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Röschen vom Cliff

Still, alles still am weiten Strande. Kein Luftzug kräuselt die Flut. Sie ruht wie ein metallener Schild und alle Sterne spiegeln sich darin wieder. Km äußersten Horizont taucht der Mond aus den Wellen, halb vom leichten Gewölk verschleiert und wirft seine magischen Strahlen gegen die glatten Dünenwände vom Eiland Sylt.

Aus der sandigen Hügelkette schiebt sich ein Rücken derselben fast senkrecht weit vor in die See. Vom obersten Rande derselben ziehen sich nach unten zu rote Adern, wie zerbröckelter Sandstein, bald gerade geschichtet, bald wellenförmig auslaufend. Darum nennen es die Eiländer das rote Cliff.

Und wenn zur Nachtzeit die Sterne funkeln, wenn die See nach langen, wilddurchtobten Tagen ruhig schläft, wenn der Mond ihrem Schoße entsteigt und sein Licht von den Wänden des roten Cliffs widerstrahlt, dann sieht es aus, als ob jene versteinerten Adern lebendig würden. Sie rieseln langsam niederwärts, bald goldig schimmernd, bald purpurrot, bald untereinander gemengt, nicht einem ununterbrochen fortlaufenden Streifen, sondern einzelnen Tropfen gleichend, die aus dem Lande hervorquellen und im herabfallen leise klingen. Begierig saugt die See diese Perlen auf und ein altes Lied nennt sie die Tränen des Röschens vom Cliff.

Und wenn alle schönen und liebreizenden Mädchen von Keitum und Wennigstädt, aus Morsum und Westerland beisammen ständen, es wäre doch keine darunter so schön, als Maren Geik aus Kampen mit den lichten blauen Augen, den rosigen Wangen und dem goldenen Ringelhaar, das über Brust und Schultern herabwallte und sich kaum zusammen flechten lassen wollte.

Und unter den Jungkerlen, die sich in Sylt alljährlich zusammen finden, um nach Hamburg oder Holland von dort aus in See zu gehen und nach allen Richtungen der Windrose die Welt zu bereisen, war keiner kräftiger und stärker als Jens Bathen aus Archsum. Wenn man eigens nach einem Paare hätte suchen wollen, das gut zusammenpaßte, es hätte kein besseres gefunden werden können, als Maren Geik und Jens Bathen. Darum als sie sich beisammen fanden beim Tanzen und leise flüsternd aus der Reihe der Tänzer traten, als neugierige Mädchen und vorwitzige Burschen fragten und horchten und endlich erkundschafteten, daß der Matrose Jens Bathen allabendlich die Heidestrecke durchwanderte, die zwischen Archsum und Kampen liegt, daß Maren Geik stets zur selben Stunde unter der Haustür stünde, und beide nach altem Sylter Brauch stundenlang eifrig sprachen, da war es richtig und alle Welt wußte, daß aus beiden ein Brautpaar werden würde.

Aber was sie mitsammen sprachen, hat niemand gehört, denn die Sitte heiligt solche Schwelle. Wo ein ehrlicher Bursche einer ehrlichen Dirne nachgeht, um bei ihr zu fenstern und sie ihm unter der Haustür die Hand zum Willkommen bietet, wagt sich kein Fremder heran. Was die Liebesleute sich anvertrauen, das bleibt für immer in ihrer Brust geborgen.

Wer sie von weitem miteinander stehen sah, wenn der letzte Schimmer des Tages sie mit seiner Glut anhauchte, meinte, er könne sich kein Paar denken, das besser zusammengehöre, als dieses. Und doch war ein Zwiespalt zwischen beiden, der sich nimmer lösen ließ, ohne daß einer dem andern zuliebe seinen harten Sinn beugte.

Wie sollte das aber bei zwei solchen Eisenköpfen geschehen?

»So höre doch nur, Maren Geik,« unterbrach er sie hastig, als sie ihm mit aller Beredsamkeit jugendlicher Liebe ihre Gedanken offenbarte. »Ja, es ist gut hier bei euch auf Kampen, wie bei uns drüben in Archsum. Haus und Hof sind nicht zu verachten. Ich liebe die weißen Schafe auf der grünen Weide und die braune Kuh im Stalle. Ich liebe alles, wie wir es daheim bei unsern Alten haben und wie wir es von ihnen erben, wenn sie heimgehen. Aber draußen in der weiten Welt ist es doch schöner. Hei, Dirne, hast du nie gehört, was sich unsre Seefahrer von dem Süden erzählen? Habe ich nicht selbst eine Reise nach Spanien und Portugal mitgemacht und die goldenen Früchte, die ich von dort mitbrachte, an den Bäumen wachsen sehen?«

»Ja, es mag wohl schön sein in diesen Landen und der Mühe lohnen, dorthin zu machen.«

»Und was ist dies spanische und portugiesische Land gegen die Wunder des Ostens? Daß du begreifen könntest, Mädchen, wie es so klar und deutlich vor mir steht, daß ich es mit Händen fassen kann. Schimmernde Purpurtrauben über der Erde, unter derselben leuchtendes Gold. Auf dem Grunde der See ruht die Perle und überall, wohin das Auge sieht, stehen leuchtende Zauberblumen ...«

»Ich hatte dir eine Blume zugedacht,« entgegnete die Jungfrau, ohne auf die Fragen des Geliebten zu antworten. »Aber du verschmähst wohl die kleine Gabe?«

Sie hielt die Blume in der Hand. Er nahm sie und sagte:

»Das ist eine Rose. Eine Rose, die Du selbst gezogen hast. Das verstehst du. Sie nennen dich darum die Rose von Kampen und als du neulich auf dem Cliff standest, sagte der Schulmeister aus Westerland, du wärst das Röschen vom Cliff. Seitdem nennen dich alle so und mein Vater meint, wenn ich ein rechter Bursche wäre, müßte ich das Röschen hegen und hätscheln, wie diese ihre Rosen im Garten hegt und hätschelt.«

»Aber du bist ein ungehorsamer Sohn und willst das Gebot deines Vaters nicht erfüllen?« entgegnete das Mädchen mutwillig.

»Nicht doch. Ich liebe dich mit ganzer Seele und der Tag, wo ich erführe, daß ich dich verlöre, würde mein letzter sein. Aber ich kann unter diesem grauen Himmel nicht leben, seit ich den Süden gesehen. Es reißt mich fort nach den fernen Oasen der Wüste, wo die Palmen im Sonnenlichte rauschen.«

»Und wo unter den Palmen die Tempel und Wohnungen derer standen, die unsern Heiland kreuzigten,« sagte die Jungfrau traurig. »Ich habe alles behalten, was der Herr Pastor uns in der Kirchenlehre von den Heiden und Türken erzählt hat. Unter deinen Blumen, wie herrlich sie auch sein mögen, lauert die Schlange, selbst bunt und glänzend, wie eine Blume, aber ihr Atem ist Gift, ihr Biß der Tod.«

»Ja, das hat der Pastor gesagt, der, solange ein alter Mann denken kann, nicht von der Insel gekommen ist,« entgegnete der junge Matrose rasch, »was er dir erzählte, das hat er von andern erfahren, die ebenso alt und grämlich sind, als er, oder er hat es aus den Büchern und Zeitungen, die manchmal von Hamburg hierher geschickt werden. Es ist nicht so schlimm, als es die Leute machen. Zischt mir eine Otter oder Eidechse entgegen, zertrete ich ihren Kopf und gehe ruhig weiter.«

»Du lästerst, Jens Bathen,« sagte die Jungfrau traurig. »Ich will Gott bitten, daß er dir die Sünde nicht behalte.« – »Hat dir der Herr Pastor,« entgegnete drauf der Matrose, »der so gern daheim hinter dem warmen Ofen hockt, nicht auch von dem Storch und der Schwalbe erzählt? Der eine baut sein Nest auf dem Hause der Menschen; die andere in dem Innern desselben. Sie klappern und zwitschern und fliegen aus und ein, sie legen Eier und brüten Junge aus. Sollte man nicht meinen, sie stürben, wenn sie der Wind über die Dächer der Häuser jagt, die ihre Nester tragen? Aber sobald der Winter kommt, sind sie auf und davon; sie ziehen rastlos weiter nach Süden. Unsere nordischen Seefahrer haben in Indien den Storch klappern und die Schwalbe zwitschern hören. Nun denn, Maren Geik, die unbezwingliche Sehnsucht, die den Vogel von dem heimischen Neste jagt und nach dem Süden treibt, ergreift auch mich und ich kann ihr nicht widerstehen.«

»Du sprichst wie im Fieber, Jens Bathen, mein lieber Freund,« sagte das Mädchen zärtlich besorgt. »Warum blickst du mich mit so leuchtenden Augen an? Deine Lippen beben. Ist es so schwer, was du noch zu sagen hast?«

»Wenn ich mir denke, wie es dort in jenem herrlichen Lande ist, und wie es erst sein würde, wenn du dort an meiner Seite alle diese Wunder anschautest, ich geriete von Sinnen. Maren Geik! Wenn du dich entschlössest, mit mir dorthin zu ziehen.«

»Wo deine Wiege stand, ist deine Heimat und wo die Asche deiner Eltern ruht, ist auch dein Grab,« sprach die Jungfrau. »Auf diesem Eilande sind wir geboren; hier werden wir auch sterben. Die Zwischenzeit ist uns gegeben, um zu wirken und zu schaffen und uns untereinander zu lieben. So denke ich es zu halten in Freude und Leid. Kannst du nun nicht lassen von diesen Träumen, so folge deinem Herzen und bleibe ihnen treuer, als du es mir bist. Wenn du aber die Liebe verstehst, die ich für dich empfinde, wenn du ein Herz, das nur für dich schlägt, mehr liebst, als das ferne Land, das du noch nie gesehen hast, so denke auch nicht weiter daran und lösche es aus deinem Gedächtnis. Nur bitte ich dich, sei ehrlich gegen mich. Sobald du mir offen sagst: Maren Geik, ich liebe dich, aber ich liebe die unbekannte Fremde noch mehr, so würde mich das tief betrüben, aber ich könnte es überwinden, unglücklich zu sein, um deines Glückes willen. Wenn du aber sprächest: ich sterbe fast vor Sehnsucht nach dem Anblick jener Wunder, aber dich, mein süßes Kind, liebe ich noch mehr. Wenn du das zu mir sagtest und mich hinterher doch betrögest, das überwände ich nicht. Nun, bedenke alles wohl und sage mir dann, wie es dir ums Herz ist.«

Jens Bathen war hingerissen von dem Ernste des Mädchens, dessen Hand er ergriff und einen feierlichen Eid schwören wollte, bei ihr zu leben und zu sterben. Sie aber unterbrach ihn und sagte:

»Das tut nicht gut. Die Flamme, die mit einem Male hoch aufschlägt, fällt ebenso schnell und richtet nur Unheil an. Geh nach Hause und erst, wenn du alles wohl überlegt hast, komme wieder zu mir, dann will ich dich hören.«

Die beiden trennten sich. Am dritten Tage hatte eine Nachbarin ausgekundschaftet, daß Jens Bathen, der seit zwei Abenden ausblieb, sich wieder einfand, aber nur wenige Worte mit Maren sprach. Am Nachmittage des andern Tages hielt der Vater des jungen Matrosen, Herr Knud Bathen, auf seinem lichtgrün angestrichenen Wagen, der mit zwei stattlichen Pferden bespannt war, vor dem Hause des Herrn Matsen Geik auf Kampen. Der Gast ward in die stattlich aufgeputzte Stube geführt und brachte sein Gewerbe bei Marens Eltern an. Die Jungfrau ward gerufen und hörte geschämig, was der alte Herr ihr zu sagen hatte. Und als der Vater sie aufforderte, zu antworten, konnte sie nicht die rechten Worte finden. Aber der Geliebte war nicht weit und ehe eine Stunde verging, stand ein glückliches Brautpaar nebeneinander.

Nun brachen frohe Stunden an. Die Brautleute waren noch jung und es ward ausgemacht, daß es mit der Hochzeit noch drei Jahre lang dauern solle. Bis dahin könne der Jens noch einige Seereisen machen und eine Summe Geldes erwerben. Dadurch werde er unabhängig von andern, wie es einem friesischen Manne gezieme. Wäre dies geschehen, dann wollten sich Marens Eltern auf ihr Altenteil zurückziehen und die jungen Leute wirtschaften lassen nach Herzenslust.

Die Zeit verstrich. Jens Bathen hatte eine Reise nach England gemacht. Er brachte Geld und schönes Geräte für die neue Wirtschaft mit. Er lachte und scherzte mit der Braut und zog dann wieder fort über See. So war es nun schon dreimal gegangen und die zur Hochzeit anberaumte Frist rückte immer näher heran. Maren Geik war über die Maßen fröhlich. Sie scherzte mit den jungen Mädchen und Frauen, wenn sie sich auf dem Felde bei der Arbeit trafen und sagte den jungen Männern, die müßig zwischen ihnen herumwanderten, tüchtig die Wahrheit.

Da näherte sich ihr ein Mann, der ihr öfters nachgegangen war, ohne daß sie sein Werben beachtet hatte. Er war kein echter Friese, sondern sein Vater war vom Festlande her eingewandert, und führte einen deutschen Namen. Die Dirne, welche bemerkte, daß er sich abermals um sie bemühte, wandte sich rasch zu ihm und sagte:

»Ihr wißt, daß ich Braut bin, Anton. Darum solltet Ihr von selbst danach streben, nicht mit mir zusammen zu kommen. Ich habe nichts von Euch zu hören.«

»Ist auch gar nicht meine Absicht, etwas von mir hören zu lassen,« antwortete Anton kurz ab. »Ich weiß recht gut, was sich ziemt und will nur mit Ihr von Ihrem Liebsten sprechen, der nun schon vier Wochen über die Zeit weg ist.«

»Jesus!« rief Maren Geik erbleichend. »Ist ihm ein Unglück begegnet?«

»Wird doch nicht?« entgegnete Anton. »Unglücksrabe fliegt schnell. Wüßte er etwas, er hätte längst seine Botschaft an Euch ausgerichtet.«

»Ich weiß nicht, was Ihr wollt,« sagte Maren Geik unruhig. »Seht mich nicht so stier an. Euer Auge tut mir weh. Was wollt Ihr denn eigentlich sagen?«

»Daß der Vogel aus dem Neste entflohen ist und vielleicht nicht wiederkommt,« entgegnete Anton. »Habt Ihr denn vergessen, daß Jens Bathen es von jeher im Sinne hatte, sich zu den Türken und Heiden zu begeben? Nun, dazu ist endlich Rat geworden.«

»Ihr lügt!« sagte Maren Geik erregt. »Mein Bräutigam hat geschrieben, er mache eine Reise nach Bergen in Norwegen.«

»Das ist nicht wahr!« sagte Anton entschieden. »Nein, mein schönes Kind. Er ist am Bord des Hamburger Schiffes ›Sankt Martin‹, das nach der Mittellandssee abgesegelt ist und zuerst nach Smyrna geht. Wenn Ihr nicht wißt, wo das liegt, so laßt es Euch von dem Pastor oder dem Schulmeister klar machen. Wünsche der Jungfer einen guten Tag.«

Anton ging. Die Dirne blieb schweigend zurück. Als sie nach Hause kehrte, rollten zwei schwere heiße Tränen die Wangen herab.

Es blieb still auf Kampen. Die Jungfrau hatte ihrem Vater alles gesagt, was Anton sprach. Der Alte gab sich alle erdenkliche Mühe, um zu erfahren, was an dem Geschwätze Wahres sei. Er empfing auch einen Brief aus Hamburg, aber von dem Inhalte verlautete nichts. Der Bote, der diesen Brief von dem Posthause in Keitum nach Kampen brachte, erkundschaftete, daß Matsen Geik, nachdem er den Brief mehrfach gelesen, mit demselben in die Küche ging und ihn am Herdfeuer verbrannte. Und von jener Stunde an sei es gewesen, als ob ein böser Geist den alten Mann beherrsche. Er ward still; zitterte, daß ihm die Zähne wie im Fieber zusammenschlugen und sprach nur manchmal den Namen seiner Tochter aus. Wenn diese aber herbeieilte, wußte er nichts zu sagen und weinte bitterlich. Nach dreien Tagen war es mit ihm aus. Maren Geik warf sich laut schreiend über ihn. Er schlug nochmals die Augen auf, drückte ihr die Hand und sagte: »Armes Kind! Er ist fort!« Dann starb er.

Maren Geik blieb allein. Nur abends, wenn der letzte Strahl der scheidenden Sonne sich auf den Kamm der Dünen herabsenkte, stand sie auf dem roten Cliff und schaute hinaus in die See, als ob sie den treulosen Flüchtling erschauen könne, wie er hineinsegle in die leuchtende Ferne und die Männer, welche sie gewahrten, sagten untereinander:

»Da steht das Röschen vom Cliff. Wie schade, daß sie vor der Zeit hinsiecht und welkt.«

Sie hörte diese Worte nicht, sondern kehrte äußerlich ruhig heim. Aber in ihrem Innern war der Schmerz gewaltig, denn ihr war schon längst offenbar geworden, daß Anton die Wahrheit gesprochen. Der treulose Freund war entflohen. Sein Kiel segelte weit weg in der leuchtenden Mittellandssee.

*

Es war ein schweres Vollschiff, wie solche dazumal gebräuchlich, das unweit der Insel Korsika unter allen seinen Segeln ging. Der Rumpf war unförmlich, ohne alle gefälligen Zierraten. Über das Steuer türmte sich das hintere Deck auf. Die Takelage wies sich breit und unbeholfen im laufenden, wie im stehenden Gut. Vor allen seinen Segeln lief das Schiff doch nur eine mäßige Fahrt. Am Bord herrschte eine unruhige Bewegung. Der Kapitän ging mit seinen Steuerleuten auf dem Halbdeck hin und her. Der Bootsmann und seine Matrosen standen am Fockmast. Jedermann am Bord hielt einen scharfen Guckaus. Ein Segler von durchaus fremder Bauart war es, der die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ein solches Fahrzeug, ohne irgendeine Flagge am Topp oder von der Gaffel, erweckte in jenen Tagen bei jedem Mittellandsseefahrer die lebhaftesten Besorgnisse. Tunis, Tripolis und Algier waren die gefürchteten Namen zur See, die auch den gelassensten Mann in ungewöhnliche Aufregung versetzten.

»Das ist nichts, was ihr da schwatzt,« sagte der Bootsmann. »Alles das habe ich selbst gesehen und mehr dazu. He, Matrose Jens! Ihr seid mit gesegneten Augen begabt. Könnt Ihr irgend etwas Absonderliches gewahr werden?«

Jens Bathen saß rittlings auf dem Bugspriet und antwortete, den Kopf rückwärts gewendet:

»Mir ist's, als wäre vorn am Bug des fremden Schiffes ein großes Scharwerken. Wenn es ein verdächtiges Fahrzeug ist, werden wir es jetzt erfahren, denn dort sollen sie ihr größtes Geschütz stehen haben.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als es laut über die See hindonnerte. Es zischte durch die Luft und die von dem feindlichen Fahrzeug abgeschossene Kugel schlug dicht vor dem Buge des Vollschiffes in die aufspritzende See.

»Flagge nach oben!« befahl der Kapitän und gleich darauf wehte die dänische Flagge von der Gaffel ab. Er betrachtete sie wohlgefällig und sagte laut:

»Die wird diesen verdammten Piraten Respekt einflößen. Die Barbaresken kosten dem Lande große Summen; den Schimpf nicht zu rechnen, daß ehrliche Christenmenschen diesen Heiden einen Tribut bezahlen müssen, wenn sie ihrer Hantierung nachgehen wollen. Was sagt Ihr, Steuermann? Läßt der Kerl abfallen? Wollte es ihm mindestens raten.«

Trotz der ernsten Lage, worin man sich befand, konnte der Steuermann doch ein Lächeln nicht unterdrücken, daß der Kapitän diese Drohung einem schwer bewaffneten Fahrzeuge gegenüber ausstieß, während er auch nicht die kleinste Schußwaffe am Bord hatte.

»Scheint nicht, Kapitän, daß sich der Korsar vor dem Danebrog besonders zu fürchten scheint, denn er setzt noch mehr Segel und hält gerade auf uns ab. Der Kerl hat den Wind und in einer halben Stunde liegt er uns seitlängs.«

»Flagge von der Gaffel des fremden!« schrie Jens Bathen laut auf. »Eine blutrote Flagge, worin sich ein krummer Säbel von Silber befindet.«

»Eine Piratenflagge!« rief der Bootsmann gegen das Halbdeck gewendet und der Kapitän, welcher sie ebenfalls gesehen, sagte:

»Es ist ein Tuneser. Hier ist nichts zu tun, als uns in unser Schicksal zu ergeben. Ein Fluchtversuch nützt nicht, denn er segelt schneller als wir. Zerschießt uns dabei nur den Rumpf und schikaniert uns nachher dreimal mehr. Laßt beidrehen, Steuermann. Wir haben unsern Türkenpaß. Was kann er uns tun, als Lebensmittel von uns erpressen? Die Pest über ihn! Warum habe ich nicht die Macht. Ich würde ihn mit all seinem Gesindel in die Luft sprengen.«

Das Vollschiff lag vor seinen backgepraßten Marssegeln still. Der Pirat näherte sich und legte sich seitlängs. Er lantschte seine Bote über Bord und mit dem Rufe »Allah! Allah!« enterten die Barbaresken das Verdeck des Kauffahrers.

Gelassen ging der Kapitän dem Anführer entgegen, der, seinen Säbel schwingend, in gebrochenem Dänisch fluchte und wetterte, daß nicht alles vor ihm auf den Knien liege.

»Was wollt Ihr?« entgegnete barsch der Kapitän. »Hier ist mein Türkenpaß. Prüft ihn genau und dann geht Eurer Wege. Es ist himmelschreiend, daß Ihr eine Flagge anhaltet, die Ihr zu respektieren schuldig seid. Ich erhebe Protest wegen ungebührlichen Molest zur See.«

Laut schreiend unterbrach ihn der Pirat:

»Molest zur See? Auf die Knie oder ich schlage dir den Kopf vom Rumpfe. Weißt du nicht, daß man uns seit zwei Jahren den Tribut nicht gezahlt hat? In das Feuer mit dem Türkenpaß. Schiff und Ladung sind mein und die gesamte Besatzung wird verkauft.«

Ein Schrei des Entsetzens hallte über Deck. Von der Verzweiflung getrieben setzte sich jeder zur Wehr. Aber von der Übermacht bewältigt wurden sie wieder niedergeworfen und gebunden an Bord des Piratenschiffes geschleppt.

Mit den verschiedensten Gefühlen ergaben sich die Besiegten in ihr Schicksal. Einer tobte wie ein angeschossener Eber; ein zweiter biß die Zähne zusammen und verschloß seinen Grimm im innersten Herzen. Ein dritter weinte bittere Tränen des Kummers.

Jens Bathen lag in einem Winkel des Zwischendeckes. Er hörte nicht auf die Klagen seiner Gefährten und ließ die Scheltworte des barschen Aufsehers unbeachtet verhallen. Sein Geist war weit von diesem Schauplatze des Schreckens. Er weilte in Gedanken vor der Haustür der Geliebten, die ihn ermahnte, daheim zu bleiben. Er sah ihr in die sanftblickenden Augen und sprach zu ihr von der Pracht des Ostens, von dem Baum mit den goldenen Äpfeln, unter dessen Zweigen der silberne Vogel wohnt, und allen andern Wundern der fernen, fernen Welt. Und wie er so sprach, schien es, als ob sich alles um ihn her verwandelte. Aus dem Hause des alten Geik wurde ein luftiger Kiosk, umgeben von blühenden Rosen und überwölbt von Palmen. Eine muntere Quelle stieg blitzend und glitzernd steil in die Luft und floß dann in vielfarbigen Strahlen herab. Die züchtige Friesenjungfrau verwandelte sich in ein üppiges, indisches Weib, angetan mit kostbaren Gewändern, die von Perlen und Edelsteinen glänzten. Das Angesicht war mit einem Schleier verhüllt, aber durch das feine Gewebe erkannte er die Augen der Geliebten und hörte, wie sie ihm zuflüsterte:

»Bin ich auch schön in dieser Tracht? Bist du zufrieden mit deinem Friesenkinde, nun sie sich mit dem Glanze des Ostens umgeben hat?«

Es waren Bilder, die vor ihm auftauchten, die er aber nicht verstand; Worte, die an sein Ohr schlugen, ohne daß er ihren Sinn begriff; aber sie weckten einen Sturm von Empfindungen in ihm, der alles andere übertäubte, und als er das Auge schloß, verkündigte ein seliges Lächeln das wonnige Entzücken, welches ihn ganz und gar erfüllte.

Vierzehn Tage später stand die Mannschaft des dänischen Vollschiffes vom Kapitän bis zum Kajütenjungen auf dem Sklavenmarkte zu Tunis. Laut gepriesen wurden die Christenhunde als zur schwersten Arbeit tüchtig und an Entbehrungen aller Art gewöhnt. Der einzige Fehler sei etwas Störrigkeit, aber die Peitsche des Aufsehers werde diesen Teufel bald austreiben. Diese Anpreisungen fanden gläubige Ohren. Die Ware ging reißend ab und da ihnen kein Abschied vergönnt wurde, warfen sich die alten Gefährten einen trüben Blick zu, als ihre neuen Herren sie von dem Markte vor sich her trieben.

Jens Bathen ward das Eigentum eines alten, finstern Türken, der fern von der Stadt am Seeufer ein einsames Landhaus bewohnte, das mitten in einem reizenden Garten lag. Er wurde dem Gärtner zugeteilt, der sorglich schaffte und den neuen Sklaven zur steten Tätigkeit anhielt. Sonst hatte er wenig Verkehr mit den übrigen Sklaven des Hauses und der Herr desselben bekümmerte sich noch weniger um ihn. Ibrahim war ein einsamer Mann, der viel in alten Schriften studierte und für einen Weisen seines Volkes galt. Von dem, was in dem Innern seines Hauses vorging, wußte man wenig. Die Sklaven flüsterten unter sich, Ibrahim habe ein schönes Weib gehabt, das er schwärmerisch liebte. Eines Tages sei sie mit einem der Sklaven entflohen und seitdem wäre Ibrahim mürrisch und verschlossen. Andere meinten aber, er gebrauche diese äußere Rauheit nur, um die Weichheit des Gemütes darunter zu verstecken. Sein flüchtiges Weib habe ihm eine Tochter zurückgelassen, welche der Mutter täglich ähnlicher werde, so daß der Vater oft vor ihr erschrecke. Und weil er fürchte, daß er sie auf ähnliche Weise verlieren könne, wie einst die Mutter, bewache er sie mit Argusaugen. Nur einer einzigen Dienerin von erprobter Treue sei es vergönnt, sich der reizenden Fatime zu nähern, welche in tiefster Einsamkeit aufwachse. Sie verlasse nie ihre Gemächer am Tage und dürfe nur in den Garten, wenn vorher alle daraus entfernt worden.

Dies und mehreres andere vernahm Jens Bathen nach und nach von dem Gärtner und wenn er gelegentlich mit den andern Sklaven zusammenkam. Mit den früheren Träumen seiner Phantasie vermischte sich auch dieser Traum und zog ein Netz, gewebt aus Blumenduft und Mondesstrahlen, um das Haupt des nordischen Seemanns, der mitten im Orient, unter dem Rauschen der Palmen erwachend und entschlummernd, sich fast vor Sehnsucht verzehrte.

*

Es war Abend. Am tiefblauen Himmel blitzten die goldenen Sterne. Ein ahnungsvolles Flüstern ging durch die Wipfel der Palmen. Im dichten Myrthengebüsch flötete die Nachtigall ihre sehnsüchtig-wehmutsvollen Weisen. Glänzend-leuchtende Käfer summten gleich einem wandernden Sternenheere von Baum zu Baum und hingen sich an Blätter und Blüten.

Alles ruhig in dem weiten Garten Ibrahims. Nur von fern her vernahm man das Brausen der See. Da trat mit zurückgeschlagenem Schleier ein blondes schönes Mädchen aus dem Hause. Es war Fatime, die Tochter Ibrahims, deren Angesicht gesehen zu haben, außer ihm kein Sterblicher sich rühmen durfte. Die alte Sklavin wollte ihr folgen, allein sie vermochte es vor Müdigkeit nicht. Fatime rief ihr einige beruhigende Worte zu und eilte nach einem von Rosen- und Jasminbüschen umgebenen Kiosk, wo sie in ruhigen Nächten manche Stunde zu verträumen pflegte.

Leichten Schrittes trat sie ein und fuhr erschreckt zurück, denn auf dem schwellenden Diwan lag ein schlafender Mann. Es war Jens Bathen, der an einer abgelegenen Stelle des Gartens arbeitete. Der Gärtner hatte ihn vergessen, als er die übrigen Arbeiter hinaustrieb. Als die Nacht plötzlich hereinbrach, suchte Jens Bathen, der harten Strafe eingedenk, zu entkommen. Umsonst. Die Pforte war fest verschlossen. Die Mauer zu hoch und glatt. So geriet er in den Kiosk und war, von dem starken Blumenduft bewältigt, eingeschlafen.

Ein Schrei Fatimens weckte den Schläfer. Der Mond, welcher an dem dunklen Himmel aufstieg, warf ein volles Licht auf die beiden, die sich schweigend und vor Furcht zitternd gegenüberstanden. Da vernahmen sie die Stimme der Sklavin, die sich dem Kiosk näherte. Fatime zuckte zusammen und wollte fliehen, aber sie vermochte es nicht. Die Alte trat ein und ergriff die Hand Fatimens, um sie in das Haus zurück zu geleiten. Diese sträubte sich. Da gewann der junge Friese, der bis dahin regungslos dastand, plötzlich Leben. Er warf sich auf die Alte, die bei diesem unerwarteten Anblick bewußtlos niedersank. Der Jüngling stellte sich schützend der schönen Jungfrau gegenüber und rief: Es solle ihr keiner etwas tun, er werde sie beschützen. Fatime verstand ihn nicht, aber sie erriet, was er sagte, und neigte, die Arme kreuzend, ihre blendende Schönheit vor ihm.

Eine Stunde später und alle waren verschwunden. Der junge Friese lag unweit der Pforte und kam am andern Morgen mit einem Verweise davon. Der Gärtner hütete sich wohl, dem Herrn zu sagen, daß einer der Christensklaven die Nacht im Garten zubrachte. Die Rache des Herrn würde ihn zuerst getroffen haben.

Die Nächte kamen und gingen; süße, wollustatmende Nächte. Die Rosen und Jasminen am Kiosk schütteten ihren betäubenden Duft auf zwei Glückliche herab. Fatimens Tränen hatten die alte Sklavin bestochen; diese bestach mit dem Schmucke ihrer Herrin den Gärtner. Das schöne Türkenkind schwamm in der Wonne der ersten Liebe. Der junge Friese sah nur die reizende Geliebte. Er fand in ihr die Pracht des orientalischen Himmels und die Majestät der leuchtenden Palmen. Alle Vergangenheit war für ihn dahin. Sie erschien wie ein fernliegendes Bild, dessen Farben mit jedem Tage mehr verblichen.

Und wieder war ein langer Monat entflohen. Ein langer Monat für alle, welche die Sklavenkette trugen, früh mit der Sonne das schwere Tagewerk beginnen mußten und erst am Abend zur kurzen Rast heimgingen. Jens Bathen trug die Sklavenkette nicht mehr. Er ruhte in dem Hause des Gärtners, der ihn sorglich pflegte und durch eine geheime Tür mit dem hereinbrechenden Abend in den Garten ließ. Dort fand er Fatime und das süße Geflüster der Liebe begann jeden Abend von neuem. Aber dieses Mal nicht ungehört. Leise schlich es durch den Myrthengang, der zu dem Kiosk führte. Am Eingange desselben hielt die alte Sklavin Wache und war, wie immer, fest eingeschlafen. Schreiend taumelte sie auf und blickte in Ibrahims zornglühendes Gesicht. »Gnade!« wollte sie rufen, aber der Dolch des Gebieters durchbohrte ihre Brust.

Mit inbrünstiger Liebe schloß Fatime den Geliebten an ihre Brust. Sie schlang den Arm um seinen Nacken und flüsterte ihm die zärtlichsten Worte zu, als Ibrahim hereinstürzte und sich blind vor Zorn auf beide warf. Aber der junge Friese war kein ohnmächtiges Weib. Er hielt mit eiserner Hand den gehobenen Arm des Vaters und entriß ihm die Waffe. Fatime floh in das Innere des Hauses. Jens Bathen folgte dem Gärtner, der, zum Tode erschrocken, herbei eilte.

Still blieb es am Tage; still auch zur Nacht. Der heimliche Eingang, der aus der Gärtnerwohnung in den Garten führte, ward vermauert. Von den Bewohnern des Hauses vernahm man nichts. Monate, Jahre vergingen. Keine Kunde ward offenbar. Aber unter den Sklaven lief es flüsternd von Mund zu Mund, daß einer der Ihrigen durch eine seltsame Gunst des Zufalls die Liebe einer Türkin gewonnen; daß der Vater, anfänglich wutentbrannt nach Rache dürstend, den Tränen seiner Tochter, die er über alles liebte, nicht habe widerstehen können, und dem Sklaven, nachdem derselbe Christus abgeschworen und Türke geworden sei, die Freiheit geschenkt und ihn zu seinem Eidam angenommen habe. Aber keiner von den früheren Genossen des ehemaligen Sklaven sollte diesen wiedersehen. Er war und blieb verschwunden.

*

Und wieder ist es am Cliff. Auf dem Wege von Kampen dahin wandelte eine Frauengestalt, ohne sich umzuschauen, der bekannten Stelle zu. Da trat ihr aus dem dämmernden Abendlichte ein Mann entgegen.

»Willst du mich anhören, Jungfrau?«

Sie stand still und blickte ihn fragend an. Sie fuhr mit der Hand über die Stirn, als müsse sie sich besinnen. Es war das Röschen vom Cliff. Aber nicht das Röschen, welches wie das goldene Abendrot hell aufleuchtete, sondern die bleiche, vom kältenden Schnee angehauchte weiße Rose.

»Du kennst mich nicht; willst mich nicht kennen,« sagte der Mann. »Ich bin Anton, der dir in Liebe zugetan war und den du zurückstießest um eines andern willen.«

Maren Geik ging schweigend weiter.

»Ich bin von einer langen Reise zurückgekehrt und bringe neuen Reichtum zu dem alten. Ich wiederhole meinen Antrag. Werde meine Frau.«

Sie schüttelte mit dem Kopfe.

»Du willst nicht, weil du törichterweise auf Jens Bathens Rückkehr hoffst, obgleich viele Jahre vergangen sind. Seine Verwandten und die deinigen sind gestorben. Du bist ganz allein. Nimm mich zum Manne. Er kommt nicht wieder.«

Maren Geik sah ihn mit einem strafenden Blicke an.

»Schau nur so finster drein, als dir gefällt,« sagte Anton. »Du änderst es doch nicht. Ich will dir den Beweis in die Hand geben. Kennst du den Gundel Lundsen aus Keitum und glaubst du, daß er ein ehrlicher Bursche ist?«

Sie nickte mit dem Kopfe.

»Er soll dir die Wahrheit sagen. Gundel Lundsen komm hierher und erzähle nochmals, was du mir vorhin erzählt hast.«

Ein junger Seemann erschien und sagte mit einem wehmütigen Blick auf die Jungfrau:

»Was ich dir sagen will, ist so wahr, als das Evangelium. Ich hatte mich auf einem Hamburger Schiffe als Halbmatrose verdungen. Wir sollten nach Genua und Livorno und weiter nach Konstantinopel. Als wir die Straße von Gibraltar passierten, wurde viel von den Algierischen Korsaren gesprochen und daß wir unter Hamburger Flagge großes Risiko liefen. Am dritten Tage erfüllte sich die Prophezeiung des Bootsmannes. Ein Pirat, der sechs große Kanonen an Bord hatte, brachte uns auf und schleppte uns nach Tunis, wo wir auf offenem Markte ausgeboten wurden. Ich sang in meiner Angst das alte Lied vor mir hin, das meine Mutter beim Spinnen zu singen pflegte, wenn ihr einmal schwer ums Herz wurde. Da stand plötzlich ein großer bärtiger Türke vor mir und redete mich friesisch an. Vor Schrecken konnte ich kaum sprechen. Er kaufte mich los und sagte, als er mich in die Freiheit führte: »Wenn du heimkehrst, so grüße das gute Eiland Sylt von Jens Bathen. Sage dem Röschen vom Cliff, der Treulose werde unter den afrikanischen Palmen, vor Sehnsucht nach der Hörnum-Düne, in den Armen seines Türkenweibes sterben.« Damit gab er mir Geld zur Heimreise und ich bin nun hier, um Euch zu sagen, was mir jener Mann Euch zu sagen befohlen hat.«

Die Jungfrau horchte hoch aus. Ihre Brust wogte, als ob sie zerspringen wollte. Als aber der junge Matrose endete, schüttelte sie unwillig mit dem Kopfe und sagte: »Ihr lügt!« dann ging sie schweigend weiter.

*

Und wieder gingen Jahre dahin. Der Leichtmatrose Gundel Lundsen war schon Steuermann an Bord eines Westindienfahrers und Anton hatte Sylt verlassen, um in der Heimat seines Vaters zu wohnen. Maren Geik ging noch allabendlich zum roten Cliff, setzte sich an den gewohnten Platz und horchte in die aufrauschende See hinaus. Ihr Haar erbleichte vor Alter und Gram, den Glanz ihrer Augen tötete die Glut bitterer Tränen; aber sie ging hoch aufrecht und wies jede Stütze mit Heftigkeit zurück. Sie wollte allein bleiben; allein mit ihren Gedanken bei ihm.

Es war eine laue Sommernacht. Sie ruhte auf dem vom Sandhafer überwucherten Stein und hielt die gefalteten Hände vor sich in dem Schoß.

»Bete auch für mich, Maren Geik!« sagte eine tiefe Stimme.

Erschreckt sah sie auf und erblickte einen Mann in einer fremden, seltsamen Tracht. Das Gesicht war zur Hälfte mit einem schwarzen Bart bedeckt:

»Bete, Jungfrau für den Abtrünnigen, der dir deine Jugend stahl und dir das Herz brach.«

Maren Geik war furchtbar aufgeregt. Sie streckte ihre Hände flehend dem Unbekannten entgegen und schluchzte krampfhaft.

»Unter den Palmen des Ostens freite ich das Heidenweib und ward nicht glücklich,« sprach er weiter. »Die Sehnsucht nach der Heimat verzehrte mich. Du standest vor mir im Wachen, wie im Traume. Und nun der Abend meines Lebens naht, stehe ich vor dir, damit ich dir beichte. Nimm die Angst von mir, die mein Herz belastet, weil ich dich unglücklich machte.«

»Ich wußte wohl, daß du kommen würdest,« sagte sie, sich über den Knienden herabbeugend.

Sie hielt ihn mit ihren Armen umschlungen. Als der erste Schimmer des neuen Tages über die See hinglitzerte, erhob sich der Mann und sagte:

»Ich habe empfangen, was ich bedurfte und danke dir. Jetzt kehre ich nach dem Osten heim, wohin mein Geschick mich bannte. Niemand hat meine Landung am Cliff beachtet. Niemand soll meine Abfahrt sehen. Lebe wohl, bis wir uns dort wiederfinden, wo keine Trennung stattfindet.«

Sie blickte ihn noch einmal lächelnd an. Es war kein irdisches Lächeln mehr. Erschreckt hielt er sie in seinen Armen.

Eine Stunde später hob sich die Sonne aus der See und der Strandvogt blickte zum Cliff empor:

»Sollte ich mich geirrt haben? Und doch war es mir, als ob jemand dort oben ... Ich muß selbst hinauf ...«

Als der Strandvogt die abgeplattete Stelle erreichte, sah er Maren Geik mit geschlossenen Augen und lächelndem Antlitz vor sich.

»Endlich ist sie erlöst,« sprach er, die Mütze zwischen den gefalteten Händen haltend. »Die weiße Rose vom Cliff hat ausgelitten. Gott verleihe ihr eine fröhliche Urstätt.«


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