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(Der Wald und Timons Höle.)
Flavius tritt auf.
Flavius. O ihr Götter, ist jener verworfne, zerstörte Mann mein Herr? So abgezehrt, so eingefallen! O! ein Denkmal, ein Wunder von übelangewandten Gutthaten! Was für eine Veränderung hat eine verzweiflungsvolle Dürftigkeit in seiner Gemüthsart gemacht! Was für ein schändlicheres Ding ist auf der Erde als Freunde, die das edelste Gemüth zu einem solchen Verfall bringen können! Wie wohl schikt sich das Gebott, daß wir unsre Feinde lieben sollen Hier vergißt unser Autor, daß seine Personen keine Christen sind, noch seyn können; kein Wunder, da er durch das ganze Stük vergessen hat, daß sie Athenienser sind. , für unsre Zeiten! Wenn es mir auch frey stünde, wollt' ich sie doch eher lieben als Schmeichler. Er hat mich wahrgenommen; ich will ihm meinen redlichen Kummer zeigen, und bis zum lezten Athemzug sein treuer Diener bleiben. (Timon kommt aus seiner Höle hervor.) Mein theurester Herr.
Timon. Weg! Wer bist du?
Flavius. Habt ihr mich vergessen, mein Herr?
Timon. Wie magst du fragen? Ich habe alle Menschen vergessen; wenn du also gestehen mußt, das du ein Mensch bist, so hab ich dich vergessen.
Flavius. Ein ehrlicher Diener
Timon. So kenn ich dich nicht: ich habe niemals ehrliche Leute um mich gehabt; alle die ich hatte waren Spizbuben, um Galgenschwengeln beym Essen aufzuwarten.
Flavius. Die Götter sind Zeugen, daß niemals ein armer Verwalter einen aufrichtigern Schmerz für seinen zu Grunde gerichteten Herrn gefühlt hat, als meine Augen für euch.
(Er weint.)
Timon. Wie? weinst du? Komm näher, so will ich dich denn lieben, weil du ein Weib bist; du kanst aus Mitleiden weinen; das kan das kieselsteinerne Herz des männlichen Geschlechts nicht; wenn ihre Augen übergehen, so geschieht es vor Lachen oder böser Lust.
Flavius. Ich bitte euch, mein gütiger Herr, mich nicht abzuweisen, und mir zu verstatten, daß ich euern Kummer theile, und so lange dieser arme Reichthum daurt, (er zeigt ihm einen Beutel mit Geld,) euer Verwalter bleibe.
Timon. Hatt' ich einen Verwalter, der so getreu, so redlich, und nun so hülfreich ist? Diß könnte mein verwildertes Gemüth beynahe zahm machen. Laß mich dein Gesicht sehen; wahrlich, dieser Mann ist von einem Weibe gebohren. Verzeihet mir mein allgemeines, keine Ausnahme machendes, zu rasches Urtheil, ihr unsterblichen, weisen Götter! Ich gestehe nun einen ehrlichen Mann zu; verstehet mich wol, nur Einen; keinen mehr, ich bitte euch; und der einzige ist ein Verwalter! Wie gerne wollt' ich das ganze Menschen-Geschlecht gehasset haben, und du kaufst dich los; doch alle andre, dich ausgenommen, mögen meine Flüche treffen! Mich däucht, du seyest mehr ehrlich als klug; denn, wenn du mich betrogen und verrathen hättest, so hättest du desto bälder eine andre Bedienstung erhalten können; viele kommen auf diese Art zu ihren zweyten Herren, auf ihres ersten Herrn Naken. Aber sage mir aufrichtig, (denn ich muß immer zweifeln, ob ich gleich niemals weniger Ursach dazu hatte;) ist nicht diese deine Zärtlichkeit listig und eigennüzig, eine wuchernde Zärtlichkeit, wie reiche Leute Geschenke machen, um zwanzig mal so viel dafür zurük zu bekommen?
Flavius. Nein, mein würdiger Herr, (in dessen Brust Zweifel und Argwohn, ach leider! zu spät Plaz nehmen;) ihr hättet falsche Freundschafts-Versicherungen vermuthen sollen, da ihr Bankette gabt. Das was ich euch zeige, der Himmel weiß es, ist lauter Liebe, Pflicht und Ergebenheit gegen ein Herz, das seines gleichen nicht hat, Sorge für euern Unterhalt und euer Leben; und glaubt mir, es ist kein Vortheil weder gegenwärtig, noch den ich hoffen könnte, den ich nicht um diesen einzigen Wunsch vertauschen wollte, euch wieder in Glük und Wohlstand zu sehen.
Timon. Gut, ich glaube dir, es ist so; du einzelner ehrlicher Mann, hier, nimm. (Er giebt ihm einen Sak mit Gold.) Die Götter haben dir aus meinem Elend einen Schaz zugeschikt. Geh, lebe reich und glüklich; aber mit dieser Bedingung, daß du von den Menschen abgesondert wohnen sollst. Haß' alle, verwünsch' alle, thue keinem Gutes; laß einem Bettler eh sein verhungertes Fleisch von den Knochen fallen, eh du ihm ein Almosen gäbest. Gieb den Hunden, was du den Menschen versagst. Daß Gefängnisse sie verschlingen, daß sie in Schulden verderben, daß die Menschen einem verdorrten Walde gleich sehen, und verpestete Krankheiten ihr falsches Blut aufleken! Und hiemit lebe wohl, und gedeyhe!
Flavius. O laßt mich bey euch bleiben, mein gütiger Herr, und euch unterstüzen
Timon. Wenn du meinem Fluch ausweichen willst, so säume dich nicht, flieh; flieh, weil du noch gesegnet und frey bist. Sieh du keinen Menschen mehr, und laß dich nimmer vor mir sehen.
(Sie gehen auf verschiedne Seiten ab.)
Der Poet und der Makler treten auf.
Mahler. Nach der Erkundigung, die ich von dem Ort eingezogen habe, kan er nicht weit von hier sich aufhalten.
Poet. Was soll man von ihm denken? bestättigt sich das Gerücht, daß er soviel Gold haben soll?
Mahler. Er hat; Alcibiades erzählt es, Phrynia und Timandra haben Gold von ihm bekommen; er schenkt' auch etlichen armen verlaufenen Soldaten eine grosse Menge davon. Man sagt, er gab seinem Verwalter eine starke Summe.
Poet. So war folglich diese Bankrutt nur eine Prüfung seiner Freunde.
Mahler. Nichts anders; ihr werdet ihn bald in Athen unter den Ersten wieder glänzen sehen. Es wird also nicht übel gethan seyn, wenn wir ihm in dem Unglüks-Stand', worinn man ihn versunken glaubt, unsre Freundschaft bezeugen; es wird uns das Ansehen eines edelmüthigen Betragens geben; und es ist sehr wahrscheinlich, daß es uns zu unserm Zwek führen wird, wenn es wahr ist, daß er so reich seyn soll.
Poet. Was habt ihr bey euch, womit ihr ihm aufwarten wollet?
Mahler. Nichts für dißmal als meinen Besuch; allein ich will ihm ein vortrefliches Stük versprechen.
Poet. Ich will ihn auf die nemliche Art bedienen.
Mahler. So ist's am besten. Versprechen öffnet das Auge der Erwartung, und macht sich oft für etwas, das niemals gehalten wird, zum voraus bezahlt. Halten ist allemal der Narr in seinem eignen Spiel; sobald ein Versprechen gehalten ist, so nüzt es, ausser bey der einfältigern Art von Leuten, dem Geber nichts mehr. Versprechen ist hofmännisch, und ein Stük von der feinen Lebensart; Halten ist eine Art von leztem Willen oder Testament, welches bey dem, der es macht, eine grosse Krankheit am Verstand anzeigt.
Timon kommt, ohne daß ihn die vorigen Personen gewahr werden, aus der Höle hervor.
Timon (vor sich.) Vortreflicher Künstler! du kanst keinen so schlechten Kerl mahlen als du selbst bist.
Poet. Ich besann' mich, was ich sagen will, das ich für ihn in der Arbeit habe Es muß eine Vorstellung von ihm selbst seyn; eine Satyre über die Weichlichkeit, die eine Folge des Wohlstands zu seyn pflegt; mit einer Entdekung der unendlichen Schmeicheleyen, die das Gefolge von Jugend und Reichthum sind.
Timon. Must du dich dann in deinem eignen Werk als einen Nichtswürdigen abschildern? Willt du deine eigne Laster auf andrer Leute Rüken peitschen? Thue es, ich habe Gold für dich.
Poet. Wir wollen ihn aufsuchen.
Wer einen Vortheil einzuholen
Zu spät kommt, hat sich selbst bestohlen
Mahler. Ihr habt recht.
Poet.
Such', was dir fehlt, bey Tag, der unbezahlt dir scheint;
Die Nacht im schwarzen Flor ist niemands Freund.
Kommt!
Timon. Ich will euch beym Umkehren entgegen kommen Was für ein Gott ist Gold, daß er in Tempeln verehrt wird, die verächtlicher sind als die Oerter, wo Schweine ihre Speise suchen. Du bist es der das Schiff ausrehdet, und die beschäumten Wellen pflügt; du verschaffst dem Sclaven Bewundrung und Ehrfurcht; niemals möge dein Dienst abnehmen, und verderbliche Plagen sollen deine Anbeter umkränzen! Izt ist es Zeit, ihnen entgegen zu kommen.
Poet. Heil dir, würdiger Timon.
Mahler. Einst unser edler Gebieter.
Timon. Wie, erleb' ich es, noch zween ehrliche Männer zu sehen?
Poet. Mein Herr, da wir so viel Gutes von euch genossen haben, und vernehmen mußten, daß ihr euch entfernt, und daß alle eure Freunde abgefallen, für deren undankbare Gemüther (oh, verabscheuungswürdige Seelen!) alle Ruthen des Himmels nicht hinreichend sind Was? von euch? dessen Stern-gleiche Großmuth Leben und Einflüsse ihrem ganzen Wesen gab? Ich komme ganz ausser mich, und kan keine Worte groß genug finden, die ungeheure Grösse dieser Undankbarkeit darein zu kleiden.
Timon. Laßt sie nakend gehen, so sehen die Leute sie desto besser; ihr, die ihr ehrliche Männer seyd, macht durch das, was ihr seyd, das was sie sind am besten sichtbar.
Mahler. Er und ich haben in dem grossen Regen eurer Freygebigkeit gereißt, und ihn auf eine angenehme Art empfunden.
Timon. Ja, ihr seyd ehrliche Männer.
Mahler. Wir sind hieher gekommen, euch unsre Dienste anzubieten.
Timon. Sehr ehrliche Männer! Wie kan ich's euch wett machen? Könnt ihr Wurzeln essen, und kaltes Wasser trinken? Nein.
Beyde. Wir wollen thun, was wir nur immer können, um euch Dienste zu leisten.
Timon. Ihr seyd ehrliche Männer; ihr habt gehört, daß ich Gold habe; ich bin versichert, ihr habt's gehört; sagt die Wahrheit, ihr seyd ehrliche Männer.
Mahler. So sagt man, mein edler Lord; allein deßwegen kam ich und mein Freund nicht hieher.
Timon. Guter ehrlicher Mann; du mahlst das beste Portrait unter allen Mahlern in Athen; du bist, in der That, der beste; du mahlst vortreflich nach dem Leben.
Mahler. So, so, Gnädiger Herr.
Timon. Eben so, mein Herr, wie ich sagte. (Zum Poet.) Und was deine Gedichte betrift, deine Verse fliessen so voll und lieblich, daß du in deiner Kunst eben so natürlich bist. Allein eben darum, meine ehrlich-gesinnten Freunde, muß ich euch sagen, ihr habt einen kleinen Fehler; der aber in der That euch nicht sehr entstellt; auch wünscht' ich nicht, daß ihr euch grosse Mühe gäbet, ihn zu verbessern.
Beyde. Wir bitten Euer Gnaden ihn uns bekannt zu machen.
Timon. Ihr möchtet es übel aufnehmen.
Beyde. Mit höchstem Dank, Gnädiger Herr.
Timon. Ist das euer Ernst?
Beyde. Zweifelt nicht daran, Milord.
Timon. Es ist niemals einer von euch allein, ohne sich einem Spizbuben anzuvertrauen, der euch gewaltig hinter's Licht führt.
Beyde. Thun wir das, Gnädiger Herr?
Timon. Das thut ihr, und ihr hört seine Schmeicheleyen; seht wie er sich verstellt, kennt seine groben Schelmstüke, und doch liebt ihr ihn, gebt ihm zu essen, und tragt ihn in euerm Busen; aber seyd versichert, er ist ein ausgemachter Spizbube.
Mahler. Ich kenne keinen solchen, Gnädiger Herr.
Poet. Noch ich.
Timon. Schaut ihr, ihr seyd mir lieb, ich will euch Gold geben, wenn ihr mir diese Schelmen aus eurer Gesellschaft ausstossen wollt; hängt sie oder erstecht sie, gebt ihnen Gift ein, oder schaft sie sonst auf eine Art aus der Welt, und kommt wieder zu mir, so will ich euch Gold genug geben.
Beyde. Nennet sie, Gnädiger Herr, wir möchten sie kennen.
Timon. Geht ihr auf diese Seite, und ihr auf diese Aber es sollte jeder allein seyn wenn jeder von euch ganz allein und einzeln ist, so hält ihm doch ein Erz-Spizbube Gesellschaft. (Zum Mahler.) Wenn da wo du bist, nicht zween Spizbuben seyn sollen, so komm ihm nie zu nah (Zum Poet.) Wenn du nirgends seyn willt, als wo nur ein Spizbube ist, so verlaß ihn. Fort, pakt euch, hier ist Gold; (Er giebt ihnen Schläge.) ihr kamet um Gold zu kriegen, ihr Sclaven; ihr habt Arbeit für mich; hier ist eure Bezahlung Fort Ihr seyd ein Alchymist, macht Gold aus diesem; fort, ihr Lumpenhunde!
(Er prügelt sie, und jagt sie fort.)
Flavius und zween Senatoren treten auf.
Flavius. Es ist umsonst, wenn ihr den Timon sprechen wollt; denn er ist so gänzlich auf sich allein eingeschränkt, daß er nichts was einem Menschen gleich sieht, ausser sich selbst, um sich leiden kan.
1. Senator. Führt uns zu seiner Höle; es ist unser Auftrag, und wir haben uns den Atheniensern dazu verpflichtet, mit Timon zu reden.
2. Senator. Die Menschen sind nicht zu allen Zeiten gleich; Umstände und Kummer haben ihm diesen Humor gegeben; die Zeit, die ihm nun die Glükseligkeiten seiner ehmaligen Tage wieder anbietet, kan ihn wieder zu dem vorigen Mann machen; führt uns zu ihm, es mag gehen wie es will.
Flavius. Hier ist seine Höle! Fried' und Zufriedenheit wohne hier, Lord Timon! Timon, schaue heraus, und rede mit Freunden; die Athenienser grüssen dich durch zwey Mitglieder ihres höchst ehrwürdigen Senats; rede mit ihnen, edler Timon.
Timon kommt aus seiner Höle heraus.
Timon. Du Sonne, anstatt zu erquiken, brenne! Redet, und dann geht an den Galgen! wenn ihr für jedes wahre Wort eine Blatter kriegtet, und für jedes falsche bis auf die Wurzel eurer Zunge gebrannt würdet, so würd' euer Vortrag nicht lange dauern.
1. Senator. Würdiger Timon
Timon. Ja, solcher Leute würdig wie ihr seyd, und ihr des Timons.
2. Senator. Die Senatoren von Athen grüssen dich, Timon.
Timon. Ich dank' ihnen, und wollt' ihnen die Pest dafür zurük schiken, wenn ich sie kriegen könnte.
1. Senator. O vergiß dessen, an was wir selbst ohne Schaam und Kummer nicht denken können; die Senatoren ruffen dich mit einhelliger Freundschaft nach Athen zurük, und sind darauf bedacht, dich mit den ansehnlichsten Ehrenstellen zu überhäuffen, die für dich erledigt ligen.
2. Senator. Sie bekennen, daß ihre Unachtsamkeit auf deine Verdienste zu allgemein, zu groß gewesen; die ganze Republik, (die sonst selten Palinodien zu singen pflegt,) hat durch das Gefühl, wie sehr ihr Timon mangelt, eine lebhafte Empfindung von dem Unrecht bekommen, das sie sich selbst angethan, indem sie dem Timon ihren Beystand entzogen; und sendet uns nun, dir darüber ihre reuvolle Bekümmerniß zu bezeugen, und dir zugleich einen Ersaz anzubieten, den ihr Vergehen nicht um eine Drachme überwiegen soll; ja so überhäufte Summen von Liebe, Ansehn und Reichthum, daß sie jede Spur der vergangnen Kränkungen in deinem Andenken auslöschen, und die Figuren ihrer Liebe so tief in dich eindrüken sollen, daß sie auf ewig unauslöschlich dauern werden.
Timon. Ihr bezaubert mich, überrascht mich durch eure Beredsamkeit beynahe zu Thränen; leiht mir eines Narren Herz, und die Augen eines Weibs, so will ich über diese tröstlichen Sachen weinen, würdige Senatoren.
1. Senator. Laß dir also gefallen mit uns zurük zu kehren, und die Ober-Befehlhabers-Stelle über unser Athen, dein und unser Athen, anzunehmen: Du sollt mit allgemeinen Dankbezeugungen eingeholt, und mit dem völligen Ansehn der höchsten Gewalt bekleidet werden; so werden wir bald die wilden Anfälle des Alcibiades zurük getrieben haben, der izt, wie ein ergrimmter Bär, den Frieden seines Vaterlands aufwühlt,
2. Senator. und sein dräuendes Schwerdt gegen die Mauern von Athen gezükt hält.
1. Senator. Daher, Timon
Timon. Gut, mein Herr, ich will; daher will ich, mein Herr; so, nemlich Wenn Alcibiades meine Landsleute umbringt, so laßt den Alcibiades vom Timon dieses wissen, daß Timon sich nichts darum bekümmert. Wenn er das schöne Athen zu einem Steinhauffen macht, wenn er eure wakern alten Männer bey den Bärten zieht, und eure keuschen Jungfrauen der Beflekung des schaamlosen, viehischen, wüthenden Kriegs Preiß giebt, so laßt ihn wissen und sagt ihm, Timon hab' es gesagt Aus Mitleiden mit euern Alten und mit eurer Jugend kan ich nicht anders als ihm sagen lassen, daß ich nichts darnach frage. Und laßt es ihn im schlimmsten Sinn nehmen als er will, denn ihre Messer fragen auch nichts darnach, daß ihr Gurgeln zum Antworten habt. Was mich selbst betrift, so ist in seinem ganzen zaumlosen Lager kein so kleines Taschen-Messer, das ich nicht höher schäze und liebe, als die ehrwürdigste Gurgel in Athen. Und hiemit überlaß ich euch der Obhut der Götter, wie Diebe ihren Hütern.
Flavius. Bleibet nicht länger, es ist alles umsonst.
Timon. Wie, ich war eben im Begriff, meine Grabschrift zu schreiben; morgen wird man sie sehen können. Meine lange Krankheit an Gesundheit und Leben fängt an sich zu bessern, und Nichts bringt mir Alles. Geht, lebt immerhin; Alcibiades sey eure Geissel, ihr die seinige; und so daurt einander aus, so lang es möglich ist!
1. Senator. Alles, was wir reden könnten ist umsonst.
Timon. Und doch lieb' ich mein Vaterland noch; und bin keiner, der an dem allgemeinen Schiffbruch seine Freude hat, wie die Sage von mir geht.
1. Senator. Das ist wol gesprochen.
Timon. Empfehlt mich meinen werthesten Mitbürgern.
1. Senator. Das sind Worte, die euern Lippen wol anstehen!
2. Senator. Und in unsre Ohren, wie triumphierende Sieger durch ihre zujauchzenden Thore, eingehen.
Timon. Empfehlt mich ihnen, und sagt ihnen, um ihnen in ihren bekümmerten Umständen, ihrer Furcht vor feindlichen Streichen, ihren Drangsalen, ihrem grossen Verlust, ihren Liebes-Aengsten, und andern dergleichen zufälligen Wehen, die das zerbrechliche Gefäß der menschlichen Natur in der ungewissen Reise des Lebens auszustehen hat, einige Linderung zu verschaffen, woll' ich ihnen noch eine Probe von meiner gütigen Gemüthsart geben, und ihnen ein Mittel sagen, wodurch sie dem Grimm des Alcibiades zuvorkommen können.
2. Senator (leise.) Das geht ganz gut; er wird mit uns zurük kommen.
Timon. Ich habe einen Baum, der hier in meinem Einfang wächßt, und den ich zu meinem eignen Gebrauch nächstens fällen muß. Sagt meinen Freunden, den Atheniensern, allen ohne Ausnahm, von dem Höchsten bis zum Niedrigsten; daß ein jeder der Lust habe, allem seinem Leid ein Ende zu machen, unverzüglich hieher kommen, und eh noch mein Baum die Axt gefühlt hat, sich daran aufhängen soll Ich bitte euch, richtet es wohl aus.
Flavius. Beunruhigt ihn nicht länger, ihr werdet ihn nie anders finden.
Timon. Kommt nicht wieder zu mir, sondern sagt den Atheniensern: Timon habe seine immerwährende Wohnung an dem äussersten Strande der gesalznen Fluth genommen, wo die ungestümen Wellen sie alle Tage einmal mit ihrem schwellenden Schaum bedeken werden. Dahin kommt, und laßt meinen Grabstein euer Orakel seyn. Schliesset euch nun, meine Lippen, und macht euern Verwünschungen ein Ende; Pest und Verderben vollende, was ihr vergessen habt; Gräber allein seyen der Menschen Arbeit, und Tod ihr Gewinn! Sonne, verbirg deine Stralen! Timon hat seinen Lauf vollbracht.
(Timon geht ab.)
1. Senator. Sein Unwille und Gram ist auf eine unzertrennliche Art mit seinem Wesen zusammengewachsen.
2. Senator. Unsre Hoffnung auf ihn ist todt; laßt uns zurük kehren, und sehen, was für andre Mittel uns in dieser äussersten Gefahr noch übrig sind.
1. Senator. Wir haben keinen Augenblik zu versäumen.
(Die Mauern von Athen.)
Zween andre Senatoren mit einem Boten treten auf.
1. Senator (zum Bot.) Du hast grosse Mühe bey deiner Auskundschaftung gehabt; sind denn seine Linien so voll wie man sagt?
Bote. Ich habe die geringste Zahl angegeben; zudem, so macht er Anstalten, unmittelbar vor die Stadt anzurüken.
2. Senator. Wir sind in grosser Gefahr, wenn sie den Timon nicht mit sich bringen.
Bote. Ich begegnete unterwegs einem Courier, einem alten guten Freund von mir; wir sind zwar von entgegenstehenden Partheyen; allein unsre alte Liebe hatte doch Stärke genug, zu machen, daß wir wie gute Freunde mit einander sprachen. Dieser Mann war in Eile von Alcibiades nach Timons Höle abgeschikt mit Briefen, worinn er ihn einlud, seine Parthey wider eure Stadt zu verstärken, um so mehr als das Unrecht, so dem Timon angethan worden, eine von den Ursachen sey, die ihn in Waffen gesezt habe.
Andre Senatoren zu den Vorigen.
1. Senator. Hier kommen unsre Brüder.
3. Senator. Redet nicht von Timon, erwartet nichts von ihm; man hört schon die Trummeln der Feinde, und das fürchterliche Stampfen ihrer Tritte füllt die Luft mit Staub. Hinein, und macht euch gefaßt; ich besorge, unsre Gegenwehr werde wenig helfen.
(Sie gehen ab.)
(Ein Soldat geht in den Wald hinein, und sucht den Timon.)
Soldat. Der Beschreibung nach muß dieses der Ort seyn. Wer ist hier? Antworte! he! Keine Antwort? was ist diß? ha! Timon todt ausgestrekt? Irgend ein wildes Thier muß dieses Grabmal aufgewühlt haben, denn hier lebt kein Mensch. Er ist todt, so ist's, und diß ist sein Grab Was ist auf diesem Stein? Ich kan nicht lesen; aber ich will die Schrift in Wachs abdruken; unser General versteht alles, er ist alt an Wissenschaft, obgleich jung an Tagen; anstatt ihm seinen Freund zu bringen, bring ich ihm seine Grabschrift.
(Er geht ab.)
(Vor den Mauern von Athen.)
Trompeten. Alcibiades zieht mit seinem Heer auf.
Alcibiades. Verkündigt dieser feigen und von Wollust aufgelösten Stadt unsre fürchterliche Ankunft.
(Man hört Schamade schlagen.
Die Senatoren lassen sich auf den Mauern sehen.)
Bis izt habt ihr ohne Scheu euerm ausschweiffenden Uebermuth den Zügel gelassen, und eure Willkühr zum Zwek der Geseze gemacht. Lange genug sind ich und andre, die im Schatten eurer Gewalt schliefen, mit verkehrten Waffen, wie Nachtwandrer, herumgeirret, und haben unsre Bedrükung umsonst in Klagen ausgehaucht. Nun ist die Zeit gekommen, da das überladne Mark unter der übermässigen Last ausruft: Es ist genug Das Mark wurde für die Quelle der Stärke gehalten. Das Bild ist von einem Cameel hergenommen, welches auf den Knien ligt, um seine Last aufzunehmen; und gleich aufsteht, wenn man ihm mehr auflegen will, als es tragen kan.; nun soll die keuchende Beleidigung sich in eure grosse Lehnstühle werfen, und ausschnauben; und der aufgeschwollne Uebermuth vor Angst allen seinen Wind fahren lassen, und mit emporsträubenden Haaren davon lauffen.
1. Senator. Edler Jüngling, da deine ersten Beschwerden nur noch Gedanken waren, eh du Macht hattest oder wir Ursache hatten dich zu fürchten; sandten wir zu dir, deinen Zorn zu besänftigen, und versprachen, unsre Undankbarkeit mit überschwänglicher Liebe auszulöschen.
2. Senator. Wir hielten auch durch eine demüthige Gesandtschaft, und mit versprochner Besserung, bey dem verwandelten Timon an, unsrer Stadt seine Liebe wieder zu schenken; wir sind nicht alle undankbar, und verdienen nicht alle unter dem allgemeinen Streich des Krieges zu sinken.
1. Senator. Diese unsre Mauern sind nicht von den Händen derjenigen aufgeführt worden, von denen ihr Beleidigungen empfangen habt; und es wäre nicht billig, daß diese schönen Thürme, diese Tropheen und diese Schulen, um der Missethat etlicher Privatleute willen fallen sollten.
2. Senator. Diejenigen sind nicht einmal mehr am Leben, deren Bestraffung der erste Beweggrund euers Auszugs war. Schaam und Verdruß über die Folgen ihrer Unbesonnenheit hat ihnen das Herz gebrochen. Ziehe nur, oedler Lord, mit fliegenden Fahnen in unsre Stadt ein; laß, wenn deine Rache nach einer Nahrung hungert, wovor der Natur grauet, laß durch das fatale Loos den zehnten Mann sterben, und schone der übrigen.
1. Senator. Nicht alle haben gesündiget; es ist nicht billig, an den Unschuldigen die Rache zu nehmen, die nur die Schuldigen verdient haben. Verbrechen werden nicht mit den Gütern geerbt. Führ' also, theurer Mitbürger, deine Schaaren herein, aber laß deinen Zorn voraussen; schone deiner Atheniensischen Wiege, und dieser Geschlechter, die in dem Ungestüm deines Grimms mit denen, so gesündigt haben, fallen müßten. Komm, gleich einem Schäfer, in die Hürden, um die angestekten auszusondern, nicht alle zusammen zu erwürgen.
2. Senator. Wozu willst du dein Schwerdt wieder uns ziehen, da du uns durch dein Lächeln leichter zu allem was du willst, zwingen kanst?
1. Senator. Seze nur deinen Fuß gegen unsre verrigelten Thore, und sie sollen sich öffnen, wenn du dein gütiges Herz vorausschiken willst, uns zu versichern, daß du als Freund einziehen werdest.
2. Senator. Zieh deinen Handschuh, oder gieb uns ein andres Pfand deines Ehrenworts, daß du deine Macht nur zu deiner eignen Wiederherstellung, nicht zu unsrer Zerstörung, gebrauchen wollest; alle deine Kriegsschaaren sollen so lange in unsern Mauern ligen bleiben, biß deinen Fordrungen völlig genug geschehen seyn wird.
Alcibiades. So ist dann hier mein Handschuh. Steigt herab, und öffnet eure wehrlosen Thore; diese Feinde des Timon und die meinige, deren Verurtheilung euch selbst übergeben seyn soll, diese allein sollen fallen; und euch zu zeigen, daß ihr von meinen edlern Gesinnungen nichts zu besorgen habt, so soll keiner von meinen Leuten sein angewiesenes Quartier überschreiten, oder den Lauf der bürgerlichen Ordnung in den Bezirken eurer Stadt stören, ohne von den öffentlichen Gesezen zur schärfsten Verantwortung gezogen zu werden.
Beyde. Diß ist sehr edel gesprochen.
Alcibiades. Kommet herab, und haltet euer Wort.
Ein Soldat tritt auf.
Soldat. Mein edler Obrister, Timon ist todt; an dem äussersten Ufer des Meers ist sein Grab, und auf dem Grabstein diese Aufschrift, die ich in Wachs mit mir genommen habe, damit dieser Abdruk der Dolmetscher meiner armen Unwissenheit sey.
Alcibiades ließt die Grabschrift:
Hier ligt ein unglüklicher Leichnam,
von einer unglüklichen Seele verlassen;
sucht meinen Namen nicht!
Verderben über euch Bösewichter alle,
die ich hinter mir lasse!
Hier ligt Timon, der alle Menschen hassete;
geh' vorbey, und fluch' ihm bis du genug hast,
nur verweile dich nicht hier.
Dieses drükt die lezten Bewegungen deiner Seele wohl aus; ob du gleich unser menschliches Mitleid verabscheuet, und die Thränen verschmähest, die der kargen Natur entfallen; so lehrte dich doch ein edler Stolz, den ungeheuern Neptun für ewig auf dein niedriges Grab weinen zu lassen – – Wohlan – – die Fehler sollen vergeben seyn – – Der edle Timon ist todt; und sein Gedächtniß soll eine unsrer Sorgen seyn – – Führt mich in eure Stadt, und ich will mein Schwerdt mit Oelzweigen umwinden! – – Rührt die Trummeln, und rükt ein – –
(Sie ziehen ab.)