Marquise de Sévigné
Ausgewählte Briefe
Marquise de Sévigné

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Von Mme. de La Fayette an Mme. de Sévigné

Paris, 8. Oktober 1689

Mein Brief wird sehr lakonisch sein, denn mein Kopf ist infolge von Fieber angegriffen. Ich hatte M. du Bois aufgetragen, es Ihnen zu schreiben.

Ihre Angelegenheit ist ganz und gar verloren. Man hat von allen Seiten alles mögliche getan, und ich zweifle, daß M. de Chaulnes in eigner Person es fertig gebracht hätte. Der König war gar nicht gegen M. de Sévigné 210 eingenommen, aber er hatte sein Wort schon gegeben. Wir müssen unsre Hoffnung auf die nächste Ständeversammlung setzen. Aber davon ist jetzt nicht die Rede. Es handelt sich jetzt darum, meine Schöne, daß Sie den Winter um keinen Preis in der Bretagne verbringen dürfen. Sie sind alt, Les Rochers ist von Wäldern umgeben, die Katarrhe und die Entzündungen werden Sie verfolgen; Sie werden sich langweilen, Sie werden traurig werden, und Ihr Geist wird abnehmen. Das alles ist gewiß, und die Geschäfte sind nichts im Vergleich zu allen Gründen, die ich vorbringe. Sagen Sie mir nichts von Geld oder Schulden, über all das schließe ich Ihnen den Mund. M. de Sévigné gibt Ihnen seine Equipage bis Malicorne, dort finden Sie Pferde und Wagen von M. de Chaulnes, und flugs sind Sie in Paris. Dort steigen Sie im Hotel de Chaulnes ab. Ihr Haus ist nicht in Ordnung, Sie haben keine Pferde, so bleiben Sie einstweilen da und richten sich mit Muße wieder nach und nach ein. Kommen wir zur Hauptsache. Sie bezahlen eine Pension an M. de Sévigné; Sie haben hier einen Haushalt, tun Sie alles zusammen und so haben Sie Geld, denn Ihre Hausmiete läuft immer weiter. Sie werden sagen: »Ich habe Schulden, und ich will mit der Zeit bezahlen.« Rechnen Sie darauf, hier tausend Taler zu finden, mit denen Sie die dringenden Schulden bezahlen. Man leiht sie Ihnen ohne Zinsen, und Sie können sie nach und nach je nach Belieben zurückbezahlen. Fragen Sie nicht, woher sie kommen, noch von wem, man wird es Ihnen nicht sagen; aber es sind Leute, die sicher sind, ihr Geld nicht zu verlieren. Keine Überlegungen, keine Worte und keine vergeblichen Briefe! Sie müssen kommen, alles was Sie mir schreiben, werde ich nicht einmal lesen. Mit einem Wort, meine Schöne, Sie müssen entweder kommen oder auf meine Freundschaft, auf die von Mme. de Chaulnes und Mme. de Lavardin verzichten. Wir wollen nichts von einer Freundin wissen, die durch eigene Schuld alt werden und sterben will. Es ist das eine ganz erbärmliche, schlechte Aufführung. Sie müssen kommen, sobald es schön istAus dem Brief ersieht man zur Genüge, welche Opfer Frau de Sévigné ihrer Tochter gebracht hatte. In ihrem Alter hatte sie selbst mit pekuniären Sorgen zu kämpfen, und dem Grafen Grignan ging es darum nicht besser. Frau de Sévigné nahm das freundschaftlich dargebotene Geld nicht an und kam nicht nach Paris.. 211

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 12. Oktober 1689

Ich habe Dir geschrieben, daß ich gar nicht mehr über M. und Mme. de Chaulnes böse bin. Es steht fest, und meine Freunde haben es bestätigt, daß er unmöglich von den Bretagner Angelegenheiten sprechen konnte. Mein Sohn ist in Rennes und macht sich dem Marschall angenehm, den er gut kennt. Er hat ihn hundertmal bei der Marquise d'Uxelles gesehn. Er spielt jeden Abend Triktrak mit ihm. Er erwartet nur M. de la Trémouille, um alle seine Würden niederzulegen und dann wieder mit seiner Frau hierher zu kommen. Das ist das Gescheiteste, was er tun kann. Ich bin noch allein und nicht böse darüber.

Ich muß Dir erzählen, daß mir Mme. de La Fayette im Gerichtsstil, zuerst in ihrem Namen, und dann im Namen von Mme. de Chaulnes und Mme. de Lavardin geschrieben und mir mit Kündigung der Freundschaft gedroht hat, wenn ich mich weigere, nach Paris zurückzukehren. Ich würde hier krank werden und sterben, mein Geist würde abnehmen, kurz, ich dürfe nicht überlegen, ich müsse kommen, sie würde meine schlechten Gründe nicht einmal lesen. Das war von einer Lebhaftigkeit und so voller Freundschaft, daß es mir Freude machte, und dann schrieb sie weiter, ich könnte mit meines Sohnes Equipage nach Malicorne fahren, Mme. de Chaulnes würde dorthin den Wagen ihres Mannes schicken. Ich käme nach Paris, ich würde bei der Herzogin wohnen, und erst im Frühling meine Pferde kaufen. Nun aber das Schönste. Ich fände tausend Taler vor, von jemand, der sie nicht brauche und sie mir ohne Zinsen leihen wolle und mich nicht mit dem Wiederbezahlen drängen werde. Und ich solle im Augenblick abreisen. Der Brief ist lang und nach einem Fieberanfall geschrieben. Ich werde recht dankbar aber scherzend antworten und sie versichern, daß ich mich nur mäßig hier langweile, da ich meinen Sohn, seine Frau und Bücher hier habe und zudem hoffe, im 212 Sommer wieder nach Paris zurückzukehren, ohne außer meinem Haus zu wohnen, ohne eine fremde Equipage nötig zu haben, weil ich dann selbst eine besitze, und ohne einem großmütigen Freund tausend Taler schuldig zu sein, dessen schöne Seele und edles Verfahren mich mehr drücken würde als alle Gerichtsvollzieher der Welt. Übrigens verspreche ich ihr auf Ehrenwort, daß ich nicht krank, nicht alt und nicht kindisch werden will, und daß sie mich trotz ihrer Drohung noch lieben werde. Ich werde Dir einmal den Brief zeigen, er wird Dir Spaß machen. Großer Gott! Was ein schöner Vorschlag, nicht mehr mein eigen Heim zu haben, abhängig zu sein, keine Equipage zu haben, dagegen tausend Taler Schulden! Wirklich, mein liebes Kind, ich bin unvergleichlich lieber hier. Der Winter auf dem Land erschreckt nur von der Ferne, in der Nähe ist es nicht mehr dasselbe. Sage mir, ob Du mir nicht beistimmst. Wenn Du in Paris wärst, ja, das wäre ein zwingender Grund. Aber Du bist nicht dort. Ich habe die Zeit gewählt und meine Maßregeln getroffen, und wenn Du wunderbarerweise jetzt wie ein Vogel hingeflogen kämst, so weiß ich nicht, ob meine Vernunft nicht die Deine bäte, mich hier den Winter gewisse kleine Vorkehrungen vollenden zu lassen, die die Ruhe meines Lebens ausmachen. Ich konnte nicht umhin, Dir die Kleinigkeit zu erzählen und hoffe nur, daß sie nicht zur Unzeit kommt, und daß der Chevalier so wohl ist, als ich es wünsche.

Dein Traum hat mich erstaunt. Du hältst ihn für trüglich, weil Du nicht einen Baum vor der Türe gesehen hast, und darüber lachst Du. Es ist aber in Wirklichkeit so. Mein Sohn ließ sie alle, ich sage alle, vor zwei Jahren umhauen. Er findet seinen Stolz darin, schöne Aussicht zu haben, ganz wie Du es geträumt hast, und das geht so weit, daß er in den Blumenbeeten im Parterre ein gemauertes Geländer machen und das Ballspiel zu einem Grasplatz umwandeln lassen will; nur der Weg soll bleiben, und auch da soll noch ein Graben und eine kleine Mauer angebracht werden. Freilich, wenn er es macht, wird es hübsch sein und das Parterre verschönen, das ganz nach Le Nôtres Zeichnung gemacht und voller Orangenbäume ist. Du hättest auch das in Deinem Traum sehen müssen. Ich hebe 213 Deine Briefe und Deinen Traum für meinen Sohn und seine Frau auf, die sich freuen werden, Deine freundlichen Grüße zu lesen.

Dem lieben Grafen erwidere ich seine Grüße doppelt; ich grüße und verehre den weisen La Garde, ich gebe Paulinen einen Kuß und meiner liebsten Guten mein Herz. Gebe Gott, daß der Chevalier wieder hergestellt wird und daß Euch der Brief alle froh und gesund antrifft! Sage mir doch, welches Zimmer der Chevalier bewohnt, daß ich bei Euch sein kann. Der Abbé Bigorre schreibt mir, daß M. de NielDer erste Kammerdiener des Königs. neulich in des Königs Zimmer gefallen ist und eine Quetschung erlitten hat. Felix ließ ihm zur Ader und durchschnitt die Arterie. Man mußte augenblicklich die große Operation machen. M. de Grignan, was sagen Sie dazu? Ich weiß nicht, wen ich da am meisten bedauere, den, der es erdulden mußte, oder den ersten Chirurgen des Königs, der eine Arterie durchschneidet.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 23. Oktober 1689

Ich bin noch immer allein, mein liebes Kind, und langweile mich nicht. Ich bin gesund, habe Bücher zur Auswahl, Arbeit und schönes Wetter; mischt sich dazu ein bißchen Vernunft, so kommt man weit mit all den Dingen. Aus dem, was mir mein Sohn und seine Frau schreiben, sehe ich durchschimmern, daß sie sich in Rennes sehr wohl fühlen, und seitdem möchte ich durchaus, daß sie dort bleiben. Ich verbiete ihnen zu kommen; ich finde sogar, daß sie recht haben. In Rennes findet man gute Gesellschaft, alles schwimmt in Freude; die vielen Millionen, die man der Provinz abverlangen wird, drücken sie nicht, sie denken nur an die Rückkehr des Parlaments in die arme Stadt und in den schönsten Palast Frankreichs. Es gibt nichts Prächtigeres als das Haus, in dem die Stände ihre Sitzungen haben. Die Neugierde zieht auch viele Leute herbei; sie wollen die neuen Gesichter sehen, den Marschall d'Estrées, 214 M. de Pommereuil, M d'Eaubonne, M. de Lézonnet, anstatt der Herren de Chaulnes, de Fieubet, de Harlay und d'Harouys. Die Menschen lieben die Abwechslung!

Nun habe ich Dir viel von der Bretagne vorgeplaudert, mein liebes Kind, und das langweilt Dich vielleicht, aber es ist so natürlich; es sind die Früchte unsers Gartens, nachher werden wir von der Provence sprechen. Reden wir lieber vom Papst. Es gibt also wieder einen. Wäre ich in Paris, hätte ich ihm den Pantoffel im Zimmer des Abbé Bigorre geküßt. Er ist dort vortrefflich gemalt. Es ist der Kardinal Ottoboni, ein Venezianer und intimer Freund von M. und Mme. de Chaulnes und Mme. de Kerman, die er als achtzehnjährige Schönheit einst hochschätzte. Das ist der Mann, mit dem wir zu tun haben, der Herzog hat die wichtigsten Geschäfte abzuwickeln; und da raubt er Euch gleich Euer liebes Avignon. Ich wünsche ihm, daß er den ganzen Geist wiederfinde, den ich früher bei ihm fand, es wäre nicht gut, wenn er ihn jetzt entbehren müßte. Mme. de Lavardin schreibt mir, daß der Papst ein sehr tüchtiger Mann und der gescheiteste im heiligen Kollegium ist; aber, mein Kind, er ist neunundsiebzig Jahre alt; ist in diesem Alter der Geist nicht schon geschwächt? Der arme gute Abbé sagt mir ja, der verstorbene Bischof von Arles sagt mir neinDer Abbé de Coulanges, gestorben 1687, ließ ein Sinken der geistigen Kraft bemerken; der Bischof von Arles, ein Grignan, der im März 1689 im Alter von 86 Jahren gestorben war, hatte seine geistigen Fähigkeiten bis zuletzt bewahrt.. Da er einmal gewählt ist, müssen wir glauben. daß er die hohe Stelle auch ausfüllen wird. Wie Patrix, der es nicht der Mühe wert fand, sich noch einmal anzukleiden, als er im hohen Alter eine schwere Krankheit überstanden hattePierre de Patrix, der im Dienst der Herzogin von Orleans stand und 1671 im Alter von 88 Jahren starb, hatte einen Band frommer Gedichte veröffentlicht., so dächte ich, es wäre nicht der Mühe wert, sich als Papst anzukleiden. Mme. de Chaulnes wird Angst haben, daß man ihren Mann gleich zum nächsten Konklave dort läßt.

Nun kommt die Herzogin an die Reihe. Ich muß Dir ein kleines Geheimnis mitteilen, Du wirst sie liebgewinnen. Vor allem mußt Du glauben, daß, wenn sie gekonnt 215 hätten, sie sehr froh gewesen wären, meinem Sohn die Deputation zuwenden zu können. Es ist doch nicht schwer zu glauben, daß sie ihn lieber gehabt hätten als M. de Coëtlogon. Ihr müßt Euch auch in Eurer Übertreibung nicht einbilden, sie hätten für den letzteren gesprochen, da er doch bei M. de Lavardin meinen Sohn genannt, dem Marschall seinethalb geschrieben, und die Herzogin zweimal mit M. de Croissi gesprochen hatte und dabei sehr warm vom Abbé Têtu unterstützt wurde. Das spricht für sich selbst. Höre nun den Schluß. Die gute Herzogin war sehr betrübt, daß M. de Chaulnes vor seiner Abreise für die Deputation nicht das hatte tun können, was beide gehofft hatten. Sie redete sich nun mit Mme. de La Fayette und Mme. de Lavardin ein, ich müsse nach Paris zurückgebracht werden, denn es lastete ihr schwer auf dem Herzen, daß ich nur in der Bretagne bliebe, weil sich die Sache zerschlagen, und daß ihre Abwesenheit von Rennes mich nach Les Rochers getrieben habe. Denn wenn sie wegen der Stände geblieben wäre, hätte sie mich bei sich zurückgehalten. Gedanken regten sie auf und gaben der ganzen Verschwörung eine solche Stärke, daß ich davon behelligt wurde. Mit einem Wort, mein Kind, Mme. de Chaulnes war es, die die tausend Taler leihen wollte. Sie bot sie so gern und in so liebenswürdiger Weise an, und mit dem größten Wunsch ihr Anerbieten möchte angenommen werden, daß Mme. de La Fayette, welche die soeben mitgeteilte Ursache nicht kennt, von der Herzogin Liebe und Freundschaft für mich ganz entzückt war. Sie hört nicht auf, davon zu reden und bittet mich dringend, nicht weiter über die Deputation zu sprechen. Mme. de Chaulnes schreibt mir, daß aufgeschoben nicht aufgehoben ist, daß mein Sohn noch jung ist, daß viele Leute zehn, ja fünfzehn Jahre sich um die Stelle beworben haben und daß wir sie nur machen lassen sollen; doch sagt sie kein Wort von den tausend Talern. Ich will ihr indessen darüber schreiben, da Mme. de La Fayette mir das Geheimnis verraten hat. Die Herzogin wollte das Geld Beaulieu einhändigen, damit ich es wie vom Himmel gefallen vorfände. Doch hat mich alles das nicht gelockt. Es hätte mich mehr gedrückt als alle Gerichtsvollzieher der Welt. Höre eine Wahrheit über das Unglück, Schulden zu 216 haben: die uns drücken, sind drückend; und die uns nicht drücken, sind es noch mehr.

Da hast Du eine lange Rede; aber ich wollte es Dir allein anvertrauen, um Dir zu zeigen, wie schwer es ist, nicht eine gute Meinung von dem Herzen einer so natürlichen Frau zu haben, die fortwährend meiner freundschaftlich gedenkt. Ich beschwöre Dich, sprich von alledem nicht, es könnte der Zukunft schaden. Meine Freundinnen in Paris sind mit dem Benehmen der Herzogin sehr zufrieden. Du siehst nun, wie es oft in der Welt geht, und wie man manchmal urteilt, ohne die mildernden Umstände zu kennen. Ich wünsche nur, mein liebes Kind, daß Du Dich nicht langweilst, wenn Du all die Einzelheiten lesen mußt; denn ich gestehe, es wäre mir schwer, mich zu bessern, da es mir viel Vergnügen macht, sie Dir zu erzählen. Ich schließe und umarme Dich mit einer Zärtlichkeit, die einzig in ihrer Art ist. Ich spreche noch nicht von meinen Plänen, es kommt mir vor, als würde ich bis Ende des Sommers frei. Doch das ist noch lang. Wir werden uns verständigen, da wir den gleichen Wunsch haben uns wiederzufinden.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 2. November 1689

Ich bekomme alle Deine Briefe schneller als bei gutem Wetter, mein Kind. Aber der Himmel Eurer Provence macht mir Angst, Ihr seid an solche Sintflut nicht gewöhnt. Du schilderst mir Euer Schloß in großer Unordnung, und wenn Ihr nicht Eure schönen Möbel und besonders die aus dem Saal, der des Versailler Schlosses würdig ist, gerettet habt, wäre mir's leid. Auch wir spüren bereits die Folgen des Regens, aber da noch manchmal warme Sonnenstrahlen kommen, genieße ich sie mit Vergnügen, denn der Boden ist hier so trocken und angenehm, wie in unsrem armen Livry, und so gehe ich oft spazieren. Der Beginn Deines Briefes, mein Kind, sagt große Dinge in wenig Worten: Ottoboni, Papst; das Komtat zurückgegeben; der König und M. de Chaulnes triumphierend, und 217 Mme. de Grignan enttäuscht! Das letztere tut mir besonders weh. Man muß versuchen, wenigstens eine Hoffnung anstatt des soliden Trostes, den Se. Majestät Euch gewährt hatte, zu bewahrenDer Graf Grignan hatte die Aussicht, Gouverneur von Avignon und des Komtats zu werden, und er hoffte damit seine finanzielle Lage zu verbessern. Die Rückgabe von Avignon an den Papst zerstörte seine Hoffnungen..

Wenn ich Dir einen genauen Bericht über meine Gesundheit schickte, würdest Du sehen, daß ich mein Versprechen halte, das ich Mme. de La Fayette gegeben habe. Du würdest in betreff der Blase sehen, daß in dem ganzen Land vollkommene Stille herrscht, daß die sandigen Völker, die sich früher manchmal ungebärdig erwiesen, jetzt ihr Wesen in andern fernen Ländern treiben. Man hat Briefe von dem äußersten Ende des Reichs, die melden, daß die Beine niemals schöner und brauchbarer waren, daß die Hände den Launen ihrer Nachbarn, der Nerven, nicht mehr unterworfen sind. Kurz, der Staat wäre vollkommen, wenn man die Quelle der ewigen Jugend darin fände. Aber das ist das Unglück. Nach diesem lächerlichen Bericht, den Du von mir verlangt hast, glaube ich, bist Du über meine Gesundheit ohne Sorge.

Der König sagte vergangene Woche zu Mme. de Chaulnes: »Madame, M. de Chaulnes war nicht lange in Rom, ohne von sich reden zu machen, er hat noch gute Freunde dort gefunden, und ist sehr gut aufgenommen worden.« Sie antwortete: »Sire, wenn man im Auftrag Eurer Majestät kommt, wird man immer gut aufgenommen.« Der ganze Hof erdrückte sie fast mit Beglückwünschungen. Ich hoffe, Du hast ihr geschrieben.

Unser Marquis wird wohl bald ins Winterquartier kommen, wie die andern, und kann Dich dann besuchen. Ich wünsche es von Herzen, mein Kind; es wäre der beste Trost, der Dir werden könnte. Wie gern möcht ich ihn umarmen, und auch meine liebe Gräfin. Es freut mich, daß der Graf dicker geworden ist; ich dachte mir ihn immer noch mager und war besorgt. Die Schilderung, die Du mir von Eueren Gewittern machst, ist so schön und poetisch, daß ich mich wahrhaft daran erfreute. 218

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 9. November 1689

Ich finde den Brief, den Dir M. de Chaulnes geschrieben hat, sehr hübsch. Er gibt Dir seine Gründe an; Du siehst, daß er alles getan hat. was er tun konnte. Mme. de Chaulnes hat mir, aber für mich allein, wie sie sagt, einen kleinen Bericht über eine Unterhaltung geschickt, die der Gesandte mit dem Papst hatte. Die Antwort, die ihm der heilige Vater gab, ist so voller Lebhaftigkeit und Geistesgegenwart, daß ich erstaunt bin. Sie zeigt, daß er alle Geisteskräfte hat und noch lange leben wird. Ich schicke sie Dir, meine liebe Tochter, es macht Dir vielleicht Freude, sie zu lesen. Die Herzogin hofft, Du würdest ihrem Gemahl das Böse, daß er Dir antun mußte, verzeihen, und wünscht. die Truppen möchten bald heimwärts ziehen und Dir Dein Kind zurückführen. Sie beklagt Mme. de Soubise, die ihren Sohn nach fürchterlichen Leiden endlich verloren hat; ebenso Mme. de Guénégaud, die bei Bonn nicht allein ihren Jüngsten verloren hat, sondern auch ihren Ältesten, den sie mehr als ihr Leben liebte. Sie hat jetzt nur noch den Abbé Guénégaud, und einen andern, der auch Priester ist. So bemühen wir uns oft für die Zukunft und machen uns unnötige Sorge, weil Gott uns ganz andre vorbereitet.

Ich wage nicht, von der Üppigkeit in Rennes zu erzählen, Du könntest Dir sonst den Magen verderben. Denn es sind fortwährend Gastmähler. An demselben Tag Diner bei M. de La Trémouille, Souper beim ersten Präsidenten; Diner bei M. de Pommereuil, Souper beim Bischof von Rennes, Diner bei M. de Coëtlogon, Souper beim Bischof von Saint-Malo und so jeden Tag. Wie ist Dir's? So sind es wenigstens zwanzig Tafeln. »Du verzehrst mein ganzes Vermögen«Zitat aus dem »Avare«, III. Aufzug, 5. Szene.. Mein Sohn schreibt seiner Frau, ich denke aus Rücksicht, damit sie nicht glaubt, sie wäre meinethalben hier, alle ihre Freundinnen vermißten sie sehr, und er bedaure, daß ihre schwache Brust sie verhindere, an all den Vergnügungen teilzunehmen. Sie antwortet ihm ärgerlich, daß sie von seinen Worten beleidigt sei, sie wäre 219 durchaus nicht ihrer Gesundheit halber hierhergekommen, sie kenne das Leben bei den Ständen, und ziehe das Vergnügen, bei mir zu sein, allen andern vor. Und wenn sie eine Brust hätte wie der beste Sänftenträger von Rennes, würde sie es gerade so machen. Sie sagt das alles so natürlich, daß ich ihr sehr dankbar bin und mir keine Gedanken darüber mache, daß sie hier ist. Wir lesen viel, und die Zeit vergeht so schnell, daß es nicht der Mühe wert ist, sich zu sorgen, wenigstens bis dahin, wo ich Dich wieder umarmen kann. Lebe wohl, geliebtes Kind, es ist das schönste Wetter der Welt; ich denke, Eueres ist noch viel schöner. Wir haben einen Nachsommer und Ihr die Hundstage. Ich umarme und küsse meine liebenswürdige Tochter auf beide Wangen.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 13. November 1689

Ich habe Deinen Brief nicht erhalten, mein Kind; das ist mir immer ein Kummer, obgleich ich bei jeder kleinen Verzögerung nicht mehr solche Angst wie früher habe. Das sind Launen der Post, die man erdulden muß. Da ich aber im Geist immer in Grignan bin, verliere ich den Faden der Unterhaltung, und das ärgert mich. Ich weiß nicht, ob Du mit M. de Grignan zur Versammlung gehst oder ob Du auf Deinem Schloß bleibst. Die Gesundheit des Chevalier macht mir Sorge; hat die Chinarinde bei ihm Erfolg gehabt? Der Kampf zwischen ihr und dem Blut des Chevalier erinnert mich an den Spruch: »Wenn ein Tapferer einem Tapfern begegnet, bleibt ein Tapferer auf dem Platz.« Wir hoffen auch, daß das tapfere Chinin das tapfere Blut zum Stillstand bringt. Gott gebe es!

Ich will mir nicht die Zügel schießen lassen und Dir von meiner Liebe sprechen und von der lebhaften Teilnahme, die ich an allem nehme, was Dich betrifft. Du weißt, daß das unter allem, was mir teuer ist, den ersten Rang einnimmt, und meinen kleinen Angelegenheiten vorgeht, die mir wie Ysop vorkommen im Vergleich zu Deinen großen Zedern. Ich verstehe alles, was Du über den Vorschlag meiner Freundin in bezug auf die Pariser Reise sagst, und 220 daß Du sie darum beneidest. Ich brauchte nicht viel Kraft, um zu widerstehen, da Du in Grignan bist. Wärst Du in Paris gewesen, hätte ich ihres Anerbietens nicht bedurft, Du hättest alle meine Vorsätze zunichte gemacht, das fühle ich. Damit unterhalte ich mich, und davon lebe ich und davon spreche ich Dir, ohne es zu wollen. Du bist der Trost meiner letzten Lebenstage. Gott und seine Vorsehung vor allem. Man meldet mir den Tod des guten Bischofs von Nîmes; er war ein guter braver Mann. So ist unser armes Livry wieder zu vergeben! Ich wünsche es dem Abbé Pelletier.

Ich habe einen langen Brief von meinem neuen Freund Guébriac erhalten; ich hätte ihn Dir geschickt, denn sein Stil ist natürlich und angenehm; nur lobt er mich zuviel, wogegen sich meine Bescheidenheit sträubt. Er ist so erstaunt, eine Frau gefunden zu haben, die etwas bedeutet und gute Grundsätze hat und doch in ihrer Jugend einigen Liebreiz besaß, daß es scheint, er hat sein ganzes, von Leidenschaften bewegtes Leben in Mörderhöhlen verbracht, wo weder Treue noch Glauben war und wo nur die Liebe, jeder andern Tugend bar, herrschte. Darüber führen wir lustige Reden. Ich soll ihn Dir empfehlen; auch beschwört er Dich bei Descartes, Du mögest ihm sagen, wie es sich mit den Liebeshöfen verhält, von denen er hat sprechen hören und die er für eine Fabel hält. Er ist ein Gelehrter und wissensdurstig. Er will von der Regentin der Provence erfahren, ob man vor dem Hof Klage führte, ob man Urteile fällte und ob es Frauen waren, die richteten. Ihr habt ja Schöngeister in Arles und den Prior von Saint-Jean in Aix, nicht wahr? Der wird Dir sagen können, wie es sich verhielt. Guébriac hat das Blatt als Vorwort eines Buchs von François Barberin gefunden, der davon sprichtFrancesco Barberino aus Toskana (1264–1348). In der Vorrede zu dessen Gedichten »Documenti d'Amore« wird von den Liebeshöfen in der Provence gesprochen.. Ich schicke es Paulinen, vielleicht versteht sie die Prosa wie den Pasor fido. Liebes Kind, beauftrage jemanden, ohne Dich selbst zu bemühen. Wenn Du in Aix wärst, würde es Montreuil für seinen alten Freund besorgen. 221

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 16. November 1689

Da kommen die beiden Briefe; der vom dritten war nach Rennes gegangen, ohne zu wissen, warum. Der Fehler wurde in Paris gemacht; ich bekam ihn am Sonntag, nachdem ich meinen Brief schon abgeschickt hatte. Ich will gleich mit dem beginnen, was Euch begreiflicherweise alle aufregt. Wir hoffen, daß das Regiment des Chevalier seinem Neffen zufallen wird; man müßte sich ordentlich Gewalt antun, um daran zu zweifelnDer Chevalier de Grignan mußte aus Gesundheitsrücksichten auf sein Regiment verzichten. In der Tat erhielt es sein Neffe, der junge Marquis.. Du selbst, die Du so geschickt bist, Dir Sorgen zu machen, hättest Mühe, bei der Gelegenheit Grund zur Verzweiflung zu finden, wo alles für den Marquis spricht. Die Präzedenzfälle, sowie sein Name, das Verdienst des Vaters und des Onkels und sein eignes, all das führt ihn an die Spitze des schönen Regiments. Du zweifelst nicht, mein Kind, daß ich in allem, was Dich betrifft, ganz wie Du fühle. Du kannst mir gar nicht genug davon sprechen, mir nicht genug Deine Gedanken, Deine Gründe für und wider und das Zwiegespräch zwischen Furcht und Hoffnung mitteilen.

Deine Schwägerin bittet mich, Dir zu sagen, wie glücklich sie ist, Deine Zufriedenheit erworben zu haben, und zwar in einer Sache, bei der sie nur ihrer Neigung folgteEs handelt sich hier um den Besuch der Schwiegertochter in Les Rochers.. Durch Dein Lob erhöhst Du die Freude, mit der sie das tut, was sie ihre Pflicht nennt. Sie hat die Abwesenheit ihres Mannes nicht schwer empfunden; er war so nah bei ihr, sie hatte so oft Nachricht von ihm, und sie wußte genau, daß sie ihn bald wieder haben werde, so daß kein Kummer ihre schöne Handlung trübte.

Unsre Stände gingen Montag zu Ende, man hat dem Marschall d'Estrées zehntausend Taler bewilligt. Er hat 222 aber viel mehr ausgegeben. Der Bischof von Rennes und Mr. de Coëtlogon sind zu Deputierten ernannt worden.

Nicht lohnt's der Müh, die andern zu erwähnenZitat aus Corneilles Cinna, V. Aufzug, 1. Szene..

Mein Sohn kommt morgen und bringt den Abbé Charrier, meinen Pächter aus Buron, der ein vornehmer Herr ist und am Gewinn beteiligt sein wird, und Mme. de Marbeuf und noch andre mit. Wir fürchten die Menschen mehr als unsre Einsamkeit.

Über Paulinens Geschmack will ich nichts sagen, ich hatte ihn auch und teilte ihn mit vielen andern, die mehr wert sind als ich; so muß ich also schweigen. Es gibt Beispiele, daß derartige Lektüre guten Einfluß, andre, daß sie schlechten Einfluß hatte. Du magst sie nicht und bist sehr gut damit gefahren; ich liebte sie und habe doch auch meine Laufbahn nicht verfehlt. Dem Reinen ist alles rein, wie Du richtig sagst. Ich wollte meinen Geschmack rechtfertigen und fand, daß ein junger Mann edel und tapfer würde, wenn er meine Helden sähe, und ein Mädchen brav und klug, wenn es »Kleopatra« läse. Es gibt wohl manche, die die Sache falsch auffassen, aber sie wären vielleicht kaum besser, wenn sie nicht lesen könnten. Wenn man verständig ist, wird man nicht so leicht verdorben. Mme. de La Fayette ist ein weiteres Beispiel dafür. Indessen ist es wahr und gewiß, daß Nicole nützlicher ist; Dir gefällt er außerordentlich, und das spricht für ihn. Was ich von ihm bei Mme. de Coulanges gelesen habe, überzeugt mich, daß er Dir gefallen muß. Wenn Gott sich dieses schönen Buchs bedient, um Dich ihn lieben zu lehren, bist Du sehr glücklich, ja beneidenswert. Ich habe wenigstens die Überzeugung gewonnen, daß es nichts Wünschenswerteres auf der Welt gibt. Ich bitte Dich deshalb, meine liebe Pauline, nicht zu viel nichtige Dinge zu lesen, damit Du die Lust an Ernstem und an der Geschichte nicht verlierst, sonst wäre Dein Geschmack bleichsüchtig. Wir lesen die Kirchengeschichte von Godeau, die sehr schön ist; welchen Respekt flößt sie für die Religion ein! Mit Abbadie fühlt man sich ganz bereit, das Martyrium zu erduldenAbbadie, ein Theolog, dessen Schriften von Frau de Sévigné öfters mit großer Anerkennung erwähnt werden.. Alles hat seine Zeit, Corisque ist sehr 223 schalkhaft und nett, altri tempi, altre cureCorisca ist eine Hauptfigur in Guarinis »Pastor fido«.. Behalte mich lieb, meine liebe Schöne, aber miß niemals die Freundschaft anderer nach der Deinen. Du hast ein Herz ersten Ranges, dem sich keins vergleichen kann.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 20. November 1689

Du befreist mich von einer großen Sorge, mein liebes Kind, indem Du mir sagst, daß unser Marquis Oberst des schönen und guten Regiments seines Onkels geworden ist. Es kann nichts Vorteilhafteres für ihn geben, man kann mit achtzehn Jahren nicht weiter sein. Deine Sorgen sind nun alle zerstreut, und das Zwiegespräch zwischen Furcht und Hoffnung glücklich beendigt. Du wirst mit aller Kunst nichts daran zu mäkeln finden. Nun gilt es nur, liebste Gräfin, den Platz zu behaupten, der viel mehr Ausgaben mit sich bringt als der eines Hauptmanns. Der Chevalier muß bezahlt werden, wieviel hat er zu bekommen? Man muß nur hoffen, daß Ihr die Erlaubnis bekommt, Eure schöne Kompagnie, das Werk Deiner Hände, zu verkaufen. Du siehst, mein Kind, das Angenehme bringt auch Unangenehmes im Gefolge, die Würden erhöhen die Ausgaben. Man wäre sehr ärgerlich, wenn sie nicht gekommen wären, und man ist sehr in Verlegenheit, da sie eingetroffen sind. So ist die Welt! Wird Euch Euer Oberst nicht besuchen? Mir scheint, er hätte Zeit dazu. Ich habe große Lust ihm zu schreiben und die Adresse nach meiner Phantasie zu verfassen. Ihr seid also in Grignan gewöhnlich hundert Personen und achtzig, wenn es sehr wenige sind? Ich finde, daß man sich kein Gewissen daraus macht, Euch zur Last zu fallen. Ich billige sehr, daß Du nicht nach Lambese gingst und Deine Schönheit und Paulinens Jugend den bösen Blattern aussetztest. Das ist eine Krankheit, die man gar nicht genug vermeiden kann. Ihr habt mir einen wahren Schrecken eingejagt mit der Schilderung der Bise, die im Winter in Grignan herrscht. M. de Grignan wird sich schwer dazu 224 entschließen, die drei Monate fern von seiner guten Stadt Aix zu verbringen, aber man muß manchmal der Unmöglichkeit weichen. Wie traurig ist der Gedanke! Welches Unglück, so erschöpft zu sein, wenn man so nötig hätte, es nicht zu sein! Das sind schmerzliche Fragen, und ich wünsche Euch und mir den dazu nötigen Mut. Der Chevalier wird Euch von dem seinen abgeben, er hat so viel und kann seiner Gicht halber keinen Gebrauch davon machen, so daß er den Überfluß seinen guten Freunden geben kann. Melde mir genau Eure und seine Absichten.

Der Bischof von Senlis und Villeneuve und alle Sanguins sind voll Freude; sie haben unsre kleine Abtei. Sie gefällt ihnen so gut, daß ich die Empfindung habe, sie sei mir weniger entfremdet, als wenn sie einem andern gehörte. Es sind all unsre alten Nachbarn.

Mein Sohn ist endlich von den Ständen zurück und froh, bei uns zu sein. Mme. de Marbeuf ist für einige Zeit hier, ebenso der Abbé de Quimperlé, der nur sucht, wie er sich mir dienstbar erweisen kann. Wir erwarten unsern Pächter, wir werden eine schöne Rechnung ohne Geld machen. Der Graf d'Estrées hat hier zu Abend gegessen und ist über Nacht geblieben. Diesen Morgen ist er nach Paris abgereist. Ich fand ihn sehr hübsch und lebhaft; er hat einen vornehmen Geist und versteht so viel von Wissenschaft und Literatur, daß ich, wenn er nicht so einen guten Ruf zu Wasser und zu Land hätte (Du kannst den Chevalier fragen), verleitet wäre, ihn zu den Menschen zu rechnen, die wegen ihres schöngeistigen Wesens nicht weiterkommen. Aber er versteht sehr gut, eins mit dem andern zu verbinden, auf Kosten seiner Nächte, die er mit Lesen verbringt. Das ist zuviel. Ich wünschte nur, unser Marquis hätte die Hälfte der Neigung, das wäre genug. Es war ein Vergnügen, ihn mit meinem Sohn über alte und neue Dichter, über Geschichte, Philosophie und Moral sprechen zu hören; nichts ist ihm fremd, das ist prächtig. Den Unwissenden, den G. und den Grafen R. und ihren Witzen wurde der Krieg gemacht; wir lachten herzlich, und der Abend war sehr angenehm. Mme. de Marbeuf sendet tausend herzliche, der Abbé Charrier zehntausend untertänige Grüße. 225

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 30. November 1689

Du warst also auch von Mme. de La Fayettes Wort betroffen, das mit soviel Freundschaft vorgebracht warMan sehe den Brief vom 8. Oktober 1689.. Obgleich ich jene Wahrheit nie vergesse, gestehe ich, daß ich darüber erschrak, denn ich fühle noch gar kein Rückwärtsgehen, das mich daran erinnern könnte. Indessen stelle ich oft Betrachtungen und Berechnungen an, und finde die Lebensbedingungen recht hart. Mir scheint, ich bin, ohne es zu wollen, zu dem fatalen Punkt geschleppt worden, wo man das Alter erdulden muß. Ich sehe es, es lastet auf mir, und ich möchte wenigstens möglich machen, daß es nicht noch weiter ginge auf dem Weg der Gebrechen, der Schmerzen, der Gedächtnisschwäche, der Entstellungen, die mich fast kränken; und ich höre eine Stimme, die sagt: »Du mußt gegen deinen Willen vorwärts, oder wenn du nicht willst, mußt du sterben«, und dem widerstrebt die Natur. Das ist das Los aller Dinge, die altern; aber die Unterwerfung unter den Willen Gottes und das allgemeine Gesetz, das uns auferlegt ist, bringt uns zur Vernunft und macht, daß wir uns in Geduld fassen. Fasse Dich also auch in Geduld, mein geliebtes Kind, vergieße nicht aus Zärtlichkeit Tränen, die Deine Vernunft verurteilen muß.

Es ist mir nicht schwer geworden, die Anerbietungen meiner Freundinnen zurückzuweisen. Ich konnte ihnen antworten: »Paris ist in der Provence«, so wie Du sagst: »Paris ist in der Bretagne«; aber es ist merkwürdig, daß Du dieselbe Empfindung hattest wie ich. Paris ist für mich so ganz und gar in der Provence, daß ich in diesem Jahr nirgends anders sein möchte als hier. Das Wort, den Winter in Les Rochers verbringen, erschreckt. Ach! mein Kind, es ist das Hübscheste in der Welt. Ich lache manchmal und sage: »Das nennt man also den Winter in den Wäldern verbringen?« Mme. de Coulanges sagte mir neulich: »Verlassen Sie Ihre feuchten Rochers«; ich antwortete ihr: »Selbst feucht, Brevannes ist feucht, aber wir sind auf 226 einer Höhe; es ist, als wenn Sie sagten, Ihr feuchtes MontmartreMme. de Coulanges besaß in Brevannes ein kleines Landhaus.«. Die Wälder sind jetzt ganz von der Sonne durchstrahlt, wenn sie scheint. Die Erde ist trocken und auf unserer »Place Madame« brennt die Sonne am Mittag; am Ende einer großen Allee tut die Abendsonne Wunder, und wenn es regnet, haben wir ein schönes Zimmer mit einem großen Feuer. Oft auch zwei Spieltische, wie jetzt. Ich habe viel Besuch, aber er stört mich nicht; ich tue, was ich will. Und wenn niemand da ist, ist es noch hübscher, denn wir lesen sehr gern und ziehen es allem andern vor. Mme. de Marbeuf ist uns sehr angenehm; sie richtet sich ganz nach unsrem Geschmack, aber sie wird nicht immer bleiben. Ich wollte Dir davon sprechen, damit Dein Gemüt ohne Sorge sei.

Meine Schwiegertochter ist von allem, was Du über sie sagst, entzückt, denn ich mache ihr kein Geheimnis daraus; wie liebenswürdig weiß sie zu danken für alle Lobsprüche, die Du ihr spendest!

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 4. Dezember 1689

Ich danke Dir für Deinen Brief, meine liebe Tochter; er ist vertrauensvoll freundschaftlich und antwortet auf alles, was ich wissen wollte. Dein Bruder bekommt von Deinen Briefen nur soviel zu sehen, als ich ihm zeigen will, und wenn er sie verlangt, und ich sage ihm: »Mein Sohn, es ist nichts darin, das Dich unterhält«, denkt er nicht weiter daran. Es waren neulich vernünftige Leute hier, die in der Zeitung von dem Regiment Deines Sohnes gelesen hatten und gleich sagten: »Ich denke, der junge Oberst kostet weder Ihrer Frau Tochter noch M. de Grignan viel Geld; seine beiden Onkel sind hohe Herren und werden wohl seine Ausgaben bestreiten.« Ich schnitt innerlich eine Grimasse und ließ sie glauben, was sein sollte und nicht ist. Was Du mir von der Freundschaft und Güte des Chevalier sagst, überrascht mich nicht; es ist prächtig, daß er Euch Geld 227 verschaffen will, damit Ihr ihn damit bezahltEin Regiment kostete 2000 Louisdor, die der Nachfolger seinem Vorgänger zahlen mußte. Der Chevalier schuldete selbst noch auf sein Regiment. Trotzdem bot er an, für ein Anlehen des Grafen, der selbst keinen Kredit mehr hatte, gut zu sagen. Denn der neue Oberst brauchte außer den 2000 Louisdor noch viel Geld, um sein Regiment vollzählig und im Stand zu halten; er mußte für seine Offiziere offne Tafel halten, und man berechnete die Kosten seines Unterhalts auf monatlich 1000 Franken. Und Graf Grignan wußte sich vor seinen Gläubigern kaum zu retten, wobei er aber sein Schloß voll Gäste hatte!. Es ist wohl ein seltener Fall, aber die Schwierigkeit ist, überhaupt Geld zu finden, obgleich die Hypothek gut ist. Warum besorgt Euch nicht M. de La Garde die mäßige Summe? Mein liebes Kind, ich zürne jedermann; ich finde, daß man nicht seine Schuldigkeit tut. Wollte Gott, ich hätte noch eine kleine Summe, über die ich verfügen könnte! Ich glaube, ich hätte sie Dir schnell gegeben, aber ich habe nur schlechten Landbesitz, der Steine statt Brot gibt. Ich bin also zu nichts gut als zum Beraten, zum Tadeln, Euch zu beklagen und Euern Kummer mitzufühlen.

Wie liebenswürdig ist es von Dir, daß Du Paulinens Geist bildest und ihre Tanzlehrerin bist! Du bist ihr nützlicher als DesairsEin gesuchter Tanzlehrer in Paris., denn sie braucht Dich nur anzusehen und nachzuahmen. Ist sie groß? und anmutig? Ich bin ihr sehr dankbar, daß sie mich nicht zu den Großmüttern zählt, die sie haßt; so bin ich gerettet, Gott sei Dank! Das Gegenmittel, das ihr Beichtvater ihr gegen den »Pastor fido« gibt, gefällt mir außerordentlich. Das ist gerade wie der Rhabarber und das Quittenbrot, das Mme. de Pomponne vor Tisch nahm; aber dann aß sie Champignons und Salat, und adieu Quittenbrot! Mache die Nutzanwendung, meine liebe Pauline! Aber Du verehrst doch gewiß Deine liebe und liebenswürdige Mutter? Wie glücklich mußt Du Dich fühlen, sie zu sehen, sie zu betrachten, sie zu hören, auf ihre Worte zu lauschen! Alle diese Ausdrücke steigern sich. Ich weiß nicht, meine Schönste, wo M. de Grignan ist, und wo Ihr, Du und der Chevalier, seid. Ihr habt von einer Reise nach Lambese gesprochen, die Blatternatmosphäre mißfällt mir aber. Mme. de Marbeuf ist noch hier, ebenso der Abbé 228 Charrier. Die Gesellschaft ist gerade das, was wir brauchen. Sie grüßen Dich tausendmal. Wir haben schöne Tage, wir gehen spazieren, ich trage die Jacke, die mir sehr angenehm ist, sie schmückt und wärmt mich. Man bewundert und lobt sie: »Es ist ein Geschenk meiner Tochter.« Stelle Dir nur nicht vor, ich sei in einem dunkeln, einsamen Wald, mit einer Eule auf dem Kopf.

 


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