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Achtes Kapitel.

Ein schlichter Sinn geht durch die Truggebilde
Der Afterweisheit seinen festen Schritt;
So senken sich die Nebel auf's Gefilde,
Wenn hell der Morgen an den Himmel tritt.

Dr. Watts

Der Alte sprang rasch vom Boden auf, als Hereward herankam. »Mein tapferer Waräger,« sagte er, »der du die Menschen und Dinge nicht nach dem falschen Werthe schätzest, den ihnen die Welt beilegt, sondern nach ihrem inneren und wahren Gehalt, du bist willkommen, was dich auch hierher geführt haben mag – du bist an diesem Ort willkommen, wo man es für das Hauptgeschäft der Philosophie hält, den Menschen seines erborgten Schmuckes zu berauben und seinen Werth nur nach den körperlichen und geistigen Eigenschaften, die ihm noch bleiben, zu bestimmen.«

»Ihr seid ein Höfling, Herr,« sagte der Sachse, »und als ein gewöhnlicher Gesellschafter der kaiserlichen Hoheit müßt Ihr wissen, daß es am Hofe zwanzigmal mehr Ceremonien gibt, um die Abstufungen des Rangs zu bestimmen, als ein Mann, wie ich, wissen kann; und ein schlichter Mann, wie ich, muß von dem Vorwurf frei bleiben, daß er sich in die Gesellschaft Vornehmerer dränge, wo er sich nicht, wie sich's gehört, zu benehmen weiß.«

»Wahr,« sagte der Philosoph; »aber ein Mann wie du, edler Hereward, verdient größere Achtung in den Augen des ächten Philosophen, als Tausende jener Insekten, welche der Gnadenblick des Hofes in's Leben ruft und das Drohen desselben vernichtet.«

»Ihr selbst, strenger Herr, seid ein Hofmann,« sagte Hereward.

»Und das ein recht pünktlicher,« sagte Agelastes. »Im ganzen Kaiserreich ist, glaub' ich, Niemand, der die tausenderlei Pünktlichkeiten, die man von den verschiedenen Ständen fordert und den Vornehmeren erweiset, besser kennt. Der Mann muß noch geboren werden, der mich in Gegenwart der kaiserlichen Familie je anders als stehend gesehen hätte. Doch wiewohl ich mich in Gesellschaft dieser falschen Wage bediene und mich den Schwächen der Welt anbequeme, so ist mein wahres Urtheil doch anderer Art und würdiger des Menschen, den Gott nach seinem Bilde geschaffen haben soll.«

»Ihr könnt wenig Anlaß haben,« sagte der Waräger, »Euer Urtheil an mir üben zu wollen, auch bin ich nicht begierig, daß man mich für anders halte, als ich bin – nämlich ein armer Verbannter, der sich bestrebt, dem Himmel zu vertrauen, in der Welt, worin er lebt, seine Pflicht zu thun und dem Fürsten zu dienen, der ihn bezahlt. – Und nun, Herr, laßt mich Euch fragen, ob diese Zusammenkunft Euer Wunsch war und was Ihr dabei bezweckt. Ein afrikanischer Sclave, den ich auf dem Spaziergange traf und der sich Diogenes nennt, hat mir gesagt, daß Ihr mich zu sprechen wünschtet; er hat etwas von einem Spötter und mag wohl gelogen haben. Ist es so, so will ich ihm die Schläge schenken, die seine Frechheit verdient, und mich zugleich entschuldigen, Euch in Eurer Einsamkeit gestört zu haben, die zu theilen ich ganz unwürdig bin.«

»Diogenes hat dir nicht mitgespielt,« antwortete Agelastes; »er hat seine Launen, wie du bemerkt hast, aber dabei auch andere Eigenschaften, die ihn Leuten von schönerer Farbe und schöneren Zügen gleichstellen.«

»Und warum,« sagte der Waräger, »habt Ihr ihm das aufgetragen? Was könnte Eure Weisheit mit mir zu sprechen haben?«

»Ich bin ein Beobachter der Natur und der Menschen,« antwortete der Philosoph; »folglich werde ich der Dinge, die nur eine künstliche Außenseite haben, leicht müde und ich brenne, etwas Frischeres aus den Händen der Natur zu sehen.«

»Das seht Ihr nicht in mir,« sagte der Waräger; »die militärische Disciplin, das Lager, der Centurio, die Rüstung formen den Geist und die Glieder eines Mannes, wie der Seekrebs durch seine Schale geformt wird. Seht einen von uns und Ihr seht alle.«

»Erlaubt mir, daran zu zweifeln,« sagte Agelastes, »und anzunehmen, daß in Hereward, Waltheoff's Sohne, ein außerordentlicher Mann stecke, obgleich er selbst in seiner Bescheidenheit den Werth seiner guten Eigenschaften nicht kennt.«

»Waltheoff's Sohn!« antwortete der Waräger etwas betroffen. »Kennt Ihr den Namen meines Vaters?«

»Wundere dich nicht,« versetzte der Philosoph, »daß ich davon unterrichtet bin. Es hat mich nur wenig Mühe gekostet, doch wäre es mir lieb, wenn die Mühe, die ich mir deshalb gegeben habe, dich überzeugen könnte, wie aufrichtig ich deine Freundschaft wünsche.«

»Es ist gewiß sehr schmeichelhaft,« sagte Hereward, »daß ein Mann von Eurer Gelehrsamkeit und Eurem Rang sich bemühet, sich unter der Schaar der Waräger nach dem Namen eines ihrer Constabler zu erkundigen. Ich glaube kaum, daß mein Vorgesetzter, der Akoluthos selbst, ihn des Aufhebens und Bewahrens werth achtet.«

»Größere als er,« sagte Agelastes, »würden gewiß nicht – – Du kennst einen Hochgestellten, der sich um die Namen seiner treuesten Soldaten weniger kümmert, als um die seiner Jagdhunde und Falken, und dem es lieber wäre, wenn er die Soldaten durch Pfeifen rufen könnte.«

»Ich will das nicht hören,« antwortete der Waräger.

»Ich wollte dich nicht kränken,« sagte der Philosoph, »ich wollte dir nicht einmal deine gute Meinung von der Person nehmen, auf die ich anspiele; doch befremdet es mich, daß Jemand von deinen großen Eigenschaften eine solche Meinung hat.«

»Genug damit, gelehrter Herr; bei einer Person von Eurem Charakter ist das possenhaft,« antwortete der Angelsachse. »Ich gleiche den Felsen meiner Heimath: die ungestümen Winde erschüttern mich nicht, der zarte Regen erweicht mich nicht; Schmeichelei und Scheltworte sind an mir verloren.«

»Gerade wegen dieser Unbeugsamkeit,« versetzte Agelastes, »wegen dieser festen Verachtung aller Dinge, die dir nahe kommen, sie müßten dir denn als Pflichten erscheinen, bitte ich dich wie ein Bettler um deine Freundschaft, und du verweigerst mir sie wie ein Grobian.«

»Verzeiht,« sagte Hereward, »wenn ich daran zweifle. Was man auch für Geschichten von mir Euch aufgetischt haben mag, wie übertrieben dieselben auch gewesen sein mögen, (denn die Griechen haben nicht das ausschließliche Vorrecht der Aufschneiderei, sondern die Waräger haben's auch ein wenig gelernt) – Ihr könnt nichts von mir gehört haben, was Euch zu dieser Sprache gegen mich im Ernst berechtigte.«

»Du mißverstehst mich, mein Sohn,« sagte Agelastes, »halte mich nicht für einen Mann, der sich wegen deiner mit deinen Zechbrüdern einläßt. So wie ich hier bin, kann ich dies zerbrochene Bild des Anubis berühren« (er legte hierbei die Hand an eine zerbrochene Statue an seiner Seite) »und den Geist, der lange Orakel gab, erscheinen und diesen Stein wieder beleben lassen. Wir Eingeweihte haben große Vorrechte – wir stampfen auf diese zerfallenen Gewölbe und das Echo antwortet auf unsere Frage. Denke nicht, daß ich dich, wiewohl ich mir deine Freundschaft erbitte, dazu brauchen wolle, mir über dich oder Andere Auskunft zu geben.«

»Eure Worte sind wunderbar,« sagte der Angelsachse; »aber durch solche verführerische Worte haben manche Seelen den Weg zum Himmel verloren. Mein Großvater Kenelm pflegte zu sagen, daß die schönen Worte der heidnischen Philosophie dem Christenthum verderblicher wären, als die Drohungen der heidnischen Tyrannen.«

»Ich kannte ihn,« sagte Agelastes. »Was thut's, ob dies körperlich oder geistig war? – Er wurde von dem Glauben Wodan's durch einen edlen Mönch bekehrt und starb als Priester in der Capelle des heiligen Augustinus.«

»Recht,« sagte Hereward; »das ist alles wahr – und da er todt ist, gedenke ich seiner Worte desto mehr. Als ich ihn noch kaum verstand, warnte er mich vor Irrlehren, die von falschen Propheten gelehrt und durch trügerische Wunder bekräftigt würden.«

»Das,« sagte Agelastes, »ist reiner Aberglaube. Dein Großvater war ein guter, vortrefflicher Mann, aber beschränkten Geistes wie andere Priester, und, durch das Beispiel derselben verführt, wollte er im Thor der Wahrheit nur ein Pförtchen geöffnet wissen und nur auf diesem beschränkten Wege die Welt zulassen. Sieh, Hereward, dein Großvater und die meisten Geistlichen möchten gern die Betrachtung der überirdischen Welt auf unser sittliches Betragen hier und auf unsere Seligkeit dereinst beschränken; aber doch bleibt es wahr, daß der Mensch die Freiheit hat, wenn's ihm nicht an Weisheit und Muth gebricht, mit höheren Wesen umzugehen, die über die Schranken des Menschen lächeln und durch ihre übersinnliche Kraft Hindernisse besiegen, welche dem Schüchternen und Unwissenden unübersteiglich vorkommen.«

»Ihr sprecht von Thorheiten,« versetzte Hereward, »welche das Kind begafft und der Mann belächelt.«

»Im Gegentheil,« sagte der Weise, »ich rede von einem heißen Wunsche, den Jeder im Grund des Herzens hegt, mit mächtigeren Wesen umzugehen, die über uns sind und die uns nur übernatürlich erscheinen. Verstehe mich wohl, Hereward, ein so heißer Wunsch würde nicht allgemein in den Herzen leben, wenn der eifrige und weise Sucher nicht endlich die Mittel fände, ihn zu befriedigen. Ich will mich auf dein eignes Herz berufen und dir mit einem einzigen Wort beweisen, daß ich die Wahrheit rede. Deine Gedanken beschäftigen sich eben jetzt mit einem Wesen, das längst von dir getrennt oder todt ist, und bei dem Namen Bertha durchströmen Gefühle dein Herz, die du in deiner Einfalt für immer begraben wähntest. Du bist betroffen und änderst die Farbe – daran erkenne ich mit Freuden, daß der feste und unbeugsame Muth, den die Leute dir zutrauen, dein Herz für edlere Gefühle offen gelassen, während er es gegen Furcht, Unschlüssigkeit und alle niedrigen Gemüthsbewegungen verschlossen hat. Ich habe dir meine Freundschaft angeboten und ich will dir Beweise davon geben. Ich will dir, wenn du es wünschest, das Schicksal dieser Bertha erzählen, deren Andenken du in deiner Brust unwillkührlich bewahrt hast mitten unter den Mühen des Tages und in der Ruhe der Nacht, in der Schlacht und zur Zeit der Rast, bei den Spielen mit deinen Cameraden auf dem Uebungsplatze oder bei deinem Studium griechischer Wissenschaft, in welcher ich dich auf einem kurzen Wege Fortschritte machen lassen kann.«

Während Agelastes also sprach, gewann der Waräger wieder einige Fassung und antwortete, obgleich seine Stimme ein wenig zitterte: »Wer du bist, ich weiß es nicht – was du mit mir willst, ich kann's nicht sagen – auf welchem Weg du Dinge erfahren hast, die für mich so viel, für andere so wenig werth sind, begreife ich nicht. So viel aber weiß ich, daß du zufällig oder nicht zufällig einen Namen ausgesprochen hast, der mein tiefstes Herz bewegt; doch ich bin ein Christ und ein Waräger, und weder meinem Gott noch meinem erwählten Fürsten will ich wissentlich die Treue brechen. Was man durch Idole oder falsche Götter bewirkt, muß Verrath an dem wahren Gotte sein. Auch ist es nicht weniger gewiß, daß du einige Pfeile gegen den Kaiser selbst hast blinken lassen, wiewohl deine Unterthanenpflicht dir solches verbietet. Darum werde ich in Zukunft deinen Umgang meiden, wär' es in Glück oder Unglück. Ich bin des Kaisers geschworner Soldat, und wiewohl ich die kleinlichen Ehrfurchtsbezeigungen, die so zahlreich und vielfältig sind, ihm nicht zu erweisen vermag, so kann ihn doch meine Streitaxt vertheidigen und beschützen.«

»Niemand zweifelt daran,« sagte der Philosoph. »Aber bist du nicht auch dem großen Akoluthos, Achilles Tatius, unmittelbarer untergeben?«

»Nein. Er ist mein Vorgesetzter nach der Dienstordnung,« antwortete der Waräger; »er hat sich gegen mich immer als ein guter, freundlicher Mann betragen und, von seinem Vorrang abgesehen, zeigte er sich mehr als mein Freund denn als mein Vorgesetzter. Er ist jedoch der Diener meines Fürsten so gut als ich, und der Unterschied zwischen uns ist nicht groß, da das Wort eines Anderen ihn nach Belieben macht oder vernichtet.«

»Wacker gesprochen,« sagte Agelastes; »und du selbst hast das Recht, dich mit ihm zu messen, da du ihn an Tapferkeit und Kriegskunst übertriffst.«

»Verzeiht,« erwiederte der Britte, »wenn ich eine Lobeserhebung zurückweise, die mir nicht gebührt. Der Kaiser wählt seine Offiziere, je nachdem er sie für Dienste, die sie ihm leisten sollen, tauglich findet. Hierin würde ich wahrscheinlich zurückstehen müssen; ich habe es schon gesagt, daß ich dem Kaiser Gehorsam, Treue und meinen Dienst schuldig bin, und jedes weitere Gespräch hierüber scheint mir überflüssig.«

»Sonderbarer Mann!« sagte Agelastes; »kann dich nichts bewegen außer Dingen, die dir fremd sind? Der Name deines Kaisers und deines Vorgesetzten üben keinen Zauber über dich, und selbst der Gegenstand, den du liebtest – –«

Hier unterbrach ihn der Waräger:

»Ich habe über die Worte, die du mir sagtest, nachgedacht – du hast das Mittel gefunden, mein Herz zu bewegen, aber nicht meine Grundsätze zu erschüttern. Ich will nicht mit dir über eine Sache reden, die für dich nicht wichtig sein kann. Beschwörer, sagt man, vollbringen ihren Zauber vermittelst des Namens des Allerhöchsten; kein Wunder also, wenn sie sich des Namens der allerreinsten Geschöpfe auch zu ihrem verdammlichen Zwecke bedienen. Ich mag diese Dinge nicht, die dem Todten wie dem Lebendigen verderblich sind. Welches auch dein Zweck sein mag, Alter – denn wähne nicht, daß ich deine sonderbare Rede unerwogen gelassen hätte – sei versichert, mein Herz ist so gemacht, daß es den Verführungen der Menschen und des Teufels trotzt.«

Hiermit drehte sich der Soldat um und verließ den zertrümmerten Tempel, nachdem er gegen den Philosophen den Kopf ein wenig geneigt hatte.

Nach dem Weggang des Soldaten blieb Agelastes allein, und, wie es schien, in Nachdenken versunken, bis er durch die plötzliche Erscheinung des Achilles Tatius aufgeweckt wurde. Der Führer der Waräger sprach nichts, ehe er den Gesichtsausdruck des Philosophen beobachtet hatte. Dann sagte er: »Hast du immer noch Vertrauen zu der Sache, weiser Agelastes, von der wir neulich gesprochen haben?«

»Ja,« sagte Agelastes ernst und fest.

»Aber,« versetzte Achilles Tatius, »du hast uns nicht jenen Proselyten gewonnen, dessen Kälte und Muth uns zur Stunde der Gefahr nützlicher sein würde, als der Dienst von tausend feigen Sclaven?«

»Es ist mir nicht gelungen,« antwortete der Philosoph.

»Und du schämst dich nicht, es zu sagen?« versetzte der Offizier. »Du, der weiseste der jetzt lebenden Weisen Griechenlands, du, der gewaltigste derer, die noch jetzt die Kunst üben, durch Worte, Zeichen, Namen, Amulette und Zaubersegen die Grenze der menschlichen Kraft zu überschreiten, du hast in der Ueberredungskunst den kürzeren gezogen, wie ein Kind beim Wortstreit mit seinem Vormünder? Schande über dich, daß du keine Probe von dem Charakter ablegen kannst, den du dir so gerne beilegen möchtest!«

»Still!« sagte der Grieche. »Wahr ist's, ich habe bis jetzt nichts von diesem eigensinnigen, unbeugsamen Mann gewonnen; aber, Achilles Tatius, ich habe auch nichts verloren. Wir beide sind so weit wie gestern; ich aber habe den Vortheil, daß ich ihm eine Lockspeise gezeigt habe, die ihm nicht aus den Gedanken kommen soll, wenn er sich nicht an mich wendet, um Beruhigung zu gewinnen. – Und nun lassen wir diesen Sonderling einstweilen bei Seite; doch glaubt mir, wenn auch Schmeichelei, Bestechung und Vorspiegelung von Ehren ihn nicht gewinnen können, so bleibt uns doch ein Köder, der uns ihn so festhalten soll, als wäre er mit uns durch einen geheimen, unverletzbaren Vertrag verbunden. Sage mir nun, wie stehen die Angelegenheiten des Reichs? Wälzt sich dieser Strom lateinischer Krieger, der sich so seltsam in Bewegung setzte, immer noch gegen die Ufer des Bosporus? und hofft Alexius noch immer, die Anzahl derselben zu verringern und zu schwächen, da er sie zurückzuschlagen nicht hoffen kann?«

»Etwas nähere Kunde hat man erhalten und das binnen weniger Stunden,« antwortete Achilles Tatius. »Bohemund ist in einer Art von Verkleidung mit sechs oder acht leichten Reitern in die Stadt gekommen. Da er so oft des Kaisers Feind gewesen ist, so war sein Entschluß gefährlich. Aber wann hätten je diese Franken der Gefahr den Rücken zugewandt? Der Kaiser ersah sogleich, daß der Graf gekommen wäre, um zu erfahren, was es ihm einbrächte, wenn er sich und seinen Beistand bei der Unterhandlung mit Gottfried von Bouillon und den andern Fürsten des Kreuzzugs anböte.«

»Das ist eine Politik,« antwortete der Weise, »für die er von dem Kaiser volles Vertrauen gewinnen möchte.«

Achilles Tatius fuhr fort: »Graf Bohemund erschien, als wäre es bloßer Zufall, am kaiserlichen Hof und wurde so gnädig und glänzend empfangen, wie es nie einem Franken geschehen ist. Kein Wort wurde geredet von alter Feindschaft und früherem Krieg, von der Wegnahme Antiochiens und den Eingriffen in das Reichsgebiet. Aber von allen Seiten dankte man dem Himmel, daß er in diesem drohenden Augenblick einen treuen Verbündeten zu des Kaisers Beistand schicke.«

»Und was sagte Bohemund?« fragte der Philosoph.

»Wenig oder nichts,« sagte der Führer der Waräger, »bis ihm endlich, wie mir der Pallastsclav Narses gesagt hat, eine große Summe Goldes gespendet wurde. Hierauf wurden ihm noch bedeutende Länderstriche zugestanden und andere Vortheile unter der Bedingung gewährt, daß er bei dieser Gelegenheit der treue Freund von Kaiser und Reich bleiben solle. Des Kaisers Großmuth gegen den gierigen Barbaren war so groß, daß man ihn ein offen stehendes Gemach im Pallaste sehen ließ, das reiche Vorräthe verarbeiteter Seide, goldnen und silbernen Schmuck und andere Kostbarkeiten enthielt. Als der gierige Franke seine Verwunderung nicht zurückhalten konnte, so erhielt er das Versprechen, daß der Inhalt der Schatzkammer sein Eigenthum sein solle, wenn er ihn als ein Zeichen der Wärme und Aufrichtigkeit seines kaiserlichen Verbündeten betrachten wolle; somit wurden diese Kostbarkeiten in das Zelt des normannischen Häuptlings gebracht. Durch solche Mittel muß der Kaiser den Bohemund mit Leib und Seele gewinnen: denn die Franken selbst sagen, daß es selten sei, einen Mann von seiner Tapferkeit und Ruhmbegierde von solchem Geiz beschmutzt zu sehen, den sie für ein niedriges und unnatürliches Laster halten.«

»Bohemund,« sagte Agelastes, »ist also des Kaisers auf Leben und Tod – bis das Andenken an die Freigebigkeit des Kaisers durch eine andere und größere verwischt ist. Alexius, der sich auf sein Spiel mit diesem wichtigen Häuptling natürlich viel einbildet, wird fest hoffen, durch seine Anschläge die Mehrzahl der anderen Kreuzfahrer und selbst Gottfried von Bouillon dahin zu bringen, daß sie dem Kaiser einen Vasalleneid schwören, dem sich, wäre es nicht um des Kreuzzuges willen, der geringste Edelmann unter ihnen nicht für die reichste Provinz fügen würde. Hierbei bleiben wir also stehen. In ein paar Tagen muß sich's entscheiden, was wir zu thun haben. Ein früheres Hervortreten wäre Verderben.«

»Wir treffen uns also diesen Abend nicht?« sagte der Akoluthos.

»Nein,« versetzte der Weise; »falls wir nicht zu der dummen Posse der Vorlesungen eingeladen werden; dann treffen wir uns als Spielpuppen in der Hand eines albernen Weibsbildes, des verhätschelten Kindes eines schwachmüthigen Vaters.«

Tatius nahm hierauf Abschied von dem Philosophen und, als wenn beide fürchteten, daß man sie beisammen sehen möchte, verließen sie den einsamen Ort ihres Stelldicheins auf verschiedenen Wegen. Bald nach diesem Auftritt erhielt der Waräger Hereward von seinem Offizier die Weisung, die gestern gemachte Bestellung auf den heutigen Abend unbeachtet zu lassen.

Nach einer Pause fügte Achilles hinzu: »Du hast etwas auf den Lippen, was du mir sagen möchtest; du zauderst aber dennoch, es vorzubringen.«

»Es ist nur dies,« antwortete der Soldat: »ich habe eine Zusammenkunft mit dem bewußten Agelastes gehabt, und er scheint mir von dem, was er schien, als wir zuletzt von ihm sprachen, so verschieden zu sein, daß ich mich nicht enthalten kann, Euch zu sagen, was ich gesehen habe. Er ist kein unbedeutender Spaßmacher, der auf seine oder Anderer Kosten Lachen erregen will. Er ist ein tiefdenkender und weitstrebender Mann, der, ich weiß nicht, zu welchem Zwecke, sich Freunde zu machen und eine Partei zu bilden strebt. Eure Klugheit wird Euch lehren, Euch vor ihm zu hüten.«

»Du bist ein ehrlicher Kauz, armer Hereward,« sagte Achilles Tatius mit einer erzwungenen, gutmüthigen Verachtung. »Männer, wie Agelastes, kleiden oft ihre Späße in äußeren Ernst – sie schreiben sich die höchste Gewalt über Elemente und über Elementargeister zu – sie unterrichten sich von Namen und Verhältnissen, die denen, mit welchen sie ihr Spiel treiben, am besten bekannt sind; und Jedermann, der sie hört, sollte sich dadurch nur zu einem, wie der göttliche Homer sagt, unauslöschlichen Lachen stimmen lassen. Er hat oft rohe, unwissende Personen zu sich bescheiden lassen und zu seinem Spaß ihnen weiß gemacht, er könne Abwesende erscheinen lassen, Entfernte nahe bringen und die Todten selbst aus den Gräbern heraufbeschwören. Hüte dich, Hereward, daß diese Künste nicht den Ruf meines wackersten Warägers beflecken.«

»Das hat keine Gefahr,« antwortete Hereward. »Man soll mich nicht oft bei diesem Manne sehen. Wenn er den Gegenstand, von dem er mir gesprochen hat, als Scherz betrachten will, so werde ich ihn nur zu gewiß auf eine rauhe Art Ernst lehren. Und wenn er es ernstlich meint mit seinen geheimen Künsten, so würden wir nach dem Glauben meines Großvaters Kenelm den Verstorbenen beschimpfen, dessen Namen ein Wahrsager und gottloser Beschwörer in den Mund nimmt. Darum will ich nichts mehr mit diesem Agelastes zu thun haben, sei er nun ein Zauberer oder Betrüger.«

»Du verstehst mich nicht,« sagte der Akoluthos hastig; »du mißdeutest meine Rede. Er ist ein Mann, von dem Leute, wie du, wenn er sie eines Gesprächs würdigt, Manches lernen können, wenn sie sich vor jenen geheimen Künsten hüten, die er bloß darum hervorbringt, um über Andere zu lachen.« Mit diesen Worten, die sich ziemlich stark widersprachen, schied der Offizier von seinem Untergebenen.

 

Ende des ersten Theils.



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