Willy Seidel
Die vier Augen
Willy Seidel

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III

In ein verändertes, ausgehungertes, verarmtes Deutschland kamen wir zurück. Ich hatte all mein Geld verloren; jedoch Toodie machte um diese Zeit eine große englische Erbschaft.

Ein wilder Drang nach Entschädigung für die verflossenen kriegsverödeten Jahre brach aus ihr hervor. Ich verstand sie gut genug, um ihr die Scheidung zu erleichtern; halb aus Mitleid half ich ihr dabei und halb aus Überdruß; ich war fast froh, als ihr ein ehemaliger Gardehusar bei Musikbegleitung seine muntere Männlichkeit zu Füßen legte. So tat sie den Sprung über mich hinweg und nahm auch die Kinder mit. Ich ließ sie ihr.

Im großen Zusammenbruch löste sich auch mein kleiner Familienzerfall harmonisch auf. Meine Lebensebene hatte sich verschoben. Ein neues zweites Ich mit anderen Bedürfnissen gewann an Boden in mir. Ich heiratete eine junge Frau.

Du wirst es kaum glauben: meine ganze Beziehung zu Toodie, ähnlich wie der Krieg, war nun wie ein Fremdkörper in meinem Blut oder wie Leben, von einem Doppelgänger gelebt. Mir war, als habe mir irgendeinmal jemand etwas sehr Eindringliches und Buntes erzählt. Alles, was mich an sie und die Kinder erinnerte, kam zu anderen Bildern, Briefen, Bekenntnissen sozusagen in die Kampferkiste. Ich glaubte alles vergessen zu können. Vergessen zu können!«

»Ich begreife dich ja, Andreas. Wie kam es dann aber, daß die Vergangenheit dich nicht losließ?«

»Jahrelang meldete sich nichts. In den letzten Monaten aber kamen Träume. Die weggehaltene ferne, schattenhafte Toodie meldete sich wieder. Ich träumte folgendes: Mit meiner heutigen jungen Frau weilte ich in kraus exotischen Landschaften; in nie geschauten Städten voller Winkelwirrsal. Ein merkwürdiges Traumkompromiß dabei war, daß auch meine Frau, Marga, nach Toodie suchte. Marga meinte, es ließe sich immerhin gut Kirschen essen mit Toodie. In der Folgerichtigkeit des Traumes erschien daraufhin sofort eine Schüssel mit Kirschen, von denen Toodie, die sich plötzlich eingestellt hatte, die schönsten um ihre Ohren hängte; dabei lächelte sie und war so jung, wie ich sie im Leben nie gekannt hatte. Sehr bald darauf, im Takt der Grammophonmelodie aus unserer Verlobungszeit, jenes Turteltaubenduetts, schlenderte sie tänzelnd um die Ecke und verschwand, während ich weinen mußte. Sie kam mir vor wie eine verfehlte, halb verwischte Momentaufnahme.

Seitdem traf ich sie öfter im Traum. Ich litt an einer dunklen Schuld, die sie mir aufgebürdet; sie besaß einen großen Privatpark, und ein Gardehusar, der eigentlich gar nicht zu uns gehörte und eine weiße Uniform mit Litzen trug, sang im Hintergrund eine dröhnende Arie, aus der Besitzerfreude schmetterte.

Zuletzt ging ich mit Marga quer über eine Insel, und wir suchten den Ozean. Als wir ihn gefunden, nahm Marga Abschied von mir und bestieg einen Dampfer. Sie wolle nach Deutschland fahren, sagte sie dabei; da gehöre sie hin; ich fand das selbstverständlich. Einstweilen fühlte ich die Verpflichtung, wieder nach Toodie zu suchen. Es war sehr schwül; es war so einsam... und nun geriet ich in eine Stadt voll bunter Gefahren, und zwar in die Halle eines Hotels. Ein kleiner gelber Manager sagte: ›Bemühen Sie sich bitte in den Lift, Senor. Es ist hier zu tropisch.‹ Dies leuchtete mir ein. Als ich in mein Hotelzimmer kam, hingen stockfleckige Spiegel darin, und statt auf Parkett trat ich auf Erde. Ununterbrochen gingen Leute durch diese Spiegel.

Auf einmal erblickte ich Toodie, und sie sagte auf spanisch zu mir: ›Willst du uns wirklich verlassen?‹ Und nun gab es Angus und Leila, sie kletterten auf meinen Schoß und äußerten lauter unverständliche Sätzchen, an deren jedem ein kleines Fragezeichen hing. Plötzlich machten sie sich strampelnd von mir los; ich gab mir Mühe, sie festzuhalten, aber es gelang mir nicht.

›Es ist deine Schuld‹, sagte Toodie gleichsam nebenhin. Das begriff ich nicht ganz. › Meine Schuld?‹ fragte ich. Aber sie sagte nichts mehr. Sie umfaßte die Kinder mit beiden Armen und bettete sich mit ihnen auf die Erde, langsam und vorsichtig, als habe sie Kostbares und Zerbrechliches in Händen. Und da war es, als öffne sich ein Spalt; als schlucke die Erde die drei allmählich auf. Ihre Gesichter, mit seltsamem Ausdruck, unablässig nach mir spähend, versanken vor meinen Augen. Wie gelähmt sah ich Unwiederbringliches entschwinden ... Ich wollte zugreifen, aber was mir in der Hand blieb, waren drei seltsam verdorrte Pflanzen.


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