Willy Seidel
Das siebenköpfige Tier
Willy Seidel

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VII

Seraphine genas nach langem Siechtum. – Das Kohlbeet, darauf sie gefallen, hatte den Sturz gemildert.

In ihren Delirien ängstete sie noch verschiedene Male jenes frühere Traumbild: die Gestalt auf dem Thron. Sie war nun von der Farbe schmutzigen Purpurs. Sechs Krönlein, zerbeult wie Blech, rutschten herab vor ihren Augen. Die Krone des mittelsten Kopfes, des größten, war in ihn hineingetrieben; sie hing über einer versteinten Grimasse. Die tümpelschwarzen Augen glänzten flehend; dann wandelten sie sich zu toten Kohlen. – Einmal noch, vor dem endgültigen Verblassen des Alpdrucks, zuckte das geschändete Tiergesicht empor und schnappte nach ihr – in halberstorbener Art, als wolle es letzten Atemzug zurückschlürfen aus ihrer Hand.

Der Pfarrer D. Hilarius Degele, der Wackere, kam oft und saß an ihrem Bett. Man hatte sie bei den Vinzentius-Nonnen untergebracht. Sein Zuspruch und das geruhige Leben dort gaben ihr Frieden und auch Gesundheit wieder. –

Der Tischler Gotthold Reibedanz lebte noch um die Wende des Jahrhunderts im Irrenhaus bei Stuttgart.

Man berichtet von ihm, daß er sich sanft und fügsam geführt habe, seinem Zimmermannsberuf still und arbeitsfreudig hingegeben.

Kurz: er war ein Musterkranker. Woran der selbsterkorene Heilige, dessen Wesen anschmiegsame Gefolgschaft war – gehegt von der ihm zugewandten Teilnahme des Sanftesten – wohl auch seinen Anteil gehabt.


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