Marquise de Sévigné
Ausgewählte Briefe
Marquise de Sévigné

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An den Grafen Guitaut

Paris, 25. August 1679

Welch traurige Nachricht muß ich Ihnen mitteilen, welchen Schmerz hab' ich erfahren! Kardinal Retz ist gestern nach siebentägigem Fieber gestorben. Gott hat nicht gewollt, daß er das Heilmittel des EngländersEin Engländer, Talbot, hatte den Dauphin mit Chinin vom Wechselfieber geheilt, und sein Mittel, das er geheimhielt, dem König für eine große Summe verkauft. bekäme, obgleich er es verlangte, und das Beispiel unsres guten Abbé de Coulanges noch ganz frisch war. Die Eminenz war es selbst, die uns bestimmte, die grausame Fakultät beiseite zu schieben. Er versicherte laut, daß er bei dem ersten Fieberanfall den englischen Arzt rufen lassen werde. Darüber wird er krank und verlangt die Arznei; er hat Fieber und große Schwäche, er hat einen Schlucken, der zeigt, daß Galle im Magen sitzt. All das wird durch die Arznei geheilt. Mme. de La Fayette, meine Tochter und ich bitten dringend darum und weisen auf unsern von den Toten erstandenen Abbé hin. Aber Gott erlaubt nicht, daß jemand die Entscheidung trifft. Jeder sagt: »Ich nehme nichts auf mich,« und nimmt doch dadurch alles auf sich. Endlich ließen M. Petit und M. Belay ihm in drei Tagen viermal zu Ader, und gaben ihm dann noch zwei Gläser Kassia, die seinen Tod herbeiführten, denn Kassia ist bei bösartigem Fieber kein indifferentes Mittel. Als der arme Kardinal im Sterben lag, willigten sie ein, den Engländer holen zu lassen. Er kam, und sagte, er könne keine Toten erwecken. So starb vor unsern Augen der liebenswürdige bedeutende Mann, den jeder, der ihn kannte, schätzen mußte. 147

 

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An Mme. de GrignanMme. de Grignan war von Anfang November 1677 bis Mitte September 1679 bei ihrer Mutter in Paris gewesen.

Paris, 20. Oktober 1679

Mme. de La Fayette nimmt jetzt Vipern-Fleischbrühe, die ihr sichtlich Kraft und Leben zurückgibt. Man nimmt die Viper, haut ihr den Kopf und den Schwanz ab, schneidet sie auf, zieht ihr die Haut ab, und sie bewegt sich noch immer. Wir verglichen die so schwer zu bewältigende Lebenskraft mit den alten Leidenschaften. Man verwünscht und verachtet sie, man ist hart und grausam mit ihnen, man streitet mit ihnen, beklagt sich, zürnt, und sie bewegen sich noch immer, und man kann das Ende nicht voraussehen. Man glaubt, wenn man ihnen das Herz herausreiße, sei es vorbei mit ihnen, und man werde nicht mehr von ihnen reden; ein großer Irrtum, sie leben und bewegen sich immer noch. Ich weiß nicht, ob Dir der Scherz so erscheint wie uns.

Ich habe den P. Morel vom Oratoire gehört, es ist ein prächtiger Mann. Ich möchte nicht, daß M. de Grignan ihn gehört hätte. Er ist der Ansicht, daß man eine Sünde tue, sich seinen Vergnügungen hinzugeben, wenn man Gläubiger hat. Die Ausgaben scheinen ihm Diebstähle, die uns der Mittel berauben, gerecht zu sein.

 

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An Mme. de Grignan

Livry, 25. Oktober 1679

Ich bin hier, meine Gute, ganz mutterseelenallein, ich wollte für niemand anders als für mich zu sorgen haben. Ich will hier ganz nach meinem Gefallen bis nach Allerheiligen leben. Keine Gesellschaft lockt mich, so bald meinen Winter anzufangen. Es betrübt mich, daß ich ihn ohne Dich verbringen soll, meine Gute; ich kann mich nicht an die Trennung gewöhnen. Ich hörte neulich die Bagnols sagen, sie hänge ihren Betrachtungen zu viel nach und wäre zu viel allein; ich kann mich rühmen, ganze Nachmittage auf 148 der Wiese zu sein und mich mit Kühen und Schafen zu unterhalten. Ich habe gute Bücher, besonders die kleinen BriefePascals »Lettres à un provincial«. und Montaigne; was braucht man mehr, wenn man Dich nicht haben kann? Ich habe hier Deinen letzten Brief erhalten; Du glaubst mich in Paris an meinem Kamin und erhältst an dem Deinen die letzten Lamentationen über Deine ermüdende Reise. Wie fürchterlich ist es, so weit auseinander zu sein!

Ich sprach neulich mit DevilleDeville und seine Frau hatten im Dienst des Grafen Grignan gestanden. Regnaut, den Mme. de Sévigné gleich darauf erwähnt, war Devilles Nachfolger.. Es ist nicht unmöglich, daß Ihr die tüchtigen Leute wieder haben könnt, wenn Ihr nach Paris kommt. Es wäre ein großer Gewinn, wenn Ihr sie für immer nähmt. Ich bin sehr ärgerlich über Euern Regnaut; der arme Kerl hat guten Willen, aber Du hast recht, wenn Du sagst, eine diebische Sparsamkeit sei Dir lieber als eine dumme Ehrlichkeit. Wenn Du Deville hättest, wäre die Ehrlichkeit mit der Sparsamkeit vereint.

Du hast den FlachèreMr. de Grignans Diener, der Mme. de Grignan einige Jahre früher bei einem Brand gerettet hatte. und traust seinem Gesicht, aber ich rate Dir doch, ihn manchmal zu ermahnen und ihm die Sorge für des Grafen Wäsche zu empfehlen! Mein Gott! wie viel Geld geht durch Unehrlichkeit oder Nachlässigkeit der Bedienten verloren!

Weißt Du, daß das große Fräulein du Coudray, die aussieht wie eine Straminnadel, einen Herrn Colus geheiratet hat? Er ist ein Verwandter von dem in Lyon; alt, reich und zum viertenmal verheiratet. Sie wurde wie Harpagons Tochter behandelt, ohne Mitgift, erinnerst Du Dich an den Scherz? Ich fand sie neulich bei GautierEin berühmter Laden für Modestoffe., wo ich für die Marbeuf war (die Fräulein Grignan würden sonst Zeter über meine Ausgaben schreien). Ich fand sie also ganz in Gold gekleidet. Ich wünsche einer Eurer Grignettes eine solche Partie, und rechne dabei, daß sie ihre Schwester mit sich nimmt, und meine arme Pauline nicht mehr del patrio nidoAus dem elterlichen Nest. vertrieben wird. 149

 

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An Mme. de Grignan

Livry, am Tag Allerheiligen 1679

Du solltest meinen Brief schon haben, den ich in Pomponne zugleich mit einem Schreiben von Mme. de Vins abgesandt habe. Aber Eure Stürme haben alles in Unordnung gebracht. Wie seid Ihr doch übertrieben in der Provence! Alles ist im Übermaß, Eure Hitze, Euer Abendtau, Euer Wind, Eure unzeitigen Regen, Eure Gewitter im Herbst, Ihr habt nichts Sanftes und Gemäßigtes, Eure Flüsse sind ausgetreten, Eure Felder unter Wasser und verdorben, Eure Durance hat beinahe immer den Teufel im LeibDie Durance ist der Hauptfluß der Provence. Von ihr hieß es im Vers:
    Mistral, Parlament und Durance
    Sind die drei Plagen der Provence.
. Kurz, mein Kind, wenn ich an Deine zarte Gesundheit denke, die Du so vielen Stürmen aussetzen mußt, zittere ich. Und muß M. de Grignan, der Dich doch auch liebt, nicht ebenfalls zittern? Ich kann mich nicht beruhigen, besonders da ich sehe, wie wenig Du geneigt bist, selbst die besten Mittel anzuwenden. Ich habe neulich Mme. de Nesmond gesehen; sie war sehr brustkrank, doch erholt sie sich sichtlich infolge einer Kur mit Eselsmilch, die sie morgens und abends trinkt. Ich sage nicht, daß Du sie trinken sollst, da sie Dir widersteht, aber es tut mir leid, und ich halte es für ein Unglück, daß Dir ein so sicheres Heilmittel entgeht. Ich sehne mich nach der Zeit zurück, wo ich nur Deine Abwesenheit zu beklagen hatte!

Ich werde mit du ChesneEin bekannter Arzt. wegen Eures jungen Arztes sprechen; wir werden ihn in unsrer Nachbarschaft ein paar Kranke umbringen lassen, um zu sehen, wie er sich anstellt. Es wäre schade, wenn er nicht von dem Privileg Gebrauch machte, ungestraft zu töten. Die Zeiten sind freilich ungünstig für die Ärzte. Das MittelSiehe Anmerkung zum Brief Nr. 100. des Engländers, das bald bekannt gemacht wird, läßt sie mit ihren Aderlässen und Medikamenten nur verächtlich erscheinen.

Mein Sohn ist einsam in Les Rochers; als er sich am 150 ersten Abend allein in meiner Wohnung befand, und man ihm die Schlüssel zu meinen Schränken übergab, sei ihm, schreibt er, plötzlich ein fürchterlicher Gedanke gekommen, und was er sah, glich ganz dem, was einmal eintreten wird, so daß er anfing zu weinen, wie damals, als der gute Abbé die Kommunion empfing.

 

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An Mme. de Grignan

Livry, 2. November 1679

Ich schreibe Dir heute abend, Liebste, weil ich Lust habe, morgen nach Pomponne zu gehn. Mme. de Vins bat mich neulich so herzlich darum, daß ich sie besuchen will. Ohnehin richtet man bei M. de Pomponne während eines Mittagessens auf dem Land mehr aus, als während eines ganzen Monats in Paris. Du sagst, ich könne wegen Deiner Gesundheit außer Sorge sein, o wie gerne möchte ich das! Tue nur auch, was Du sagst, meine Liebste; trinke Milch und Fleischbrühe, laß Deine Gesundheit allem andern vorgehen. Sei überzeugt, eine Brust, wie die Deine, kann man nicht in kurzer Zeit heilen, sondern Pflege und Diät müssen fortgesetzt werden. Wenn Du vierzehn Tage lang Milch trinkst und dann sagst: »Ich habe Milch getrunken, sie hilft mir nichts«, so heißt das, sich über uns und Dich selbst lustig machen. Glaube mir, ohne Gesundheit ist man zu allem unfähig, man schleppt sich nur mit Mühe herum, kurz, es ist kein Leben. Der Zustand, in dem Du bist, ist unhaltbar, was Du auch sagen magst, Du mußt besser werden, um wohl zu sein. Es tut mir leid, daß Ihr so schlechtes Wetter und so fürchterliche Überschwemmungen habt; Eure Durance fürchte ich wie ein wildes Tier.

Man spricht noch nicht von Ordensverleihungen; gibt es welche, werde ich M. de Grignan gern, aber doch traurig begrüßen. Denn wenn er wiederkommen muß, war Deine Reise recht unnötig; es wäre viel natürlicher und vernünftiger gewesen, Du hättest ihn hier erwartet, aber man kann nicht in die Zukunft sehen. Du berücksichtigst und befragst nur die Wünsche Deines Mannes, so wie man früher die Eingeweide der Opfertiere befragte, und Du hattest genau 151 gesehen, daß es sein Wunsch war, Du möchtest ihn begleiten. Da Du nun niemals Deine Gesundheit in Betracht ziehst, war es nur natürlich, daß Du reistest.

Mein Sohn schreibt mir närrisches Zeug; er sagt, sein eines Ich bete mich an, das andre Ich möchte mich erdrosseln; und die beiden hätten sich neulich auf dem Mailplatz von Les Rochers fürchterlich geprügelt. Ich antwortete ihm, daß ich wünschte, das eine hätte das andere umgebracht, damit ich nicht drei Kinder hätte; denn das letzte mache mir soviel Muttersorgen, und wenn es sich selbst erdrosseln wollte, wäre ich mehr als zufrieden mit den beiden andern.

Paulinens Briefchen ist prächtig, hat sie es selbst geschrieben? Nein, aber ihr Stil ist leicht zu erkennen. Die holde Kleine! Könntest Du sie mir doch in einem Deiner Briefe schicken!

Ich verlasse Livry nur ungern, es ist noch so schön hier; die Allee, die die Raupen ganz zerfressen hatten, war, mit Deiner Erlaubnis, so frei, wieder zu wachsen und ist grüner als im Frühling eines günstigen Jahrs. Die großen und kleinen Laubgänge sind herbstlich gefärbt, so wie es die Maler gerne darstellen. Die großen Ulmen sind schon etwas entlaubt, und es tut einem nicht leid um die zerfressenen Blätter. Im ganzen ist die Landschaft noch recht heiter, ich verbringe meine Tage im Freien allein, nur mit meinen Büchern, ich langweile mich nicht mehr, als überall da, wo Du nicht bist.

 

105

An Mme. de Grignan

Paris, 22. November 1679

Ich muß Dich überraschen und betrüben, mein liebes Kind. M. de Pomponne ist in Ungnade gefallen. Er bekam Samstag abend, als er von Pomponne zurückkehrte, den Befehl, sein Amt niederzulegen. Der König hatte bestimmt, daß er siebenhunderttausend Franken erhalten und auch sein Gehalt von zwanzigtausend Franken, das er als Minister hatte, weiterbeziehen sollte. Der König wollte ihm dadurch zeigen, daß er seine treuen Dienste anerkenne. 152 Colbert richtete ihm das Kompliment aus und versicherte ihn, er wäre in Verzweiflung darüber usw. M. de Pomponne fragte, ob er nicht die Ehre haben könne, mit dem König zu sprechen, um aus seinem Mund zu hören, wodurch er sich die Ungnade zugezogen habe. Man sagte ihm, er könne den König nicht sprechen. Er schrieb ihm deshalb und sagte ihm, wie schmerzlich er berührt sei, zumal er nicht wisse, was zu seiner Ungnade beigetragen habe. Er sprach ihm von seiner zahlreichen Familie, und flehte ihn an, Rücksicht auf seine acht Kinder zu nehmen. Schnell ließ er seine Pferde vor den Wagen spannen und fuhr nach Paris, wo er um Mitternacht ankam. M. de Pomponne war keiner von den Ministern, die durch die Ungnade erst daran erinnert werden müssen, daß sie Menschen sind, was die andern fast alle vergessen. Er gebrauchte seine Macht nur zum Glück der andern, er war geliebt, aber hauptsächlich weil man ihn so hoch schätzen mußte. Wie ich Dir schrieb, waren wir Freitag in Pomponne, M. de Chaulnes, Caumartin und ich; wir fanden ihn und die Damen, die uns sehr heiter empfingen. Man plauderte den ganzen Abend, man spielte Schach. Gott! welch ein Schach und Matt bereitete man ihm in Saint-Germain! Früh am andern Morgen eilte er hin, weil ein Kurier auf ihn wartete, so daß Colbert, der ihn wie gewöhnlich Samstag abends zu treffen glaubte, bei der Nachricht seiner Abfahrt nach Saint-Germain umkehrte und seine Pferde halb tot hetzte.

Wir verließen Pomponne erst am Nachmittag; die Damen blieben dort, Mme. de Vins trug mir noch tausend Grüße für Dich auf. Man mußte ihnen also die traurige Nachricht melden. Ein Kammerdiener M. de Pomponnes kam Sonntag früh um neun Uhr zu Mme. de Vins; sein Gang war so auffallend, und er war so sichtlich verändert, daß sie glaubte, er käme um M. de Pomponnes Tod zu melden. Sie atmete auf, als sie hörte, daß er nur in Ungnade gefallen sei; doch als sie sich etwas erholt hatte, fühlte sie die Größe des Unglücks und ging, um es ihrer Schwester mitzuteilen. Sie fuhren gleich weg und ließen die Kinder in Tränen und tief erschüttert zurück. Sie kamen um zwei Uhr nachmittags in Paris an, wo sie M. de Pomponne fanden. Du kannst Dir das Wiedersehen vorstellen und was sie 153 empfanden, in so andern Verhältnissen zu sein, als am Tag zuvor. Ich bekam die Nachricht durch den Abbé de Grignan; ich gestehe, sie ging mir sehr zu Herzen. Gegen Abend ging ich hin, sie empfingen nicht, doch trat ich ein und fand sie alle drei. M. de Pomponne umarmte mich, ohne ein Wort sprechen zu können, die Damen konnten ihre Tränen nicht zurückhalten, ich ebensowenig. Du hättest auch geweint. Es war ein schmerzlicher Anblick. Der Umstand, daß wir uns kaum erst in Pomponne in so anderer Weise verlassen hatten, steigerte unsere Rührung. Die arme Mme. de Vins, die ich blühend verlassen hatte, war nicht wiederzuerkennen, ich sage: nicht wiederzuerkennen. Ein vierzehntägiges Fieber hätte sie nicht so verändert; sie sprach von Dir und sagte, sie sei überzeugt, Du fühltest den Schmerz mit ihnen allen. Ich stimmte ihr bei. Wir sprachen auch von dem Rückschlag, der sie durch die Ungnade trifft; er ist fürchterlich, sowohl für ihr Vermögen, als auch in betreff des angenehmen Lebens und für das Fortkommen ihres Mannes. Sie fühlt das alles sehr schmerzlich. M. de Pomponne war nicht gerade ein Günstling, aber er konnte doch manchem zu einer Stellung verhelfen. Es war doch eine schöne Sache, an den Hof zu kommen, als wenn es sich von selbst verstünde. Oh Gott! Welche Veränderung! Welche Einschränkung! Welche Sparsamkeit in diesem Haus! Acht Kinder! Er hatte nicht die Zeit, die mindeste Gunst für sich zu erlangen! Sie haben dreißigtausend Franken Rente Schulden. Was wird ihnen bleiben? Sie müssen sich ganz zurückziehen, sowohl in Paris als auch in Pomponne. Man sagt, die vielen Reisen und der Umstand, daß die Kuriere manchmal warten mußten – selbst der aus Bayern, der Freitag ankam und den der König ungeduldig erwartete –, hätten etwas zu dem Unglück beigetragenNach den Äußerungen der Zeitgenossen hatte de Pomponne seine Entlassung nur seiner Nachlässigkeit zuzuschreiben. Ludwig XIV. fand ihn nicht energisch genug, seine Befehle auszuführen. Dazu kam, daß de Pomponne zu den Jansenisten hielt und Louvois und Colbert gegen ihn intrigierten.. Du wirst die Wege der Vorsehung leicht verstehen, wenn Du erfährst, daß der Präsident Colbert die Stelle bekommtPräsident Colbert war der Bruder des bekannten Ministers.. Er ist in 154 Bayern. Sein Bruder versieht sie einstweilen und hat ihm sehr vergnügt, um ihn zu überraschen und als ob er sich in der Aufschrift geirrt hätte, geschrieben: An Herrn Colbert, Minister und Staatssekretär.

 

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An Mme. de Grignan

Paris, 24. November 1679

Mein Gott! Geliebte! Welch lieben Brief schreibst Du mir! Welche Lektüre! Wie freue ich mich, Dich über all die Kapitel sprechen zu hören! Das über die Medizin entzückt mich. Ich bin überzeugt, daß Du mit Deinem Verstand und mit der Leichtigkeit, die Dir Gott zum Lernen gegeben hat, bald mehr weißt als die Ärzte. Es fehlt Dir nur die Erfahrung; auch kannst Du nicht ungestraft umbringen wie sie. Aber ich würde bei einer Krankheit viel eher Dir als ihnen glauben. Gewiß, man spricht in dieser Welt nur von der Gesundheit. Wie geht's? Wie geht's? Und dabei ist man in vollständiger Unwissenheit über alles, was diese uns so nötige Wissenschaft betrifft. Lerne, lerne, mein Kind, studiere, Du brauchst keine andre Lizenz als den Doktortalar, wie im Lustspiel. Aber warum willst Du uns Deinen hübschen Doktor schicken? Ich versichere Dich, die Ärzte sind hier sehr verschrien und verachtet. Außer den drei oder vier, die Du kennst, und die den Engländer empfehlen, sind alle andern in Verruf. Der Engländer hat den Marschall Bellefonds vom Tod errettet. Ich glaube nicht, daß der Leibarzt das wahre Geheimnis kennt. Du Chesne hat keinen Unterarzt im Hôtel des Invalides, wie ich Dir schon schrieb. Ich rate Dir deshalb ernstlich, Euern Arzt in der Provinz zu behalten.

 

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An Mme. de Grignan

Paris, 26. Januar 1680

Man spricht nicht mehr von der guten Frau Soubise, man denkt gar nicht mehr an sie. Man hat wahrhaftig ganz andre Dinge im Kopf; ich glaube, ich bin nicht recht 155 gescheit, daß ich Dir von etwas andrem vorplaudere. Seit zwei Tagen ist man so wie zur Zeit der Mademoiselle und des Monsieur de Lauzun. Man ist in fortwährender Aufregung, man schickt um Nachrichten, man besucht sich, um etwas zu hören, man ist neugierig. Bis jetzt hat man folgendes erfahren:

M. de Luxembourg war Mittwoch (24. Januar) in Saint-Germain, wo ihn der König nicht weniger freundlich als sonst behandelte. Man warnte ihn, es sei ein Verhaftbefehl gegen ihn erlassen worden; er wollte mit dem König reden, Du kannst Dir denken, was man antwortete. Seine Majestät sagte ihm, daß er nur ins Gefängnis gehen solle, wenn er unschuldig wäre; er habe für derartige Untersuchungen gute Richter, denen er die ganze Sache überlasse. M. de Luxembourg bat, man möge ihn nicht hinbringen lassen, und er stieg auch in der Tat in seinen Wagen und fuhr zu dem P. de La Chaise. Mme. de Lavardin und Mme. de Mouci, die hierherkamen, begegneten ihm in der Saint-Honoré-Straße; er saß traurig in seinem Wagen. Nachdem er eine Stunde in der Jesuitenkirche geblieben war, fuhr er zu der Bastille, wo er BezemauxGouverneur der Bastille. den Verhaftsbefehl übergab, den er von Saint-Germain gebracht hatte. Er bekam zuerst ein ganz schönes Zimmer, jenes, das Tallard innegehabt hat. Mme. de MeckelbourgDie Schwester des Marschalls de Luxembourg. kam zu ihm und wollte vor Tränen vergehen; nachdem sie eine Stunde weg war, kam der Befehl, ihn in eines der entsetzlichen vergitterten Zimmer zu bringen, die im Turm sind und von wo man kaum den Himmel sieht; auch verbot man ihm den Verkehr mit jedermann. Das gibt zu denken, meine Tochter! Wie glänzend war die Stellung des Mannes; es fehlte so gar nichts, er hatte die Ehre genossen, die königlichen Armeen zu befehligen, und nun! Stelle Dir vor, wie ihm zumut sein mußte, als er die schweren Riegel hinter sich vorschieben hörte! und wenn er etwa aus Ermattung eingeschlafen ist, welch ein Erwachen! Man glaubt nicht, daß in seinem Prozeß von Gift die Rede ist, aber soviel andre Schlechtigkeiten, daß er sich niemals wieder in der Welt sehen 156 lassen kann. Seine Stelle bleibt nicht in der Familie, es bekommt sie ein andrer. Ich sprach eben mit M. de La Rochefoucauld; er meint, Ihr solltet mir auf alle Fälle einen Brief von M. de Grignan an seinen SohnDen Sohn La Rochefoucaulds, der bei dem König in hoher Gunst stand. schicken. Wenn der König nicht jemand ernennen will, der ältere Ansprüche hat, so gibt es wenige, die sich mit mehr Fug und Recht darum bewerben können als Ihr. Ihr könnt Euch Zeit lassen, Ihr müßt Seiner Majestät schreiben. Setzt kein Datum, und ihr könnt versichert sein, daß, wenn das Paket einmal in meinen Händen ist, ich es nur nach reiflicher Beratung mit Leuten, denen Ihr großes Zutrauen schenkt und die es verdienen, herausgebe. Verdaut diese Idee! Ich sage Euch, das ist ein Unglück, das alle andern in Schatten stelltDieser Brief bezieht sich auf einen Giftmischer-Prozeß, der damals so großes Aufsehen machte. Ein Weib, die Voisin, die sich mit Wahrsagen abgab, bildete mit mehreren Individuen eine Giftmischerbande und hatte eine große Kundschaft für ihre mörderische Kunst. Man hörte nur noch von plötzlichen Todesfällen, und Schrecken verbreitete sich überall. Die Voisin wurde reich, kaufte ein Haus, hielt sich Dienerschaft und lebte glänzend. Der König setzte 1680 einen besondren Gerichtshof ein, der die ganze Sache untersuchen sollte. Die Voisin wurde verhaftet, und um sich zu retten, gab sie eine Menge der vornehmsten Leute als Mitschuldige an – so die Gräfin Soissons, die dem königlichen Haus verwandt war, den Marschall de Luxembourg, die Prinzessin de Tingry, Luxembourgs Schwägerin, die Herzoginnen de Bouillon und de Foix u. a. m. Die Voisin wurde im Februar 1680 verbrannt und mit ihr noch andre, die überwiesen waren. Manche vornehme Dame rettete zwar ihr Leben, aber nicht ihren Ruf..

Mme. de Tingry ist zu Hause, ihr Erscheinen vor Gericht ist vertagt worden. Die Gräfin de Soissons fürchtete das Gefängnis. Man hat ihr Zeit zur Flucht gelassen, wenn sie sich schuldig fühle. Sie saß Mittwoch am Spieltisch, als M. de Bouillon eintrat; sie fragte ihn, warum er schon zurück sei, da sie ihn doch erst am folgenden Tag erwartet habe. Er bat sie, mit ihm ins Nebenzimmer zu treten, und dort sagte er ihr, sie müsse Frankreich verlassen oder sich in die Bastille sperren lassen. Sie schwankte keinen Augenblick und ließ die Marquise d'Alluye vom Spieltisch 157 abrufen; beide kehrten nicht wieder. Als die Speisestunde schlug, sagte man, die Gräfin speise in der Stadt; jedermann ging in der Überzeugung, daß etwas Außerordentliches geschehen sei. Man machte viele Pakete, nahm Geld und Edelsteine, ließ die Diener und Kutscher graue Kleider anlegen und acht Pferde vor den Wagen spannen. Die Marquise d'Alluye mußte sich zu ihr auf den Rücksitz setzen; man sagt, sie hätte nicht mitgehen wollen, zwei Kammerfrauen kamen auf den Vordersitz. Sie sagte ihren Leuten, sie brauchten sich keine Sorgen um sie zu machen; sie wäre unschuldig, aber die schlechten Weiber hätten sie aus Bosheit beschuldigt. Sie weinte. Sie sprach noch bei Mme. de Grignan vor, und um drei Uhr morgens verließ sie Paris. Man sagt, sie fahre nach Namur. Man hat gar nicht die Absicht, sie zu verfolgen. Man wird ihr den Prozeß machen, um sie rein zu waschen. In der Aussage der Voisin sind sehr dunkle Punkte.

M. de Pomponne ist für drei Tage nach Pomponne gegangen. Er hat alles bekommen, und alles zurückgegeben; das ist nun abgetan. Es tut mir wirklich leid.

 

108

An Mme. de Grignan

Paris, 2. Februar 1680

Du hast zuviel geschrieben, meine Liebste; durch die Lust zu plaudern läßt Du Dich verleiten, Deine zarte Gesundheit zu mißbrauchen. Ich beschwöre Dich also, mir nicht mehr soviel zu schreiben, wie das vorige Mal, wenn Du nicht willst, daß ich mich mit einer halben Seite begnüge. Ja, ich schwöre Dir, daß ich sogar eine Zeitlang ganz aufhören werde, Dir zu schreiben, sogar in einer Zeit, wo es soviel zu schreiben gibt.

Die Frau Dauphine erhält keine Damen; Du kennst ja ihre Ehrendame und ihre Kammerfrauen, – das ist alles. Vor acht Tagen ist sie mit dem ganzen Hofstaat nach Schlettstadt abgereist. Die Damen sind von hoher Geburt, aber ohne besondere Schönheit: Laval, Biron, Tonnerre, Rambures und die gute Montchevreuil. Den sechsten 158 Platz läßt man für irgendeine Deutsche frei, wenn die Dauphine eine mitbringen willDie Elsässer wurden damals von den Franzosen Deutsche genannt..

Aber welche Torheit, von etwas anderem zu sprechen als von Madame Voisin und M. le Sage!

Von Hrn. de Sévigné

Es ist nicht M. le Sage, der die Feder ergreift, wie Du siehst. Ich bin also wieder da, meine schöne, kleine Schwester, bin wieder in Paris neben unserer hübschen Mutter, und man beschuldigt mich noch nicht, daß ich sie zu vergiften versucht habe, und ich versichere Dir, das ist in den jetzigen Zeitläuften kein geringes Verdienst. Ich habe auch noch immer dieselben Gefühle für meine kleine Schwester. Deshalb wünsche ich ihr eine baldige Rückkehr ihrer Gesundheit, und danach werden wir ihr wieder etwas anderes wünschen.

Von Mme. de Sévigné

Da ist er wieder, der Spitzbube de Sévigné. Ich hatte die Absicht, ihn auszuschelten, und ich hatte allen Grund dazu. Ich hatte sogar eine kleine verständige Rede vorbereitet und hatte sie in 17 Punkte eingeteilt, wie die Rede von Vassé, aber ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß alles durcheinandergeriet, Ernstes und Heiteres, so daß wir alles verwechselten. »Jeder Vater haut daneben«, heißt es in einem Liede.

Man tadelt noch immer ein wenig die Richter, die so große Namen ohne besonderen Anlaß in den Skandalprozeß hineinbezogen haben. M. de Bouillon hat den König um die Erlaubnis gebeten, die Vernehmung seiner Frau drucken zu lassen, um sie nach Italien und ganz Europa zu verschicken, wo man Mme. de Bouillon für eine Giftmischerin halten könnte. Mme. de la Ferté, stolz, wenigstens einmal in ihrem Leben unschuldig zu sein, hat durchaus diese Eigenschaft genießen wollen, und obschon man ihr mitgeteilt hatte, daß sie nicht vor Gericht zu erscheinen brauchte, wenn sie es nicht wollte, so ging sie doch hin, und ihr Fall war noch harmloser, als der der Mme. de Bouillon. Was aber für die Gefangenen unangenehm ist, das ist, daß 159 die Kammer jetzt zwanzig Tage lang nicht arbeitet, sei es um neue Erkundigungen einzuziehen, sei es um Angeklagte aus der Ferne kommen zu lassen, wie z. B. die Polignac, gegen die ein Verhaftsbefehl erlassen ist, oder die Gräfin de Soissons. Die letztere setzt aber inzwischen ihre Reise fort und tut gut daran, denn man muß entweder sein Verbrechen oder seine Unschuld vor aller Welt darlegenDie Gräfin de Soissons erklärte sich zwar bereit, nach Frankreich zurückzukehren, aber unter der Bedingung, daß sie weder in der Bastille noch in Vincennes eingesperrt würde. Diese Bedingung wurde abgelehnt. Sie lebte schließlich in Brüssel, wo sie Ende 1708 starb, als »Prinz Eugen, ihr Sohn, sie durch so viele Siege rächte und über Ludwig XIV. triumphierte«. (Voltaire)..

 

109

An Mme. de Grignan

Paris, 1. März 1680

Ich will Dir von der Oper erzählenDie Oper, von der Mme. de Sévigné hier berichtet, war »Proserpina«, Text von Quinault, Musik von Lully.; ich habe sie zwar nicht gesehen, ich bin nicht vergnügungssüchtig, aber man sagt, sie sei sehr schön. Viele Leute haben an Dich und mich gedacht. Ich sprach Dir nicht davon, weil ich die Ceres sein sollte und Du die Proserpina; demnach wäre M. de Grignan Pluto! Und ich fürchtete, daß er am Ende zwanzigtausendmal von seinem Musikchor wiederholen ließe:

Wiegt eine Mutter
Einen Gatten auf?Verse aus der Oper.

Das wollte ich vermeiden, denn der Vers, der diesem vorausgeht:

Denn Plutos Herz weiß inniger zu lieben,
Als Ceres je geliebt,

hätte mir keine Sorge gemacht. Wie dem auch sei, mein Kind, ich bin überzeugt, daß wir uns wiederfinden, und ich lebe nur dafür. 160

 


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