie, daß nur der Münster stehen bleiben soll, als ein Zeichen, daß einmal dort eine Stadt gewesen ... denn auf das reiche Freiburg haben sie den Zahn gewetzt, und dießmal muß es gewonnen seyn und untergeh'n!

»O weh, o weh! meine Cymbeline, meine Katharine!« jammerte Papa Hinterbein, und stürmte hinaus – auf sein Schlafgemach. Der Doktor rannte ihm nach, mit dem Klageruf: »O Laura, meine Laura, [207] Laura zu Staufen! Du bist freilich in Sicherheit, wenn auch Freiburg an allen vier Ecken brennt, aber daß ich Deine Sicherheit nicht theilen darf, daß ich nicht bei Dir seyn darf!« Mit diesem Weheruf schloß sich auch der Doktor in seine Kammer ein. – Die Schlafzimmer im Bädle sind klein, und nicht zum Hin- und Hertoben geeignet. Darum suchten die Schwäger baldigst das Bett, und nach manchem Kampf mit phantastischen Schrecknissen und schwarzen Sorgen kam doch endlich der Schlaf der Erschöpfung über sie. Hinterbeins letzter Gedanke an diesem Unglücksabend war: »Wenn ich doch endlich einmal ein Republikaner wäre! Diese Leute haben's doch gut; sie wissen wenigstens immer voraus, wann es losgehen wird, indessen der brave ruhige Bürger, wenn er sich zur Ruhe legt, nicht weiß, ob er lebendig oder todt wieder aufstehen wird. Denn an der Gurgel sitzt ihm stets das Messer, und er schläft, leider Gottes, beständig auf einem Pulverfaß!«

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