Heinrich Spiero
Paul Heyse
Heinrich Spiero

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7. Lyrik

Den Inhalt der »Hermen«, mit Ausnahme des »Perseus«, der erst 1904 in der Sammlung »Mythen und Mysterien« wieder gedruckt wurde, hat Heyse später mit der »Thekla«, der »Braut von Cypern« und anderen Stücken zu zwei Bänden »Novellen in Versen« vereinigt (zuerst 1863, dann immer wieder vermehrt erschienen); das letzte Stück, »Der Traumgott«, stammt ans dem Jahre 1882. Das reizvollste und farbigste unter den später hinzugekommenen ist das Reisetagebuch »Der Salamander« (1865), in wundervollen Terzinen ein Herzenserlebnis. Der Liebende hat sein Herz einem seltsamen Geschöpf geschenkt, das, mehr der Nacht als dem Tag gehörig, ihm in immer neuer halber Gewährung nie genug sein kann, und die wieder aufgetauchte Erinnerung wird nun im Wiederlesen des einst Hingeschriebenen befreit. In einer Mischung von Grauen und immer noch warmer Liebe ist da alles zusammengetragen, was einst das Herz erfüllt hat.

Seine Lyrik, die schon im »Jungbrunnen« erste Gaben brachte, weitere in einem »Lyrischen Anhange« zur »Braut von Cypern«, hat Paul Heyse zum erstenmal im Jahre 1871 unter dem Titel »Gedichte« gesammelt, im Jahre 1877 folgte das Skizzenbuch, »Lieder und Bilder«, die dann in die neuen Auflagen der »Gedichte« mit hinübergingen, ebenso wie die 1880 erschienenen »Verse aus Italien« und das 1885 hervorgetretene 98 »Spruchbüchlein«. 1897 wurden die ersten Gaben des »Jungbrunnens« und andere Jugendlieder mit »Neuen Gedichten« zu einem Bande vereinigt. 1903 folgte »Ein Wintertagebuch«, 1904 ein Band »Mythen und Mysterien«, endlich 1907 (bisher nur in der »Deutschen Rundschau«) ein Kranz »Waldmonologe aus Kreuth«. Die in den »Gedichten« enthaltene Dichtung »Das Goethehaus in Weimar« ist auch in einem Sonderabdruck erschienen.

In den Jugendliedern Heyses, ganz unbefangener, romantischer Lyrik, erweist sich deutlich die Herkunft von Eichendorff, die Georg Brandes für Heyses Dichtung im ganzen etwas zu ausschließlich betont. Noch klingt der Ton stark konventionell, immerhin doch so rein, daß er, wie wir wissen, Emanuel Geibel auffiel, und steigert sich dann rasch bis zu dem musikalisch klangvollen Zuruf »Über ein Stündlein«:

        Dulde, gedulde dich fein!
        Über ein Stündlein
        Ist deine Kammer voll Sonne.
Über den First, wo die Glocken hangen,
Ist schon lange der Schein gegangen,
Ging in Türmers Fenster ein.
Wer am nächsten dem Sturm der Glocken,
Einsam wohnt er, oft erschrocken,
Doch am frühsten tröstet ihn Sonnenschein.

Volksliedtöne klingen dazwischen, zumal in den Mädchenliedern: »Auf die Nacht in den Spinnstuben, Da singen die Mädchen.« Nun reift in Italien, das für Heyses Entwicklung so viel bedeutete, ihm auch der Vers zur größeren Fülle. Er sieht jetzt die Landschaft schon persönlich, beobachtet mit seinen Augen und mit hellem Ohr Land und Meer. Da gelingt ihm denn ein so lange nachhallendes Lied, wie das von Sorrent: 99

Wie die Tage so golden verfliegen,
Wie die Nacht sich so selig verträumt,
Wo am Felsen mit Wogen und Wiegen
Die gelandete Welle verschäumt!

Das ist ein voller Ton deutscher Innigkeit, wie er seit Goethe zum erstenmal wieder einem deutschen Sängermund in Italien entströmte, wie ihn so weder Platen noch Kopisch, noch selbst der traumversunkene Lingg der Gegenwart Italiens gegenüber fanden. Schon sind die Heinischen Einflüsse der ersten Dichtertage völlig überwunden; das Liebeslied aber klingt noch, so lebhaft es ist, ohne tiefere Verflechtung von Herz und Ton:

Zieh ein zu allen Toren,
Geliebtes Glück, zieh ein!
Du, mir zum Trost erkoren,
Nimm alles hin, was mein.

Erst als unverwindbare Schmerzen zu bekennen sind, erreicht Heyses Liebeslyrik ihre volle Tiefe. In einem Nachtgesicht sieht der Beraubte den Vater, die Jugendfreunde, die Liebste an sich herantreten:

Da faßt' ich meiner Liebsten Hand,
Sie küßte mich sanft und sprach:
Gute Nacht! Ich muß nun fort in ein andres Land,
Nimm unsre kleinen Kinder in acht. –

Da schrie ich auf und sah mich verwaist,
Da krähte der Hahn, und der Morgen graut.
Mit den Toten hab' ich zu Nacht gespeist –
Mein kleines Hündchen winselte laut.

Und in dem neuen Glück, das sich langsam naht, wird der Ausdruck kräftiger, setzt neben das Licht tiefere Schatten, die jenes um so heller herausheben. 100

Hat dich die Liebe berührt,
Still unter lärmendem Volke,
Gehst du in goldener Wolke,
Sicher vom Gotte geführt.

Und:

Nicht Ton und Gestalt,
Nicht Farb' und Sinn,
Mit dunkler Gewalt
Nimmt Liebe dich hin.

Eins nur fühlst du:
Du bist zu zwein.
Auch das verdämmert,
Traum spinnt dich ein.

Aber nicht die Liebeslieder geben Heyses lyrischem Charakter die letzte Note. Er wird auch da immer unkonventioneller, wird unter den Münchener Genossen nur von wenigen, etwa in starken Stunden von Hans Hopfen, dessen größte Begabung in der Ballade und im ironischen Epos liegt, oder von Julius Grosse erreicht, dessen Gedichte der Freund Heyse 1882 auf Grosses Wunsch sichtete, ordnete und so erst mit behutsamer Hand einem Erfolge zuführte, wie er nach dem Tode des älteren Freundes Hermann Lingg auch dessen schönste Lyrik (1905) in einer sorgfältigen Auswahl dem deutschen Volk ans Herz legte. Unvergleichlich aber nicht nur in seinem engeren Kreise, sondern in unserer neueren Lyrik schlechthin steht Heyse mit seinen Kindertotenliedern, wie unvergleichlich die Widmung seiner »Neuen Gedichte« ist. Sonst lehrt uns der reiche Kranz Heysischer Widmungen die Weite seines Freundeskreises erkennen; einige nannte ich schon, neben ihnen finden wir Theodor Fontane, Eduard Mörike, Bernhard von Lepel, Eduard Devrient, Ernst Wichert, Felicie Gildemeister (Otto 101 Gildemeisters Gattin, Heyses Adoptivschwester), Georg Brandes, Adolf Wilbrandt, Ludwig Schneegans, Bernhard Windscheid, Helene von Heldburg (die Gattin des Herzogs Georg von Meiningen), Franz Kugler, Emma Klingenfeld, Amélie Linz-Godin, Marie von Ebner-Eschenbach, Betty Paoli, Johannes Volkelt; von allen Widmungen aber die am meisten ergreifende ist die des eben genannten neuen Gedichtbandes. »An Wilfried«:

Nun gingen zwanzig Jahr dahin,
Seit du uns fehlst, mein holder Sohn,
Und immer noch in Ohr und Sinn
Klingt mir der lieben Stimme Ton,
Und immer noch in Nächten klar,
Wenn mich geweckt die alte Wunde,
Seh' ich dein ernstes Augenpaar,
Das Lächeln an dem jungen Munde.

Doch nein! das sind die Augen nicht
Des Knaben, wie in jener Zeit:
Mich grüßt ein Jünglingsangesicht,
In Lebensernst schon eingeweiht,
Als ob an jenem dunklen Ort,
Der streng dich hält in seinem Banne,
Du heimlich lebtest mit uns fort
Und reiftest still heran zum Manne.

Und wie er hier dem Toten zueignet, was »leben wird in diesen Blättern«, so hat er seine Kindertotenlieder gesungen, die wahrlich immer leben werden. Man fühlt, wie die Seele, der kein Trost des Wiedersehens im ewigen Jenseits winkt, sich nach innen verblutet. In der in Italien erlauschten Form der Rispetti hat er am schönsten jene schmerzvollen Tage für immer festgebannt. 102

Rispetti singt man abends in der Kühle
Und mitternachts zur Stunde der Gespenster.
Ein wenig aufzuatmen nach der Schwüle,
Singt sie ein Liebender am Kammerfenster.

Ich singe sie an einem kleinen Grabe,
Drin ruht, was ich zumeist geliebet habe.

Es kommt kein Gruß, kein Flüsterwort zurücke,
Ein armer Spuk nur blieb von so viel Glücke.

                            —————

Mir war's, ich hört' es an der Türe pochen,
Und fuhr empor, als wärst du wieder da
Und sprächest wieder, wie du oft gesprochen
Mit Schmeichelton: Darf ich hinein, Papa?

Und da ich abends ging am stillen Strand,
Fühlt' ich dein Händchen warm in meiner Hand.

Und wo die Flut Gestein herangewälzt,
Sagt' ich ganz laut: Gib acht, daß du nicht fällst.

Meisterhaft ist hier die Verbindung des ganz realistischen Vorgangs mit dem tiefen Schmerz nie verlöschender Erinnerung. Bis unter die Sonne Italiens, zwischen die Paläste von Florenz und Venedig wird die kranke Sehnsucht getragen, um ungeheilt zurückzukehren und, wieder zu Hause, nur zu weinen:

Und wieder braust das Leben,
Du aber liegst so still.
Viel Stimmen klingen munter;
Zu dir, zu dir hinunter
Nicht eine dringen will.

Aus Italien hat Heyse manches schöne Bild, auch nach jenem Flutklang von Sorrent mitgebracht, auch mit hellem Humor das Völkchen Italiens geschildert, das er nicht verleumden lassen will. Der Profilzeichner, 103 der die lebendigen Freunde so gern mit dem Stift festhielt, hat all die geliebten italischen Städte sicher umrissen, eigenartiger aber noch und mit einem Reiz, der sich immer wieder erneuert, Dichterprofile gezeichnet. Früh war Heyse für Hölderlin entbrannt, und so steht er, »Mein Liebling du«, an der Spitze dieser Schar, in der wir Lenau förmlich dramatisch, von der wilden Jagd der Todesgespielen gehetzt, zusammenbrechen sehen, in der Annette von Droste und Gottfried Keller ragend in stiller Hoheit dastehen, und wo mit einem unvergeßlich schönen Bilde von Theodor Storm, dem Freunde, gesagt wird:

Und deine Falter zeigen sich von denen,
Die gern in Flammen sich ihr Grab bereiten,
In helle Glut gelockt von dunklem Sehnen.

Das ist dieselbe Kunst, mit wenig Strichen das Wesentliche zu treffen, die den Bismarck geschildert hat, der, ein behaglich ruhender Held, sich an Lenbachs Herd verweilt und doch allen, die ihn umgeben, das Herz mit der Ahnung einer über Alle hinausragenden Größe erfüllt.

                                War's nicht auch,
Wenn sinnend er das Ohr der Rede neigte,
Als lausch' er doch nur halben Anteils hin,
Da Geisterstimmen, ihm allein vernehmbar,
Ihm Zauberlieder sangen, wundersam
Wie ferner Schwertklang.

Die eigentliche Ballade gehört nicht in Heyses Schaffensgebiet. Er sang Mären, die sich dann häufig doch zu Novellen in Versen erweiterten, gab auch eine behaglich gehaltene Romanze, wie »Der Schenk von Erbach«, in der Luthers trutzige Männlichkeit einen Gegner überwindet, der ihn hat fangen wollen. Tiefer wußte 104 er im »Festmahl des Alten« die Tragik des von der Jugend vergessenen Poeten zu schildern, dem dann in der letzten Lebensstunde der Musen ganzer Chor erscheint, bis dem Entrückten die beschämte Jugend, von heiliger Ehrfurcht bewegt, den eigenen Kranz zu Füßen legt.

Auch in der eigenen Produktion weiß Heyse zu unterscheiden und zu wählen. So hat er denn bescheiden einer ganzen Kette hübscher, einfacher Gedichte den Titel »Hauspoesie« vorangesetzt, es sind Verse, bei denen sich wohlig ruhen läßt, Verse, denen auch wir keine tiefere Bedeutung geben können und wollen, als der Dichter es tat, die wir aber doch im Rahmen des Ganzen nicht missen möchten, und unter denen besonders das von allen Göttern der guten Laune getragene »Nachtgespräch« eine liebenswürdige Gabe bleibt. Und dann findet sich Heyse immer wieder zur Epistel. Sehr reizvolle Briefe in Terzinen, in vierfüßigen Trochäen, im einfachen deutschen Vers ergehen ins Haus und an die Freunde; der schönste von allen, jener Erinnerungsbrief an Rom, Arnold Böcklin geschrieben, ward schon oben zitiert. Und in naher Verwandtschaft zu dieser Epistelkunst steht die Fastenpredigt »Frauenemanzipation«, die Paul Heyse 1865 geschrieben hat, und in der wir nicht nur die geschliffenen Verse eines hin und her gehenden Gesprächs, sondern auch eine für die Zeit der Entstehung überaus unbefangene Anschauung der damals noch viel umstrittenen sogenannten Frauenfrage und einen sehr glücklichen Humor finden. Es handelt sich da nicht zuerst um die Brotfrage, sondern um die Bildungsfrage, nicht im formalen nur, sondern im höchsten Sinn. Mit tiefem Ernst, der durch die leichte Aussprache scheint, wird der üblichen Frauen-Halbbildung 105 abgesagt und dann die Frage aufgeworfen – bezeichnenderweise gerade im Wortkampf mit Frauen:

Der Ursprung dunkel, tief verhüllt das Ziel,
Die Nähe sorgenvoll und bang die Ferne,
Und rings um euch ein hastig Schattenspiel,
Erzeugt vom Strahl der magischen Laterne –
Wie soll die scheue, junge Menschenseele
Erkennen, wen sie sich zum Führer wähle?

Immer wieder wird hier, wie so oft bei Heyse, der Ernst und die Ehrfurcht gepriesen, und mit ihnen im Bunde fordert der Dichter, daß man die Frauen nicht mehr naschen, sondern daß man sie denken und wissen lehre.

Die Lebensweisheit, die sich hier breit ausspricht, verdichtet sich dann in mutigen und unmutigen Sprüchen zu oft höchst glücklich gefundenen, knappen Wahrheiten.

Aus Schritt und Tritt sich aufzupassen,
Was soll es frommen?
Wer nicht wagen darf, sich gehn zu lassen,
Wird nicht weit kommen.

Wie sehr Heyse in jeder lyrischen Form Meister ward, wie er nicht nur Ottaverime und Hexameter mit neuem Leben erfüllte, lehrt das reizende Gedicht, eins seiner spätesten, in dem er das Sonett förmlich persönlich vor uns hinstellt:

Sieh das Sonett! Kannst du ein Gleichnis nicht
In seiner Strophen Viergestalt gewahren,
Das Bild von zwei verbundnen Menschenpaaren?
Voran die Eltern, Leute von Gewicht.

Was Er mit seinem würd'gen Tone spricht,
Bestätigt Sie, bemüht, ihm zu willfahren,
So schwierig manchmal auch die Reime waren,
Sie hält sich stets an seiner Seite dicht. 106

Dann folgen flink dem Alten auf dem Fuß
Von schlankerm Wuchs leichtherzig die zwei Jungen,
Die man für Liebesleutchen halten muß.

Er raunt ins Ohr ihr zarte Liebkosungen,
Und mit des letzten Reims behendem Schluß
Hat sein Terzinchen küssend er umschlungen. –

Deutlich heben sich die Entwicklungen ab, die der Berliner Realismus und die Münchener Formfreude nebeneinander nahmen, wenn man Theodor Fontanes und Paul Heyses lyrische Entwicklung vergleicht. Zunächst wirken sie völlig wie zwei Brüder, beide, obwohl im Alter verschieden, noch den frühesten Tönen Emanuel Geibels verwandt, zum Teil auch von verwandten Stoffen ergriffen, und langsam geht dann die Entwicklung auseinander. Den Älteren zieht's nach Norden, Schleswig-Holstein, England, Schottland, er wendet sich in seiner Stoffwelt immer mehr angelsächsischen und skandinavischen Motiven zu, der Jüngere gerät, wie sein ganzer späterer Kreis von Lingg bis zu Scheffel, nach Italien, ihm rundet sich der Vers, während er sich dem anderen immer leichter, fast salopper, aber freilich mit einer fein getönten Saloppheit, gestaltet. Heyse empfängt Anregungen von den großen italienischen Bauwerken und Bildwerken, von Böcklin und Lenbach, Fontane von schottischen Schlössern und englischen Abteien, von Blechen und Menzel. Jener lernt und lehrt, ohne zu schulmeistern, die Freunde jede Form nicht nur meistern, sondern beleben, dieser macht sich schließlich eine einfache Form zurecht, die dem Naturalismus seiner späten Prosa so nah verwandt erscheint, wie die gebändigtere Form Heyses dessen Meisternovellen. 107

 


 


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