Heinrich Smidt
Seemanns-Sagen und Schiffer-Märchen
Heinrich Smidt

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Das steinerne Schiff

Es war eine laue, mondhelle Sommernacht. Ein leichter Ostwind kräuselte die Wellen des Ozeans und eine Schar fliegender Fische tauchte silberglänzend aus seinem Wasserspiegel auf. Da schoß ein kühner Segler durch die kristallhelle Flut, die großen vollen Segel dem Mondlicht entgegenbreitend. Es war die königlich französische Fregatte ›Ludwig der Vierzehnte‹ die am folgenden Tage den Ort ihrer Bestimmung, die dänische Insel St. ThomasHeute portugiesische Insel vor der Küste Afrikas im Golf von Guinea, heutiger Name São Thomé., zu erreichen hoffte. Der Aufenthalt im Freien war erquickend, und die Offiziere saßen an einer runden Tafel in der Mitte des Quarterdecks, fleißig dem Glase zusprechend.

Der Kapitän der Fregatte, Jacques St. Ange, ein junger, lebensfroher Mann, führte das Wort, und zum Segelmeister gewendet, der unruhig umherspähend an der Reling lehnte, sagte er: »Was habt Ihr, Valry? Ihr vergeßt Glas und Gesellschaft. Das ist doch sonst Eure Sache nicht.«

»Ich suche das steinerne Schiff«, entgegnete dieser fast mürrisch, »und kann die verdammte Klippe nicht finden. Nach meiner Berechnung hätten wir sie schon vor zwei Stunden und ganz in der Nähe haben müssen.«

»Wie kommt es, daß ein steinernes Schiff Euch so mißmutig machen kann?« fragte der Kapitän; »habt Ihr doch eine Fregatte unter Euren Füßen, so gut wie je eine aus Holz und Eisen auf den Werften von Brest oder Toulon erbaut ward.«

Der Segelmeister nahm das Wort: »Weil ich von dem Punkt aus einen neuen Kurs setzen wollte, und weil ich mich ärgere, daß das Auge eines Mannes trügen kann in mondheller Nacht.«

Das Gespräch über diesen Gegenstand wurde allgemein. Mehrere Offiziere gaben ihre Meinung ab, und der Segelmeister hörte aufmerksam zu, während er oftmals den forschenden Blick über die weite Fläche hingleiten ließ.

An Bord der Fregatte war noch ein Geschöpf, das bereits die Aufmerksamkeit manches Fremden erregt hatte, wenn das Schiff irgendwo ankerte. Es war ein kleiner, mißgebildeter Neger, dessen Jahre seiner Gestalt weit voran geeilt waren. Er gehörte zur Bedienung des Kapitäns; dessen mutwillige Laune hatte ihn in ein phantastisches Kostüm gesteckt und das schwarze Gesicht mit den glänzenden Augen blickte unter dem schneeweißen Turban gar seltsam hervor. Monkey – mit seinem Spottnamen so geheißen – stand hinter dem Sessel des Kapitäns und hörte dem Gespräch aufmerksam zu, das eben jetzt mit erneuter Lebhaftigkeit geführt wurde.

»Es ist aber nicht abzustreiten«, sagte der Kapitän, »daß jene Klippe, die das steinerne Schiff heißt, die größte Ähnlichkeit mit einem Schiff hat, das mit vollen Segeln durch die Wogen schießt; ja ein sonst ganz tüchtiger Offizier fühlte sich sogar durch solche Täuschung veranlaßt, auf sie zu schießen, weil seinen Signalen nicht die gebührende Antwort gegeben wurde. Er blieb die ganze Nacht in ihrer Nähe und ihr könnt euch denken, daß er, sobald es Tag wurde, mit nicht geringer Beschämung von dannen zog.«

Die Offiziere lachten laut auf, und der Segelmeister Valry sagte: »Es sollte mich wundern, wenn darüber nicht im Munde des Volkes eine lange Geschichte von Hexen und Zauberern existierte. Es muß gleich alles mit seinem Aberglauben beklecksen.«

»Das fehlte noch, daß die Offiziere einer königlich französischen Fregatte sich mit Kindermärchen unterhalten«, sprach St. Ange mit Lachen. »Aber unser Segelmeister hat doch nicht eher Ruhe, bis dieser Stein von seinem Herzen gewälzt ist. Wer also etwas davon weiß, der bringe es vor.«

Der Kapitän sah mit einem auffordernden Blick im Kreise umher, aber alle schwiegen. Da richtete Monkey sich auf und das Haupt seltsam hin und her bewegend, sprach er laut: »Ich weiß es!«

»Dachte ichs doch!« rief Valry mürrisch, die übrigen Offiziere lachten und Kapitän St. Ange befahl seinem Neger, zu erzählen.

Der Neger setzte sich mit gekreuzten Beinen auf das Deck und begann: »Ein rauher Sturmwind hatte mit den Palmenwäldern meiner Heimat gespielt; jetzt kam die Sonne und verjagte die trüben Wolken. Der Himmel glänzte lieblich und milde. Da trat Zora aus ihrer Hütte, kniete nieder und betete zu dem Unsichtbaren, den mein Volk verehrt und nicht, wie die übrigen Stämme, einen albernen Fetisch, der nichts ist und nichts kann. Zora war ein schönes Mädchen, und als sie hinkniete, fächelten die Palmen ihr Kühlung zu und rauschten zusammen, alles zum Lobe Zoras und des Unsichtbaren. Ihr Gebet war beendet und sie blickte forschend nach dem Bananenwald, der sich längs der Küste ausdehnte. Gleich darauf erschien Abu an dessen Eingang und wie eine flüchtige Gazelle lief ihm Zora entgegen. Abu war der schönste Mann im ganzen Stamm und der Geliebte Zoras. Da trat Thorus zu ihnen und grüßte sie schweigend. Thorus aber war ein alter Mann und von dem ganzen Volk hochgeehrt, denn er war weise, hatte Wissen von verborgenen Dingen und besaß die Gabe, die Zukunft zu enthüllen. Abu und Zora knieten vor Thorus, und baten ihn, daß er sie segne. Er schloß sie in seine Arme und sagte: ›Das Licht flammt in meinem Haupt; ich sehe in meinem Geist trübe Dinge nahen; darum gebt acht, daß ihr nicht unterliegen möget!‹

Die Liebenden waren erschrocken und fragten den weisen Vater nach der Ursache seines Trübsinns. Der aber sagte: ›Es gibt noch andere Völker auf Erden, von anderer Farbe und anderen Sitten als wir. Ihr Gesicht ist weiß und glänzend und sie rühmen sich, die Lieblinge und Auserwählten des großen Unsichtbaren zu sein. Nie haben wir sie, noch sie uns gesehen, aber mein Sinn ist unruhig und ich bin gezwungen, stets daran zu denken, daß eine Prophezeiung vor vielen tausend Sonnen geschah, daß diese Söhne des Lichts sich unserem friedlichen Land nähern und großes Leid über uns bringen würden.‹

Die Liebenden fürchteten sich vor dieser Verkündigung und schlossen sich, Tränen in den Augen, fester aneinander. Gerührt blickte Thorus sie an: ›Wenn diese Fremdlinge kommen, um uns Gewalt anzutun und den Bund unschuldiger Liebe zu stören, dann soll die Rache der Finsternis sie treffen und keine Macht sie vom Verderben erlösen!‹

Er murmelte noch viele unverständliche Worte, schwang seinen Stab nach allen Himmelsgegenden und blieb hoch aufrecht stehen. In demselben Augenblick erhob sich ein seltsames Brausen, die Luft zitterte, der Boden wankte. Thorus aber sprach ruhig: ›Der Seewind erhebt sich plötzlich mit ungewöhnlicher Stärke; laßt uns sehen, was er uns zuführen wird!‹

Sie gingen zusammen an den Strand des Meeres. Ein seltsames Gebilde mit schwarzem Rumpf und weißen Flügeln, wie man es in jener Gegend noch nie gesehen hatte, schwamm auf dem Wasser heran und kam immer näher.

›Das sind die Weißen!‹ rief Thorus unruhig. ›Sie fahren mit ihren Häusern auf dem Meer und spielen mit dem Donner!‹

Bald war der ganze Strand mit Negern angefüllt, die zwischen Furcht und Neugier das ihnen ungewohnte Schauspiel anstaunten. Die Fremdlinge betraten das Ufer, verständigten sich mit den Eingeborenen durch Zeichen und wurden gute Freunde. Sie führten ein flüssiges Feuer mit sich, wovon sie den Leichtbetrogenen mit großer Bereitwilligkeit zu trinken gaben, und kaum hatten diese den Feuertrank genossen, als sie in unsinniger Lust durcheinander rasten und alles herbeiholten, was sie nur irgend besaßen. Lange Zeit brachten die Weißen am Ufer zu, ließen sich von den Schwarzen bedienen und spendeten immer bereitwilliger ihren Feuertrank. Umsonst versuchte Thorus, seine Landsleute zur Besinnung zurückzuführen, der Taumel war zu groß und seine Rede fand nur taube Ohren. Nur Abu und Zora wandten sich scheu von den taumelnden Brüdern ihres Stammes und schmiegten sich an Thorus.

Endlich war es dem Häuptling der Fremden gelungen, einiges aus der Sprache des Volkes zu lernen und eines Tages sagte er: ›Ich habe viel Gutes von euch erfahren und will euch wieder Gutes tun. Kommt alle, soviel nur Platz finden, auf mein Schiff, ich will euch bewirten und euch bedienen wie meine Brüder.‹

Mit lautem Jubelgeschrei wurde das Anerbieten aufgenommen und was in den Booten, die am Ufer lagen, nicht Platz fand, sprang in die See und schwamm dem Wundergebäude zu.

Zora und Abu wollten zurückbleiben, aber ihre Väter zwangen sie, mitzugehen, denn sie waren das schönste Paar im Stamm und sollten vor dem fremden Führer tanzen. Thorus begleitete seine Lieblinge. Als alle auf dem Schiff angelangt waren, ließ sich Musik hören und hocherfreut sprangen die armen, getäuschten Neger durcheinander. Sie tranken dazwischen den Feuertrank in langen Zügen, einer nach dem andern fiel um und bald lagen sie alle, vom Schlaf ergriffen, hingestreckt, nur Thorus nicht und seine Lieblinge, die in einer Ecke des Schiffsraumes saßen und ruhig das Ende der Dinge erwarteten.

Jetzt änderte sich auf dem Schiff plötzlich die Szene. Die Musik schwieg und die Europäer stürzten sich raubgierig auf die betrogenen Unglücklichen, knebelten sie und schichteten sie im Raum nebeneinander. Nach und nach erwachten die und des Winselns war kein Ende.

Da stürzte Thorus auf das Deck und stellte den Hauptmann zur Rede. Der aber lachte laut auf und befahl, die schwarze Bestie zu greifen. Inzwischen hatte die Mannschaft die Anker gelichtet, und das Schiff flog mit vollen Segeln auf die hohe See hinaus.

Thorus wehrte die Matrosen von sich ab und schlug mit seinem Stab den nächsten über den Kopf, daß er laut schreiend zu Boden fiel. Er richtete sich drohend auf und die Augen rollten im Kopf wie zwei glühende Kohlen. Alle wichen scheu zurück, der Hauptmann aber sagte mit leisem Schauer: ›Der eine wird uns nicht mehr schädlich werden. Laßt ihn laufen und uns mit seinen Possen die Zeit vertreiben.‹ So blieb Thorus von der schmählichen Fessel befreit. Abu und Zora aber lagen gebunden neben ihren Vätern im Schiffsraum.

Ein Tag nach dem andern ging hin.

›Wir werden einen guten Handel machen, wenn wir mit der schönen Ware an den westindischen Markt kommen‹, sprach der Hauptmann zu seinem nächsten Untergebenen, und dieser wollte satanisch grinsend etwas darauf erwidern, als Thorus herantrat und fragte, ob es in Wahrheit seine Absicht sei, sie zu verkaufen? Als beide Offiziere dies lachend bekräftigten, warf er ihnen einen stechenden Blick zu und stieg schweigend zu seinen Genossen in den Schiffsraum.

›Thorus! Thorus!‹ schrien alle wie aus einem Munde. Er aber winkte mit der Hand und es herrschte augenblicklich Totenstille. Er sprach zu ihnen lange und eindringlich, sie hörten ihm aufmerksam zu und brachen dann in lauten Jubel aus.

Am andern Morgen stieg der Alte auf das Deck in dem Augenblick, als die Wärter die karge Nahrung brachten. Aber mit furchtbarem Geschrei kehrten diese zurück, denn keiner der Gefangenen bewegte sich; Thorus hatte sie während der Nacht mit seinem Zauberstab getötet.

Außer sich vor Wut warf sich der Hauptmann auf den Alten. Dieser aber berührte die Männer der Besatzung nacheinander, worauf sie erstarrten. Dann begann er seine Beschwörungen, neigte sich nach allen Himmelsgegenden und sprang in die See.

Unbeweglich stand die Besatzung, unbeweglich stand auch das Schiff. Die Sonne ging unter und die Nacht brach herein, ohne daß irgendeines Leben und Bewegung empfangen hätte; alles lag wie gefesselt in der flüchtigen Flut.

Am anderen Morgen erblickte ein fremdes Schiff einen Segler in geringer Entfernung von sich. Verwundert über dessen eigentümliche Bauart, hielt es gerade auf ihn hin, bald aber kehrte es auf die rechte Bahn zurück, denn vor ihm lag ein großer Stein.«

Der Erzähler schwieg. Die Offiziere der Fregatte ›Ludwig der Vierzehnte‹ sahen einander an. Monkey stand auf und ging davon.

In demselben Augenblick rief eine Stimme vom Vortopp: »Segler in Lee!«

»Segler in Lee! Segler in Lee!« erscholl es von allen Seiten.

Die Offiziere sprangen auf und der Segelmeister Valry eilte zum Fernrohr.

»Wahrhaftig!« rief er. »Ein stolzes Schiff! Wie sonderbar seine Segel sich blähen! Fast unheimlich! Kapitän Saint Ange, was haltet Ihr von diesem Segler?«

Bei diesen Worten drehte er sich um. Vor ihm stand Monkey grinsend: »Das ist kein Segler, das ist der Stein!«


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