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Der kleine Hans

Das Kind gedieh, die Mutter aber brauchte lange, bis sie sich erholte. Sie klagte über den kalten Boden. Die Felle auf dem Lehmflöz waren vom Schimmel befallen. Peter belegte den Boden mit flach behauenen Stämmen, die noch von den Wänden der Blockhütte übrigwaren. Das bißchen Milch, das er der Scheckin noch abmelken konnte, gab er Eva, buk Fruchtfladen und kochte, wonach es sie gelüstete. Für den kleinen Hans fand sich ein tragbares Bettchen, nämlich die Futterkrippe der Geiß, die Peter mit Heu, Rehfellen und weichgeklopften Scheiben von Buchenschwämmen auslegte.

Die junge Mutter sehnte sich nach der Sonne. Warme Winternachmittage hätte sie am liebsten draußen verbracht. Peter baute ihr aus Birkenstämmchen einen bequemen Sessel mit Rückenlehne und Armstützen und legte ihn mit Fellen weich aus; und vollends glücklich war Eva, wenn er mit ihr draußen zu Mittag aß. Sie fühlten sich sicher im Frieden des Hauses, den auch die Fuchshunde nicht stören durften.

Hansls Gesicht, das anfangs so faltig und verdrießlich ausgesehen hatte, wurde rund und glatt. Seine Eltern fanden es entzückend. Nicht minder bewunderten sie seine winzigen Hände und Füße, mit denen er fuchtelte und zappelte. Seine Augen, die in den ersten Lebenswochen ausdruckslos ins Unbestimmte geblickt hatten, richteten sich immer aufmerksamer auf alles, was leuchtete, glänzte und sich bewegte. Sein Lächeln und Krähen wurden von Mutter und Vater als Zeichen von Klugheit bejubelt. Bald drehte Hansl sein Gesicht den Dingen zu, von denen ein Ton ausging, und schien sich zu freuen, wenn er entdeckte, was da geklungen hatte. Sein glücklicher Vater bastelte ihm aus leeren Walnüssen, in die er Steinchen einschloß, eine Rassel, die Hansl unermüdlich schüttelte. Um seine Ohrenfreuden zu vermehren, ließ Eva ihre alte bronzene Bratpfanne vom Deckenbalken herabbaumeln und schlug mit dem Kochlöffel darauf. Dem langausklingenden »Gunn-n!« lauschte der Bub mit offenem Munde. Da gab Eva ihm den Kochlöffel und hängte die Pfanne tiefer. Der Kleine schlug auch danach, meist traf er daneben, da seine Hand noch nicht der Führung des Auges gehorchte; sooft es ihm aber glückte, schrie er vor Freude.

Der Nachwinter war mild. Laue Stürme schleuderten Schneeregen gegen die schlaffgewordenen Tierblasen in den Fensterluken. Die kalten Baumkronen des nahen Laubwaldes ächzten und warfen totes Geäst ab. Immer häufiger wurden die föhnigen Tage. Dröhnend fuhren Schnee- und Steinlawinen zu Tal. Die Brandstätte auf der Sonnleiten prangte im Schmuck der Huflattiche, deren Blütensönnchen sich auf beschuppten Stengeln der Sonne zuwendeten. An stillen Tagen saß Eva auf ihrem Sessel im Sonnenschein und nähte ihrem Sohn das erste Hemdchen aus weichgewalktem Rehleder, denn Nesselgewebe war zu rauh für seine zarte Haut. Vater Peter schnitzte an einem Spielzeug für den Sohn oder an Eßlöffeln aus dem harten Holz des Eisbeerbaumes.

Auf den Höhen schmolz der Schnee, und über die kahle Brandstätte der Sonnleiten rieselten glitzernde Bächlein. Dem Stubenboden aber entstieg ein schwerer, muffiger Geruch. Da riß Peter einige Bodenbalken auf und entdeckte zu seinem Entsetzen, daß die Erde unter dem Holz breiig war; das Bodengebälk schimmelte und moderte, von weißen Fäden des Hausschwammes durchzogen.

Peter grub für das Bergwasser Abzugsgräben an beiden Seiten des Hauses und bewarf den Sockel der Mauern bis auf den Felsgrund mit Mörtel. Anschließend grub er den Stubenboden bis auf die felsige Unterlage ab und deckte ihn mit angekohlten Baumstämmen. Darauf legte er einen Lehmbelag, den er, um ihn zähe zu machen, mit Ziegenmist vermischt und geknetet hatte. Unter der Stirnmauer des Hauses stach er Abzugsrinnen, damit das Wasser ablaufen konnte.

Unterhalb des Hauses, auf der nach den Bärenhöhlen gelegenen Seite, hob er eine knietiefe Grube aus. Darin sollte sich das Bergwasser sammeln und einen Teich bilden.

Die föhnige Zeit gab Peter viel zu tun. Der Boden des künftigen Gemüselandes, wo noch die Strünke der verbrannten Bäume standen, mußte gelockert werden. Eva half dabei. Weil der Hang, an dem die Schmelzwasser haltlos niederrieselten, so steil war, legte sie die Beete als breite Stufen an, wo das Wasser sich stauen und dann versickern mußte. An ihren Möhren, die sie im vorigen Sommer gesät hatte, entdeckte Eva Dinge, die ihr zu denken gaben. Die Wurzeln jener Möhren, die sie so frühzeitig gesät hatte, daß sie noch im Herbst zum Blühen kamen, waren mager und zähe, die Wurzeln der zu spät gesäten aber dick und saftig. Eva beschloß, die gut Geratenen blühen zu lassen und ihre Samen im Spätsommer auszusäen. Damit aber die Ziegen nicht wieder das Gemüseland kahlfressen konnten, sollte Peter den ganzen Anbaugrund mit einem schulterhohen Zaun umhegen.

Kaum war der Zaun fertig und der kleine Hofraum vor dem Haus vom Garten abgeschlossen, brachte die Scheckin, gerade als die Sonne hinter der Henne unterging, vier gesunde Zicklein zur Welt, unter denen nur ein Böckchen war. Eine Woche danach erfreute Bleß, die Einjährige, ihre Pfleger durch ein weibliches Zicklein. Alle Sorge um Felle und Fleisch war vorbei. Wenn auch ein Teil der Milch den Zicklein überlassen werden mußte, den größten Teil des Jahres hatten die Sonnleitnerleute Milch im Überfluß. Aber der Zuwachs an Ziegen, die Peter nicht immer bewachen konnte, zwang ihn, auch den Weideplatz im Alten Steinschlag in weitem Bogen zu umzäunen. Erzverarbeitung, Töpferei und die geliebte Schmiedearbeit, alles mußte zurückstehen, bis der Zaun fertig war. An der Felswand entstand aus groben Felsbrocken und schwerem Gebälk ein niederer Stall, in dem die Tiere bei Unwetter Schutz fanden.

Eva, die Pflänzlinge für den Gemüsegarten beschaffen mußte, trug auf ihren Wanderungen ihren Buben im Rucksack mit sich. Sie war wieder gesund und kräftig. Hansl, für den sie einen Liegekorb aus Weidenruten geflochten hatte, nachdem er einmal aus der Krippe gepurzelt war, behinderte sie nicht in ihrer Arbeit. Hatte er sich an der Mutterbrust sattgetrunken, dann lag er vergnügt in seinem Korb, auf Moos und Feuerschwammlappen weich gebettet, mitten im Gartenland. Als Sonnenschutz diente ein Tannenast, den Eva neben ihm ins Erdreich steckte. Seine Augen folgten den Schmetterlingen, die von Blume zu Blume gaukelten, und den Singvögeln, die zwitschernd die Beete nach Insekten absuchten. Der Kleine machte auch an sich selbst allerlei Entdeckungen: Er fand, daß jeder Finger sich in den Mund stecken ließ; er zog die Beine herauf und versuchte bald an der linken, bald an der rechten großen Zehe zu lutschen. Er strich sich mit den Fingern über die Lippen und brummte dabei. Er schuf sich ein wunderliches Kauderwelsch, das seiner Mutter wie eine fremde Sprache vorkam. Unfaßbar war es ihr, daß Hansl den heimkehrenden Peter mit »Atja« ansprach und seinen Mund in breitem Lächeln verzog. Atja! – woher hatte er dieses Wort?

Die Fuchshunde und deren Junge beschäftigten ihn unausgesetzt. Sobald er sie sah, kroch er ihnen auf allen vieren nach; und jeder Hund hieß bei ihm einfach »Haff, haff«! Hatte er bei Tag zu viel geschlafen, dann begann er nachts seinen ganzen Wortschatz auszukramen. Und mochten die Eltern noch so müde sein, sie lauschten seinen vieldeutigen Selbstgesprächen, bis er sich in den Schlaf gelallt hatte.


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