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Das Feuerschiff

Einsam, mit schneebedecktem Haupte, steht hart am Fuße der Düne der Leuchtturm. So weit des Wächters Auge schaut, nichts als die zu Eis erstarrte See. Darüber hin die langen Züge hungernder Krähen; zwischen ihnen hindurch ziehen die Möwen ihre phantastischen Kreise.

Ein Hauch von Süden her fährt über die blinkende Eisdecke, und sie bebt leise. Der Himmel hüllt sich in düstere Wolken, und ein warmer Sprühregen rieselt unhörbar nieder auf den allmählich ergrauenden Schnee. Mit dem sinkenden Tage erhebt sich ein fliegender Sturm. Die Waldbäume knarren unter seiner Wucht. Die Wasser der Tiefe werden lebendig. Sie stemmen ihre breiten Wellenrücken gegen die diamantene Hülle und prallen ohnmächtig zurück.

Es ist Tag. Durch fliegende Wolken blitzt sekundenlang ein matter Sonnenstrahl. Verschwunden von dem Eise ist der Schlitten mit dem flüchtigen Renner, verschwunden der Fischer, der seine Netze in die offenen Stellen warf. Die Decke schwankt. Sie steigt und senkt sich, wie die Flut oder die Ebbe darunter wegrollt. Hier reißt eine Spalte und dort; in hundert sprudelnden Fontänen drängt sich das befreiende Element an das Licht.

Noch ist alles tot. Aber durch das weitschauende, Fernrohr gewahrt der Wächter des Turmes an dem äußersten Horizont bereits die ersten dunklen Meereswellen, die mit der einsetzenden Flut gegen die aufgetürmten Eismassen heranrollen. Langsam steigt er die Stufen hinab und geht binnenwärts. Aus einem Bau von rätselhafter Form, zusammengezimmert aus den Resten eines gescheiterten Barkschiffes, halb Blockhaus, halb Kajüte, schallt ihm ein lautes Lachen entgegen.

Der Strand hat seine eigenen Bewohner. Der Feuerwächter ist der ersten einer und bildet mit dem Strandvogt und dem Steuerreiter die Aristokratie auf den weithin gestreckten Dünen. Sie haben in der Blockhausschenke zunächst am Feuer ihren abgesonderten Platz, und der Wirt bildet die Mittelsperson zwischen ihnen und dem übrigen Volk, den Strandläufern, Möwenfängern, Fischdieben und Schmugglern, die im Vorüberstreifen hier einkehren, um sich vom angestrengten Tage- oder Nachtwerk zu erholen und sich untereinander zu verabreden zu neuer, abenteuerlicher Fahrt.

Es geht lustig zu in der Kajüte auf festem Grunde. Die Strandläufer lachen über das finstere Gesicht des Steuerreiters, vor dessen sichtlichen Augen sie einen Karren verbotener Waren geschmuggelt, ohne daß er es gesehen, und der Steuerreiter lacht wieder über den Strandvogt, der dem Wirte mit herzbrechendem Tone erzählt, daß sein Revier noch in keinem Herbste so schlecht bestellt gewesen sei als in dem letztvergangenen.

Da tritt der Wächter des Turmes ein und ruft mit lauter Stimme:

»Blau Wasser überall!«

Und als wollte die See selbst dies Wort bezeugen, donnert es plötzlich auf, daß die Kajüte bis in ihre Grundfesten erbebt. Schlag auf Schlag erdröhnt, als ob ein Dreidecker aus seinen schwersten Geschützen feuert. Der pfeifende Nordwest gibt sich auf und stürzt nieder auf die morsch gewordene Fläche, die er mit wildem Gelächter in große Fetzen reißt.

»Blau Wasser!« sagt der Strandvogt, sich vergnügt die Hände reibend. »Nun gibt's neue Arbeit.«

»Blau Wasser!« wiederholt der Steuerreiter ärgerlich und ruft nach seinem Pferde. »Nun kann man sich verzehnfachen. Diese Schmuggler schießen aus der Erde wie die Pilze nach dem Mairegen.«

»Blaue See längs des ganzen Horizonts,« wiederholt der Wächter, gelassen seinen Grog schlürfend. »Nun Kriege ich bald wieder einen Gehilfen, denn sowie das Eis ins Treiben kommt, muß das Feuerschiff auf die Reede hinaus.«

Das Feuerschiff!

Der Wächter auf seinem Turm ist vereinsamt. Der Wächter bei der Leuchte eines Feuerschiffes ist es zehnfach. Er hat nur den schwankenden Kiel unter sich. Er sieht nicht den schattenden Baum oder die wallende Saat, die von ferne her ihm baulich zunicken, von keinem geistlichen Herd sieht er den bläulichen Rauch aufsteigen. Kein neugieriger Wanderer spricht bei ihm ein, um die Pracht seiner Lichter zu bewundern. Wenn die See frei wird, schifft er durch die krachenden Eisschollen auf die Reede hinaus. Dort an der gefährlichsten Stelle, wo der Wind ihn der Länge nach streift, wo die gefährlichsten Klippen liegen und die Brandungen darüber hintoben und schäumen, legt er sich vor seine Anker, ein Warnungszeichen für alle Schiffer aus See, daß keiner sich ihm nähere, daß keiner seinen Bord berühre, denn innerhalb des Kreises, den er vor Wind und Wellen um seinen Anker beschreibt, lauert der Tod.

Weithin ist es sichtbar, das vereinsamte Feuerschiff. von dem Kiel bis zur höchsten Spitze seines Mastes ist es mit leuchtendroter Farbe bestrichen. Sein Rumpf ist breit; sein Bug und sein Spiegel sind halbrund wie ein altholländisches Galiot, denn es soll nicht segeln, sondern festliegen im Strom und den Stürmen wie dem Eisgange widerstehen.

Und am Bord dieses Fahrzeuges steht der Feuerschiffer mit seinem Maat. Dies Schiff ist ihre Welt. Der Raum desselben birgt die Kohle, die sie wärmt, das Brot, das ihren Hunger, das Wasser, das ihren Durst stillt. Daneben ist eine Lagerstatt. Sie ist schmal und hart, denn der Feuerschiffer soll sich nicht dehnen und strecken, sondern scharfe Udkiek halten bei Tage und bei Nacht. Es sind ihrer zwei am Bord, und es ist doch nur einer. Wenn der erste das bescheidene Mahl herrichtet oder, vom Schlaf übermannt, auf ein paar Stunden zusammensinkt, hält der andere auf dem Deck die schützende Wacht. Mit dem ersten Schimmer des dämmernden Abends erscheint an der Mastspitze des Feuerschiffes die hellstrahlende Leuchte, begrüßt von dem Lampenschimmer des Wächters am Turm. Und wenn im Frührot die Lichter verbleichen, entfaltet sich an dessen Statt die Staatsflagge mit dem goldenen Wappen im purpurnen Felde.

Noch liegt das Feuerschiff vor seinen Kabeln (Ankertauen) sicher im Hafen. Aber schon ist der Hafenmeister am Bord mit den Seinen, und des Scharwerkens wird kein Ende. Alle sind da. Nur die beiden nicht, welche das Schiff bedienen sollen. Diese kommen erst in dem letzten Augenblicke. Man richtet ihnen alles zu. Man geleitet sie bis auf die Reede und bringt ihnen die Anker aus. Dann drücken alle Helfer den Zurückbleibenden die Hände, steigen zu Boot und segeln durch Eis und Wellen nach dem Strande zurück.

»Ade! Ade!« Sie rufen es, die Hüte schwenkend, den Scheidenden nach und reichen sich die Hände.

»Willkommen am Bord, Bruder Niklas!« sagt der Ältere. »Haben uns, glaube ich, seit acht Monaten nicht gesehen.«

»Willkommen du auch, Bruder Detlev. Also sind es acht Monate?«

»Acht Monate, genau gezählt. Machte während der Zeit eine brasilianische Reise. Aber wenn ich dich ansehe, ist es mir, als wären es acht Jahre, so fremd kommst du mir vor.«

»Ich weiß nicht, daß ich anders geworden bin,« spricht Niklas leise. »Aber ich will alles unten herrichten für die Nacht. Gib du acht auf die Flagge.«

»Es ist nicht richtig mit ihm,« sagte Detlev, der ihm kopfschüttelnd nachsah. »Aber er soll mir schon beichten zur Nacht. Holla! Was da seitlängs?«

Es war nichts. Eine Robbe, von einer Eisscholle getragen, schrammte die Breitseite des Feuerschiffes und steckte verwundert den Kopf aus dem Wasser. Es war für lange Zeit der einzige Besuch, den die Schiffer zu erwarten hatten.

Die Nacht kam, aber Niklas beichtete nichts. Auch in den folgenden nicht. Als nach den vier ersten Wochen das große Boot von der Hafenrunde zu dem Feuerschiff hinauskam, um nach dem Rechten zu sehen und frische Zufuhr zu bringen, trat einer der Bootsgasten zu dem Niklas und steckte ihm einen Zettel in die Hand. Erschreckt öffnete er denselben, aber seine Augen schwammen. Er stieg hinunter zur einsamen Lagerstatt, warf sich davor in die Knie und weinte bitterlich. Und als die Mitternacht ihn zur Wacht bei der Leuchte rief, war die harte Rinde, die sein Herz umschloß, gebrochen, und er schüttete es vor dem Freunde aus.

Niklas war ein schmucker Matrose am Bord eines Englandfahrers und liebte die schöne Angrete vom Süderdeich. Die Dirne war ein mutwillig-neckisches Ding und des Detlev Schwester. Dieser sah die Neigung des Freundes zur schönen Angrete und sagte: »Mein Maat und ihr Mann; doppelt hält besser, und mir ist es recht.« Zur Schwester aber sprach er: »Willst ihn nicht, sage es gleich. Willst ihn aber, so halte aus. Das gnade dir Gott; ich kenne dich leichtfertigen Unband.«

Aber Angrete lachte. Sie spottete den Bruder aus, gab dem Niklas einen Kuß und lief mit ihm nach der Schenke auf dem Süderdeich zum fröhlichen Tanz.

War lustig in der Schenke. Tauschten derben Witz und scharfes Wort wie überall, wo Bauernvolk und Seevolk durcheinander verkehren, von den ersteren saßen ihrer vier oder fünf an einem Tische. Sie zechten viel, schwatzten noch mehr und taten groß, verstanden nicht, wie man gut trinken kann, ohne den ärmeren Nachbar fühlen zu lassen, wieviel draufgehe, und daß es nicht jeder vermöge, aus dem Vollen zu zehren.

Wenn der Bauer, der für sein Leben gern den Seemann prellen mag und in der Regel von diesem geprellt wird, einen Krug über den Durst trinkt, ist des Prahlens kein Ende und das Beste ihm kaum gut genug. Das Beste in der Schenke war heute abend des Niklas Angrete, und die Bauern wollten, daß die Dirne mit keinem anderen als mit ihnen tanzen sollte der Reihe nach. Darüber gab es harte Reden. Angrete schrie, daß sie mit den Bauerkerlen nichts zu tun haben wolle, und Niklas drohte, sie zur Schenke hinauszuprügeln, wenn sie nicht von selbst gingen. Aber fünf über einen ist mehr, als ein Englandfahrer bewältigen kann, und Niklas war nahe am Stranden, als plötzlich ein Fremder in der runden Seemannsjacke erschien, der, ohne ein Wort zu sagen, mit seiner riesigen Faust die Bauern beim Schopfe nahm und nacheinander zur Türe hinauswarf, Dann setzte er sich gelassen an ihren Platz und sagte:

»Klares Fahrwasser, Maat. Setze Segel und steuere den alten Kurs.«

Die volle Schenke jubelte laut, und die Musikanten spielten, als wären sie auf einer Hochzeit. Als der Tanz vorüber war, ging Niklas zu dem Unbekannten und sagte ihm großen Dank für seine Hilfe. Er wußte selbst nicht, wie es so schnell kam; aber er saß ihm gegenüber und zwischen ihnen beiden die Angrete.

Der fremde Seemann hieß Barthel und war ein Matrose von der langen Reise. Solche Maaten galten damals für etwas Besonderes. Sie hatten dreimal die Linie passiert und waren ebenso oft glücklich um das Kap Horn gesteuert. Und es wird mancher zum stillen Mann, bevor er das Kap Horn doubliert hat. Der Barthel trug eine feine Tuchjacke, einen bunten Seidenschal um den Hals, ein gelbes Seidentuch um den linken Arm und goldene Rupien in der Tasche. Das sind die Wahrzeichen eines Seemannes von der langen Reise.

Dem Niklas ward es unheimlich. Barthel schob ihm den vollen Krug hin und scherzte dann mit der Dirne, die begierig auf ihn horchte. Er zog nachlässig eine Handvoll Goldstücke hervor und tat, als hätte er tausend Händevoll mehr. Er ließ ein gülden Kettlein im Lichte widerschimmern und hing es lachend der Angrete um. Sie sträubte sich und wurde blutrot; wollte es immer wegtun und ließ es endlich hängen.

»Du sollst nach Hause mit mir!« flüsterte Niklas verdrießlich dem Mädchen zu. Sie lachte und reichte dem Barthel die Hand zum Tanz, der sie nun nicht wieder losließ.

Der Morgen dämmerte. Die Schenke war leer. Niemand mehr darin als die beiden wilden Tänzer und Niklas, der sie mit Ingrimm betrachtete. Die Musikanten schwankten ins Freie, und der Wirt schnarchte drinnen auf der Ofenbank, von der Reede her dröhnte es wie leiser Donner. Es war der Abschiedsgruß des Dreimasters, mit welchem Bruder Detlev nach Brasilien versegelte. Er ahnte nicht, was seinem Schwesterlein und seinem Herzensfreunde geschehen war zur Nacht.

Der Seemann ist nicht dazu da, müßig am Strande zu hocken. Auch Niklas sollte wieder hinaus auf das blaue Wasser. Er ging zur Angrete und sagte es ihr. Seit jenem Abend in der Schenke hatte sie für ihn kaum ein freundliches Wort. Seine Gegenwart war ihr eine Last. Der Barthel kam viel ins Haus, und die Mutter, die gern einen reichen Schwiegersohn gehabt, hieß ihn stets wiederkommen. Dem Niklas gab sie zu verstehen, es sei gar nichts daran gelegen, wenn er fürder wegbliebe. Er ließ die Alte reden und sagte der Angrete zum Abschiede: »Gib acht, der Barthel betrügt dich, und das ist sein und mein Unglück.«

Die Angrete aber antwortete achselzuckend: »Kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen. Was schadet es, wenn ich ihn gern habe? Sonst hatte ich dich gern, vielleicht kommt's wieder so, und dann wird der Barthel auf dich schelten. Geh still an Bord, mein Junge, und tue deine Schuldigkeit. Aber wenn du von England binnen kommst, mußt du ein besseres Gesicht mitbringen, sonst sperre ich dir die Hoftür vor der Nase zu.«

Und als er von England kam, war das Unglück geschehen. Die Angrete war auf und davon. Bei Nacht und Nebel verschwand sie mit dem Barthel. Niemand wußte, wohin. Die Mutter sagte weinend, sie werde es nicht überleben. Aber sie überlebte es doch und wurde auch wieder guter Dinge, als die Angrete nach einiger Zeit schreiben ließ, es ginge ihr gut, und sie schicke nächstens einen Sack mit Geld, denn sie werde eine vornehme Kapitänsfrau. Der Niklas verwand es nicht. Er ging ab von dem lustigen Englandsfahrer und bewarb sich um einen Platz auf dem Feuerschiff, wo er mit seinem Schmerz allein war zwischen See und Düne.

Als er das letztemal im Spätherbst an die faste Wall (Land) kam, trat ihm die Mutter jammernd entgegen. Der Barthel war auf und davon. Er hatte sich über die Einfalt der Angrete lustig gemacht und sie in Schimpf und Schande sitzen lassen, vergrämt und verkommen zog sie dem Süderdeiche zu. Draußen vor dem Dorfe blieb sie bei einer halbtauben Instenfrau (Tagelöhnerin). Im Fieber warf sie sich auf der Lagerstatt hin und her. Da halfen keine Bitten, keine Drohungen; sie dachte nicht an ihre Sünden, und daß sie sich versöhnen müßte mit denen, welche sie bis in den Tod betrübte. Sie wollte nichts, als Rache an ihrem Verderber. Sein Tod war das einzige Labsal, nach welchem sie sich sehnte.

Sie rief unaufhörlich nach dem Niklas. Als er eintrat, raffte sie sich auf in ihrem Schmerze, streckte ihm die Arme entgegen und kreischte:

»Dich hat er auch betrogen, dich auch! Nimm dein Messer und bringe ihn um. Er soll nicht mit anderen Dirnen über mein Grab hintanzen.«

Und als sie das gesagt, sank sie zurück und blieb stumm. Des Geistes Licht war erloschen. Sie kannte niemand mehr und wußte nichts von sich selbst.

So war es, als Bruder Detlev von Brasilien heimkam. Er fand das Haus der Mutter verschlossen. Die Nachbarn getrauten sich nicht, die Wahrheit zu sprechen, sondern sagten: die Mutter sei samt der Angrete zu der Muhme weit über das Moor weg gezogen und werde wohl den Winter dort bleiben. Als er vernahm, daß Niklas zum Feuerschiff geschworen, und daß der Mann, der mit ihm den nächsten Winter dort zubringen sollte, krank geworden, trat er an dessen Stelle, denn er sehnte sich nach dem Freunde, und eine fremdartige Scheu hielt ihn zurück, zu der Mutter in das Binnenland zu gehen.

Mit Ungeduld lugte er nach dem Freunde aus, um auf den Grund seines Herzens zu schauen. Aber er mußte lange warten, bis ihm dies gelang. Da kam zum ersten Male das Proviantboot und mit ihm der Zettel, den ein Mann heimlich dem Niklas zusteckte. Nun öffnete sich das verschlossene Herz, und als nichts mehr zu sagen war, gab er dem Freunde das Blatt, welches der Pastor geschrieben, und auf welchem stand, daß der Himmel nach seiner großen Barmherzigkeit die Angrete dem Irrsal entrissen habe und Ihr die Erkenntnis gekommen sei. Aufrichtig bereue sie, was sie Übles getan, und bitte alle, die sie gekränkt, mit heißen Tränen um Vergebung, am meisten aber den Niklas, der durch sie elend geworden. Und wie sie hoffe, daß ihr vergeben werde, so wolle auch sie dem Manne verzeihen, durch den sie so tief gefallen, und sie bete innig, daß Gott den Fluch nicht erhört haben möge, den sie im blinden Zorn auf ihn herabgerufen. Und nach diesem aufrichtigen Bekenntnisse war die Angrete still entschlummert. Dies alles schrieb der Pastor und setzte hinzu: »Liebet die, so euch hassen, betet für die, so euch fluchen; tuet wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen.«

So sprachen in der Mitternachtsstunde die beiden Wächter vom Feuerschiff miteinander. Der Niklas wiederholte vor sich hinsprechend die Worte: »Tuet wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen!« Detlev aber rief:

»Den Teufel will ich. Käme mir der Kerl je in den Weg; ich ließe nicht von ihm, bis er tot zu meinen Füßen läge, und auch dann würde ich ihn noch treten wie einen Hund. Ich will meine Lust daran haben, wenn er sich in Schmerzen krümmt. Es gibt keine Gewalt, die ihn meinen Händen entreißt.«

Und von da ab war es, als ob ein böser Geist den Detlev beherrsche. Er konnte stundenlang vor sich hinbrüten und nichts denken, als wie er den Barthel finde und seinem Grolle genüge. Da trat der Freund zu ihm und sagte:

»Du hörst und siehst nicht, und ist doch deine Wacht an Deck. Wir sind nicht mehr im Hochsommer, und ein Udkiekmann muß seine Augen überall haben. Schau jene Bank im Nordwesten. Über den Steert von Blausand stürzen die Wogen so rasch übereinander hin, daß man sie nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Und dort am Tannhügel breitet sich die Brandung aus wie ein meilenlanges Leintuch. Es kommt noch in dieser Stunde über uns. Laß uns nach dem laufenden Gut sehen und noch ein Tauende um die Ankertaue legen. Wird ein scharfer Ritt werden.«

Die Arbeit war rasch getan. Detlev holte tief Atem, als er auf die nordwestliche Bank blickte und den ersten schrillenden Ton des losbrechenden Sturmes vernahm. Niklas aber sagte:

»Gott tröste den, der jetzt im Ansegeln begriffen ist und nicht mehr Höhe genug hat, um über Blausand wegzukommen. Er treibt geradezu in die Brandung vom Tannhügel. Laß uns noch einmal nach der Leuchte sehen.«

Die Freunde standen nebeneinander. Keiner von ihnen dachte daran, das Deck auch nur einen Augenblick zu verlassen.

»War es ein Donner?« fragte Detlev, scharf hinstarrend, den Freund.

»Mir war es wie ein Fallwind, der sich mitten in den Tann geworfen hat. Es gibt ein lautes Echo dort. Da ist's wieder.«

»Das ist ein Schuß!« rief Detlev erregt. »Und das noch einer und wieder einer. Schiff in Not!«

»Den genade Gott! Er ist hin!« sprach Niklas. »Und nun kommt der Wellengang auch in unsere Bucht. Das ist die einsetzende Flut. Hei! wie sich der Bug hebt und wieder senkt. Die Welle ist ihrer ganzen Länge nach unter dem Kiel weggerollt.«

»Und die dritte oder vierte rollt vielleicht schon über das Deck hin. Nimm ein Schlingtau um den Leib und binde das andere Ende um den Mast, damit es uns nicht hinunterspült.«

Es geschah halb lachend, halb mit bangklopfendem Herzen. Es sollte wie Scherz klingen und war doch ein furchtbarer Ernst. Die Möwen und Seegeier waren in ihrer Ruhe gestört und flogen krächzend um das Feuer an der Mastspitze. Von Minute zu Minute rollte sich die See mehr aus, und die Wolken senkten sich tiefer herab. Himmel und Erde verschwammen in eins.

Das Deck des Feuerschiffes war mit einer weißen Gischt bedeckt. Die Ankerwinde knarrte und knackte, wie der Bug sich hob und senkte; das Steuer bebte in seinen Ringen, und der Mast schüttelte vom Top bis zum Kiel.

Die Minute wurde zur Stunde; die Stunde dehnte sich zur Unendlichkeit aus. Der Sturm raste mit den Wellen um die Wette. Detlev hatte den Backbord, Niklas den Steuerbord. Sie riefen sich zu, aber sie verstanden sich nicht. Die wütenden Elemente verschlangen jeden menschlichen Laut.

Endlich dämmert es im Osten, und vor dem ersten Schimmer des jungen Morgens flieht der erschöpfte Sturm. Dumpf grollend verliert er sich in die Ferne und gibt die gefesselten Wellen frei, die in zügelloser Trunkenheit blindlings zusammenstürzen und wieder auftaumeln. Noch flammt die Leuchte am Mast, aber sie wirft keinen Schein mehr. Den Horizont entlang breitet sich ein silberner Streifen aus.

»Ich hatte recht,« sagte Detlev und deutete mit der Hand auf das Merkzeichen am Fuße des Tannhügels. »Donner und Fallwind zur Nacht waren Notschüsse. Da haben wir das Unglück vor uns.«

Es war ein stattliches Vollschiff, welches hoch auf dem Sande lag, und die Brandung leckte an seine Breitseiten empor. Die Mäste schwankten, und die Notflagge an der großen Gaffel schlingerte, vom Strande aus hatte man die Schiffbrüchigen schon bemerkt.

Der Leuchtturmwächter tritt auf die Galerie hinaus, die seine Lampen umgibt, und macht die mit den nächsten Dörfern für solchen Fall verabredeten Signale. Der Strandvogt ist mit seinen Genossen bereits zur Hand. Er läuft geschäftig hin und wieder, begierig nach Rundholz und Balken, nach Kisten und Kasten schauend, die auf der Flut treiben; willkommene Beutestücke, die einen reichen Bergelohn gewähren.

»Dank für den gesegneten Strand!« spricht er vor sich hin und stolpert über einen zerbrochenen Balken, den eine schadenfrohe Welle ihm gerade vor die Füße wirft. Der Strandreiter sitzt längst im Sattel. Er hält die Hand über die Augen, um die Schmuggler aufzufinden und sie mit verhängtem Zügel in den Grund zu reiten. Der Kajütenwirt aber kommt samt Knecht und Magd, alle drei beladen mit einem guten Imbis und noch besserem Trunk, ein luftiges Biwak errichtend auf flüchtigem Sande.

»Es regt sich nichts an Bord,« sagte Niklas, der scharf auslugte. »Sie haben bei Nachtzeit das Wrack verlassen, um sich mit den Booten in Sicherheit zu bringen.«

»So ist es wenigstens nicht allen gelungen,« erwiderte Detlev, »denn dort auf dem Kamm jener Welle treibt ein umgestürztes Langboot. Es schwimmt gerade auf uns zu.«

»Schau, wie es geschleudert wird. Es liegt mit dem Kiel nach oben. Treibt es in dieser Richtung weiter, fliegt es gerade gegen unsere Breitseite. Wie wehren wir es ab?«

»Mit nichts. Müssen den Stoß an uns kommen lassen. Unsere Barkhölzer sind stark und werden nicht gleich zusammenknicken. Da stürzt der große Mast, und das Bugspriet schwappt wie 'ne Binse am Strande. Hilf Gott, was ist 'n Seemann für 'n trauriges Ding mit dem Kiel auf dem Trockenen!«

»Da ist es!« rief Niklas erregt. »Und ... das sehe ich erst jetzt! An den Kiel klammern sich zwei Hände. Ein Mensch hängt daran.«

»Sprich, eine Leiche,« sagte Detlev. »Unmöglich kann einer am Leben bleiben, der so herumgeschleudert wird.«

»Wer weiß, Bruder!« rief Niklas in fast fieberhafter Erregung. »Es kann doch sein, daß Leben in dem Manne ist, und wir müssen wenigstens eine helfende Hand nach ihm ausstrecken.«

Die Männer rührten sich. Sie hatten starke Ankerhaken, womit der Seemann den aufgewundenen Anker vollends zu Deck bringt. Die Haken hingen an leichten neuen Kabeln.

»Werfen wir sie aus!« rief Niklas. »Fassen wir damit das Boot, können wir es so lange halten, bis einer von uns auf dasselbe hinausspringt und ein Tau um den Leib des Mannes legt. Wird das Schiff auch etwas ramponiert, so retten wir doch vielleicht ein Menschenleben, Ist er tot, machen wir ein Notsignal, und der Mann kriegt wenigstens ein ehrliches Begräbnis.«

Beide traten an die Reiling, zum Wurfe ausholend. Als die nächste Welle das Boot näher herantrug, flogen die Haken durch die Luft, und saßen beide fest. Die Feuerschiffer zogen das Boot vollends an sich und befestigten die Kabel. Es konnte nun nicht fort, aber es schlug dafür so heftig gegen die Breitseite, daß es dröhnend durch das ganze Schiff hallte.

»Nun will ich hinaus und ihm helfen!« sagte Niklas und sprang mit dem Ende einer bereit gehaltenen Trosse (Tau) auf das Boot hinaus. Er warf sich platt über dasselbe hin und befestigte die Trosse um den Leib des verunglückten. Erst nach mühsamer Anstrengung gelang es, die Hände desselben von dem Kiel zu befreien. Fast erschöpft richtete er sich auf und rief dem Freunde zu, die Trosse einzuholen; er wolle ihm treu helfen, damit sie den erst halb Geretteten sobald als möglich binnen Bords brächten.

Ein guter Erfolg krönte das mühsame Werk. Detlev konnte bald den Körper des Unbekannten fassen. Die grollende See hatte einen Augenblick Frieden gehalten, als sei sie gerührt von dem Eifer der Wächter vom Feuerschiff. Aber nun erhob sie sich mit erneuerter Wut. Sie schüttelte das in den Ankerhaken schwankende Boot, und in dem Augenblicke, wo Detlev den Geretteten vollends zu Deck brachte, stürzte Niklas vorne über und geriet mit seinem Leibe zwischen Boot und Breitseite. Mit einem Schrei sprang Detlev hinzu. Es gelang seiner herkulischen Kraft, den Freund zu sich emporzuziehen, ehe im Hin- und Herschwanken zum zweiten Male das Boot gegen das Schiff zurückschlug. Als Niklas das Verdeck erreichte und Detlev ihn losließ, sank er, vor Schmerz wimmernd, zu Boden. Entsetzt stand Detlev zwischen zwei Verunglückten. Aber nur einen Augenblick verlor der entschlossene Mann seine Besonnenheit. Er flog von dem einen zum anderen. Durch die Mittel, welche man bei Ertrunkenen anwendet, brachte er den Fremden nach und nach ins Leben zurück. Aber mit dem Niklas ging es anders. Als dieser, von dem Freunde halb getragen, auf das Lager im Zwischendeck niedersank, sagte er:

»Bruder, von dem Strohsack stehe ich nicht wieder auf. Ich fühle es. Sage mir nichts und lasse mich einen Augenblick schlafen.«

Detlev ging zu dem Geretteten auf das Deck. Dieser war noch sehr erschöpft und ergriff die dargebotene Flasche mit Begier. Dann streckte er sich nieder, wickelte sich in eine Persenning (geteerte Segeltuch) und schlief fest ein.

Als er nach einigen Stunden erwachte, rief Detlev ihm zu:

»Hoffentlich seid Ihr nun wieder ganz auf dem Platze, und das ist gut, denn bis andere Hilfe kommt, bedarf ich der Eueren. Mein Maat ist bei Euerer Rettung schlecht bedacht worden, und ich fürchte, es ist schlimmer, als ich geglaubt. Es dämmert schon, und wir wollen unsere Leuchte in Bereitschaft setzen. Ist das getan, nehme ich meinen Posten, und Ihr geht hinunter zu dem Kranken. Morgen mit dem frühesten mache ich das Notsignal.«

Der Fremde sagte nichts; aber er tat, wie ihm geheißen. Als am Bord alles wohl beschickt war, stieg er hinunter zum Niklas, und Detlev stand schweigend am Steuer, den Blick bald auf die Leuchte, bald auf den Horizont gerichtet. Es lag ihm auf der Brust wie Bergeslast, und er konnte es nimmer von sich wälzen. Da tönte plötzlich ein gellendes Gelächter von unten herauf, gefolgt von einem Schrei des Entsetzens.

Außer sich vor Schrecken stürzte Detlev die Treppe hinunter. Niklas, vor Schmerz stöhnend, saß auf dem Lager, beide Hände zur Abwehr von sich gestreckt. Der Fremde stierte ihn mit seinen Glutaugen an, als wollte er ihn durchbohren. Sein Gesicht war bleich; die Lippen waren fest aufeinander gepreßt.

»Was geht hier vor?« rief Detlev, indem er sich zu dem Freunde hinabbeugte. »Warum schriest du so entsetzlich?«

»Ich habe einen Geist gesehen!« sagte Niklas bebend. »Dort! Dort!«

Er deutete mit der Hand nach der Richtung, wo der Fremde stand.

»Das ist kein Geist. Das ist der Verunglückte, der sich an das gekenterte Langboot geklammert hatte.«

»Nein! Es ist ein Geist. Ich weiß auch, welcher. Bringe dein Ohr an meinen Mund. Ich muß es leise sagen.«

Detlev tat dem kranken seinen Willen. Aber kaum hatte ein Laut aus dem Munde des Freundes sein Ohr berührt, als er, wie von einem Skorpion berührt, aufsprang und rief:

»Sagst du die Wahrheit?«

Niklas vermochte vor heftigen Schmerzen nicht zu reden. Er streckte die Hand aus, und der Freund ergriff sie voll Mitleid. Niklas hatte sie gefaßt und hielt sie in seiner Angst so fest, daß jener sich nicht losmachen konnte, wenn er es auch gewollt.

»Du sollst keinen Augenblick von mir. Ich bin voll Angst und Bekümmernis. Der Entsetzliche hat mir meine Angrete gestohlen und die Ärmste zeitlich und ewig verderbt.«

»Ich will'n totschlagen!« sagte Detlev und wollte sich losreißen.

»Du sollst nicht!« schrie Niklas in Todesangst, »sonst fällst du dem Teufel in die Hände wie deine arme Schwester. Meinst du, daß die Dirne wirklich in der Hölle schmachtet, oder hat sie um ihrer Reue willen Gnade gefunden und ist bei dem lieben Gott im Himmel?«

»Er ist ganz und gar von sich,« sagte Detlev weich und versuchte es nicht mehr, seine Hand zu befreien. Mag es auf dem Deck gehen, wie es eben will; ich kann ihn nicht verlassen.«

Niklas lag im fieberhaften Schlummer. Detlev saß still bei ihm, und Barthel stand an der Treppe wie ein steinern Bild. Da schlug plötzlich der Kranke wieder die Augen auf. Er starrte fest auf einen Punkt und lächelte:

»Nun siehst du? Da ist ja die Angrete. Ich wußte es wohl. Sie schaut zu dem Barthel hinüber und breitet die Hände über ihn aus. Wenn sie ihm vergibt, die er am meisten gekränkt, müssen wir es auch. Es soll ihm keiner etwas tun, keiner!«

Er preßte den Freund fest an sich, als wollte er ihn nimmer lassen. Bis hierher hatte Barthel ausgehalten jenen beiden gegenüber, die er so schwer beleidigt. Allein jetzt überkam ihn eine furchtbare Angst, und er floh, aus tiefster Brust stöhnend, die Treppe hinauf.

Als es dämmerte, stieg auch Detlev nach oben. »Er ist hinüber, der arme Niklas,« sprach er vor sich hin. »Und das ist gut, denn die Treulosigkeit meiner Schwester hätte er wohl nimmer verwunden. Und da ist jener Hund, den ich würgen wollte – aber der Tote hat meine Hand gefesselt.«

Mühsam gefaßt trat Detlev zu dem finster blickenden Barthel und sagte:

»Ginge es nach mir, faßte ich mit dieser Hand nach deiner Kehle und ließe nicht ab, solange du noch atmen kannst. Aber ich habe ihm schwören müssen, daß ich dir alles vergeben will, wie er es auch getan, und somit hast du nichts von mir zu befahren. Aber, daß du es weißt! Ich hasse dich als meinen Todfeind, und wenn meine Augen töten können, mußt du doch daran glauben trotz meines Schwurs. Jetzt will ich mein Werk tun.«

Der Wächter vom Leuchtturm stand auf seiner Galerie, wie er nach Tagesanbruch zu tun pflegte, und sagte:

»Lassen sich viel Zeit am Bord heute. Meine Lampen sind schon aus, und der Blaak ist von den Deckeln gewischt, während ihre Leuchte noch in der Luft schlingert. Na endlich! ... Und nun die Flagge. Hurra! Hurra! Rührt euch doch! – Was? ... Das ist ja nicht unsere Landesflagge. Das ist ja schwarz! Kohlschwarz! Da gibt es ein Unglück.«

Er eilte die Treppe hinab, er wußte nicht wie. Als er unten anlangte, kam der Steuerreiter daher gesprengt, der gerade eine Schmugglerjagd begann.

»Haltet einen Augenblick an mit Euer Hatz,« sagte der Wächter vom Turm, »und reitet rückwärts zum Süderdeich. Am Bord des Feuerschiffes gibt es ein Unglück. Die schwarze Flagge weht am Maste.«

Verdrießlich warf der Steuerreiter sein Pferd herum und hätte seine Schmuggler beinahe erwischt. Keine Stunde dauerte es, da erschien das Boot des Strandvogts, das nach dem Feuerschiff abhielt.

Detlev empfing denselben: »habe eine Leiche, Herr. Mein guter Bruder Niklas ist von dem Langboot des Wrackes gequetscht, als er jenen Mann dort rettete, der sich an den Kiel des Bootes klammerte. Gebt dem wackern Jungen ein christliches Begräbnis, Herr. Laßt die Glocken dabei läuten und den Pastor ein Gebet sprechen. Mir aber bringt an seiner Statt einen anderen.«

»Wollen dem Niklas ein stattliches Begräbnis veranstalten mit Sang und Glockenklang und allem anderen Christentum, wie es sich für einen Mann gehört, der in seinem Berufe gestorben ist. Aber einen anderen kann ich nicht geben, denn meine Leute brauche ich, bis jenes Wrack vollends geborgen ist, und alles ledige Volk ist aus in See. Darum behalte nur jenen bei dir. Dafür, daß Niklas sein Leben für seine Rettung gegeben, kann er wohl eine Zeitlang für ihn den Dienst tun. Gott befohlen.«

Detlev schrie laut: »Nun und in Ewigkeit nicht!« Der Barthel setzte an, um in das Boot des Strandvogts hinüberzuentern. Dieser aber ließ schnell die Fangleine schlippen und sagte lachend:

»Vertragt euch, so gut ihr könnt. Wenn das Wrack gelöscht ist, komme ich wieder. Sobald der Niklas zur Ruhe ist, soll es euch der Leuchtturmwächter durch einen weißen Wimpel verkünden.«

Der weiße Wimpel erschien und verschwand wieder. Das Wrack war gelöscht und so viel von dem Kant- und Rundholz geborgen als möglich. Das übrige hatte die Brandung weggespült. Aber das Boot des Strandvogts kehrte nicht zurück, um einen Entsatz für den Niklas zu bringen, und als eines Tages neue Zufuhr von Lebensmitteln und Wasser anlangte, sagte der Führer des Proviantschiffes:

»Haltet euch steif. Das ist die letzte Ration. Wenn sie verzehrt ist, holen sie euch binnen. Bis dahin guten Udkiek.«

Es war ein trauriges Leben am Bord des Feuerschiffes. Die beiden Männer wechselten nie ein Wort miteinander. Barthel hatte den Dienst bald begriffen und tat alles pünktlich, wenn seine Zeit auf Deck war. Dann ging Detlev hinunter und ließ sich nicht eher wieder blicken, bis die Reihe ihn traf. Wenn er dann oben erschien, war Barthel verschwunden und ließ ihm vollen Raum.

Da betrat er einst mitten in der Nacht das Verdeck. Barthel hatte ihn nicht bemerkt. Er stand am Mast, eine halbvolle Flasche in der Hand und sang ein wüstes Lied, worin über leichtfertige Dirnen gespottet wurde. Detlev, seiner nicht mächtig, sprang auf ihn zu. »Bestie!« rief er und gab ihm einen Schlag vor die Stirn.

Beide standen sich kampffertig gegenüber.

»Verzeihe mir Gott,« sagte Detlev, »wenn ich meinen Schwur breche. Aber ich kann nicht anders, ich muß ihn würgen.«

Er stürzte auf ihn zu. Barthel, größer und stärker, drückte den Detlev mit beiden Armen so fest an sich, daß diesem fast der Atem verging. Dann sagte er, ihn loslassend:

»Das war für den Schlag. Noch eine Minute so, und du bist still für immer. Jetzt sieh nach deiner Leuchte, denn du hast die Wache, und sie ist nahe am Verlöschen.«

Sie war es. Rasch holte Detlev seine Leuchte zu Deck; aber währenddem erlosch sie vollends. Bestürzt eilte er in die Lichtkammer. Als er zurückkam, fielen dichte Schneeflocken herab. In wenigen Augenblicken war das Schiff damit bedeckt.

Der Wind aus Osten gab sich auf, peitschte die Schneewolken vor sich her und brachte den hellen glitzernden Frost. Die Vorboten des Winters rückten heran. Krähen und Dohlen flatterten schreiend über die Düne hin. Die auf- und absteigenden Möwen flohen erschreckt der Küste zu. Auf seinen breiten Schwingen ruhend, schwebte der Seeadler darüber hin.

Die Sterne funkelten hell zur Nacht, und bei Tage fiel der Schnee in dichten Massen. Eisschollen blitzten auf. Die ersten kaum handgroß, leicht zerbrechlich; dann mehrere, größer und stärker? rasch aufeinander folgend, immer schneller und schneller, wirbelnd und drehend, bis eine, die im Laufe angehalten, von der zweiten überholt wird und über sie hinschiebt. Darüber stürzt sich die dritte und vierte. Zu Eisbergen getürmt, schwimmen sie gleich fliehenden Inseln, von den Wellen geschaukelt, und werden zuletzt mit Donnergekrach an die Küste geworfen.

»Wenn die am Lande noch länger säumen, uns binnen zu holen, werden diese Eisberge uns erdrücken,« sagte Detlev vor sich hin. »Schon heute früh habe ich das Zeichen gegeben. Es hängt noch immer unter der Flagge, und am Strande rührt sich keine Hand.«

»Das letzte Öl habe ich soeben in die Leuchte gegossen. Das Wasser geht auf die Neige, und in der Combüse (Schiffsküche) liegen höchstens fünf Schaufeln Kohlen.«

Barthel sagte es und schielte den Detlev mit übereinandergeschlagenen Armen an. Dieser sah nach dem Leuchtturm, wo sich nichts regte, und sprach:

»So müssen wir hier elendiglich umkommen.«

»Wir nicht. Aber du. Ich brauche kein Feuer, denn dein Faustschlag brennt noch heiß genug auf meiner Stirn, und wenn der Durst mich quält, will ich ihn mit deinem Blute löschen.«

Er lachte wild auf. Detlev schauderte. Der Wächter aus dem Turm zeigte in diesem Augenblicke eine blaue Flagge. Das Signal bedeutete, daß das Feuerschiff morgen binnen gebracht werden sollte. Beide hatten es nicht gesehen. Die Nacht brach herein. Sie war finsterer als je. Der Sturm brauste durch die Luft und warf die eisigen Massen auf- und untereinander. Das Deck des Feuerschiffes war mit einer dichten Kruste überzogen und so glatt, daß man nicht darauf stehen konnte. Die Klüsen (Löcher für die Ankerkette) starrten von Eis, und die Ankertaue froren so fest darin, daß sie nicht einen Zollbreit zu bewegen waren.

Die Brandung von Blausand dehnte sich immer weiter aus und rollte dem Schiffe zu. Sie hob dasselbe und drückte es hinab, bis ein donnernder Sprung durch den ganzen Rumpf bebte und dieser seitwärts schwankte.

»Backbords Ankertau ist gerissen!« rief Barthel in den Sturm hinaus. »Nun holt auch der Teufel das zweite an Steuerbord und dann geht es hinaus zur lustigen Jagd. Hussa! Wenn der Satan mich am Genick packt, packe ich dich, und wenn der Kiel berste: und der Mast zersplittert, fahren wir hinaus und hinunter. Das ist das Ende von dem tollen Spiel.«

Detlev hörte nicht aus ihn. Er blickte nach den Lampen am Turm, die so trostreich zu ihm herüber schimmerten; dachte an den Freund und die unglückliche Schwester, und das Blut strömte zum Herzen.

Da rollte eine mächtige Welle heran und warf sich mit solcher Gewalt auf das Schiff, daß es fast in die Tiefe sank. Als es von der weiterrollenden Flut erfaßt, jach aufschnellte, bebte es abermals durch den ganzen Rumpf; aber diesmal länger und heftiger.

»Steuerbords Anker ist hin!« rief der wilde Barthel.

Detlev faßte mechanisch nach dem Steuer. Aber das Eis hatte sich zwischen die Ringe gesetzt, und er vermochte nicht, es zu regieren. Seine Knie brachen zusammen.

Am anderen Morgen rang sich ein starkbemanntes Boot vom Strande los und arbeitete mühsam durch Eisschollen und Sturmwellen. Das Feuerschiff war verschwunden. Man fand die beiden Ankerbojen an der gewohnten Stelle.

»Das Eis hat die Taue durchgesägt,« sagte der Bootsmeister, »und dann ist das Schiff mit der Ebbe nach See getrieben. Frisch, Jungens! Wir müssen die Baake von Blausand doublieren, denn da herum sind sie allein zu finden, wenn sie nicht schon tief unten liegen.«

Die Leute arbeiteten frisch. Mit einbrechender Dämmerung war ihr Werk getan. Aus der äußersten Spitze des gefährlichen Riffs saß das Feuerschiff fest und unbeweglich, Die Lee raste darüber hin. Nur mit der größten Anstrengung gelang es einigen Bootsgasten, an Bord zu kommen. Die Zerstörung war überall sichtbar. von den Männern, die auf dem Schiffe gehaust, fand sich keine Spur.

Hatten sie im wütenden Hasse miteinander gerungen, Leben um Leben? Hatten sie in dem letzten, schrecklichen Augenblicke, erfaßt von der todbringenden Woge, sich versöhnt die Hand gereicht?

Es hat niemand erfahren.


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