Marquise de Sévigné
Ausgewählte Briefe
Marquise de Sévigné

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 30. Oktober 1675

Mein Gott, meine Tochter, wie lustig ist Dein Brief aus Aix! Lies wenigstens Deine Briefe nochmals durch, ehe Du sie wegschickst, lasse Dich von ihrem Zauber überraschen und tröste Dich mit diesem Vergnügen über die Mühe, deren so viele schreiben zu müssen. Du hast also die ganze Provence geküßt; es wäre kein Vergnügen, die ganze Bretagne zu küssen, man müßte denn gern Wein riechen.

Man schildert uns hier den Bischof von MarseilleDamals Gesandter in Polen. mit dem Degen in der Hand, wie ihm bei der Jagd auf die Tartaren an des Königs von Polen Seite zwei Pferde unter dem Leib getötet wurden, gerade wie dem Erzbischof Turpin bei der Jagd auf die Sarazenen. In solcher Stellung verachtet er wohl die kleine Versammlung von LambeseDie Versammlung der Abgeordneten der Gemeinden, deren Vorsitz der Bischof im Jahr vorher führte.. 95

Willst Du Nachrichten von Rennes? Es sind noch immer fünftausend Mann dort, denn es sind noch Soldaten von Nantes gekommen. Man hat der Bürgerschaft eine Taxe von hunderttausend Taler auferlegt, und wenn man sie nicht in vierundzwanzig Stunden aufbringt, wird sie verdoppelt, und die Soldaten sollen sie eintreiben. Man hat die Bewohner einer großen Straße verjagt, und bei Lebensstrafe verboten, sie aufzunehmen. So sah man die Unglücklichen, Greise, Wöchnerinnen und Kinder, weinend vor den Toren umherirren, ohne Obdach und Nahrung. Vorgestern hat man einen Gefangenen gerädert, der den Tanz mit dem Stempelpapier angefangen hatte. Nach seinem Tod wurde er gevierteilt und die Stücke an den vier Enden der Stadt ausgestellt, wie man es mit Josseran in Aix gemacht hatEin Diener, der seinen Herrn ermordet hatte.. Er sagte sterbend aus, daß die Pächter der Stempelpapiere ihm fünfundzwanzig Taler gegeben hätten, damit er den Aufruhr beginne, und mehr konnte man nicht aus ihm herausbringen. Man hat sechzig Bürger gefangen gesetzt, und morgen fängt das Hängen an. Die Provinz ist eine schöne Warnung für die andern, besonders die Gouverneure und deren Frauen zu respektieren, sie nicht zu schimpfen und ihnen keine Steine in den Garten zu werfen.

Ich habe Dir erzählt, wie Mme. de Tarente uns alle gerettet hat. Sie war gestern bei entzückendem Wetter hier im Wald; es war dabei weder vom Zimmer, noch von Bewirtung die Rede, sie kam durch das Parktor und fuhr auch so wieder weg. Doch ich komme wieder auf unsre Bretagne zurück. Alle Dörfer müssen zum Unterhalt der Truppen beitragen, und man sichert sich sein Brot, wenn man seine Ernte rettet. Früher verkaufte man sie und hatte Geld, aber das ist nicht mehr Mode, das hat sich alles geändert. Jedermann beklagt M. d'HarouysDen General-Schatzmeister der Bretagne.; man versteht nicht, wie er seine Aufgabe lösen kann, noch was man von den Ständen verlangen wird, wenn es überhaupt noch Stände gibt. Kurz, Du kannst darauf rechnen, daß es keine Bretagne mehr gibt, und das ist schade. Mein Sohn ist sehr aufgeregt darüber, daß der Chevalier de Lauzun die 96 Erlaubnis bekommen hat, seine Stelle zu verkaufen. Wir haben an de la Trousse geschrieben, der mit Louvois sprechen wird, damit der Fähndrich aufsteige, ohne daß es etwas kostet. Wir werden sehen, wie es sich macht. D'Hacqueville kann Dir früher darüber berichten als ich. Es tröstet mich ein wenig, daß der Weg von der Erlaubnis seine Stelle zu verkaufen bis zum Finden eines Käufers weit ist. Die Zeiten sind nicht mehr wie vor sechs Jahren, wo ich Louvois fünfundzwanzigtausend Taler einen Monat früher bezahlte, als ich es ihm versprochen hatte. Heute könnte man keine zehntausend Franken in der Provinz finden.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 3. November 1675

Auf Allerheiligen waren M. Boucherat und M. de Harlay, sein Schwiegersohn, bei mir zum Mittagessen. Sie begeben sich in die Ständeversammlung, die eröffnet wird, sobald alles anwesend ist. Sie sagten mir ihre Ansprache; sie ist sehr schön. Die Anwesenheit des M. Boucherat wird der Provinz sehr heilsam sein.

M. und Mme. de Chaulnes sind nicht mehr in Rennes. Man mildert die Strenge; es ist so viel gehängt worden, daß man damit aufhört. Es bleiben nur zweitausend Mann in Rennes.

 

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An Mme. und M. de Grignan

Les Rochers, Mittwoch, den 6. November 1675

Welcher Brief, meine Beste! Welchen Dank bin ich Dir schuldig dafür, daß Du Deine Hand, Deine Augen, Deinen Kopf und Deine Zeit verwendest, mir ein so liebenswürdiges Buch zu verfassen! Ich habe es gelesen und wiedergelesen und werde es nochmals mit viel Vergnügen und großer Aufmerksamkeit lesen. Es gibt keine Lektüre, die mich mehr interessieren könnte; Du befriedigst meine Neugierde in allem, was ich wissen wollte, und ich bewundere die Sorgfalt, mit der Du mir so pünktlich antwortest. Das 97 gibt eine geregelte und ganz köstliche Unterhaltung. Aber, meine Tochter, ermüde Dich nicht. Wenn ich das fürchten müßte, verzichtete ich lieber auf die Wiederholung solcher Unterhaltungen. Du wirst überzeugt sein, daß viel Edelmut darin liegt, wenn ich Sorge trage, daß Du nicht zu viel schreibst.

Ich würdige das Ansehen, das M. de Grignan in der Provence genießt, nach dem was ich hier erlebt habe, und freue mich darüber. Das ist eine Annehmlichkeit, die Ihr nicht mehr empfindet; Ihr seid zu sehr daran gewöhnt in einer Provinz, in der Ihr befehlt, auch geehrt und geliebt zu werden.

Wenn Ihr den Schrecken und den Abscheu sähet, den man hier vor dem Gouverneur hat, und wie man ihn haßt, würdet Ihr die Annehmlichkeit empfinden, überall verehrt zu werden. Welcher Schimpf! welche Beleidigungen! welche Drohungen! welche Vorwürfe! samt den hübschen Steinen, die um sie herumfliegen! Ich glaube nicht, daß M. de Grignan den Posten unter solchen Bedingungen haben möchte; da hat er doch ein anderes Glück.

Meine Gute, Du sprichst mir von der heroischen Unterschrift, die Du für ihn gegeben hast; Du zweifelst nicht an der guten Gesinnung unsres Kardinals (ich rede nicht von der meinigen), und doch siehst Du, was er Dir rietFrau de Grignan hatte sich für ihren Mann verbürgt. Der Kardinal Retz hatte davon abgeraten.. Es gibt gewisse Dinge, meine Tochter, bei denen man nicht raten kann. Man legt die Sache dar; die Freunde tun ihre Pflicht, wenn sie das Interesse derer, die sie lieben, nicht aufs Spiel setzen. Aber wenn man ein so edles gutes Herz hat wie Du, zieht man nur sich selbst zu Rat und tut genau, was Du getan hast. Hast Du nicht bemerkt, wie sehr man Dich bewundert? Bist Du nicht zufrieden, da Du ohne fremde Einwirkung zu einem so schönen Entschluß kamst? Du konntest nicht unrecht handeln; hättest Du nicht unterschrieben, so hättest Du wie die andern Menschen gehandelt. Da du aber unterschriebst, handeltest Du größer als sie. Kurz, mein Kind, freue Dich Deiner schönen Handlung und verachte uns nicht, denn wir haben unsre Pflicht getan, und 98 bei einer ähnlichen Gelegenheit würden wir vielleicht handeln wie Du und Du wie wir. Alles ist gut verlaufen. Ich bin froh, daß M. de Grignan diesen Freundschaftsbeweis durch größere Sorgfalt in seinen Geschäften belohnt. Die Klugheit, die Du an ihm lobst, ist der wahre Beweis der Dankbarkeit, die Du von ihm verlangst.

 

An M. de Grignan

Herr Graf, ich bin entzückt darüber, daß sie mit Ihnen zufrieden ist; erlauben Sie, daß ich Ihnen dafür danke, da ich so großen Anteil daran nehme, und ich beschwöre Sie so fortzufahren. Täten Sie es nicht, so wären Sie undankbar und würden dem Blut der Adhémar Schande machenDie Familie der Grafen Adhémar de Grignan gehörte zu den ältesten und vornehmsten Geschlechtern der Provence. Aymar oder Adhémar zeichnete sich auf dem ersten Kreuzzug aus und starb 1098 zu Antiochia an der Pest.. Ich sehe einen auf dem Kreuzzug. Er war ein großer Herr vor sechshundert Jahren, geliebt wie Sie, und hätte niemals einer Frau wie der Ihrigen nur einen Augenblick Kummer machen können. Sein Tod versetzte eine Armee von dreihunderttausend Mann in Trauer, und alle Fürsten der Christenheit weinten um ihn. Ich sehe auch einen Castellane, aber der war nicht so alt, er ist modern, es sind nur fünfhundertzwanzig Jahre her, daß er eine große Rolle spielteEin Castellane wird – vielleicht irrtümlich – als Teilnehmer des ersten Kreuzzugs genannt. Der Scherz der Frau de Sévigné über dessen Alter ist irrig. Die Castellane bilden einen Zweig des Geschlechts Grignan.. Ich beschwöre Sie also bei den zwei Vorfahren, die mir besonders wert sind, verlassen Sie sich in der Führung Ihrer Geschäfte auf Mme. de Grignan, und wenn Sie es tun, werden Sie sehen, was Sie dabei gewinnen.

 

An Mme. de Grignan

Meine Gute, ganz ohne es zu wollen und ohne daran zu denken, schreibe ich einen großen Brief an M. de Grignan. 99

Da Du mich nicht bedauerst, wenn ich ganz von Truppen umgeben bin, und da Du glaubst, mein Vertrauen sei nicht begründet, so wirst Du Mitleid mit mir haben, wenn Du erfährst, daß wir in Rennes zweitausendfünfhundert Mann weniger haben. Das ist grausam, nachdem wir erst fünftausend hatten.

Ich bin entzückt, daß Dir Josephus und Herodes und Aristobulus gefallen; ich bitte Dich, fahre nur fort, lies die Belagerung von Jerusalem und von Jotapata. Geh nur mutig daran, alles ist schön, alles ist groß, diese Lektüre ist prachtvoll und Deiner würdig; gib sie nicht ohne weiteres auf. Ich stecke jetzt in der französischen Geschichte, die Kreuzzüge haben mich hineingeführt, sie sind aber selbst nicht mit den schwächsten Partien in Josephus zu vergleichen. Wie beweint man Aristobulus und Mariamne! Meine Liebe, Gute, ach! warum sagst Du mir, was ich nach der Lektüre des von Dir gesandten Buches sagen würde:

Die großen Schwätzer sind mir stets verhaßt?Bezieht sich auf den Brief Nr. 62, in dem von einer Schrift der Gräfin Grignan die Rede ist. Der angeführte Vers ist aus Molières Dépit amoureux II. 8.

Es sind Geschichten, Episoden und tausend schöne Dinge in Deinem Buch; ich aber schreibe seit zwei Stunden, und habe nichts gesagt, kurz, es ist eine wahre Manie bei mir, durchaus mit Dir reden zu wollen. Nun aber schließe ich doch und umarme Dich zärtlichst. Ich bin ganz wohl, die Abende sind etwas lang, und es regnet; das ist alles, was ich weiß.

Der Bischof von Tulle hat alle Erwartungen bei Turennes Leichenfeier übertroffen, seine Rede sichert ihm die UnsterblichkeitMascaron, Bischof von Tulle. Seine Trauerrede auf Turenne war in der Tat seine beste und hat seinen Namen bis heute noch in der Literaturgeschichte erhalten..

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 13. November 1675

Du sagst nichts davon, ob Ihr in Eurer Versammlung gut behandelt worden seid, und dem König nur das 100 gewöhnliche Geschenk zu machen braucht. Das unsere ist erhöht worden, ich hatte Lust, den guten BoucheratSiehe Note zum Brief 43. zu ohrfeigen, als ich davon reden hörte. Ich glaube nicht, daß man nur die Hälfte wird geben können. Die Stände werden morgen in DinanStadt in der Bretagne, nahe bei St. Malo. eröffnet. Das ganze arme Parlament ist in Vannes krank, Rennes ist eine verödete Stadt. Die Strafen und Steuern waren grausam, ich könnte Dir darüber bis morgen früh tragische Geschichten erzählen.

Du wunderst Dich, daß ich einen kleinen Hund habe; höre, wie es kam. Ich rief neulich den Hund einer Frau, die am Ende des Parks wohnt. Mme. de Tarente sagte mir: »Wie! Sie können einen Hund rufen? Ich will Ihnen einen wunderhübschen schicken.« Ich dankte ihr und sagte, daß ich den Entschluß gefaßt hätte, mich nicht mehr auf eine derartige Zuneigung einzulassen. Ich dachte nicht mehr an das Gespräch, aber zwei Tage später sah ich einen Diener mit einem kleinen Hundehaus eintreten, das mit Bändern reich geschmückt war. Und aus dem hübschen Haus sprang ein ganz parfümierter Hund von außerordentlicher Schönheit und klein wie »Sylphide«. Ich war erstaunt und in großer Verlegenheit. Ich wollte ihn zurückschicken, aber man wollte ihn nicht zurücktragen. Die Zofe, die ihn aufgezogen, ist fast vor Schmerz darüber gestorben. Der kleine Hund liebt MarieDie Kammerfrau., er schläft in seinem Haus in Beaulieus Zimmer, und frißt nur Brot. Ich will ihn nicht liebgewinnen, aber er fängt an, mich zu lieben, und ich fürchte zu unterliegen. Das ist die ganze Geschichte, aber sei so gut und melde sie nicht nach Paris an MarphiseMme. de Sévignés Schoßhund, den sie in Paris gelassen hatte., denn ich fürchte die Vorwürfe. Übrigens ist er von erstaunlicher Reinlichkeit, er heißt Fidèle; das ist ein Name, den die Liebhaber der Prinzessin nie zu tragen verdienten. Ich erzähle Dir ein andermal ihre Abenteuer.

Freilich ist ihr Stil voller Ohnmachten, und sie hat wohl nicht Muße genug gehabt, um ihre Tochter so zu lieben, daß sie es wagen darf, sich mit mir zu vergleichen. Es 101 gehörte mehr als ein Herz dazu, so viele Dinge auf einmal zu lieben. Bei mir merke ich täglich, daß die großen Fische die kleinen fressen. Wenn Du mein Schutzmittel bist, wie Du meinst, bin ich Dir sehr verbunden; ich kann die Freundschaft, die ich für Dich habe, nicht hoch genug schätzen. Ich weiß nicht, vor was sie mich behütet hat, aber wenn es selbst vor Feuer und Wasser gewesen wäre, könnte sie mir nicht werter sein. Es gibt Zeiten, wo ich mich wundere, daß man erraten läßt, wie viele Eroberungen man hätte machen können. Die gute Prinzessin ist sehr stolz auf die ihrigen, trotz ihres Spiegels, der ihr jeden Tag sagt, daß man mit einem solchen Gesicht sogar alle Erinnerung daran aufgeben muß. Sie hat mich sehr gern, in Paris würde man darüber klatschen, hier ist es eine Gunst, die mein Ansehn bei meinen Bauern steigert. Ihre Pferde sind krank, sie kann nicht hierher kommen, und ich gewöhne sie nicht, meinen Besuch öfters als alle acht oder zehn Tage zu erwarten. Ich sage ihr in meinem Herzen, wie M. de Bouillon zu seiner Frau: »Wenn ich zu Wagen Aufwartungen machen und nicht in Les Rochers sein wollte, ginge ich nach Paris.«

Der Nachsommer hält an, und meine Spaziergänge sind sehr lang. Da ich den Gebrauch eines Tragsessels nicht kenne, so ruhe ich meinen Körper einfach längs der Alleen aus. Ich bringe ganze Tage dort allein mit einem Diener zu und komme nicht zurück, bis es wirklich Nacht ist, und das Feuer und die Kerzen mir mein Zimmer gemütlich machen. Ich fürchte mich vor der Dämmerung, wenn man nicht plaudert. Ich fühle mich im Wald wohler als allein in einem Zimmer. Das heißt aus Furcht vor dem Regen sich ins Wasser setzen, und ich finde mich besser in meine Einsamkeit, als in die Langeweile eines Tragsessels. Du brauchst den Abendtau nicht zu fürchten, mein Kind, in den alten Alleen fällt keiner, das sind Galerien, aber den starken Regen kannst Du fürchten, denn dann muß ich umkehren und ich kann nichts tun, wovon ich nicht Augenschmerzen bekäme. Um meine Augen zu erhalten, gehe ich in das, was Du den Tau nennst. Beunruhige Dich nicht über meine Gesundheit, sie ist sehr gut.

Ich danke Dir dafür, daß Du Gefallen an Josephus findest; nicht wahr, es ist die schönste Geschichte, die man 102 sich nur denken kann. Ich schicke Dir durch RipertDer Bruder eines Geistlichen zu Grignan. einen dritten Teil der »Essais de Morale«, die ich ausgezeichnet finde. Du wirst sagen, es sei der zweite Teil, aber das Buch »Über die Erziehung eines Fürsten« gilt als der zweite und dieser als der dritte Teil. Es findet sich darin eine Abhandlung »Über die Selbsterkenntnis«, mit der Du zufrieden sein wirst, eine andre »Über den Gebrauch, den man von schlechten Predigten machen kann«, die Dir am Allerheiligentag von Nutzen gewesen wäre. Du tust wohl daran, meine Tochter, daß Du das Italienische nicht vergessen willst, es wäre eine Schande. Ich mache es wie Du, und lese ein wenig italienisch.

Was Du von M. de Chaulnes sagst, ist köstlich. Gestern hat man in Rennes einen Menschen lebendig gerädert, der die Absicht eingestanden hat, ihn umzubringen. Das ist der zehnte, der denselben Vorsatz hatte. Die Ärzte hierzuland sind nicht so gefällig, wie die in der Provence, welche M. de Grignan aus Respekt gestatten, Fieber zu haben. Die hiesigen würden dem Gouverneur ein Scharlachfieber für nichts rechnen, und keine Rücksicht könnte sie dazu bringen, sein Übel für gefährlich zu erklären. Als das Parlament ins Exil geschickt wurde, sollte es sich damit loskaufen, daß es einwilligte, in Rennes eine Zitadelle zu bauen; aber die edle Gesellschaft zog es vor, stolz zu gehorchen und verließ die Stadt schneller, als man wünschte, denn alles hätte mit Unterhandlungen geendet, aber man zieht das Übel den Heilmitteln vor.

Meine Tochter, Du hattest am Allerheiligentag eine zu gute Meinung von mir; gerade an dem Tag kam M. Boucherat mit seinem Schwiegersohn zum Essen hierher, so daß ich meine Andacht nicht verrichten konnte. Ich wünschte sehr, der Erzbischof brächte die Heirat zustande, die Euch so angenehm ist.

Du schlägst mir als Kur eine kostbare Nahrung vor; ich stehe Dir nicht ganz dafür ein, daß ich gehorche. Aber wahrhaftig, ich esse nicht viel, ich schaue die Kastanien gar nicht an, und bin nicht dicker geworden. Meine 103 Spaziergänge verhindern mich, von meinem Nichtstun zu profitieren.

Lebe wohl, mein liebes Kind, Du bist also wirklich überzeugt, daß ich meine Tochter mehr liebe als andere Mütter? Du hast recht, Du bist der liebste Gedanke meines Herzens, und ich verspreche Dir, niemals einen andern zu haben, selbst wenn ich auf meinem Weg eine Verjüngungsquelle fände. Bei Dir, meine Tochter, ist es etwas andres; wenn ich denke, wie gerne Du Schokolade getrunken hast, weiß ich nicht, ob ich nicht zittern mußSchokolade und Kaffee fanden erst damals mehr Aufnahme.. Kann ich hoffen, liebenswürdiger zu werden, und vollkommener und Gott weiß was all noch? Sie machte Dir Herzklopfen? Kann man sich solchen Glückes rühmen? Du solltest mir solche Unbeständigkeit verbergen. Lebe wohl, meine liebste Gräfin, sage mir, ob Du schläfst, ob Du nicht rot im Gesicht bist, ob Du ißt, ob Dein Teint schön ist, und ob Dir Deine schönen Zähne nicht weh tun? Mein Gott! wie gerne sähe ich Dich und möchte Dich umarmen.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 17. November 1675

Ich habe den Besuch eines Präsidenten gehabt, wegen eines Geschäfts, das ich so schnell wie möglich zu Ende bringen will, um meine Rückkehr zu beschleunigen. Der Präsident hatte den Sohn seiner Frau bei sich, einen jungen Menschen von zwanzig Jahren, der das gewinnendste und hübscheste Gesicht hatte, das ich je gesehen. Ich sagte ihm, daß ich ihn vor fünf oder sechs Jahren gesehen hätte, und daß ich mich wunderte, wie man in so kurzer Zeit derart wachsen könne. Da kam mit einemmal aus dem hübschen Gesicht eine schreckliche Stimme, die mir gar komisch den Satz hinwarf, daß Unkraut nicht vergeht. Wenn er mir einen Keulenschlag auf den Kopf versetzt hätte, würde er mir nicht weher getan haben. Ich habe geschworen, daß ich keinem Gesicht mehr trauen will. 104

Ich sende Dir heute Nachrichten aus unsrer Provinz, ich habe ein ganzes Bündel Briefe bekommen: von Boucherat, Lavardin und d'Harouys; sie berichten über alles. M. de Harlay verlangte drei Millionen, eine Summe, die nur einmal bezahlt wurde, damals, als der König nach Nantes kamIm Jahre 1661.; ich hätte es für einen Spaß gehalten. – Als ob sie wahnsinnig wären, versprachen sie, sogleich das Geld zu geben, und M. de Chaulnes schlug außerdem vor, eine Deputation an den König zu senden, um ihn der Treue der Provinz zu versichern. Sie sollte ihm Dank dafür sagen, daß er in seiner Gnade Truppen geschickt und den Frieden hergestellt habe, und sollte ferner beteuern, daß der Adel keinen Anteil an den Unruhen gehabt habe. Der Bischof von Saint-Malo rüstete sich, den Klerus zu vertreten, Tonquedec wollte für den Adel gehen, aber der Präsident, M. de RohanDer Herzog von Rohan., ging selbst; ein anderer war noch für den dritten Stand dabei. Die drei kamen gestern durch Vitré. Es ist noch nicht dagewesen, daß ein Präsident des Adels einen solchen Gang getan hat. Nur ein Beispiel findet sich in den Chroniken, von einem portugiesischen General, der selbst die Nachricht von seinem Sieg über die Spanier überbringen wollte, und seine unglückliche Armee im Rachen des Wolfs ließ. Man versteht den Grund der Deputation nicht recht; ich für mein Teil glaube, daß alles im voraus abgemacht ist, und daß sie uns allerlei Gnaden zurückbringen. Ich werde Dir's seinerzeit melden.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 20. November 1675

Wir erwarten die Rückkehr Rohans und des Bischofs von Saint-Malo. Obgleich sie einfach nur gegangen sind, um dem König unsern guten Willen zu melden (denn ich glaube, das wird alles sein), so bin ich doch überzeugt, daß sie einige Gnadenakte mitbringen. Die Stände halten schon zweitausend Pistolen für jeden von ihnen bereit. 105 Unsere Freigebigkeit ist schon zur offenbaren Verrücktheit geworden. Ich glaube, die lächerliche Übertreibung ist diesmal besser als ein Beschluß, dessen Ausführung im Reich der Möglichkeit läge. Bei all dem bedaure ich nur d'Harouys, dessen Ruin in einer Zeit, wo man Geld verlangt und zugleich jede Steuerzahlung unmöglich macht, so gut wie sicher ist.

Ich unterhalte mich damit, große Bäume fällen zu lassen; der Wirrwarr, der daraus entsteht, gibt ein natürliches Bild der Tapeten, auf denen die Winterarbeiten gemalt sind. Bäume, die man fällt, Menschen, die sägen, andere, die Scheiter machen, wieder andere, die einen Karren beladen, und ich in der Mitte, da hast Du das Bild. Ich werde auch Bäume pflanzen lassen; denn

»was tun in Les Rochers, wenn man daselbst nicht pflanzt?«Anspielung auf den Vers in der Fabel Lafontaines »Der Hase und die Frösche«: Car que faire en un gîte, à moins que l'on ne songe?

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 24. November 1675

Die Königin hat neulich an einem Vormittag die Messe versäumt und zwanzigtausend Taler verloren. Der König sagte ihr: »Madame, machen wir den Überschlag, wieviel das im Jahr beträgt« Und Montausier sagte ihr am folgenden Tag: »Wollen Sie heute wieder die Messe wegen des Hocaspiels versäumen, Madame?« Sie wurde sehr zornig. Die Leute, die aus Versailles zurückkommen, haben mir all das Geschwätz gemeldet.

Du scherzest über unser Elend. Man rädert uns aber nicht mehr so sehr, nur einmal alle acht Tage, um die Justiz in der Übung zu erhalten. Es ist wahr, die Hängerei kommt mir jetzt wie eine wahre Erfrischung vor. Ich habe eine ganz andere Idee von der Gerechtigkeit, seit ich in dem Land hier bin. Eure Galeerensträflinge erscheinen mir wie eine Gesellschaft anständiger Leute, die sich von der Welt zurückgezogen haben, um ein ruhiges 106 Leben zu führen. Wir haben Euch deren zu Hunderten geschickt, aber unglücklicher als sie sind jene, die hier geblieben sind. Ich sprach Dir von den Ständen und der Furcht, daß man sie abschaffen werde, um uns zu strafen; aber wir haben sie noch, und Du siehst, daß wir sogar drei Millionen geben, als wenn es gar nichts wäre. Wir setzen uns über den kleinen Umstand hinaus, daß wir sie nicht bezahlen können, das ist uns eine Lappalie. Du fragst mich, ob wir ganz ruiniert sind? Ja und nein. Wenn wir nicht weg von hier wollten, könnten wir umsonst hier leben, denn man kann nichts verkaufen. Geld aber gibt es keins mehr in der ganzen Provinz.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 27. November 1675

Unsere Deputierten, die so abenteuerlich fortrannten, um die Nachricht von dem Geschenk zu überbringen, haben die Genugtuung gehabt, daß unsere Gabe ohne Unwillen angenommen worden ist. Aber gegen die Hoffnung der ganzen Provinz kommen sie zurück, ohne irgendeine Gnade mitzubringen. Ich werde von Briefen über die Stände überhäuft, jedermann beeilt sich, mir darüber zu berichten; die Unterhaltung über die Widerwärtigkeiten ermüdet mich. Die Stände versuchen die Geschenke und Jahrgehalte zu verringern und berufen sich auf alte Verordnungen, die alles auf die Hälfte herabsetzten. Aber ich wette, daß nichts daraus wird, und da unsere Freunde, die Gouverneure, Vizegouverneure, Regierungskommissare, Präsidenten und andere davon betroffen werden, wird man weder die Kühnheit, noch die Großmut haben, etwas zu streichen.

Wir arbeiten daran, eine dumme Geschichte mit einem Präsidenten zu Ende zu bringen, um die Restzahlung für ein Gut erheben zu können; das hält uns jetzt noch aufFrau de Sévigné hatte dem Präsidenten des Parlaments, Vicomte de Mesneuf, das Gut la Baudière verkauft; da man aber bei dem Kaufbrief vergessen hatte, die Gerichtshoheit des Käufers zu erwähnen, behielt dieser sechstausend Franken zurück, bis er zu seinem Recht gekommen war.. 107

Ich unterhalte mich abends damit, die Geschichte der Gefangenschaft und Befreiung des Prinzen Condé zu lesen. Man spricht darin unaufhörlich von unserm Kardinal. Es kommt mir vor, als wäre ich erst achtzehn Jahre alt. Ich erinnere mich an alles, und das ergötzt mich sehr. Ich bin mehr von der Größe der Buchstaben entzückt, als von der Güte des Stils, das ist das einzige, was bei meiner Abendlektüre in Frage kommt. Lebe wohl, geliebtes Kind, Du bist meine wahre Liebe, und was mir in der Welt am besten gefällt.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, 1. Dezember 1675

Nun ist es in Ordnung, meine Teure; ich bekomme zwei Deiner Briefe auf einmal, und dann kommt ein Kurier, der mir nichts bringt. Aber welches Gesicht mache ich ihm auch, und wie behandle ich ihn im Vergleich mit dem andern. Ich bin wie Du, mein Kind; ich gäbe Geld darum, wenn ich mit den Antworten so ruhig sein könnte, wie der Koadjutor, und sie, ohne mich zu beunruhigen, zwei bis drei Monate in der Tasche behalten könnte. Aber wir sind so dumm, daß uns die Antworten auf dem Herzen liegen. Es gibt viele Briefe, die ich schreibe, um sie geschrieben zu haben. Die vornehme Gleichgültigkeit ist eine Gabe Gottes. Mme. de Langeron sagte von den Besuchen, und ich wende es auf alles an: »Was ich tue, ermüdet mich, und was ich nicht tue, beunruhigt mich.« Ich finde den Ausspruch sehr gut, und ich empfinde ebenso. Ich tue also ungefähr das, was ich muß, und antworte immer; dabei bin ich noch. Dir gebe ich mit Vergnügen das Schönste und Beste von allem, das heißt, die Blume meines Geistes, meines Kopfes, meiner Augen, meiner Feder, meines Tintenfasses; mit den anderen geht's wie's geht. So gut ich mich unterhalte, wenn ich mit Dir plaudere, so schwer fällt es mir, an andere zu schreibenSiehe den Brief 60..

Wo Dein armer kleiner Frater hingeschlüpft ist, weiß ich nicht, er hat mir seit drei Wochen nicht geschrieben. 108 Er hatte mir nichts von dem Ausflug an die Maas gesagt, alle Welt glaubt, er sei hier. Sein Schicksal ist wirklich traurig. Ich sehe kein Mittel, die Stelle für ihn zu erwerben, außer wenn Lauzun die Fähndrichstelle an Zahlungsstatt nähme, nebst einer Zugabe, die wir auftreiben müßten. Denn jene Stelle zu kaufen, und dabei die Fähndrichstelle auf dem Halse zu behalten, ist unmöglichLauzun war enseigne, und stark im Rang über dem Fähndrich (guidon)..

Ich werde hier das Jahr ganz friedlich beschließen. Es gibt Zeiten, wo der Ort ziemlich gleichgültig ist.

Nun sind die armen Gascogner ebenso übel daran wie wir. Man schickt uns noch sechstausend Mann für den Winter. Wenn die Provinzen nicht zur gelegenen Zeit revoltierten, wäre man in Verlegenheit, was mit all den Truppen zu beginnenIn Bordeaux waren ähnliche Unruhen ausgebrochen wie in der Bretagne und wurden auch mit ähnlichen Mitteln unterdrückt..

Ich glaube nicht, daß der Friede so nahe ist. Denkst Du noch daran, welche Betrachtungen man über den Krieg anstellte, und daß viel Menschen ihr Leben lassen müßten! So etwas kann man immer mit Sicherheit prophezeien, ebenso, daß mich Deine Briefe nie langweilen, so lang sie auch seien. Du kannst es glauben, es ist meine liebste Lektüre.

Ripert bringt Dir einen dritten kleinen Band der »Essais de Morale«, der mir Deiner würdig scheint. Ich habe nie größere Kraft und Energie des Stils gesehen als bei diesen LeutenDen Jansenisten von Port-Royal, zu denen Nicole, der Verfasser der »Essais«, gehörte.. Wir kennen alle Worte, die sie gebrauchen, aber es kommt mir vor, als hätten wir sie nie so gut verwendet gesehen. Morgens lese ich »die Geschichte Frankreichs«, nachmittags im Wald ein kleines Büchlein, wie die»Essais«, oder »Das Leben des heiligen Thomas von Canterbury«, das ich bewundernswert finde, oder »Die BilderstürmerVom P. Maimbourg.« und am Abend lese ich alles, was recht groß gedruckt ist; ich habe keine andere Regel. Liest Du noch immer Josephus? Sei mutig, mein Kind, und bring 109 das Buch in bewunderungswerter Weise zu Ende. Wenn Du die Kreuzzüge vornimmst, wirst Du zwei Deiner Vorfahren finden, und gar keinen aus dem großen Haus der V . . ., aber ich weiß gewiß, daß Du das Buch bei manchen Stellen hinwerfen und den Jesuiten verfluchen wirst, und doch ist die Geschichte herrlichMit dem Jesuiten meint Mme. de Sévigné den Verfasser der Geschichte der Kreuzzüge, den Pater Maimbourg..

Die Prinzessin und ich kramten neulich in den alten Papieren der verstorbenen Mme. de TrémouilleSchwester des großen Turenne.; es sind tausend Verse darunter. Wir fanden eine Masse Porträts, unter andern eins von mir, das Mme. de La Fayette unter dem Namen eines Unbekannten schriebEine vielgeübte Unterhaltung in den Gesellschaften jener Zeit war es, »Porträts« von sich oder Freunden zu schreiben, wobei man seinen Geist zeigen konnte.. Es schmeichelt mir, aber die, welche mich vor sechzehn Jahren allenfalls liebten, hätten es ähnlich finden können. Was kann ich auf die zärtlichen Worte, die Du mir sagst, erwidern, meine Beste, als daß ich ganz Dein bin, und daß Deine Freundschaft mir über alles in der Welt geht.

 

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An Mme. de Grignan

Les Rochers, Mittwoch, den 4. Dezember 1675

Heute sitze ich wie auf Nadeln beim Schreiben, denn ich erhalte Deine zwei Briefe jetzt immer Freitags auf einmal. Als ich vorgestern vom Spaziergang kam, fand ich am Ende des Mails den Frater, der niederkniete, sobald er meiner ansichtig ward. Da er drei Wochen lang verschwunden war, um Metten zu singenDie Metten werden gesungen, wenn der Morgen graut; Mme. de Sévigné will sagen, daß ihr Sohn die Nächte durchschwärmt habe., fühlte er sich so schuldig, daß er glaubte, sich mir nicht anders nähern zu dürfen. Ich hatte mir wohl vorgenommen, ihn auszuschelten, aber ich wußte nicht, wo ich den Zorn hernehmen sollte. Ich war froh, ihn zu sehen, Du weißt, wie unterhaltend er ist. 110 Er umarmte mich tausendmal und brachte die armseligsten Gründe der Welt vor, die ich für stichhaltig hinnahm. Wir plaudern viel, wir lesen, wir gehen spazieren und endigen so das Jahr, das heißt den Rest des Jahres.

Ich übergebe die Feder dem braven Jungen und umarme Dich herzlich.

Von Charles de Sévigné

Was kann man dem »braven Jungen« nachsagen? Man verstößt mich nicht, weil ich fünfhundertfünfzig Meilen in vierzehn Tagen zurückgelegt habe, und wenn ich mich unterwegs etwas aufgehalten hätte, wäre es ein so großes Unglück? Indessen werde ich ausgezankt, man flucht, weil ich nicht zu sehen war und man nicht den Zauber meiner Gegenwart genießen konnte. Das kommt davon, wenn man zu liebenswürdig ist; ach, mein Vater, warum hast Du mich so schön gemacht? Ich habe Deinen Brief erhalten und umarme Dich zärtlich, mein Schwesterchen.

 


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