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Verwaiste Katzen

Der Sturm hatte sein Werk getan. Der Ziegenstall, die Vorratskammer, der Herdraum, den Peter durch Bruchstücke des Dachgebälks gegen die verwüstete Stube zu abgeschlossen hatte, das war nun die Behausung der Sonnleitnerleute.

Im Garten, nahe bei dem Rosenstrauch, wurde die kleine Tochter begraben. Still weinte sich die Mutter aus, kein Wort des Vorwurfs kam über ihre Lippen, aber der Grabhügel des Kindes sprach unerbittlich von Versäumnis und Schuld. Kein Honigtrank gab barmherziges Vergessen.

Am Tage nach dem Begräbnis stieg Peter zum Ufer des unteren Moorbachs hinunter und begann Fichten zu schlagen. Er kürzte die Bäume an Ort und Stelle. Da er auf seinem zweirädrigen Karren die Langhölzer nicht fortschaffen konnte und auch nicht jeden Baum einzeln schleppen wollte, baute er in aller Eile einen starken Hilfskarren, vorerst ohne die Radscheiben mit Eisen zu beschlagen. Beide Karren verband er zu einem vierrädrigen Wagen und lud so viele Langhölzer auf, daß er ihn schweißtriefend gerade noch ans Haus ziehen konnte. Nach schwerem Tagewerk verzehrte er stumpfsinnig vor Müdigkeit sein Essen und schlief am Tisch ein. Aber nachts wurde er von Alpträumen heimgesucht.

Als die gröbsten Spuren des Unglücks beseitigt waren und das neue, mit Rasenflözen und Steinen gedeckte Notdach den Wind von der Stube abhielt, war Peter der alleinige Bewohner des einst so vertrauten Raumes. Eva, die sich in der Sturmnacht erkältet hatte, war krank und schlief mit Hansl im warmen Ziegenstall.

In den Blicken seiner gebrochenen Frau las Peter den Groll, dem sie keine Worte gab. Dahin war Hansls sorglose Kindlichkeit. Ernst las er der blassen Mutter jeden Wunsch von den Augen ab und tat für sie, was er konnte. Ob er die Haustiere fütterte oder bei der Zubereitung der Mahlzeiten half – sein Tun war nicht mehr Spiel, sondern Arbeit.

*

Lang war der Winter, aber eines Tages war seine Herrschaft vorüber. Die Maßliebchen- und Löwenzahnbeete standen in Blüte, und Eva bepflanzte den Grabhügel ihrer Tochter mit Goldprimeln, Bergnelken und Immergrün. Mit der Zeit milderte sich Evas Leid. Unter dem Einfluß der Sonne und der Frühlingslüfte wurde sie kräftiger, so daß sie einen Teil der Hausarbeiten wieder selbst übernehmen und Hansl sich mehr um die Ziegen kümmern konnte, die im Geißengarten ihre Jungen zur Welt bringen sollten. Eva sah, wie ihr Mann sich härmte und in harter Arbeit abquälte. Je weiter seine Vorbereitungsarbeiten für das neue Dach fortschritten, um so mehr verschwand der Groll aus Evas Zügen. Als Peter jedoch, ermutigt durch ihr verändertes Wesen, mit seiner schweren Hand liebkosend ihre Schulter streicheln wollte, wies sie ihn ab. Da ging er wortlos.

Nach der ersten Heuernte waren die entrindeten und angekohlten Bauhölzer von der Sonne übertrocknet, aber nicht trocken genug. Da hieß es noch warten. Peter machte sich an andere Vorarbeiten. Das Dach sollte steiler werden, damit der Schnee besser abgleiten konnte. Die einzelnen Balken sollten durch Eisenklammern miteinander verhängt und fest ins Mauerwerk gemörtelt werden. So holte er denn einige Karren Raseneisenerz von der Goldbachmündung, heizte den Schmelzofen, verwandelte das Gußeisen in Schmiedeeisen und machte Eisenstäbe von halber Armlänge. Ihre Spitzen bog er um; die eine sollte gut eingemörtelt in der Mauer sitzen, die andere als Kralle das Holz halten. Als das Schwadenkorn reifte, war das neue Dach fertig. Peter baute noch einen flachen Zwischenboden unter dem schrägen Dach ein, der nach unten die Stubendecke, nach oben einen luftigen Tragboden für die Fruchtvorräte abgeben konnte. Erst als die Stube mit einem Gemisch von Kalkmilch und Lehm freundlich gestrichen war, zog Eva ein und brachte das Heim in Ordnung. Der Winter vermochte den Sonnleitnerleuten nichts mehr anzuhaben.

Wieder war der Frühling ins Land gezogen. Nach einer mondhellen Nacht brachte Peter vom Moorsee eine gefesselte Wildente mit ihren acht Küken, die als gelbliche Flaumbälle Eva und Hansl entzückten. Mit der Klemmschere kürzte Peter die Schwingen der Mutterente und setzte sie in den Hausteich, an dessen oberen Rand er einen niederen Stall baute. Gleich am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft fraßen die neuen Ankömmlinge gierig alles, was ihnen gestreut wurde, sie gründelten im kleinen Teich und durchstöberten alle Winkel des eingezäunten Platzes.

Auch die Ziegen und die Fuchshunde bekamen wieder Junge, und ein Schwalbenpaar stellte sich ein. Die unzähligen Fliegen, die den Abfallhaufen neben dem Stall an der Südwand umschwirrten, zogen sie an. Hier gab es Nahrung in Hülle und Fülle, und so dauerte es auch nicht lange, bis sich die Gäste unter dem Dachrand ihr Nest aus feuchten Lehmklümpchen bauten, die sie durch eingezogene Grashalme verbanden. Und ehe eine Woche vergangen war, saß das Weibchen im gemauerten Nest auf ihren Eiern.

Nach weiteren zwei Wochen steckten die fast nackten Jungen abwechselnd ihre unförmigen Köpfe aus dem runden Flugloch der Nestkammer, rissen bettelnd und einander stoßend die Schnäbel auf, sooft eines der Alten Futter brachte. Die Zahl der Fliegen im Stall nahm zusehends ab, die gefräßigen Schwalbenjungen bekamen Federn und machten bald ihre Flugübungen über dem Hof.

Eines Morgens kam Peter, munter pfeifend, vom Neuen Steinschlag herüber. Hoch in seiner Rechten hielt er ein graues, schwarzgezeichnetes Tier, an dem der Hund ungeduldig emporsprang. Er legte Eva eine Wildkatze in die Hände und begann zu erzählen. Er hatte das Raubtier mit einem Pfeil angeschossen, weil es in den Hausfrieden eingebrochen war und sich vom Hof eine Taube geholt hatte. Den Blutspuren folgend, hatte er mit Schnapps Hilfe die verwundete Katze vor einer hohlen Fichte des Urwaldes erschlagen, ehe sie in ihr Nest eindringen konnte, aus dem drei Junge miauend herausgeguckt hatten.

Eva preßte die Lippen zusammen, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit. Das Schicksal der toten Taube hatte auf sie wenig Eindruck gemacht. Lebten nicht auch sie, ihr Mann und ihr Kind vielfach vom Fleisch getöteter Tiere? Aber der qualvolle Tod der Katzenmutter, der Hunger der verwaisten Kätzchen griffen ihr ans Herz. Wortlos starrte sie vor sich hin.

Peter, der Dank erwartete, weil er ein Raubtier erlegt hatte, das auch das Leben Hansls hätte bedrohen können, deutete den Ausdruck der Trauer auf Evas Gesicht falsch, er hielt ihn für Mißbilligung seiner Tat, hatte er doch einst gelobt, kein Muttertier zu töten. Er nahm Eva die Beute ab und hängte die Katze verdrossen an den Zaun; später wollte er sie abbalgen.

Unterdessen zog Eva sich und Hansl die schweinsledernen Schuhe an und füllte einen Henkeltopf mit frischgemolkener Milch. Als sie sich zum Fortgehen anschickte, fragte Hansl, dem ihr gedrücktes Wesen auffiel: »Mutter, was hast du denn?« Da zog sie den Kleinen an sich und sagte erregt: »Die große Katze war eine Mutter, so wie ich deine Mutter bin. Der hohle Baum im großen Wald da unten ist ihr Haus, dort hat sie drei Kinder, weißt du? Und die Kinder haben Hunger, essen möchten sie, sie weinen vor Hunger. Da hat sie ihnen was zu essen bringen wollen, hat uns eine Taube genommen, und dafür ist sie erschlagen worden ... Und jetzt gehen wir zu den Katzenkindern!« In der Linken den Milchtopf, an der Rechten ihren Sohn, die Augen auf die Spuren ihres Mannes geheftet, strebte die Sonnleitnerin vorwärts durch Jungholz und Gestrüpp, bemerkte da und dort Blut und drang in den Urwald ein. Über vermoderte Baumleichen und niedergetretenes Farndickicht gelangte sie zum Wohnbaum des Raubtieres, an dessen Fuß in einer Blutlache die tote Taube lag. In der Baumhöhle, weit über Evas Kopfhöhe, im Stamm der alten Fichte, zeigten sich die runden Köpfchen dreier Jungkatzen und verschwanden blitzschnell.

An ein Erklettern des Baumriesen, den zwei erwachsene Menschen kaum umspannt hätten, war nicht zu denken. Da hob Eva den Buben auf ihre Schultern. Er tastete sich am Stamm empor zu voller Höhe, griff beherzt ins Innere der Höhlung, zog ein Kätzchen nach dem anderen heraus und reichte sie der Mutter hinab, die ohne Scheu die weichbepelzten Tierchen zwischen Brust und Hemd barg.

Dann stellte sie Hansl wieder auf den Boden, hieß ihn den Milchtopf aufnehmen und beeilte sich, aus dem unheimlichen Dunkel des Urwaldes zu kommen.

Behutsam streichelte sie die vor Angst zitternden Jungtiere. Als der düstere Wald hinter ihr lag, ließ sie sich am Fuß eines Baumes nieder und legte die Kätzchen in ihren Schoß. Und Hansl, der vor ihr auf den Fersen kauerte, übernahm es, den Tieren die Atzung anzubieten. War es die längst abgekühlte Milch oder das ungewohnte Gefäß? Jedes zog den Kopf zurück, sooft ihm Hansl das Schnäuzchen in den Topf steckte.

Da tauchte Eva den Zeigefinger in die Milch und führte ihn einem der Kätzchen in den Mund. Und siehe da – es begann zu lecken und leckte fort, als Hansl seiner Mutter die Milch in die hohle Hand goß. Das Schmatzen des einen lockte die anderen an, und bald drängten sich drei runde Köpfe in Evas hohle Hand. Bald war der Topf leer, und die drolligen Kerlchen begannen ihre winzigen Pfoten zu lecken und sich zu waschen.

Zuhause machte Eva ihnen in einem Korb ein warmes Nest. Sie wollte ihnen die Mutter ersetzen.


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