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Viertes Kapitel.
Noch einmal ein Sack mit Briefen.


1.
Doktor Faust an Papa Hinterbein.

Meran im Mai 1848.

Vielgeliebter Herr Schwager und Freund!

Mir ist eigentlich nicht um's Schreiben zu thun; indessen will ich es versuchen, obgleich die hiesige schöne Natur gleichsam durch alle Fenster herein schreit: »Komm heraus, bleibe nicht zwischen vier Wänden sitzen, wie ein alter Siebenschläfer, du junger Ehemann du!« – Ich will es versuchen, erstens, weil ich es Ihnen vor meinem Abschied von Freiburg versprochen habe, zweitens, weil sich unsre Reise weiter ausgedehnt hat, und noch ausdehnen wird, als anfänglich mein Plan gewesen. Das Letztere werden Sie mir nicht übel nehmen, wenn Sie sich gefälligst erinnern wollen, daß ich in einen neuen Stand, in eine neue Zunft und Profession getreten bin: nämlich in die eheliche. Diese [82] Profession ist keineswegs so leicht, als man es sich wohl einbildet; und namentlich für einen alten Junggesellen ein sehr kitzliches Handwerk. Ich, für meinen Theil, bin noch ein tappiger Lehrbursche, und kann es höchstens bis zu einem guten Gesellen bringen. Ein solcher muß jedoch der Meisterin blindlings gehorchen, und eben diese Meisterin hat gewünscht, das ist befohlen, daß die Reise länger andaure, und ausgiebiger werde. – Ich fange daher meinen Bericht mit den allerschönsten Grüßen an Sie und Ihre werthe Familie an, und danke noch tausendmal für Dero Gegenwart bei unserer Vermählung, und für das glänzende Frühstück, womit Sie vor unserer Abfahrt unsern Magen gestärkt haben. Wir waren ganz heiterer Laune, und erinnerten uns mit Fröhlichkeit des Herrn Raphael, der für gut gefunden hatte, lieber durchzubrennen, als vor die Klinge sich zu stellen, die übrigens gar nicht mehr vorhanden, indem während unserer Trauung in der ganzen Stadt die Waffen abgesammelt worden waren. Der Bramarbas hätte also füglich in loco bleiben können, ohne für seine Haut zu fürchten – ich schlage mich ohnehin nie – aber mich wundert sein unverhoffter Abzug nicht, seit ich weiß, welch ein Menschenkind er ist. Doch davon später ein Mehreres. –

Wir fuhren also ab, meine herzallerliebste Laura und meine Wenigkeit, und wie begreiflich weinte Laura einige Thränchen, und ich war seelenvergnügt. Die Soldaten waren so gefällig, uns an der Nase anzusehen, daß wir keine Patrioten und Demokraten sind. Unser Lohnkutscher sieht ebenfalls aus, wie ein anständiger Mann, und Meffi-Stoffel, der gutmüthigste aller dummen Teufel, nahm sich in seinem neuen Bedientenrock [83] ordentlich vornehm neben dem Kutscher aus. – Da wir nun einmal aus dem Thore waren, und alle die Fatalitäten hinter uns hatten, die wir ausgestanden, so blühte vor unserer Fantasie ein wunderschöner Frühling auf, und wir meinten, auf allen Wegen und Stegen, auf allen Matten und Halden, sei ein prachtvoller Blumenflor entfaltet, und der Sommer schon nahe vor der Thür. Wir hielten uns die Hände, wir lächelten uns in's Angesicht, wir genirten uns gar nicht mehr wie vor Zeiten. Diese Freiheit im Ehestand lasse ich mir wohlgefallen, obschon die verstohlene Zärtlichkeit durchaus nicht ohne Reiz ist. Auch habe ich mich mit den Hochzeitreisen ziemlich ausgesöhnt. Sie wissen, daß ich sie einst nicht leiden mochte. Mich ärgerte das tolle Stürmen in die Welt hinaus, und sittlicher dünkte mich, in das schon eingerichtete Nestchen einzukriechen, statt auf staubigen Landstraßen und in unbequemen Herbergen die junge eheliche Liebe hausiren zu tragen. Doch macht sich das in der Praxis weit gefälliger, als man glaubt. Von dem Schwarm der Bekannten nicht überlaufen, den ekelhaften Spässen trauriger Witzreißer nicht preisgegeben, rollt das glückliche Paar unbefangen und frei in die Schöpfung hinaus, die ihm freundlich zuzulächeln scheint, und in die Hand der Glücklichen ist ja ohnehin ganz allein die Wahl gelegt, wo sie in ihrem Hochzeitsfluge sich niederlassen und verweilen wollen. – Wir zum Beispiel hatten eine gute Wahl getroffen; indem wir beschlossen hatten, durch das Höllenthal an den Bodensee vorzudringen. Ja! eine solche Höllenfahrt an der Seite der Liebe, laß' ich mir allerdings schon gelten. Mein Urältervater, der Doktor Johannes Faust, magischen [84] Angedenkens, wird es nicht so gut gehabt haben, da er mit seinem Mephistophel zur Hölle fuhr; und mich freut recht sehr, daß in der Welt der Fortschritt so weit gediehen, daß uns der Teufel heutzutage weit galanter holt, als ehedem. – Ich unterbreche mich hier ein bischen, da eben Laura eintritt, und mir, nach Gewohnheit, über die Schultern in den Brief spioniren würde, wenn ich nicht denselben bei Seite legte ... und den Passus von den Höllenfahrten soll sie mir nicht lesen! – –

… Ich fange hier wieder den Text an, und in unserer Reise fort. Wie gesagt, sahen wir Blumen blühen und grüne Kränze wehen, wo wir nur hinschauten; der Himmel über unsern Häuptern stand offen; ob er jedoch voll Geigen hing, weiß ich nicht zu sagen, da ich nur in den blauen Aether der Augen Laura's mich vertiefte. Was da auch von Häusern und Dörfern an der Heerstraße stand, gab uns tausendfältigen Stoff, tausendfältige Beziehungen, unsere Fahrt zu preisen. Da lag die Karthause: wir waren so eben dem Kerkerzwinger, der Karthäusereinsiedelei des hagestolzigen Lebens entronnen! Wir kamen nach Ebnet: war nicht jetzo des Leben vor uns geebnet, ein anmuthiger, glatt dahin führender Pfad? – Von Ebnet nach Zarten: Saß ich nicht, ein glücklicher Gatte, neben der zarten holdseligen Gattin? War nicht die zarteste Zärtlichkeit unsere einzige Empfindung? – Sodann kamen wir gen Burg: eine feste Burg der Treue und des häuslichen Glücks sollte unser Bund immer und ewig seyn! – Was leuchtet uns dort entgegen? Den Meffi-Stoffel schüttelt es auf dem Bock, wie es den Satan schüttelt, wenn er an einem Kruzifix vorbei muß, denn das [85] »Himmelreich«, woraus der Stoffel, wie Sie wissen, schmählich vertrieben worden, liegt vor uns. Wie uns dagegen, uns Selige, das Himmelreich begeisterte, verklärte, dahinriß, können Sie sich denken! – Nun folgte eine ganze Reihe von Häusern längs der Höllenstraße – Häuser, die man sonst gewöhnlich Schenken, Kneipen oder meinetwegen Wirthshäuser nennt, deren Aushängschilder jedoch für uns von großer Bedeutung waren. Zuvörderst die »zwei Tauben«. Waren wir nicht selbst zu vergleichen einem Taubenpaar, wie es in der Poesie und in den bildenden Künsten schon seit dem grauesten Alterthum als ein Symbol der innigsten Liebe gegolten hat? – Dann der »Löwe«: Wir wollten löwenhaft unsern Herd und unsern Hausstand gegen jeglichen Feind vertheidigen. – Das Haus zum »Kreuz«: Nicht unpassend war die Mahnung, auch an das immerhin mögliche Hauskreuz zu denken, welches etwa im Lauf der Tage unser Eheleben heimsuchen dürfte! – Wir gelobten uns, fest wie Stahl und Eisen an einander zu halten, und kutschirten um so getrösteter dem »Adler« entgegen, weil wir selbst uns schmeichelten, dereinst gleichwie auf Adlerschwingen dem himmlischen Paradiese entgegen zu fliegen. – Der Höllenschlund machte uns nicht bange, denn wir wußten schon im voraus, daß dort, wo die Steige nach oben angeht, uns ein milder »Stern« winken würde. Nun verweilten wir zwar auf diesem »Stern« nur so lang, als man braucht, um Vorspann anzulegen und eine Tasse Kaffee zu trinken. – Aber um so geschwinder gewannen wir dann die Höhe, wo uns eine neue Welt umgab: die Welt des Schwarzwalds, heiter, aber noch empfindlich kalt, worüber wir indessen nur lachten, weil durch und durch [86] warm vor Gefühl, vor Empfindung und so allerlei, von dem ein jeder wird reden können, der den kühnen aber belohnenden Schritt, mitten in den Ehestand hinein, gethan hat. – Billig gedenke ich nicht des Hauses zum »Hirschen«, an dem wir vorüberzogen. Dieser Schild interessirte mich nicht, interessirt vielleicht kein bräutliches Paar. Unser Ziel, das Ziel der Tagereise, war ein edleres: Wir wollten einkehren, und kehrten auch wirklich ein im Gasthof zum »Rößl«, welches Rößlein sich für uns zum Pegasus gestaltete, der uns mit fabelhafter Schnelligkeit in den Olymp tragen sollte! Das heißt auf deutsch: wir wollten dort übernachten. – Hier lege ich die Feder nieder, und will ein wenig ausschnaufen. – –

– – Da hätte ich eine vortreffliche Gelegenheit gehabt, einige sehr passende Verse vom Altmeister Göthe aus dem Drama, wozu er die Geschichte des alten Zauberers Faust verarbeitet, anzuführen. Ich kann mir das Vergnügen kaum versagen, aber ich weiß, bester Schwager, wie wenig Sie von der Poesie überhaupt halten, und daß Sie namentlich den Göthe nicht schmecken können. Darum begnüge ich mich, die einfache Thatsache zu melden, daß wir im »Rößle« vortrefflich aufgenommen wurden, und uns darinnen wohlbefanden. Das Haus war für den Augenblick völlig frei von Militär, die ländliche Herberge ist ziemlich bequem, und die Eigenthümer derselben sind liebreiche, wackere Leute. Der Gastwirth sieht aus wie ein Patriarch, seine Gattin, eine sehr angenehme Frau, that, was sie uns nur an den Augen absehen konnte. Kurz: Wir waren zufrieden, und schliefen bis in den hellen Tag hinein. Wir hätten alsdann gern noch einen Ausflug [87] an den romantischen Titisee gemacht, aber die Schöpfung war noch etwas kühl, und wir verlangten heftig, noch bei guter Zeit das Bädle in Eisenbach zu erreichen, wo wir ein Gelübde zu erfüllen hatten. Die Pferde liefen trefflich, der Kutscher war guter Dinge, und Meffi-Stoffel lustig zum Teufelholen, gerade als ob er selber Hochzeit gehalten hätte. Wir tändelten, wir schwebten, wir flogen nach Neustadt. Ach, dort sah alles so kriegerisch aus! Wachtposten überall ... streifende Soldaten allenthalben. Wie hätte unsere stille Beglückung sich in dem martialischen Gewimmel gefallen können? Hinaus, hinaus mit aller Schnelligkeit! Wir athmeten erst frei, da wir durch den Wald zum »Höchst« hinandämmerten, zum Theil zu Fuße wandelnd, Arm in Arm, liebevoll vereint. O, daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!

Den Weg zum Bädle hinunter kennt der Herr Schwager; darum nichts davon. Ebenfalls nichts von dem Empfang, der uns im Badhause geworden. Er war freundlich, wie immer, aber auch verwunderungsvoll, da um jene frühe Jahreszeit das Eisenbächle nicht gewohnt ist, Gäste wie wir zu sehen. – Wahr ist es: wir staunten selbst über den tiefen Schlaf, worinnen Mutter Natur in jenem Thale noch befangen war. Wo waren sie hingekommen, jene prächtigen Sonnenblumen, welche das Badgärtlein so goldig verklärten? Wohin war geschwunden der rothe Schmuck der Vogelbeerbäume, der so heiter aus dem Grün hervorleuchtete? Noch war keine Blume von irgend einer Bedeutung aufgegangen, noch streckten die Bäume ihre entlaubten Zweige kalt und trostlos in die Luft. – Aber ... die Gallerie war noch da, unter deren schützendem Dach [88] Laura und Faust den ersten Kuß gewechselt hatten – ich darf Ihnen das jetzt gestehen, bester Schwager, obschon meine Wangen noch heute darob schamröthlich entbrennen – und, das gethane Gelöbniß zu erfüllen, mußte die Umarmung jetzo von dem glücklichen Paar wiederholt werden, an derselben Stelle, wenn auch nicht zur selben Stunde! – Ich mache hier wieder eine Pause, obschon ich nicht wenig begierig wäre, ein braves Stück von einem römischen Dichter, dem liebeserfahrenen Ovidius Naso, einzuschalten; doch hab' ich mir gemerkt, daß Herr Schwager auf die Latinität nicht viel geben, und bescheide mich. – –

– – War die Vorkost süß gewesen, so war ebenfalls nicht zu verachten, was die Tafel des Badhauses uns zu kosten brachte. Die Köchin hatte Wunder verrichtet; Lisabeth war die gefälligste Aufmerksamkeit ... Die Weiber wissen nicht, was sie beginnen sollen, um ein junges Brautpaar würdig zu verpflegen! Der Badwirth leistete uns erheiternde Gesellschaft, und aus einer bestaubten Champagnerflasche gewann Laura – ich sag' es Ihnen nur unter vier Augen – ein äußerst liebenswürdiges Zöpflein und ich selbst war endlich schwärmerisch angerissen, so daß wir die Kutsche vorausfahren ließen und ein gut Stück Weges nach dem Hammer hinunter durch den Wald spazierten. Ach, der liebliche Braunsteinweg! Wie konnte ich da meiner Laura jeden Kloß, jeden Stein zeigen, worauf ich im letzten Sommer, auf diesem meinem Lieblingspfade, so oft gesessen, und geträumt von meiner Liebe!! Auch machten wir unter'm Schutz der immergrünen Nadelhölzer manche hübsche botanische Beute, die ich Ihnen auf's getreueste nach Linnäus vorzählen würde, wenn Sie, geliebter Schwager, nicht [89] einen, zwar unbegreiflichen, aber nichtsdestoweniger unüberwindlichen Widerwillen gegen alle Botanik zur Schau trügen. – Ich bescheide mich also auch hier, und erzähle nur, daß wir frisch und fröhlich im Hammer anlangten, von wannen wir ohne Aufenthalt nach Donaueschingen zu fahren vorhatten. Allein: Des Menschen Vorsätze sind nichtig! – Die Hammerwirthin, vom letzten Sommer her eine gute Freundin meines lieben Weibchens, setzte demselben eine kleine Stechmücke in's Ohr ... ich sage »Stechmücke«, um mich nicht trivialer ausdrücken zu müssen ... indem sie meiner Laura erzählte, daß jenes sogenannte Donaueschingen von Truppen überfüllt, und ein ruhiges Nachtquartier dort nicht zu erwarten sei. Mir graute zwar vor solchen Aussichten, – welcher junge Ehemann wird auch gern mit seiner holden Gattin die Nacht in einer Kaserne verbringen –? Aber ich konnte noch nicht zu einem Worte kommen, als schon Laura sagte: »So bleiben wir hier, Sebastian!« Ich hätte noch gern überlegt, abgewogen, ausgerechnet, abgezirkelt ... aber alsobald erfolgte Laura's Befehl: »Wir bleiben bei Ihnen, Frau Wirthin!« Das war der Spruch der Meisterin, und dagegen hätte ja selbst der Geselle nichts haben dürfen, viel weniger der Lehrbube! – So unterwarf ich mich in Geduld, und machte stille Betrachtungen über die Freiheiten des Junggesellenstandes, den ehelichen Rechten und Pflichten gegenüber. –

Am andern Morgen war schon wieder etwas andres los! Meiner Laura war eingefallen, daß wir ja noch immer frühzeitig genug nach Donaueschingen und so weiter gen Konstanz kommen würden, und sie sagte mit liebenswürdiger Zuversicht und Bestimmtheit zu mir: [90] »Wir wollen heute gleichsam eine Spazierfahrt machen, und das gute Annele im Hirzenbach besuchen. Ich hab' es dem Mädchen so halb und halb versprochen, und bin sehr neugierig, zu erfahren, wie es dem Leuenwirth und seiner Tochter bisher ergangen.« – Ich erlaubte mir nur, ergebenst zu bemerken, daß ich den Kutscher fragen würde, ob dieser Abstecher in den Hirzenbach ohne allzugroßen Verlust an Zeit und ohne Störung unsers Miethvertrags würde vor sich gehen können? Aber meine Laura hatte schon die Antwort bereit, indem sie sagte: »Ich habe bereits mit dem Kutscher gesprochen. Es ist alles in Ordnung; ein paar Tage hin oder her, ein paar Gulden mehr oder weniger; das hat nichts auf sich, und wird Dir nicht mißfällig seyn, wenn es darauf ankömmt, mir eine Freude zu machen? Nicht wahr, mein lieber Sebastian?« Schon wieder die Meisterin! Ich frage Sie, Herr Schwager, der Sie doch vor Zeiten gleichfalls verheirathet waren, ob Sie unempfindlich gewesen sind gegen ein süßes Kommando wie dieses, begleitet von Lächeln, von verführerischen Blicken, von Händedruck und Backenstreicheln? Ach, wir sind armselige Leute, wir stolze Mannsbilder! Aber wir sind's einmal, und die Liebe – der Frauen, Notabene – die Liebe kann Alles, setzt Alles durch.

So auch die Fahrt nach dem Hirzenbach, welche gar nicht unlustig über Berg und Thal, an grünen Matten vorüber und durch feierlich düstere Wälder über den Sommerberg führt. Zu bemerken indessen, daß just auf dem Berg des Sommers noch ziemlich Schnee zu finden war, den besonders an einer gewissen gefährlichen Stelle der Wind dergestalt zusammen geweht hatte, daß wir [91] es geradezu auf das Umwerfen ankommen lassen mußten, um hinüber zu gelangen. Ich zitterte nicht wenig für mein Genick und für meines Weibchens Schwanenhals, auch sprach ich nach überstandener Gefahr einige zarte Vorwürfe aus ...; aber Laura meinte lächelnd, daß glückliche Eheleute von einem besondern Schutzengel überwacht seien, und daß im schlimmsten Falle das Halsbrechen, Arm in Arm mit dem Geliebten, ein beneidenswerther Tod seyn müsse. – Galanterweise war dagegen nichts zu sagen und so schwieg ich denn wie billig, und dankte schweigend dem Himmel, daß er den höllischen Meffi-Stoffel, der mit seinen breiten Schultern Achse und Rad unsers Wagens aus dem Schneewust gehoben, uns zum Schutzgeist bestellt habe. –

Item: Wir kamen im Hirzenbach an, und das Leuenwirthshaus war leicht zu finden, weil das stattlichste Gebäude in dem Zinken, und mit einem Löwenschild versehen, so an Größe und Augenfälligkeit schwer zu übertreffen. Unsere Ankehr verursachte viel Lärm in dem Hause. Alle Bewohner desselben kamen uns ehrerbietig entgegen. Ich glaube, daß in dem »Leuen« zu Hirzenbach noch gar nie ein Doktor eingekehrt seyn mag – wenn man etwa den Bartkratzer von Heurlingen ausnimmt, der den Doktortitel, wie alle Pfuscher Seines-gleichen, dumm und frech anspricht – und noch viel weniger ein Ehepaar aus der Kreishauptstadt, auf seiner Hochzeitreise. Doch müßte ich lügen, wenn ich nicht zugeben wollte, daß in selbigem »Leuen« alles in der besten Ordnung und für die Gäste wohl gesorgt sei. Den Wirth und seine Tochter kennen Sie, liebster Schwager; die Frau Wirthin ist wo möglich noch freundlicher und verständiger als ihr Eheherr und das Annele. [92] Wahrhaftig: eine brave und wackere Familie, wie diese da, habe ich auf dem Lande noch nicht gefunden. Das ist unter einander eine Herzlichkeit, eine Liebe, die uns bis in die Seele hinein wohlgethan hat. Wir haben gleich am Mittagstisch, wo die Familie zu uns saß, sehr erheiternde Augenblicke verlebt, und es war Schade, daß sich noch ein Gast einfand, der die Geselligkeit beträchtlich störte, und, wie ich glaube, Niemanden erwünscht kam. Ich für mein Theil beschaute mir ihn, wie irgend ein seltenes Insekt, und hätte mich vielleicht mit ihm belustigt, wenn er nicht in so abgeschmackte Reden gefallen wäre, die mir gründlich widerstanden. Wie kann man nur so dick und ausgefressen seyn, und dennoch immer das Maul voll nehmen mit Kasteiungen, Fleischesabtödtung, Klosterzucht und Ehelosigkeit? Wie kann man so tapfer essen und noch tapferer trinken, wenn man zugleich Fasten und Buße predigt, und mit Hölle, Sodom und Gomorrha ohne Aufhören um sich wirft?

Doch habe ich ganz vergessen, Ihnen zu bemerken, daß der Mann, von dem ich da rede, seines Zeichens ein Pfarrer oder Pfarrverweser ist, der in Heurlingen seinen Sitz hat, und ein Prophet und Wunderthäter zu seyn vorgibt. Ich sage Ihnen: der Pfaffe hat ein Maul wie ein Schwert. Er hat uns mit seinen Voraussagungen ganz schwindlich gemacht. Der Wirth und die Seinigen schienen des Dings da gewohnt zu sein; der Wirth gähnte verstohlen vor sich hin, die Wirthin schloß die Augen als ob sie schliefe, und Annele, die da roth geworden war wie Scharlach, sobald der geistliche Herr in seinen Lieblingstext verfallen, lief endlich unter irgend einem Vorwand davon. Nun wissen Sie, [93] bester Schwager, wie es die Weiber bei solchen Anlässen machen. Sie laufen einander nach; damit will ich sagen, daß auch Laura bald verschwand, und die Wirthin folgte ihr schleunig nach. – Da saßen wir Männer noch allein beisammen, und der Pfaffe Waldo wurde nicht müde, uns zu betheuern, daß der blutige Ostertag in Freiburg nur ein ganz geringes Vorspiel von derjenigen Bluttaufe sei, die binnen Kurzem über ganz Deutschland, ja über ganz Europa verhängt seyn werde. Mord, Krieg, Brand und Pestilenz in den größten Proportionen seyen das wenigste, das kommen müsse, um die wenigen überbleibenden Menschen durch die tiefste Erniedrigung, Armuth und Verzweiflung wieder auf die Spur der Tugend und der Religion zu führen. Dann erst (wenn also beinahe kein Mensch mehr auf Erden) werde das Menschengeschlecht sich wieder unaussprechlich glücklich fühlen, und das tausendjährige Reich kommen, und gleich hinterher das Ende der Welt. Dann hätten alle armen Seelen natürlich Ruhe und Frieden, in Ewigkeit, Amen. –

Ich wußte nicht, lieber Schwager, ob ich dem Kerl unter die gleisnerischen Augen lachen sollte, oder ob es besser wäre, ihm gleich mit gebührender Entrüstung die Rede zu verbieten. Aus Liebe zum Frieden that ich indessen weder das eine noch das andere, und langweilte mich entsetzlich, bis der schwarze Herr darauf kam, uns gar unbefangen zu erzählen, wie er von Gott die Gabe der Wunderthätigkeit empfangen, und wie ihn eine gewisse fromme »Schläferin« Cösteline aus der Nachbarschaft zum Propheten gemacht habe. Das war nun Wasser auf meine Mühle; ich bin nicht umsonst den Naturwissenschaften vollkommen ergeben. [94] Nun ist aber eine Hellseherin jedenfalls eine interessante Erscheinung, und selbst wenn die ganze Pastete nur auf eine Betrügerei hinauslaufen sollte, für den Psychologen ein anziehendes und lehrreiches Studium. Ich beschloß daher, die Spelunke jener »Schläferin«, da sie in der Nähe, aufzusuchen. – Mittlerweile wurde der Pfarrer von irgend einer Weibsperson, welcher er vielleicht den Kropf kuriren sollte, abgerufen, und der Leuenwirth schnaufte sichtlich erleichtert auf. Dabei sagte er mit bedenklichem Kopfschütteln: »Wenn doch nur der geistliche Herr aus meinem Hause wegbliebe! Ich kann ihm wahrhaftig die Thüre nicht weisen, aber er könnte doch allgemach merken, daß er uns nicht geschickt komme. Allen Respect vor der Geistlichkeit, aber die Reden des Herrn Pfarrverwesers kaufe ich nicht theuer, schenkte sie ihm wohl ganz und gar. Wenn die bösen Zeiten wirklich kommen, so dürfte wohl der Hirt seiner Heerde Muth einsprechen, und Gottvertrauen predigen, statt ihr die Hölle erst recht heiß zu machen, und als ihr Endziel unausbleiblich das Verderben und die Verdammniß hinzustellen. Glauben Sie mir, Herr Doktor, wenn ich und mein Weib und mein Kind nicht so fest zusammen hielten, wenn wir uns nicht so besonnen zusammen nähmen, der hochwürdige Herr hätte bereits Unkraut unter unsern Waizen gesäet und eine gewaltige Kluft zwischen uns und das Annele gerissen!«

Er konnte mir nicht mehr mittheilen, da eben die Weiber wieder herein kamen; das Annele, wie ich meine, in aufgeregtem Zustand. – Da mir nun Laura andeutete, daß ihr angenehm sein würde, im Leuen über Nacht zu bleiben, so durfte ich freilich nichts dagegen haben; aber ich erlaubte mir, vorzuschlagen, an demsel [95]ben Nachmittag zum Zeitvertreib jene kuriose »Schläferin« zu besuchen und zu inspiziren. Da kam ich aber schön an! Laura schlug mir das rund ab. Auf meine bescheidene Frage nach dem Grunde wurde mir nur die kurze Erklärung, daß Laura sich jetzo nicht erklären könne, und daß sie ihre Erklärung auf unsere Weiterreise verschiebe. – Was war da zu sagen? Ich mußte froh sein, daß ich die Erlaubniß bekam, mich in Gesellschaft des »Leuenwirths« zu meiner Ergötzlichkeit in der Umgebung umzuschauen, während mein Weibchen mit Annele und deren Mutter im Hause und im Garten, in Stall und Feldern Musterung hielt. – Auf dem Schlendrian vergingen mir allerdings ein paar Stunden leidlich, die ich ansonst in größerer Langweile hätte verbringen müssen, weil ohne Bücher, ohne Pflanzenbüchse und ohne Gattin. Aber, – me hercle – was ist mit einem Kaffer anzufangen, selbst wenn er ein Edelkaffer ist? Das spricht von Heu und Oehmd, von Haber und Kartoffeln, von Schwein und Rind und Dünger, und damit gut. Wohl zeigte mir der »Leuenwirth« von ferne das neugeflickte Dach des alten Klosters, worinnen jene Cösteline ihre Schläfchen hält; ging aber auf den Text nicht weiter ein, obgleich ich ihm verfängliche Fragen stellte. Ueber einen mäßigen Hügel hinwandernd, kamen wir auch nach dem Dorfe Heurlingen, woselbst der »Leuenwirth« aus kollegialischer Rücksicht im Wirthshause einkneipte, und mich wie ein Wunderthier zur Schau führte. Die paar Bauern, die da herumsaßen, staunten mich in Wirklichkeit wie ein Kameel an. Ein Herr aus Freiburg mochte ihnen vielleicht in loco noch nicht geboten worden sein! Unter ihnen hockte ein ältlicher Mann, der passabel blödsinnig [96] aussah und das Auge nicht von uns verwendete. Unbemerkt auf ihn deutend sagte mir der »Leuenwirth«: »Jener Mann, oder sein Sohn vielmehr, hätten auch beinahe mein Haus in großes Unglück gebracht.« – Nun hoffte ich, auf dem Rückweg nach dem Hirzenbach etwas von dem genannten Unglück zu vernehmen, war auch sehr neugierig darauf ... aber es wurde nichts daraus. Unterwegs schloß sich an den Leuenwirth ein Viehtreiber an, und da war natürlich nur wiederum von Rind und Schwein die Rede. Indessen sah ich im Dorfe noch eine ältere Bekanntin, die aus einem Fenster schaute, und dem obenhingrüßenden »Leuenwirth« verdrossen dankte, aber mir um so freundlicher zunickte. Jedoch ... Ich frage mich jetzt selber, warum ich wohl so thöricht bin und dem Herrn Schwager von Leuten vorfable, die der Herr Schwager in seinem Leben nicht gesehen hat, und mit denen ich auch nur im Bädle zu Eisenbach ganz oberflächlich bekannt geworden bin? Ich meine hier die Frau des Metzger-Thoma, die zwar noch eine recht hübsche Person ist – unter vier Augen gesagt, damit meine Laura davon nichts erfährt – die aber auch eine böse Hausfrau seyn soll, wovon jener blödsinnig aussehende Mann, der Metzger-Thoma in Person, zu reden weiß, wie man versichert. – Laura weiß von diesen Leuten allerdings mehr als ich, und nähere Berichte werden bei unserer Wiederkehr nach Freiburg dem Herrn Schwager nicht fehlen. Jetzo fällt mir leider die Feder aus der Hand, und ich werde das Briefschreiben wohl einige Tage aufstecken müssen, weil mein liebes Weibchen die unbezwingliche Sehnsucht hat, einen Blick nach Italien hinüber zu thun ... gleichsam wie in das gelobte Land; in welchem aller [97]dings zu dieser Frist für Deutsche nicht viel angenehmes zu erwarten ... was will ich indessen machen? Bin ich nicht dazu berufen und bestellt, als ein zum Ehemann beförderter Jüngling die Sehnsuchten meines Weibchens zu stillen? – –

(Gleich den Tag darauf.)

Es gibt zweierlei verdrießliche Dinge in der Welt, welche letztere an sich schon voll von schlimmen Erfahrungen. Erstens: daß man gerade nur den Augenblick für sich hat, und immer nicht weiß, was der kommende Tag bringt; zweitens, daß man selbst im reifen Alter immer noch bei der Hand ist, wenn es gilt, neue schlimme Gewohnheiten anzunehmen. Zu Nummer 1 habe ich anzuführen, daß schon gestern Abend unser Ausflug nach Italien eine Unwahrheit und zu Wasser geworden ist. Nicht etwa, als ob ein starkes Regenwetter eingefallen wäre – im Gegentheil glänzt der Himmel im schönsten Blau hernieder – aber die Straße über das Stilffer Joch war nicht geheuer. Man redete von allerhand wälschen Banden, die sich dort oben herum treiben sollen, und heute Morgen haben sich mehrere Kompagnieen von den Landesschützen aufgemacht, um den Berg von dem Gesindel zu säubern. Natürlich wollte Laura unter solchen Umständen die Reise nicht antreten, was ich vollkommen billigte, und so sind wir hier geblieben. – Zu Nummer 2 bemerke ich, was Herr Schwager selbst bemerken, daß ich mich wieder an den Brief gesetzt habe, um noch ein erkleckliches Stück an den himmellangen Brief zu schweißen; was eben eine große, erst in neuester Zeit von mir angenommene Untugend ist. Früher habe ich nichts als kurze Zettelchen geschrieben, und heute finde ich [98] meiner Epistel kein Ende. Geduld also, lieber Herr Schwager; ich will es gleichwohl kurz machen. – Also: Im Leuen gut ausgeschlafen, setzten wir des andern Tages unsern Stab zweispännig fort. Im Fahren ... doch halt! ich vergaß, zu sagen, daß vor dem Abfahren mir ein Bursche unter den Augen vorbeilief, den ich kannte, und auch nicht kannte, wie man will. Er fiel mir auf, aber ich wußte nicht, wie man im gemeinen Leben sagt, wo ich ihn hinthun sollte. Im Fahren also sprach meine Laura: Hast du jenen Menschen gesehen? (Wir duzen uns schon nachhaltig, wie Herr Schwager sehen). Kennst du ihn nicht mehr? – »Daß ich nicht wüßte;« erwiederte ich hierauf. – Und Laura hob an zu erzählen, daß jener Bursche im Hinterbeinischen Hause als Freischärler einquartirt gewesen, wo ich ihn also auch gesehen, und woselbst er sich vollkommen gut aufgeführt. Sie erinnern sich vielleicht des Menschen, und werden mit Interesse erfahren, aber auch mit christlicher Liebe verschweigen, daß ihn der Leuenwirth wegen einiger geleisteten guten Dienste als Metzgerknecht bei sich aufgenommen. Die hübsche Annele hat das meiner Laura im strengsten Vertrauen erzählt. Bei dieser Gelegenheit hörte ich von meinem Weibchen, daß jenes Annele den schon genannten Pfarrverweser nicht ausstehen könne, und daß ihre Eltern darinnen mit ihr übereinstimmen; was mir gefällt, denn ich stimme auch mit überein und kann den Herrn Waldo ebenfalls nicht leiden. Das Annele hat nämlich eine Liebesgeschichte mit einem gewissen Lenhard oder Linhard gehabt, und derselbige Lenhard hat wiederum eine Liebesgeschichte mit seiner Stiefmutter gehabt, und darüber ist der Mensch aus dem Ort, und die Lieb [99]schaft zwischen ihm und dem Annele auseinander gegangen. Da hat sich der Waldo auf den Pfaffengaul gesetzt – er mag wohl wissen, daß der Leuenwirth ein reicher Mann und Annele sein einzig Kind – und hat die letztere Jungfer zu seiner »Schläferin« geführt, und diese hat dem Mädchen allen Jammer prophezeit, wenn es jemals mit irgend Jemand in den Stand der heiligen Ehe treten würde; ledigbleiben sei das größte Glück, und der Himmel sehe freundlich dazu. Nur im Stand der Jungfrauschaft könne man hoffen, selig zu werden und Gottes Angesicht zu schauen. Könne man dann noch der Kirche und andern frommen Stiftungen ein braves Stück Geld vermachen, so habe man noch am besten für sich gesorgt, und werde nahezu ein Engel oder gar ein Erzengel werden. – Was die »Schläferin« gleichsam nur angedeutet, hat dem Annele schon seit langen Wochen und Monaten der Waldo weitläufig auseinander gesetzt, und alle Tage – denn er kommt tagtäglich in den Leuen – lauft der hochwürdige Herr beharrlich Sturm auf die Seele des Mädchens und auf die Opferwilligkeit der Eltern, um es dahin zu bringen, daß Annele in's Kloster gehe, und des Leuenwirths Vermögen in den großen Pfaffensack falle. – Darum hatte auch Laura, die bereits von den Weibern unterrichtet, gegen mein Vorhaben, die saubere »Schläferin« zu besuchen, protestirt, weil gefürchtet, jene Person dürfte etwa uns gegenüber die Junggesellenschaft preisen, wie sie es gewohnt ist, und mir vielleicht das Eheleben verleiden. Das hätte nun zwar keine Gefahr gehabt; immerhin jedoch bin ich meinem braven Weibchen Dank schuldig, daß es mich von dem Possenspiel fern gehalten! Der Leuenwirth und Annele werden ihrerseits den [100] Umtrieben des Pfarrverwesers schon ein Ziel setzen, und die reiche Erbschaft ihm aus den Klauen räumen. – So; jetzt bin ich mit den Geschichten aus dem Hirzenbach fertig. Jetzt geht mein Rößlein flinker voran. – Herr Schwager wissen vielleicht, wie es zur Nachtzeit in Donaueschingen ausschaut. Dunkel, sehr dunkel; darauf gebe ich mein Ehrenwort. Was lag indessen uns am Laternenlicht und andern Aufklärungsmitteln? Gut schlafen läßt sich's in genannter Residenz, die jedoch im Augenblick keine Residenz mehr ist. – Herr Schwager sind wohl auch kein fremder Gast in Konstanz? Dieses vorausgesetzt, bescheide ich mich und rede nicht ein Silbchen von dem schwäbischen Meer und von den überherrlichen Schweizeralpen, die meiner Laura jedoch so gewaltig in's Auge stachen, daß sie stehenden Fußes in die Schweiz hinüber wollte. Ganz umsonst war's, daß ich ihr in das Gedächtniß rief, wie unserer Hochzeitreise Plan eigentlich beschaffen gewesen. Weiter als bis nach Konstanz sollte sie ja nicht ausgedehnt, und nach kurzem Aufenthalt in dort wieder zurück nach Freiburg gerichtet werden. Half alles nichts. »Wir sind frei, glücklich, mit Gelde versehen, und wollen unsere Freiheit genießen, unsers Glückes uns freuen, und unser Geld ausgeben, denn die schöne Zeit kehrt vielleicht nimmer wieder!« Also sprach die Meisterin, und der Lehrjunge that wie gewöhnlich. Wir gingen demnach gen St. Gallen, wollten von dort Appenzell besuchen. Weiß nicht, wie sich's machte, daß Laura in dort plötzlich großen Appetit nach Tirol bekam. Auf einmal war's ihr in der Schweiz zu kalt, und sie sehnte sich nach den milden Lüften von Meran. Was konnte dagegen gesagt werden? Kalt war's in der That; [101] ich selber hatte schon viel gelesen und gehört von dem warmen lieblichen Etschland; ich hatte vor wenigen Tagen erst meiner Gattin am Altar Treue und Gehorsam geschworen ...; ich hoffte, in jenen gesegneten Gefilden meine Pflanzenvorräthe und Insektensammlung nicht unbedeutend zu bereichern ... und also Amen! Das einzige, das ich mir noch herausnahm, um das Befehlsrecht des Eheherrn zu retten, war, daß ich mir eine kurze Bedenkzeit ausbat, die mir allerdings von Laura, aber nur unter der Bedingung bewilligt wurde, daß ich jedenfalls ihrem Wunsch Genüge leistete. So bedachte ich mich denn eine halbe Stunde lang auf einem einsamen Spaziergange durch die Stadt, und wollte eben nach Hause kehren, um laut zu sagen, was ich schon bei'm Fortgehen hätte sagen können, nämlich»Ja«. Da begegnete mir eine Person, die, wenn ich je Bedenklichkeiten vor der Abreise gehabt hätte, – welche, ich sage, alle diese Bedenklichkeiten ohne weiteres hinweggeräumt haben würde. Kommt mir ein Mensch entgegen in einer wunderlich zusammengewürfelten Kleidung, wie ich sie etwa nur einmal in meinem Leben gesehen habe, und zwar in Ihrem Hause, liebster Herr Schwager, und zwar an dem sogenannten Rentner Raphael, auf den ich gleich zurückkommen werde. Obige Person, ein Mannsbild, rennt an einer Straßenecke Nase an Nase mit mir zusammen und sagt impertinent, wie jeder Zeit bei ihr bräuchlich: »Guten Tag, Bürger Faust! Was machen Sie in der freien Schweiz?« – War das, lieber Schwager, Ihr – ach, nun auch mein Vetter, der gewisse Titus, der in der jüngsten Zeit unserer ganzen Familie so viel Freude gemacht hat! – Der Junge muß Siebenmeilenstiefel an den [102] Füßen gehabt haben, da er schon so bald auf der sichern Erde von St. Gallen eingetroffen war. Sah im Gesichte ziemlich abgehärmt aus, regte mein Mitgefühl, nicht unbedeutend an und veranlaßte mich, während ich ihm mittheilte, warum ich nach der Schweiz gekommen, in der Tasche nach dem Geldbeutel herumzugreifen, um einen Zehrpfennig zu spendiren. Der Kerl ist jedoch nicht dumm, weit gefehlt ...; mit glotzigen Augen schaut er mich an, verzieht das Maul zum Lachen, und sagt humoristisch, zugleich etwas hoffärtig: »Lassen Sie stecken, Bürger Faust. Ich brauche nichts von Ihnen. Meine Freunde lassen mich nicht sitzen, und ein braver aufrichtiger Republikaner findet Freunde überall, und sie fehlen ihm, so Gott will, am wenigsten im Freistaat selber. Der Geldsack ist nun auch hier in der Schweiz eben kein sonderlicher Freiheitsmann, und seine Thaler sind ihm mindestens so lieb, als die ganze Eidgenossenschaft mit Haut und Haar; dennoch muß der Geldsack selbst dergleichen thun, als interessire er sich für die Märtyrer der Freiheit. Ich werde also hier schon durchkommen und aus dem Vaterlande fließen auch schon die Unterstützungsquellen. Daher bin ich im Stande, eine heilige Schuld zurückzuzahlen, die ich in Freiburg kontrahirt habe. Sie können mir, Bürger Faust, einen kleinen Gefallen dabei erzeigen, wenn Sie mir ein kleines Päckchen bei Ihrer Heimkehr besorgen wollen?« – Ich erkläre mich bereit, insofern als er mir das Päckchen binnen einer Stunde in mein Gasthaus schicken würde, und füge noch allerlei geeignete Redensarten hinzu, welche das Gewissen des verkommenen Jünglings aufstacheln sollten. Jedoch hätte ich mit dem Montblanc mit mehr Erfolg geredet. Die [103] wildeste Felsenwand würde mir ein Echo gespendet haben; bei diesem ungezogenen Menschen aber war nichts dergleichen zu finden. Im Gegentheil wurde er nach und nach grob, gab mir zu verstehen, daß ich meine altväterischen Ermahnungen getrost für mich behalten könne, und daß ich von den Anforderungen der Zeit den blauen Teufel wisse. Die Freiheitsmänner würden in ein paar Monaten ihren Schild abermals erheben, und alsdann mit der Zwingherrschaft und deren Söldnern von Grund aus fertig werden. Was einmal angefangen, müsse zu Ende geführt seyn, ... und was des abenteuerlichen Geschwätzes noch mehr, womit ich den Herrn Schwager ungeschoren lasse. Ich will nur beifügen, daß unter anderm der Vetter sagte, er werde im nächsten Aufstand in Baden allen seinen Gegnern Rechnung tragen: besonders dem Herrn Raphael, der sich unterstanden, ihm bei Ihrer Cornelia ein Bein zu stellen! Und bei dieser Gelegenheit erfuhr ich zu meinem Erstaunen, so wie auch ohne Zweifel zu dem Ihrigen, daß jener vorgebliche Rentier und Kapitalist nichts weniger als das, sondern ein ganz gewöhnlicher Schauspieler, sage »Comödiant« sei, den ein Bekannter des Titus auf einem kleinen Theater in der Umgebung von Frankfurt die Heldenrollen habe agiren sehen. – Was sagen nun Herr Schwager dazu? Ich scheine wenigstens eine Ahnung von dem Handwerk des Musje Raphael gehabt zu haben, da ich ihm den bewußten »Hanswurst« gestürzt habe. Ein Näheres hierüber bei meiner Heimkunft. – –

Begreiflich, daß Laura und ich, den Vetter Titus in der Stadt wissend, keinen Augenblick über die unberaumte Stunde hinaus verloren, sondern rüstig nach [104] Tirol aufbrachen. Titus hatte wirklich das fragliche Päckchen gebracht, und mich versichert, ich würde binnen kurzer Zeit nicht nur von ihm hören, sondern ihn sehen von Angesicht und an der Spitze der Revolution! – Lächerliche Prahlerei! Als ob sich eine Revolution alle sechs Monate wiederholen könnte! Nein, nein: deßwegen wollen wir ruhig schlafen, und uns keine grauen Haare wachsen lassen, außer denen, die wir bereits haben. – Und also sind wir auf der gewöhnlichen Poststraße über den Arlberg in's Tirol hinein gedämmert, und durch Landegg in das Etschland hineingefahren, auch glücklich hierselbst angekommen, ohne zu merken, daß in unserer Nachbarschaft der Kriegsteufel los ist. Hier lebt sich's wie im tiefsten Frieden, und die Jahreszeit, deren wir uns hier erfreuen, würde bei Ihnen draußen schon für einen angenehmen Sommer passiren. Meine Laura schwelgt hier in Landschaften, und ich in meiner Wissenschaftsliebhaberei. Beides ist nichts für Sie, lieber Schwager, und ich bescheide mich noch einmal. Die Leute und ihre Sitten, ihre Redeweise und ihre unbefangene Frömmigkeit sind noch dieselben wie vor hundert Jahren. Dabei riechen wir, so zu sagen, über die Gebirge her die italienische Polenta, sammt Pomeranzenblüthen und Zubehör, aber leider dürfen wir nicht in Person in den Hesperidengarten eintreten. Ja, Laura hat seit den gestrigen Erörterungen und Kriegsbefürchtungen Angst vor dem Kriege selbst bekommen, und dringt in mich, ohne Aufschub wieder in die Schweiz zurückzugeh'n, den Vierwaldstädtersee und den Rigi mitzunehmen, wie man sagt, – und was soll ich machen? Es werden noch ein paar Wochen in das Land gehen, ehe wir zu Freiburg wieder eintreffen. Darum [105] bitte ich Sie, lieber Schwager, Geduld zu haben, und mein verlassenes Haus gütigst in Ihre Obhut zu nehmen, und meine neue Haushälterin, die alte Johanna, in ihren Obliegenheiten zu unterstützen. Der guten hausfräulichen Cymbeline danken Laura und ich für alle ihre Bemühungen. Vor der Hand schicke ich hiebei eine kleine Einlage von Laura an das genannte bräutliche Cymbelchen. Ich weiß nicht, was in dem Briefchen steht, wenn ich schon, wie ich Ihnen unter vier Augen bekenne, versucht habe, einen Blick hinein zu werfen. Der Versuch hat aber nicht ganz geglückt, bei weitem nicht ganz; nur die Unterschrift und die darüber befindliche Zeile konnte ich erspioniren, so barbarisch fest und vorsichtig hat mein Weibchen die Depesche verschlossen. Aber eben diese Zeile klingt günstig genug: »Deine überaus zufriedene Tante«, und daher will ich ohne weitere Untersuchung das Ding abgehen lassen. Des Vetters Päckchen jedoch bringe ich dem Herrn Alfred eigenhändig mit, da ich in diesen bewegten Zeiten auf kaiserliche, eidgenössische und großherzogliche Postwägen kein rechtes Fiduz habe, wenn es sich um Baargeldsendungen handelt. – Mit tausend Grüßen von uns Beiden schließe ich indessen diesen Riesenbrief, und erbitte mir ein paar Zeilen nach Zürich, auf der Post abzulangen. Mit freundschaftlicher Ergebenheit

Ihr getreuer Schwager Dr. Sebastian Faust.

[106]

2.
Moritz an Alfred.

Freiburg im Mai 1848.

Liebster Bruder mein!

Ich sitze immer noch hier, und die Anwesenheit meines lieben Gallus, der sich noch immerdar durch Geschäfte bei Pontius und Pilatus hier aufgehalten sieht, dient mir als prächtiger Vorwand, selbst nicht von der Stelle zu weichen. Ich wollte Dir schon lange schreiben, aber ich kam nicht dazu. Mein Kopf war immer wo anders, und, daß ich's gestehe, mein Herz ebenfalls. Sei mir nicht böse, wenn Du auch dieses Mischmasch nicht begreifen solltest. Du weißt ja nichts von den Blendwerken, welche die Fantasie und das junge Herz uns vormachen! – Gleichwohl fühle ich, wie sehr es meine Pflicht ist, von meiner Wenigkeit endlich ein Lebenszeichen Dir zu senden, wäre es auch nur, Dich um Verzeihung zu bitten, daß ich Deinen so herzlich wohlgemeinten Vorschlag, Dich auf Deine Güter zu begleiten, nicht angenommen habe. Es konnte mir freilich, mir armen Gesellen, nichts erwünschter kommen, als jene Einladung. Von Gelde entblößt, von meinen Eltern und Geschwistern nicht mit den besten Augen angesehen, der Theilnahme am Freischaarenzug verdächtig, hätte mir eigentlich Dein Antrag lachen sollen. Bei Dir hätte ich, wie bei einem guten Bruder, meinen Unterhalt gefunden, hätte ich einsam und von aller Welt vergessen gelebt, und um meine politischen Gesinnungen würdest Du Dich nicht bekümmert haben. Dennoch habe ich vorgezogen, meinem so unverhofft an [107] den Tag gekommenen Freunde Gallus mich anzuschließen, liege ihm zur Last, der mich schon über den ganzes Winter versorgt hatte, muß meine Weltansichten vor ihm meistens verheimlichen, und überhaupt, unter'm Schuh des fürstlichgesinnten Freiherrn von Milzheim, der Menschheit in's Gesicht lügen, daß ich politisch rein wie ein neugebornes Kind und nur gezwungen die ganze Heckerwirthschaft mitgemacht. Wie kommt es, daß ich mich dieser heuchlerischen und schmeichlerischen Rolle habe unterziehen können? Ich, gerade Ich, dessen derbe Aufrichtigkeit unter Euch Freunden Allen ein Sprichwort gewesen, – ich, der auf der weiten Erde nichts so sehr gehaßt, als die Lüge? Sollte ich mich wirklich so grell verändert haben? Sollte ich mich wirklich heute, eine Wetterfahne, nach jedem Winde drehen, während ich noch gestern wie die Magnetnadel nach einem festen Punkte zeigte? Wäre ich wirklich durch solche Umgestaltung des Tadels meiner wahren Freunde werth geworden, und unwürdig ihres fernern Vertrauens? – O nein: ich bin wahrhaftig immer noch derselbe, der ich einst gewesen; ... aber eine Gewalt, der sich Keiner auf Erden entschlagen mag, hat mich in's Joch gedrückt, mich festgebannt auf dem gefährlichen Boden, mir die Larve vor's Angesicht gebunden, und mir Honig auf die Zunge gelegt, die so gern in Feuer und Flammen übersprudeln würde. Ich liebe!! Cornelia ist meine Liebe. Um bei ihr zu weilen, esse ich noch ferner das Brod meines Freundes, stelle ich mich unschuldig wie ein Lamm. Wie lange ich hier noch bleiben kann, was ich von den Menschen hoffen darf und erstreben werde, wie, sich meine Zukunft gestalten wird ... ich weiß es nicht! Nur eine Gewißheit belebt [108] mich, und macht mir das Daseyn liebenswerth: Cornelia hat mir ihr Herz gegeben, sie hat das meinige dagegen eingetauscht. Wir gehören einander an, das fühlen wir, das ist keine Frage, wenn auch das »Wie« und das »Wann« uns noch ein Räthsel ist. Wir müssen uns ergänzen, uns trösten, uns wechselseitig das Leben leicht machen; denn Cornelia leidet, wie ich leide, muß schweigen, wie ich schweige, ihre Thränen zurückdrängen, wie ich sie verberge. Daher, lieber Alfred, kommt Alles schon oben Angegebene. Du wirst nicht den ersten Stein auf mich werfen, nicht verachten den Bruder, der sich vor Dir, dem Gepanzerten, ohne Waffen demüthigt. Noch mehr vielleicht wird Dich zur Duldung und Vergebung das mathematische Weltgesetz, dessen Bekenner Du bist, und das in meiner Liebe sich zu offenbaren scheint, geneigt machen. Cornelia ist bestimmt, die Meinige zu werden. Im vorigen Sommer mir erschienen wie eine Lichtgestalt, mir zugewürfelt durch den Uebermuth meiner Freunde, von mir ersehnt durch lange Zeit, dann wieder vergessen im heillosen Feldgetümmel, und endlich abermals wie durch einen Zauber, wie durch ein Wunder eingeführt in meinem Herzen und glühender begehrt als zuvor, ist sie mir durch eine höhere Ordnung bestimmt, das lasse ich mir nicht nehmen. Die Folge wird das Weitere lehren. Jetzt ist mein Geständniß heraus, und ich hoffe einigen freundlichen Worten von Deiner Seite entgegen. Zu Deiner Erheiterung lege ich einen Brief bei, den mir Raphael, der konfuse Bursche, geschrieben hat, und bin mit Gruß und Handschlag, wie immer,

Dein treuer Freund und Bruder
Moritz.

[109]

(Einlage.)

3.
Raphael an Moritz.

(Ohne Ort- und Zeitbestimmung.)

Mein Herr; – mein Herr Moritz!!

Du wirst Dich verwundern, wirst vielleicht Deinen Augen nicht trauen, aber es hilft nichts, es ist nun einmal so; und wenn Du in Deinen Busen greifst, und Dein Gewissen zu Rath ziehst, so wirst Du den Fall angemessen finden, daß ich Dir das »Schmollis« aufsage, daß ich Sie nicht mehr duze; und daß ich unserer Freund- und Brüderschaft hiemit zu Grabe läute. – Ja, ja! es soll mit uns aus und vorbei seyn; kein »Jonathas«, kein »Stulpenstiefel« mehr!

Sie werden vielleicht fragen, Sie leichtsinniger Kumpan, warum ich zu diesem Gewaltsmittel schreite? Wenn Du aber bedenkst, daß Sie mich um mein Mädchen gebracht haben, an welcher meine Seele hing, so wird Ihnen klar werden, daß Du mein Bruder nicht mehr seyn kannst. O, wer hätte das von ihr, wer hätte das von Ihnen gedacht! Es muß doch wahr seyn, daß in der Welt alles drunter und drüber geht, weil die festesten Bande reißen, weil sich heute haßt, was noch gestern sich liebte! – Ich hasse Sie, Moritz, hochwohlgeborner Herr Moritz. Aber auch, »Jonathas«, warum hast Du mir das gethan?

Ich könnte ganze Bücher zitiren, die von falschen Freunden handeln, und an welche ich bis lang nicht geglaubt habe. Heute sind sie mir ein Evangelium ge [110]worden. O, welche Erfahrungen waren mir vorbehalten! Wir Schauspieler sind an Abenteuer jeglicher Art gewöhnt, wie der Hund an's Brod, wie der Gaul an die Krippe ... aber, was ich in Freiburg habe erleben müssen, das geht schon in's Aschgraue! Ich kam dahin, um die Freiheit zu umarmen, und sah die Knechtschaft im Triumph einziehen; ich kam, um mich des Lebens zu freuen, und bin kaum mit heiler Haut den Kanonenkugeln und dem Säbel der Tyrannen entgangen; ich kam, um eine liebenswerthe Braut zu gewinnen und sammt einigen Hunderttausend Thalern heimzuführen, und habe keine Thaler, keine Braut und keinen Freund mehr! Pfui, Herr Moritz, das geht über alle Nußbäume hinaus, das ist unter'm Strich, unter'm Spunden, unter'm Nachtwächter!! Katharinchen, meine braungelockte Liebe, hat mich schandbar mißhandelt, Cornelia, der ich vertrauensvoll mein ganzes Ich von A bis Z zu Füßen gelegt, hat mich genarrt, betrogen ... und Sie, mein Ex-Jonathas, Du hast mich verrathen! Das ist mehr als Kabale und Liebe, so was kommt in Menschenhaß und Reue nicht vor; der rothhaarige Franz in Schillers Räubern ist ein Engel des Lichts gegen Dich – gegen Sie, wollt' ich sagen.

Ich will Dir doch ein bischen Galle machen, indem ich Ihnen mittheile, daß ich hier in einem recht guten Engagement sitze, und Ursache habe, mit meinem Loos zufrieden zu seyn. Ich habe bereits den Juranitsch in Zriny, den Max in Wallenstein, und den Uriel Dacosta mit großem Beifall gegeben, und bin pflichtschuldigst herausgerufen worden. Der Herzog ist ein lieber Mann, der mich nahezu mit allen Fürsten aussöhnen wird. Die Gage fällt auf die Stunde, ich bin Ehrenmitglied [111] im Museum, ich habe schon bei dem Hofmarschall gespeist und werde binnen Kurzem die Seele der Direktion seyn. Ich merke schon jetzt, daß alle Damen von der Bühne die Finger nach mir lecken, und daß ich jeden Augenblick mir eine Gattin wählen könnte, um ihr die Hand zu reichen, entweder vor dem Pfarrer, oder vor Gott, oder vor dem Altar des Sarastro. Alles zu meiner Disposition, Alles mir möglich geworden!

Aber, wenn ich an die jüngste Vergangenheit denke, so ist mir alles Wurst, denn ich muß alsdann auch denken an Cornelia, und an Dich, Jonathas, den ich aus meinem Herzen gestrichen habe und mit wahrer Schadenfreude »Sie« nenne. Wie lange wird es dauern, und die ungetreue Jungfrau wird es Ihnen machen, Herr Moritz, wie Du mir es gemacht hast? Mit ein paar affektirten Blicken haben Sie die Falsche erobert und mir gestohlen; – mit ein paar dito Blicken wird das nächstens ein Anderer an Dir wett machen. O, es gibt eine Vergeltung in der Welt! – So habe ich dazumal dem Doktor vergolten, der mich wie ein Poltron herausgefordert hatte, aber dabei im Schilde führte, gleich nach der Trauung auf die Hochzeitreise zu gehen, und mir das leere Nachsehen zu lassen. Ich ahnte diesen Streich, und kam ihm zuvor, indem ich noch vor der Trauung abreiste, so daß der Fliegenhans und Regenwurmtödter keine Gelegenheit fand, sich darüber lustig zu machen, daß er mich angeschmiert und angeführt. (Weil wir eben von dieser Sache reden, so wollte ich Dich gebeten haben, mir doch meinen Schleppsäbel wieder zu schaffen, den mir die Soldaten kurz vor meiner Abreise aus der Stube hinweggenommen haben. Ich brauch' den Säbel nothwendig, hätte ihn [112] schon nöthigst im Wallenstein und im Zriny brauchen können, und Sie wären ein lieber Kerl, wenn Du mir die Waffe wieder zuwege brächtest.) – Im Uebrigen lasse ich die Welt gehen, wie sie gehen mag, und komme in diesen Tagen immer mehr von meinen freiheitlichen und sozialen Ideen zurück. Wenn mir die Wirklichkeit lächelt, und ich, sobald ich nur will, eine fantastische Welt der Ideale auf der Bühne finden kann, so ist mir alles recht, und ich lasse die Weiber, die falschen, und die Freunde, die ungetreuen, rennen wohin sie wollen, und die Könige machen, was ihnen beliebt. Vielleicht ist der Zwang und die Knute auf Erden nothwendiger als wir glauben. Hat doch schon ein alter deutscher Literat in irgend einem Schweinslederband gesagt: »Mit Denken und Henken thut man die Welt lenken!« und ich weiß, so im Stillen für mich, wessen ich mit Bosheit gedenke, und wen ich henken möchte! Verstanden, hochwohlgeborner Herr Moritz? Für den, der klug, ist's jetzt genug. – Indem ich, da ich Dir jetzt das »Du« aufgesagt habe, Ihnen wohl zu leben wünsche, bitte ich auch, den Poppele und den froschblütigen Alfred zu grüßen. An Dero † † † Cornelia braucht nicht ein Kompliment abgestattet zu werden. Um die übrigen Weibsbilder bekümmere ich mich nicht mehr; ich hasse die Weiber wie natürlich. Dem Doktor, dem Feigling, meine Verachtung! Der alte Hinterfuß – Hinterbein – will ich sagen – soll noch einmal von mir hören. Dir meinen Schleppsäbel rekommandirend und Sie ersuchend, mir gelegentlich ein paar beliebige Zeilen zu schicken, empfehle ich mich zu Gnaden und bin wie immer

Dein ganz ergebener
Raphael; Dein ehemaliger Stulpenstiefel.

[113]

4.
Papa Hinterbein an den Doktor Sebastian Faust, dermalen in Zürich.

Freiburg gegen Ende Mai 1848.

Wohlgeborner, insonders hochzuverehrender Herr Schwager!

Wenn ich mich und Andere manchmal mit dem Ausruf überrasche: Ich kenne mich nicht aus, ich kenne mich nicht aus! so ist es wahrlich nicht ohne. Die Zeit ist rappelköpfisch geworden, und verändert ihre Farbe, wie man es vom Kamäleon sagt. Ich habe Sie immer als einen Mann nach der Uhr gekannt, als einen abgeschlossenen Gelehrten, der sein Leben an gewisse unveränderliche Gesetze gebunden hat, und zum Beispiel auch die Abschließung einer Ehe nur als ein bürgerliches Geschäft und nicht als eine verliebte Schwindelei betreiben würde. – Gott, wie hab' ich mich geirrt, wie hab' ich mich gestoßen und verrechnet! Dero verehrlicher Brief vom ... hujus hat mich über diesen Punkt auf ganz andere Gedanken gebracht, zu ganz anderen Vorstellungen hingeleitet. Unendlich hat mir wohlgethan, daß Sie und Gattin gesund und munter sind; aber die bedeutende Verlängerung Ihrer Reise macht mir Kummer. Sie wollten nur zehn Tage wegbleiben, und jetzt sind es schon beinahe dreißig geworden, und von einer Wiederkehr zu bestimmtem Datum ist noch gar keine Rede! Erlauben Sie, daß ich offenherzig von der Brust weg spreche. Mir ist weniger um [114] Ihre sonst jederzeit ungemein schätzbare Gesellschaft zu thun, als um meine Freiheit, die durch Ihr Wegbleiben stark beeinträchtigt wird. Ich habe vor, mit meinen lieben, und zu Ostern so sehr geängstigten, Kindern gleichfalls eine Fahrt in die Welt hinaus zu machen; ... aber wie soll ich das anstellen? Ihre Abwesenheit fesselt mich an die Scholle; ich soll Ihr Haus hüten, und folglich das meinige nicht verlassen. Die alte Frau Johanna, die unter meiner Ueberwachung Ihrem Hause vorsteht, war bestimmt, nach Ihrer Heimkunft die Schlüssel meines Hauses an sich zu nehmen und während meiner Abwesenheit unter Ihrer Oberherrlichkeit zu regieren. Aber Sie bleiben aus und ich kann nicht fort. Und warum bleiben Sie aus? Weil Sie ein gehorsamer Diener geworden sind, statt eines Herrn; weil Sie Gesetze annehmen, statt deren zu geben. Ich sage Ihnen das nur im größten Vertrauen; die Schwägerin würde mir in ihrem ganzen Leben nicht mehr gut, wenn sie von dieser Mittheilung erführe. Aber ich kenne die Schwägerin schon von langen Jahren her, weiß recht gut, wie sie sich anstellt, wenn sie einen Wunsch, ein Verlangen, oder nur eine Laune durchsetzen will. Je mehr man aber ihr nachgibt, je unersättlicher werden ihre Launen, und ihre Manieren so befehlshaberisch, daß man es am Ende nicht mehr aushalten kann, und mit einem Donnerwetter dreinfahren muß, um nur den Status quo wieder herzustellen. Ich liebe jedoch den Status quo, und rathe besonders allen jungen Ehemännern, denselben aufrecht zu erhalten. Glauben Sie meiner Erfahrung. Ich bin auch einmal verheirathet gewesen, und habe mit meiner Frau viele gute Stunden, aber auch manche böse durchlebt. Sie [115] war Ihrer Laura im Aeußern und im Charakter sehr ähnlich. Unter anderm: Wenn Sie an Ihrer Gattin einmal etwas von Adelstolz verspüren, so machen Sie nur gleich, und zwar brutal, damit ein Ende. Ich habe das bei meiner Seligen thun müssen. Das adelige Fräulein steckte ihr als Kaufmannsfrau immer noch im Kopfe, und ich habe damit heftig aufräumen müssen. Nun bin ich zwar der Noblesse gar nicht abhold, und dabei so conservativ wie der türkische Kaiser; – aber in der Ehe will ich vollständige Gleichheit und Brüderlichkeit haben. Mich sollte wundern, wenn Schwägerin Laura nicht, gleich ihrer seligen Schwester, die Adelsratte im Kopf hätte und bitte Sie, dieselbe bei Vorkommen unnachsichtlichst auszutreiben. Die Moral von dem Gesagten ist: Kommen Sie bald, baldigst wieder, und setzen Sie sich hier zur bürgerlichen Ruhe nieder!

Was Sie mir von dem saubern Vetter und von dem Raphael schreiben, ist sehr erbaulich, und habe ich wegen des Schauspielers meinem künftigen Schwiegersohn, dem Sekretär, ein klein wenig den Text gelesen. Weiß nicht mehr recht, womit er den schlechten Witz, den Raphael als Kapitalisten bei mir eingeführt zu haben, entschuldigt hat, und es mag immerhin auf sich beruhen. Zehnmal lieber indessen wäre mir der Komödiant als Abendgesellschafter, denn der Herr Sekretär. Der Letztere ist nämlich gegenwärtig noch viel zerstreuter und konfuser als bisher. Er vergibt die Karten, macht einen Bock auf den andern, starrt in den Himmel hinauf, seufzt manchmal zum Erbarmen, beträgt sich, mit einem Wort, wie ein über alle Sterne hinaus verliebter Narr. Die Cymbel auf ihrer Seite macht es just wie [116] ihr Herzliebster. Ich hatte gehofft, die Leutchen lustig zu sehen, aber gerade umgekehrt. Das verliebte Volk ist sehr langweilig, und wartet ohne Zweifel jetzt so sehnsüchtig auf die Hochzeit, wie vor ein paar Wochen auf die Verlobung. Kommen Sie nur Angesichts dieses Briefes zurück, daß ich mit meinen Kindern in's Freie kann! Nicht die Cymbel allein, auch deren Schwestern sind unerträglich maulfaul und gleichsam verdammt geworden. Selbst Kathrinchen macht keine Schnacken mehr, Mathilde träumt von ihrem fernen Verlobten, Cornelia brütet immer vor sich hin, und denkt vielleicht noch gar an den Vetter Titus –! Bei diesem Thoren angelangt, so kondolire ich dem Herrn Schwager zu dessen Begegnung, gratulire ihm indessen alsobald, weil er den Burschen los geworden, ohne tief in den Sack steigen zu müssen. Lassen Sie nur diese Jünglinge reden; sie werden nicht so geschwinde abermals zu revolutzen anfangen. Die Lektion war gut, und wird auf lange Jahre hinaus gut thun. Wir brauchen Ruhe, Sapperment, und die Oesterreicher werden's schon machen.

Sonst steht alles hier bei'm Alten, hat sich nichts verändert, als daß wir alle Häuser voll von Soldaten haben. Das muß aber seyn; die Jugend hat noch immer keine Tugend. Die Nachkommenschaft taugt nichts, und muß mit Zwang zur ehemaligen Ordnung zurückgeführt werden. Ja, wenn wir ein zwanzig Jährlein zurückgreifen könnten! Selbige Zeit war gut, und verhält sich zu der jetzigen wie Hundert gleich Null. – Da ich weiter keinen Stoff habe, um meinen Brief ellenlang auszuspinnen, wie Sie den werthen Ihrigen ausgesponnen haben, so will ich Ihnen ein paar Anekdoten hersetzen, die sowohl die alte Zeit, als auch die [117] neue würdig darstellen. Beide sind wahr: die erste, aus der guten alten botmäßigen Zeit, habe ich selbst erlebt – die zweite, aus der jüngstverwichenen Freiheitsperiode, erlebte ein meiniger guter Freund, der im Seekreise wohnt

Ich saß vor ungefähr achtzehn bis neunzehn Jahren in Gesellschaft einiger Bekannten in einem Garten bei dem Schützenhause und wir plauderten recht heiter. Da kam ein Bauer daher, der Stadt entgegen wandernd, hatte eine Flinte auf dem Rücken und war in seiner Kleidung nicht gar wohl gehalten. Vor unserm Gartenzaun blieb er stehen, grüßte höflich zu uns herein – damals grüßten alle Landleute, wenn sie einem Herrn aus der Stadt begegneten – und fragte recht gemüthlich, wo denn wohl der Weg nach dem Amtsgefängniß sei? Wir gaben ihm Bescheid und der Mann fuhr zu unserer Verwunderung fort: »Drum will ich mich jetzt selber in den Arrest abliefern, weil der Wächter, der's hätte thun sollen, schwer besoffen nächst Littenweiler in den Graben gefallen ist, und nicht weiter kann. Es hätten ihm bygott die Hallunken sein Gewehr stehlen können, darum hab' ich's ihm abgenommen, und will's auf dem Amt niederlegen.« – Wir belobten den Mann um seiner Gewissenhaftigkeit willen und fragten ihn theilnehmend, was er denn wohl gethan haben möge, daß ihn der Richter in's Gefängniß gesprochen? Ohne zurückzuhalten erwiederte der Bauer: »Ha, drum hab' ich gewildert, und muß jetzt vier Wochen sitzen. 's ist freilich nicht zum erstenmal, aber, denk wohl, 's wird einmal zum letztenmal seyn.« – Ich sage ihm hierauf, das sei nur seine Sache einzig und allein; er solle nur dem Gesetz unterthänig seyn, und der Ver [118]suchung nicht nachgeben. Da lachte der Mensch halb wehmüthig, und antwortete: »Das ist eben mein Unglück. Komme ich aus dem Loch heraus, und sehe ein Häslein laufen, so muß ich hinterdrein und wenn's mir den Kopf kostet. Der Frevel thut mir immer leid, und wenn mich Gott nur bessern wollte, so wär's Niemanden lieber, als gerade mir!« Somit ging er seine Straße weiter und hat richtig seine Person und des Wächters Flinte getreulich und gehorsam eingeliefert. Das war noch eine Zeit, die sich gewaschen hatte! –

Die zweite Geschichte ist kaum so erbaulich. Da geht, als just der Heckerlärm im Seekreise los war, mein guter Freund, der zwar ein Advokat ist, aber einer von den braven, vor'm Thor spazieren und begegnet einem fremden Lumpen, wie sie dazumal allerwärts umzogen, der ihn als Bettelmann anredet: »Schenken Sie mir zwei Kreuzer!« Weil diese Ansprache etwas grob lautete, so wurde mein Freund stutzig, und fand es kurios, daß der Bettler ihm gleich die Summe bestimmen wolle, die er ihm zu geben habe. Der Bettler dagegen sagte noch gröber, er brauche just zwei Kreuzer, um sein Nachtlager im Dorf bezahlen zu können; er müsse also die verlangten zwei Kreuzer ohne weiteres haben. – Mein Freund, obgleich von kleiner schwächlicher Natur, verweigerte dem trotzigen Burschen jede Gabe, und schickte sich an, weiter zu gehen. Der Lump, nicht faul, führte mit seinem langen Stecken einen Streich nach dem armen Spaziergänger, welcher demselben den Hut vom Kopfe in eine Pfütze schlug und den Mann auf der Wange verwundete. »Ich bitte um zwei Kreuzer!« sagte der Kerl, da mein Freund blutend und bestürzt sich kaum verwußte, und zitternd [119] das geforderte Geschenk hinreichte, weil er nicht widerstehen konnte. Kaum hatte der Lump die erzwungene Gabe im Sack, als er auch mit seinem Stecken den Hut aus der Pfütze fischte, dem Besitzer mit Spitzbubenhöflichkeit überreichte und sich mit den Worten von ihm empfahl:»Schön; jetzt sind wir ausgeglichen. Von Gott und Rechtswegen waren Sie mir einen Kreuzer schuldig; für den zweiten danke ich Ihnen verbindlich!« hierauf schritt er weiter, und mein Freund hatte freien Paß.

He, wie gefällt Ihnen das? So geht es in der neuesten Welt zu; dergestalt treiben die Landstreicher ihr Handwerk, und thun galant und edelmüthig obendrein, wenn sie den armen Stadtherrn bereits halb todtgeschlagen haben. Herr Alfred würde freilich sagen, da ihn alles kalt und gleichgültig läßt: Ein Dieb und Hallunk, aber ein großartiger! – Da ich jetzt gerade von Herrn Alfred spreche, so melde ich Ihnen, daß derselbe noch abwesend, welche Abwesenheit von mir bedauert wird. Man kann sich so unvergleichlich ruhig mit ihm unterhalten! Weniger ist dies zu sagen von dem Herrn Moritz, der in Gesellschaft des Herrn Barons von Milzheim fast alle Abende in mein Haus kommt. Ein kurioser Patron! Er ist, wenn er will, recht lebhaft und gesprächig, dann auf einmal wieder stockstumm wie ein Fisch. Wenn wir von Politik verhandeln, so geht ihm oft der Mund recht freischärlerisch über, bis ihn der Sekretär oder der Baron lachend zurechtweisen, worauf er dann gewöhnlich gar kein Wort mehr spricht. Mit der Cornelia redet er noch am liebsten, hat jedoch das Mädel noch nicht aufheitern können. Wenn ich nicht irre, so hat, im Vertrauen gesagt, die Cornelia [120] auf den Baron Eindruck gemacht. Der Herr ist jung, reich und gebildet, und ich müßte doch lachen, wenn meine Cornelia, meine Republikanerin, von einem Junker zur Räson gebracht würde und sich etwa herablassen möchte, eine Freifrau von Milzheim vorzustellen? Vielleicht ist just der Freiherr der rechte Mann für die Freiheitsheldin. – Für heute ohne Weiteres, empfehle ich mich Ihnen bestens, und die ganze Familie, auch der Sekretär thun dasselbe. Meine besten Grüße und die der Meinigen an Ihre werthe Frau; zugleich beiliegend ein Zettelchen von Cymbeline an die geliebte Tante. Darinnen werden, so meine ich, allerhand jungfräuliche Vertraulichkeiten stehen, die ich um so lieber unbesehen passiren lasse, als das Brieflein so dicht verklebt und verpetschiert ist, gleich wie mit den sieben Salomonischen Siegeln verschlossen, so daß ich nicht einmal die Unterschrift erspioniren konnte, wie Sie an dem Briefe Ihres lieben Weibchens gethan. Wünsche allseitig guten Empfang und ermahne Sie noch heftig: Kommen, kommen, recht geschwinde kommen Sie zu Ihrem aufrichtigen Schwager

Hinterbein.

(Einlage.)

5.
Cymbeline an ihre Tante, Frau Doktor Faust, geborne von Wildian, in Zürich.

Beste Tante!

Sie glauben nicht, welche Freude Sie mir mit Ihrem lieben Briefchen gemacht haben. Ich ersehe da [121]raus, daß Sie froh und zufrieden sind, und bin vergnügt in Ihrem Vergnügen und froh in Ihrer Fröhlichkeit. Die Segenswünsche meiner Schwestern antworten in Fülle den gütigen Erinnerungen, welche Sie unserm Hause geschenkt haben! O wie beneiden wir Sie alle um die Herrlichkeit, bei schöner Jahreszeit in schönen fremden Ländern umher zu reisen, vergessend die Unbilden, die der verwichene Monat über uns gebracht hat. Und dennoch möchte ich Sie schön gebeten haben, liebe, beste Tante, doch recht bald uns wieder mit Ihrer Gegenwart erfreuen zu wollen. Sie können sich nicht vorstellen, wie eintönig und trocken unser Leben ist. Daß Mathilde an ihren abwesenden Hugo, der im italienischen Kriegsheere steht, mit Schmerzen denkt, daß Cornelia immer noch an dem Grabe der sogenannten Freiheit trauert, daß Kathrinchen, der Kindskopf, plötzlich von der Kinderei in langweilige Stimmung umgeschlagen, weil ihr Papa den Flügel verschlossen, die Noten eingesperrt, und das Solotanzen verboten – das alles ist recht begreiflich. Allein Sie werden erstaunen, daß ich, die kleine Cymbel, an welche Sie Ihren Brief gerichtet haben, in der Voraussetzung, daß er mich als die glücklichste meiner Schwestern antreffen würde – daß eben ich Ihnen ein Bekenntniß mache, welches Ihnen ein unerwartetes seyn muß. Kaum wage ich, damit hervorzutreten Das Wort sträubt sich mir unter der Feder ... aussprechen könnte ich es schon gar nicht; die Lippe würde mir ersterben, wenn ich's versuchte! Aber Ihrem freundlichen Entgegenkommen gebührt auch die offenherzigste Antwort. Beste Tante: Ich bin nicht glücklich! Meine Seligkeit hat nur drei oder vier Tage gedauert ... seither [122] ist sie verschwommen in traurige Zweifel, in traurige Ahnungen ... ach, was sage ich? Vor mir steht eine fürchterliche Gewißheit, die ich, mich selbst täuschend, immer noch für eine Ungewißheit ansehen möchte! – Ich vertraue Ihnen, was ich sonst keiner lebendigen Seele vertrauen würde: Wenn mich nicht alles betrügt, wenn ich nicht vor Eifersucht blind und wahnwitzig geworden bin, so liebt Friedrich mich nicht!

Diese letzten Worte, auf die leider eine Thräne gefallen, deren Spuren nur zu deutlich von meiner Gemüthsstimmung zeugen, diese kurzen Worte reichen hin, um Ihnen zu sagen, wie gedemüthigt Ihre Cymbeline ist. Aber ich bitte Sie: nicht dem Vater und den Schwestern, nicht Ihrem Gatten – und am allerwenigsten dem Sekretär eine Silbe von diesem Geständniß! Es ruhe still zwischen uns, und erwarte nur von der Zeit seine Auferstehung!

Ja, beste Tante: ich fürchte – ach, ich fürchte nicht allein, ich weiß es nur zu gewiß – daß wir uns sammt und sonders an jenem vierundzwanzigsten April, an jenem abenteuerlichen Verlobungstage, selbst hintergangen haben, Alle, wie wir da beisammen waren. – Zuerst von mir. Es macht mir keine Schande, wenn ich mein Herz aufthue, um zu beichten, daß ich meinen Friedrich schon lange liebe. Das ist über mich gekommen, wie ein Zauber. Ich war ohne Hoffnung, dennoch in Wehmuth still beglückt. Wie konnte jener Tag, der freilich so viel Unerwartetes mit sich brachte, aber von dem ich durch Mauern, Schloß und Riegel, abgetrennt gewesen, mich aus einer blöden Demüthigen auf einmal zu einer hoffärtigen Schwärmerin umwandeln? Habe ich denn Großes gethan, indem ich einen Schritt [123] über unsere Schwelle sprang, um meinen Freund in das sichere Versteck zu ziehen? Ich glaube: Nein. Ich hätte dasselbe gethan, wenn ein Kind, ein alter Mann, eine meiner Freundinnen vorübergegangen wären. Ich hätte mich deshalb nicht für einen von Gott aufgestellten Schutzengel halten müssen. Gott thut allmächtig und allwissend das Seine. Wenn Er einen Sterblichen schonen will, so trifft denselben im Kugelregen kein Geschoß. Der gute Doktor Wank, dem mein Friedrich entgegen eilen wollte, und den Kartätschensplitter niederstreckten, ist nicht gestorben, nicht verstümmelt worden, wird in kürzester Zeit wieder gesund seyn. Wie leicht ist es möglich, daß Friedrich, wenn er seinen Weg verfolgt hätte, dennoch unverletzt davon gekommen wäre! Meine schwache Bemühung war also von keiner Bedeutung. Demungeachtet ließ ich mich von dem Augenblick und von der dankbaren Begeisterung Friedrichs hinreißen – ich nahm ja diese Begeisterung für die aufflammende Liebe, für die endliche Erwiederung meiner stillglühenden Leidenschaft – mich anzusehen für das Werkzeug einer höhern Macht, dem ganz allein Friedrich sein gerettetes Daseyn zu verdanken hatte.

Doch wozu den Namen des Herrn aller Welten in das Spiel und in die Verirrungen der Leidenschaft ziehen? Friedrich trug mich auf den Händen, hätschelte mich wie ein Feenkind, und ich glaubte das Feenkind zu seyn. Das Trauerspiel, worinnen wir gerade lebten, grausam und blutig, aber poetisch, stürzte uns in poetischen Taumel. Wir vergaßen, was wir dem Brauch und dem Herkommen in der Gesellschaft schuldig waren. Wir gaben uns den Augen, dem Tadel der Welt preis. Die Folge davon blieb nicht aus. Mein Vater, Ihr [124] Gemahl und Sie selbst, beste Tante, täuschten sich, wie ich mich selbst, wie Friedrich sich getäuscht hatte. An dem wirren Tage war an eine Selbsterforschung, an Selbstprüfung nicht zu denken; wie hätte mein Vater Zeit gehabt zu überlegen, zu sondern und zu sichten? Vergebens sträubte sich instinktmäßig meine innere Natur; ich begreife jetzt erst, warum meine Thränen flossen, warum das Jawort zögernd aus meinem Munde ging. Jetzt verstehe ich erst die Vernichtung, mit welcher Friedrich zu meinen Füßen sank und mir die Hand reichte, die kalte, zitternde die kurz zuvor noch so fest und lebenswarm gewesen! – Geschehen ist's; was mich aber enttäuscht hat, werden Sie fragen?

Freilich dauerte mein Traumglück noch ein paar Tage. Dann wachte ich auf, weil ich bemerken mußte, daß auch Friedrich aus seinem Traume erwacht war. Papa hatte mir befohlen, mit ihm den ersten Spaziergang durch die Stadt zu machen. Dieser Lustwandel, den das verlobte Paar Arm in Arm unternimmt, ist eine Kundgebung der ganzen Stadt gegenüber. Die Verbindung wird dadurch veröffentlicht, kann alsdann nicht wohl mehr rückgängig gemacht werden. Obschon ich am Tage zuvor in Friedrichs Wesen Kälte und unstetes Zaudern wahrgenommen zu haben glaubte – sein Auge war so todt, seine Zunge so träge, seine Gedanken so zerrissen – so wurde doch meine bange Furcht auf dem Spaziergang zur Gewißheit. Ein Mann von Marmor ging an meiner Seite, die Blicke dieses Mannes krochen am Boden; er führte mich wie eine Bürde, deren er sich nicht rühmen wollte. Vor seinen vielen Bekannten zog er dahin, wie ein zum Tode Verurtheilter. Sie können sich denken, wie mir Armseligen zu [125] Muthe war. Ich hätte in die Erde sinken mögen. Mit dem Vater war nicht zu reden, gegen Friedrich selbst hätte ich's nimmermehr gewagt. So gehe ich jetzt still und argwöhnisch meinen Weg. Dann und wann versucht Friedrich mir eine gewisse Wärme, eine gewisse Leidenschaft vorzuspiegeln; er sucht mich zu belügen. Hätte ich den Muth dazu, wie bald wollte ich durch eine einzige Frage, durch ein rasches Wort ihm die unwürdige Maske von dem Gesichte ziehen, ihn beschämen, ihn vernichten! Aber – so ist des Menschen Herz ein trotzig und verzagtes Ding – aber dann wäre ja der Bruch fertig, die Trennung da, und meine Seele unaussprechlich elend! Die nackte Wirklichkeit brächte mich um; die matte Täuschung, in der ich mich noch erhalte, macht mich leben. Jeden Blick von ihm, der freundlicher als gewöhnlich, jede Silbe von ihm, die gefühlvoller als gewöhnlich, deute ich auf Liebe, auf neu erwachte Liebe, auf eine glücklichere Zukunft! Ich bin eine Thörin, ich weiß das wohl; aber ich will lieber von den Wechselfällen der Zukunft mein Urtheil erwarten, als mir selbst den Dolch in die Brust stoßen!

Da haben Sie meine Klagen; so ist meine Lage bestellt. Vergehen Sie die fuselige Schrift, die ich Ihnen hier schicke; meine Nerven beben bei jedem Zuge, und mein Herz klopft hoch auf. Ich weiß nicht, wie ich zur Ruhe kommen soll, wenn nicht Ihre Rathschläge, wenn nicht Ihre weise Liebe mir eine Arznei verrathen, die mich zu heilen vermag. Kommen Sie daher recht schnell in meine Arme zurück, und trösten Sie und haben Sie Geduld mit Ihrer armen

Cymbeline.

[126]

Nachschrift: Ich hätte Ihnen gern noch etwas Neues aus der Stadt geschrieben; aber ich stiere vergebens nach Neuigkeiten in meinem irrsinnigen Kopfe herum. Immer möchte ich nur von mir selber reden, und von meinem »Ich« haben Sie ja schon genug gelesen, daß Gott erbarme!

Die Obige.

6.
Friedrich an Alfred.

Freiburg, Ende Mai 1848.

Lieber Freund und Bruder!

Du hast schon oft von sündigen Menschen gehört, die nach einer schlaflosen Nacht, worinnen der Teufel so recht sein Spiel mit ihnen getrieben, plötzlich vom Himmel erleuchtet werden, und mit harten Erbsen in den Schuhen auf die Pilgerfahrt gehen nach Rom oder Jerusalem, um daselbst zu den Füßen des Generalbeichtigers ihr Lasterleben zu bereuen und zu verbüßen. Ein solcher Mensch bin ich selbst, und wenn gleich meine bürgerlichen Beschäftigungen und andere Dinge mir nicht gestatten, nach dem heiligen Lande, oder in St. Peter's Tempel zu wallfahrten, so will ich doch wenigstens, so viel ich kann und Du es erlaubst, der verschiedenen Mühlsteine ledig werden, die ich auf der Brust mit mir herumtrage. Ich habe hier Niemand, dem ich mein Gewissen aufsperren möchte; daher mußt Du daran [127] glauben; das ist nun einmal so in dem mathematischen Gesetz begründet, welches die Welt regiert, und dessen Verkündiger Du selber bist. Rechte also mit ihm, und höre mich an. Du wirst mir zwar nicht helfen können, aber es ist schon eine Erleichterung für den armen Sünder, wenn er sich nur einmal ein Herz gefaßt und herausgesagt hat, wo ihn der Schuh drückt. – Eine Gelegenheit, mit Dir brieflich zu verkehren, ist mir heute durch meinen zukünftigen Schwiegervater geworden, der mich beauftragt, Dir beikommendes Päckchen zu überschicken, welches gestern Abend von dem Doktor Faust ganz frisch und warm zu Deinen Handen überbracht worden ist. Es treffe Dich bei vollkommener Gesundheit an, und mache Dich bereitwillig, meine Litanei anzuhören, die kurz seyn wird, weil ich ja Deinen Abscheu vor langen Briefen, wenn sie nicht Dein, sondern ein fremdes Interesse berühren, zur Genüge kenne.

Ich wette darauf, daß Du manchmal auf Deinem Landgute, ein Stündchen in fauler Ruhe verbringend, im Lehnstuhl sitzend und mit den Daumen spielend, bei Dir denkst: Wie sehr muß ich mich doch langweilen mit Bauern und anderm Gelichter, und Fritze, mein Freund, lebt doch so glücklich als ein junger Bräutigam, auf der Höhe aller irdischen Dinge! – Mitten in diesen Gedanken wirst Du mich zwar nicht beneiden, denn Du kennst den Neid nicht, weil Du selber den Beneidenswerthesten in der Welt vorstellst, – aber glauben wirst Du an mein Glück, und vielleicht meinen, daß ich es nicht absonderlich verdient habe. Und über diesen Punkt muß ich Dich beruhigen. Ich habe das Glück, worinnen ich jetzo bis an den Hals stecke, in Wahrheit Nicht [128] verdient. Muttersegen und Schicksalsspruch werden an mir zu Schanden. Ich habe mich selber heillos betrogen, und ernte nun, was ich frevelhaft gesäet.

Weißt Du noch, wie wir am Abend nach der Erstürmung Freiburgs nach Hause zogen, Du, predigend von dem Himmel eines passenden Ehebundes, ich, beseligt, wie es schien, von der neugeschlossenen Verbindung? – Nun denn: Es ist nur Schein gewesen. Der arme Fritze, dem seine Mutter vorhergesagt, er würde durch das schöne Geschlecht sein Glück machen – dem eine Schicksalslaune auch das Mädchen zugeworfen, welches auserwählt schien, besagtes Glück zu gründen, – der arme Fritze ist der ärmste Teufel auf Erden, weil er als der Dümmste sein Spiel gemacht und verloren. – Die Eitelkeit, die mir nun einmal angeboren, und welche Du schon oft an mir gerügt, sie hat mich in ein Labyrinth hineingeritten, das für mich keinen Ausweg hat. Die Frauenwelt hatte mich verwöhnt; noch hatte ich keine Dame gefunden, die ich meiner würdig gehalten hätte. Da überrascht mich auf einmal Kälte und Widerstand auf einer Seite, wo ich es nicht erwartet hatte; Dir, Du kalter Mensch, wendet sich der Stern zu, dem ich umsonst gehuldigt ... in meinem Unmuth überrascht mich nun noch eine Wohlthat von angenehmer Hand, die mein bedrohtes Leben in Sicherheit bringt, und dafür meine Dankbarkeit aufwiegelt ... trunken von Mißmuth und Empfindsamkeit, hau' ich ein bischen über die Schnur, – und im Nu nehmen mich Väter und Tanten, Schwestern und Doktoren, das Schutzengelchen und meine Freunde, kurz die ganze Welt bei'm Wort, und der freieste, der liebenswertheste, der schönste Fritze dieser Erde ist wie in [129] einem Netz gefangen, gebunden und geknebelt und versprochen und verlobt, ehe er selbst mit seinen Empfindungen im Klaren ist!

Heute ist das Blendwerk vorübergezogen, heute bin ich nüchtern: aber mein Unglück ist ewig, und, wie ich fürchte, nicht mehr zu beseitigen. Meine Braut ist meinetwegen ein kleines Wunder von Tugend, Sitte, und Verstand. Aber sie ist nicht gleichberechtigt mit den erhabenen Frauenschönheiten, die mir zur Wahl freigestanden hätten. Ich selbst hatte Ansprüche zu machen, große Ansprüche, und habe sie leichtsinnig aufgegeben. Die ganze Stadt hat still und bedeutsam gelächelt, als ich mit der Verlobten meinen Rundgang hielt. Herren und Damen werden sich gefragt haben, welcher Thorheit der »schöne Fritze« diese Verbindung wohl zu danken habe? Es haben mir schon Mehrere gratulirt, und jedes Wort war ein Spottstreich, geführt gegen mein Selbstgefühl! – Ich darf nicht reden, um nicht ausgelacht zu werden. Papa Hinterbein ist ein Philister, der keinen Spaß versteht, wenn der Stadtklatsch im Hintergrunde; meine Braut natürlich würde noch weniger zur Vernunft zu bringen seyn. Ich werde eben, so die Zeit kommt, heirathen müssen, ob ich gerne will oder nicht. Was bleibt mir dann übrig, als mich auf's Land hinaus zu flüchten, und mich dort als einen Assessor oder zweiten Amtmann begraben zu lassen? In eine größere Stadt und Gesellschaft tauge ich dann nicht mehr; aber auch in Krähwinkel gibt es maulfertige und anspruchsvolle Weiber, und ich werde aus der Haut fahren, wenn etwa einmal eine Domänenverwalterin geringschätzig auf Cymbeline herniederschaut, oder wenn ein hübsches Landkonfekt meine galante [130] Huldigung zurück- und auf meine kleine Gattin verweist!

Lieber Alfred, da hast Du, was in meinem Gehirn sehr unangenehm leibt und lebt. Ich würde Dich in Gold fassen, wenn Du ein Mittel, mich wieder frei zu machen, erfinden könntest! Ich nähre die Hoffnung, daß vielleicht noch etwas zu thun seyn dürfte. Wenn ich mich nicht betrüge, so wird meine Braut kälter gegen mich, und scheint von Tag zu Tag weniger verliebt. Obgleich mich das schwer ärgert, so könnte es doch in der Hauptsache zu einem bessern Ende führen? Was meinst Du dazu? Schreibe mir doch ein paar Zeilen, oder besser: komme in Person. Mathilde behandelt mich so unausstehlich, daß mir gleichgültig seyn wird, auch noch mit anzusehen, wie Du ihr den Hof machst. Erbarme Dich also Deines Freundes, und komme möglichst auf der Stelle.

Dein trübseliger Friedrich.

(Einlage.)

7.
Titus an Alfred.

St. Gallen im Mai 1848.

Bürger!

Sie hatten ohne Zweifel schon bei meinem Weggang von Freiburg darauf Verzicht geleistet, die Reiseurkunde und das Geld, das Sie mir mitgaben, jemals wieder zu sehen. Erfahren Sie, daß ein Republikaner [131] unter allen Umständen sein Wort hält. Hiebei empfangen Sie sowohl den Paß, als auch das Geld. Das Papier habe ich nicht gebraucht, das Geld hat mir gedient. Ich sage Ihnen keinen Dank. Sie haben gethan, was der Mensch dem andern schuldig ist. Ein besiegter Feind ist geweiht und heilig, insofern er unser Mitleid in Anspruch nimmt. Ich danke Ihnen also nicht; werde Ihnen aber vergelten, wenn nach kurzer Frist der Kampf zwischen unseren Partheien wieder aufgenommen und für meine Sache siegreich durchgefochten seyn wird. Sollte das Schicksal wollen, daß wir Beide uns alsdann begegnen, so verlassen Sie sich darauf. Bürger, daß ich Ihnen Mittel und Wege verschaffen werde, mit heiler Haut in die Verbannung zu gehen. Es wird sogar für die eingefleischtesten Aristokraten noch irgend ein stilles Inselchen im Weltmeer geben, wo sie ihr müdes Haupt zur Ruhe legen, und ihre Augen dem Strahl der Freiheitssonne verschließen können. Dort wünsche ich Ihnen dann eine recht ruhsame Vegetation und die Ueberzeugung, daß alle Ihre Hoffnungen bis zum Ende der Tage eitel bleiben werden. Auf Ihre Besserung verzichtend, aber Ihnen meine Achtung zollend, verbleibe ich, Bürger,

Titus.

8.
Moritz an Raphael, Hofschauspieler in W.

Freiburg, Ende Mai 1848.

Stulpenstiefel, Stulpenstiefel!

Wenn ich nicht im »Morgenblatt« oder in einer beliebigen Theaterzeitung Deinen Namen gelesen und [132] von Deiner neuen hochpreislichen Anstellung Nachricht bekommen hätte, solltest Du noch lange meiner Antwort auf dein Schreiben ohne Ort und Zeit entgegenharren! Ich hatte Dir schon nach Illenau, der Pfründner-Anstalt für verkannte Menschenseelen und wurmstichige Gehirne, schreiben wollen, als mich obige Blätter eines andern belehrten. Du bist also ein Hofschranz geworden? Du gibst Dich also dazu her, für eine mehr oder minder ansehnlich Besoldung an bestimmten Wochentagen Deinem Herzog allerlei Possen in Ernst oder Scherz vorzumachen? – Wahrhaftig: ein solches Ziel zu erreichen, hätte ich Dir nicht zugetraut; und ich würde gerne auf Deinen albernen Hofschauspielerbrief, der mir, wie ein Narr, die Freundschaft aufsagt, mit meinem gewohnten Leichtsinn erwiedern: »Pah, was thut's? fahre hin, Du ungetreuer Freund!« Allein ich weiß wohl, daß nur die Dummheit des Augenblicks Dich also schreiben machte, und daß Du noch immerdar der alte »Stulpenstiefel« bist. – So will ich mich denn herablassen, auf Deine schlechten Witze mit Verstand, auf deine Grobheiten mit versöhnlicher Milde zu antworten.

Ich mag Dich ansehen, wie ich will, so finde ich eben stets an Dir einen guten Kerl, der im schlechten Umgang mit Eitelkeit und Aufschneiderei liederlich geworden ist. Du willst nur Effekt machen, und machst Du ihn, so kümmerst Du Dich blutwenig um Deine wahren Freunde, und schlägst Purzelbäume, einer toller als der andre. Es giebt indessen Leute, die sich nicht von einem marktschreierischen Effekt blenden lassen, und meine hochverehrte Cornelia ist, Gott sei Dank, von diesen. Wie konntest Du Dir doch einbilden, das [133] Herz der edeln Patriotenjungfrau erobert zu haben? Dazu gehört etwas andres, als mit dem Schlapphut auf dem Ohr und mit dem Schleifsäbel an der Seite herum zu renommiren; Unfug machen, und sich verstecken, wenn's erst recht losgeht, das können noch andere, als Du bist. Da hatte der gewisse Vetter Titus, von dem mir Cornelia schon einigemal erzählte, einen großen Vorsprung vor Dir. Er ist im Feuer gestanden, er hat sein Leben gewagt. Dennoch will Cornelia nichts von ihm wissen, weil er unternommen, ihr moralische Gewalt anzuthun. Du aber warst in diesem Stück noch viel eitler, noch viel überlästiger als Jener. Ich hatte ja wahrhaftig dem theuern Mädchen kaum einen Blick und ein freundlich Wort zugewendet, so war bei Dir schon der ganze Beelzebub los, und Deine Augen sprühten Gift, je tiefer wir uns in ein Gespräch einließen ... mörderisches Gift, welches ohne Fehl uns hingemordet haben würde, wenn Du nicht dennoch im Grunde ein seelengutes Thier wärest. Dein Zorn ist nur Theaterzorn, Deine Waffen sind nur Komödiantenwaffen, Deine Drohungen sind nur Schauspielerblendwerk. Auf solche Weise konntest Du nicht einmal dem Doktor Faust imponiren, viel weniger mir, der ich Dich durch und durch kenne; am wenigsten meiner süßen Cornelia, die, als ein kluges Frauenzimmer, uns Mannsbilder gehörig zu beurtheilen versteht. Darum bist Du mit Glanz durchgefallen und stehst von dem Fiasko nicht mehr auf. – Der Doktor, der vor ein paar Tagen von seiner Reise hier eintraf, hat Dir den letzten Genickfang gegeben, indem er Deine wahre Profession unter die Leute brachte. Abgethan war der Kapitalist, und der Schauspieler stand entlarvt. Cor [134]nelia kann die Komödianten nicht leiden, und Dein letztes Andenken wurde durch den Verrath aus ihrer Seele getilgt. Man hat Zeter über Dich geschrieen! – Weil Du versucht hast, die Jungfrau, die bereits in jenem Bädle zu Eisenbach mir von dem Schicksal zugesprochen worden, als unerlaubte Beute Dir anzueignen, sollte ich hier abbrechen, und Dich unter ein paar Centnern Beschämung begraben sein lassen; aber ich bin doch auch ein grundguter Kerl, und will Dich mit dem Troste überraschen, daß, obschon unser »Poppele« einen tüchtigen Riffel davon getragen, weil er Dich mit erlogenen Ehren und Würden bei Hinterbeins eingeführt, eben der Papa Hinterbein noch vortheilhaft genug von Dir redet. Du habest, meint er, ihm als Spaßmacher und Taschenspieler wenig gefallen, indem er Dich für einen Rentner, und Deine Spässe eines Rentners unwürdig hielt. Seitdem er jedoch wisse, daß Du ein Lustigmacher von Profession, so seyen ihm Deine Leistungen ganz angenehm, und er werde sich freuen, Dich wieder einmal in seinem Hause zu sehen. Noch schmeichelhafter gestaltete sich Deine Sache in dem Munde des muthwilligen Katharinchens. Kaum hatte das Mädchen vernommen, daß Du ein Mime und Bretterheld, so sprang sie lustig empor, klatschte fidel in die Hände, und rief aus: »Ach, ach, warum hab' ich das nicht gewußt? Ich habe ja die Schauspieler zum Fressen gern, und wollte dem lieben Herrn Raphael alle Ehre erwiesen haben! Ich hab' ihn gequält und gepeinigt und verlacht, weil er mir vorkam, wie ein wunderlicher Geldsack, der sich mit ungelernten Possen bei den Damen schön machen will, wie ein anderer dressirter Pudel auch. Aber da er ein Komödiant von Beruf ist, so [135] lebe er hoch, stelle sich wieder bald bei uns ein, und wir wollen tanzen und spielen und Schwänke machen, daß es eine Freude ist! Wer weiß dann, ob ich nicht etwa mit dem lieben Raphael zum Theater durchgehe, und seine Frau werde!?«

Wenn schon hierauf Papa Hinterbein den Kindskopf lustig ausschmälte und ihm ein paar Backenstreichlein verabreichte, so blieb doch Katharinchen im besten Zuge, und plauderte noch den ganzen Abend hindurch von dem scharmanten und possierlichen Herrn Raphael. Wovon sie jetzo redet, weiß ich nicht; denn Papa ist seit gestern mit allen seinen Töchtern verreist, und will sich ein paar Wochen hier und da auf dem Lande herum treiben. Du merkst also wohl, »Stulpenstiefel«, daß Dein »Jonathas« verwaist dasteht, und wirst ihm nicht verargen, wenn er schon morgen mit seinem Freund Gallus gen Milzheim abzieht. Dein Auftrag wegen des Schleppsäbels ist von mir an Friedrich bestellt worden, der in Freiburg bleibt, und Dir zu der Waffe verhelfen wird, sobald sich's thun läßt. Schwinge den Säbel dann munter und tapfer als Räuber Moor, als Fähndrich Juranisch und so weiter, aber prahle nicht mit ihm im Dienste der Freiheit! Es sind eben nicht alle Menschen für das Waffenhandwerk geschaffen, und wer nur die Pritsche führen kann, lasse das Schwert bei Seite. Merke Dir das, Schauspieler, – Hofschauspieler wollt' ich sagen! Bleib bei Deinem Leisten; wedle Deinem Herzog freundlich und gehorsam, berausche Dich in der Liebe zu den Damen vom Theater, wenn eben keine Hofdamen bei der Hand sind – und denke manchmal, grob oder höflich, wild [136] oder aufgeräumt, an Deinen unveränderlichen und aufrichtigen

Moritz »Jonathas«.

9.
Alfred an Friedrich.

Hagenbusch, Anfang Juni 1848.

Mein Freund!

Es ist schon in der Zeit, daß auch wohlausgerüstete Menschen die Richtschnur ihres Lebens verlieren und mit sich selbst uneins werden. Eben deßwegen gehen dann auch plötzlich die Wege von so vielen Herzensfreunden, die lange Arm in Arm gewandelt, auseinander. Wer kann sich auf Menschen verlassen, die in ihrer eignen Anschauung keinen Halt mehr finden? – Dein Brief, lieber Fritze, ist ein Beleg hiezu. Was Du im Lauf der Jahre gelernt, reiflich erwogen, Dir als Gesetz und Sitte angeeignet, Alles was Du erfahren, steht jetzt bei Dir in Frage. Dein Brief sagt es deutlich: ein Dokument von Zerrissenheit, wie mir noch nie zu Gesicht gekommen. Obgleich von Natur aus ziemlich kaltem Teig geknetet, und jetzo verstrickt in allerhand Geschäften »mit Bauern und anderem Gesindel«, so war ich doch beinahe perplex da mir Dein Papier zu Händen kam. Wo soll ich anfangen zu fragen, wo soll ich aufhören? Muß ich nicht hier wieder einmal den Prediger machen, und werde ich nicht ein [137] Prediger in der Wüste seyn? Dein Styl ist schon anders, als er von je gewesen: der burschikose Ausdruck, der erzwungene Frevelmuth darinnen ... also ist Deine Schreibart nie gewesen, und diese Umwandlung spricht nicht zu Gunsten Deines Charakters. Wer in der Schrift den Anstand von sich wirft, verläugnet überhaupt seine sittliche Haltung, seine gute Erziehung. Es mag ein vorübergehender Taumel seyn, aber der kurze Rausch ist nicht minder widerlich, weil er kurz ist. Ich kenne Dich nicht mehr, mein alter Fritze, und es scheint beinahe, als sey auch ich mit allen meinen Grundsätzen Dir fremd geworden. Deine Offenherzigkeit ist betrübend; die Hoffnung, welche Du auf mich setzest, erniedrigt mich. Du willst ein heilig Wort brechen, das Du freiwillig gegeben hast? ein herrliches Mädchen der Schmach hinwerfen, weil es Dich einst hoffnungsvoll geliebt, weil es noch jetzt an Dir hängt, obschon Du im Begriff bist, die Unschuldige zu verstoßen? Du äugelst wiederum nach einer Andern, die schon einem Mann versprochen, der Dir nichts Böses gethan? Du forderst endlich, daß ich Dir helfen solle, dein Wort zu brechen, Deine Braut unglücklich zu machen, Dein eigen Ansehen vor der Welt zu vernichten? Pfui! Daraus wird nichts werden. Meine strenge Mahnung und die Unerbittlichkeit des bewußten mathematischen Gesetzes, das die Welt regiert, werden Dich schon in's Gängelband nehmen, und Dich zu Deiner Pflicht zurückzwingen. Darum mache ich, wie ich's im Brauch habe, nicht lange Federlesens und Schreiberei; Deine bösen Gelüste verlangen die rächende That, und nicht das leere Wort. Darum auch werde ich blitzschnell, wie der gewaltige Gedanke, in Freiburg einschlagen, und in Per [138]son Dir den Kopf waschen. Für heute weißt Du genug; hüte Dich, einen falschen Schritt zu thun. Du würdest mich zum Feinde haben, wenn Du nur fingerbreit von dem Pfade der Gerechtigkeit und der Sitte abwichest! Dieses nicht erwartend und den Moritz grüßend, bin ich noch immer Dein Freund

Alfred.


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