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Drittes Kapitel.

Entblöße Haupt und Fuß
Voll Ehrfurcht, Jüngling, hier,
Verehr' mit stillem Gruß
Die Schwelle dieser Thür!
Mit leisem Schritte geh'
Wie in dem dunklen Wald
Ein aufgescheuchtes Reh,
Wenn laut das Jagdhorn schallt.

Achilles Tatius machte, ehe er hineinging, verschiedene Bewegungen, die der unerfahrene Waräger, der bisher ausschließlich nur im Feld gedient hatte und der erst neulich zum Garnisonsdienst in Constantinopel einberufen worden war, steif und linkisch nachahmte. Die Griechen, welche die ceremonienreichsten Soldaten und Höflinge der Welt waren, bezeigten nicht nur vor der Person des Kaisers eine bis aufs Kleinste geregelte Ehrfurcht, sondern vor allen Dingen, die in näherer Beziehung zu dem Kaiser standen.

Nachdem sich Achilles auf diese Weise geberdet hatte, that er endlich einen gemessenen aber vernehmbaren Schlag wider die Thür. Dies wiederholte er dreimal, während er seinem Begleiter zuflüsterte: »Das Innere! – bei deinem Leben thue, was du mich thun siehst.« In demselben Augenblicke sprang er zurück und erwartete, indem er den Kopf auf die Brust neigte und die Hand vor die Augen hielt, gleich als wolle er sie vor einem plötzlichen Lichtstrome schützen, die Antwort auf seine Aufforderung. Der Angeldäne, begierig seinem Führer zu gehorchen, ahmte Alles nach, so gut er konnte, und stand neben ihm in demüthiger morgenländischer Haltung. Das Pförtchen that sich nach innen auf, aber kein Lichtstrom ward bemerkbar, nur vier Waräger zeigten sich am Eingang mit erhobenen Streitäxten, gleich als wollten sie die Eindringlinge niederschmettern, welche die Ruhe ihrer Wache gestört hatten.

»Akoluthos,« sagte der Offizier als Parole.

»Tatius und Akoluthos,« murmelten die Wächter als Losung.

Die ganze Wache senkte die Waffen.

Achilles erhob nun seinen stattlichen Helmbusch mit dem stolzen Gefühl, dies Zeichen seiner Hofwürde vor seinen Soldaten zur Schau darbieten zu können. Hereward beobachtete einen ernsten Gleichmuth zum Erstaunen seines Offiziers, der sich verwunderte, daß ein solcher Barbar gleichgültig eine Scene betrachten konnte, die einen so starken und furchtbaren Eindruck mache. Er schrieb diesen Gleichmuth der dummen Gefühllosigkeit seines Begleiters zu. Sie traten nun zwischen den Wächtern ein, die sich zu beiden Seiten des Thores zurückzogen, und die Ankömmlinge nach einem langen schmalen Brette gehen ließen, das über dem Stadtgraben lag, der hier zwischen einem äußeren Wall und dem eigentlichen Stadtwall eingeschlossen war.

»Das ist,« flüsterte Achilles seinem Begleiter zu, »die sogenannte gefährliche Brücke, und man erzählt, daß sie gelegentlich mit Oel beschmiert oder mit Erbsen bestreut worden sei, und daß die Leichen von Männern, deren Umgang mit des Kaisers geheiligter Person bekannt war, im goldenen Horn Der Hafen von Constantinopel. aufgefunden worden seien, in das sich der Graben ergießt.«

»Ich hätte nicht gedacht,« sagte der Insulaner, indem er seine rauhe Stimme wie gewöhnlich erhob, »daß Alexius Comnenus –«

»Still, Verwegener!« sagte Achilles Tatius; »wenn man die Tochter des kaiserlichen Gewölbes Die Tochter des Gewölbes war ein Hofmannsausdruck für Echo, wie der höfische Offizier gleich selbst erklärt. weckt, so verfällt man immer schwerer Strafe; aber wenn man sie verbrecherisch durch Reden gegen die geheiligte Hoheit des Kaisers erschreckt, so ist Tod eine zu leichte Strafe für den kecken Frevler, der ihren gesegneten Schlummer gestört hat! – Es ist ein Unglück für mich, daß ich den gemessenen Befehl erhalten habe, in die geheiligten Räume einen Kerl zu bringen, der von dem Salz der Bildung nicht mehr in sich hat, als um seinen Leib vor Fäulniß zu bewahren, da alle geistige Cultur an ihm verloren ist. Betrachte dich selbst, Hereward, und bedenke, was du bist. Von Natur ein armer Barbar – dein größter Ruhm ist, in dem heiligen Krieg des Herrschers einige Muselmänner getödtet zu haben, und hier läßt man dich ein in das unverletzliche Bereich des Blachernäpallastes und nicht nur zu dem Ohr der königlichen Tochter des kaiserlichen Gewölbes, was so viel ist als das Echo der erhabenen Hallen, sondern – der Himmel steh' uns bei! – zu dem lebendigen Ohre des allerhöchsten Kaisers selbst!«

»Gut, Kapitän, ich traue mir nicht zu, meine Meinung nach der Art dieses Orts aussprechen zu können; und ich glaube gern, daß ich nicht fähig bin, vor dem Hofe zu sprechen; darum will ich auch kein Wort sagen, bis man mich fragt, außer wenn ich Gesellschaft finde, die nicht vornehmer ist, als die unsrige. Offen gestanden, es wird mir schwer, meine Sprache sanfter zu stimmen, als sie von Natur ist. Darum will ich das Maul halten, Kapitän, bis Ihr mir ein Zeichen gebt, daß ich reden solle.«

»Du thust wohl daran,« sagte der Kapitän. »Gewisse Personen von hohem Rang, unter ihnen sogar einige, die im Purpur geboren sind, wollen hier – o, ich beklage dich, Hereward! – die Tiefen deines barbarischen und seichten Verstandes mit dem Senkblei ihres feinen Urtheils erforschen. Erwiedere darum nicht ihr anmuthiges Lächeln mit dem wilden Gewieher, womit du herauszuplatzen pflegst, wenn du mit deinen Tischkameraden im Chore lachst.«

»Ich will ja still sein,« sagte der Waräger etwas ungeduldig. »Wollt Ihr mir das glauben, gut; haltet Ihr mich aber für ein Plaudermaul, das immer schwatzen muß, ob's am Platz ist oder nicht, so will ich lieber umkehren, und damit hat das Ding ein Ende.«

Achilles, vielleicht fühlend, daß er seinen Gefährten nicht auf's Aeußerste treiben dürfe, antwortete etwas gemäßigt auf die unhöfliche Bemerkung des Kriegers, gleich als wolle er dem rohen Benehmen desselben etwas nachsehen, da derselbe sogar unter den Warägern nicht Seinesgleichen hatte, was Stärke und Heldenmuth anlangt, Eigenschaften, die, wie Achilles im Herzen glaubte, weit schätzbarer waren, als alle die Reize, die ein höfischerer und abgeschliffenerer Soldat besitzen mochte.

Der erfahrene Kenner aller Irrgänge der kaiserlichen Behausung führte den Waräger durch zwei oder drei enggebaute Höfe, die zu dem ausgedehnten Blachernäpallast gehörten, und ging in das eigentliche Gebäude durch eine Seitenthür, die von einem Waräger bewacht war, an dem sie vorbeigingen, nachdem sie sich zu erkennen gegeben hatten. In dem nächsten Gemach befand sich die Hofwache, wo sich mehrere Soldaten von der nämlichen Schaar mit einer Art von Brett- und Würfelspiel vergnügten, und ihren Zeitvertreib durch häufige Züge aus großen Alekrügen würzten, die ihnen für die Wachtzeit geliefert wurden. Einige Blicke wurden zwischen Hereward und seinen Kameraden gewechselt, und gerne hätte er sich zu ihnen gesellt oder sie wenigstens angesprochen: denn seit dem Abenteuer mit dem Mitylenier fühlte sich Hereward durch den Spaziergang im Mondschein in der Gesellschaft seines Hauptmanns eher gelangweilt als geehrt, den kurzen Augenblick ausgenommen, wo er gewähnt hatte, daß ein Zweikampf ausgemacht werden sollte. Trotz der Nachlässigkeit in Bezug auf die Etikette des Hofes hatten die Waräger dennoch die strenge Kenntniß ihrer militärischen Pflicht; darum folgte Hereward, ohne seine Kameraden anzureden, seinem Führer durch die Wachtstube und eins oder zwei benachbarte Vorzimmer, deren Glanz und Pracht ihn überzeugte, daß er sich nirgends anders als in der geheiligten Behausung seines Herrn und Kaisers befinden könne.

Endlich, nachdem sie Gänge und Gemächer durchschritten hatten, die dem Kapitän bekannt zu sein schienen, und die er mit einem leisen und scheinbar ehrfurchtsvollen Schritt betrat, gleich als scheue er sich, um in seiner aufgeblasenen Sprache zu reden, den tönenden Wiederhall dieser hohen und stattlichen Hallen zu wecken, wurde eine andere Art von Bewohnern sichtbar. An mehreren Thüren und in mehreren Gemächern sah der nordische Krieger jene unglücklichen Sclaven, die, im Ganzen von afrikanischer Abkunft, gelegentlich zu großer Macht und Ehre unter den griechischen Kaisern, die hierin den orientalischen Despotismus nachahmten, gelangten. Diese Sclaven waren verschiedenartig beschäftigt; einige standen wie auf der Wache an Thüren und Gängen, ihre gezogenen Säbel in der Hand haltend; andere saßen nach orientalischer Sitte auf Teppichen, indem sie sich ausruheten oder verschiedene Spiele spielten, die alle sehr stiller Art waren. Kein Wort wurde gewechselt zwischen dem Führer Herewards und den welken, mißgestalteten Geschöpfen, die sie so antrafen. Ein mit dem Offizier gewechselter Blick war hinreichend, beiden überall ungehinderten Durchgang zu verschaffen.

Nachdem sie durch verschiedene leere oder also belebte Gemächer gekommen waren, traten sie endlich in eins von schwarzem Marmor oder einem anderen dunkelfarbigen Stein, das höher und länger als die übrigen war. Seitengänge öffneten sich hier, so viel der Insulaner unterscheiden konnte, von verschiedenen Portalen in der Wand auslaufend; aber da Oel und Harz, womit die Lampen in diesen Gängen gefüllt waren, einen düsteren Dampf verbreiteten, so war es schwer, die Gestalt oder die Bauart der Halle zu erkennen. An den beiden Enden des Gemachs war das Licht stärker und klarer. Als sie in der Mitte dieser geräumigen Halle waren, sagte Achilles mit behutsamem Flüstern, das er, seit sie die gefährliche Brücke überschritten hatten, statt seiner natürlichen Sprache angenommen zu haben schien, zu dem Soldaten:

»Bleibe hier, bis ich wiederkomme, und verlaß diese Halle durchaus nicht.«

»Es hören ist es befolgen,« versetzte der Waräger, eine Erklärung des Gehorsams, die das Kaiserthum, obgleich es sich immer römisch nannte, nebst anderen Redensarten und Gebräuchen von den Barbaren des Ostens entlehnt hatte. Achilles Tatius eilte dann nach einer der Seitenthüren, die sich leicht und geräuschlos öffnete und hinter ihm zuthat.

Der zurückgebliebene Waräger suchte sich innerhalb der ihm bezeichneten Gränzen so gut als möglich die Zeit zu vertreiben und besuchte die beiden Enden der Halle, wo man die Gegenstände besser sehen konnte. Das untere Ende hatte in der Mitte eine kleine, niedrige Eisenthüre. Ueber derselben befand sich ein griechisches Crucifix in Bronze, und ringsum waren in Bronze ausgeführte Ketten, Fesseln und dergleichen als angemessene Verzierungen angebracht. Die Thüre des finsteren Thorbogens war halb offen, und Hereward sah also hinein, da ihm sein Führer diese Befriedigung seiner Neugierde nicht verboten hatte. Ein trübes, rothes Licht, einem entfernten Funken ähnlicher als einer Lampe, war an der Mauer einer engen Wendeltreppe angebracht, die einem Ziehbrunnen glich, dessen Oeffnung sich an der Schwelle der eisernen Thüre befand und einen Abweg zeigte, der zu den Tiefen der Hölle zu führen schien. Wie stumpfsinnig auch der Waräger dem geistig gewandten Griechen vorkommen mochte, so ward es demselben doch nicht schwer zu begreifen, daß eine Treppe von so finsterem Ansehen, zu der ein so düster verziertes Portal den Eingang bildete, nur zu den Kerkern des kaiserlichen Pallastes führen könne, deren Beschaffenheit und große Zahl nicht das minder Merkwürdige und Schauererregende des geheiligten Gebäudes ausmachte. Stille horchend glaubte er sogar Töne zu hören, wie sie solchen Gräbern der Lebendigen entsteigen, dumpfes Seufzen und Stöhnen, das von dem Abgrund heraufscholl. Doch mochte wohl in dieser Hinsicht seine Einbildung die Skizze ausmalen, die seine Vermuthung entworfen hatte.

»Ich habe nichts gethan,« dachte er, »wodurch ich es verdient hätte, in einer dieser unterirdischen Höhlen eingesperrt zu werden. Gewiß, obwohl mein Kapitän Achilles Tatius, mit Erlaubniß zu reden, wenig besser als ein Esel ist, so kann er doch nicht so treulos sein, mich unter solchem Vorwand in's Gefängniß zu locken. Ich meine er soll wenigstens vorher erfahren, wie die englischen Aexte schmecken, wenn das der Spaß für den Abend sein soll. Doch ich will einmal das obere Ende dieses ungeheuren Gewölbes betrachten; vielleicht hat's eine bessere Bedeutung!«

Also denkend und ohne die schweren Tritte nach der Hofsitte zu dämpfen, schritt der breithüftige Sachse nach dem oberen Ende der schwarzen Marmorhalle. Die Portalverzierung hier war ein kleiner Altar, ähnlich denen in den Tempeln heidnischer Götter, der über der Mitte des Bogens hervorstand. Auf diesem Altar brannte Weihrauch, der in leichten Ringelwölkchen zur Decke wallte und sich von dort durch die Halle verbreitete, indem er in seine Rauchsäule ein sonderbares Sinnbild einhüllte, aus dem der Waräger nicht gescheidt werden konnte. Es stellte zwei menschliche Arme und Hände vor, die aus der Wand hervorzugehen schienen; die Hände waren ausgestreckt und geöffnet, gleich als ertheilten sie denen, die sich dem Altar näherten, ein Geschenk. Diese Arme waren von Bronze, und da sie sich mehr nach hinten als der rauchende Altar befanden, so bemerkte man sie durch die Rauchwolke beim Schein von Lampen, die den ganzen Thorbogen erhellten. »Die Bedeutung dieses Dings,« dachte der schlichte Barbar, »wollte ich wohl erklären, wenn die Fäuste geballt wären, und wenn diese Halle dem Pankration gewidmet wäre, was wir Boxen nennen; aber da diese dummen Griechen ihre Hände nicht gebrauchen, wenn die Finger nicht geschlossen sind, so weiß ich, bei St. Georg! nicht, was das zu bedeuten hat.«

In diesem Augenblick trat Achilles durch die nämliche Thüre, wodurch er hinausgegangen war, in die schwarze Marmorhalle und ging auf den Neueingeweihten zu, wie der Waräger genannt werden kann.

»Komm jetzt mit mir, Hereward: jetzt gilt's den Hauptangriff. Nimm allen deinen Muth zusammen, so viel du aufzubieten hast; denn, glaube mir, deine Ehre und dein Name hängen davon ab.«

»Fürchtet für beide nichts,« sagte Hereward, »wenn das Herz und die Hand eines Mannes das Abenteuer mit Hülfe dieses Spielzeugs da bestehen können.«

»Sprich leise und gedämpft, ich hab' dir's hundertmal gesagt,« sagte der Führer, »und senke deine Axt, die du nach meinem Bedünken besser draußen gelassen hättest.«

»Mit Eurer Erlaubniß, Kapitän,« versetzte Hereward, »ich lege nicht gern mein Handwerkzeug ab. Ich bin einer der linkischen Tölpel, die sich nicht zu benehmen wissen, wenn sie nicht etwas in den Händen haben, und meine getreue Streitaxt ist ein Stück von mir selbst.«

»Behalte sie denn; aber hüte dich, sie herumzuschwingen, wie du gewohnt bist, auch schreie und brülle nicht, wie auf einem Schlachtfeld; denk' an den geheiligten Ort, wo du dich befindest, wo Aufruhr zur Gotteslästerung wird – denk' an die Personen, die du vielleicht sehen wirst: denn unter ihnen sind einige, die zu beleidigen eine so schwere Sünde ist, als den Himmel zu lästern.«

Während dieser Predigt waren Lehrer und Schüler zu der Seitenthüre gelangt, die sie in eine Art von Vorzimmer führte. Von da gingen sie weiter, bis ein paar Flügelthüren, die, wie es den Anschein hatte, eines der vornehmsten Gemächer des Pallastes erschlossen, dem ungeschlachten Nordländer einen eben so neuen als überraschenden Anblick gewährten.

Es war ein Gemach des Blachernäpallastes, das zum besonderen Gebrauch der geliebten Tochter des Kaisers Alexius, der Prinzessin Anna Comnena, die uns als Geschichtsschreiberin der Regierung ihres Vaters bekannt ist, bestimmt war.

Sie saß da als Königin eines literarischen Kreises, wie ihn eine kaiserliche, in der ehrwürdigen Purpurkammer geborene Prinzessin ( porphyrogenita) in jener Zeit versammeln konnte, und ein Blick auf ihre Umgebung wird uns einen Begriff von ihren Gästen oder ihrer Gesellschaft geben.

Die gelehrte Prinzessin hatte die glänzenden Augen, regelmäßigen Züge und anmuthigen Sitten, die Jedermann der Tochter des Kaisers beigelegt haben würde, auch wenn sie in Wahrheit diese Eigenschaften nicht besessen hätte. Sie saß auf einer schmalen Bank oder Sopha, da es dem schönen Geschlecht hier nicht wie den römischen Damen erlaubt war, sich anzulehnen. Ein Tisch vor ihr war mit Büchern, Pflanzen, Kräutern und Zeichnungen bedeckt. Ihr Sitz befand sich auf einer mäßigen Erhöhung, und denjenigen Personen, die mit der Prinzessin vertraut waren oder mit denen sie heimlich zu sprechen wünschte, war es während der Unterredung verstattet, halb stehend und halb knieend die Erhöhung zu berühren, auf welcher der Sitz der Prinzessin stand. Drei andere Sitze von verschiedener Höhe befanden sich auf dieser Erhöhung und unter demselben Prachthimmel, der den Stuhl der Prinzessin Anna bedeckte.

Der erste, der genau dem Stuhle der Prinzessin glich, war für ihren Gemahl Nicephorus Briennius bestimmt. Man sagte von diesem letzteren, daß er die größte Achtung vor seines Weibes Gelehrsamkeit gehegt habe, wiewohl die Höflinge der Meinung waren, daß er sich lieber öfter von den Abendunterhaltungen der Prinzessin Anna entfernt gehalten hätte, als es ihr und ihren kaiserlichen Eltern angenehm gewesen wäre. Die geheime Plauderei am Hofe erklärte dies durch die Versicherung, daß die Prinzessin Anna Comnena schöner gewesen sein würde, wenn sie weniger gelehrt gewesen wäre, und daß sie, obwohl sie immer ein hübsches Weib geblieben, an körperlichen Reizen eingebüßt habe, was sie an Geist gewonnen hätte.

Um Nicephorus Briennius für die niedrige Gestalt seines Sitzes zu entschädigen, war derselbe so nahe zu dem der Prinzessin gerückt worden, als es nur möglich gemacht werden konnte, so daß sie keinen Blick ihres schönen Gemahls verlor, und er nicht das Geringste von der Weisheit, die aus dem Munde seiner gelehrten Gemahlin floß.

Zwei andere Ehrensitze oder Throne (denn sie hatten Fußbänkchen, Armlehnen und gestickte Rückenkissen, den glänzenden Prachthimmel nicht zu erwähnen) waren für das kaiserliche Paar bestimmt, das den Studien der Tochter häufig beiwohnte, denen sie auf die angegebene Weise öffentlich oblag. Bei solchen Gelegenheiten genoß die Kaiserin Irene des mütterlichen Triumphs, eine so vollkommene Tochter zu haben, während Alexius, wie es sich schicken mochte, bald mit Wohlgefallen seine eigenen Thaten in der schwülstigen Sprache der Prinzessin verlesen hörte, bald zu den philosophischen Gesprächen, die sie mit dem Patriarchen Zesimus und Andern führte, freundlich nickte.

Diese vier Ehrensitze, für Glieder der kaiserlichen Familie bestimmt, waren in diesem Augenblicke besetzt, außer demjenigen, welchen Nicephorus Briennius, der schönen Anna Comnena Gemahl, hätte einnehmen sollen. Vielleicht hatte der verdrießliche Zug auf der Stirne der schönen Gemahlin auf die Abwesenheit und Vernachlässigung Bezug. Neben der Prinzessin waren zwei weißgekleidete Mädchen des Hofhalts, Sclavinnen mit einem Wort, die sich auf Kissen knieend ausruhten, wenn man sie nicht als lebendige Bücherpulte verwandte, die aufgewickelten Pergamentrollen zu halten, in welche die Prinzessin ihre eigene Weisheit eintrug oder aus welchen sie die Weisheit Anderer entlehnte. Das eine dieser Mädchen, Astarte genannt, war eine so ausgezeichnete Schönschreiberin in verschiedenen Alphabeten und Sprachen, daß sie beinahe dem Caliphen (der weder lesen noch schreiben konnte) in einem Augenblick, wo es galt, ihn zum Frieden zu stimmen, zum Geschenk gemacht worden wäre. Violanto, gewöhnlich die Muse genannt, die andere Dienerin der Prinzessin, eine Meisterin in der Vocal- und Instrumentalmusik, war wirklich als ein begütigendes Geschenk an Robert Guiscard, Erzherzog von Apulien, geschickt worden, welcher, da er alt und stocktaub, und das Mädchen damals erst zehn Jahr alt war, das werthvolle Geschenk an den kaiserlichen Geber zurücksandte und mit der Selbstsucht, die den verschmitzten Normannen eigen war, den Wunsch dabei ausdrückte, ihm etwas Ergötzlicheres zu senden an die Stelle dieses klimpernden, schreienden Kindes.

Unter diesen erhöhten Sitzen saßen oder ruhten auf dem Boden der Halle diejenigen Vertrauten, die Zutritt hatten. Dem Patriarchen Zesimus und einem oder zwei alten Männern war es verstattet, sich niedriger Stühle zu bedienen, welches die einzigen Sitze waren für die gelehrten Mitglieder des Abendklubs der Prinzessin, wie der Verein heut zu Tage benamset werden könnte. Was die jüngern Magnaten betrifft, so erwartete man, daß sie sich, eingedenk der Ehre, der kaiserlichen Unterhaltung beiwohnen zu dürfen, über alle Stühle hinaussetzen würden. Fünf oder sechs Hofleute, verschieden an Alter und Kleidung, bildeten stehend oder auf den Knieen ruhend eine Gruppe um ein verziertes Wasserbecken, aus dem sich ein Staubregen verbreitete, der die warme Ausdünstung der Blumen und Sträucher ringsumher abkühlte. Ein wohlbeleibter Alter, Namens Michael Agelastes, fett, rund und wie ein alter Cyniker gekleidet, zeichnete sich dadurch aus, daß er in ziemlichem Maße die zerlumpte Kleidung und das mürrische Betragen jener Sekte angenommen hatte, und daß er sich als der strengste und genaueste Beobachter der Hofceremonien erwies. Seinen angenommenen cynischen Ansichten und Reden, und seinem philosophischen Republikanismus widersprach auffallend sein äußerlicher Servilismus gegen die Großen. Es war merkwürdig, wie lang es dieser Mann, der schon über sechzig Jahre alt war, verschmähte, sich anzulehnen oder zu setzen, was ihm wohl verstattet gewesen wäre, und mit welcher Regelmäßigkeit er sich in ganz aufrechter oder ganz knieender Stellung hielt; doch war jene Stellung so sehr seine gewöhnliche, daß ihm seine Freunde am Hof den Namen Elephant beilegten, da die Alten glaubten, daß dies halbvernünftige Thier, wie man's nennt, keine zum Knieen tauglichen Gelenke habe.

»Doch habe ich knieende Elephanten gesehen, als ich im Lande der Gymnosophisten war,« sagte einer, der am Abend von Hereward's Einführung zugegen war.

»Um ihren Herrn auf den Rücken zu nehmen? so machen's unsere,« sagte der Patriarch Zosimus mit dem leichten Spott, den die griechische Etikette von dem beißenden unterschied: denn nichts wurde in der Regel als ein so großer Verstoß betrachtet, und hätte man sogar einen Dolch gezogen, als eine beißende Antwort in der kaiserlichen Gesellschaft. Selbst das Witzwort, wie es war, würde man an diesem ceremonienreichen Hofe bei jedem anderen als dem Patriarchen, dessen hoher Rang ihm einige Freiheit verstattete, getadelt haben.

Gerade als das Decorum auf diese Weise verletzt worden war, traten Achilles Tatius und sein Soldat Hereward in das Gemach. Der erste bewegte sich mit einer fast außergewöhnlichen höfischen Leichtigkeit, gleich als gedenke er, seine gute Erziehung mit dem plumpen Betragen seines Begleiters vergleichen zu lassen, während er zugleich stolz darauf war, einen Mann, den er als einen der schönsten Soldaten in dem kaiserlichen Heere betrachtete, als unter seinem unmittelbaren Befehle stehend, zeigen zu können.

Das plötzliche Auftreten der Neuankommenden erregte einiges Aufsehen. Achilles freilich schwebte mit der leichten und leisen Ehrfurcht heran, die seine Bekanntschaft mit diesen Umgebungen bezeugte. Hereward aber stutzte beim Eintritt und bemühte sich, da er sich in der Gesellschaft des Hofes sah, sich eiligst in Ordnung zu bringen. Sein Offizier, der ihn durch ein kaum bemerkliches Achselzucken vor der Gesellschaft entschuldigte, gab darauf Hereward einen heimlichen Wink, auf sein Betragen zu achten, nämlich seinen Helm abzunehmen und sich zur Erde zu werfen. Aber der Angelsachse, der sich auf dunkle Andeutungen nicht verstand, dachte natürlich an seine militärische Dienstpflicht und stellte sich vor den Kaiser, um ihn nach Soldatenweise zu begrüßen. Er bog das Knie, berührte zur Hälfte den Helm, und nachdem er hierauf seine Axt gefaßt und geschultert hatte, pflanzte er sich vor dem Stuhl des Kaisers gleich einer Schildwache auf.

Ein Lächeln des Erstaunens durchflog den Kreis beim Anblick dieser männlichen Erscheinung und des zwar ungezwungenen, aber kriegerischen Betragens des nordischen Soldaten. Die verschiedenen Zuschauer ringsum befragten das Gesicht des Kaisers, da sie im Zweifel waren, ob sie das kecke Auftreten des Warägers als eine Unschicklichkeit betrachten und darüber ihren Abscheu offenbaren sollten, oder ob sie das Benehmen des Leibwächters für offen und männlich halten, und darum beifällig aufnehmen sollten.

Es dauerte ein Weilchen, ehe sich der Kaiser hinlänglich ermannte, um den Ton anzugeben, wie es bei solchen Anlässen geschah. Alexius Comnenus war für einen Augenblick in eine Art von Schlummer oder wenigstens Zerstreutheit versunken gewesen. Die plötzliche Erscheinung des Warägers hatte ihn aufgeschreckt: denn obgleich er gewohnt war, die äußere Wache des Pallastes den Warägern anzuvertrauen, so war doch gewöhnlich der Dienst im Inneren des Pallastes jenen mißgestalteten Schwarzen überlassen, die wir erwähnt haben, und die sich oft zu Staatsministern und Feldherrn erhoben. Alexius fühlte sich darum, als er aus seinem Schlummer erwacht und ihm die militärische Sprache seiner Tochter noch im Ohre klang (denn sie las gerade ein Stück aus dem großen Geschichtswerk, worin sie die Kämpfe seiner Regierung beschrieben hat), etwas unvorbereitet auf die Erscheinung und das militärische Auftreten eines von der sächsischen Leibwache, mit welcher er im Allgemeinen Auftritte des Kampfes, der Gefahr und des Todes zusammenzudenken pflegte.

Nachdem er sich unruhig umgeschaut hatte, haftete sein Blick auf Achilles Tatius. »Sieh, unser getreuer Akoluthos hier?« sagte er, »was will dieser Soldat zur Nachtzeit hier?« Dies war der Augenblick, regis ad exemplum sein Gesicht zu mustern; doch ehe noch der Patriarch damit fertig wurde, in seinen Zügen eine unterthänige Besorgniß auszudrücken, hatte Achilles Tatius ein paar Worte gesprochen, welche Alexius daran erinnerten, daß der Soldat auf seinen eigenen besonderen Befehl hergebracht worden sei. »Ja, ja! richtig, gute Leute,« sagte er, seine Stirne aufheiternd; »wir hatten das vor Staatsgeschäften vergessen.« Er sprach dann zu dem Waräger mit offenerem Gesicht und herzlicherem Ausdruck, als womit er zu seinen Hofleuten zu sprechen pflegte: denn für einen despotischen Monarchen ist ein treuer Leibwächter ein Vertrauter, während ein hoher Beamter immer ein Gegenstand des Mißtrauens in mancher Hinsicht ist. »Ach!« sagte er, »unser braver Angeldäne, wie geht's ihm?« Diese herzliche Anrede setzte Alle außer dem, dem sie galt, in Erstaunen. Hereward antwortete treuherzig und mit lauter Stimme, was die Anwesenden um so mehr erschreckte, weil er sächsisch sprach: » Waes hael, Kaisar mirrig und machtigh!« d. h.: Heil dir, großer und mächtiger Kaiser. Der Kaiser lächelte beifällig, und da er zeigen wollte, daß er die Sprache seiner Leibwächter reden könne, so versetzte er mit dem bekannten Gegengruß: » Drink hael!«

Alsbald brachte ein Page einen silbernen Becher mit Wein. Der Kaiser berührte ihn mit den Lippen, obwohl er kaum davon kostete, darauf befahl er, ihn dem Hereward zu geben, und hieß den Kriegsmann trinken. Der Sachse ließ sich das nicht zweimal sagen und trank den Becher ohne Umstände aus. Ein Lächeln, wie es der Anstand der Gesellschaft billigen konnte, durchflog den Kreis bei dieser Heldenthat, die, gewöhnlich für einen Nordländer, den nüchternen Griechen ganz außerordentlich vorkam. Alexius selbst lachte lauter, als es sich seine Hofleute erlaubt haben würden, und nachdem er sein bischen Warägisch zusammengesucht und mit griechischen Wörtern vervollständigt hatte, fragte er seinen Leibwächter: »Nun, tapferer Britte oder Edward, wie du heißest, ist dir der Geschmack dieses Weins bekannt?«

»Ja,« antwortete der Waräger, ohne die Farbe zu ändern, »ich habe ihn einmal bei Laodicäa gekostet« – –

Achilles Tatius wurde unruhig, als der Soldat diesen kitzlichen Punkt berührte, und er strebte vergebens, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, um ihn durch ein Zeichen zum Schweigen zu bringen, oder um ihn wenigstens zu vermögen, sich im Reden in Acht zu nehmen. Aber der Soldat, der sein Gesicht und seine Aufmerksamkeit ganz auf den Kaiser gerichtet hatte, als den Herrn, dem er zu dienen und zu antworten schuldig war, bemerkte nichts von den Winken, die endlich so deutlich wurden, daß sich Zosimus und der Protospatharius einander ansahen, um sich gegenseitig auf das Seitenspiel des Akoluthos aufmerksam zu machen.

Das Gespräch zwischen dem Kaiser und seinem Soldaten dauerte indessen fort. »Und welcher Trunk,« sagte Alexius, »hat besser geschmeckt, dieser oder der frühere?«

»Hier, mein Fürst, ist die Gesellschaft schöner als die der arabischen Bogenschützen,« antwortete Hereward, indem er sich mit natürlicher Höflichkeit verbeugte; »aber hier fehlt der Geschmack, den die Sonnenhitze, der Schlachtstaub und die achtstündige Schwingung dieser Waffe« (er zeigte seine Axt) »einem Becher edlen Weines geben«

»Ein anderer Mangel möchte darin liegen,« sagte Agelastes der Elephant, von dem wir bereits gesprochen haben, »wenn es mir erlaubt ist, darauf hinzudeuten,« fügte er mit einem Blick auf den Thron hinzu – »hier möchte der Becher kleiner sein, als er bei Laodicäa gewesen ist.«

»Wahrhaftig, das ist wahr,« versetzte der Leibwächter; »bei Laodicäa trank ich aus meinem Helm.«

»Zeig' uns doch die beiden Becher, guter Freund,« sagte Agelastes, seinen Scherz fortsetzend, »damit wir uns überzeugen, daß du den Becher hier nicht verschluckt hast: denn mir schien es, als ich dich trinken sah, daß der Becher nebst seinem Inhalt hinunter müsse«

»Es gibt Dinge, die ich nicht leicht verschlucke,« sagte der Waräger mit ruhigem Ausdruck; »aber sie müssen von einem jüngeren und gewandteren Mann, als Ihr seid, kommen.«

Die Anwesenden lächelten einander zu, als wollten sie sagen, daß der Philosoph und Witzbold den Kürzeren gezogen habe.

Zu gleicher Zeit trat der Kaiser in's Mittel. »Auch habe ich dich nicht hierher kommen lassen, guter Junge, daß du von eiteln Spöttern geplagt würdest.«

Agelastes fuhr hier zurück wie ein ausgescholtener Jagdhund, und die Prinzessin Anna Comnena, in deren schönen Zügen sich eine gewisse Ungeduld gezeigt hatte, fing endlich an zu reden: »Gefällt es Euch, mein kaiserlicher und geliebtester Vater, denen, welche durch den Zutritt zu diesem Musentempel beglückt sind, zu eröffnen, warum Ihr diesen Krieger für heute Abend einen Platz einnehmen lasset, der so weit über seinen Stand erhaben ist? Erlaubet mir, es zu sagen: wir dürfen nicht mit eiteln und albernen Späßen die Zeit verlieren, die der Wohlfahrt des Reiches geheiligt ist, wie es jeder Augenblick Eurer Muße sein muß.«

»Unsere Tochter spricht weislich,« sagte die Kaiserin Irene, die, ähnlich den meisten Müttern, die nicht selbst Talente besitzen, und solche bei Anderen zu beurtheilen ebenfalls unfähig sind, dennoch die Ausbildung ihrer Lieblingstochter bewundern und bei jeder Gelegenheit ausposaunen. »Erlaubet mir zu bemerken, daß in diesem heiligen Sitze der Musen, der den Studien unserer wohlgeliebten und hochbegabten Tochter gewidmet ist, deren Feder Euren Ruhm, mein kaiserlicher Gemahl, bis an's Ende der Welt bewahren wird und diese Gesellschaft, die wahre Blume der Weisheit an unserem erhabenen Hofe, belebt und ergötzt, – erlaubet mir zu sagen, daß wir durch die bloße Zulassung eines niedrigen Leibwächters unserer Unterhaltung den Kasernenton gegeben haben.«

Dem Kaiser Alexius Comnenus war es nun zu Muth, wie es manchem Biedermann im gewöhnlichen Leben ist, wenn sein Weib eine lange Rede anhebt, zumal da die Kaiserin Irene die Unterthänigkeit gegen seine Oberherrlichkeit leicht vergaß, obwohl sie bei Anderen mit Strenge darauf hielt. Obgleich es ihm lieb gewesen war, die trockene geschichtliche Vorlesung der Prinzessin unterbrochen zu sehen, so blieb ihm jetzt nur die Wahl, entweder diese Vorlesung oder die Ehestandsrede der Kaiserin anzuhören. Darum begann er seufzend: »Verzeihet mir, liebe, kaiserliche Gemahlin und purpurgeborne Tochter. Ich erinnere mich, geliebte und hochgelehrte Tochter, daß Ihr gestern Abend gewünscht habt, die Einzelheiten der Schlacht von Laodicäa gegen die heidnischen Araber, die der Himmel verderbe, kennen zu lernen. Und da wir eigene Gründe hatten, weitere Untersuchungen zu unserer persönlichen Belehrung anzustellen, so wurde unser getreuer Akoluthos, Achilles Tatius, beauftragt, einen seiner Soldaten, der durch Muth und Geistesgegenwart am meisten befähigt sei, über jene merkwürdigen und blutigen Ereignisse Auskunft zu geben, hierher zu bringen. Und dies ist, vermuthe ich, der Mann, der zu diesem Zweck hierher gebracht wurde.«

»Wenn es mir erlaubt ist zu reden,« antwortete der Akoluthos, »so steht hier vor Eurer kaiserlichen Hoheit und den erhabenen Fürstinnen, deren Namen wir gleich dem der Heiligen achten, die Blume meiner Angeldänen oder wie der heidnische Name meiner Soldaten heißen mag. Er ist, ich kann es sagen, der Barbar der Barbaren: denn wiewohl er seiner Abkunft und Bildung nach nicht würdig ist, den Boden dieses Tempels der Weisheit und Beredsamkeit zu beschmutzen, so ist er doch so tapfer – so treu – so blind ergeben – und so unbedingt eifrig, daß – –«

»Genug, guter Akoluthos,« sagte der Kaiser; »laßt uns nur wissen, daß er kalt und beobachtend ist, daß er im Handgemenge nicht den Kopf verliert, was wir bei Euch und anderen großen Befehlshabern zuweilen gesehen haben – und was, die Wahrheit zu gestehen, wir gelegentlich an uns selber bemerkt haben. Dieser Wechsel des männlichen Charakters gründet sich nicht auf eine Abnahme des Muths, sondern bei uns auf das Bewußtsein, wie wichtig unsere eigene Wohlfahrt für die allgemeine sei und wie viele Pflichten uns obliegen. Sprich also und mach's kurz, Tatius: denn unsere theuerste Gemahlin und purpurgeborne Tochter scheinen etwas ungeduldig zu werden.«

»Hereward,« antwortete Tatius, »ist so gefaßt und aufmerksam in der Schlacht wie ein anderer beim festlichen Tanz. Der Schlachtenstaub ist der Athem seiner Naslöcher, und er kann seinen Heldenmuth gegen vier andere von Eurer kaiserlichen Hoheit besten Dienern (die Waräger ausgenommen) beweisen.«

»Akoluthos,« sagte der Kaiser mit unzufriedenem Ton, »statt diese armen unwissenden Barbaren in den Sitten und der Bildung unseres aufgeklärten Reiches zu unterrichten, nährt ihr durch solches Prahlen die Eitelkeit und Hitze ihres Gemüths, so daß sie mit den anderen Fremdenlegionen und unter sich selbst in Händel gerathen.«

»Wenn ich den Mund zu meiner Entschuldigung öffnen darf,« sagte der Akoluthos, »so möchte ich erwiedern, daß es kaum eine Stunde her ist, daß ich mit diesem armen unwissenden Angeldänen von der väterlichen Fürsorge sprach, womit Ew. kaiserliche Majestät die Erhaltung der Eintracht unter denen, die ihrer Fahne folgen, betrachtet und wie sehr sie wünscht, namentlich unter den Freunden, die ihr dienen, diese Eintracht zu verbreiten, statt der blutigen Zwistigkeiten der Franken und anderer Nordländer, die nie von Bürgerzwist frei sind. Ich denke, der arme Junge hat Verstand genug, mir das zu bezeugen.« Er blickte hierauf Hereward an, der ernsthaft mit dem Kopfe nickte, um das, was sein Hauptmann sagte, zu bejahen. Als die Entschuldigung so für gültig erklärt worden war, fuhr Achilles muthiger fort: »Was ich eben gesagt habe, war unbedachtsam gesprochen: denn statt zu sagen, daß dieser Hereward vieren von den Dienern Ew. kaiserlichen Hoheit stehen würde, hätte ich sagen sollen, daß er willens wäre, sechs der gefährlichsten Feinde Ew. kaiserlichen Majestät herauszufordern und ihnen die Wahl der Zeit, der Waffen und des Orts zu überlassen.«

»Das klingt besser,« sagte der Kaiser; »und zur Nachachtung für unsere geliebte Tochter, die sorgfältig alle Thaten beschreibt, die ich für das Reich glücklich ausgeführt habe, sei es gesagt, daß es mein ernstlicher Wunsch ist, sie möge nicht zu sagen vergessen, daß Alexius, obgleich sein Schwert in der Scheide nicht schlief, nie die Vergrößerung seines Ruhms durch Blutvergießen gesucht hat.«

»Ich hoffe,« sagte Anna Comnena, »daß ich in der bescheidenen Biographie des Fürsten, dem ich das Dasein verdanke, es nicht vergessen habe, seine Friedensliebe, seine Fürsorge für das Leben seiner Soldaten und seinen Abscheu vor den blutigen Sitten der häretischen Franken unter seinen vornehmsten Charaktereigenschaften anzuführen.«

Indem sie hierauf eine gebietendere Haltung annahm, da sie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft in Anspruch nehmen wollte, kehrte sie das Haupt gegen die Zuhörer und faßte eine Pergamentrolle, die ihr die Dienerin reichte, und die in sehr schöner Schrift dieselbe Dienerin, wie es ihre Herrin dictirte, ausgefüllt hatte.

In diesem Augenblick sah die Prinzessin den Barbaren Hereward an und würdigte ihn dieser Anrede: »Tapferer Barbar, dessen ich mich dunkel erinnere, du sollst nun ein Werk hören, das, wenn man den Verfasser und den Gegenstand desselben vergleicht, einem Bilde Alexanders ähnlich ist, zu welchem ein schlechterer Maler den Pinsel des Apelles verwandt hat, das aber dennoch, wiewohl es Vielen als seines Gegenstandes unwürdig erscheinen mag, einigen Neid bei denen erwecken muß, die seinen Inhalt aufrichtig erwägen und die Schwierigkeit ermessen, einen so großen Mann, wie der ist, den es beschreibt, abzuschildern. Sonach bitte ich dich, dem, was ich nun vorlesen werde, deine Aufmerksamkeit zu schenken: denn die Beschreibung der Schlacht von Laodicäa, wozu ich die Einzelheiten von seiner kaiserlichen Hoheit meinem vortrefflichen Vater, von dem tapferen Protospatharius, seinem unüberwindlichen General, und von Achilles Tatius, dem getreuen Akoluthos des siegreichen Kaisers, erhalten habe, mögen dennoch in mancher Beziehung unrichtig sein. Man weiß wohl, daß die hohe Pflicht die oberen Befehlshaber von einem zu nahen und thätigen Antheil am Kampfe zurückhält, damit sie einen desto kälteren und richtigeren Ueberblick über das Ganze behalten und, ohne um ihre eigene Sicherheit besorgt zu sein, Befehle ertheilen können. Gerade so ist es in der Stickkunst (wundere dich nicht, tapferer Barbar, daß wir eine Kunst verstehen, die unter dem Schutze Minervens steht, deren Weisheit wir nachstreben), wo wir uns die Aufsicht über die ganze Arbeit vorbehalten, und unseren Mädchen Ausführung der einzelnen Theile überlassen. Darum kannst du uns wohl, tapferer Waräger, da du im dichtesten Handgemenge bei Laodicäa gefochten hast, diejenigen Ereignisse mittheilen, welche an dem Orte stattfanden, wo das Kriegsglück durch die Schärfe des Schwerts entschieden wurde. Scheue dich nun nicht, du tapferster der Axtträger, denen wir diesen und manchen anderen Sieg verdanken, die Fehler und Irrthümer, deren wir uns in Bezug auf die Einzelheiten dieses glorreichen Ereignisses schuldig gemacht haben, genau aufzudecken.«

»Madame,« sagte der Waräger, »ich werde mit Aufmerksamkeit anhören, was mir Eure Hoheit zu lesen beliebt; jedoch fern sei von mir der Vorwitz, die Geschichte einer purpurgebornen Prinzessin zu tadeln; noch weniger würde es einem barbarischen Waräger zukommen, das militärische Verhalten seines Kaisers, der ihn gut bezahlt, oder das seines Vorgesetzten, der ihn gut behandelt, beurtheilen zu wollen. Wenn man uns vor einem Kampf um unsere Meinung befragt, so geben wir sie pflichtgetreu an; aber unser Urtheil nach der Schlacht würde meinem dummen Verstand nach eher gehässig als nützlich sein. Was den Protospatharius betrifft, so kann ich, wenn es die Pflicht eines Generals ist, dem Handgemenge fern zu bleiben, getrost sagen und beschwören, daß ich den unüberwindlichen Befehlshaber überall, wo es gefährlich war, auf die Weite eines Speerwurfs entfernt gesehen habe.«

Diese kühne und derbe Sprache machte allgemeinen Eindruck auf die Versammlung. Der Kaiser selbst und Achilles Tatius sahen wie Männer aus, die einer Gefahr besser, als sie es erwartet hatten, entkommen sind. Der Protospatharius bemühte sich, seinen Aerger zu verbergen. Agelastes flüsterte seinem Nachbar, dem Patriarchen, zu: »Der nordischen Streitaxt fehlt weder Spitze noch Schärfe.«

»Still!« sagte Zosimus, »hören wir, wie das enden soll; die Prinzessin will reden.«



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