Walther Siegfried
Fermont
Walther Siegfried

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I.
Brief der Madame Jane ***
an Georg Brandt, den Freund Fermont's.

Paris, 2. Januar.

Lieber Herr Brandt!

Sie haben recht: der todte Freund, dem wir in seinem abenteuerlichen Leben die Nächsten zu sein das Glück gehabt, war, solange wir ihn gekannt, in Allem und vor Allem so unverhüllt ehrlich »Mensch«, daß er, im großen Sinne genommen, dadurch eigentlich aufhörte, eine Privatperson zu sein. Zumal seine letzte Lebenszeit erscheint dem Tieferblickenden gar nicht mehr als Abschnitt eines Privatlebens, sondern als ein so ewig wahres und großgeartetes Stück Menschen- und Seelengeschichte, daß ich nach reiflicher Prüfung, auch der äußeren Fragen, die zu bedenken waren, nicht mehr zögere, Ihnen hier sämmtliche Briefe und Aufzeichnungen, die ich von ihm besitze, zu überlassen.

Diese Papiere sind mir theils in den letzten anderthalb Jahren seines Lebens noch von Fermont selber 2 zugesandt, theils gleich nach seinem jähen Tode übergeben worden. Sie finden unter ihnen nicht nur Notizbücher, in denen er an Ort und Stelle, auf Berghöhen und in nächtlichen Wanderungen seine Gedanken aufzuzeichnen pflegte, sondern auch eine Anzahl Hefte, worin zwischen den Tagebuchnotizen des Oefteren Stellen aus der Lektüre des Tages angeführt sind. Diese Gewohnheit unseres Freundes, das zu erwähnen, was er eben las, wird es Ihnen erleichtern, ein fortlaufendes Bild seines inneren Zustandes auch da zu geben, wo persönliche Aeußerungen eine Zeit lang ausbleiben.

Ja denn! Gestalten Sie aus all dem Material für unsere Freunde ein Abbild dieses Lebens, das in dem Augenblick zu Ende ging, als der Träger nach wilden inneren und äußeren Kämpfen erst beginnen wollte zu wirken, mit Allem, was er durch sie an Erfahrung gesammelt und was er in sich Großes erzogen hatte.

Die Menge, die es in die Hände bekommt, mag sich daraus nehmen, was sie darin zu finden eben fähig ist.

Denn die Zerrissenheit in Fermont's Wesen, die auch durch einen Theil der Bekenntnisse geht, bis die letzten bedeutungsvollsten Zeiten die Ruhe und die Harmonie brachten, könnte uns beinahe den Muth schwächen, seiner Gestalt auch in weiteren Kreisen ihre Geltung verschaffen zu wollen.

Doch: seine Wandlung vom Punkte der frevlen Blasphemie, die nur entschuldbar war durch seine augenblickliche Betäubung im unaufhörlichen Wirbel von ganz abenteuerlichen Schicksalsschlägen – zum reinsten und 3 geläutertsten neuen Glauben an eine höhere Zweckmäßigkeit in den Geschicken, die Wandlung eines Menschenhassers, einer komplizirten und unbändig leidenschaftlichen Natur zur freudigen Nächstenliebe, durch den Einfluß einiger ganz einfacher Menschen aus der Klasse der Niederen und Enterbten, – ist ein Prozeß so wundervoller Art, daß es denen, die ihn miterlebten, eine unabweisbare Pflicht scheinen muß, das Dokument davon nicht verloren gehen zu lassen.

Ich habe das Gefühl, als retteten wir so für die Zahl Erlesener, die sich daraus zu bereichern verstehen, wenigstens das Kapital des von Fermont Gelebten, das schwer erworbene, aus dessen Zinsen er seinen Mitmenschen in erkenntnißvoll zugetheilten Spenden Gutes zu thun, sein ganzes weiteres Leben hatte anwenden wollen.

Ergänzen Sie das, was ich Ihnen an Papieren übersende, mit der Erzählung der äußeren Begebenheiten, wie Sie diese ja von Fermont selber noch und seither von den Leuten, die seine letzte Umgebung bildeten, genau erfahren haben.

Ich sehe ein, daß diesem Menschendasein, dem erst sein Abschluß eine nachträgliche Achtung zuzuwenden vermochte, kein schöneres Denkmal gesetzt werden kann, als wenn wir Beide, bei denen einzig die Möglichkeit liegt, heute das offene Abbild der Welt in Fermont's Innerem an die Seite dessen stellen, was die Anderen bei seinen Lebzeiten von Außen haben sehen können und was die Meisten in ihrer Kurzsichtigkeit so wenig richtig erfaßten.

Jane *** 5

 


 


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