Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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11. Ein neues Haus und neues Leben.

Hühnchen hätte nicht er selber sein müssen, wenn nicht in kurzer Zeit der unverwüstliche Sonnenschein seines Innern wieder zum Durchbruch gekommen wäre, nur mit dem Unterschiede, dass unter den Saiten seines Gemüthes nun eine sich befand, die wehmüthig nachklang, so oft sie auch nur leise berührt wurde.

Im nächsten Sommer nach dem Tode unseres Kindes kam er, nachdem er sich fast acht Tage lang garnicht hatte sehen lassen, in der freudigsten Aufregung zu uns.

»Theuerster Freund,« sagte er, als er kaum das Zimmer betreten hatte, »vor Kurzem habe ich eine Idee gehabt, die mich förmlich berauschte. Du weisst, wie glücklich ich war damals über den Einfall, dich zu bitten, zu uns zu ziehen, als hätte ich damals schon ahnen können, wie viel Liebes und Holdes daraus für uns alle erwachsen würde. Aber diese neue Idee ist noch viel glanzvoller. Wie ein Blitz aus blauer Luft kam sie mir plötzlich und sie lautet so: Warum baue ich mir eigentlich kein Haus, in dem für uns alle Platz ist, für euch und uns. Ich frage dich, giebt es was Einfacheres und Gesünderes als diesen Einfall und doch hat es über fünf Jahre gedauert, bis er mir kam. Nun weiss ich endlich, wesshalb mir alle meine vielen Pläne bis jetzt nicht gefielen, denn ich dachte dabei immer nur an uns zwei einsamen Leute. Und denke dir, kaum hatte ich diese Idee gefasst, da kam Einer und bot mir ein Grundstück an. Ein Fingerzeig des Himmels! sagte ich mir. Als ich aber dies Grundstück sah, da dachte ich bloss: »O Isis und Osiris!« Denke nur, den schönsten Traum meines Lebens sah ich vor mir verkörpert, denn es war ein Teich darin. Verstehst Du? Ein ganz unzweifelhafter, veritabler Teich mit Wasserrosen, Schilf und Rohrbomben. Ich fing fast an zu zittern vor Angst, ich könnte meine Begier nach diesem Grundstücke zu deutlich verrathen. Ich sage dir, mit wahrhaft übermenschlicher Anstrengung habe ich Gleichgültigkeit geheuchelt, während die verlockendsten Phantasiebilder von Gondelfahrten im Mondschein, von Entenzucht und Fischerei-Vergnügen mich umgaukelten. Was meinst Du, wenn ich in der Mitte eine Insel anschütte mit einem Schwanenhäuschen darauf. Für Schwäne ist der Teich allerdings nicht recht geräumig genug. Aber deine Kinder könnten auf der Insel Robinson spielen. Und wie denkst Du über Karpfen? Oder bist Du mehr für Karauschen? Und ich will nur gleich damit herausschiessen – ich hab' es schon. Das Grundstück nämlich. Obwohl es über einen Morgen gross ist, war es garnicht so sehr theuer, weil es nämlich ziemlich weit vom Bahnhofe liegt. Eine gute halbe Stunde zu gehen. Aber für Menschen wie wir, die eine sitzende Lebensart führen, ist die nothgedrungene Bewegung, welche diese Entfernung mit sich bringt, ja Goldes werth. Ich kann dies nur für einen weiteren Vorzug dieses Grundstückes halten. Nicht? Was?«

In mir war die Befürchtung aufgestiegen, Hühnchen hätte sich durch diesen, nach seiner Meinung so überaus werthvollen Teich die Augen verblenden lassen und ein Grundstück erworben mit zwar manchen wässrigen, aber wenig irdischen Vorzügen und dieser Ansicht gab ich schüchtern Ausdruck.

»Thomas!« sagte Hühnchen vorwurfsvoll und dann entrollte er strahlenden Auges ein Papier, das er in der Hand trug: »Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister!« rief er dann emphatisch, indem er zwei Bücher auf die Ränder legte, um die Rolle am Zurückschnellen zu verhindern. »Hier erblickst Du bereits Alles, das Haus, den Teich, die Gartenanlagen, ich habe bis gestern nach Mitternacht daran gearbeitet im Feuer der Begeisterung.

Siehst Du das Haus? Seinen Grundriss halte ich für ein Meisterwerk, und jeder Architekt würde mich um die Lösung beneiden. Hier in diesem Flügel hat die Familie Hühnchen drei niedliche Zimmerchen. Sie begiebt sich dort aufs Altentheil, oder wie man in Baiern sagt, in's Austragstüberl. Siehst Du hier meinen Schreibtisch? Wenn ich die Augen erhebe, fallen meine Blicke auf den Teich und seine romantischen Ufer. Und dort wohnt Ihr. Siehst Du wohl das kleine Vogelstübchen neben deinem Arbeitszimmer ? Was sagst Du dazu? He? Dort in jener, von aussen mit Rosen überrankten Erkernische hat Frieda ihren Nähtisch stehn und ihre Blumen. Dort wird sie sitzen wie eine Madonna im Grünen. Oben sind die Schlafzimmer, Kinder- und Fremdenstuben und Sonstiges. Ahnst Du, was dieser kleine Raum bedeutet? Das ist die Apfelkammer, denn in diesem Garten werde ich unermessliches Obst bauen. Hier, das grosse Gebüsch in der Ecke, zwischen dem Gartenzaun und dem Teich, das ist der Nachtigallenwinkel. Dort wird eine Laube von wilden Rosen sein, deiner Lieblingsblume, und sonst undurchdringliches Buschwerk. Dort wirst Du Nachtigallen und sonstiges vergnügliches Gefieder ansiedeln und an schönen Frühlings- und Sommerabenden 'n bischen auf deinem geliebten Pegasus reiten.«

»Was ist denn das dort in der anderen Ecke?« fragte ich. »Da steht ja: »Der Weinberg.««

»Ja,« sagte Hühnchen und sah ganz ungemein schlau aus, »das ist eben der Weinberg. Aber keiner von gewöhnlicher Art, sondern dort werde ich eine riesige Johannisbeerplantage anlegen. Die Beeren werden wir keltern und alljährlich ein Fass köstlichen Weines in unseren Keller einthun. Dann, wenn wir unseren Gästen davon vorsetzen, werden sie fragen: »Ei, wo habt Ihr denn diesen herrlichen Tropfen her?« Und stolz und schmunzelnd werden wir antworten: »Hm, eigenes Gewächs.« – Von Nachbarschaft werden wir einstweilen nicht belästigt werden, denn in der ganzen Gegend hat sich noch kein Mensch angebaut. Wir werden dort hausen als die äussersten Pioniere der Kultur. Doch was schadet das, Berlin wird uns schon nachkommen. Wenn sich einer mal erst so weit hinaus gewagt hat, so wirkt das, als sagte diese Ansiedelung fortwährend zu den weiter zurückliegenden: »Tuck, tuck, mein Hühnchen!« und bald lassen sie sich locken und kommen ihm nach die Häuser und Häuserchen, und, siehe da, in ein paar Jahren ist man eingebaut, fühlt einen erheblichen Stolz als »ältester Ansiedler« und erzählt der erstaunt horchenden Jugend wunderbare Geschichten, »wie es früher war.«

Als nach dieser Unterredung zwei Jahre vergangen waren, wohnten wir wirklich dort und fanden unser Heim über die Maassen wohnlich und schön, besonders die Kinder, die in dem ländlichen Aufenthalte herrlich gediehen. In dem Teich befand sich wirklich eine Insel von drei Meter Durchmesser und eine zierliche Gondel schaukelte auf seinen Wellen. Er ward bewohnt von sieben Fröschen und fünfunddreissig Karauschen, deren reichliche Vermehrung wir mit Spannung erwarteten. Die Reusen, um diesen Nachwuchs der wohlschmeckenden Fische einzufangen und der Bratpfanne zuzuführen, lagen schon bereit. Der Garten war vollständig bepflanzt, und, wer Augen hat zu sehen, sagte Hühnchen, der blickt in seine Zukunft wie in ein üppiges Füllhorn. Das einzige, was ihm mangelte, war Schatten, das aber ist ein Uebelstand, sagte wiederum Hühnchen, dem die unverwüstliche Schöpferkraft der Natur mit jedem Jahre mehr abhelfen wird. Wir hatten dort einen Weingang, auch »der Poetensteig« genannt, an dessen Drahtwänden eine Anzahl von jungen Reben ihre ersten Kletterversuche machten. Wenn Hühnchen durch diesen Steig ging, so blickte er meist andächtig nach oben, wo nichts zu sehen war als Draht und Himmel, und als ich ihn einmal fragte, warum er das thäte, sagte er: »O, ich sehe im Geiste schon dort die Sonne durch das grüne Weinlaub schimmern und dazwischen die schwellenden Trauben niederhängen. Ein herrlicher Anblick!« In dem Garten befand sich eine Jelängerjelieber-Laube, die besonders eingerichtet war zum Genuss der Abendröthe, wenn sie sich in den »Fluthen« des Teiches spiegelte. Sie hiess darum auch die »Abendlaube.« Der »Jelängerjelieber« machte jedoch seinem Namen noch wenig Ehre und die Laube bestand zumeist aus Latten und Hoffnung. In einer Ecke, welche menschlicher Berechnung nach im Laufe der Jahre noch einmal die Aussicht hatte, recht schattig zu werden, stand in einem Kreise düsterer Nadelhölzer die »Philosophenbank.« »Ein nachdenklicher Winkel,« sagte Hühnchen, »hast Du einmal schwierige Probleme auszugrübeln, so verrichte dies Geschäft hier, des Orts Gelegenheit ist günstig.«

Auf Wasserkünste hatte Hühnchen in diesem Garten verzichtet, »denn,« sagte er, »wo die Natur selber in verschwenderischer Fülle für Wasser gesorgt hat, da würden solche Künste kleinlich wirken.«

* * *

Und wiederum vergingen zwei Jahre. – Damit bin ich zu der Grenze gelangt, wo Vergangenheit und Zukunft sich scheiden, und die Gegenwart beginnt, in der ich diese geringen Erlebnisse niederschreibe. Da nun die Zukunft ein unbekanntes Land ist, in dem nur Hoffnungen und Entwürfe wohnen, so ist damit von selber dieser Geschichte ein Ziel gesetzt. Wir sind eben an den grossen Zaun gelangt, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist. Da bleibt mir denn zum Schluss nichts übrig, als zu berichten, wie es den mannigfachen Leuten, die in dieser harmlosen Geschichte vorkommen, bis dahin ergangen ist, und die Billigkeit erfordert, dass ich zuerst desjenigen gedenke, der nicht mehr ist und ihn voranstelle, obwohl er kein Mensch war, sondern nur der Rabe Hoppdiquax.

Dieses menschenfeindliche alte Ungethüm war ebenfalls mit nach der neuen Behausung übergesiedelt und wohnte dort in einem eigens für ihn hergerichteten Käfig, den Hühnchen auf dem Bauplan stets mit dem Ausdruck »Zwinger für wilde Thiere« bezeichnet hatte. Mochte ihm nun die Luftveränderung nicht bekommen sein, oder war es die Folge hohen Alters, er wurde hier nach kurzer Zeit blind, und es ging mit ihm eine Veränderung vor, die auf den, der den Stolz und das hochfahrende Wesen des früheren Hoppdiquax gekannt hatte, einen kläglichen Eindruck machte. Sobald er einen Schritt in der Nähe seines Käfigs vernahm, so sass er mit etwas erhobenen Flügeln und halb geöffnetem Schnabel da und bettelte unter heiserem Krächzen, wie die jungen Vögel zu thun pflegen. Steckte man ihm dann etwas geweichte Semmel in den Schnabel, so liess er das wenig geschätzte Nahrungsmittel zuerst fallen und sagte nachdrücklich aber kläglich: »Quatschkopp . . . Quatsch . . . Quatsch . . . Quatsch . . . Quatschkopp!« Dann nahm er es mit dem Schnabel tastend wieder auf und verschluckte es mit verächtlicher Geberde. Gab man ihm dagegen ein Stück Fleisch, da verklärten sich sichtlich seine Züge. Aus der tiefsten Kehle kam es wohlgefällig: »Da ist der Graf!« und alsbald verschlang er es. Allmählich aber ward er immer kümmerlicher, seine Füsse wollten ihn nicht mehr recht tragen und nun sass er oft eine lange Weile auf den Schwanz gestützt, mit gesträubten Federn und brütete vor sich hin. Dazwischen sagte er dann manchmal wie sinnend und in kläglichem Tone: »Ein räthselhafter Vogel! Ein räthselhafter Vogel!« Zuletzt ward er ganz elend, zitterte selbst im warmen Sonnenschein und bekam zuweilen Krämpfe. Als es zu Ende mit ihm ging, nahm Hühnchen ihn heraus und da er vor Frost zu beben schien, wickelte er ihn in ein wollenes Tuch und legte ihn auf das Sopha in eine Ecke. Zuweilen reichte er ihm ein Stückchen zartes Fleisch, das der Vogel mühsam herunter würgte. Zuletzt verweigerte er auch dies. Als er dann mit aufgesperrtem Schnabel nach Luft rang und Hühnchen ihn mit sanfter Hand im Nacken kraute, da raffte der Rabe Hoppdiquax sich noch einmal auf, nahm alle seine Kraft zusammen, und biss Hühnchen in den Finger. Dann mit dem Ausruf: »Quatschkopp . . . Quatsch . . «. hauchte er seine schwarze Seele aus.

Bei der Philosophenbank liegt er begraben und eine Eibe ist auf sein Grab gepflanzt. »Er war ein altes räthselhaftes Ungethüm,« sagte Hühnchen später einmal, »aber wer weiss, ob er etwas dafür konnte. Vielleicht haben trübe Schicksale, die wir nicht kennen, schon in früher Jugend sein Herz verbittert. Und wie er auch war, er fehlt mir, wenn ich an ihn denke. Ich hatte mich nun einmal an ihn gewöhnt. Mein alter Hoppdiquax!«

Von Hans Hühnchen ist nur zu sagen, dass er nach längerem Harren sein geliebtes »Feuer« heimgeführt hat und mit ihm in Westphalen wohnt, wo er an einem grösseren Eisenwerke sich eine gute und dauernde Stellung erworben hat. Das »Feuer« hat ihm bereits zwei kleine Flämmchen verschiedenen Geschlechtes geschenkt, welche nach dem allgemeinen Urtheil ebenfalls ganz der Vater und ganz die Mutter sind.

Der Major ist sehr weiss geworden und sein Schnurrbart leuchtet wie Silber. Trotzdem hält er sich sehr stramm und schlägt noch mit derselben Verve die Hacken zusammen und erzählt mit derselben schnarrenden Stimme seine Geschichten, welche durch ihr ehrwürdiges Alter nicht pointenreicher geworden sind. Seine Frau ist noch immer das feierliche Lineal mit der vornehmen Vergangenheit, als welches wir sie zu Anfang kennen gelernt haben, und wenn ihr Haupt nicht im Silberschimmer steht wie das ihres Gemahles, so flüstern böse Zungen im Geheimen viel von den Fortschritten der Chemie und den Geheimnissen des Droguenladens.

Die Stunde, wo ich Rache hätte nehmen können an meinem Freunde Bornemann für seine Mondscheingeschichte am Polterabend, ist noch immer nicht gekommen. Es scheint, wir haben es hier mit einem eingefleischten und unverbesserlichen Junggesellen zu thun, denn allen Schlingen und Fallstricken, welche dem wohlsituirten Manne von weiblicher Seite bis jetzt gelegt wurden, ist er mit grosser Schlauheit entgangen. Jedoch betreibt er nicht mehr mit demselben Eifer und Opfersinn wie früher das Studium der Getränke Deutschlands und der umliegenden Länder, denn allzueifrige Forschungen auf diesem Gebiete haben ihn kürzlich einer Schweningerkur in die Arme geführt, über deren höchst merkwürdigen Verlauf ich wohl ein anderes Mal berichte.

Doktor Havelmüller theilt noch immer seine Zeit zwischen dem aufgeregten Treiben der Weltstadt und seiner Einsiedelei in Tegel. Er hat sich noch immer nicht für den Stil seines zu erbauenden Hauses entschieden, hat aber die Flora und Fauna seines Grundstückes wieder beträchtlich vermehrt und dieses selbst durch angestrengte Arbeit in einen üppigen Garten verwandelt. In Folge dessen hat er in einer dichten Gebüschgruppe einen Miether bekommen, auf den er sehr stolz ist. Dort wohnt nämlich Hochparterre eine Nachtigallfamilie. Wenn Doktor Havelmüller an diesem Buschwerk vorbeigeht, verfehlt er nie, den Hut zu ziehen und in verbindlichem Tone zu sagen: »Ich habe die Ehre!«

Von Onkel Nebendahl und Frau kann man sagen, dass es ihnen nur allzu gut geht und sie blühen und gedeihen, besonders was die Breitenausdehnung betrifft. Sie müssen desshalb in jedem Frühjahr nach der Saatzeit beide nach Marienbad und wenn sie auf der Rückreise durch Berlin kommen, so sprechen sie mit Genugthuung von dem Viertelzentner, den jedes von ihnen dort gelassen hat. Anzusehen ist es ihnen freilich nicht, denn sie opferten ihn aus der Fülle reichlichen Besitzes.

Von Tante Lieschen weiss ich, dass, trotzdem sie nie zu bewegen gewesen ist, noch einmal nach Berlin zu kommen, doch ihr Besuch des grossen Babels eines der werthvollsten Juwelen ihrer Erinnerung bildet, und wenn sie zu der Strübing »im Thee« geht, wie sie zu sagen pflegt, und dort ihre andere beste Freundin, die Rönnekamp trifft, da erzählt sie gern von ihren schrecklichen Erlebnissen und von den schauderhaften ausgestopften Verbrechern, den Richtbeilen und Schwertern, und den entsetzlichen Folterinstrumenten, welche sie gesehen hat, Die alten Damen fühlen dann ein schönes wohlthätiges Gruseln und nicken mit den Hauben und freuen sich, dass sie bei'm freundlichen Summen des Theekessels sicher und wohl aufgehoben an einem Orte sitzen, wo dergleichen nicht vorkommen kann.

Was nun Lotte betrifft, so hat sie bereits vor längerer Zeit den Landsmann geheirathet und beide haben mit ihren Ersparnissen einen Obst- und Grünkramkeller aufgethan, mit dem ein schwungvoller Handel in Breslauer Ammenbier, Perleberger Glanzwichse und ähnlichen Spezialitäten, sowie der Betrieb einer Drehrolle verknüpft ist. Sie bedienen ihre Kunden in einem wundervollen Gemisch von Berliner Jargon mit ihrem schon aus Mecklenburg mitgebrachtem trefflichem Hochdeutsch und erfreuen sich in ihrer Strasse grosser Beliebtheit. Es sind auch schon zwei flachshaarige Jungen da von vier und drei Jahren, und es darf nicht verschwiegen werden, dass der älteste, dessen Pathe ich bin, merkwürdige Eile hatte, auf die Welt zu kommen. Als ich kürzlich mal vorbeikam, sassen diese beiden rothbackigen Flachsköpfe auf der Kellertreppe und jeder hatte einen kleinen zierlichen Leberfleck auf der Nase, der eine links, der andere rechts. In den Händen trug jeder ein grosses Pflaumenmusbrod, in das er sich bereits bis über die Ohren hineingegessen hatte und man sah es ihnen ordentlich an, wie ihnen solche gedeihliche Nahrung bekam. Lotte und ihr Mann sind es jetzt in Berlin vollständig »an« geworden, besonders seit sie ihren eigenen Herd haben, und sie ihm in anmuthiger Abwechslung, »Apfel un Getoffel, un Mehlgrütz', un Mehlbutter, un Musgetoffel mit Buttermilch un all solch schönes mäkelburgsches Essent« kocht. Um die Schlachtzeit aber, da giebt es Schwarzsauer mit Backbirnen und Klössen, und sie finden, dass es in Berlin ebenso gut schmeckt als in »Mäkelburg.«

Pauline ist verschollen. Sie schweifte, als sie von uns abging, in schneller Folge durch eine Reihe von Familien, unter grossem Aufwand von Täuschung und Zerwürfniss auf beiden Seiten, und entschwand dann unseren Augen. Bornemann behauptet, er habe sie einmal wieder gesehen und sie sei mit einem »Naturforscher« verheirathet, den sie bei seinen mühseligen Forschungen nach Alterthümern auf den Feldern um Berlin, wo Müll abgeladen werden darf, unterstütze. Er habe an einem Zaun in einer abgelegenen Gegend vor der Stadt einen Mann gesehen, der seine gesammelten Schätze sortirt habe, die Lumpen für sich, die Knochen für sich und die leeren Flaschen ebenfalls für sich. Neben ihm habe ein noch jugendliches, aber sehr schlumpiges, Weib gesessen und ihren schreienden Säugling in Schlaf zu singen versucht mit einem Liede, dessen Endreime gelautet hätten:

»Grünkohl, Grünkohl
Ist die beste Pflanze!«

»Wenn das nicht Pauline war«, so schloss Bornemann, »dann will ich ewig Wasser trinken!«

Der junge Kunstgelehrte Erwin Klövekorn ist jetzt als Assistent an irgend einem Museum angestellt und hat ein ungemein »fleissiges« Buch über die Behandlung der Fingernägel auf den Bildern der italienischen Maler des Quatrocento geschrieben. Das Buch ist stellenweise so tiefsinnig, dass er es selber nicht versteht. Als Doktor Havelmüller es kürzlich bei uns liegen sah, denn der Verfasser hat dem Vater seines Freundes Hans Hühnchen ein Exemplar geschenkt, da schlug er es auf und betrachtete es mit leuchtenden Augen. »Die Literatur,« sagte er dann, »gewährt uns doch Genüsse der verschiedensten Art. Zum Beispiel, wenn ich dies Buch nur sehe, da durchrieselt mich gleich mit sonderbarem Wohlbehagen der Dank gegen die Vorsehung, dass ich nicht nöthig habe, es zu lesen.«

Da nun aller der wichtigeren Personen, die in den Geschichten von meinem Freunde Leberecht Hühnchen eine Rolle spielen, gedacht worden ist, so möchte ich zum Schluss noch Jemand erwähnen, der nun erst eintritt und dessen Geschicke noch von jenem Dämmer umhüllt werden, mit dem eine unbekannte Zukunft unseren Blick verschleiert.

Als ich ganz kürzlich von einer kleinen Geschäftsreise zurückkehrte, kam mir Hühnchen schon an der Gartenpforte entgegen und ich sah es ihm gleich an, dass sein ganzes Wesen verhaltene Freude war. Er schlang seinen Arm um mich, zog mich in den Weingang und sprach im Weitergehen: »O lieber Freund, die Vorsehung ist gnädig gegen uns gewesen. Es ist Jemand angekommen, und was wir alle so innig wünschten, hat sich erfüllt: Es ist ein kleines Mädchen. Gesund, schön und kräftig!« Dann liess er mich los, ergriff meine Hand und etwas wie Wehmuth ging über seine Züge. »Wir tanzen nicht mehr,« sagte er dann, »wir tanzen alle beide nicht mehr. Das ist vorbei. Aber wir freuen uns still und herzinniglich.

Und nun komm und begrüsse dein Kind!«

 

 


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