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Universität Frankfurt

1912

Das Bedürfnis nach Universitäten ist meines Erachtens in Deutschland vollkommen gedeckt. Wir haben Großstadt- und Kleinstadt-Universitäten, bescheidene und »vornehme«, solche, an denen die Studenten ausschließlich arbeiten und solche, an denen sie – nicht ganz so ausschließlich – Sport treiben. Auch ist, mit ganz sporadischen Ausnahmen innerhalb des klinischen und des seminaristischen Betriebes, keine dieser Universitäten überfüllt und ihre Zahl groß genug, um einen gesunden Wettbewerb der wissenschaftlichen Leistungen zu garantieren. Ich sehe also nicht ein, weshalb ungeheure Mittel aufgewendet werden sollen, um etwas zu leisten, was anderweitig schon in völlig hinreichendem Maße geleistet wird: wozu hier noch kommt, daß Frankfurt eine teure Lebenshaltung hat und sich dadurch der großen Mehrzahl unserer Studenten verschließt.

Alle diese Bedenken treffen indes nur den Plan einer Universität nach dem bestehenden Typus unserer Staatsuniversitäten. Völlig anders wäre die Gründung einer Hochschule zu bewerten, an der ausschließlich die höheren, rein wissenschaftlichen, mit keinen praktischen Zwecken verquickten Studien getrieben würden. Die erste Bedingung für eine solche wäre, daß alle Examina, alles »Berechtigungswesen« fortfallen. Es muß eine Universität möglich sein, an der eine kleine Anzahl von Forschern ersten Ranges vorgeschrittene Studenten, oder solche, die das übliche akademische Studium abgeschlossen haben, in die schwierigeren und im Fluß befindlichen Probleme einführt und prinzipiell zur Mitarbeit an dem Fortschritt der Wissenschaft heranzieht – ohne jede Rücksicht auf einen »Abschluß« des Studiums und auf ein äußeres, mit ihm zu erreichendes Ziel. Damit wären die ganzen Schwierigkeiten der »Staatsuniversität« auf einmal beseitigt. Eine Universität, die darauf verzichtet, zum Staatsdienst, zu ärztlicher oder rechtsanwaltlicher Praxis zu berechtigen oder Doktoren zu machen, wäre dem Staat gegenüber ein reines »Privatinstitut«, um das Regierung und Parlament sich nicht zu kümmern brauchten. Wohl aber könnte es, wenn hier wirklich eine kompromißlos gewählte Elite von Gelehrten wirkte, leicht dahin kommen, daß ein einfaches Zeugnis über erfolgreichen Besuch dieser Hochschule für viele Fälle eine entscheidendere Legitimierung wäre, als irgend ein Examen. Eine gewisse (obgleich keineswegs etwa durchgehende) Analogie zu einem solchen Institut würde das Collège de France in seinem Unterschied gegen die Sorbonne darbieten.

Die weitere Bedingung wäre natürlich, daß der ganze Elementarunterricht fortfällt, mit dem der eben vom Gymnasium kommende Student überhaupt erst in die Wissenschaft eingeführt wird. Damit würde diese Universität eine große Anziehungskraft für viele von unseren großen Gelehrten gewinnen, für die es eine rechte Last ist, Jahr für Jahr dieselben relativ elementaren Dinge vortragen zu müssen. Dieser primitive Unterbau würde hier so wenig in Frage kommen, wie praktische Ziele, der Teilnehmer würde vielmehr unmittelbar in die Entwicklung der Wissenschaft hineingestellt werden, und zwar einerseits in die ganz spezialistische Detailarbeit, andrerseits in die allgemeinsten Zusammenhänge und höchsten Zusammenfassungen. Und dies brauchte keineswegs nur auf die Reinkultur künftiger Universitätsgelehrter eingestellt zu sein. Es wäre vielmehr ein höchster Gewinn für die deutsche Kultur, wenn ein solches durchaus »unpraktisches« Institut eine Zeitlang noch von solchen besucht würde, die sich nachher irgend einer Praxis des Lebens widmen, vor allem auch von solchen, die, ganz unabhängig von der Alternative «wischen »Gelehrtheit« und »Praxis« eine allgemeine Bildung des geistigen Menschen überhaupt in jenem tiefsten Sinne suchen, der vielen unserer Studenten leider fremder geworden ist, als er es vor hundert Jahren gewesen zu sein scheint. Ich brauche mich wohl nicht gegen das Mißverständnis zu verteidigen, als beschuldigte ich unsere bestehenden Universitäten des Mangels an dem hier charakterisierten Unterricht. Gewiß besteht er auch an ihnen. Aber niemand wird leugnen, daß sie angesichts des Begabtheitsmaßes und der praktischen Ziele, die sie bei den Tausend-Zahlen unserer Studenten voransetzen müssen, gar nicht auf ihn eingestellt sein dürfen, und daß ein ausschließlich nach dieser Richtung orientiertes Institut als Ganzes einen völlig anderen, völlig originellen Charakter trüge.

Aus dem Wegfall der elementaren, ebenso wie der praktischen Gesichtspunkte folgte, daß eine »Vollständigkeit« des Lehrkörpers, wie diese Gesichtspunkte sie von den bestehenden Universitäten fordern, nicht in Frage käme, daß vielmehr nur eine relativ geringe Zahl von Lehrern zu berufen wäre, wodurch dann die Mittel frei würden, nur die allerhervorragendsten und unvermeidlich sehr kostspieligen zu wählen. Auch die Teilung in Fakultäten, deren Recht überhaupt angesichts mancher modernen Entwicklung von Fächern nicht mehr allenthalben unzweideutig ist, hätte hier keinen Sinn; höchstens käme die an Akademien übliche, zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, in Betracht.

Nur eine solche, von allem Ballast entlastete und deshalb wirklich »freie« Universität, auf der es keine »Anfänger« und keine »Kandidaten« gibt, könnte ich als einen wirklichen und erheblich neuen Kulturwert für Deutschland ansehen, nicht aber, daß zu den – wenn ich nicht irre – zwanzig deutschen Universitäten noch die einundzwanzigste nach demselben Typus dazukommt. Dieser Prinzipienfrage gegenüber erscheint mir die nach dem »Berufungsmodus« von dem Interesse der Wissenschaft und des Unterrichts her ziemlich sekundär. Sowohl von der Frankfurter Bürgerschaft wie von der Regierung darf man erwarten, daß sie nach den besten sachlichen Informationen ihre Entscheidungen trifft und daß »Menschlichkeiten« so wenig auf der einen wie auf der anderen Seite ausgeschlossen sind. Ich glaube nicht, daß die Qualität des Lehrkörpers eine verschiedene wäre, wenn er von der einen, wie wenn er von der anderen Instanz gewählt würde. Aber dieses Problem würde, wie gesagt, überhaupt hinfällig werden, wenn sich die Frankfurter Stifter wirklich zu einer »freien« Universität entschlössen, das heißt zu einer solchen, die vom Staat nicht nur kein Geld verlangt, sondern auch nicht die Anerkennung von Prüfungen, Titeln und anderen Äußerlichkeiten.

 

Diese Sammlung ist – in Übereinstimmung mit den Absichten des Verfassers – nach dem Grundsatz ausgewählt worden, nur solche Arbeiten zu bringen, die nicht in andere Werke Georg Simmels aufgegangen sind.

 

Gedruckt bei Gebr. Wolffsohn G. m. b. H., Berlin

 


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