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Fünftes Kapitel.
Ein verhängnißvoller Tag.


Der Lenz war denn endlich auch mit seinem heitern Himmel und seinen vielen schönen Farben auf dem Walde eingekehrt. Der liebe Gast war doppelt angenehm, da ihm ein strenger Winter vorausgegangen. Wenn Doktor Faust seine Hochzeitreise zu Anfang des Brachmonats, statt zu Ende des April angetreten hätte, so wäre ihm der Aufenthalt in dem bewußten Bädle bei weitem nicht so winterlich vorgekommen. Denn heute, am dritten Juni, blühten dort die Bäume recht schön, hie und da streckte ein Röslein vorwitzig das Köpfchen heraus, der schwarze Tannenwald hatte hellgrün aufgesetzt, milde Lüfte wehten auf und nieder und die Vögel pfiffen aus Leibeskräften ihr munterstes Frühlingslied. Wenn jedoch schon im Thale die Herrlichkeit des Frühjahrs groß war, so prunkte sie doch noch glänzender auf dem Sommerberg, den die Sonne mit goldiger Verklärung umsponnen hatte. Dort wiegten sich die Halme und die frischen Zweige in üppiger Fülle, und eine Welt von Thierchen aller Art bewegte sich dort grillend, summend und zwitschernd in lustiger Fröhlichkeit. Dort war die [140] Luft am reinsten, am wärmsten der Sonnenstrahl; und wer an jenem einsamen Kreuze stand, und freudetrunken hinausschaute in die wieder herrlich aufgelebte Natur zu seinen Füßen, wußte nicht, wohin er zuerst seine Schritte richten sollte: nach dem Hirzenbach, oder nach Heurlingen, die links und rechts an die Grundvesten des Berges angeschmiegt, wie kleine Paradiese lagerten. Dem Wanderer, wie gesagt, that die Wahl wehe; dennoch würden sich die meisten Pilger, die über den Berg zogen, endlich gern entschlossen haben, vorerst in den Hirzenbach niederzusteigen, dessen Dächer so verführerisch aus dem jungen Grün heraufschauten. – Dort war des Friedens mehr, als in dem lauten Dorfe drüben, und die gastliche Herberge zum »Leuen« war doch endlich auch nicht zu verschmähen.

Eine wahre Sonntagsruhe lag über dem Zinken Hirzenbach ausgebreitet, obschon weder Sonntag noch Festtag im Kalender stand. Das Gasthaus mit seinem großen Gehöfte war geräuschlos und friedsam, wie die übrigen Häuser und Hütten, die umher in grünen Büschen verstreut sind. Wie der große Hofraum, so war auch die Gaststube leer. Kein Zecher, der da mit lustigem Mund in die Welt hinaus geplaudert hätte; kein Geläuf von Knechten und Mägden. Die Hirtenbuben hatten aus den Ställen das Vieh in's Freie getrieben; was sonst von menschlichen Wesen im Hause lebte, war auf dem Felde, im Forst, oder auf dem Markt in der Stadt. Nur eine einzige Person, wie es wenigstens den Anschein hatte, regierte das weite Haus, und hatte ihren Sitz in der leeren Trinkstube.

Dort saß nämlich Annele, des Leuenwirths schönes und einziges Kind. Am Fenster hatte sie ihren Platz [141] genommen, und irgend eine Näharbeit oder beliebiges Schneiderflickwerk lag vor ihr. Aber die Scheere und die Nadel ruhten müßig, die arbeitsamen Hände hatte Annele im Schooß gefaltet; ihre Augen schweiften dagegen ohne Ruhe von dem Vogelkäfig zu der alten Stockuhr, von dem Kruzifix in der Ecke nach der Schenke in dem Winkel gegenüber; dann hinaus gegen das Hofthor, dann wieder herein gegen die Thüre, die in das Innere des Hauses führt. Erwartete Annele ihren Vater? Oder schaute sie nach der Mutter um? Genoß sie die Behaglichkeit einer Feierstunde? – O nein, o nein: in ihr lebte nicht der Friede der Feierstunde, sie dachte nicht an den Vater, sehnte sich nicht nach der Mutter. – Wen erwartete sie denn, als sie mit Unmuth vor sich hin flüsterte: »Der Bösewicht läßt sich heute nicht sehen ... er weicht mir aus ... gestern noch so wild zudringlich, und heute kalt, unsichtbar?« – –

Indessen kam Einer mit leisen Schritten durch das Hofthor gegangen, als eben Annele wieder einmal den Zeiger an der Spieluhr studirte, und konnte daher in die Stube dringen, ehe das Mädchen seiner gewahr geworden. Plötzlich sagte er seinen »Guten Morgen« und Annele fuhr zusammen vor seiner Stimme und Gestalt, und erhob sich in großer Verlegenheit, um dem Besucher, wie es sich ziemte, entgegen zu gehen.

»Guten Morgen, Hochwürden!« sprach Annele mit einem tiefen Knix, und heuchelte etwas Freundlichkeit auf ihr hochroth strahlendes Antlitz.

Der Segen des Herrn sey mit Euch, liebe Jungfer; antwortete Herr Waldo, und spähte wie ein Luchs in der ganzen geräumigen Stube umher: So allein, liebes [142] Kind? Wo steckt denn der Leuenwirth, wo die tugendsame Mutter Gertrud?

»Mein Vater ist auf dem Markt in der Neustadt; meine Mutter ist hinüber in die Scholach gegangen, zum Opfer für die selige Jakobine.« Also berichtete Annele, und fragte, ob dem hochwürdigen Herrn nicht mit einer Erfrischung gedient seyn möchte?

Worauf der Pfarrverweser mit Salbung versetzte: Ich bin nicht der Mann der Speise und des Tranks, verehrte Jungfer, und mit Enthaltsamkeit und Entsagung hat mich der Allmächtige wundersam begnadet. Doch könnte ein Schöpplein von Euerm guten Sechsundvierziger nicht schaden, da ich eben vom Haggen komme, woselbst ich einer traurigen Pflicht oblag, die mich sehr erschöpft hat.

Annele beeilte sich, das Verlangte herbei zu bringen, stellte Wein und Brod vor den Geistlichen hin, und wünschte guten Appetit. – Herr Waldo nahm einen großen Bissen, that einen starken Trunk, und fuhr fort: Setzt Euch ein wenig an meine Seite, Jungfer Annele, und leistet mir Gesellschaft für die kurze Minute, die ich hier zubringen werde. Es heimelt mich heute so ganz trefflich bei Euch an; in dieser Stube ist es so still und friedfertig, als wie in einem Kloster. Es ist sogar, als ob ein leichter Weihrauch hier verbrannt worden wäre zu Ehren des Schöpfers und der göttlichen Mutter des Heilandes. Diese klösterliche Stille und Atmosphäre ist das wahre Element für Euch, liebes Annele. Wenn Euch doch der Herr erleuchtete, und mir armen Sünder die Gnade bescheerte, Euch im Schleier der Keuschheit, der Armuth und des Gehor [143]sams zu sehen und zu segnen! Dann wollte ich ja gern im Frieden dahin fahren!

Annele's Gesicht machte sich ernsthaft, ihr Auge finster. Sie erwiederte dem Pfarrverweser, der vielleicht schon zum hundertstenmale die alte Leier anschlug, kurz und trocken: »Mir fehlt die Gnade, Hochwürden; Sie wissen das, und wollen mich doch endlich nicht mehr quälen mit einer Anforderung, der ich nicht gewachsen bin.«

Herr Waldo sah das Mädchen mit durchdringendem Blicke an, blieb kühl, verfolgte aber nichtsdestoweniger das Ziel, wornach er schon lange getrachtet. – Ein Wunder ist bald geschehen, sobald der Herr nur will; sagte er süß und im vertraulichen Tone: Wird sind am Morgen noch verstockte Sünder, und am Abend die opferwilligsten Werkzeuge des allgütigen Vaters im Himmel. Da komme ich eben aus dem Haggen, von dem Krankenbett der Schwester Cölestine. Es ist zugleich ihr Sterbelager; binnen wenigen Tagen wird sie eine Selige seyn. Nun denn: auch diese fromme Schwester ist vordem ein Weltkind gewesen, ohne heiße Liebe und Nachfolge zum Heiland, ohne Opferbereitwilligkeit für die Kirche, die da ist der Quell aller Tugend und der ewigen Glorie. Aber auf einmal hat der Schöpfer durch einen seiner unterthänigsten Knechte, durch mich, ein Mirakel zugelassen. Meine Zunge war sein Schwert, mein armes Wort wurde das reiche Seinige. Der Herr selbst sprach aus mir zu der Verblendeten, und wo der Herr aufweckt, ersteht Christus aus dem Grabe. In einer halben Stunde hatte ich die Sache des Herrn gewonnen, und Cölestine sagte der Welt ab, widmete ihre irdische Habe frommen Zwecken, und wurde, wie bekannt, schon auf dieser Erde eine Heilige. Welche [144] Herrlichkeit aber wird sie erst umgeben, welche himmlische Krone sie erst zieren, wenn sie aus diesem Jammerthal scheidet, um sich den seligen und fleckenlosen Geistern anzureihen!? – Ihr solltet diesem gottgeliebten Beispiel folgen, Jungfer Anna!

Beim Schluß seiner Rede hatte Waldo Annele's beide Hände feierlichst in die seinigen genommen, und betrachtete das Mädchen so scharf und steif, als wolle er es geradezu in den magnetischen Schlaf versenken, und zur Nachfolgerin der »Schläferin« auf dem Haggen weihen. – Annele verstand jedoch die Bemühung übel, machte sich los, stand auf und erklärte dem Prediger rund heraus: »Ich bin Ihres Eifers nicht würdig, Herr Pfarrer. Ich bitte Sie inständigst, meine Seele in Ruhe, und von mir abzulassen. Ich weiß nicht, was mir noch auf Erden bescheert seyn wird. Ich weiß nicht, wie meine Zukunft bestellt ist. Aber zum Klosterleben habe ich keinen Sinn und Drang.«

Nun erhob sich auch Waldo sehr majestätisch, drohte der Widerspenstigen mit beiden Zeigefingern, und sagte dumpf und zerschmetternd: Anna, Anna! Ihr weiset mit Uebermuth den guten Engel von Euch. Erinnert Ihr Euch denn nicht an die furchtbare Vorhersagung, die Euch in meiner Gegenwart, und zwar aus dem Munde der »Schläferin« im Haggen geworden ist? Wenn Ihr nicht in diesem Leben unvermählt bleibt, wenn Ihr nicht dem himmlischen Bräutigam allein die Hand reichet, und Alles abthut, was Euer ist von irdischen Gütern und irdischen Gelüsten, so werdet Ihr unglücklich seyn hienieden und jenseits, verlassen hier und verworfen dort. Gedenkt Ihr noch des Ausspruchs jener Seherin?

[145] Dies Ansprache des strengen Geistlichen hatte bei weitem nicht den erwünschten Erfolg. Annele wurde nicht bekehrt, nicht zerknirscht, aber erregt, unmuthig, entrüstet. Sie rief, ohne ihre Zunge viel zu bändigen: »O freilich gedenke ich noch; freilich bereue ich noch bitterlich, daß ich an jenem Tage in dem ›Haggen‹ eingetreten bin. Mit Freuden würde ich alle Wohlfahrt hingeben, die auf Erden zu finden, wenn ich damals nicht die Gnade des Herrn versucht hätte. Ist das vielleicht eine Sünde, daß ich nur mit Schrecken und Reue an den Tag denke, so wolle mir die heiligste Mutter vergeben – ich kann nicht anders; und alle Klöster der Welt würden mich nicht bessern und alle fromme Stiftungen, die ich in meiner Herzensangst machen könnte, würden mich nicht heilig sprechen. Ich bin ein armes sündiges Mensch ... aber der Herr wird mir barmherzig seyn. Ich glaube, daß ich besser thue, wenn ich, statt eine Klosterfrau zu werden, bei meinen Eltern bleibe, an welche die hohen Jahre kommen und die kein anderes Kind haben, als gerade nur mich. Vielleicht verdiene ich, indem ich sie pflege und erhalte, ein bischen Nachsicht von der göttlichen Barmherzigkeit ... was ich an Gelde etwa noch besitzen werde, soll den Armen nicht verloren geh'n ...! Und somit wollen wir ein Ende machen, Hochwürdiger, und niemals wieder auf dieses Kapitel zurückkommen. Ich bin dessen schon lange satt, und habe Ihnen das doch einmal sagen müssen. Nichts für ungut, Herr Pfarrer, und verzeihen Sie mir, wenn ich grob war; aber meine Zunge ist heute ungeschlacht,« und konnte nicht mehr hinter'm Berge halten!«

Waldo merkte allbereits, daß eine Erwiederung in [146] demselben Tone das Uebel nur ärger machen würde; so sehr war Annele aus allen Schranken gesprungen, in denen sie sich sonst gehalten hatte. Darum kleidete er sich in Sanftmuth und Betrübniß, und antwortete dem Mädchen, welches an allen Gliedern zitternd, tief nach Luft athmend, und mit dem Schnupftuch die überquellenden Augen verhüllend vor ihm stand: Habe Sorge, Jungfrau von der alle Weisheit gewichen, daß Dir nicht indem Du dem Herrn trotzest, in die Klauen des Versuchers fallest! Gewöhnlich steht Satan bereit, wenn der Stimme des Heilands und seinem Sendboten die Thüre gewiesen wird. Mögest Du nie erfahren, wie tief der Abgrund, worein die Sünderin von der Höhe ihres Frevels stürzt! Wehe, Wehe Derjenigen, die auf ihre Tugend pocht, und sich heiliger dünkt, als die frommen Frauen, so allein dem Herrn dienen; denn sie werden gedemüthigt seyn vor den Augen der Welt, und nur mit der schmerzlichsten Buße ihre Hoffart sühnen. Ich aber schüttle den Staub von meinen Schuhen, und gehe von hinnen, aus dem Hause des Irrthums, bis die Zeit kommt, da Du Deine Brust zerschlagen, Dein Haar zerraufen, und mit Heulen und Zähnklappern schreien wirst: O Herr, ich habe gesündigt! sey barmherzig der Sünderin, o Herr.

Der Rest des Schöppleins war ausgetrunken, und mit stolzen Schritten, ohne sich nur anzusehen, ging Herr Waldo großartig ab.

Annele's Sohlen waren jedoch wie an den Boden geschmiedet. Sie glühte und fieberte von Jast und Ungestüm des Blutes, und konnte nicht von der Stelle, obgleich sie sich feurige Schwingen gewünscht hätte, um bis zu den Sternen empor zu schnellen – so wild [147] tobte, stürmte und wallte es in ihr »Was hat er gesagt? wer sagt mit denn, was er gesagt hat? stammelte sie bebend in sich hinein: »Der gute Engel sollte mich verlassen haben? ... Der böse Geist wäre vor der Thüre? O mein Kopf, was ist mit meinem armen Kopfe vorgegangen?«

Auf einmal sprangen die Ketten, die ihren Fuß so lange beschwert. Und gleichwie oft, wenn uns ein Vogel durch's offene Fenster entflogen, wir hinlaufen, und ihm nachstarren in das Reich der Lüfte, wo der Flüchtling bereits spurlos verschwunden, also auch Annele. Im Nu stand sie am offenen Fensterflügel, und spähte hinaus, ohne zu wissen warum, bis sie schnell wieder zurücktrat, den Finger an die Lippen legte, und leise murmelte: »Ach, da kommt er! endlich, endlich!« – Und sich fassend, setzte sie sich auf ihren Stuhl nieder, und nahm träumerisch die Scheere zur Hand. Zwar arbeitete sie nicht, aber ihre Haltung wurde eine gleichgültige, und sie hatte einen Vorwand, die Augen fest auf das Getüch zu heften, und sich anzustellen, als ob sie ganz in ihre Beschäftigung verloren sey.

Jetzt ging die Thüre des Zimmers wiederum auf. Kaspar Flamm, der als Mezgerknecht im Hause diente, trat herein, weil es um die Stunde war, da er seinen zweiten Morgenimbiß zu empfangen hatte. – Guten Tag! sagte er langsam und ließ sich schwerfällig an einem Tisch nieder, der ziemlich weit entfernt von Annele's Sitz. »Guten Tag!« antwortete die Tochter des Hauses obenhin, als wäre sie unversehens gestört worden.

Lange blieb es nun still; Kaspar stützte sich mit beiden Armen auf, und schoß dann und wann einen funkelnden Blick nach der Jungfer. Weil diese nun [148] gar nicht redete, und auch nicht mit einem Blickchen antwortete, so hob Kaspar im Alltagstone an: Es wäre jetzt an der Zeit, und ich wollte um mein Morgenessen gebeten haben! – »Ja so!« machte Annele, und stieg langsam empor, und brachte den Käse und brachte den Trunk; und Kaspar zog sein Brod hervor und hanthierte bald mit Messer und Zähnen, als ob die Jungfer nun gar nicht mehr vorhanden wäre. Deß ärgerte sich insgeheim Annele, schnappte ein paarmal mit der Scheere in das Flickwerk hinein, konnte endlich die Rede nicht mehr verheben, und fragte empfindlich: »Er kommt heute spät?« – Keine Antwort. – »Ich habe gar nicht gemeint, daß Er sich heute noch sehen lassen würde?« – Kaspar, stumm wie ein Fisch. – »Er macht sich rar, finde ich;« sagte noch empfindlicher das Mädchen.

Kaspar ließ nun das Messer und die Zähne ein bischen ruhen und antwortete trocken: Warum denn nicht? Bin ja doch zuviel im Hause! – »Wer sagt Ihm denn das?« – Hm! das ist leicht merken. Bin eben zuviel, und darum mach' ich mich rar. – »Das ist zwar nicht ungeschickt, nach dem, wie Er sich gestern Abend aufgeführt hat!« stieß Annele unmuthig heraus, und klappte und schnappte wieder mit der Scheere.

Da ließ sich der Kaspar vernehmen, ohne sich mit den Ellenbogen vom Tisch zu rühren: ha, was hab' ich denn gethan? Nichts, als was jeder andre junge Bursche, der sich in Sie vernarrt hat, an meinem Platz gethan hätte. –

»Vernarrt!« spöttelte Annele, und legte die Scheere nieder und schaute den Knecht prüfend an. – Kaspar entgegnete: Nun freilich; ich bin mehr ein Narr, als [149] ein Gescheidter. Sie hat mir's angethan; weiß nicht wie es kommt, aber ich denk' halt nur an Sie. Und weil ich gestern heimgekommen bin, von einem rechten Metzgergang, und hatt' ein bissel einen Sturm im Hirn und hab' Sie allein da in der Stube gefunden, da hab' ich gedacht: Willst sehen, ob sie dich nicht ein wenig gern hat? – und hab' mich eben unterstanden, Ihr den Arm um den Hals zu legen, und ein Schmützle zu versuchen. Ist das eine Sünde? Ich halt's nicht dafür. Es ist eben auch kein Unglück, daß Sie mich dafür in's Gesicht geschlagen; aber gefallen hat's mir nicht, und ich hab' einen guten Merker und ich bin eben in dem Haus da zuviel.

»Wie Er doch wieder schwätzt!« rief Annele ärgerlich und wurde unruhig auf ihrem Stuhl. – Kaspar fuhr, zum Verzweifeln kalt, fort: Hin oder her, das ist mir gleich. Sie kann mich eben nicht leiden, und lacht sich den Buckel voll, daß ich ein verliebter Narr bin. Weiß nicht wie's kommt ... aber die Diensten im Haus haben mich gern, das Bräunel geht mir auf's Wort, und der Hund kann schon gar nicht mehr ohne mich sein ... aber gerade Sie kann mich nicht ausstehen; und Sie macht hier im Haus das gute und das wüste Wetter, und der Leuenwirth könnte auch wohl freundlicher mit mir seyn, und wer steht mir gut, daß Sie mich nicht über Nacht aus dem Haus bringt?

Annele fuhr ihm unwillig in die Rede: »Sey Er doch klug! Wer sagt Ihm denn das? Er schwätzt wirklich, als ob's Ihm unter dem Hut nicht wohl stünde!« – Worauf Kaspar mit seiner obigen verzweifelten Ruhe: Noch Einmal: wenn ich ein Narr bin, [150] so hat Sie's auf dem Gewissen. Sie hat mich verhext ... 's ist bald ein Jahr, daß Sie mir nicht mehr aus dem Kopf will. Auf dem Sommerberg – weiß Sie noch? – da war ich schon verlesen ... in der ganzen Schweiz auf und ab hat mir nur von Ihr geträumt. Wie ich Sie zu Freiburg wieder angetroffen, Potztausend, wie hab' ich mich gefreut! Und als wir zusammen fortkutschirten, Sapperlot, wie glücklich war ich da! Und von Tag zu Tag ist Sie mir mehr in's Herz gewachsen, und von Stund' zu Stund' habe ich gehofft, daß Sie mich doch ein armselig klein wenig lieb haben würde ... aber 's ist nichts daraus geworden ... trotz aller Lieb' und Treu' und Anhänglichkeit gehe ich leer aus ...! Bin eben zu viel im Haus! –

Annele war von ihrem Stuhle aufgestanden, näherte sich dem Tisch, woran Kaspar noch immer aufgelümmelt saß, stemmte die Hände in die Seite, und sagte gekränkt und mit Vorwurf: »Pfui doch! haben wir das um Ihn verdient? Weder ich noch mein Vater werden Ihm je vergessen, was Er zu Freiburg für uns gethan hat!«

Kaspar blieb immer sitzen, doch erwiederte er etwas lebhafter: Was thue ich damit? Für solchen Dank danke ich selber. Es ist, als ob der Leuenwirth mich für mein bissel Dienstfertigkeit mit Geld bezahlen wollte. Nichts da. Ich blute wie ein Hirsch aus meiner Herzensblessur ... da helfen keine schönen Worte, da helfen keine Brabanterthaler, das kurirt man nicht mit einer Ohrfeige, wie Sie gestern es probirt hat. Ich kann's nicht mehr aushalten; bin in dem Haus zu viel, muß mein Glück wo anders suchen!

[151] »Wie? was?« stotterte bis in die Seele erschrocken das arme Annele: »Ihr wollt fortgeh'n, Kaspar? Was fallt Euch ein?«

Ei freilich muß mir das einfallen; kann's hier nicht mehr aushalten: muß probiren, ob ich draußen vergessen kann, was mich da im Hirzenbach todt macht; ... kann's leicht besser finden, als in diesem Hause, wo ich ein armer Narr bin, und wo mein ehrlicher Kuß nur eine Ohrfeige gilt! –

Wehmüthig faltete Annele die Hände, als ob sie den rauhen Gesellen um Vergebung bitten wollte. Wehmüthig und betrübt sprach sie: »Redet doch nicht so sündhaft. Kennt Ihr denn-nicht die Leute, die es mit Euch gut meinen? Könnt Ihr denn überall Euch zu Hause fühlen, auch bei fremden Herzen, selbst ein Fremdling überall? Ach, Kaspar, Ihr seyd doch ein rechter Freischärler, daß Gott erbarm'!«

Auf diese Anrede erhob sich Kaspar flink, geberdete sich lebhaft, und sprudelte hastig: Wollt Ihr mir damit einen Schimpf anthun, Jungfer? Ich nehme ihn nicht dafür an. Euer Schimpf und Eure Backenstreiche sind mir immer noch lieber, als Bretzel und Birnbrod von andern Händen. Wer hat mich zum Freischärler gemacht? Die schlechten Menschen waren's, und das Unglück, das mich von Kindesbeinen an verfolgt. Ich habe zu guter Zeit von meinen Eltern geerbt; aber bald hat mich ein Schurk von einem Freund um mein halbes Vermögele betrogen, und das Amt hat nicht gezogen, als bis mein' Sach' verloren und der schlechte gute Freund bei'm Teufel war. Da bin ich in die Fremde fort, und hab' in der Schweiz aus Kummer und Verdruß alle Freischaarenzüge mitgemacht, hab' aber [152] nichts gewonnen, nichts erobert, als ein erschreckliches Heimweh nach Euch, schöne Herzensjungfer, und habe alle Wunder und Zeichen schon im Geist vor mir gesehen. Denn ich bin noch immer kein unvermöglicher Bursch', wenn auch gegen den reichen Leuenwirth ein armer Hund. Ich hab zu Furtwangen ein eigen Haus, ein paar Aecker, ein paar Matten, und eine schöne Metzgergerechtigkeit, die ich antreten kann, wann ich will. So Gott will, kommt's nicht heraus, daß ich bei'm Heckerputsch gewesen: so Gott will, kommt auch noch der Generalpardon vom Großherzog, von dem die Leute jetzt schon reden. Wer kann mir dann etwas nachsagen? Ich bin jung, rüstig, und versteh' mein Gewerbe aus dem Fundament. Könnte ich mich nicht als ein Meister setzen, eine liebe Frau in's Haus nehmen, und für sie und die lieben kleinen Kinder wie ein braver Hausvater sorgen? Aber da geht mir alles konträr ... ich weiß nur Eine, die ich heirathen möchte. Und die Eine will mich nicht! Darum will ich fort und fort als Knecht umherwandern, bis ...

»O Jesu mein!« klagte Annele: »Ihr wollt fort? Ist das Euer Ernst? Wohin denn, leichtsinniger Mensch, wohin denn, frage ich?«

Kaspar setzte sich wieder gemächlich nieder, pfiff ein paarmal in die Stube hinaus, und antwortete ruhsam: Ha, denk' wohl, ich geh' zum Metzger-Thoma nach Heurlingen hinüber. –

Annele wurde schneebleich, griff hastig nach dem Stuhle, der eben vor ihr stand, hielt sich daran fest, kam endlich dem Kaspar gegenüber zu sitzen, mit der leidenschaftlichen Frage: »Zum Metzger-Thoma? Kann das möglich seyn? Kaspar, wo denkt Ihr hin?«

[153] Ha, drum bin ich schon einmal acht Tage lang bei ihm gewesen. Das war Anno ... Anno, da es zum erstenmal gegen die Jesuiter ging. Ich war dort nicht schlecht aufgehoben. Ein recht guter Mann, der Metzger, eine recht liebe Frau, seine Kunegund ...

»Geh mir! Das ist zu hart!« seufzte Annele, noch mehr erbleichend, und stützte den vorwärts sinkenden Kopf in die Hände, die Arme auf den Tisch, und sah der weitern Rede des Kaspars mit geistermäßigem Blicke entgegen. – Der Geselle blinzelte mit den Augen, that aber dergleichen, als merke er gar nichts, und fuhr grausam fort: Die Kunegund hat schon was Rechtes auf einen braven und leidlich hübschen Knecht gehalten. Sie würde mir vielleicht gefallen haben, wäre sie nicht ein Eheweib gewesen, und hätte sie nicht ihrem Stiefsohn nachgestellt. Doch halt! mir fallt just ein, daß die Jungfer mit dem Lenhard einmal, so was man sagt, versprochen und verliebt gewesen ist, und darum will ich's Maul halten, um Euch nicht weh zu thun, Annele, um Euch keine Müh und Herzeleid zu machen ...!

»Ich danke Euch dafür!« sagte langsam, wie im Sterben, des Leuenwirths arme Tochter, und reichte dem Knecht beide Hände über den Tisch, – und der verzweifelte Kaspar schien sich noch ein klein wenig zu besinnen, ehe er diesen schönen weißen Händen entgegen kam. – Und mit bewegter Zunge fuhr Annele fort, als ob der Frost des Fiebers sie beutelte: »Kaspar ... sagt mir nur das Eine, guter Kaspar ... wißt Ihr nicht ...? Die Kunegund streift seit ein paar Tagen so verdächtig um unser Haus herum ... ach, ich schäme mich beinahe, darnach zu fragen ... [154] aber ... (hier sprang Annele stürmisch auf, ihrem Gefühle nicht mehr zu gebieten im Stande, und rief gellend, dem auflauernden Kaspar die Hände schüttelnd): ... aber um Gotteswillen ... Ihr müßt mir die Wahrheit sagen ... nur die reinste Wahrheit! Kommt sie wegen Euch herüber? Habt Ihr sie gerufen ...? Habt Ihr Euch mit ihr verabredet ...?«

Kaspar folgte der raschen Bewegung des tieferschütterten Mädchens, stand blitzschnell neben Annele und wollte – so schien's – mit der Aufrichtigkeit der Liebe ihr erwiedern. Doch hielt er an sich, als eben das entscheidende Wort seinem Munde entfliehen wollte, und mit einem gewissen unbarmherzigen Ausdruck sagte er zögernd: Hm, gerufen habe ich sie just nicht; aber 's ist wohl möglich, daß sie mir zu Gefallen kommt. Hätte mich schon vor'm Jahr, da ich hier durchwanderte, im Hause behalten, weil just dazumal der Lenhard ...

Annele legte ihm mit Todesangst ihre gefalteten Hände auf die Brust, und bat ihn flehentlich: »Nichts von ihm, nichts von dem Lenhard, wenn du – wenn Ihr mich wirklich lieb habt! – Und, nicht wahr, Ihr geht nicht zu dem Thoma hinüber? Ihr verlaßt nicht unser Haus, verlaßt nicht mich um der Kunegund willen?« ...?

Der Bursche trat ein paar Schritte zurück; Annele ließ nicht von ihm ab. Noch einmal flehte sie: »Thut mir das nicht zu leide ... Kaspar, wenn Ihr mich lieb habt ...!«

Kaspar hatte sich so gewendet, daß sein Gesicht gegen das Fenster gekehrt war. Als wie zerstreut über [155] die Schultern des Mädchens hinausschauend sagte er: Euch lieb haben? Dich lieb haben! Ei, das ließe ich schon gelten ... aber 's ist doch nichts mit uns ... du bist mir nicht gut, und ich kann's nicht mehr aushalten. – Kaum mit seiner Rede fertig, machte er ganz starre Augen, drängte das arme Annele etwas von sich, und deutete lautlos in's Freie; Annele folgte der Richtung dieses Winks, und war wie vom Donner gerührt, als sie draußen vor dem Hofthor die besprochene Kunegund erblickte, die mit einer Nachbarin eifrig im Gespräch. – Da ist sie! sagte Kaspar. »Mein Heiland, da ist sie!« seufzte Annele, und umklammerte, ihrer nicht mehr mächtig, den spröden, halsstarrigen Knecht. Er suchte sich los zu machen, und brummte in den Bart: So laßt mich doch! ich will hinaus, und mit der Kunegund alles in Richtigkeit bringen ... ich bin zu viel im Haus ... 's kann nicht so bleiben ...?

»Nicht? Nicht? Wenn Ihr das thut, so bin ich Euch für's ganze Leben böse!« Also sagte mit dumpfer, beinahe schauerlicher Stimme das Mädchen, und der hellauf flammende Blick des Gesellen drang tief in ihre Augen, in ihre Seele, die nun kein Geheimniß mehr vor ihm hatten. Er umfasste das verlorene Annele mit starken Armen, und rief: Böse wolltest du mir seyn? Bist du mir denn schon einmal gut gewesen? Laß' mich hinaus, Falsche!

Bettelnd hing an ihm das Mädchen und stöhnte: Bleib, Kaspar, bleib um's Himmelswillen! Es wäre mein Tod, der blasse Tod!« – Worauf Kaspar mit brennenden Kopfe: Und deine Lieb' allein wär' mir das rechte Leben! aber du betrügst mich ... und ich halt' es so nicht aus! Sträubte sich gleichsam aus allen [156] Kräften, und wich dem Mädchen, das nicht von abließ, gegen die halb offene Thüre der Seitenkammer aus. Annele, die sich alle Mühe gab, ihn nur von dem Ausgang aus der Stabe abzuhalten, folgte ihm ganz außer sich, und stammelte die Worte: »Bleib, o bleib ...! nur nicht diese Kunegund! Thue mir die Schande nicht ... kniefällig bitte ich darum. – Sie verschwanden ... einsam war die Stube ... – –

Kunegund hatte sich entfernt, um das Haus zu umkreisen – öfters kam sie zu dem Thore zurück, dessen Schwelle sie nicht zu überschreiten wagte. Immer ungeduldiger schlug ihr Herz. Endlich erschien mit entschlossenem Schritt der von ihr erwartete Kaspar, und sprach zu ihr ohne alle Umstände: Bemüht Euch nicht ferner, Frau, ich habe mir die Sach' wohl überlegt, und der Leuenwirth will mich nicht aus dem Dienst entlassen. Adje wohl indessen, Frau, und seht Euch wo anders um! – Drehte ihr den Rücken ließ sie ganz vertattert stehen, und machte sich aus dem Staub. Kunegund sah ihm wild nach, drohte mit geballter Faust, und suchte das Weite. – –

Nach einer Stunde ungefähr wurde das Haus wieder lebendig. Die Knechte kamen vom Felde, die Hirten von der Weide, die Mägde von ihren Verrichtungen in die Küche zurück. Die Mutter kehrte vom Opfergang, der Vater von dem Markt heim. Die Mutter brachte ein funkelnagelneues Gebetbüchlein, der Vater ein prächtiges seidenes Halstuch für die geliebte Tochter mit. »O sieh, wie goldig das Büchel flimmert!« sagte die Mutter, ihr Annele umarmend: »Bete noch hundert Jahre daraus, herzliebes Kind, und Gott erhöre dich [157] in Allem, was dir frommt!« – Der Vater, indem er das Seidentuch um Annele's Hals schlang, war überglücklich, vergaffte sich in seines Kindes Schönheit, und rief aus: »O wie schön das Tüchle dasele an meines Annele weißem Halsele! Das Schönste auf dem Markt ist nicht zu theuer für mein Mädele! Aber ... wasele ist denn heut mit dir, liebes Kindele? Du kommst mir so verstört vor, deine Aeuglein sind roth und deine Hände zittern!« – Auch die Mutter Gertrud schaute mit Aengstlichkeit in ihr liebes Kind hinein und fragte: »Ist dir nicht wohl? hast dich gewiß erkältet? Es ist ja grad, als hättest du das Fieber?« – Aber Annele suchte ihre Eltern zu beruhigen, indem sie lebhaft erwiederte: »Nein doch, lieber Vater, liebe Mutter! ich dank' Euch tausendmal für Eure lieben Geschenke, und will sie hoch in Ehren halten. Wenn's mich aber jetzo fröstelt, und wenn's mich manchmal heiß überlauft, so ist der Pfarrverweser daran schuld. Hat mich wieder in's Kloster sprechen wollen ... und da ist mir endlich die Galle übergegangen, und ich hab' ihm gesagt, er solle mich in Ruhe lassen, und bei Euch, liebe Eltern, sey mein Platz, und bei Euch wolle ich leben und sterben! Da ist er elend abgefahren, und mir fahrt das Blut noch siedig im Kopf herum; das ist Alles!«

Die Eltern trösteten das Mädchen, obschon sie ihr gelinde Vorwürfe machten, daß sie dem Hochwürdigen Herrn ihre Meinung so derb heraus gesagt. – Indessen, am Abend und in der stillen Kammer, redeten der Leuenwirth und sein Weib mit großer Rührung von ihrem Kinde, und meinten, sie wollten es dem Annele nimmermehr vergessen, daß es so treu zu ihnen [158] halte, und sich auf Erden nicht von ihnen trennen wolle! – –

Und am Abend, in der stillen Kammer, stand auch Annele, die Geschenke, die ihr geworden, betrachtend, und mit schwimmenden Augen und mit tief bewegter Stimme fragte sie sich leise, leise: »Verdien' ich diese Gaben? ... Bin ich der Liebe meiner Eltern werth?« –


[159]


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