Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen als Großvater
Heinrich Seidel

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2. Polterabend.

Am Abende dieses Tages füllten sich die Zimmer mit Gästen. Da kam der Major Puschel mit seiner Frau. Sie war köstlich in violette Seide gekleidet und klirrte und bimmelte von allerlei Schmuck, wenn sie sich bewegte. Er aber war in Uniform und strahlte festlich in militärischem Glanze unter all' den gewöhnlichen Sterblichen. Da war Doktor Havelmüller mit dem Ausdrucke freundlicher Wehmuth, der ihn immer zierte, wenn er auch noch so sehr den Schalk im Nacken hatte, da war unser Freund Bornemann mit seinem bartlosen lächelnden Vollmondsgesicht, den breiten Schultern und der üppigen Fülle sämmtlicher Gliedmassen. Er hatte sich mächtig in Wichs geworfen, seine Stiefel schossen glänzende Blitze und oben war er mindestens zu sieben Achteln Vorhemd. Wenn er so dastand, den Chapeau claque elegant gegen das Bein gestemmt, so sah er aus wie der aufgegangene Teig eines Gesandtschafts-Attaché's. Da war Onkel Nebendahl in seinem Hochzeitsfrack, der leider dem leiblichen Wachsthume seines Besitzers nicht gefolgt war und dessen Arme einzwängte, dass sie zwei stattlichen Mettwürsten glichen, während er vorne weit auseinanderklaffte und einer mit einer ungeheuren weissen Weste bedeckten imposanten Hügellandschaft Raum gab. Da waren ausser anderen Freunden und Freundinnen des Hauses, deren Aufzählung zu weit führen würde, einige von Hans Hühnchen's jüngeren Genossen, die entweder sich schüchtern in den Ecken herum drückten oder wie der junge angehende Kunstgelehrte Erwin Klövekorn sich den Anschein gaben, als seien alle Genüsse dieser Welt bereits Schall und Rauch für sie, mit blasirter Miene an einem Thürpfosten lehnten und in der Schnurrbartsgegend an etwas Unsichtbarem drehten.

Von den jungen Mädchen, den Freundinnen Frieda's, war noch nicht viel zu sehen, nur aus dem Zimmer, das ihnen als Garderobe diente, schallte Lachen und Gezwitscher und zuweilen sah man dort ein phantastisch aufgeputztes Köpfchen hervorlugen, das aber, wenn es bemerkt ward, sofort kichernd wieder verschwand.

In dem grössten Zimmer des Hauses, wo wir damals das Weihnachtsfest gefeiert hatten, war ein erhöhter Sitz für das Brautpaar gebaut und rings an den Wänden standen Stühle, so dass in der Mitte ein Raum für die Aufführungen frei blieb. Als dort die ganze Gesellschaft sich niedergelassen hatte, ergriff Hühnchen mit ungemeiner Wichtigkeit eine Tischglocke und läutete heftig. Auf dieses Regisseur-Zeichen öffnete sich die Thür und herein traten fast zugleich zwei hübsche Mädchen, die erste, eine blonde, war weiss gekleidet, die andere war schwarz von Haar und dunkelroth angethan. In den Händen trug jede eine flache runde Schachtel. Zum Verständniss des Folgenden muss ich einfügen, was ich bis jetzt schamhaft verschwiegen habe, dass nämlich schon vor einigen Jahren ein Bändchen Gedichte von mir unter dem Titel »Kornblumen« erschienen war, dessen Exemplare »zu scheusslichen Klumpen geballt« in dem Magazine des Verlegers ein unbegehrtes Dasein führten. Beide Mädchen betrachteten sich anscheinend mit Verwunderung und Eifersucht und die Schwarze begann:

S.
              »Woher des Wegs? Was bringst Du dort getragen?
B.
Ei was Du fragst! Dasselbe darf ich fragen!
S.
Zeig' her! Was, eine Schachtel rund wie meine?
Was birgst Du drin?
B.
                              Ei nun, was birgt die deine?
S.
Was Rundes!
B.
                      Nun, was Rundes hab' auch ich!
S.
Zu gleichem Zwecke kommst Du sicherlich.
Das merk' ich wohl und brauche nicht zu fragen,
Denn einen Kranz bringst Du wie ich getragen.
B.
Ich kam zuerst und Du musst vor mir weichen!
S.
Auch meinen Kranz denk' ich zu überreichen!
B.
Der meine ist der schönste in der Welt!
S.
Und meinen kaufst Du nicht um vieles Geld!
B.
(nimmt ihren Kranz hervor)
Der schönste Kranz von allen die sich zeigen,
Er ist gefügt aus zarten Myrthenzweigen.
Das schönste ist ein hold erröthend Haupt
Am Hochzeitstage myrthenzweigumlaubt!
S.
Den ersten Kranz von allen, die wir kennen,
Muss ich des Lorbeers stolze Rundung nennen,
Den man dem Sieger auf die Stirne drückt,
Und dem Poeten, der die Welt entzückt.
B.
Verzehrend sind der Ruhmsucht wilde Flammen
Und nur die Liebe hält die Welt zusammen!
S.
Zusammen hält die Liebe wohl das Leben,
Doch einzig vorwärts bringet nur das Streben!
B.
Lass uns nicht streiten. Jeder schätzt das Seine.
Meins gilt der Braut, dem Bräutigam das deine!
S.
(öffnet die Schachtel. Verwundert):
Welch' seltsam Ding – fürwahr, was muss ich seh'n?
Verwunderliches ist allhier gescheh'n!
        (Zieht einen Kornblumenkranz hervor):
Was ich als grünen Lorbeer eingehandelt,
In blaue Sterne hat es sich verwandelt.
Die zarte Blume, die das Kornfeld schmückt,
Sei statt des Lorbeers auf dein Haupt gedrückt.
B.
(zur Braut):
Dir reiche ich des Myrthenkranzes Rund,
In dem Du schliessest den ersehnten Bund,
Das Holdeste, das diese Erde hegt,
Das Lieblichste, das eine Jungfrau trägt.
Mag Andern auch ein andrer Kranz gefallen,
Er ist und bleibt der herrlichste von allen!«

So waren wir denn beide bekränzt zur grossen Ergötzung der Zuschauer über diese neue Form der Ueberreichung des Brautkranzes, die, wie ich nachher erfuhr, von unserem Freunde Havelmüller erdacht war.

Aber zum zweiten Male ertönte Hühnchen's Glocke und herein schwebten singend und im Reigen sich drehend die vier Elemente in eigener Person. Auch diese sprachen nach einander sinnige und freundliche Worte, indem sie zwischendurch immer wieder zu ihrem eigenen Gesange zierliche Reigentänze aufführten. Da war die Erde, ein Mädchen in grünem geblümtem Gewande und einen Rosenkranz im schwarzen Haar tragend. Sie wolle uns nähren und kleiden und ihre besten Schätze für uns hergeben, sagte sie, und zum Zeichen dessen überreichte sie Brod und Salz in einem schönen Korbe.

Dann kam das Wasser in blauem Gewande mit Wasserrosen geziert und versicherte uns, schon die alten Griechen hätten gesagt, es sei von Allem das Beste. »Mit 'n guten Schuss Rum mang,« murmelte Onkel Nebendahl dazwischen. Aber da kam er schön an, denn nachdem das Wasser seine Vorzüge dargelegt hatte, förderte es allerlei spitzfindige Bemerkungen zu Tage über gewisse andere Getränke, durch die nicht allein verwerfliche Junggesellen, sondern auch leider junge und alte Ehemänner bewogen würden, ihre Nächte ausser dem Hause zu verschwärmen, während die armen Frauen in Trübsal und Trauer zu Hause sässen. Als Aufmunterung zur Tugend überreicht es dann eine Wasserflasche mit zwei Gläsern.

Darauf meldete sich die Luft, weiss wie eine Sommerwolke und überall mit Schmetterlingen besetzt, die auch über dem hellblonden Haare sich schwankend wiegten. Sie hielt einen zierlichen kleinen hygienischen Vortrag über den Nutzen der Ventilation und sztiess dabei ein wenig mit der Szunge an, gleichsam als wolle sie das Ssäuseln des Szephirs dadurch andeuten. Ihr Geschenk war ein Blasebalg.

Das Feuer ward dargestellt durch ein zierliches Persönchen in rothem Gewande und trug eine wirkliche brennende Flamme auf dem Haupte. Die niedliche junge Dame hatte, wohl durch den Charakter ihrer Rolle verführt, eine etwas heftige Art zu deklamiren an sich, rollte beträchtlich mit den hübschen braunen Augen und in gemessenen Zwischenräumen flammte ihr rechter Arm wie von einem unsichtbaren Drahte gezogen zum Himmel empor, wobei gewöhnlich auch die etwas zu sehr angestrengte Stimme in die zweite Etage hinaufschnappte. Sie sprach mit vielem Ausdruck von der heiligen Flamme des häuslichen Heerdes und von dem Feuer der Liebe, das nie erlöschen solle und uns wärmen bis in die spätesten Tage. Dazu überreichte sie ein Feuerzeug in Gestalt eines bronzenen Amors mit einer Butte auf dem Rücken. Als sie geendet hatte, hörte ich einen Seufzer hinter mir, wo Hans Hühnchen an die Wand gelehnt stand und als mein Blick ihn streifte, bemerkte ich, wie er das zierliche Mädchen mit den Augen verfolgte. Es machte mir den Eindruck, als sei er von diesem Feuer etwas angesengt.

Als die vier Elemente sich nun wieder im Reigen gedreht hatten und singend zur Thür hinaus gezogen waren, sagte Onkel Nebendahl befriedigt: »Das war mal nüdlich. Das haben die kleinen Dirns nett gemacht.«

»Ja sehr niedlich,« sagte der Major, »und erinnert mich merkwürdig an einen anderen Polterabendscherz auf der Hochzeit meines Kameraden Hauptmann von Beselow. Damals waren es aber die vier Temperamente. Da passierte eine sonderbare Geschichte, denn die junge Dame, die das Phlegma darstellte, blieb ganz elend stecken, ich sage Ihnen so furchtbar stecken, dass sie nicht aus noch ein konnte. Sie musste wahrhaftig ihren Zettel aus der Tasche kriegen und Alles ablesen. Sie war eine Gutsbesitzerstochter aus der Gegend von Thorn – heirathete später meinen Kameraden Leutnant Dempwolf. Der Schwiegervater kaufte ihnen ein Gut und dann bekamen sie dreizehn Kinder. Sind alle noch am Leben. Ja!«

Onkel Nebendahl, der an die pointelosen Geschichten des Majors noch nicht gewöhnt war, sah ihn erwartungsvoll an und fragte endlich als weiter nichts kam: »Und?«

Der Major blickte mit den hellen Augen etwas verwundert auf ihn hin und drehte an seinem Schnurrbart: »Der älteste Sohn dient bereits als Einjähriger, ja,« sagte er dann, »bei'm zweiten Garderegiment. Ja!«

Nebendahl kratzte sich hinter den Ohren und versank in Nachdenken. Doch konnte er sich dem nicht lange hingeben, denn Hühnchens Glocke ertönte wieder und während vom Klaviere her die Melodie des Liedes ertönte: »Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin,« wandelte, in einen langen silberglänzenden Talar gekleidet, unser Freund Bornemann als Mond herein. Sein grosses rothes gutmüthiges Gesicht schaute aus einer mächtigen goldenen Scheibe hervor, wahrhaftig, das war ein Mond, so ähnlich wie er es nur sein konnte.

»Da kommt dein Freund!« sagte ich zu Frieda. Sie lächelte und sah mich glücklich an. Sie ward nämlich immer ein wenig geneckt mit ihrer Vorliebe für den Mond und sagte gerne, wenn er so durch die Zweige der Gartenbäume auf sie hinblicke, sei es ihr als schaue ein guter Freund auf sie. Dieses kleine Verhältniss war zwar ohne die übliche Sentimentalität, doch seit ihrer Kinderzeit schon hatte sie, wenn sie abends allein und unbelauscht am Fenster sass, und das freundliche Gestirn zu ihr hereinsah, ihm all ihre kleinen Leiden und Freuden anvertraut. Das musste nun Bornemann wohl bekannt geworden sein, denn er stellte sich vor als Freund der Braut, der eigens herabgestiegen sei, um an diesem schönen Tage ihr seine Glückwünsche zu bringen. Er wisse wohl, dass er schon seit lange ihr erster und eigentlich auch ihr einziger Geliebter sei. Da sie nun aber eingesehen habe, dass seine himmlischen Berufsgeschäfte und seine Verpflichtungen gegen die Liebenden der ganzen Welt eine nähere Verbindung nicht zuliessen, habe sie sich endlich unter den Menschen nach einem Ersatze umgesehen, und da sei alsbald ihre Wahl auf mich gefallen, einzig und allein um meines schönen Mondscheins willen, der sie zart und sinnig immer an ihren ersten und liebsten Freund erinnere. (So ein Schuft! Wenn ich das nicht gleich geahnt hatte!) Er könne diese Wahl nur billigen, denn gestehen müsse er ja, ihm sei ein steter Wechsel eigen, bald sei er schwarz, bald eine schmale Sichel, bald zu-bald abnehmend und nur selten zeige sich sein voller Glanz. Der von ihr erwählte Mondschein aber würde an Grösse, Pracht und Schimmer im Laufe der Jahre immer nur zunehmen und eine dauernde Quelle ungetrübter Freuden für sie sein. Damit nun auch ich an der Beobachtung dieses vergnüglichen Wachsthums und dieser steten Veredlung theilzunehmen vermöge, so überreiche er hiermit diesen feingeschliffenen und in Bronze gerahmten Spiegel. Dann schloss er:

»Mein Schein ist Wechsel, deiner nicht,
Er strahlt in stets vermehrtem Licht
Und bleibt dir bis ans Ende treu!
Nun lebet wohl! – Ich werde neu!«

Er machte plötzlich links um kehrt und nun zeigte sich, dass seine ganze Hinterseite schwarz wie Pech war, nur auf dem breiten Rücken war ein sichelförmiger Mond mit Profilgesicht dargestellt, der mit zwei gewaltigen Händen eine ungeheuer »lange Nase« machte.

Der Donner des Gelächters auf meine Kosten war unbeschreiblich. »Na, warte nur,« dachte ich, »du wandelndes Bierfass, wenn einmal deine Stunde schlägt und Du auf demselben Verwunderungsstuhle sitzest, dann soll meine Rache furchtbar sein!«

Es würde zu weitläufig werden, wollte ich Alles anführen, was an diesem denkwürdigen Abend von ernst- und scherzhaften Vorträgen noch dargebracht wurde und wieviel liebenswürdige Freundlichkeit sowohl als scherzhafte Bosheit wir noch auszustehen hatten.

Als dann nach Beendigung aller dieser Aufführungen die Gesellschaft in den beiden anderen kleinen Zimmern herumwimmelte, weil nun der Tisch zum Abendessen im »Saal« gedeckt wurde, kam Hühnchen sehr vergnügt zu mir und sagte: »Du, willst Du mal sehen wie jetzt Bornemann als Oberpriester am Altare des Bacchus waltet? Es ist ein erhabener Anblick.«

Er führte mich in die Küche und dort stand Bornemann in seinem silberglänzenden Talar und hatte seine goldene Mondesscheibe nun wie einen Heiligenschein aufgesetzt. Vor ihm befand sich ein riesiges mit Blumen bekränztes Gefäss in einer mächtigen mit Eis gefüllten Schüssel. Hans Hühnchen entkorkte fortwährend Flaschen und reichte sie dem Meister zu, während ein anderer Jüngling ein grosses mit Waldmeisterkraut gefülltes Sieb über die Bowle hielt. Nur war es bemerkenswerth zu sehen mit welcher Kennermiene Bornemann zuvor an jedem Korke roch, ehe er die Flasche verwendete. Wie er sie dann geschickt zwischen den Händen wirbelte, wodurch der Inhalt eine kreisende Bewegung erhielt und die Luft in der Mitte eindringen konnte, so dass der Wein in hohlem Strahle ohne zu blubbern schnell aus der Flasche herausschoss und durch das mit Waldmeister gefüllte Sieb in die Bowle plätscherte. So ging es fort Flasche für Flasche, ohne Ende wie es uns dünkte. Hühnchen wurde ganz ängstlich und sagte: »Bornemann, du denkst wohl an eine Herrengesellschaft, bedenke es sind über die Hälfte Damen dabei.« Bornemann erwiederte mit dem Ton eines Mannes, der sich nicht in seine Angelegenheiten reden lässt: »Leberecht, das verstehst Du nicht. Wenn ich eine Bowle ansetze, dann saufen die Menschen schrecklich und es bekommt ihnen.«

»So«, sagte er dann, als Hans ihm die letzte Flasche aus dem Eiskühler hingereicht hatte und nur noch zwei übrig waren, die abgesondert standen, »so«, sagte Bornemann, »Champagner ist nicht nöthig, er ist nur für die Illusion und verfliegt bald, aber hier habe ich zwei Flaschen ganz alten Rauenthaler. Zu trinken ist er nicht mehr, weil er viel zu firn ist, aber er ist durch und durch Blume. Der wird diesem Getränk wohl thun.« Es war ein weihevoller Moment, als er den Inhalt dieser Flaschen dazu goss, und der Duft des edlen Weines sich mit dem gewürzigen Hauch des Waldmeisters mischte.

»So«, sagte Bornemann, »Zucker ist schon dran, nun kommt die letzte Weihe.« Er nahm aus einem Briefumschlag mit grosser Feierlichkeit ein einziges Blatt der schwarzen Johannisbeere und hielt es am Stiele etwa dreissig Sekunden in die Flüssigkeit. »Es ist vielleicht ein Aberglaube,« sagte er, »aber so habe ich es von meinem Meister gelernt. Er schrieb diesem einen Blatte eine wahre Zauberkraft zu. Zwei würden Alles verderben, sagte er. Ich kann diesen Glauben nicht ganz theilen, aber aus Pietät versäume ich es nie, denn ich habe gefunden, dass es nichts schadet.«

Nun war das grosse Werk beendet, Bornemann füllte ein Glas, hielt es mit nachdenklicher Miene gegen das Licht und probirte dann sorgfältig. Er stand eine Weile mit gerunzelter Stirn und sah, wie in tiefste geistige Arbeit versunken, starr vor sich hin, während er die Lippen langsam kostend bewegte. Sodann nickte er befriedigt und schlürfte langsam den Rest des Getränkes. Seine Züge erhellten sich und sein glattes rothes Gesicht leuchtete in verklärtem Schimmer. »Es stimmt!« sagte er, indem er Hühnchen das aufs Neue gefüllte Glas darreichte. Als dann die beiden jungen Leute unter der Anleitung ihres Chefs das mächtige Gefäss keuchend in den Festsaal schleppten, kehrten wir beiden zu der Gesellschaft zurück. Unterwegs sagte Hühnchen geheimnissvoll zu mir: »Du, ich fürchte, diese Bowle wird ein schauderhaftes Loch in den Gemeindeseckel reissen. Aber, es schadet nichts, wir wandeln ja auf Gold.« Und damit machte er wieder ein Paar von seinen komisch vorsichtigen Storchschritten und strahlte vor Vergnügen.

Allgemeines Behagen herrschte dann bald an der mit allerlei Salaten und kalten Schüsseln besetzten Tafel und grosses Lob ward auch hier Bornemann und seinem mit Blumen bekränzten Werk gespendet. »Ne feine Bool,« sagte Nebendahl, »den Rezept möcht' ich woll haben.« Bornemann verbeugte sich darauf, etwa wie Goethe, wenn man seinen Faust lobte.

Allmählich ward die Stimmung der Gesellschaft lebhafter, die Wogen der verschiedenartigsten durcheinandergehenden Gespräche erzeugten eine Art Brandung, über der wie Schaum das helle Gelächter der jungen Mädchen schwebte. Hans Hühnchen hatte glücklich einen Platz neben dem »Feuer« erwischt und war von einer hinsterbenden Zuvorkommenheit gegen das junge Mädchen. Herr Erwin Klövekorn entäusserte sich seiner jungen Kunstweisheit gegen das »Wasser« mit grosser Zungengeläufigkeit. Er hatte das »Cinquecento« vor, war eben bei den »Eklektikern« angelangt und belehrte seine junge Nachbarin über die verschiedenen Carracci's und wodurch sich Lodovico Carracci von Agostino Carracci und dieser wieder von Annibale Carracci unterscheide und dass mit Antonio Marziale Carracci und Francesco Carracci nicht viel los sei, und dass diese Künstlerfamilie in moderner Zeit nur mit den Meyerheims verglichen werden könnte, die in ähnlich unheimlicher Weise sich vermehrt hätten und mit demselben Erfolge, ewig mit einander verwechselt zu werden. Der jungen Dame waren die Carracci's zwar so gleichgültig wie die Spectral-Analyse oder wie die Philosophie des Unbewussten, allein sie hörte aufmerksam zu, denn nichts geht über die Bildung.

Die Frau Majorin belehrte meine Mutter über Hofgeschichten mit jener innigen Kammerzofenfreude kleinlich angelegter Naturen an den Schwächen hochgestellter Leute, der Major erzählte dem geduldig lächelnden Bornemann endlose Geschichten ohne Pointe, und Hühnchen ward vom Onkel Nebendahl über den grossen Nutzen der Stallfütterung und die unglaubliche Wirkung des Guanos unterrichtet, während Doktor Havelmüller Frau Lore etwas vorschwärmte von seinem neuerworbenen Waldgrundstück in Tegel mit den einundvierzig numerirten Bäumen, und andere wieder andere Gespräche führten. Es war sonderbar wie die Bruchstücke aus allen diesen Unterhaltungen durcheinander wirbelten:

»O ich kann sehr boshaft sein,« sagte das »Feuer« mit einer übermüthigen Miene.

»Unmöglich!« flötete Hans Hühnchen.

»Die Eklektiker,« dozierte Klövekorn, »wollten die Vorzüge der grossen Maler ihrer Vorgänger mit einander verbinden, es gelang ihnen aber nicht.« – Aber was das für'n feinen Dung gab, Lebrecht,« donnerte Nebendahl, »das glaubst Du garnich, nichts ging verloren«. – »Denken Sie sich,« tönte nun die scharfe Stimme der Majorin, »sie legt Schminke auf – so dick!« – »Guano wirkt aber noch dausendmal besser, Lebrecht,« rief Nebendahl wieder. – »Da sagte der Kerl Puschel zu mir,« krähte der Major, »einfach Puschel und kannte meinen Titel doch ganz gut. Einfach unverschämt! Was?« –

So rauschte die Brandung des Gespräches weiter bis endlich Bornemann die ewigen pointenlosen Geschichten des Majors satt kriegte und verkündete, er wolle nun auch einmal etwas erzählen und zwar die schöne Geschichte von der Peitsche.

Da zufällig eine Pause in all den vielen Gesprächen eingetreten war, so begann Bornemann unter allgemeiner Aufmerksamkeit: »Der Bauer Stövesand fuhr in die Stadt, um ein Paar Sack Kartoffeln abzuliefern und führte dabei zum ersten Male seine wunderschöne neue Peitsche. Es war eine herrliche Peitsche, den Stiel hatte er selber aus Knirck geflochten und die beste Schnur dazu gekauft, die zu haben war. Sie lag so schön und leicht in der Hand und knallen konnte man damit wie mit einer Pistole. Eine bessere Peitsche, meinte der Bauer, könne auch des Königs Kutscher nicht haben. Als er nun in der Stadt seine Kartoffeln abgeliefert hatte, regte sich der Hunger, und er fuhr zum Bäcker und kaufte sich eine schöne grosse Semmel. Er holte die weiche Krume mit dem Finger hervor und verzehrte sie und als er dann bei dem Kaufmann angelangt war, wo er gewöhnlich einkehrte, liess er sich die Semmel mit Sirop füllen, kaufte sich einen gesalzenen Hering dazu und hielt eine leckerhafte Mahlzeit. Dazu trank er ein Gläschen »Mulderjahn«, eine Sorte von Malaga, die der Kaufmann selber aus Schnaps, Wasser, Sirop und Rosinenstengeln kunstreich herstellte und für ein Billiges an seine Kunden abliess. Nachdem er sich so köstlich erquickt hatte, begann er an die Besorgung seiner Geschäfte zu denken. Er fuhr zum Posamentier Spieseke und kaufte für seine Frau zwei Dutzend Haken und Oesen und drei Ellen Schnur, dann zum Schnittwaarenhändler Abraham, woselbst er fünf Ellen rothen Flanell einhandelte, darauf zum Cigarrenfabrikanten Michelsen und erstand sich dort drei Pfund Schiffer-Tabak von dem besten, das Pfund zu dreissig Pfennigen, denn in dieser Hinsicht war er ein Leckermaul. Hierauf hielt sein Gefährt vor dem Hause des Böttchers Maass, weil ein neuer Milcheimer nöthig war, und zuletzt fuhr er zur Apotheke, woselbst er für einen Groschen Mückenfett verlangte, welches gut ist gegen das Reissen, und ganz ungemein wenig Schweineschmalz in einem winzigen Döschen erhielt. Da er nun aber nach dem ungewässerten Heringe einigen Durst verspürte, so kehrte er noch einmal bei dem Gastwirth Kaping am Ziegenmarkt ein, trank einen Krug »Lüttjedünn« nebst einem Gläschen »blauen Zwirn« dazu und machte sich dann vergnügt auf den Rückweg. Er war schon längst aus dem Thore und bei der nächsten Ortschaft angelangt, als ein infamer Dorfkläffer den Pferden zwischen die Beine fuhr und die Thiere fast scheu machte. Der Bauer Stövesand wollte nach seiner Peitsche greifen, aber siehe da, seine schöne neue Peitsche war fort. Er musste sie in der Stadt irgendwo haben stehen lassen. Auf der Stelle wendete er um und fuhr zurück, denn seine schöne Peitsche wollte er nicht im Stiche lassen. An dem Orte, wo er die Kartoffeln abgeliefert hatte, fand er sie nicht vor, auch der Bäcker wusste nichts von ihr. Bei'm Kaufmann suchte man sie vergebens und auch bei dem Posamentier war sie nicht zu finden. Der Schnittwaarenhändler Abraham bedauerte sehr, und der Cigarrenhändler Michelsen desgleichen. Die Hoffnung des Bauern ward immer geringer, denn auch der Böttcher Maass wusste nichts von der Peitsche. Endlich kam er zur Apotheke und kaum war er in den Laden getreten, da – wie merkwürdig – da stand die Peitsche. In der Ecke am Fenster bei dem Receptiertisch. Er sah sie gleich auf den ersten Blick Ja!«

Als nun Bornemann schwieg und sich mit einer Miene, die deutlich sagte, dass seine Geschichte zu Ende sei und er den Tribut des Beifalls erwarte, in den Stuhl zurücklehnte, da erhob sich ein halbunterdrücktes Murmeln und Gekicher, denn alle, die den Major und seine Geschichten ohne Pointe kannten, verstanden die kleine Satire. Dieser aber selbst sah den Erzähler gross an und fragte verwundert: »Aus?«

»Jawohl,« sagte Bornemann, »ganz aus.«

»So, so?« sagte der Major, »aber da muss ich offen gestehen, die Pointe dieser Geschichte ist mir entgangen. . . . Vollständig entgangen. Ja!«

Dem vulkanischen Heiterkeitsausbruche, der nun folgte, sass der Major rathlos gegenüber und ebenso Nebendahl. »Ich weiss garnich,« sagte dieser, »was die so furchtbar lachen über die alte dumme Geschicht'. Sie hat ja garkein' Sinn nich. Un wenn man denkt, nu kommt's, denn is sie aus.«

Hühnchen, in der Furcht, es könne hierdurch eine Missstimmung in die Gesellschaft kommen, legte sich in's Mittel und sagte: »Hör' mal Bornemann, ich habe auch schon bessere Geschichten von dir gehört.« Dieser schien durch solch hartes Urtheil garnicht geknickt, sondern schmunzelte im Gegentheil sehr geschmeichelt. »Aber,« fuhr Hühnchen fort, indem er sich an Doktor Havelmüller wendete, »da wir nun mal bei'm Erzählen sind, lieber Emil, da musst Du mir heute Abend einen grossen Gefallen thun. Ich bitte dich um die Geschichte von der Wanze.«

Doktor Havelmüller sträubte sich, es sei eigentlich keine Geschichte für Damen, was diese natürlich erst recht neugierig machte, auch habe er sie lange nicht erzählt und fürchte, die kleine Geschichte, die auf das Wort gestellt sei, zu verderben. Allein Alles half ihm nichts und obwohl die Frau Majorin bedenklich ihre lange Nase kräuste und ungemein steif aussah, begann er endlich:

»Am Ende meiner Studienzeit war ich einmal genöthigt, mir eine neue Wohnung zu suchen. Ich hatte schon viel Zimmer vergeblich besichtigt, da kam ich endlich zu einer freundlichen sauberen Wittwe, wo es mir ausnehmend gefiel. Ich ward bald mit ihr einig und that zum Schluss eigentlich nur der Form wegen noch die Frage: »Es sind doch keine Wanzen in der Wohnung?« »O, wie werden hier Wanzen sein!« sagte die alte Dame fast beleidigt. Das hat nun allerdings nicht viel zu sagen, denn wenn eine Wohnung auch so viel Wanzen hätte, als es Chinesen in China giebt, so würde eine Zimmervermietherin dies doch niemals zugeben, selbst wenn man sie auf die Folter spannte. Ich sagte also: »Nun das ist gut, denn in dem Augenblicke, wo ich diese verhassten Thiere spüre, ziehe ich sofort aus.« Dann gab ich meinen Miethsthaler und die Sache war abgemacht.

Am ersten Abend, als ich eingezogen war, konnte ich nicht einschlafen. Ein fieberhafter Zustand überkam mich, und noch andere Symptome, die ich hier nicht näher schildern will, machten einen furchtbaren Verdacht in mir rege. Ich steckte Licht an, konnte aber nichts finden, und nachdem ich einen gewaltigen Schwur gethan hatte, am nächsten Tage sofort wieder auszuziehen, schlief ich endlich spät nach Mitternacht ein. Am anderen Morgen, als ich finster brütend auf dem Sopha sass, brachte meine Wirthin den Kaffee und es schien mir, als ob sie mich mit sorgenvollen Blicken betrachte. »Frau Mohnicke,« rief ich, »noch heute zieh' ich aus, hier sind Wanzen.«

»O, du mein Schöpfer,« sagte die Frau, »sei'n Sie doch nur nicht so hitzig, es ist ja nur eine!«

Ich lachte höhnisch. »Ja, Sie lachen,« rief sie, »aber es ist doch wahr. Lassen Sie sich nur erzählen. Ihr Vorgänger hatte in seiner letzten Wohnung so viel von diesen eckligen Thieren zu leiden, dass er eine kannibalische Wuth auf sie kriegte. Er fing, so viel er konnte, lebendig und sperrte sie in eine Schachtel mit Insektenpulver, um sich an ihren Qualen zu weiden, wie er sagte. Aber was hatten diese Thiere zu thun? Sie fühlten sich ganz wohl in dem Insektenpulver und lebten vergnügt weiter. Als nun Ihr Vorgänger dort auszog, setzte er alle Wanzen wieder sauber in das Zimmer zurück, denn er hatte 'n rachsüchtiges Gemüth, und nur eine nahm er mit als Merkwürdigkeit und weil er sehen wollte, wie lange sie es in dem Insektenpulver wohl aushielte. Gleich den zweiten Tag zeigte er sie mir und da sagte ich: »Das ist doch sehr Unrecht, mein Herr, denn wenn das Geschöpf ausbricht und kriegt hier Junge, dann haben wir den Salat.« »Das hat nichts zu sagen,« sagte er, »es ist ein Bock.« Dabei beruhigte ich mich denn, er aber trug seine Schachtel immer bei sich und zeigte das gräuliche Thier allen Leuten, er hatte es ordentlich lieb gewonnen. Am letzten Tage, als er ausziehen wollte, war ein Freund bei ihm, der ihm packen half und dem zeigte er auch gerade seinen Liebling, da zieht plötzlich draussen das zweite Garderegiment mit voller Musik vorbei. Die beiden jungen Leute liefen natürlich sofort an's Fenster und als sie wieder zurück kamen, war die Wanze aus der offnen Schachtel ausgeritscht. Ich bin nun seitdem hinter ihr her gewesen mit Scheuern und Petroleum alle Tage, aber das muss eine von den ganz geriebenen sein, denn wie Sie ja bemerkt haben, noch hat es nichts geholfen.«

Diese verrückte Geschichte erheiterte und beruhigte mich soweit, dass ich beschloss, die Sache noch eine Weile mit anzusehen. Da die Blutgier dieses Geschöpfes nun einstweilen gestillt war, so liess es mich eine Zeit lang in Ruhe, nur nach acht Tagen etwa, machte es mir wieder eine böse Nacht, so dass ich am Morgen sehr verdriesslich aufwachte und mich mit finstern Plänen trug. Da ich aber eine wichtige Arbeit vorhatte, die mich sehr ernsthaft beschäftigte, so vergass ich schnell diese kleine Unannehmlichkeit und stand bald in meine Berechnungen vertieft vor meinem Pulte. Als ich dann in tiefes Nachdenken versunken durch das Zimmer schritt, blieb ich zufällig vor meiner grossen Wandkarte von Europa stehen, auf der auch ein Stück von Afrika und Asien mit dargestellt war. Während ich nun in grübelndem Brüten auf die Karte hinstarrte, fiel es mir allmählich auf, dass in der Gegend von Palästina was krabbelte. Zuerst beachtete ich es nicht sehr, aber endlich kam doch der Gedanke bei mir zum Durchbruch: »Was krabbelt denn da in der Gegend von Palästina?« Ich trat näher und sah mit Jauchzen, es war die Wanze. Sie sass ganz nahe bei Jerusalem auf dem Oelberg. Ob sie dorthin eine Wallfahrt zur Busse für ihre Sünden gemacht hatte, das weiss ich nicht, genug sie war da. Ich nahm meine Feder hinter dem Ohre hervor und zielte mit der Spitze sorgfältig auf das stattliche Thier. Da aber erkannte es die Gefahr, stürzte sich eilend in das Jordanthal und floh mit grosser Geschwindigkeit gen Norden. Ich mit der Feder immer hinterher. Bei'm See Genezareth schien es, sie wolle auf Damaskus zu und in Syrien und Mesopotamien ihr Heil versuchen, allein sie änderte ihren Plan, rannte um den See herum und zwischen Libanon und Antilibanon hindurch bis zur Küste des Mittelländischen Meeres und an dieser entlang, bis sich ihr das Taurusgebirge in den Weg stellte. Aber das findige Thier nahm den Kurs wieder nach Norden zwischen Taurus und Antitaurus hindurch, gewann dann in westlicher Richtung die grosse Salzwüste und holte nun so mächtig aus, dass ich ihr mit meiner Feder kaum zu folgen vermochte. So rannte sie in einer Tour immer westwärts, bis sie in der Gegend von Hissarlick wieder die See erreichte. Hier irrte sie verzweiflungsvoll am Rande des Hellespontes hin und her. Allein sie wagte den Sprung über diese Meerenge nicht, wandte sich nun östlich, bürstete mit ausserordentlicher Geschwindigkeit um das Marmorameer herum und erreichte auch glücklich etwas nördlich von Skutari den Bosporus. Die Verzweiflung gab ihr Riesenkräfte, sie setzte an und in gewaltigem Sprunge erreichte sie glücklich das europäische Ufer. Von diesem Erfolge scheinbar frisch gestärkt rannte sie in genau westlicher Richtung quer durch ganz Rumelien und ihre Züge schienen mir von neuer Hoffnung frisch belebt. Doch meine Geduld war nun zu Ende, ich setzte ihr schärfer nach und endlich in Mazedonien, sieben geographische Meilen nördlich von Saloniki kriegte ich sie gefasst. Ich sage Ihnen meine Herrschaften, ihr Blut – es war eigentlich mein Blut – spritzte über den Balkan hinweg bis nach Bukarest!«

Der grössere Theil der Gesellschaft sass in einiger Erstarrung da über diese verdrehte Geschichte und wusste nicht, ob er lachen oder »Au« sagen sollte, während nur Hühnchen und Bornemann an diesem barocken Humor eine unbändige Freude hatten.

Die Mahlzeit war unterdessen beendet und nun erschienen die vier Elemente wieder, die von Hühnchen mit einer neuen Aufgabe betraut worden waren. Die »Erde« bot die Zigarren herum, während die »Luft« ein Messer zum Abschneiden der Spitzen darreichte. Wenn die Herren sich nun bedient hatten, so liess sich das »Feuer« zierlich auf ein Knie nieder und bot das auf seinem Kopfe neu wieder entzündete Flämmchen zum Gebrauche dar. Da nun für das »Wasser« bei diesem Geschäfte kein Posten übrig blieb, so ging es einfach mit und lächelte freundlich zu Allem, was geschah. Dies machte Onkel Nebendahl ungeheuren Spass. »Das is hier ja grad' wie bei so'n türk'schen Pascha!« sagte er. »Du hast auch zu putzige Einfälle Lebrecht!«

Als nun aber die vier Elemente zu Hans Hühnchen kamen, sah ich, wie er in Verwirrung gerieth und in dem Augenblicke, wo das »Feuer« vor ihm niederknieen wollte, sprang er schnell empor und rief fast beschämt: »O das kann ich ja gar nicht verlangen!« und zündete sich, sehr roth im Gesicht, unter hastigem Paffen an dem stehenden »Feuer« die Zigarre an, während dieses die braunen Augen niederschlug und auch ein wenig anglomm, indess die übrigen drei Elemente schalkhaft dazu lächelten.

Die ganze Gesellschaft begab sich nun wieder in die anderen Zimmer, da die Tische fortgeräumt werden mussten, weil man im »Saal« tanzen wollte. Doch um mit der Beschreibung dieses lustigen Abends zu Ende zu kommen, will ich nur noch sagen, dass die nun folgende Polonaise alle Räume des Hauses, sowie des Gartens ausnutzte, was allerdings nicht viel sagen wollte, dass meine Mutter mit Herrn Nebendahl unter allgemeinem Beifall einen langsamen Walzer prästirte und dass schliesslich das Kunststück geübt wurde in diesem engen Raume zwei Quadrillen auf einmal zur Ausführung zu bringen, die Onkel Nebendahl, der als junger Inspektor ein Hauptvortänzer gewesen war, in einem fabelhaften plattdeutsch angestrichenen Französisch kommandirte mit einer Stimme, dass die Wände zitterten. Diese Quadrillen boten einen Anblick, als hätte man beabsichtigt, die Verwirrung plastisch darzustellen. Ich sehe noch immer Hühnchen, der von der edlen Tanzkunst nur eine sehr geringe Ahnung hatte, wie er strahlend und hüpfend seine Kometenbahnen verfolgte und mit dem freundlichsten Lächeln von der Welt in die Nachbar-Quadrille gerieth und überall zu sehen war, nur nicht dort, wo er sein sollte. Jedoch seine ungemein taktfeste Partnerin, die Frau Majorin, holte ihn mit säuerlichem Lächeln stets an einem Fittig wieder zurück und drehte ihn an seinen Ort, worüber er denn immer sehr dankbar und ungemein vergnügt war.

So ging denn dieser Abend unter allgemeiner Heiterkeit zu Ende.

 

 


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