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Dreiundvierzigstes Kapitel.

Je mehr Vinicius sich der Stadt näherte, desto mehr überzeugte er sich, daß es leichter war, Rom zu erreichen, als bis zum Mittelpunkt der Stadt vorzudringen. Auf der Appischen Straße war es schwierig, durch das Menschengedränge hindurchzukommen. Häuser, Felder, Begräbnisstätten, Gärten und Tempel zu beiden Seiten waren in Lagerplätze verwandelt. Im Marstempel, der ganz in der Nähe der Porta Appia lag, hatte das Volk die Türen eingeschlagen, um im Inneren für die Nacht ein Obdach zu finden. Auf den Begräbnisplätzen wurden die größeren Denkmäler in Besitz genommen und Kämpfe um sie geführt, bei denen Blut floß. Ustrinum mit seinem Durcheinander bot kaum einen leichten Vorgeschmack von dem, was innerhalb der Mauern der Stadt selbst vorging. Jede Rücksicht auf Gesetz, Recht, Billigkeit, Familienbande, gesellschaftlichen Rang hatte aufgehört. Man sah Sklaven Bürger mit Stöcken schlagen; Gladiatoren, trunken vom Wein, den sie im Emporium geraubt hatten, rotteten sich zu ganzen Haufen zusammen, rannten unter wildem Gebrüll auf den an der Straße liegenden Plätzen umher, trieben die Leute auseinander, traten sie mit Füßen und plünderten sie aus. Eine Menge Barbaren, die in der Stadt zum Verkauf standen, war aus den Schuppen entwichen. Für sie bedeutete der Brand und der Untergang der Stadt zugleich das Ende der Knechtschaft und den Beginn der Rache. Während die ansässige Bevölkerung, welche ihre gesamte Habe in den Flammen verloren hatte, verzweiflungsvoll die Arme zu den Göttern emporstreckte und um Rettung flehte, stürzten diese Horden mit Freudengeheul unter sie, rissen ihnen die Kleider vom Leibe und schleppten jüngere Frauen mit sich fort. Zu ihnen gesellten sich Sklaven, die schon lange Zeit in Rom gedient hatten, Bettler, die außer einem wollenen Gürtel um die Lenden nichts auf dem Leibe hatten, schreckliche Gestalten aus den Hintergäßchen, die man bei Tage fast nie auf den Straßen gesehen hatte und an deren Vorhandensein in Rom schwer zu glauben war. Diese Bande, aus Asiaten, Afrikanern, Griechen, Thrakern, Germanen und Britanniern bestehend, raste, in allen Sprachen der Erde heulend, in wilder Ausgelassenheit umher und hielt die Stunde für gekommen, in der sie sich für die Leiden und das Elend langer Jahre entschädigen konnten. Mitten unter dieser hin und her flutenden Menschenmenge glänzten im Scheine der Sonne und des Feuers die Helme der Prätorianer, unter deren Schutz sich der friedfertigere Teil der Bevölkerung geflüchtet hatte und die an vielen Punkten fortwährend Kämpfe mit der rasenden Menge zu bestehen hatten. Vinicius hatte in seinem Leben schon viele eroberte Städte gesehen, aber niemals hatte sich seinen Augen ein solches Schauspiel geboten, in dem sich Verzweiflung, Tränen, Schmerz, Jammern, wilde Freude, Raserei, Tollheit und Zügellosigkeit zu einem solchen unermeßlichen Chaos vereinigten. Zu Häupten dieser in wildem Durcheinander hin- und herwogenden Menschenmenge loderte das Feuer empor, flammte aus den Hügeln der größten Stadt der Welt, hauchte die sich drängenden Menschen mit seinem glühenden Atem an und umhüllte sie mit Rauchmassen, vor denen der blaue Himmel nicht mehr zu sehen war. Mit Aufbietung aller Kraft und jeden Augenblick sein Leben aufs Spiel setzend, gelangte der junge Tribun endlich bis zum Appischen Tore; hier aber bemerkte er, daß es nicht allein infolge des Gedränges, sondern auch infolge der gräßlichen Hitze, vor der die ganze Luft jenseit des Tores zitterte, unmöglich war, von der Porta Capena aus das Innere der Stadt zu erreichen. Außerdem war die Brücke bei der Porta Trigenia gegenüber dem Tempel der Bona Dea noch nicht vorhanden; wer also über den Tiber wollte, mußte sich bis zur Sublicischen Brücke begeben, das heißt den ganzen Aventin umgehen und somit durch einen Stadtteil dringen, der jetzt ein Feuermeer zu sein schien. Dies war völlig unmöglich. Vinicius sah ein, daß er in der Richtung auf Ustrinum umkehren, hier von der Appischen Straße abbiegen, den Fluß unterhalb der Stadt überschreiten und die Via Portuensis zu erreichen suchen müsse, die geradeswegs nach dem Viertel jenseit des Tibers führte. Es war dies infolge des immer zunehmenden Wirrwarrs, der auf der Appischen Straße herrschte, nichts Leichtes. Es wäre notwendig gewesen, sich mit dem Schwerte den Weg zu bahnen, aber Vinicius hatte keine Waffen, denn er war aus Antium so fortgeritten, wie ihn die Nachricht von dem Brande in der Villa des Caesars getroffen hatte. Vor dem Merkurtempel bemerkte er jedoch einen ihm bekannten Centurio von den Prätorianern, der an der Spitze eines kleinen Trupps Soldaten die Vorhalle des Heiligtums verteidigte, und befahl ihm, ihn zu begleiten. Dieser erkannte den Tribun und Augustianer und wagte nicht, sich dem Befehle zu widersetzen.

Vinicius übernahm selbst den Befehl über die Abteilung und vergaß für den Augenblick Paulus' Lehre von der Nächstenliebe, indem er durch das Gedränge mit einer Eile ritt, die manchem verderblich wurde, der sich nicht beizeiten rettete. Flüche und ein Hagel von Steinen folgten ihnen. Er achtete jedoch nicht darauf und suchte sobald wie möglich weniger belebte Straßen zu erreichen. Es war jedoch nur mit der Aufbietung aller Kraft möglich, vorwärts zu kommen. Die Menschen, die sich schon ein Nachtlager zurechtgemacht hatten, wollten den Soldaten nicht aus dem Wege gehen und verwünschten den Caesar und die Prätorianer. An einigen Punkten nahm die Menge eine drohende Haltung an. An Vinicius' Ohr drangen Stimmen, die Nero der Brandstiftung beschuldigten und Todesdrohungen gegen ihn und Poppaea ausstießen. Die Rufe: » Sannio!« » histrio!« (Hanswurst, Schauspieler) »Muttermörder« schwirrten durch die Luft. Einige schrien, man solle ihn in den Tiber werfen, andere, Roms Geduld sei erschöpft. Es war augenscheinlich, daß diese Drohungen nahe daran waren, in offene Empörung überzugehen, die, wenn sich ein Führer fand, jeden Augenblick ausbrechen konnte. Inzwischen wandte sich die Wut und Verzweiflung der Menge gegen die Prätorianer, die auch schon deswegen nicht rasch vorwärtskommen konnten, weil die Straßen mit ganzen Bergen von aus dem Brande geretteten Gegenständen bedeckt war: Kisten und Fässer mit Lebensmitteln, kostbaren Möbeln, Vasen, Kinderwiegen, Betten, Wagen und tragbaren Gegenständen. Hier und da kam es zum Handgemenge, aber die Prätorianer wurden bald mit der waffenlosen Menge fertig. Nachdem sie mit Mühe die Via Latina, Numicia, Ardeatina, Lavinia, Ostiensis durchritten hatten, an Villen, Gärten, Begräbnisplätzen und Tempeln vorbei, erreichte Vinicius endlich einen kleinen Ort, Vicus Alexandri genannt, wo er den Tiber überschritt. Es war dort menschenleerer, und die Luft war weniger mit Rauch erfüllt. Von Flüchtlingen, an denen es jedoch auch hier nicht fehlte, erfuhr er, daß nur wenige Straßen jenseit des Tibers von den Flammen ergriffen worden seien, daß aber nichts dem Feuer Einhalt tun könne, da Leute durch die Straßen eilten, die es absichtlich weitertrügen und sich jedem Rettungsversuch mit Gewalt widersetzten, wobei sie erklärten, sie handelten auf höheren Befehl. Der junge Tribun hegte jetzt nicht mehr den mindesten Zweifel daran, daß der Caesar wirklich den Befehl gegeben habe, Rom in Brand zu stecken, und die Rache, nach der das Volk schrie, erschien ihm recht und billig. Was hätte Mithridates oder sonst einer der erbittertsten Feinde Roms Schlimmeres tun können? Das Maß war übervoll, Neros Wahnwitz hatte eine zu erschreckende Höhe erreicht, und das Leben unter ihm war zur Unmöglichkeit geworden. Vinicius glaubte auch, Neros Stunde habe geschlagen und die Trümmer, in die die Stadt fiel, müßten das possenreißende Scheusal samt all seinen Verbrechen mit unter dem Schutt begraben. Wenn sich ein Mann fände, der kühn genug wäre, sich an die Spitze des verzweifelten Volkes zu stellen, so könnte sich Neros Schicksal möglicherweise im Verlaufe weniger Stunden erfüllen. Verwegene Rachegedanken schossen Vinicius durch den Kopf. Wenn er dieses Wagnis unternähme? Das Haus der Vinicier, das bis in die jüngsten Zeiten eine ganze Reihe von Konsuln unter seinen Mitgliedern zählte, war in ganz Rom bekannt. Das Volk brauchte nur einen Namen. Schon einmal wäre es aus Anlaß der Hinrichtung der vierhundert Sklaven des Präfekten Pedanius Secundus beinahe zum Aufstande und Bürgerkriege gekommen – was würde da erst jetzt geschehen angesichts des entsetzlichen Unglücks, das furchtbarer war als alles Unheil, das Rom im Laufe von acht Jahrhunderten getroffen hatte? Wer jetzt die Quiriten zu den Waffen riefe, dachte Vinicius, würde unzweifelhaft Nero stürzen und sich selbst mit dem Purpur bekleiden. Und warum sollte er dies nicht tun? Er war mutiger, tatkräftiger, jünger als die übrigen Augustianer %hellip; Nero befehligte allerdings dreißig Legionen, die an den Grenzen des Reiches standen; aber würden sich nicht auch diese Legionen samt ihren Anführern bei der Kunde vom Brande Roms und seiner Tempel empören? %hellip; In diesem Falle könnte er, Vinicius, Caesar werden. Man flüsterte sich sogar unter den Augustianern zu, ein Wahrsager habe Otho den Purpur prophezeit? Worin war er schlechter als dieser? Vielleicht würde ihm auch Christus seine göttliche Hilfe angedeihen lassen, vielleicht hatte er ihm diesen Gedanken eingegeben. »O wäre es so!« wünschte er in seinem Innern. Er würde dann Lygias Gefahr und seine eigene Angst an Nero rächen, er würde ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit begründen, die Lehre Christi bis zu den Ufern des Euphrat und den nebligen Gestaden Britanniens ausbreiten, er würde gleichzeitig Lygia in Purpur kleiden und sie zur Herrscherin der Welt machen.

Aber diese Gedanken, die aus seinem Kopfe wie Funken aus einem brennenden Hause geflogen waren, verloschen auch wie Funken. Vor allem galt es, Lygia zu retten. Er sah jetzt das Unglück in der Nähe; wiederum ergriff ihn Bangen, und angesichts dieses Feuer- und Rauchmeeres, angesichts dieser grauenhaften Wirklichkeit, die ihm jetzt erst voll zum Bewußtsein kam, erstarb jene Zuversicht, mit der er geglaubt hatte, der Apostel Petrus habe Lygia gerettet, völlig in seinem Herzen. Abermals erfaßte ihn die Verzweiflung, und als er die Via Portuensis, die geradeswegs zu dem Viertel jenseit des Tiber führte, erreicht hatte, kam er erst beim Tore wieder zur Besinnung, wo ihm wiederholt wurde, was er schon vorher von den Flüchtlingen gehört hatte, daß der größte Teil dieser Stadtgegend noch nicht in Flammen stehe, daß sich das Feuer aber schon an mehreren Stellen über den Fluß verbreitet habe.

Trotzdem war der Stadtteil voller Rauch, und auf den Straßen drängten sich die Menschen; dadurch wurde das Vorwärtskommen um so schwieriger, als die Bewohner mehr Zeit hatten und infolgedessen auch mehr Gegenstände fortschafften und retteten. Selbst die Hauptstraße, die vom Tore ins Innere führte, war an vielen Stellen mit Hausrat vollgestopft, und in der Nähe der Naumachia Augusti waren ganze Berge davon aufgestapelt. Die engeren Straßen, in denen sich der Rauch dichter angehäuft hatte, waren gar nicht zu passieren. Die Bewohner verließen sie zu tausenden. Vinicius erblickte ergreifende Szenen auf der Straße. Öfters stießen zwei Ströme von Menschen, die von entgegengesetzten Seiten kamen, in einer engen Gasse aufeinander, brachten einander zum Stehen und bekämpften sich auf Tod und Leben. Die Leute schlugen aufeinander los und traten sich gegenseitig mit Füßen. Familien kamen in dem Gedränge auseinander; Mütter riefen verzweifelt nach ihren Kindern. Vinicius sträubten sich die Haare bei dem Gedanken daran, was für Auftritte sich erst in größerer Nähe des Feuers ereignen müßten. Inmitten des tosenden Lärms hielt es schwer, sich nach etwas zu erkundigen oder zugerufene Worte zu verstehen. Zuweilen wälzten sich von dem anderen Flußufer neue Wolken schwarzen und so dichten Rauches herüber, daß sie fast am Boden hintrieben und Häuser, Menschen und alle Gegenstände wie in nächtliches Dunkel hüllten. Aber der Wind zerstreute die Hitze, und dann konnte Vinicius weiter in der Richtung auf die Straße zu vordringen, in der Linus wohnte. Die Hitze des Julitages, die noch durch die dem brennenden Stadtteile entströmende Glut gesteigert wurde, war unerträglich. Der Rauch beizte die Augen und benahm der Brust den Atem. Selbst wer in der Hoffnung, das Feuer werde nicht über den Fluß kommen, in seinem Hause geblieben war, begann jetzt zu flüchten, und das Gedränge wurde von Stunde zu Stunde dichter. Die Vinicius begleitenden Prätorianer blieben nach und nach zurück. Im Gedränge schlug jemand mit dem Hammer nach dem Pferde des jungen Tribuns, das den blutenden Kopf zurückwarf, sich bäumte und dem Reiter den Gehorsam verweigerte. Auch erkannte man an der reichen Tunika den Augustianer, und sofort ließ sich ringsumher der Ruf vernehmen: »Nieder mit Nero und seinen Mordbrennern!« In diesem Augenblick war die Gefahr groß, denn zahllose Hände griffen nach Vinicius, aber sein scheu gewordenes Pferd sprengte mit ihm davon und riß einige der Umstehenden zu Boden, während zugleich eine neue Wolke schwarzen, erstickenden Qualms die Straße in Dunkelheit hüllte. Vinicius sah ein, daß er so nicht vorwärts kam; er sprang endlich vom Pferde und eilte zu Fuß weiter, sich nahe an den Mauern der Häuser haltend und mitunter wartend, bis sich die Flüchtlinge verlaufen hatten. Im Innern sagte er sich, daß alle Mühe vergeblich sei. Lygia war vielleicht gar nicht mehr in der Stadt und hatte sich vielleicht durch die Flucht gerettet; es wäre leichter, eine Nadel am Meeresufer zu finden, als in diesem chaotischen Gewühle. Dennoch wollte er selbst um den Preis seines Lebens bis zu Linus' Hause vordringen. Manchmal blieb er stehen und rieb sich die Augen. Er riß ein Stück von seiner Tunika ab, verstopfte sich damit Nase und Mund und eilte weiter. Je mehr er sich dem Flusse näherte, desto furchtbarer wurde die Glut. Vinicius, der wußte, daß der Brand am Circus Maximus ausgebrochen war, glaubte anfangs, diese Hitze komme aus jener Gegend sowie vom Forum Boarium und vom Velabrum her, die in der Nähe lagen und daher ebenfalls von den Flammen ergriffen sein mußten. Aber die Hitze war unerträglich. Ein Flüchtender, der letzte, den Vinicius bemerkte, ein Greis auf Krücken, rief ihm zu: »Gehe ja nicht auf die Brücke des Cestius! Die ganze Insel steht in Flammen.« Es war keine Selbsttäuschung mehr möglich. Als der junge Tribun in den Vicus Judaeaus einbog, in dem Linus' Haus lag, sah er Flammen aus den Rauchwolken emporschlagen: es brannte nicht nur die ganze Insel, sondern auch das Viertel jenseit des Tiber, wenigstens ein Teil der Straße, in dem Lygia wohnte.

Vinicius erinnerte sich jedoch, daß Linus' Haus von einem Garten umgeben war, jenseits dessen nach dem Tiber zu ein nicht allzu ausgedehnter, unbebauter Platz lag. Dieser Gedanke gewährte ihm einigen Trost. Das Feuer konnte vielleicht auf dem leeren Felde zum Stehen gekommen sein. In dieser Hoffnung eilte er weiter, obgleich jeder Luftzug ihm nicht nur Rauch, sondern auch tausende von Funken entgegentrieb, die den Brand nach dem anderen Ende der Straße tragen und ihm den Rückweg abschneiden konnten.

Endlich jedoch erblickte er durch den Rauch hindurch die Zypressen in Linus' Garten. Die Häuser auf der anderen Seite des unbebauten Feldes brannten schon lichterloh, aber Linus' kleine Insula stand noch unversehrt da. Vinicius blickte dankbar zum Himmel empor und stürzte darauf zu, obgleich ihn schon die Luft zu versengen drohte. Die Tür war verschlossen; er sprengte sie jedoch und trat in das Innere.

Im Garten war kein lebendes Wesen zu entdecken, und auch das Haus schien gleichfalls völlig leer zu sein.

»Vielleicht sind sie vor Rauch und Glut ohnmächtig geworden,« dachte Vinicius.

Er begann zu rufen: »Lygia, Lygia!«

Niemand antwortete. In der Stille hörte man das Prasseln des Feuers in der Ferne.

»Lygia!«

Mit einem Male drang jenes unheimliche Gebrüll an seine Ohren, das er schon einmal in diesem Garten gehört hatte. Auf der benachbarten Insel war offenbar das nicht weit vom Äskulaptempel gelegene Vivarium in Brand geraten, in dem die größeren Raubtiere, namentlich die Löwen, ihr Schreckensgebrüll erhoben. Vinicius überlief ein Schauder von Kopf zu Fuß. Schon zum zweitenmal, in einem Augenblicke, wo sein ganzes Wesen in dem Gedanken an Lygia aufging, ließen sich die furchtbaren Stimmen vernehmen, als seien sie eine Ankündigung eines Unglücks, eine wunderbare Prophezeiung einer unheilvollen Zukunft.

Es war dies jedoch nur ein kurzer, augenblicklicher Eindruck, das Heulen des Brandes, das noch schrecklicher war als das Brüllen der wilden Tiere, gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Lygia antwortete zwar nicht auf sein Rufen, aber sie konnte sich doch in diesem gefährdeten Gebäude befinden, vor Rauch ohnmächtig oder dem Ersticken nahe. Vinicius stürzte in das Innere des Hauses. Das kleine Atrium war leer, aber dunkel vor Rauch. Mit den Händen nach der Tür tastend, die zu den Schlafräumen führte, erblickte er das flackernde Flämmchen einer kleinen Lampe und erkannte beim Nähertreten das Lararium, in dem statt der Laren ein Kreuz stand. Zu Füßen dieses Kreuzes brannte eine Kerze. Durch den Kopf des jungen Katechumenen schoß mit Blitzesschnelle der Gedanke, jenes Kreuz zeige ihm das Licht, bei dem er Lygia finden werde; er nahm daher die Kerze und begann die Schlafräume zu suchen. Als er das eine gefunden hatte, schob er den Vorhang beiseite, leuchtete mit der Kerze hinein und schaute sich um.

Es war jedoch niemand darin. Vinicius war überzeugt, Lygias Schlafzimmer vor sich zu haben, denn ihre Gewänder hingen mittels Haken an der Wand, und auf dem Bett lag das »Capitium,« das heißt ein enges Hemd, das die Frauen auf dem bloßen Leibe trugen. Vinicius ergriff es, preßte es an die Lippen, legte es über seinen Arm und setzte sein Suchen fort. Das Häuschen war klein, daher hatte er binnen kurzer Zeit alle Räume und selbst den Keller durchforscht. Aber nirgends war ein lebendes Wesen zu entdecken. Ganz augenscheinlich hatten Lygia, Linus und Ursus zugleich mit den übrigen Bewohnern des Stadtteils vor dem Brande flüchten müssen. »Ich muß sie unter der Menge in den Vororten suchen,« sagte sich Vinicius.

Er war nicht allzu erstaunt darüber, daß er ihnen nicht auf der Via Portuensis begegnet sei, denn sie konnten den Stadtteil auf der entgegengesetzten Seite in der Richtung nach dem Vatikanischen Hügel verlassen haben. Auf jeden Fall waren sie in Sicherheit, wenigstens vor dem Feuer. Vinicius fiel ein Stein vom Herzen. Zwar hatte er gesehen, mit wie fürchterlichen Gefahren auch die Flucht verknüpft war, aber der Gedanke an Ursus' übermenschliche Stärke gewährte ihm einige Beruhigung. »Jetzt muß auch ich von hier fliehen,« sprach er zu sich selbst, »und mich durch die Gärten des Domitius nach denen der Agrippina begeben. Dort werde ich sie finden. Der Rauch ist dort nicht so schrecklich, weil der Wind von den Sabinerhügeln herüberweht.«

Es war auch höchste Zeit für ihn, an seine eigene Rettung zu denken, denn die Feuerwogen wälzten sich immer näher von der Insel her heran, und die Rauchwolken hüllten die Straße fast in völlige Finsternis. Die Kerze, die er aus dem Hause mitgenommen hatte, erlosch im Luftzuge. Vinicius trat auf die Straße und eilte, so rasch er konnte, der Via Portuensis zu, nach derselben Richtung, aus der er gekommen war. Das Feuer schien ihm seinen glühenden Atem nachzusenden, indem es ihn bald in immer neue Rauchwolken einhüllte, bald mit Funken überschüttete, die ihm auf die Haare, auf den Nacken und auf die Kleider fielen. Seine Tunika begann an mehreren Stellen zu glimmen; er achtete aber nicht darauf und eilte weiter, da er fürchtete, der Qualm könne ihn ersticken. Im Munde hatte er einen brandigen, rauchigen Geschmack, Kehle und Lungen brannten ihm wie Feuer. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, so daß er zeitweilig alles rot sah und selbst der Rauch ihm gleichfalls rot erschien. Dann sagte er zu sich: »Das ist wie lebendiges Feuer! Besser, ich werfe mich zu Boden und ersticke.« Das Laufen fiel ihm immer schwerer und schwerer. Kopf, Hals und Schultern troffen ihm von Schweiß, der ihn wie siedendes Wasser brannte. Hätte er nicht Lygias Namen wiederholt, hätte er ihr Capitium nicht um seinen Mund geschlungen gehabt, so wäre er hingestürzt. Im nächsten Augenblick schon konnte er sich nicht mehr in den Straßen zurechtfinden, durch die er rannte. Allmählich verließ ihn das Bewußtsein, er dachte nur noch daran, daß er sich retten müsse, denn draußen vor dem Tore erwarte ihn Lygia, die ihm der Apostel Petrus verlobt hatte. Und mit einem Male ergriff ihn eine seltsame, halb schon fieberhafte, an die Phantasien eines Sterbenden erinnernde Ahnung, daß er sie bestimmt wiederfinden, sich mit ihr vermählen und dann sofort sterben müsse.

Schon lief er wie betrunken, von einer Seite der Straße zur anderen taumelnd. Inzwischen hatte sich der ungeheure Brand, der die Riesenstadt verzehrte, etwas geändert. Alles, was bisher nur geschwelt hatte, bildete jetzt ein Flammenmeer, denn der Wind hatte aufgehört, den Rauch vor sich herzutreiben; im Gegenteil, der sich in den Straßen angesammelte Qualm wurde durch den rasenden Wirbel der glühenden Luft in die Höhe gerissen. Jener Wirbelwind führte Millionen von Funken mit sich, so daß Vinicius wie in einer Feuerwolke einherlief. Dafür konnte er seinen Weg um so besser erkennen, und gerade in dem Augenblicke, wo er zu Boden zu stürzen drohte, sah er das Ende der Straße vor sich. Dieser Anblick gab ihm neue Kraft. Wenn er um die Ecke biege, würde er sich auf der Straße befinden, die zur Via Portuensis und zum Codetafelde führte. Die Funken würden ihn hier nicht länger verfolgen. Er erkannte, daß, wenn er die Via Portuensis erreichen könne, er gerettet sei, und müßte er auch auf ihr zusammenbrechen.

Am Ende der Straße erblickte er von neuem eine Wolke, die ihm den Ausgang versperrte. »Wenn das Rauch ist,« dachte er, »so komme ich nicht hindurch.« Er lief mit dem Reste seiner Kraft weiter. Unterwegs warf er die Tunika von sich, die, von den Funken in Brand gesteckt, wie das Hemd des Nessos ihn zu brennen begann; er stürmte nackt dahin, nur das Capitium Lygias um Mund und Kopf geschlungen. Als er näher gekommen war, erkannte er, daß das, was er für Rauch gehalten hatte, eine Staubwolke war, aus der ihm menschliche Stimmen und Zurufe entgegentönten.

»Der Pöbel plündert die Häuser,« sprach er zu sich.

Er lief in der Richtung, aus der er die Stimmen gehört hatte, weiter. Es waren doch wenigstens Menschen, die ihm zu Hilfe kommen konnten. In dieser Hoffnung begann er, noch ehe er sie erreicht hatte, mit der vollen Kraft seiner Stimme um Hilfe zu rufen. Dies war jedoch seine letzte Anstrengung; vor den Augen wurde es ihm noch röter, den Lungen ging der Atem aus, den Beinen die Kraft, und er stürzte zu Boden.

Er war jedoch gesehen oder vielmehr gehört worden; zwei Männer eilten ihm mit Wasserschläuchen zu Hilfe. Vinicius, der vor Erschöpfung zusammengebrochen war, aber das Bewußtsein nicht verloren hatte, griff mit beiden Händen nach dem Schlauch und leerte ihn bis zur Hälfte.

»Ich danke euch,« sagte er; »richtet mich auf; weitergehen kann ich dann allein.«

Der eine Arbeiter goß ihm Wasser über den Kopf, und beide richteten ihn in die Höhe, nahmen ihn dann aber auf, trugen ihn zu den übrigen, die in Scharen um ihn herumstanden, und fragten besorgt, ob er auch keinen ernstlichen Schaden davon getragen habe. Diese Teilnahme rührte Vinicius.

»Wer seid ihr, Leute?« fragte er.

»Wir reißen die Häuser nieder, damit das Feuer nicht auf die Via Portuensis übergreifen kann,« entgegnete einer der Arbeiter.

»Ihr kamt mir zu Hilfe, als ich zusammenbrach. Ich danke euch.«

»Wir dürfen niemand unsere Hilfe verweigern,« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.«

Vinicius, der seit dem frühen Morgen nur rohe Banden, Mörder und Räuber gesehen hatte, betrachtete jetzt die Gesichter der Umstehenden aufmerksamer.

»Christus möge euch lohnen.«

»Sein Name sei hochgelobt!« entgegnete ein ganzer Chor von Stimmen.

»Linus? %hellip;« fragte Vinicius.

Aber er konnte seine Frage nicht beenden und hörte auch die Antwort nicht mehr, denn er war vor Erregung und infolge der vorangehenden Anstrengungen in Ohnmacht gefallen. Er erwachte aus ihr erst wieder auf dem Codetafelde in einem Garten, wo einige Frauen und Männer um ihn herumstanden, und die ersten Worte, die er aussprach, waren: »Wo ist Linus?«

Nach einiger Zeit antwortete eine Stimme, die Vinicius bekannt vorkam: »Vor dem Nomentanischen Tore; er ist nach dem Ostrianum gegangen %hellip; vor zwei Tagen %hellip; Beruhige dich, Perserkönig.«

Vinicius erhob sich in sitzende Stellung und sah Chilon unerwartet vor sich.

Der Grieche aber fuhr fort: »Dein Haus, Herr, ist zweifellos verbrannt, denn die Carinae stehen in Flammen, aber du bist immer noch reich wie Midas. O was für ein Unglück! Die Christen, o Sohn des Serapis, haben es schon lange vorausgesagt, daß Rom durch Feuer untergehen werde %hellip; Aber Linus befindet sich mit der Tochter Jupiters im Ostrianum %hellip; O, welches Unglück für die Stadt!«

Vinicius wurde von neuem schwach.

»Hast du sie gesehen?« fragte er.

»Jawohl, Herr! %hellip; Christus und alle Götter seien gepriesen, daß ich deine Wohltaten mit einer guten Nachricht vergelten kann. Aber ich werde dir noch besser vergelten, Osiris, das schwöre ich dir bei dem brennenden Rom hier!«

Auf der Straße war es dunkel geworden; doch im Garten war es hell wie am Tage, da der Brand noch immer an Ausdehnung zunahm. Es hatte den Anschein, als ständen jetzt nicht mehr einzelne Stadtteile, sondern die Stadt in ihrer ganzen Länge und Breite in Flammen. Der Himmel war gerötet, so weit das Auge reichte, und auf die Welt senkte sich purpurne Nacht nieder.


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