Willy Seidel
Das siebenköpfige Tier
Willy Seidel

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V

Am folgenden Nachmittag saß Seraphine wiederum auf dem Speicher, an der Luke, und blickte hinaus.

In ihren hellgrauen Augen spiegelte sich die Landschaft. Ackerdunst trieb herein.

Langsam verließen ihre Augen den fernen Hügel und glitten von den Korn- und Rapsfeldern zu den Gemüsebeeten des Vaters, wo weißer Falter lautloses Wimmeln war.

Das ewige leise Klopfen des Mühlenrades durchdrang das Haus. In der Sägerei setzte das metallene Kreischen ein; das schlurfende Stampfen: nun waren der Vater und Molk wieder in der Werkstatt. Der Ton spindelte sich hoch und endete mit einem Sturz ins Leere.

Seraphine wälzte sich auf den Rücken und entschlummerte. In dem Wespennest, das über ihrem brandroten Haar im Gebälk hing, geschah leises papierenes Knistern: betreut von schon entschlüpften Schwestern, wanden die reifen Larven sich und sprengten die Deckel ihrer Wandlungssärglein. Eine der Neugeborenen fiel herab und spazierte in den Ausschnitt des kattunenen Kleidchens der Schläferin; durchirrte das Tal der jungen Brust und fand nicht hinaus. Und während dies geschah, hatte Seraphine einen seltsamen Traum.

Sie sah eine Gestalt auf einem Thron; sah Zepter und Zacken einer Krone und wußte untrüglich, daß dieser Gestalt jede Macht über sie gegeben sei. Zu beiden Seiten der großen Krone entstanden nun wie Knospen je drei weitere Krönlein, und zu ihrem Erstaunen bewegte sich die ganze Häupterschar. Plötzlich beugte sich der mittelste, größte Kopf zu ihr herab, als ob er sie ... küssen wollte. Sie lag wie gelähmt und zog sich dann, mit letztem Willen, jäh zusammen. Da stach die verirrte Wespe sie in die Brust. Mit einem Schrei sprang sie empor und riß das Kleid von der Schulter: da waren Stich und rote Schwellung; und beides mengte sich mit dem schaurigen, nur mählich verblassenden Traum.

In der harz- und fäulnisgeschwängerten Schwüle stand sie völlig schlafbenommen. Da stieg's wie süße Qual in ihr empor und beklemmte ihr die Brust; ihr Kopf schwamm in Fieber. Im Sonnendunst formten sich hagere, dunkelbraune Hände, die sie gierig betasteten. Eine Fledermaus, zerdrückt über ihr, piepste; mohnrot fiel es wie sengende Tropfen auf ihre Haut. Sie stammelte: »Mutter!« – und fühlte sich von schwarzen, dumpf riechenden Flechten eingehüllt, und Goldmünzen klirrten in diesen Flechten. Während sie niedersank, verebbte der erregende Traum. Stumpf hockte sie eine Weile. Dann, völlig wach, fuhr Seraphine mit der Hand über die Stirn.

Ihr war, als werde sie emporgehoben. Als zerre etwas an ihren kraftlosen Knien, lenke sie in die Schatten des Gerümpels.

Mühsam wand sie sich durch die morschen Stapel. Mit einem Ruck stand sie still.

Ein Ton drang ihr entgegen; er kam zwischen den hundertjährigen Dachsparren hervor von dorther, wo sie auftrafen auf den Speicherboden.

Ein Zirpen ... wie Wasserrieseln.

Schweiß netzte ihren Rücken. Mit fast versagender Kraft zerrte sie Brett nach Brett vom Stapel herab; es war dickes Eschenholz. Endlich fiel Licht in die Ecke, aus der Zirpen drang, und Gestank schlug ihr entgegen. – Sie spähte hinein.

Wie Nestvogelbrut erkannte sie sieben Häupter. Pendelnd, witternd, aufgestört. Aus dreieckigen Mäulern scholl ein schriller Ton. Perlmutterne Zahnpaare blinkten in Bärten aus verstaubtem Stichelhaar. Und alle Augenpaare, gierig und tintenschwarz, funkelten ihr zu. Sie blickte bebend, doch wie festgebannt, herab. Dann schob sie ein Brett über das Rattennest und kletterte zurück; tief in Gedanken. –

Scheu schlich sie von nun ab hinauf, mit Brot und Milch, und schob's unters Brett. Mit angehaltenem Atem lauschte sie, wie's zugriff dort drinnen; wie's eifersüchtig zwitschte, sich knuspernd atzte.


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