Johann Gottfried Seume
Obolen
Johann Gottfried Seume

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Ueber Atheismus im Verhältniß gegen Religion, Tugend und Staat.

Eine philanthropische Rhapsodie.

Know but thyself, presume not God to scan!
The proper study of mankind is man.
Pope.

   

Ohne Apologie und Vorrede trete ich mit dieser kleinen Abhandlung vor ein billiges Publicum in der Hoffnung, daß der Gegenstand wenigstens die Unternehmung rechtfertiget, wenn auch die Art der Ausführung der philosophischen Kritik reichen Stoff zu Gegenbemerkungen und Rügen geben sollte. Da ich leider von der Legion Derer bin, die nach langer und tiefer oder auch nur flüchtiger Untersuchung schweigend oder laut als Grundprincip alles menschlichen Handelns und Strebens nur Egoismus finden, so wird es Niemand befremden, wenn er eine kleine Dose desselben vielleicht auch in dieser literarischen Kleinigkeit entdeckt. Ich habe wenig Bücher gelesen, weil meine Verhältnisse mir nur wenig Lectüre erlaubten, und nicht, weil ich gegen den Unterricht dieser Art gleichgültig bin; weil ich übrigens aber doch glaube, daß der Mann, der sich durch das Chaos menschlicher Wissenschaften durcharbeiten will, besser seine eigenen Kräfte braucht und sich seine eigenen Wege bahnt. Mein Herz ist warm, das fühle ich; ob mein Kopf je helle werden wird, wage ich jetzt noch nicht zu bestimmen. Ehrlich muß ich bekennen, daß mich die Skepse von den geweihten Altären der Religion in das Heiligthum der Themis, aus diesem in die Arme der Philosophie und aus diesen in die Vorhöfe des Kriegsgottes trieb, wo ich wenigstens aus Amtspflicht bei einer klaren Ordonnanz mein Gehirn mit Zweifeln zu behelligen selten oder nie Gelegenheit habe. Aber wer kann dem Denken ganz entsagen und doch Mensch bleiben? Die Frucht einiger Lucubrationen lege ich hier mit Bescheidenheit dem Urtheile competenter Männer vor, mit der schüchternen kühnen Stimmung einer Seele, wo in dem Kopf bei mancher Lehre oft noch der Zweifel den Vorsitz hat, in dem Herzen aber beständig eine warme, feste Rechtschaffenheit zum unerschütterten Grunde liegt. Meinen Namen nenne ich, nicht aus gewöhnlichem Egoismus, welchen ich wahrlich ohne Erröthen gestehen würde, sondern aus dem Grundsatze, daß nach meiner Meinung immer der Staat und jedes Individuum sogleich wissen müssen, an wen sie sich über Alles zu halten haben, was in irgend einem Buche steht. So sehr jeder liberale Mann vernünftige Preßfreiheit liebt und wünscht, so sehr ist ihm billig Anonymität zuwider, unter deren Hülle man nicht selten Gift aller Art in das Publicum bringt oder Personalitäten einstreut, die man sich ohne Larve zu sagen schämt. Daher ist es auch unter den Engländern, einer gewiß liberalen Nation, nicht nur kein Lob, sondern selbst zuweilen kein geringer Vorwurf, ein anonymes Buch geschrieben zu haben. Was ein braver Mann für wahr und recht hält, hat er öffentlich zu sagen Muth; oder es ist eine Sache, die nicht gesagt werden muß, und folglich nicht ganz wahr.

Wenn wir nur Diejenigen Atheisten nennen wollen, welche die Existenz eines höchsten, allweisen, allgütigen Wesens aus Vernunftgründen gänzlich abzuleugnen und wegzudemonstriren gesucht haben, so hat es zum Glück der Menschheit seit der Cultur des Geistes derselben nur sehr wenige gegeben; wenn wir aber unter die Zahl der Atheisten alle Diejenigen mit einrechnen, bei denen die Glaubensgründe für das Dasein dieses höchsten Wesens nicht das hinlängliche Gewicht haben, eine immer wohlthätige Ueberzeugung zu wirken, so dürfte wol dieselbe ziemlich beträchtlich werden. Und ich denke, daß wir dieses Letztere müssen; denn wer etwas nicht glaubt, es sei nun aus völliger Ueberzeugung durch ihm geltende Gründe vom Gegentheil oder aus bloßem Mangel derselben auf dieser Seite, den kann man unmöglich zu den Anhängern des Begriffs zählen, der durch jene Ueberzeugung festgesetzt wird. Diese Männer mögen nun in Ansehung des Begriffs von Gott durch einen aus irgend einer Ursache entsprungenen Indifferentismus ruhig in ihren Verhältnissen sitzen und sich gemächlich dem Zufalle überlassen oder mit Angst sich in den Untiefen der Zweifel herumtreiben, so sind sie doch auf keine Weise Gottesbekenner und Gottesverehrer, wozu nur der Begriff einer ewigen, weisen Endursache jedes vernünftige Wesen machen kann, indem es denselben auffaßt und mit wohlthätigen Glaubensgründen an seine geistige und moralische Existenz anschließt, oder vielmehr dieselbe darauf bauet. Ueber die evident dogmatischen Gottesleugner mögen die Philosophen in der Geschichte ihrer Wissenschaft bestimmen; ich glaube, ihre Anzahl wird unter den Alten und Neuern sehr geringe sein, und ich weiß nicht, ob man sogar Epikur, Lucrez und Spinoza geradezu in ihre Classe stellen dürfte, oder ob man im ganz strengen Sinne dieses Ausdrucks einen Einzigen derselben finden möchte. Die Atheisten, welche man hier und da bei den Armeen, in den Cabinetten und in den Sälen und Schlupfwinkeln der Wollust sophistisiren hört, sind kaum der Bemerkung werth, und der Grund ihres Seelenzustandes ist meistens wirklich bloße Schwäche oder gänzliche Uncultur des Geistes, im Sinnenrausch ersticktes moralisches Gefühl und in demselben erstorbene moralische Kräfte: daher auch die sogenannten Bekehrungsgeschichten solcher Personen billig von keiner Secte als Beweise der Wahrheit auf ihrer Seite angeführt werden sollten. Denn so viel Rest von altem Adel bleibt noch immer in jeder noch so tief gesunkenen Menschenseele zurück, daß sie am Ende einer solchen Laufbahn ihre ungeheure Inconsequenz und die ganze Abscheulichkeit in ihrer Denkungs- und Handlungsweise fühlt; und dann nimmt sie, da sie eigentlich nie Ueberzeugung in irgend etwas hatte noch sich darum bekümmerte, in der Angst und der Schwachheit aller ihrer übertäubten Kräfte jeden Begriff ohne viele Untersuchung auf, der ihr nur etwas Linderung verspricht. Es wäre ebenso überzeugend, wenn man das Vernünftige und Wahre der Möncherei daraus beweisen wollte, daß so viele erlauchte Sünder noch zu ihrem Troste in der Kutte gestorben sind.

Ich dehne also den Begriff des Atheismus hier billig auf Alle aus, die nicht mit innerer, völliger, fester Ueberzeugung den Lehren des Deismus und irgend eines aus demselben abgezogenen und auf denselben gebauten Religionssystems beitreten können, und denen Gott, Vorsehung, Fortdauer nach dem Tode und Tugend und Laster in Beziehung auf diese Begriffe ganz fremd sind. Der Atheist sieht in der Welt, so viel als sein Gedanke davon fassen kann, entweder nirgends einen Plan, nirgends Zweck, keine Ordnung irgend einer weisen Grundursache und leugnet daher dogmatisch die Existenz derselben, oder wenn er Alles dieses sieht oder wenigstens vermuthet, so ist seine Vernunft bei der Forschung nach der Grundursache dieser Anordnung so schwach, seine Kraft so schwindelnd, es erheben sich bei der Untersuchung von allen Seiten so viel Widersprüche, daß er keine zwingenden Beweise für reine, helle Wahrheit findet und den moralischen Glaubensgründen, aus einem angenommenen Weltplane zur höchsten Wahrscheinlichkeit abgezogen, aus Mangel einer evidenten, nothwendigen Gewißheit sein Herz nicht hingeben kann. Da wir also die Zweifler an dem Dasein eines Gottes unmöglich zu den Gottesverehrern rechnen können, deren ganze moralische Existenz auf dem angenommenen Begriffe einer ersten Grundursache ruht, so müssen sie bei der Erörterung unserer Frage unter den Atheisten so lange stehen, bis sie zu den Deisten und den mit ihnen verwandten positiven Religionsanhängern durch Ueberzeugung des Glaubens übertreten oder sich gänzlich im Lehrbegriff mit jenen verbinden.

Ohne mich in die Metaphysik dieses Gegenstandes, der für mich auch meistens zu hoch und zu tief und zu breit ist, einzulassen, will ich nun darzustellen suchen, in welchem Verhältnisse diese Atheisten gegen Religion und Tugend und Staat stehen oder vermöge ihres eigenen Systems und ihrer einstweiligen Zweifel stehen müssen. Wenn ich nur werde gezeigt haben, wie sie sich gegen die zwei ersten, nämlich Religion und Tugend, verhalten, so folgt das Letzte natürlich selbst. Die ganze Moralität eines Gottesbekenners hängt ab von dem angenommenen Begriffe eines ersten Wesens, seiner gedachten Plane mit der Weltschöpfung, der allerhöchsten Ordnung und Urharmonie in derselben und dem daraus hergeleiteten reinen Begriffe der Pflicht, dieser Ordnung zu folgen und diese Harmonie nicht zu stören; hängt ab von der großen Idee der beabsichtigten allgemeinen Vollkommenheit des Ganzen für eine lange, immer steigende Fortdauer. Daraus entspringt für ihn die wohlthätige Religion, die heilige Tugend, die göttliche Hoffnung und das allgemeine, große, philanthropische Gefühl, das jetzt nur noch das verwandte Menschengeschlecht faßt und künftig die ganze Geisterwelt zu umfassen verspricht. Von allen diesen ist für den Atheisten nichts da. Die Schöpfung ist für ihn nur eine ungeheure, ihm unbekannte Cohärenz unbekannten Stoffs. Sei es Geist, sei es Materie, ihm ist es eins; er faßt von beiden, getrennt oder zusammen, nichts. Es ist ihm also gleichgiltig, wie man es nennt. Alle Plane verlieren sich vor ihm in endloser Verwirrung, alle Zwecke sind Zufall, alle Harmonien ohngefähres Ineinandergreifen. Für ihn ist kein Gott, keine Ordnung, keine Religion, kein Gesetz, keine Hoffnung. Was kann ihn bestimmen? Was kann ihm Schranken setzen, die er nicht durchschreiten soll? Er kennt keine Verbindlichkeit, keinen Lohn, keine Strafe. Der erste Anblick eines solchen Mannes ist schreckbar und schauervoll. Wer wird es wagen, mit ihm eines Wesens sein zu wollen, da er allein, öde, verlassen und furchtbar in seiner Dunkelheit dasteht, wie ein alter schwarzer Felsen aus einer Weltruine emporragt? Wir wollen etwas näher betrachten, welches Wesens dieser traurige Mann ist.

Man hat sehr oft, ja, man hat fast durchgängig dem Atheisten alle Tugend abgesprochen und ihm nicht die Fähigkeit zugestanden, tugendhaft sein zu können. Lord Shaftesbury hat in seinen »Charakteristiken« eine eigene lange Abhandlung über diese Frage: »Ob ein Atheist tugendhaft sein könne?« und mit vielem Aufwand von Mühe und Scharfsinn behauptet er ihm endlich die Möglichkeit, tugendhaft sein zu können, aus der Natur der Sache und führet manche Beispiele an, daß Männer, die man durchaus als Atheisten verdammte, wirklich tugendhaft durch ihr ganzes Leben waren. Wenn man den Begriff der Tugend annimmt als eine beständige Neigung und Fertigkeit, immer nach der ewigen Ordnung und nach dem Begriffe der reinen Pflicht zu handeln, so kann in diesem Sinne der Atheist freilich durchaus keine Tugend haben und ist ihrer durchaus nicht fähig, da für ihn der Begriff der Ordnung und der Pflicht gänzlich leer ist. Nimmt man aber die Tugend an als eine beständige Neigung, sich und folglich auch Andern immer wohlzuthun, welches mit dem Vorhergehenden im Praktischen doch wol einerlei ist und nur auf einer andern Vorstellungsart beruht, so können allerdings in diesem Sinne auch Gottesleugner einer hohen Tugend fähig werden. Shaftesbury sagt und beweist mit vielen Schlußfolgen, der Atheist könne tugendhaft sein; und ich setze ohne Bedenken hinzu: er muß tugendhaft sein, wenn er nicht in die auffallendste Inconsequenz des Lebens mit sich selbst gerathen, wenn er nicht gegen seine eigenen Begriffe, gegen seinen eigenen, ausgemachtesten Vortheil streben will. Der Atheist hat freilich nicht die hohen hyperphysischen Ideen von Gott, Universalharmonie, Pflicht, Ursache und Wirkung, und Alles löst sich bei ihm endlich nur in sein eigenes Ich auf. Ihm ist nichts Pflicht, als was ihm wohlthut; und auch dieses blos, weil es ihm wohlthut, und nur so lange es ihm wohlthut. Wenn wir aber auch den Begriff von Tugend bei dem geistigsten Religionslehrer mit genauem Forschergeiste verfolgen, so werden wir immer finden, daß er sich ebensowol beständig auch in den feinsten Egoismus auflösen wird. Wenigstens ich kann nichts Anders finden. Zwar bin ich nichts weniger als Metaphysiker und lasse gern die Punkte dieser abstracten Wissenschaft in ein heiliges Dunkel gehüllt für die Geweihten liegen und bescheide mich gern, daß es vielleicht deswegen ist, warum ich mich nie zu dem ganz reinen, abgesonderten Begriffe der Ordnung und Pflicht ohne Hinsicht auf Glückseligkeit habe erheben können, sondern immer noch ein Anhänger der alten guten Glückseligkeitslehre bin. Am Ende ist es freilich wieder einerlei für die Menschheit und ihre Verhältnisse, ob wir so oder so denken, da aus dem verschiedenen Ideengange das nämliche Resultat für dieselbe entspringt. Höchste Ordnung und Harmonie und Tugend erzeugen nothwendig Glückseligkeit; und Glückseligkeit kann einzig und allein erreicht werden durch höchste Ordnung und Tugend. Es fragt sich nun aber, ob wir dem ganz reinen Begriffe der allerhöchsten Ordnung, Harmonie und Tugend, ohne Hinsicht auf ihre Begleitung, die Glückseligkeit, folgen können. Ich vermag es nicht; nicht als ob meine Seele im groben Egoismus zurückbliebe, obgleich das Gefühl, reine, ganz reine Wahrheit zu sehen und zu empfinden, nach meiner Meinung immer noch egoistisch bleibt, sondern weil wirklich mein Gedanke zu schwach ist, eine Ordnung mit ihren Gesetzen zu fassen, die höher wäre als die Glückseligkeit selbst. Ich darf hier fragen: Ist Ordnung Zweck, und ist Glückseligkeit Mittel? oder ist Glückseligkeit Zweck und Ordnung nur das Mittel? Mir däucht das Letztere, nach der Analogie aller unserer Begriffe. In der Gottheit mag immer Zweck und Mittel nur ein Gedanke sein. Von dem Wesen der Gottheit begreift unser Verstand weiter nichts als die Nothwendigkeit ihrer Existenz, und diese nur als Postulat zur Rechtfertigung unseres Selbst und zur Lösung der Widersprüche, die sonst unsere Vernunft noch mehr umstricken würden; aber für uns Menschen sind Zweck und Mittel getrennte Begriffe, da wir nur in Zeit und Raum denken. Welches ist nun höher, der Zweck oder das Mittel? Mich däucht, der erstere nach der Analogie aller unserer Begriffe. Die kritische Schule mag hier die ehrliche Aeußerung eines gutherzigen Laien mit Wohlwollen aufnehmen; vielleicht überzeugt sie mich einst von der Wahrheit auf ihrer Seite. So lange aber meine Gedanken meine Gedanken sind, kann ich nicht auf das Autos epha irgend eines Andern schwören, und wenn er ein Seraph wäre. Freilich wird durch diese Vorstellungsart in dem Menschen am Ende Alles selbstsüchtig und egoistisch, und seine feinste Tugend ist nur der feinste Eigennutz. Aber was kann ich dafür, daß ich nicht anders Wahrheit sehe? Das Ganze verliert hoffentlich dabei nichts. Die höchste Tugend des Menschen in dem Traume der uneigennützigsten Philanthropie, die Tugend, welche ihren Geweiheten in ihrer Größe opfert, beruht immer auf dem Gefühl der Pflicht, das dem Besitzer wohlthätig und erhebend ist, und schon jedes Gefühl ist eigennützig. Der Mann, welcher blos nach Begriffen handelt, ist mehr als Mensch, und jedem Begriffe liegt sodann wieder ein Gefühl zum Grunde, indem er durch Sinnlichkeit erzeugt oder veranlaßt wird, und wir stehen wieder auf dem alten Punkte. Vom Ich fängt die Philosophie an; und wer beweist uns, daß sie über das Ich hinausgeht? Bei der Auseinandersetzung des Begriffs der Pflicht ergiebt sich also endlich, daß jeder Mensch eigentlich immer nur für sich handelt, indem er mit dem heißesten Enthusiasmus für Andere zu handeln wähnt. Indem er zur Wohlthat Anderer arbeitet, arbeitet er sich zu dem höchsten Gefühl der Würde seiner eigenen Natur empor. Wir schämen uns zwar, dieses noch Eigennutz zu nennen; aber ist es im Grunde etwas Anders? Nehmt alle Eitelkeit, alle Vortheile, allen Lohn aller Art hinweg: die Tugend ist ihr eigener Lohn, sagt der Moralist und sagt recht. Ihr Lohn ist ihre Würde; aber ihre Würde entsprang aus ihrer Wohlthätigkeit und dem Gefühl, wie glücklich das Ganze sein würde, wenn sie allgemein wäre. Was ist nun dieses Gefühl? Der arme Phocion ist in seiner Tugend reicher als der Besitzer der Schätze des großen Königs, der gefolterte Regulus froher als der Schwelger Lucull, über dessen Mahlzeiten die Beherrscherin der Welt, das mächtige Rom, verarmte. Alles ist Gefühl, und Gefühl ist Egoismus; wer den feinsten besitzt, ist der Beste, und der Tugendhafteste, wer sich auf den seinigen am Besten versteht. Durch diesen Gedanken wird die Würde der Tugend und überhaupt die Menschennatur nicht gekränkt; denn die Gottheit hat damit den Grund zu sehr weisen Zwecken gelegt. Der Durst nach Selbstgenuß ist das große Rad in der Körper- und Geisterwelt. Der Schöpfer wird dadurch nicht entehrt, der die Ordnung der Dinge so festgesetzt hat, daß hohe wahre Glückseligkeit des Einzelnen durchaus nicht gegründet werden und nicht bestehen kann, ohne daß er zu dem Wohl von Tausenden mitwirke. Gott hat Alles so bestimmt, daß jeder wahre Genuß eine reine Quelle wahren Wohls für Viele auf lange Dauer wird und jeder Mißgriff die Freude des Handelnden und aller mit ihm in Verbindung Stehenden so lange stört, bis die alte reine Harmonie wieder hergestellt ist.

Nach diesen Begriffen nun ist es auch dem Atheisten unmöglich, irgend ein Gesetz der Ordnung zu brechen; nicht als ob es Gesetz für ihn wäre, sondern weil selbst sein eigenes Gebäude von Wohlbefinden durch diesen Einbruch zu Grunde gestürzt werden würde. Wir müssen annehmen, für Andere hat er keinen Begriff, keine Empfindung der Verbindlichkeit; Pflicht, Gewissen und moralisches Gefühl sind für ihn leere Gespenster, mit denen man Kinder zur Ruhe schreckt. Die Befriedigung seiner Leidenschaften, aller seiner Begierden und Phantasien ist der Angel, um welchen sich seine ganze Existenz herumdreht; er sieht in der ganzen weiten Natur nur sein Ich, und jede andere Rücksicht ist für ihn ohne Sinn. Dieses klingt schrecklich. Was soll ihn halten, wenn seine Begierden mit aller Ordnung im Widerspiel stehen? Wer kann ihm Gesetze geben, da er den Begriff des Gesetzes nicht kennt? Wer wird ihm Schranken ziehen, die er nicht zu durchbrechen wagt? Die Gesetze des Staats? Ihrem Zwange spricht er vielleicht in seinem Verhältnisse öffentlich Hohn und streicht durch sie hin wie der Hai durch ein Häringsnetz, oder betrügt sie durch Klugheit und List. Er hat keinen Richter über, neben und in sich. Sein blinder Wille ist sein ganzer Codex; und was kümmert es ihn, ob seine Erfüllung für die Wesen außer ihm Wohlthat oder Untergang ist? Dieses ist fürchterlich, aber wahr. Was wird ihn und die Wesen um ihn her retten, die sein Wahnsinn fassen kann?

Oft, wenn ich mit einem guten, wohlmeinenden, rechtschaffenen Orthodoxen über diese Materie mit freundschaftlicher Wärme sprach, pflegte er zur Erläuterung des schrecklichen Zustandes den Gottesleugner in folgende Lage zu setzen und zu fragen, was ihn abhalten könne, ein vollkommener Bösewicht zu sein. »Ein Atheist geht mit einem Reisegefährten, dessen moralische Beschaffenheit uns übrigens für diesen Fall ganz gleichgiltig ist, durch einen großen, tiefen, dichten Wald. Der Atheist weiß, sein Gefährte hat eine beträchtliche Summe Gold oder Goldeswerth bei sich; dieser Gefährte ist aus einem fremden Lande, und es ist kaum wahrscheinlich, daß je nähere Nachfrage nach ihm in dieser Gegend geschehen werde. Niemand weiß von ihrer gesellschaftlichen Reise, Niemand kann sie erfahren, Alles ist tiefes Geheimniß. Der Wald umschließt sie von allen Seiten. Die Summe des Fremden kann ihm auf einmal auf sein ganzes Leben Gemächlichkeit verschaffen und ihn für die Zukunft außer allen Sorgen setzen. Vor aller Entdeckung der bürgerlichen Gesetze und aller ihrer Strafe ist er durch die Maßregeln gesichert, die er zu nehmen gesonnen ist, und er kann fast mathematisch berechnen, daß nie der geringste Argwohn auf ihn fallen, und daß seine That auf immer verborgen bleiben wird. Ueberlegene Stärke hat ihm die Natur gegeben und Waffen das Ohngefähr. Was kann ihn hindern, seinen Gefährten zu erschlagen, der sein Glück besitzt, den Erschlagenen in den nächsten Dickicht oder Fluß zu werfen, seinen Schatz zu nehmen und sich so zum Besitzer desselben zu machen? Der Eigennutz fordert es, überall ist Sicherheit: warum soll hier der Eigennutz nicht herrschen, da er bei ihm überall die anerkannte Herrschaft hat und er keine Gründe sieht, die ihn gegen denselben bestimmen könnten? Man berufe sich nicht auf moralisches oder nur menschliches Gefühl; dieses ist ihm fremd und hat für ihn nichts Verbindendes, da es seinen Grundsätzen widerspricht; und wenn ihm ja von der Wiege noch etwas von der milden Milch der Natur zurückgeblieben sein sollte, so gebietet die eiserne Consequenz seines Kopfs, Alles durch das System zu unterdrücken. Ihm ist nichts Recht und Unrecht; er handelt nach dem stürzenden Lauf seiner Leidenschaften in allen Fällen: was kann hier seinen blinden Egoismus zähmen?«

Wenn der Egoismus blind ist, freilich nichts; aber der Seelenblinde wird auch durch kein Moralsystem gesichert. Ich behaupte, das Auge des Egoismus selbst, sobald es sich öffnet, um sich blickt und nur einige Schritte in die Ferne sieht, muß den Atheisten in dem vorerzählten sowie in jedem Falle zurückhalten. Wer wird je annehmen wollen, daß selbst der Atheist nur einzig für diesen gegenwärtigen Augenblick zu leben wünscht? Schon die Begierde des Raubes zeigt Wunsch nach Fortdauer der Existenz und Vorsicht, und eben diese Vorsicht wird die Begierde des Raubes bändigen. Das Auge leuchtet den Begierden, und der feinere Egoismus setzt dem gröbern Schranken.

Denke sich der Atheist in sich selbst, welches Wesen er wolle, seinen Ursprung, seine Dauer, sein Ende, wie er wolle, so wird er doch immer genöthiget sein, wegen seiner selbst zu glauben, alle ihm ähnliche Wesen um ihn her, an denen allen er die nämlichen Erscheinungen wahrnimmt, seien der nämlichen Natur, er erkläre sich dieselbe, wie er wolle, mit den nämlichen Einrichtungen, den nämlichen Ansprüchen, den nämlichen Befugnissen. Indem er also zugiebt, seine Handlungsweise sei durchaus gänzlich und allein auf Eigennutz gegründet, muß er das Nämliche auch von Andern annehmen und Jedem die Freiheit geben, auch sich Alles das zu nehmen, was er für sich selbst nimmt. Nun wird er sich, muß er sich seiner eigenen Sicherheit wegen, die er beständig zu schützen sucht, immer fragen: ob er Andern das gegen sich erlauben wolle, was er sich selbst gegen sie zu erlauben gesonnen ist; und indem er es sich gegen sie erlaubt, giebt er ihnen nach seiner eigenen Denkungsweise sogleich das Recht, sich das Nämliche gegen ihn zu erlauben. Es bleibt also das alte goldene Sprüchelchen, das alle alte und neue, heilige und profane Weisen in so verschiedenen Gestalten und Wendungen den Menschen geprediget haben: Quod tibi non vis fieri, auch für den Gottesleugner nach seinem eigenen Ideengange die einzige letzte Norm seiner Gesinnungen und Handlungen; nicht als ob er es aus dem reinen Begriffe der Pflicht und Ordnung herleitete oder diesen auf dasselbe zu gründen suchte, sondern weil sein Egoismus mit Sicherheit und Dauer durchaus nur darauf fußen und fest ruhen kann. Denn wollte der Atheist jedem Sturme seiner Begierde, die Folge sei, welche sie wolle, nachgeben und jeder Leidenschaft Genugthuung zu verschaffen suchen und dadurch, wie er selbst nicht leugnen kann, das nämliche Recht auch allen Uebrigen geben, so entsteht daraus augenblicklich das alte schreckbare bellum omnium contra omnes, gegründete Furcht der Zerstörung des Ganzen – welches ihn freilich nach seinem eigenen System sehr wenig kümmert; aber zugleich leidet seine persönliche Ruhe und Sicherheit den größten Stoß, sein ganzes Ich geräth in Gefahr des Untergangs, und der grobe leidenschaftliche Egoismus muß dem feinen stärkern Egoismus des Nachdenkens weichen. Wenn sich der Atheist in dem angeführten Falle, frei ein Bösewicht sein zu können, heute wirklich als Bösewicht beträgt und ohne Rührung und Nachdenken seinem blinden Eigennutz Alles opfert, was er opfern kann, so kann er morgen in dem nämlichen oder einem ähnlichen Falle gegen Andere stehen und muß dann in diesem Verhältnisse nach seinem eigenen System nichts Anders erwarten, als auch das Opfer ihrer Leidenschaft zu werden. Um die Sache noch weiter zu treiben, setzen die Moralisten ferner den Atheisten oder einen in diesem Punkte ihm gleichdenkenden Egoisten auf eine wüste Insel mit einem ähnlichen Kameraden und fragen, was ihn zurückhalten solle, denselben zu erschlagen, da hier durchaus keine Entdeckung als wahrscheinlich angenommen werden könne, da nicht einmal die Wahrscheinlichkeit da sei, daß je eine Menschenseele die Insel besuchen werde, und da sodann auch kein Grund für ihn da sei, anzunehmen, daß Andere ebenso handeln werden wie er selbst. Ich antworte: es lasse sich durchaus nicht bestimmen, ob nicht neue Ankömmlinge sich einfinden; und in diesem eintretenden Falle muß jeder Mensch allerdings absolut annehmen, daß ihm homogene Wesen ihm homogene Handlungsweise haben werden. Jetzt ist sein Vortheil für ihn der Bestimmungsgrund; alsdann ist der Vortheil des Andern für den Andern der Bestimmungsgrund. Bei näherer Betrachtung sehen sie ein, daß ihre Vortheile meistens zusammengehen und, richtig berechnet, nie collidiren. Diese richtige Berechnung ist Jedem für sich wichtig. Fände der Atheist oder jeder andere Mensch in dem angegebenen Zustande auf der Insel wirklich, daß durchaus seine Sicherheit nicht neben dem Andern bestehen kann, so tritt hier das Vertheidigungsrecht der Natur ein, eine Collision, der wol schwerlich irgend ein System gänzlich abhelfen kann. Wenn er dem Andern schadet, so beruhet seine Handlung blos auf einer Mißrechnung seines wahren Vortheils und seiner dauerhaften Sicherheit. Das letzte Moralgebot der Philosophen, so zu denken und zu handeln, daß unsere Denkungs- und Handlungsweise allgemeine Norm werden könne, hat doch wol blos auch diesen Grund, weil daraus die Glückseligkeit Aller und folglich auch die meinige resultiren würde; denn sonst ist keine Ursache da, warum ich oder Andere diese Denkungs- und Handlungsart zur allgemeinen Regel erhoben wissen wollten.

Vor Verbrechen sichert uns also von Seiten der Gottesleugner ihr eigenes System und ihr Egoismus selbst, wenn sie mit sich und ihren eigenen Gedanken consequent sind; und ist der Mann nicht mit seinem System consequent, so kann uns das beste so wenig helfen als das schlechteste schaden. Wenn sie uns nun aber gleich nicht mit Verbrechen drohen, wenn auch ihr eigener klug geleiteter Egoismus sie vor Lastern und selbst vor Fehlern, die ihre eigene Personalität auf irgend eine Weise in Gefahr setzen könnten, zu schützen vermag: werden wir sie je für wohlthätige Tugend gewinnen, und ist der Mann, der nach seinen eigenen Grundsätzen und Bekenntnissen Alles auf sein eigenes Ich zurückführt, je der geringsten Aufopferung für Andere fähig, die nach seinem Systeme ihm ganz fremd sind? Dafür hat der gütige Urheber der Natur durch Anordnung dieses Egoismus selbst gesorgt. Er hat es so eingerichtet, daß das Wohlbefinden jedes einzelnen Individuums und also auch des Atheisten so mit dem Wohlbefinden Anderer zusammengewebt ist, daß man sie, ohne beide zu verletzen, nicht von einander trennen kann. Daß der Gottesleugner den Urheber dieser Anordnung nicht anerkennt, verändert nichts in der Sache; genung, sie ist da, und er fühlt selbst ihre strenge Forderung, nicht für einen kosmischen Zweck, sondern für sein bloßes Ich. Der Atheist thut also sehr viel systematisch für Andere, wenn er anerkenntlich Alles für sich allein zu thun vorgiebt, so wie der sublimirte Moralist meistens Alles für sich thut, wenn er viel, sehr viel für Andere zu thun vorgiebt. Die Anordnung ist die der Natur, welcher Beide nur an verschiedenen Leitfaden folgen. Der Atheist ist Mensch; die Menschheit ist ihm von der Wiege an theuer geworden, ohne daß er es sich selbst gestehen will, weil das Geständniß sehr oft mit seinen Gedanken in Widerspruch stehen würde. Seine Freuden, seine Bedürfnisse, seine Leiden sind also menschlich und können nur von Menschen geschaffen, befriediget und gelindert werden. Sein eigenes Geschlecht ist ihm das nächste, wenngleich nicht das ehrwürdigste. Das Bedürfniß der Gesellschaft und des Umgangs ist ihm aus Sympathie nach und nach nothwendig geworden, und diese Sympathie führt er nur in den einsamen Stunden des Nachdenkens wieder auf Egoismus zurück. Er wird tugendhaft und sucht den Begriff der Tugend aus seinen Gedanken zu verbannen. Sein Auge sieht nicht gern Scenen des Leidens, weil er Vorahnungen oder Rückerinnerungen desselben in seinem Selbst mitfühlen muß. Er hilft, ohne zu denken oder sich ein Verdienst daraus zu machen, weil er sich gesteht, er habe nicht Andern, sondern sich selbst geholfen. Er macht froh aus Bedürfniß, frohe Gesichter und nicht Kummergestalten um sich zu haben. Seine Freude gewinnt durch Gemeinschaft, sie wird größer durch Theilnahme; es ist also Alles für ihn. Er arbeitet zur Anstrengung und Hebung seiner Kräfte. Er thut Andern wohl, weil er dadurch Wachsthum seines eigenen Wohlbehagens spürt. Sein gröberer Egoismus schränkt sich ganz auf sein bloßes Ich ein; sein feiner dehnt sich aus, so weit seine Kräfte reichen, um sich sodann mit desto mehr Selbstzufriedenheit wieder zurückzuziehen. Sich selbst zu schaden, wehrt der Instinct; Andern zu nutzen, spornt die Ausrechnung des Gewinnstes an, welche die Klugheit unbemerkt im verborgenen Hinterhalte angestellt hatte. Die Berechnung wird vergessen; die Beschäftigung und das daraus entstandene und damit verbundene Gefühl bleibt. Der Mann vergißt seinen Egoismus wie der Meister die Grundsätze und Regeln der Kunst, nach denen er sein Werk bildete; er ruft ihn nur zurück in den Augenblicken der Selbstprüfung wie Dieser die Regeln in den Augenblicken der Kritik. So ausgemacht nun nach der endlichen Uebereinstimmung aller philosophischen Secten der alten und neuen Welt ist, daß Tugend und nur Tugend allein glücklich macht, so sicher können wir auch in Ansehung des Atheisten für die Tugend sein, da seine Glückseligkeit mit seinem Egoismus Eins und das Nämliche ist, welche ohne das, was wir Tugend nennen, nicht gedacht noch erreicht werden kann.

Er hat für das, was für ihn gut ist, zwei große immer sichere Kriterien, die auch für jeden Andern, er sei von welcher Secte er wolle, zu allen andern Prüfungen, sie seien von welcher Art sie wollen, nach meiner Meinung giltig sein werden und billig der Probestein aller Wahrheit sein sollten: diese sind Allgemeinheit und Dauer. Was ihm in allen seinen Lagen und Verhältnissen zu allen Zeiten und auf immer wohlthut, das hält er mit Recht für gut, ohne sich weiter um die wahre innere Beschaffenheit desselben in Rücksicht auf Andere und seine Ableitung aus hyperphysischen Begriffen zu bekümmern. Denn diese liegen außer seiner Sphäre, und über sein Ich kann er bei strenger Untersuchung nicht hinausgehen. So wie er aber diese Kriterien für sich anerkennt, so kann er auch ihre Giltigkeit für Andere nicht leugnen, die er für ihm ähnliche Wesen halten und ihnen also nach seiner Consequenz die nämliche Gedankenfolge zugestehen muß. Da er nun seine Ueberzeugung für die wahre hält – denn sonst würde sie nicht seine Ueberzeugung sein – so gewinnt dadurch das Kriterion der Allgemeinheit durch alle seine Verhältnisse natürlich die Giltigkeit für das ganze Menschengeschlecht, dem er ein nämliches Sensorium zuzuschreiben sich genöthiget sieht. Blos sein eigener Vortheil macht und erhält ihn gut; und er ist ehrlich genung, dieses zu gestehen und zu behaupten, daß nur dieses und nichts Anders bei jedem Andern sein könne. Er sucht seine eigene Glückseligkeit und nicht Anderer. Die Gedanken Gesetz, Tugend, Religion sind ihm als solche fremd; will man sie ihm aber als Mittel zur Glückseligkeit unterschieben, so ist er das wohl zufrieden, da sie mit seinen eigenen Begriffen von Vortheil zusammentreffen. Wir wissen, daß sie zusammentreffen müssen. Der Atheist wird aus heroischem Egoismus im Stande sein, sich für das Wohl Anderer zu opfern, nicht mit dem Gedanken der Pflicht, der ihm fremd ist, sondern auf der Höhe seiner Kraft, wo ihm ein Augenblick in der Anstrengung derselben zur Wohlthat für Andere für ihn selbst theuerer wird als eine verlängerte Existenz, in träger Schwachheit hingeschlummert. Als Wohlthäter Anderer dünkt er sich selbst glücklicher, weil er dadurch geliebter, geehrter, geschätzter, größer und in Ansehung seiner angenehmen Empfindungen selbst gesicherter wird. Er sucht so viel Genuß als möglich zu haben, so hoch als möglich zu steigen, und damit er auf seiner Höhe sicher stehe, sucht er, so viel er vermag, zu seinem Vortheil dem Egoismus Anderer nachzuhelfen oder ihn wenigstens nie zu stören, weil er dieses für das einzige Mittel hält, sich zu behaupten. Er schaut zufrieden um sich her, mit der Selbstgenüglichkeit, er habe mehr gethan als Andere, und Andere schließen sich an ihn als an ihre Stütze an, anstatt daß er als Schwächling die Unterstützung Anderer suchen müßte. Das Gute ist zu allen Zwecken besser als das Böse, zu allen Zwecken, die sich ein Mann vorsetzen kann, der auch nur seinem geraden Sinne nachgehet und kein Selbsthasser ist; und ist ein Mensch zu dieser Tiefe herabgesunken, so rettet ihn kein System, kein Vernunftgrund, kein Glaube.

Aus Allem, was ich bisher gesagt habe, dünkt mich, erhellet nun, daß ein Gottesleugner, so furchtbar er auch bei dem ersten Anblick sein mag, wenn er nach seinem System richtig handelt, gar nicht der Mann ist, von dem die Tugend für die Menschheit sehr zu fürchten hat; und die Menschengeschichte bisher hat gezeigt, daß die ausgezeichnetesten Bösewichter nicht eben wegen ihres Atheismus berüchtiget waren. Vielmehr waren die Schandflecke aller Art meistens von dem entgegengesetzten Ungeheuer, von dem blutigen Fanatismus erzeugt, der die Menschheit oft mit Scorpionen peitschte, da sie noch nie die Ruthe des Atheismus gefühlt hat. Um den Gedanken des Atheismus nur zu fassen, muß ein Mann schon einen zu kalten Abstractionen geneigten und geschickten Geist haben; und selten wird ein beschränkter oder wilder, unordentlicher, leidenschaftlicher Mensch es nur wagen, sich mit diesen tiefsinnigen ungeheuern Speculationen zu beschäftigen. Bei einem Manne also, der sich in diese Untiefen des menschlichen Wissens stürzt, hat die Leidenschaft durch andere Systeme ausgegohren, der gewöhnliche grobe, stürmische Egoismus hat ausgebraust und ist berichtiget worden, und der verfeinerte tritt in seinen Resultaten der reinen Tugend so nahe, daß ihn oft die feinsten Bemerker nicht von derselben unterscheiden können. Religion und Tugend sind zwar eigentlich für den Gottesverleugner Undinge, und man kann also nicht sagen, daß er in irgend einem Verhältnisse zu beiden stünde, da beide für ihn so gut als nicht existirend gedacht werden müssen. Wenn aber der Geist der Religion in diesem Leben in Beruhigung und Beglückseligung des Menschen durch Tugend bestehet, und der Egoismus des Atheisten in seinen Folgen mit dem, was Religion und Tugend fordern, für die Menschheit einerlei Erscheinungen hervorbringt, so ist wirklich nicht leicht zu bestimmen, welchen Schaden er beiden in Rücksicht auf dieses gegenwärtige Leben zufügen könne. Blos die Vorstellungsart ist verändert, die Resultate für das Leben sind die nämlichen. Die beste Religion ist diejenige, welche den Menschen hier am Glücklichsten macht, welche ihn alle Geschenke der Gottheit am Lebhaftesten fühlen und genießen läßt und ihm alle Einschränkungen und nothwendigen Leiden seiner Natur am Besten tragen hilft, dieselben nicht vervielfältiget, sondern so viel als möglich vermindert und über die Zukunft die beste Beruhigung giebt. Der Atheist hat das nämliche Ziel, obgleich nur jeder für sein eigenes Individuum, aber doch alle zusammen jeder besonders und also allgemein; nur sucht er es auf andern Wegen, weder durch Religion noch durch Tugend als solche, sondern durch den am Besten ausgerechneten Egoismus. Nun ist es die weise, notwendige, wohlthätige Einrichtung des Urhebers der Natur, daß diese Wege endlich zusammentreffen müssen. Wenn die Natur die Begründung und Festhaltung der menschlichen Glückseligkeit ganz allein dem Spiel unsers Geistes überlassen hätte, wie noch mannichfaltig elender würden wir armen Menschenwesen sein, als wir durch tausend fremde und einheimische Ursachen schon wirklich sind! Aber so zieht uns die Wohlthäterin durch ihren allgewaltigen Zauber immer wieder aus dem verworrenen Labyrinthe unserer Hirngespinnste heraus auf ihren einfachen gebahnten Weg, wo nach tausend Seitenstegen die große Straße Alle wieder aufnimmt, die nicht seitwärts ihre Kraft ganz in Sümpfen verloren oder sich im Sturm der Leidenschaften in Abgründe stürzten. Und diese Sümpfe und Abgründe sind keiner Secte ausschließlich allein eigen.

Ich glaube gezeigt zu haben, daß die Tugend des Atheisten, wenn man ihren egoistischen Bemühungen anders diesen heiligen Namen gönnen will, ebensowol die Probe halten kann als die Tugend irgend eines andern Systematikers. Sie liegt nothwendig zwar nicht mit diesem Namen, aber doch mit ihrem Wesen in seinem Egoismus gegründet, und er scheint ihr, nach meiner Meinung, eine desto größere Huldigung zubringen, da er ihr geradezu als ihrer eigenen gegenwärtigen Belohnung folgt, ohne an der Hand der schönen glühenden Hoffnung erst noch künftig einen neuen Aufschluß der Ordnung zu erwarten und einen verhältnißmäßig größern Lohn für seine Aufopferungen zu fordern. Er ist der Meinung, nach dem millionenjährigen blinden Zufall, nach dem allgemeinen Egoismus eines jeden Wesens und der natürlichen Tendenz aller konnte keine andere Erscheinung entspringen als die Erscheinung unserer oder einer ähnlichen Welt; er sieht ein oder glaubt einzusehen, welches für ihn einerlei ist, Eigennutz halte jedes sich selbst und durch Zusammenhängen eins das andere, bis die abgetriebene Maschine zerfällt und zu neuen Formen in neue Fugen tritt, wo dann das Spiel des Zufalls von vorn anfängt. Die Religion mit ihren Mysterien und Gegenständen des Geisterglaubens hätte freilich von dem Atheismus und seinen ungeheuern Behauptungen oder Zweifeln nichts weniger als ihren gänzlichen Fall zu fürchten, wenn er mit seinen finstern trostlosen Sätzen bis zum evidenten Beweise vordringen könnte; aber zum Glück für den gewöhnlichen schlichten Menschensinn sind die Anmaßungen des Atheismus noch weniger einer demonstrativen Evidenz fähig als die Cardinalbegriffe, welche die Deisten und alle positiven Religionslehrer auf Glaubensgründen zur Erklärung der Dinge aufstellen; und zu noch größerm Glücke treffen am Ende für das praktische Leben die Streitenden in einem Punkte zusammen, so sehr sie auch über die Erörterung der Grundbegriffe mit aller Anstrengung der Geisteskräfte sich auf metaphysischen Syrten herumtreiben. Es liegt schon in der Natur des Atheismus, daß er nicht allgemein werden kann, da schon eine ungewöhnliche Anstrengung der Seele und eine oft vorhergegangne tiefe fruchtlose Untersuchung über die Natur der Dinge dazu gehört, nur den Gedanken davon zu fassen. Ein Mann von leidenschaftlichem, grobem, blindem Egoismus ist kaum der Idee der Gottesleugnung fähig, so sehr auch sein moralisch-nichtswürdiges Betragen das Wesen lästert, das er bekennt; und von dem anerkannten feinen klug geleiteten Egoismus des kalten traurigen Spähers hat die praktische Tugend nichts zu fürchten, da er im Grunde mit ihr im Bunde stehen muß. Das kalte, finstere, trostlose, grauenvolle Gebäude des Atheismus wird also nie viele Einwohner bekommen, und die dahin flüchten, sind für die philosophische und moralische Welt, was meistens die Eremiten für die übrige Menschengesellschaft sind: isolirte, hoffnunglose, verirrte Seelen, die zwar selten viel Gutes stiften, aber auch selten viel Schaden anrichten. Freilich, wenn es möglich sein sollte, daß die Lehren dieser düstern Secte jemals auf den Geist der Menschen in gesellschaftlichen Verhältnissen so viel Einfluß gewönnen, als der entgegengesetzte Fanatismus der Möncherei und Priesterwuth einst zum blutigen Denkmal menschlicher Verirrung wirklich besaß, so müßte die Menschheit von dem blinden Egoismus des Pöbels der Secte ebenso grausame Wunden fürchten, als ihr von dem blinden Feuereifer der Fanatiker aller Art schon geschlagen wurden. Wie ich aber schon bemerkt habe, der Atheismus mit seiner verwirrten traurigen Weisheit kann nur in den ungeheuern Köpfen solcher Geister entstehen, die mit ihren Gedanken die Gottheit wie ein Dreieck zu messen wagen und sie über der Untersuchung verlieren. Sie können sich nie ganz von ihr entfernen, sondern überziehen nur durch den kühnen schwindelnden Blick das Auge ihres Geistes mit noch dickerer Finsternis als es vermöge ihres Wesens in Ansehung dieser unerreichbaren Idee mit strahlender Unwissenheit schon umhüllt war. In den alten Zeiten finde ich nicht einmal, daß man diesen unglücklichen speculativen Köpfen je ihre Tugend streitig gemacht oder sie darüber angetastet hätte. Lucrez nimmt sich, so viel ich mich erinnere, nicht die Mühe, seinen Epikur darüber zu rechtfertigen; welches er gewiß nicht würde unterlassen haben, wenn dieses damals eine Quästion gegen ihn gewesen wäre. Auch die ersten duldsamen Kirchenväter, die einander in philosophischen Streitfragen das alte verträgliche Hanc veniam petimusque damusque vicissim gern zugestanden, waren weit entfernt, einander deswegen zu beunruhigen, bis man anfing, über Spitzfindigkeiten und Grillen der guten herrlichen Urmoral des Lehrers zu vergessen, aus dem Zirkel des praktischen Lebens herauszugehen und Streitigkeiten mit Hitze und Lieblosigkeit auszufechten, die mit Tugend und Moral nicht in der geringsten Beziehung standen und nie in dem Sinne des großen Lehrers gelegen hatten. Aber auch während dieser ganzen Periode warf man die Frage über die Möglichkeit der Tugend eines Gottesleugners nicht auf, so sehr auch einige Häupter der Kirche mit ihren Meinungen und Erklärungen selbst an den Sinn des atheistischen Systems grenzten. Erst in den neuern Zeiten ist die Verdammungssucht dieser Art erwacht, ohne daß man eigentlich recht wußte, welchen Begriff man mit der Beschuldigung eines Atheisten verband. Die alten Athenienser schämten sich herzlich des Urtheils, das man über Sokrates gesprochen hatte, und die Männer, welche der blinde Aberglaube opferte, sind noch jetzt die Zierde der griechischen Nation. Auch Banini verbrannte man, und das ganze Collegium seiner Richter würde mit aller seiner christgläubigen Gottesverehrung vielleicht keine einzige Strophe seiner Ode zum Lobe der Gottheit gemacht haben; so sehr war der Mann, den sie verdammten, durch Kopf und Herz selbst in diesem Punkte über sie erhaben!

Es ist allerdings der Gutherzigkeit und Wohlgemeintheit der Orthodoxen nicht zu verdenken, daß sie von den Sätzen des Atheismus für Moral und Bürgertugend mehr befürchten als von aller Ketzerei in den Artikeln Sub utraque und De communicatione idiomatum, da sie bei dem ersten Anblicke so schreckbar und fürchterlich aussehen. Wir haben bei näherer Betrachtung gefunden, daß sie zwar für den Besitzer selbst trostlos und hoffnungleer, aber doch für die übrige Menschheit nicht so tödtlich sind, als sie der erste Schrecken darstellt. Uebrigens wird das System aus schon oben angeführten Gründen noch weniger irgendwo ein Volksglaube werden können, als es je der Deismus oder irgend ein philosophisches System werden wird. Denn alle diese Systeme ruhen zu sehr blos auf kalten abgezogenen Begriffen, deren der menschliche Geist im Allgemeinen schwerlich fähig werden wird. Jedes Religionssystem, das ein Volk führen soll, muß mit etwas Menschlichkeit gewürzt sein, damit es Phantasie und Gefühl auch bis zum Enthusiasmus beschäftigen kann. Freilich werden daraus zuweilen Täuschungen entstehen, aber diese Täuschungen sind doch meistens so wohlthätig, so menschlich schön, wie es nie die irrsamen Streitfragen der Philosophen sind, die sich meistens in dem Dunkel endloser Windungen der Skepse verlieren.

Ueber seinen Egoismus brauchte oben der Atheist zur Prüfung und Berichtigung desselben zwei Kriterien, von denen ich behauptete, daß sie auch in der Untersuchung der Wahrheit und Tugend überhaupt von Giltigkeit seien, nämlich Allgemeinheit und Dauer. Freilich sind sie auch von keiner unumstößlichen nothwendigen Evidenz; aber wir dürften doch schwerlich für das praktische Leben höhere haben, welche die Skepse nicht ebensowol mit ihren Schlingen umwickeln könnte. Ich glaube, wenn etwas von allen Individuen eines Geschlechtes in allen Verhältnissen, aus allen Gesichtspunkten betrachtet, zu allen Zeiten ohne Veränderung für alle Individuen das Nämliche ist, so ist diese Erscheinung für das ganze Geschlecht, das einen gemeinen Maßstab seines Urtheils hat, auch gemeine Wahrheit, und es ist jedem Individuum unmöglich, sich die Sache anders zu denken, weil nie eine andere Erscheinung davon existirte. Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Mathematik unumstößlich, alle bewährte Erfahrungen der Physik, die, millionenmal wiederholt, sich einander nie widersprechen, obgleich nicht von der ganz gewissen Evidenz der vorigen. Für Tugend brauchen wir gar keine Veränderung der Prüfung; denn Tugend ist nichts anders als Ordnung und moralische Wahrheit oder in ihren Resultaten für das praktische Leben dasjenige, was wirklich Glückseligkeit schafft. Was also Gutes wirkt und angenehmen Zustand hervorbringt, allen Individuen ohne Ausnahme, in allen ihren Verhältnissen, ohne Jemand zu verletzen, zu allen Zeiten ohne Einschränkung, das ist wirklich Gutes, wirklich Tugend, man sage dagegen, was man wolle, und modificire und erkläre die Sache, auf welche Weise man wolle. Der Probestein der Tugend ist also am Ende doch immer nur der Nutzen, den die Individuen und die Gesammtheit aus ihr ziehen, und ich habe schon oben bekannt, daß ich nicht im Stande bin, mir einen andern höhern Begriff zu denken, so erniedrigend dieses auch immer klingen mag. Ich halte dieses für die weiseste Einrichtung des Schöpfers, so wie es sodann das schönste Geschenk desselben ist, daß wir diesen Grundsatz im Leben durch praktisches tägliches Handeln vergessen. Wir sehen, daß die Glückseligkeit der Andern mit der unsrigen durchaus Hand in Hand gehet, daß wir die unsrige erhöhen, indem wir die unserer Mitgeschöpfe befördern. Daraus entstehet eine hingebende Neigung, welche uns wohlthut, und in welcher endlich für das praktische Leben zur Wohlthat für das Ganze der erste Bewegungsgrund verloren geht. Es geht vielleicht hier mit der reinen, ganz uneigennützigen Tugend wie mit der Freiheit des Willens in der Metaphysik. Die Philosophie giebt sich zwar alle Mühe, sie zu behaupten und zu beweisen, kann aber mit allem ihrem Scharfsinn sie nicht von der Kette der Nothwendigkeit loswinden. Traurig über den Zwang, in welchem er sich fühlt, geht der Philosoph zurück in das große weite Feld des Lebens, wo die Natur ihre magische Kraft so tief versteckt gelegt hat, daß er, sich selbst unbemerkt, an ihrem unsichtbaren Leitfaden durch offne Sphären hineilt und so wenig den Zügel fühlt, daß er sich bald wirklich überzeugt, er sei frei wie ein Gedanke, wenn ihn nicht ein widriger Anstoß aus dem schönen freien Schwung wieder auf die Klippen der Skepse wirft. So rächt sich die Natur, sobald wir ihren Armen zu entweichen suchen und uns in Regionen wagen, für die wir auf diesen Lebensstationen noch nicht bestimmt zu sein scheinen. Sollte denn in dem Menschenleben so wenig mehr zu thun sein, daß wir durchaus unsern Flug über unsern Horizont hinaus nehmen müssen, aus dem wir selten etwas für die Gegenwart herunterbringen? Prudens futuri temporis exitum caliginosa nocte premit deus, sagt ein Mann, der sonst wol nicht immer muthig genung Wahrheit sagte, aber ein desto richtigeres Gefühl für dieselbe hatte, wo er sie ohne Gefahr sagen konnte. Hoffentlich geht unsere Tugend über das Grab hinaus; ein großer Theil der Menschheit, der doch wahrlich ebenso viel Anspruch auf Glückseligkeit hat als alle seine übrigen Brüder, würde sonst traurig zu beklagen sein. Wenn nun die Glückseligkeit, welche bewirkt wird, der Maßstab der Tugend ist, so folgt daraus, daß die Mittel, welche diese Glückseligkeit hervorbringen, die nähere Bestimmung der Tugend enthalten. Dieses ist ohne Zweifel ausgemacht: Gutes bringt Gutes, und Böses bringt Böses hervor; oder mit andern Worten: was beständig in allen Verhältnissen auf immer angenehme Gefühle erzeugt, ist Tugend, das Entgegengesetzte ist Laster.

Der erste und letzte Grund aller Tugend, die Base aller ferneren höher steigenden philanthropischen heroischen Schwingung ist das feste kalte Suum cuique oder Laede neminem, welches zum Grundprincip unstreitig wieder die alte Philautie hat. Um den Begriff der Gerechtigkeit zu prüfen, nehme man nun wieder die angeführten Kriterien, Allgemeinheit und Dauer, um zu erfahren, wie viel derselben wirklich in der Welt herrsche! Denn kein einziges Menschenwesen darf seine Forderungen zu keiner Zeit verlieren, und Verlust derselben durch Präscription wäre ein Attentat in die allgemeine Menschenvernunft. Aus diesen Ansprüchen Aller an Alle entstehet der Grundpfeiler einer ganz vernünftig gegründeten Gesellschaft, Isonomie, allgemeine Gerechtigkeit, welche in diesem Sinne wol noch nicht ihre Erscheinung unter den Menschen gemacht hat. Wenn Asträa diese Göttin war, so ist ihr Verlust dem Menschengeschlechte eine unheilbare Wunde. Die Griechen scheinen eine dunkle Ahnung dieses Gedankens in diesem Mythus gehabt zu haben, und wenn hier und da sich das Gefühl zum Begriffe erhellte, so wußten sie in der Angst nicht, was sie damit anfangen sollten. Auch jetzt, da man die Idee wieder auffängt, ist man in der ängstlichsten Verlegenheit, auf welche Weise man sie mit Sicherheit in das praktische Leben bringen soll. Die Gleichheit der Menschen hat zwar in der Natur unumstößlich ihre Richtigkeit. Wenn wir auch nicht in das Wesen des Menschen eingehen wollen, um sie schlußweise aus demselben herzuleiten und zu beweisen, so wird sie schon a posteriori dadurch dargethan, daß kein einziger Mensch sich den andern absolut unterwürfig machen kann. Denn weder die physischen noch die geistigen Kräfte können den Einen ganz vor den Angriffen des Andern in Sicherheit setzen. Was mir nun noch widerstehen kann, was ich nicht absolut unterdrücken und beherrschen kann, ohne es gänzlich zu vernichten, das ist mir in seiner Grundkraft, also in seiner Natur gleich. Ich habe nicht nöthig, dieses weiter auszuführen. Wird man nun diese Gleichheit in Gesellschaften oder gar in Staaten mit übertragen können? Die Idee hat in sich nichts Widersprechendes, sobald nur alle Individuen oder auch nur der größere Theil derselben gerecht sind. Wer wird aber dieses von dem Menschen zu hoffen wagen? Ihn halten nur Furcht und Gesetze, und wo er deren Meister ist, geht der größere rohere Haufe dem Sturm seiner Leidenschaften und seiner Begierden nach; sein grober, blinder Egoismus stürzt alle Schranken vor sich nieder. Gerechtigkeit kann ohne bürgerliche Freiheit nicht bestehen, und kein hoher Grad von Glückseligkeit und Vollkommenheit kann ohne dieselbe erreicht werden. Wer wagt es aber, das richtige Maß, das Zuviel und das Zuwenig unwidersprechlich zu bestimmen? Das Zuviel hat manchen Staat gestürzt, das Zuwenig manche Menschengeneration gemartert und sie zu Marionetten des Elends herabgewürdiget. Man erhebe ja nicht enthusiastisch die Freiheit der Griechen und Römer! Ihr Hochgefühl für dieselbe ist Alles, was uns in ihr Interesse gewinnen kann. Beide gepriesene Völker des Alterthums waren in ihren Nationaltransactionen blutige Barbaren. Es fällt in den römischen Geschichtschreibern gar nicht auf, wenn sie ganz trocken erzählen: »Und die gefangenen Anführer wurden im Gefängnisse getödtet, die Uebrigen aber als Sclaven verkauft.« Eine Brandmarke drückten die verbündeten Griechen der Menschheit ein, als sie im peloponnesischen Kriege alle braven Platäer nach der Einnahme der Stadt durch das schändlichste Kriegsrecht, das je gehalten wurde, hinrichten ließen: eine Trauerscene, an welcher der kraftvolle menschliche Thucydides sein ganzes Pathos erschöpft hat. Wer kann an Sparta denken, ohne über den Schicksalen der Messenier und Heloten eine menschenfreundliche Verachtung gegen die seelenlosen Eisenmänner zu fühlen? Die Geschichte beider Völker ist voll von Schauspielen, die jetzt das ganz gewöhnliche Menschengefühl empören würden, so sehr, daß die Philanthropie in Versuchung geräth, den Spartacus für den ehrenvollsten Feldherrn der alten Menschenkunde zu halten. Wer kann in Republiken die Gesetze de ambitu eisern genung machen, daß sie nicht durch das Gold, die List, die Verwegenheit, die Cabale, den Parteigeist durchbrochen werden könnten? Und doch sind allein diese Gesetze die Base und Mauer der Regierungsform; sind diese Schranken gebrochen, so ist der Staat verloren. Griechenland und Rom sind davon Beispiele. Richtig ist es unstreitig, in republikanischen Verhältnissen steigt Menschenwerth und Menschenvollkommenheit am Höchsten; aber richtig ist es auch unstreitig, in ihnen sinkt Menschennatur und Menschenverderbniß am Tiefsten. Selbst die Geschichte unserer Tage, die sich doch aus der alten Tiefe des Unsinns im öffentlichen Rechte ziemlich erhoben haben, hat noch neue frisch blutende Beispiele von beiden. Nur dann, wenn die Begriffe von Bürgerfreiheit und allgemeiner Gerechtigkeit von den Männern der Nationen richtig und lebendig gefaßt werden, können wir Hoffnung haben, daß die innerlichen und äußerlichen Verhältnisse der Staaten in eine solche wohlthätige Harmonie treten werden, wo der herrliche philanthropische Traum des Vater Kant vom ewigen Frieden vielleicht einst in Wirklichkeit übergehen mag.

Unvermerkt hat mich eine warme Einbildungskraft von meinem Gegenstand entfernt; ich kehre zum Schluß zurück. Diejenigen, von denen die Staaten alter und neuerer Geschichte viel gefürchtet und gelitten haben, waren nicht Atheisten. Bei dem Gottesleugner wird man vermöge seines kalten abstracten Ideenganges unmöglich den groben Egoismus treffen können, da dieser nur in dem dicken Dunstkreis der Leidenschaften liegt, über welchen sich die isolirte traurige Speculation des Atheismus schon vermöge ihrer Natur erhoben hat. Der feinere Egoismus trifft immer mit der Idee von Recht zusammen und kann also in keinem Verhältnisse dem Staate gefährlich werden, da ihr auch jeder andere rechtschaffene Mann von jeder andern philosophischen oder religiösen Partei gleichfalls folgen muß. Könnte aber der Atheist zum ganz groben, leidenschaftlichen Enthusiasmus herabsinken, so würde er dadurch ebenso gefährlich und nicht gefährlicher werden als jeder andere Fanatiker, der von seinem blinden, im Grunde ebenfalls egoistischen Enthusiasmus geführt wird.

Also bin ich überzeugt und glaube durch diesen Vortrag es auch dem Leser begreiflich gemacht zu haben, daß, obgleich die Begriffe von Religion, Pflicht und Tugend in dem Sinne der Puristen sich durchaus nicht mit dem Atheismus vertragen, das praktische Leben und folglich die Gesellschaft von ihm nichts befürchten darf. Damit behaupte ich gar nicht, daß der Atheist vermöge seines Systems vorzüglich geschickt sei, ein guter, patriotischer Bürger zu werden. Da der Stunden des Nachdenkens in dem Menschenleben doch natürlich, zumal bei einem so kalten, tief abstracten Kopfe, sehr viele sein müssen, so kömmt er in denselben, da er sich sonst an keinen Gegenstand halten kann, beständig zu seinem Ich zurück, und die öftere Beschäftigung mit diesem kalten, auch noch so fein sublimirten Egoismus droht ihn endlich ganz von seinen bessern Menschengefühlen zu isoliren. Er ist nur dann Mensch, und guter, theilnehmender Mensch, wenn sein Herz vor seinem Kopfe hergeht oder seine wärmere Empfindungen ihn so beschäftigen, daß sie ihn nicht zu seinen Abstractionen zurückgehen lassen: und dann kann er für seine Mitbürger ebenso wohlthätig als ein rein Tugendhafter werden; schädlich läßt ihn sein System selbst niemals sein. Aber wenn auch die Gesellschaft durch dasselbe von ihm nichts verliert, so verliert er selbst desto mehr. Er sieht sich blos als einen Spielball des Zufalls an, ohne weitere Zwecke und höhere Würde. Für ihn ist kein Vater der Wesen, keine Verwandtschaft der Geschöpfe, keine brüderliche Vereinigung zur gemeinschaftlichen Glückseligkeit. Ein Jeder neben ihm rollt traurig isolirt als ein eben solcher Spielball hin, wo ihn der nämliche Zufall hinstößt; blos die Tendenz der blinden Materie zur Cohärenz macht bei ihm die Erscheinung von Glückseligkeit, gemeinschaftlichen Bedürfnissen und den ganzen Zusammenfluß des feinern Egoismus. Wenn auch wirklich am Ende alle Tugend in diesen Egoismus sich auflöst, so täuscht sich doch jeder Andere so gern und vergißt in der philanthropischen Mittheilung und dem freundschaftlichen Ergusse der Gefühle den Gedanken, da nicht geradezu sein ganzes System darauf beruhet und er so viele andere aus Glaubensgründen festgesetzte Begriffe hat, die ihm Beschäftigung, Nahrung und Unterstützung gewähren. Jeder Andere denkt den Gedanken nur mit einer unangenehmen Anstrengung: der Gottesleugner muß ihn wegen der Consequenz überall vorausschicken; und dieses muß sodann seinem ganzen Wesen eine gewisse traurige Menschenscheue geben, die er nur durch Entfernung des Denkens überhaupt von sich entfernen kann. Zum Glück haben solche finstere Männer meistens ein ebenso großes, gefühlvolles Herz, als sie einen tiefen, forschenden Geist besitzen. Wirklich habe ich selbst einen Mann dieser Art gekannt, der einige Jahrzehende trübsinnig in den Systemen der Alten und Neuen herumgewühlt hatte, der jetzt mit allem fürchterlichen Ernst eine trostlose Stelle des Spinoza erklärte und behauptete und kurz darauf eine schöne moralische Stanze in seinem Silbertenor zum Erstaunen und zur Rührung aller Anwesenden mit allem Ausdruck des wahren Gefühls sang, der mit aller Kälte der Speculation sein egoistisches System vertheidigte und einem Unglücklichen, der ihn nicht bat, heimlich einige Goldstücke reichte und ein paar muntere, ihm wildfremde Knaben aus seiner eigenen Garderobe kleiden ließ. Es ist gewiß ein traurig rührender Anblick, einen solchen Mann zu sehen, der ohne alle Ansprüche auf Zukunft, ohne alle Begriffe von Pflicht, ohne alle offene Anerkennung reiner Philanthropie aus dem feinsten Gewebe seines Systems heraus den schönsten menschlichen Tugenden opfert; Alles blos für den augenblicklichen Lohn seines Herzens. Es würde mir, wenn ich noch nicht völlig von der Existenz eines unaussprechlich gütigen, weisen und mächtigen Schöpfers und Vaters der Natur überzeugt wäre, ein neuer, fester, herzlicher Grund zum Glauben an ihn werden, daß keines seiner erschaffenen Wesen, es mag sich noch so weit von den Gedanken an ihn entfernen, sich ganz von ihm und seiner Glückseligkeit verlieren kann; so göttlich, väterlich sind alle Einrichtungen der ganzen Natur, daß selbst alle Irrwege zuletzt im wesentlichen Punkte der Tugend und Glückseligkeit zusammentreffen.

Man wird mich aus dem, was ich bisher gesagt habe, nicht der Anhänglichkeit an dieses unglückliche System beschuldigen, da ich nach einem Gefühl allgemeiner Gerechtigkeit es gegen die harten Beschuldigungen der Zeloten zu vertheidigen suchte, welche behaupten, indem der Atheist den Begriff der Gottheit und der Religion aufhebet, breche er dadurch alle Tugend und Pflicht und alle Schranken bürgerlicher Gesellschaft nieder; welches aber, wie ich gezeigt habe, ein Widerspruch in seinem System wäre. Zwar kann ich jetzt nicht, nach mehrern Jahren des Lebens und des Denkens, mit Unbefangenheit alle Artikel unterschreiben, die mir einst die religiöse und philosophische Dogmatik mit dem Ansehen der Infallibilität dictirten; aber wenn auch hier und da eine Latte des Daches zerbrochen oder ein Balken des Obergebäudes aus der Fuge getreten ist, so steht doch noch der Grund in seiner ganzen Unerschütterlichkeit fest und wird jedes Gebäude zu tragen im Stande sein, welches auf ihn wirklich richtig gepaßt wird. Wenn auch der Gedanke Gott, Vorsehung, Tugend, Zukunft und Verbindung der jetzigen und künftigen Existenz trotz ihrer selbst philosophisch höchsten Wahrscheinlichkeit nicht Wirklichkeit sein sollte, so wollte ich mir selbst für mein Dasein die schöne, wohlthätige Täuschung nicht nehmen lassen, die mich zu einer solchen Würde zu erheben und in dieser Würde mir eine solche Ruhe zu gewähren fähig ist. Ich habe bei dem Gedanken wenigstens die süße Hoffnung, von dem Räthsel der Schöpfung einst so viel lösen zu können, als ein endliches Wesen davon zu fassen vermag. Zu dieser Höhe kann kein Gottesleugner steigen; diese Hoffnung kann keiner der Männer ohne Trost haben; denn so viel sie auch von der Natur, von dem Ganzen und von den Theilen und von der ewigen Vereinigung mit finsterm Tiefsinn philosophiren, so wird doch nie aus dieser ewigen Nacht ein heller Gedanke hervorgehn, der auch nur auf bloßen Glaubensgründen beruhete, und an dem sich ein Mensch mit blos menschlichem Sinne und Gefühl halten könnte.


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