Johann Gottfried Seume
Obolen
Johann Gottfried Seume

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Ueber das Spiel

Χρήματα δ᾿ οὐχ ἁρπακτὰ, ϑεόςδοτα πολλὸν ἀμείνω.
Hesiod.

Es ist in allen Verhältnissen von den heiligen und philosophischen Rednerstühlen, in Büchern aller Art schon so viel und so viel Gutes über diesen Gegenstand gesagt worden, daß man billig die Materie für erschöpft und einer ferneren Behandlung für unfähig halten sollte, wenn nur nicht diese leidige Erbsünde jetzt mehr als je in ihrer ganzen Stärke da stünde und jedem Raisonnement nicht mit blindem Trotz ins Angesicht starrte. Wenn ich also auch, wie ich sehr gern glaube, nichts Neues über die Sache zu sagen weiß und das Alte vielleicht nur halb so gut und so stark als Andere vorzutragen im Stande bin, so rechtfertiget doch die noch dauernde Stimmung unsers Zeitalters in Ansehung dieser unseligen Leidenschaft jeden Versuch, den auch ein Idiot der literärischen Geschichte mit philanthropischem Wunsche machen kann.

Das Spiel hat noch jetzt so sehr alle Gesellschaften von sogenanntem guten Ton in Beschlag genommen, daß es das erste Requisit eines Candidaten zu denselben ist, wie man sich gewöhnlich auszudrücken pflegt, eine Partie machen zu können. Und ein Mann, der dieses nicht versteht oder aus Grundsatz und Abneigung von dergleichen Beschäftigungen irgend eine schickliche, doch merkliche Entschuldigung findet, wird bald als ein homme qui n'a rien de sociable ganz vernachlässiget, so daß er kaum auf die allergewöhnlichste Höflichkeit Anspruch machen darf.

Jedermann begreift, wenn man nur vom Spiele spricht, daß darunter blos das Spiel der jetzigen Mode oder das Kartenspiel zu verstehen sei, welches seine Herrschaft so ausgebreitet und festgesetzt hat, daß man über demselben fast den Namen aller übrigen Spiele zu vergessen anfängt. Der Würfel, welcher ehemals der Entscheider des Schicksals aus der blinden Leidenschaft war, hat jetzt fast alle Anbeter verloren. Der Würfel verdient aber doch wahrlich wenigstens in dieser Rücksicht den Vorzug vor allen andern Methoden, wenn ein Mensch einmal so in Inconsequenz gefallen ist, daß er seinen Antheil an irdischen Glücksgütern durchaus dem Zufalle unterwerfen will, weil er diese Absicht am Schnellsten und Vollkommensten erreicht. Bei dem Spiele um Gewinn läßt sich durchaus nichts Würdiges denken; und thut man sodann nicht besser, lieber gar nichts zu denken? Wohin man kommt, sieht man Gruppen von emsigen Spielern, welche die ganze Aufmerksamkeit ihrer Seele auf ein buntes Blättchen gerichtet haben und mit der größten Unruhe und Angst auf dessen Umschlag warten, um entweder dem blinden Zufalle feurigen Dank zuzurufen oder gegen ihn Verwünschungen, Unsinn und Blasphemien auszustoßen, über denen das unverdorbene Menschengefühl erröthet. Ich bin keinesweges gesonnen, mich zum Moralisten der Nation aufzuwerfen; es ist aber doch gewiß keine Anmaßlichkeit, wenn ein Mann mit gewöhnlich hellen Gedanken und guten schlichten Empfindungen für alle seine Zeitgenossen, ohne Rücksicht auf Schaden und Gewinn für sich selbst, es wagt, sich einer Gewohnheit mit entgegenstemmen zu helfen, die unter der Firma der Geselligkeit wie ein tiefrollender Strom an dem Bau der Moralität und der wirklich edlen Geselligkeit selbst wühlt und durch Leichtsinn und Unbesonnenheit gewiß mehr Unglück unter den Menschen schafft, als die sinnreichste Bosheit kaum wirken kann.

Wenn ich von Spielern rede, so verstehe ich darunter immer noch sogenannte Spieler von Ehrlichkeit und gewöhnlichem Gewissen, die entweder in gänzlich anerkannten Hazardspielen oder sogenannten Commerschen, die es doch alle nach jetzigem Fuß wenigstens auch zur Hälfte sind, ohne Hinterlist dem Fall des Ohngefährs ihr Glück anvertrauen und außer der gewöhnlichen Aufmerksamkeit sich keines Vortheils bedienen. Leute, die ihre Zuflucht zu leider nicht ganz ungewöhnlichen Handgriffen nehmen, und deren Richtschnur der Wahlspruch ist: »Il faut entendre finesse pour oorriger la fortune!« sind durchaus zu sehr unter aller Verachtung aller leidlich ehrlich Gesinnten, als daß man nöthig hätte, noch ein Wort wider sie zu sagen; und doch genießen sie noch weit mehr Nachsicht, als man einer solchen capitalen Niederträchtigkeit gestatten sollte. Zuweilen habe ich mich bemüht, die Bewegungsgründe aufzusuchen, warum wol die große Menge der Leute von sogenanntem Ton das Spiel so ohne alle Einschränkung liebt oder wenigstens handhabt, und ich habe nur folgende mögliche Ursachen aufgefunden, außer welchen ich mir keine denken kann. Man spielt:

  1. um zu gewinnen,
  2. um zu verlieren,
  3. die Zeit zu vertreiben,
  4. der Mode zu folgen.

Die letzte Ursache ist in gewissen Verhältnissen die einzige, welche einigermaßen entschuldigen kann. Die drei ersten haben, wie ich zeigen werde, für eine Person von Sinn so wenig Rechtfertigendes, daß sich billig Jeder schämen sollte, sie für sich anzuführen. Wir wollen sehen.

Erstlich, ich setze mich nieder oder ich trete hin, um zu gewinnen. Man kann zwar nicht sagen, daß das Spiel nach den Naturgesetzen, wo positive bürgerliche Gesetze mit weiser Absicht nicht näher darüber bestimmen, an sich selbst ungerecht sei. Ein Jeder verfügt über das, was er mit Fug besitzt, nach seinem Gutdünken, ohne daß Jemand ihn in der Ausübung seines Eigenthumsrechts stören darf. Denn Jeder hat das Recht und die Freiheit, mit seinem Vermögen ohne Verletzung des Rechts eines Andern nach seiner Weise ein Narr zu sein, wie ihm beliebt. Jedes Spiel ist eine Art von Wette, wo der Ausgang den Gewinn entscheidet; Jeder setzt willig seinen Theil in die Schale und ist zufrieden, sich dem Ausschlag des Glücks ruhig zu unterwerfen. Nichts kann als eine ehrliche Wette angesehen werden, wo das Ende der in derselben gesetzten zweifelhaften Sache nicht beiden Partien völlig unbekannt, wirklich zweifelhaft und, ich darf sagen, ungewiß ist. Denn wenn eine Partie entweder des Ausganges mathematisch gewiß ist oder ihn durch einen andern Canal schon erfahren hat und dann die Wette noch eingeht, so kann man ihr mit Recht Unredlichkeit vorwerfen, und die Wette kann mit Grund als null angesehen werden. Ebenso darf ich sagen, wenn Jemand mit einem bekannt entschiedenen Uebergewicht im Spiel sich hinsetzt, gegen einen Andern, ganz sichtlich weit Schwächern, so ist die Partie von seiner Seite auf keine Weise redlich, obgleich hier der schwächere Theil kein Recht zur Klage haben kann, indem er die Geschicklichkeit und überlegene Fertigkeit seines Gegners kannte oder sie wenigstens voraussetzen mußte, und es also sein Wille war, sich mit ihm für die gesetzte Prämie zu messen. Nun entsteht aber die Frage, obgleich juristisch nach dem strengen Naturrechte kein Streit darüber sein kann, was der Mann der festeren Rechtschaffenheit darüber meinen wird, der Mann, welchem es nicht genung ist, daß ihn kein Mitbürger coram foro civili belangen kann, sondern der alle seine Gesinnungen und Handlungen auf der feineren Wage der Sittlichkeit, des moralischen Gefühls und der Philanthropie abwiegt. Ausgemacht leiden alle Diejenigen, welche sich hinsetzen zu spielen, sei es aus welcher Ursache es immer wolle, auf irgend eine Weise an einer Schwachheit des Geistes. Wer wollte sich nun wider die Schwachen rüsten, um von ihrer Schwachheit den Vortheil zu ziehen, den ihm eine größere Kenntniß und Geschicklichkeit über sie giebt? Wenn ein Anderer schwach und unvorsichtig genung ist, Blößen zu geben, ist es nicht offenbar feindselig, diese Blößen zu benutzen? Ist wol die geringste Würde und Gutmüthigkeit in dem Entschlusse, den Raub zu ergreifen, den seine Unbesonnenheit blos zum Köder hinhält? Alle Spielenden stehen also aus eigener Neigung beständig auf dem Kriegsfuße, und leider ist dieser Krieg nur allzu oft ebenso Elend schaffend und blutig als der, den die Götter der Erde meistens auch aus den nämlichen Ursachen führen. Auf alle Fälle ist es nicht großmüthig, von den Leidenschaften seiner Mitbrüder in den Augenblicken ihrer Blindheit zu seinem Vortheil Gebrauch zu machen; und hat man je gehört, daß es einem Manne zur Ehre gereicht hätte, sich ein Vermögen im Spiele erworben zu haben, auch wenn er während des ganzen Handels sich nie von der Handelsweise eines rechtlichen Mannes entfernte? Auf Moral darf man sich kaum berufen, wenn man nicht sogleich unter dem Namen eines Moralisten in die Classe der Pedanten will versetzt werden; und was kann dennoch wol ehrwürdiger, was kann wol heiliger und göttlicher sein als diese Führerin des Lebens, diese Stütze der Gesetze, diese Trösterin in allen Leiden, welchen die Gebrechlichkeit der besten Menschennatur immer noch so oft und mannichfaltig unterworfen ist? Das Wort Moral ist in sogenannten guten Gesellschaften, die leider nicht immer das sind, was ihr Titel anzeigt, schon so unwillkommen, als ob es durch seinen Ernst alle Freuden verscheuchte, da doch allein nur eine gute, festgegründete Moral die Base der dauerhaften, gesellschaftlichen Vergnügungen sein kann. Und ein Vergnügen, das nicht dauerhaft sein kann, das in seinen Wirkungen künftiges Mißvergnügen bald oder spät nothwendig zur Folge haben muß, verdient auch schon in der Analyse des gemeinen Menschenverstandes den Namen des Vergnügens nicht mehr.

Wer sich mit der Absicht an den Spieltisch setzt, seine ebbenden Finanzen wieder in Fluth zu bringen – und bei den Meisten dürfte dieses doch der nächste Bewegungsgrund sein –, bekennt geradezu, daß er sich von der Thorheit seiner Mitbrüder nähren will, und giebt dadurch zugleich zu verstehen, daß er andere, ehrlichere Erwerbungsmittel aus Mangel an Talent und Kraft nicht wählen kann oder aus Mangel an Thätigkeit und Fleiß nicht wählen will. Schon habe ich erklärt, daß falsche Spieler und Betrüger als der Abschaum jeder Gesellschaft keiner Notiz zu würdigen sind, da sie natürlich die ganze, nur leidlich ehrliche Welt schon hinlänglich stigmatisirt hat; aber die sogenannten Spieler von Profession in allen Classen, obgleich ihr Credit eben nicht sehr ehrenvoll ist, werden bei Weitem noch nicht mit der allgemeinen Verachtung angesehen, welche sie verdienen. Angenommen, sie gehen ohne Betrügerei und schlechte Kunstgriffe zu Werke, so ist doch der Gebrauch, den sie von ihrer unseligen Fertigkeit, von ihrer höllischen Feinheit und Aufmerksamkeit gegen die unkundigen, mit Blindheit geschlagenen Opfer machen, vor dem Gerichtshofe der strengeren Gerechtigkeit moralischer Männer durchaus nichts Anders als Gaunerei. Meistens sind Diejenigen, welche diese Methode halten, Subjecte, die ihre Modebedürfnisse auf Kosten der Andern, welche ebenso wie sie der Mode opfern, zu befriedigen suchen, nachdem sie ihre eigenen Fonds durch gewöhnliche Unbesonnenheiten geleert haben, die sie durch ehrenvolle Wege wieder herzustellen nicht Muth und Geschicklichkeit genung besitzen. Der Nutzen für sie ist sehr geringe, da sie meistens den Sieben gleichen, welche Wasser halten sollen; und ihre einzige Wirkung auf Andere ist, daß sie einen großen Theil Derer, die in ihre Sphäre kommen und lange in derselben verweilen, zu Ihresgleichen machen.

Der zweite Grund, den ich mir als Bestimmung zum Spiel vorstellen kann, nämlich die Absicht zu verlieren, ist höchst selten und eigentlich blos wörtlich, aber nicht im wahren Sinne denkbar. Sollte er stattfinden, so ist es nur in dem Gehirne eines offenbaren Bedlamiten, und also nicht mehr Grund, sondern blos Ursache. Ein alter Engländer sagt: »Es ist eine Tollheit, deren Cur aller Nieswurz trotzt, den Würfel zu rollen, ob unser Vermögen unser sein solle oder nicht.« Eigentlich wünscht Niemand Verlust; und wenn, wie nicht selten der Fall eintritt, Jemand Spielverlust wünscht und ihn geflissentlich befördert, so hofft er dafür gewiß irgend einen andern Gewinnst, dessen Natur schon aus dem Mittel, ihn zu erhalten, verdächtig wird. Also sucht wol zuweilen ein Minister dem Secretär eines andern für seinen Geldverlust die Geheimnisse seines Herrn abzugewinnen, und der Secretär hat durch den Gewinn einiger Goldstücke unbemerkt spielend seine Ehrlichkeit verloren. Die meisten jungen Männer, welche auf Artigkeit einigen Anspruch machen, sind in Verlegenheit, wie sie im Spiel gegen Damen sich benehmen sollen, indem sehr oft ihre Börse Verlust fürchtet und man es doch für einen Mangel guter Erziehung auslegt, wenn sie gewinnen. Man kann jetzt als die Hälfte der Spielpartien immer die Damen rechnen, so daß also diese Verlegenheit fast bei jeder Partie ist. Mich däucht, daß das ganze Arrangement nicht sehr zur Ehre unsers Zeitalters ist; aber noch weniger gereicht es den Damen zur Ehre, daß sie es als ein Privilegium des Geschlechts sich anmaßen, immer Gewinnerinnen sein zu müssen. Wenn ein Frauenzimmer aus irgend einem Grunde sich mit hin an den Spieltisch setzt, und auch unsere gewöhnlichen, sogenannten Commerschspiele müssen, so wie sie jetzt sind, mit darunter begriffen werden, so habe ich für sie noch weit weniger Entschuldigungen als für die Männer, da diese Beschäftigung von dem wahren, edlen Charakter der Weiblichkeit noch weiter entfernt ist. Wenn sich also eine Dame zum Spiel setzt, so wird sie dadurch sich gewiß keinen Anspruch auf höhere Achtung und Liebenswürdigkeit zu verschaffen hoffen; wenn sie mit der Idee des notwendigen Gewinnstes spielt, so würdigt sie die Vorzüge ihres Geschlechts sehr weit herab, indem sie es zum gröbsten Freibeuter gegen das andere macht; wenn aber durch den absichtlichen Verlust von der andern Seite bei ihr in anderer Rücksicht gewonnen wird, so ist in diesem Verluste der Gegenpartie für sie statt des Gewinnstes doppelter Verlust. Wenn ein Frauenzimmer, das sich durch Kleiderglanz, Haarkräuslermeriten, schönes Fuhrwerk und andere Friperie der großen und kleinen Mode fangen läßt, schon der Netze nicht werth ist, die man für sie legt, so ist die Gunst eines Frauenzimmers, im Spiele auf solche Weise gewonnen, gewiß ein reiner Verlust. Der Mann von Sinn entdeckt ihn sogleich, und der oberflächliche, geckhafte Stutzer fühlt ihn oft erst lange Jahre nachher, wenn die Hitze des Verderbens ihn an der Stirne brennt. Ich appellire in diesem Falle an den Geradsinn und das Ehrgefühl jedes feindenkenden Individuums beider Geschlechter und schweige von der zu niedrigen, obgleich oft gewöhnlichen Maschinerie der gröbsten Galanterie, wo das Spiel blos das Vehikel des Kupplerlohnes wird. Männer also, die auf diese Weise verlieren, wollen eigentlich nicht verlieren, sondern gewinnen, und sollten sie auch nur die gute Meinung der Uneigennützigkeit und Großmuth dadurch erwerben wollen, welches doch wol selten die reine Absicht allein sein dürfte. Das Mittel aber, sie zu erwerben, ist für den Mann von wahrem Sinn und ächter Philanthropie bei Weitem nicht dasjenige, welches er wählen wird. Zuweilen, obgleich seltener, giebt es auch Damen, die in gleicher Absicht an die Männer verlieren; und ich sehe nicht ein, warum von ihnen im Gegentheil nicht auch das Nämliche gelten sollte.

Eine minder moralisch zweideutige Methode, die aber doch nicht ohne ein überfeines und also falsches Ehrgefühl ist, bestehet darinne, wenn ein Reicher oder Vornehmer einem Armen, dem er wohlwill, und dessen kitzligen Empfindungen in dem, was man gewöhnlich point d'honneur nennt, er nicht beikommen kann, auf diese Weise ein Geschenk machen, mit andern Worten, eine Wohlthat erzeigen will. So wie sehr oft das ganze sogenannte point d'honneur auf verjährten falschen Vorstellungen beruht, so däucht mich, ist es auch hier der Fall. Entweder ich darf, ich will Geschenke annehmen, die mir ein anderer Wohlwollender zu machen gesonnen ist, oder ich darf, ich will es aus irgend einem Grunde nicht. Im erstern Falle sehe ich nicht ein, was mich hindern kann, das, was ich thun will, und wozu ich Grund zu haben glaube, öffentlich zu thun. Der Fall ist ganz gegenseitig. Was soll einen edeldenkenden Mann, der Unterstützung zu geben gesonnen ist, bestimmen, sie nicht auf die beste, die zweckmäßigste Weise zu geben? Geschieht dieses im Spiel? Ich zweifle sehr. Ueberzeugt Euern Mann, wenn er wirklich des Beistandes bedarf, daß es von ihm sehr falsche Scham sei, ihn von Euch, von dessen Verhältnissen, Verbindungen und Charakter er diesen Beistand am Füglichsten erwarten kann, nicht annehmen zu wollen. Ist er unüberwindlich und weicht jeder offenen Methode aus, so ist es eine Beleidigung für seinen Verstand, ihn trotz seiner Ueberzeugung auf eine versteckte Weise wider seinen Vorsatz handeln zu machen. Denn man wird doch sicher annehmen können, daß er einsehe, seine Gegenpartie im Spiel mache geflissentlich keinen Gebrauch von ihrem Glücke und ihrer Geschicklichkeit. Mit welchem Gefühl muß er nun dieses bemerken und während einer ziemlich langen Zeit zu bemerken fortfahren? Wenn das Annehmen der Wohlthat seinem feinen Ehrgefühl auf offenem Wege Ueberwindung kostet, so muß es durch diese halb heimliche Weise gefoltert werden; und ich habe wirklich Fälle gesehen, wo Personen voll glühenden Unwillens das Spiel verließen, weil sie die grausam wohlthätige Absicht der Gegenpartie deutlich merkten. Gesetzt, das wohlthätige Geschenk kommt durch diese Weise wirklich an seinen Mann, so verfehlt es doch höchst wahrscheinlich die gute Absicht des Gebers, nämlich die, wirklich bleibenden Vortheil zu schaffen. Ich glaube überhaupt, daß Derjenige, welcher im Spiele Geschenke anzunehmen fähig ist, in seinem Betragen einer sehr großen Reform bedarf. Ein Mann, welcher noch spielt, kann und darf noch keine Wohlthat empfangen, und ein Mann, welcher Wohlthaten annehmen darf, kann nicht mehr spielen, wenigstens darf er es nicht auf einem Fuß, daß er im Spiele Geschenke erhielte, die einigen Einfluß auf seine Oekonomie haben könnten. Die Großen ergreifen oft diese Methode, ihr Wohlwollen thätig zu beweisen. Die Absicht des Wohlwollens verdient Lob; die Methode scheint mir sehr wenig calculirt zu sein. Entweder müssen sie Den, welchem sie durch das Spiel helfen wollen, für sehr unbesonnen oder für sehr blödsinnig halten. Wie können sie glauben, daß ein Mann, dem sie bei einer solchen Gelegenheit auf eine sogenannte feine Art eine ziemliche Summe zufließen lassen wollen, die nämliche Summe nach gewöhnlichen Spielbegriffen gegen sie auf die Wage legen könne? Wie können sie dieses, ohne ihn der unverantwortlichsten Unbesonnenheit zu zeihen? Wie können sie aber annehmen, daß er ihre Absicht nicht merke, ohne ihn für blödsinnig zu halten? Und schont man denn wirklich des Ehrgefühls eines Mannes, dessen Verstand man compromittirt und dem man nicht Festigkeit der Begriffe genung zutraut, um mit ihm frei und offen sprechen und handeln zu können? Das Recht, dem Andern wohlzuthun, hat Jeder, aber nicht gegen des Andern Willen und Begriffe, weil dieses wirklich nicht Wohlthat wäre. Ist Derjenige, der mir wohlthun will, mein Freund, so hat er dazu das unbedingte Recht, und noch mehr das Recht, sein Wohlwollen mit seinem theilnehmenden, ernsten Rath zu begleiten, der oft mehr werth ist als die Unterstützung selbst. Die Großen haben durch ihre Verhältnisse im Staate und durch den Charakter, den sie in demselben behaupten sollen, schon die Befugniß, mit Jedem offenherzig und mit strenger Wahrheit über alle Begriffe zu sprechen, die nur irgend Einfluß auf das Schicksal von Individuen oder des Ganzen haben können. Sie dürfen also wol das falsche Ehrgefühl der überbedenklichen Männer berichtigen und von jeder Sache mit ihnen reden, wie sie ist, und nach diesen berichtigten Begriffen gegen sie handeln, anstatt ihre Empfindungen in einem irrsamen Seitenwege fortlaufen zu lassen. Wir sehen diese Wahrheit sehr deutlich, sobald wir aus der Sphäre der Mode und des falschen point d'honneur entweder überwärts oder herabwärts heraustreten. Der Monarch nimmt sich billig nicht die Mühe, wenn er Jemand ein Geschenk machen will, es in einer Partie L'Hombre an ihn zu verlieren; und niemals glaubt der Empfänger sich erniedriget, sondern vielmehr geschätzt durch einen solchen Beweis des Wohlwollens, der aber doch wahrlich mit andern Worten auch nichts Anders ist als eine Wohlthat. Der unpolirte Sohn der Natur auf dem Lande nimmt ohne Scham das gereichte Geschenk von seinem Gutsherrn, ohne sich deswegen für einen Bettler zu halten. Ferner glaube ich behaupten zu dürfen, daß die auf diese Weise im Spiel zugewandte Wohlthat meistens ihres Zwecks verfehlt. Die vertrauliche Mittheilung und der freundschaftliche Rath, als der bessere Theil des Geschenks, mangelt und muß nach der Natur der Sache mangeln. Der Spieler hat die Unterstützung auf eine leichtsinnige Art erhalten, denkt darüber auf dieselbe Weise und macht auf dieselbe Weise Gebrauch davon. Was auf dem Wege der Mode gewonnen ist, geht auf dem Wege der Mode wieder fort. Er schließt daraus, daß sein Gönner diese Methode, ihm seine Geschenke zuzustellen, einschlug, daß dieselbe an sich überhaupt durchaus ehrenvoll sei, er sieht diese Beschäftigung durch die ganze feine Welt in Credit, sein eigener Hang zieht ihn nicht zurück, und er schlendert unvermerkt in der eingeschlagenen Bahn fort, geht von der Mode zur Neigung, von der Neigung zur Gewohnheit, von der Gewohnheit zum Leichtsinn, von diesem zur Unbesonnenheit, von dieser zur Vergessenheit aller moralischen Grundsätze. Die erste Veranlassung war vielleicht die Methode, welche sein gutmeinender Wohlthäter wählte, ihm seine Güte thätig zu zeigen. Ich habe Personen gekannt, denen Männer von Ansehen in kurzer Zeit einige hundert Ducaten auf diese Weise schenkten; aber ich glaube, eben diese Weise war vorzüglich Schuld, daß diese Summen, die mit der gehörigen Vorsichtigkeit ihre kleine Oekonomie in den besten Stand hätten setzen können, mit eben der Leichtigkeit des nämlichen Weges wandelten, den sie gekommen waren. Von allen Fällen scheint also blos der großmüthige Fremde mit der größten Entschuldigung sich dieser Weise gegen einen Mann bedienen zu dürfen, dessen Mangel er erfahren hat, und dessen Verhältnisse ihn zurückhalten, offenherzig und freundschaftlich mit ihm zu sprechen; aber auch hier gilt Vieles von dem Obengesagten, und jeder Unbefangene wird gestehen, daß die Herren beide an dem Gängelbande der Mode laufen, nur der nichtigen Convention des Ceremoniels opfern und es nicht wagen, rein menschlich und philosophisch mit einander zu handeln.

Die dritte Ursache, welche einzelne Personen und ganze Gesellschaften haben können, sich um die Spieltische zu pflanzen, ist, die Zeit zu vertreiben. Man gesteht es sich oft laut, daß man blos wegen des Zeitvertreibs spiele, und bedenkt wol schwerlich, daß man sich selbst und dem ganzen Zirkel um sich her dadurch nicht allein keine Verbindlichkeit, sondern geradezu eine platte Sottise sagt. Nur ein Dummkopf oder ein Kranker kann Langeweile haben; Beide sind für keine Gesellschaft. Sollte eine beträchtliche Anzahl von gebildeten Personen nicht immer Stoff zu einer lehrreichen und angenehmen Unterhaltung finden können, da doch gewiß jede eine eigene Sphäre hat, in welcher sie nicht fremd ist? Und es gehört doch gewiß keine überschwängliche Kunst dazu, einige Stunden die Gegenstände der Unterredung aufzufinden; und es wird keine Demosthenische Beredsamkeit, so wenig als Kantischer Tiefsinn erfordert, sie discursiv mit einigem Interesse und einiger Anmuth von mehrern Seiten zu behandeln. Niemand wird mit der Erwartung in einen gesellschaftlichen Zirkel kommen, um daselbst abstracte Erörterungen zu hören oder vollendete Meisterwerke der redenden Künste anzutreffen, sondern gewiß blos mit der Hoffnung, durch muntern Witz, heitere Laune und angenehmen Scherz einige Mußestunden zu würzen und vielleicht hier und da einen treffenden, aus der Seele gegriffenen Gedanken zum künftigen Privatgebrauch oder öffentlichen Nutzen zu finden. Und ist diese Hoffnung nicht philanthropisch consequent, da in dem Strom der Fröhlichkeit, in dem Ergusse des unbekümmerten Herzens mancher Schatz hervorquillt, in der Wärme der Rede mancher Funke herausbricht, der ohne das elektrische Berühren des freundschaftlichen Zwistes in seiner Tiefe fortgeschlummert hätte? Ist denn unser jetziges Menschenleben so ganz an Interesse leer, daß die Zeit so schwer über unsern Häuptern hängt und wir, um ihrer los zu werden, zu der geschmacklosesten aller Beschäftigungen, der langweiligen Mischung bunter Papierfiguren, unsere Zuflucht nehmen müssen?

Dort sitzt ein Quarré von Menschen, ihre Augen auf die groteske Malerei der Karten geheftet, lauert mit dumpfer Aufmerksamkeit auf einige Dutzend zufällige Veränderungen derselben und erstickt allen Witz, alle Jovialität, die den frohen Menschen in geschäftlosen Augenblicken zu einem so interessanten Geschöpfe macht. Kein Fünkchen Geist spielt auf dem Antlitz der Spielenden; es ist Alles abgemessene, trockne, kalte Maschinerie; und wenn ja einmal ein Strahl von Leben, Satire, Ironie und Menschensinn hervorbricht, so löscht er sogleich unter Quatre honneurs, Trois levées, Premiers und dem übrigen Gefolge der tiefsinnigen Hieroglyphik plötzlich wieder aus. Kein Gedanke kann erscheinen, der nicht sogleich von der Spadille wieder verjagt würde, und nur höchst selten weckt ein lahmes Bonmot die gähnende Gesellschaft, wenn sie in ein concertirendes Schläfchen einzunicken bereit ist. Auf alle Fälle ist der Mann zu bedauern, der, um seiner Zeit quitt zu werden, solche Ressourcen aufsuchen muß. Seit Einführung der Spielkarten ist zwar ihr Gebrauch in alle Gesellschaften ohne Ausnahme, von dem Saale der besternten Minister bis in die geräucherte Dorfschenke, aufgenommen worden, und man sollte glauben, es sei ein allgemeines Bedürfniß vorhanden, welches sie nunmehr nothwendig machte. Aber diese Herrschaft sind sie blos dem Leichtsinne und dem Hange nach Gemächlichkeit in der menschlichen Natur schuldig, wie jede andere Mode, welche diesen beiden Schwachheiten schmeichelt. Jeder Mensch liebt bei aller seiner Furchtsamkeit doch immer etwas Wagliches; und in dem Spiele wagt er weiter nichts als ein Stück Geld und seine Zeit; das erste kommt bei einem Theil, das zweite bei dem andern sehr wenig in Anschlag; Beides ist also leicht zu wagen. Sodann hat die ganze Beschäftigung einen so gedankenähnlichen Gang, der doch im Grunde blos ein recht gemächliches, hinbrütendes Vegetiren ist, so daß, wenn das Spiel nicht meistens physischen und moralischen Schaden anrichtete, man es der menschlichen Indolenz immer als eine behagliche Anstrengung ihrer Austernthätigkeit gönnen könnte. Von dem moralischen Schaden habe ich schon Manches gesagt und werde noch Manches sagen; den physischen tragen beide Geschlechter vom guten Tone unter zwanzig modischen Namen zu nicht geringer Mitpeinigung aller Derer herum, welche das Schicksal in den Kreis ihrer Leiden und ihrer Thorheit einschließt.

Man wendet vor, daß es doch besser sei, sich mit gemalten Männerchen zu beschäftigen, als mit aller Lieblosigkeit gewöhnlicher Coterien über den guten Ruf seiner Mitbürger herzufallen. In dieser Rücksicht, muß man allerdings bekennen, hat man ein kleineres Uebel gegen ein größeres eingetauscht und also in der That gewonnen. Aber ist es denn durchaus nothwendig, daß Schadenfreude, Mißstellung der Charakter und boshafte Anstrengung, die Menschen schlechter zu machen, als sie wirklich sind, der Gegenstand der Unterhaltung sein müssen? Hat die Welt oder auch nur die kleine Peripherie um uns her nichts für das Interesse gewöhnlich guter Seelen, daß diese Lieblosigkeit wirklich zu befürchten ist? Muß denn durch jede Schwingung der giftigen Zunge ein guter Name sterben, durch jeden zweideutigen Blick Mißtrauen gegen eine Tugend erweckt werden? Wer wollte die menschliche Natur so tief herabwürdigen, um dieses von ihr zu glauben? Es ist allerdings in dem Menschen ein allgemeiner Kitzel der Freude bei dem Anblick, daß Andere nicht besser oder wol gar noch schlimmer sind als wir; aber Vernunft und berichtigtes Gefühl wissen ihn bei Wohlgesinnten zu unterdrücken und endlich gar zu ersticken. Schadenfreude und Schmähsucht sind zwar häßliche Züge in jedem Charakter; aber ihre Erscheinung hat doch durch den Contrast manche gute Wirkung für die Menschheit. Der Gegenstand derselben hat meistens wenigstens einige Schuld, wäre es auch nur der Schein des Vergehens, das man ihm zur Last legt. Auch dieser Schein muß nicht stattfinden, da in der Welt so viel nach dem Schein beurtheilt werden muß. Jede Person von Wahrheitsinn kann auf alle Fälle Vortheil von zugefügten sogenannten Beleidigungen ziehen; denn sind sie wahr, so hören sie eigentlich auf, Beleidigungen zu sein, und nur die böse Absicht des Gegners verdient Tadel, und Der, den sie treffen, muß daher Gelegenheit nehmen, sich wirklich zu bessern; sind sie nicht wahr, so ist ihr Urheber ein Narr oder ein Schurke, und Beide verdienen nicht mehr als kalte Verachtung; oder man dürfte kein Glas Wasser ohne die Furcht trinken, sich die Schwindsucht an den Hals zu ärgern, so oft ist man täglich in Gefahr, auf Beider Consortenschaft zu stoßen. Ihr vertraget gern die Narren, weil Ihr klug seid, sagt ein Mann, der aus langer Erfahrung sich eine herrliche Lebensphilosophie erworben hatte; und Schurkerei ist blos die giftige sublimirte Quintessenz der Narrheit. Durch diese Freiheit der Zunge lernt man ferner oft die häßlichen Geschöpfe kennen, deren Vergnügen es ist, die Schwachheiten der Menschen mit Geschicklichkeit auszuheben und in ein grelles Licht zu stellen; und es ist gut, daß man dergleichen Subjecte wirklich ausbezeichnet wisse, um sich des alten Hic niger est zu erinnern, so oft man sich ihnen nähert. Unsere Sphäre ist wahrlich nicht so leer an Gegenständen, die für Alle entweder wichtig oder wenigstens nützlich und angenehm sein können, und zu deren gesellschaftlicher Behandlung jedes Individuum sein Theil beizutragen im Stande ist, seien seine Einsichten noch so eingeschränkt. Wenn man sich nur nicht mehr schämen wird, Interesse am wirklich Interessanten zu haben und zu zeigen, zu lernen und mitzutheilen; wenn Mütter, ohne lächerlich zu werden, von Häuslichkeit und Erziehung, Männer, ohne Pedanten zu scheinen, über wahre Wirtschaftlichkeit oder über irgend einen philosophischen, politischen oder ästhetischen Gegenstand menschlich teilnehmend sprechen können, so wird man auch Hoffnung haben, daß das zeittödtende und vernunfterstickende Spiel endlich nach und nach seinen Einfluß verlieren werde.

Viertens ist wol die allergemeinste, wirksamste und nichtsbedeutendste Ursache der großen Herrschaft des Spiels die Mode. Diese Göttin regiert überhaupt mit blinder Despotie unter mancherlei Benennungen überall, wo sich die Strahlen der Vernunft vor dem Nebel der Leidenschaften zurückziehen müssen. Sie heißt bei den Großen Ceremoniel, bei den Theologen Ritual, bei den Rechtsgelehrten Observanz, bei den Aerzten Methode, bei allen Eingeweihten Glaube, bei allen Laien Sitte und Gebrauch. An alle diese Benennungen appellirt man gewöhnlich, wenn man in der Vernunft keinen andern Grund des Verfahrens mehr aufweisen kann; und sie haben, von dem Orden des goldenen Vließes an bis herab zu den Orden des Kuhschwanzes und der Elephantenblase, für ihre Behörde immer hinlängliche Giltigkeit. Ob nun gleich die Mode als Mode selbst sehr selten einen vernünftigen hinreichenden Grund hat, so hat doch immer ihr Ursprung seine wohlbedeutende Ursache. So verbargen die Perrücken Kahlköpfe, die Schnürleiber schiefe Seiten, die Reifröcke Hüftenfehler, die hohen Absätze und Aufsätze Pygmäengestalten, die Schnäbelschuhe unförmliche Füße und so weiter; und so verbirgt vermutlich das gewöhnliche Kartenspiel in seinem Ursprung nebst irgend einer Leidenschaft die Armuth und Schwachheit des Geistes, die in andern Beschäftigungen zu sehr sichtbar werden würde. Jede edle Art der gymnastischen Spiele hatte ihren Vortheil sogleich in sich selbst, indem jedes dem Körper freiere Bewegung schaffte, seine Kräfte stärkte und ihn biegsam machte und zur höhern physischen und ästhetischen Vollkommenheit bildete. Das Schachbrett, als Analogie des Kriegs, beschäftiget die Aufmerksamkeit und den Scharfsinn der Parteien auf eine nicht gewöhnliche Weise und giebt einem Militär die ersten allgemeinen Regeln seines Handwerks bildlich an die Hand. Aber dasselbe als eine große Schule der Kriegskunst überhaupt zu betrachten, würde wol gänzliche Unkunde der menschlichen Natur sowol als der Wissenschaft sein; denn Soldaten haben mit Schachfiguren auch weiter nicht die geringste Aehnlichkeit als ihre mechanische Stellung. Auf dem Brette schlägt nach der berechneten Regel in der Position die Figur gewiß ihre Figur; aber auf dem Felde schlägt in der Position nicht nothwendig der Mann den Mann oder ein Regiment ein Regiment, sondern das bessere schlägt das schlechtere; und es zeigt sich nur zu oft aus der Erfahrung, welcher Unterschied zwischen Bauer und Bauer, Springer und Springer, Thurm und Thurm ist. Doch hat das Spiel seinen Nutzen, indem es allgemeine Ideen giebt; aber welches Kartenspiel irgend einer Art hat nur den geringsten Vortheil nah oder entfernt auf das praktische Menschenleben? Ein Beweis, daß die energischen Abendländer nicht die ersten Erfinder dieses Tandes sein können, und daß es aus dem faulen Orient durch irgend eine Horde indolenter Betelkauer zu uns herübergekommen sein muß! Obgleich das Schachspiel auch orientalischen Ursprungs ist, so muß es doch mehr von Männern und aus einer Periode sein, deren Charakter etwas mehr als Unthätigkeit und gänzliche Gedankenlosigkeit war. Man findet Cohorten von Menschen, die nichts weniger als ausgezeichnete Gaben besitzen und fast alle nichts bedeutende Spiele mit den bunten Figuren in größter Vollkommenheit zu spielen wissen. Und gesetzt auch, wie denn dieses nicht ganz zu leugnen ist, daß die mancherlei Veränderungen des Kartenspiels auch wol etwas Sinnreiches für die Aufmerksamkeit haben können, so haben doch alle nicht den geringsten Bezug auf das menschliche Leben und stehen noch zehen Grade unter dem Kunstwerk, wo der Meister drei complete Kegelspiele in einen Kirschkern auf ein Fuhrwerk drechselt, das er von einem wohl abgerichteten Floh ziehen läßt.

Was würde die Königin der feinen Damen Griechenlands, in deren Gesellschaft Periklesse, Sokraten und Alcibiaden sich bildeten, und deren Haus der Sammelplatz des guten Tons in Athen und das Heiligthum der Musen und Grazien war, was würde Aspasia sagen, wenn sie in unsern Gesellschaften vom sogenannten guten Ton sähe, wie die ganze gespannte Aufmerksamkeit stundenlang an der krausen Mischung einiger Dutzend der schlechtesten Bilder hängt, und wie man sich mit aller Anstrengung bemüht, Gedanken in die Gedankenlosigkeit zu bringen? Allerdings hält man bei uns keine griechischen Hausfeste, wo die Menschheit in ihrer schönsten Würde, in einer herrlichen himmlischen Geistesergießung, verbunden mit der reinsten, liebenswürdigsten Sinnlichkeit zu sehen war. Wer wollte nicht mit bitterer Herzenszerknirschung enthusiastisch Schiller's Götter Griechenlands zurückrufen, wenn er nur eine Viertelstunde hinter einem unserer modischen Spieltische steht? Die Mode der gedankenlosen Spielsucht ist also von der Art der alten dänischen, von welcher Shakespeare's Hamlet in einem beißenden Apophthegm sagt, daß man sie besser bricht als hält.

Ich bin versichert und weiß es wenigstens aus dem Zirkel meiner Bekanntschaft gewiß, daß die Meisten sich anfangs zu dieser Beschäftigung als Opfer der Mode zwingen, bis man nach und nach die Natur ausrottet und etwas Bastardartiges an ihre Stelle pflanzt, welches endlich mit der Zeit ganz dieselbe – aber mit welchem traurigen Aequivalent? – zu ersetzen scheint. Und was gewinnt man durch diese tiefe, ruhige, der Indolenz so behagliche Unthätigkeit? Angenommen, daß auch keine niedrige Leidenschaft mit in das Spiel tritt, vor welcher jeder redliche Mensch Ursache hat, zu erröthen, und daß man blos aus den beiden letzten Ursachen zur Gefälligkeit sich zur Partie setzt, welche traurige Befriedigung gewährt dieser sogenannte Zeitvertreib! Schon das Wort Zeitvertreib ist, wie ich schon oben behauptet habe, eine Satire auf den Menschenverstand; und es gereicht meiner Meinung nach den energischen Römern zu nicht geringer Empfehlung, daß sie in ihrer Sprache für diesen Begriff kein ganz eigenes unphilosophisches Wort haben wie wir. Jeder vernünftige Mann wird seine Stimme geben, daß er lieber einen Zeithalter als einen Zeitvertreiber wünscht. Ohne den Vorwurf der Pedanterei zu wagen, darf man billig fragen: Ist denn die Zeit so etwas Peinigendes, daß wir noch Mittel ersinnen müssen, ihren Adlerflug noch mehr zu beschleunigen? Schon oben habe ich geradezu angegeben, wem die Zeit schwer über dem Schädel hänge, und ich kann nicht umhin, hartnäckig bei dieser Meinung zu bleiben. Sobald es ausgemacht ist, daß unser sogenanntes Spiel nach vernünftiger Vorstellungsart ein Vergnügen ist, sobald ist es gerechtfertiget und hört sogleich auf, bloßer Zeitvertreib zu sein. Wie verstimmt müssen aber nicht Seelen sein, die vorzugsweise ein Vergnügen an einer Sache finden können, welche, von allen Seiten betrachtet, von keiner eine vortheilhafte Beziehung, weder auf Vernunft noch Moralität und praktisches Menschenleben hat? Der Mann hat nie weniger Würde als in der gedankenlosen Stellung des Kartengebens oder Kartenordnens, das Weib nie weniger Anmuth und Grazie als bei eben dieser Beschäftigung. Jede wirklich empfindungsvolle und geistreiche Person wird in diesen Augenblicken zur Figur und nach und nach zum bloßen Automat. Als Medicin der Gesellschaft, wie man wol zu sagen pflegt, mag das Spiel immer gelten; aber dann giebt man gerade zu, daß die Gesellschaft krank sei. Ob es gleich mehr als hundertmal schon gesagt und besser und nachdrücklicher gesagt worden ist, als ich es zu sagen vermag, so kann ich doch nicht schweigen, welche fürchterliche Zerrüttung das Spiel nach und nach in der ganzen Moralität anzurichten im Stande ist. Tausend traurige Beispiele in großen und kleinen Verhältnissen schreiben es mit blutiger Schrift zur Beherzigung vor das Auge eines Jeden, der bemerken kann und will. Schulen und Akademien, wo junge Leute an Herz und Kopf zu ächten Patrioten gebildet werden sollen, sind so voll von dieser pestartigen Seuche, daß man sehr oft auf den Studirzimmern von Jünglingen, die man sonst eben nicht für verwildert hält, unter der Büste des guten kahlköpfigen Atheniensers Pharopartien trifft, wo man die Weisheit des alten Ehrenmannes unter seinem Bildnisse lästert. Goldhaufen rollen über den Tisch zwischen den Schwärmern hin, und ein armer Handwerker muß im Nebenzimmer um seinen sauer erschwitzten Lohn wie um ein Almosen betteln, wird wol gar mit Lotterbubenausdrücken, deren sich wahrlich die feine Welt schämen sollte, sich aber leider noch nicht schämt, wieder fortgeschickt. Manchmal bin ich Zeuge solcher Unwürdigkeiten gewesen und hätte zähneknirschend mit Rehabeam's Scorpionenzucht dareinschlagen mögen, wenn ich nur hätte hoffen können, dadurch dem armen Gemißhandelten zu helfen. So setzen sich die würdigen Zöglinge der feinen Welt in den Stand, um vielleicht einst auf eine Karte die ganzen jährlichen Einkünfte der väterlichen Güter und endlich die väterlichen Güter selbst zu setzen, ganze Familien durch ihre Hirnwuth zu Grunde zu richten und endlich unter dem Sturz der Ihrigen als Opfer der Verzweiflung zu fallen. Und diese Wuth herrscht mit eisernem Scepter über beide Geschlechter. Wer Gelegenheit gehabt hat, etwas näher in die Verhältnisse der größern Zirkel zu sehen, wird gefunden haben, daß die Hälfte des daselbst vermißten Glücks von dem Spiele geraubt wird. Es ist erstlich Qual, wird nach und nach Gewohnheit, dann Neigung, dann Leidenschaft, dann Wuth, dann Furie; es frißt bald krebsartig um sich her und tödtet bald mit allen Schrecken des Verderbens. Und eben die schönsten Seelen, welche anfangs gezwungen der Mode dieses Opfer bringen, sind am Ersten in Gefahr, durch ihre Lebhaftigkeit endlich selbst ihr Opfer ohne Rettung zu werden.

Ein junges herrliches Mädchen mit einem Grazienkörper und einer himmlischen Seele, die dem besten Manne ein Paradies auf Erden schaffen könnte, wird conventionsmäßig die Gattin eines Mannes, in dessen Herz der Himmel wenig Wärme gelegt, und in dessen Kopf er wenig Licht angezündet hatte. Unschuld und Frohsinn wohnen auf ihrem Antlitz, und ihre Augen strahlen Erleuchtung und Gefühl selbst in die Seele des Menschenhassers. Ihr Gatte hat nur die Vorzüge des Goldes und des Standes, welche beide Qualitäten leicht die andern ächten, wünschenswerthen Eigenschaften in den Augen der Welt geben oder übersehen lassen. Das junge liebenswürdige Weib hofft auf Glückseligkeit und Lebensgenuß durch Sympathie und zärtliche Mittheilung; sie wird getäuscht und trauert. Ihr Herz fordert Mitempfindung über die wichtigsten, heiligsten Gegenstände vernünftiger Wesen, und sie findet den Mann ihres Lebens überall in greller Mißstimmung. Sie irrt einsam und sucht um sich her nach Seelenähnlichkeit; sie findet sie, wo Gesetze und Tugend das Anschließen verbieten. Das freudeathmende Geschöpf verliert sich in Schmerz der Zurückhaltung. Ihr Gatte war für die Zärtlichkeit die erste Woche gestorben, wenn er je eine Minute für sie gelebt hatte. Sie flieht zur Modezerstreuung aller Zirkel, in welcher ihr Gemahl das Beispiel giebt, und eilt den Spieltischen zu. Hier lauert die Verführung mit tiefen unsichtbaren Schlingen auf ihr Opfer. Ihre Seele ist rein und feurig; um ihrer quälenden Gedanken los zu werden, sucht sie im Spiel Beschäftigung, unglückliche Beschäftigung. Der Gewinnst des Geldes reizt sie nicht, aber der Verlust ist ihr nicht gleichgiltig; sie verliert und erholt sich wieder. Sie gewinnt und wird kühner; sie fängt an, um nichts Anders denken zu müssen, nur auf das Spiel zu denken; das Glück ist abwechselnd, aber nicht so regelmäßig wie Ebbe und Fluth. Ihr Verlust wird größer. Ein verdeckter Wüstling legte unterdessen seine Minen und hat durch seine teuflische Geschicklichkeit schon den Vortheil eines artigen, unverdächtigen Mannes gewonnen. Er verliert an sie und gewinnt bei ihr; seine List ist zu fein. Sie verliert das Gewonnene an Andere, deren Hunger nichts als Geld verlangt. Der Mann, der auf mehr rechnet und ihr sein Geld unbemerkt verspielt, rückt näher, aber beleidiget nicht. Die Scene verändert sich, aber ihr Zustand wird immer verwickelter und trostloser. Ihr Herz wird ganz leer, und nur der gute Ton nimmt darinne Besitz. Sie wird vertraut mit Beispielen, die vorher ihr Gefühl empört hatten. Der sentimentale Verführer spielt seine Rolle als Großmüthiger, sie aus der tödtlichen Verlegenheit zu retten, in welche sie seine eigenen Stricke gezogen hatten. Sie dankt erst gerührt, dann warm, dann heiß. Ihre Unbesonnenheit ist Ursache, daß sie wiederholt ihre Zuflucht zu ihm nehmen muß; sie dankt endlich in der fünften Instanz des Dichters. Der feine Lehrling des Satans hat nun seine Absicht erreicht, und sie eilt, um der Scham zu entfliehen, in die Arme der Schande. Nun wechseln die Personen und die Auftritte, aber nicht das Schauspiel. Sie ist ihrem Gatten gleich und eilt von Zirkel zu Zirkel und gelegentlich von Liebhaber zu Liebhaber. Das Spiel hat mit Hilfe der Mode ein Meisterstück der Schöpfung zerstört; und verdient ein Weib dieser Art wol weniger den Namen eines Stadtweibes, weil es im Wagen fährt, als andere, die ihr nämliches Gewerbe zu Fuße treiben? Dieses ist Ideal; wollte der Himmel, es wäre bloßes Ideal, und es entsprächen ihm nicht so viele Originale in unserer Modewelt!

Dort stellt sich unruhig ein junger Mann der besten Hoffnung unter die Reihen der Glücksritter. Halb zitternd faßt seine Hand ein Goldstück nach dem andern, um es zu dem großen Haufen des Bankhalters zu schieben. Seine Geberden ziehen sich bei jedem hingestoßenen Ducaten in ein ängstlicheres Ganze, halbgebrochene Verwünschungen drängen sich hervor. Selbst der augenblickliche Gewinnst vermehrt seine bange Erwartung; er geht wieder fort und kommt zurück und geht wieder. Seine Baarschaft sinkt, seine Begierde steigt und mit ihr seine Unruh und Angst. Jeder neue Verlust gebiert neue Flüche; Alles, was dem Menschen heilig und ehrwürdig ist, wird mit Blasphemie genannt. Der Mann verliert gänzlich sein Gleichgewicht; er kocht, er rast, er wüthet; mit jedem Goldstücke verliert er einen Grad der Besonnenheit und mit dem letzten den letzten. Sein nicht viel vernünftigerer Nebenmann wird schnell, halb schuldig, halb unschuldig, der Gegenstand seines Grimmes. Das Spiel macht dem Zorne und der blinden Rache Platz, und Scorpionenstiche treten an die Stelle der Ruthenstreiche. Eine kalte Stahlspitze oder ein Stückchen Blei bringt die hoch aufkochende Narrheit in ihre Grenzen zurück. Oft schickt Einer den Andern ohne Abrechnung hinüber in das unbekannte Land, um ihm bald als Todtenopfer nachzufolgen.

Und diesem Allen stellt sich der Mensch bloß nur aus kleiner schmutziger Gewinnsucht, zu der ihn stufenweise arme Leerheit des Geistes oder die blinde Abgöttin der Mode führt, ohne ihn in dem Opfer den geringsten Sinn für Moral, Patriotismus, Philanthropie und ächte Menschenwürde finden oder nur ahnen zu lassen!


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