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Sie hatte rasch und leise, mit einschmeichelnder Stimme gesprochen. Er befreite mit einem scharfen Ruck seine Hände aus den ihren.

»Meinst Du, daß es von meinem Willen abhängt, es zu vergessen?« rief er heftig. »Nie, niemals kann ich's vergessen, es wird mich verfolgen durch Tag und Nacht, wie ein Gespenst; ich will, ich muß Wahrheit haben! Bekenne!«

»Eberhard, wie kannst Du so mit Deiner Mutter sprechen,« flehte sie.

»Mit meiner Mutter!« ein unsäglich bitteres Lächeln zuckte um seine Lippen. »Bist Du denn meine Mutter? O mein Gott, ich könnte wahnsinnig darüber werden! Wahrheit wenigstens will ich, ein offenes, ehrliches Bekenntniß. Ich bin nicht Euer Kind?«

»Nein,« hauchte sie.

Eberhard schlug die Hände vor das Gesicht. Es war, als müsse er Fassung gewinnen, um dann weiter sprechen zu können.

»Erzähle mir Alles, ich will's wissen,« sagte er, »wie konnte das Unglaubliche geschehen?«

Seine Stimme klang so gebrochen, daß in Gräfin Ebbas Herz ein tiefes Mitleid erwachte, welches für einen Augenblick jedes andere Empfinden überwog.

Eberhard, lasse es gut sein,« bat sie, »was nützt es Dir, alles Einzelne zu wissen; es ist eine alte Geschichte und sie muß vergessen sein.«

Er trat heftig mit dem Fuß auf den Boden. »Bin ich denn in diesem einen Augenblick ganz rechtlos geworden,« rief er, »weil ich nicht Graf Rodan, nicht Herr von Rodanseck bin –«

»Du bist es,« fiel die Gräfin ein.

Er schüttelte ihre Hand, die sie auf seinen Arm gelegt hatte, mit einer raschen Bewegung von sich ab. »Ich bin es nicht! Willst Du jetzt leugnen, was Du eben bekannt hast? Konntest Du die That begehen, so habe jetzt auch den Muth sie zu gestehen. Thust Du es nicht, so erzwinge ich mir von Deiner Schwester Wahrheit, die ja Mitwisserin und wohl Mithelferin gewesen ist, mit ihr werde ich anders reden als mit Dir, die ich so lange wenigstens für meine Mutter hielt!«

Sein zürnender, gebietender Blick lag auf ihr; er schien bis tief in ihre Seele dringen zu wollen, und sie sank wie in völliger Hilflosigkeit in den Sessel zurück.

»Du sollst Alles wissen,« begann sie leise und stockend, »ich habe Dir nicht viel zu sagen. Ich hatte bald nach unserer Verheiratung entdeckt, daß Rodan mich nicht liebte, daß er sich widerwillig zu einer zweiten Ehe entschlossen; ich litt unter seinem kalten, harten und unfreundlichen Wesen –«

»Schmähe meinen Vater nicht,« brach Eberhard aus, »den Mann, den ich wie einen Vater geliebt habe,« fügte er leiser hinzu.

»O Eberhard, Du bist grausam!« rief Gräfin Ebba in klagendem Ton, »ich habe gelitten, so viel gelitten! Dann, als er hoffte, daß ich ihm einen Erben schenken sollte, kam eine bessere Zeit: aber das Kind war eine Tochter. Ich las die bittere Täuschung, den Zorn in seinen Blicken – er haßte, glaube ich, mich und das Kind. Es starb; ich selbst war elend und schwach, der Arzt schickte mich in's Bad und dort begegneten wir den Rodans aus Elmenried mit ihrem Sohn Erich, dem Erben von Rodanseck, wenn Dein Vater keinen Sohn hinterließ. Damals entdeckte ich die ganze Bitterkeit, den vollen Groll, die gegen das Geschick und – gegen mich, in seinem Herzen waren. Ich hatte dem so viel älteren Manne meine Jugend, mein Glück, mein ganzes Leben geopfert, und er lohnte es mir durch Kälte und Schroffheit; ich war ganz allem, und nur die Liebe meiner theuren Schwester war mir ein Trost in diesen schweren Jahren! Da fühlte ich mich zum zweiten Mal Mutter, es war eine Hoffnung auf ein neues Glück, aber zugleich erfüllte mich eine unsägliche Angst, – wenn das Kind wieder eine Tochter wäre! Was würde mein Gatte beginnen, wie würde er mich diese neue Täuschung entgelten lassen! Und diese Angst drohte, mich körperlich und geistig zu vernichten; da kam meine Schwester, und sie war es, die, als ich ihr mein beklommenes und verzagtes Herz ausschüttete, zuerst den Gedanken der Möglichkeit in mir erweckte, falls mein Kind wieder eine Tochter sei, es mit einem fremden zu vertauschen. Sie kam immer wieder auf das Nützliche und Richtige solchen Thuns zurück und mir erschien es wie ein Hoffnungsstrahl in meiner Angst. Hortense stellte es mir als das Leichteste und Einfachste vor, wenn ich nur so nach Golten käme, daß mein Kind dort geboren werde. Sie fand Mittel und Wege auch das zu ermöglichen, ich war bei ihr und ihr Zuspruch stärkte und ermuthigte mich immer von Neuem. Die Stunde der Entscheidung kam: mein Kind lebte, aber es war wieder eine Tochter. Im Nebenzimmer verborgen, wartete die Frau, die Hortense dafür gewonnen, ihren um acht Tage früher geborenen Sohn mit meiner Tochter zu vertauschen. Auch dieser Knabe war in der Abwesenheit des Vaters geboren, so wußte Niemand als die Mutter darum, und ihr Schweigen hatten wir durch Geld erkauft. Rodan kam auf die Nachricht von der Geburt eines Sohnes sofort nach Golten, und als ich seine stolze Freude sah und fühlte, daß jetzt sein höchster, einziger Wunsch erfüllt sei, bereute ich die Täuschung nicht und habe sie nicht bereut, bis zu dieser Stunde. O Eberhard, ist es denn ein Unrecht, das Glück eines Menschen durch eine Lüge zu erkaufen? Bist Du denn nicht nach unsern Herzen unser Sohn? Wir haben Dich geliebt, Dich erzogen, Du bist unser Kind und Niemand hat dies Recht Dir streitig zu machen.«

Eberhards Blick hatte in athemloser Spannung an Gräfin Ebba gehangen, die rasch und leise, ohne ihn anzusehen, bis zu Ende gesprochen.

»Ich beschwöre Dich, schweige,« rief er jetzt, »Du wagst es von Recht zu sprechen! Welches Recht bliebe mir noch! O welch ein Schicksal, in Glanz und Ehren erzogen, in dem Glauben, einen edlen Namen zu tragen und dies, dies, das Ende! Mein Vater betrogen, meine Mutter eine Betrügerin – o mein Gott, es ist ja nicht mein Vater, nicht meine Mutter, ich selbst getäuscht, ein willenloses Opfer eines Verbrechens!«

»Mein Sohn!« schrie die Gräfin auf.

»Nenne mich nicht Sohn, ich kann es nicht hören! Schweige, lasse es mich ausdenken, es begreifen lernen, war je ein Mensch so elend wie ich!«

Er durchmaß mit weiten Schritten das Zimmer, stumm und mit gesenktem Haupte; sein Tritt hallte durch den Raum, den er wieder und wieder kreuzte. Gräfin Ebba verfolgte ihn mit einem Blick unaussprechlicher Angst; dies Schweigen peinigte sie namenlos, ihr dünkte es als wären Stunden so vergangen, er schien ihre Gegenwart vergessen zu haben, seine Züge trugen die Spuren des Kampfes, der sein Inneres durchwühlte, aber er schwieg und schwieg. Endlich ertrug es die Gräfin nicht länger; sie war aufgestanden.

»Eberhard,« flüsterte sie. Er schien es nicht zu hören. »Eberhard,« wiederholte sie noch einmal.

Er zuckte zusammen und wandte den Kopf nach ihr. »Was willst Du?«

»Eberhard, was sinnst Du?«

»Du fragst? Kann noch ein zweiter Gedanke neben dem einen, entsetzlichen, in mir Raum haben?«

»Du mußt es eben tragen, Eberhard, Dir bleibt nichts Anderes, vergieb mir –«

»Vergeben,« unterbrach erste, »niemals, niemals, Du kannst es selbst nicht glauben! Du hast mein Leben, mich selbst vernichtet.«

»Eberhard, um Gottes willen, Du kannst nicht wollen, daß es die Welt erfährt –«

Er lachte höhnisch auf. Es war ein grausiger Ton, so daß sie erschrocken einen Schritt zurückwich. »Fürchte nichts,« sagte er. »Fließt auch nicht das Blut der Grafen Rodan in meinen Adern, so bin ich doch als ein solcher erzogen, ich fühle mich als Rodan und werde die Ehre des Namens nicht vernichten, das Wappen nicht besudeln. Sei ruhig, die Welt soll von diesem Gewebe der Lüge und des Betruges nichts erfahren, vor ihr bleibe ich Graf Rodan.«

»O habe Dank, ich athme wieder,« rief die Gräfin, und sank, die erhobenen Hände nach ihm ausstreckend, zu seinen Füßen.

Er wandte sich mit einer Gebärde des Widerwillens ab. »Danke nicht zu früh,« antwortete er herbe, »ich weiß, was ich dem Namen Rodan, aber auch was ich mir selbst schuldig bin. Nur Eines noch: wer sind meine Eltern, wo ist – Deine Tochter?«

»Lasse es gut sein, Eberhard, was nützt es Dir zu wissen,« flehte die Gräfin ängstlich.

Eberhard stampfte heftig mit dem Fuß auf den Boden. »Ich will meinen Namen wissen, glaubst Du, daß Du auch jetzt noch nach Deinem Willen mit meinem Schicksal spielen darfst? Wer sind meine Eltern? ich verlange Antwort!«

»Eberhard, wie kannst Du so hart sein –«

»Antworte, martere mich nicht länger,« rief er, außer sich.

»Dein Vater ist längst todt,« sagte die Gräfin.

»Seinen Namen, ich will ihn wissen.«

»Nun ja denn, er war der Schullehrer Held in Golten.«

»Ah!« Es war ein wilder, verzweiflungsvoller Schrei, der sich Eberhards Brust entrang. »Elisabeth! Elisabeth Held ist Deine Tochter!«

»Ja,« hauchte die Gräfin.

»Auch das noch,« stöhnte Eberhard. Er war auf einen Stuhl gesunken, als ob die Kraft ihn verlassen hätte.

Gräfin Ebba verfolgte mit ängstlichen Blicken jede seiner Bewegungen. »Was hast Du, sprich?« fragte sie.

Er machte eine abwehrende Handbewegung. Die Verzweiflung schien mit neuer Gewalt über ihn einzubrechen. »Auch das noch, zu allem Uebrigen,« wiederholte er Mal auf Mal.

»Was ist es mit Elisabeth, sage es mir, sprich, Eberhard, vertraue mir,« flehte Gräfin Ebba.

»Dir vertrauen? Du forderst Unmögliches,« entgegnete er herbe.

»O mein Gott, wie quälst Du mich, diese Angst, diese Sorge, was wirst Du thun –«

»Sei außer Sorge,« unterbrach er sie, »ich halte, was ich versprochen habe; nicht um Deinetwillen, sondern um des Namens Rodan willen, den rein und unbefleckt zu erhalten, ich dem sterbenden Vater gelobte. Niemand soll die Schmach, die auf ihm haftet, erfahren, sorge Du, daß Du Dich nicht verräthst.«

Er war aufgestanden und strich tief aufathmend die Haare aus der Stirn. »Lebewohl, wenn Du kannst,« sagte er und wandte sich zum Gehen.

»Eberhard, noch ein Wort,« bat die Gräfin. »Sieh, wenn ich gefehlt habe, so wirst Du meine Schuld sühnen, als ein würdiger Vertreter des Namens Rodan, Du wirst des Vaters Wünsche heilig halten, Du wirst ihm ein edler Nachfolger sein, Du –«

»Erspare Dir diese Mahnung,« fiel er ihr mit einem bittern Lächeln in's Wort, »ich weiß was ein Graf Rodan sich und seiner Ehre schuldig ist, und bin ich's nicht, so werde ich doch als solcher handeln.«

»Eberhard, was willst Du thun!?«

»Dir habe ich keine Rechenschaft zu geben,« entgegnete er, »nur mir selbst und dem Andenken des theuren Verstorbenen. Lasse mich endlich, jede Minute ist mir eine Qual.«

Die letzten Worte brachen als ein solcher Ausruf bitterster Verzweiflung aus seiner Seele, daß Gräfin Ebba kein Wort mehr wagte. Er stürzte aus dem Zimmer und einige Augenblicke später hörte sie ihn vom Hofe reiten.

Wild und stürmisch war er hergejagt, langsam, mit schlaff niederhängendem Zügel, ritt er heimwärts, auf dem Herritt hatte er die Gedanken, die sich ihm aufdrängten, gescheut, jetzt wollte er denken, und den Entschluß zur That reifen lassen. Er war ja stets leichten Herzens und Sinnes gewesen, er hatte es stets verstanden, nur den Schaum von dem Becher des Lebens zu schlürfen, seine elastische Natur schien keines tiefgehenden Empfindens fähig – nur Eines gab es, das ihm hoch und wichtig und bedeutsam war, für das er mit ganzer Seele eintrat, das in der Tiefe seines Wesens begründet schien – der Stolz auf seinen Namen, das Gefühl der Pflicht, für dessen Ehre und Würde einstehen zu müssen – er hatte es für das angeborene Empfinden des Aristokraten gehalten. Und dieses Höchste und Heiligste in ihm war gebrochen, zertreten, vernichtet! Es war längst dunkel geworden, als er in Rodanseck ankam; wie fremd schauten ihn die alten Bäume im Mondlicht an, die ihm seit seiner Kindheit wie alte Freunde vertraut gewesen waren, – ihm graute vor dem steinernen Eberkopf über dem Portal, den er sonst mit Stolz betrachtet hatte, und wie der Diener, der ihn kommen gehört, die mächtige Eichenthür öffnete, klang ihm der Laut gespensterhaft. Gesenkten Hauptes schritt er durch die Zimmerreihe, bis er das seine erreicht hatte, dort warf er dem Diener Hut und Ueberzieher zu und sagte: »Sie können gehen, ich brauche Sie für heute nicht mehr.«

»Werden der Herr Graf nicht mehr zu speisen befehlen?« fragte der Diener.

Eberhard starrte ihn einen Augenblick an, er hatte sichtlich Zeit und Stunde gänzlich vergessen; doch er raffte sich schnell auf und antwortete: »Ich habe bei der Frau Gräfin gegessen, bringen Sie mir aber eine Flasche Rothwein, ich habe noch zu arbeiten.«

Er stürzte schnell einige Gläser Wein hinunter und ging dann ruhelos auf und ab. Er hatte die Thür nach dem Nebenzimmer geöffnet und gleichmäßig hallte sein Schritt durch die Räume, ohne daß er die Flucht der Stunden zu bemerken schien. Mitternacht war lange vorüber, als er sich endlich vor seinem Schreibtisch niederließ; noch einmal trank er ein Glas Wein, dann nahm er Papier und Feder und schrieb mit kräftigen Zügen, rasch und ohne Besinnen. Erst als er das Blatt beinahe voll geschrieben, durchlas er es, ernst und prüfend. Er athmete tief auf, als ob er sich von einer Last befreit fühle, nahm dann wieder die Feder zur Hand und fügte dem Geschriebenen noch einige Zeilen hinzu. Sie lauteten: »Pflicht und Ehre verlangten von mir eine solche offene Darlegung der Thatsachen, vor meiner, in wenigen Wochen stattfindenden Vermählung mit Fräulein von Lauenstein. Ich darf annehmen, daß Sie dem Ehrenwort eines Edelmannes Glauben schenken und nicht daran zweifeln werden, daß Elisabeth weniger schuldig ist, als Sie wahrscheinlich bisher vorausgesetzt haben. Wenn ich Ihnen nicht früher die Mittheilung gemacht, die ich, wie ich anerkenne, Ihnen schuldig war, so mögen Sie dies einerseits mit der Fülle aufregender, alle meine Kraft in Anspruch nehmender Eindrücke und Anforderungen, die mich umdrängtet, entschuldigen, andrerseits mit der natürlichen Abneigung des Mannes, eine Schuld seines Leichtsinnes zu bekennen. Frau Pfarrer Grundmann in G., bei der Elisabeth, als sie sich aus Elmenried entfernte,, eine Zuflucht suchte und fand, wird Ihnen sicher über ihren gegenwärtigen Aufenthalt – falls Sie es wünschen – Auskunft geben können; ich selbst habe sie seit mehr als einem Jahre nicht gesehen, und nach der Mittheilung meiner Verlobung an sie, durch die ich jede Verbindung zwischen uns löste, keine Nachricht von ihr erhalten. Es würde mich glücklich machen, wenn ich den ernsten Schritt, der mir bevorsteht, in der Hoffnung thun könnte, durch meine offene Mittheilung, Sie überzeugt zu haben, daß Elisabeths Flucht keinen andern Grund hatte, als das Gefühl der Unmöglichkeit, dem Manne, dem sie hohe Verehrung, ja vielleicht eine tiefere Liebe als mir, stets bewahrte, wortbrüchig gegenüberzutreten, und wenn ich dadurch vielleicht einen Theil meiner Schuld gegen sie gesühnt hätte.«

Eberhard durchlas das Geschriebene noch einmal und unterschrieb seinen Namen. »Eberhard, Graf Rodan,« wiederholte er leise vor sich hin, »zum letzten Mal,« dann schob er den Brief in ein Kouvert und adressirte ihn an Graf Erich Rodan. Dann warf er sich auf das Sopha und schlief bis gegen Morgen unruhig, von wirren Träumen gequält. Als der Diener zur gewöhnlichen Stunde in sein Zimmer trat, fand er ihn bereits wieder an seinem Schreibtisch sitzen. Später am Vormittag befahl er sein Pferd zu satteln und ritt selbst zur Stadt, den Brief an Graf Erich Rodan zur Post zu geben; sein Weg führte ihn bei dem Gut des Herrn von Rennertsdorf vorüber, der sein häufiger Gast in Rodanseck war. Er schlug einen Nebenweg ein, der gerade auf den Hof hinaufführte und sah Herrn von Rennertsdorf im Gespräch mit dem Inspektor vor der Hausthür stehen.

»Rennertsdorf,« rief er, sein Pferd anhaltend.

Der Gerufene wandte sich um und winkte grüßend mit der Hand.

»Kommen Sie heute Nachmittag zu mir herüber.«

»Bleiben Sie lieber bei mir,« lautete die Antwort, »kann ich Ihnen auch kein feines Diner mehr versprechen, dazu ist die Zeit schon zu vorgerückt, so habe ich doch einen guten Wein.«

»Danke,« erwiderte Eberhard, »ich habe zu Hause Geschäfte, aber ich erwarte Sie bestimmt, ich habe mir vor einigen Tagen ein Paar neue Pistolen gekauft und möchte sie gern mit Ihnen probiren; vielleicht macht es Ihnen auch Vergnügen, die neue Einrichtung in den Zimmern der künftigen Gräfin Rodan zu sehen. Kommen Sie.«

»Gern, wenn Sie es entschieden abschlagen bei mir zu bleiben. Doch Sie sehen schlecht aus, Rodan, was fehlt Ihnen?«

»Nichts, ich bin vollkommen wohl,« entgegnete Eberhard, »ich habe nur bis in die Nacht hinein gearbeitet.«

»Sie treiben es zu eifrig,« rief Rennertsdorf lachend, »dergleichen Anstrengungen sind durchaus überflüssig.«

Eberhard lächelte ebenfalls, und winkte grüßend mit der Hand. »Auf Wiedersehen denn also.«

Er wandte sein Pferd, und war bald Rennertsdorfs Blicken entschwunden.

Auch Gräfin Ebba hatte die Nacht fast völlig schlaflos zugebracht; sie machte sich die bittersten Vorwürfe, nicht über ihre That, sondern nur über die Unvorsichtigkeit, mit der sie dies eine Blatt bei dem Ordnen ihrer Papiere übersehen hatte, das nun unglücklicher Weise in Eberhards Hände gerathen mußte, und je öfter sie sich sein Verhalten, seine Worte, sein Scheiden von ihr in's Gedächtniß zurückrief, um so beklommener wurde ihr zu Sinne. Was hatte er vor? was wollte er thun? Freilich sagte sie sich dann selbst beruhigend, daß er versprochen, die Welt solle nichts davon erfahren, der Name Rodan solle unbefleckt bleiben, aber dennoch war seine Erregung, seine Verzweiflung zu groß gewesen, als daß sie glauben konnte, daß er schweigend in dem Besitz von Rodanseck verharren werde. »Danke mir nicht,« hatte er ja auch gesagt, und das Wort hatte wie eine Drohung schlimmster Art geklungen.

Der Morgen war schon weit vorgeschritten; sie hatte auf jeden Laut gelauscht, in einer unbestimmten Hoffnung, Eberhard könne kommen, könne ihr sagen wollen, daß er ruhiger geworden sei, ihr vergeben habe, – aber das war ja Alles Thorheit, so wie er gestern von ihr geschieden, durfte sie sobald keinen versöhnenden Schritt von seiner Seite erwarten. Etwas aber mußte sie thun, so allein und unthätig in der peinigenden Spannung verharren – es war unmöglich! So fuhr sie nach Parkenau hinüber, vielleicht daß Eberhard bei Valeska gewesen war, daß sie ihn noch dort fand, daß eine Begegnung in Gegenwart seiner Braut ausgleichend und versöhnend wirkte.

»Willkommen, Mama,« begrüßte Valeska sie, »es ist schön, daß Du kommst, ich habe noch so viel mit Dir zu besprechen, was mit Papa gar nicht angänglich – Du weißt ja, tausend Dinge die sehr wichtig sind, begreifen die Männer durchaus nicht. Ich führe Dich gleich in mein Boudoir.«

Die Gräfin hatte aus Valeskas Worten nur das Eine herausgehört, daß Eberhard nicht dort war, und während ihre Augen über die Stoffe und Proben, die sie betrachten und unter denen sie wählen sollte, fortsahen und sie mechanisch auf die ihr von Valeska gestellten Fragen antwortete, dachte sie fortwährend nur darüber nach, wo Eberhard jetzt sein möchte, was er thun wolle, ja vielleicht schon gethan habe. Plötzlich fiel ihr Auge auf ein lose zusammengefaltetes Blatt, das Valeskas Adresse trug: sie erkannte Eberhards Handschrift. Wie zufällig legte sie die Hand darauf und ließ es spielend durch die Finger gleiten.

»Und Eberhard?« sagte sie endlich leichthin. »Hast Du nicht seinen Geschmack zu Rathe gezogen? Was sagt er zu den Stoffen?«

»Ach der!« antwortete Valeska, während ein leises Roth in ihre Wangen stieg, »er versteht auch nichts davon und ich sehe ihn ja so selten. Papa behauptet, es wäre ganz richtig und nothwendig, daß er sich mit solchem Eifer der Verwaltung von Rodanseck widmet, es mag ja auch sein, allein ich wollte doch, er käme öfter zu mir. Ich habe ihn zwei volle Tage nicht gesehen und gestern früh, als Papa drüben in Rodanseck war, hatte er versprochen, heute schon zu Mittag herzukommen, aber heute schickte er mir wieder eine Absage. Ich sollte ihm eigentlich zürnen.«

»Er verdient eine Strafe, die Du ihm nicht zu milde diktiren darfst,« scherzte die Gräfin, während ihr Blick unruhig über Valeska hinwegschweifte, »und wie entschuldigte er sein Ausbleiben?«

»Lies selbst, es ist sein Billet, das Du da in der Hand hältst,« entgegnete Valeska.

Die Gräfin entfaltete das Blatt; sie hätte es jetzt um keinen Preis aus der Hand gegeben, dennoch fragte sie lächelnd: »Ein Liebesbrief? darf ich ihn auch lesen?«

»O, bitte, er enthält keine Geheimnisse, wir wechseln überhaupt keine Liebesbriefe,« lautete Valeskas Antwort, und obgleich sie das leichthin sagte, so klang doch eine Atom von Bitterkeit durch ihren Ton.

Gräfin Ebba erwiderte nichts; ihr Auge überflog bereits Eberhards Zeilen.

»Theuerste Valeska!« schrieb er, »Vergieb, wenn ich heute nicht, wie ich gestern versprochen, nach Parkenau hinüberkomme. Rennertsdorf hat mir für Nachmittag seinen Besuch zugesagt, bis dahin aber habe ich noch wichtige Geschäfte zu erledigen, die sich erst seit gestern mir aufgedrängt haben. Ich hoffe sicher, daß Dein gütiges, liebevolles Herz mir heute so wenig als jemals zürnt. Lebe wohl und grüße Deinen theuren Vater. Dein dankbarer

Eberhard.«

Die Gräfin hatte das Billet bereits zwei Mal durchlesen; sie mußte gestehen, daß die Worte völlig harmlos klangen, dennoch war ein Etwas darin, das sie beängstigte.

»Du siehst, Geschäfte und immer Geschäfte,« sagte Valeska mißmuthig, »ich wünsche wirklich keinem Mädchen, daß sein Verlobter Besitzer großer Güter ist; liebte ich nicht Rodanseck so sehr, ich könnte es faktisch hassen, weil es mir Eberhard ganz entzieht.«

»Wollen wir Eberhard überraschen und nach Rodanseck hinüberfahren?« fragte Gräfin Ebba plötzlich.

»O nein, Mama, Du hörst ja, er hat Geschäfte und am Nachmittag kommt Herr von Rennertsdorf zu ihm.«

Valeskas Ton klang so abweisend, so unverkennbar erstaunt über den Vorschlag der Gräfin, daß diese sofort bereute, ihn ausgesprochen zu haben.

»Es war ein Scherz, natürlich nur ein Scherz, mein Kind,« sagte sie lächelnd, »ja, ja, wir Frauen müssen uns an die Rücksichtslosigkeiten der Männer gewöhnen! Geschäfte! und dann ein Besuch von Rennertsdorf! während seine holde Braut hier auf ihn wartet, es ist unverzeihlich! Er war gestern bei mir, in Guntersdorf, ganz flüchtig, nach einem wilden Ritt, so aufgeregt, so heftig! ich glaube wirklich, für ihn ist die Last der Arbeit zu groß, er nimmt das Alles zu ernst und wichtig.«

Diese letzte Bemerkung war keine zufällige, die Gräfin hatte sie wohl überlegt. Sie erhob sich. »Adieu jetzt, mein süßes Kind, ich will wieder heimwärts.«

»Du bleibst nicht hier, Mama?« fragte Valeska überrascht.

Gräfin Ebba lehnte ab. Sie fühlte sich zu erregt, zu unruhig, es war ihr unmöglich, sich länger zu beherrschen; wie sie vorher vor dem Alleinsein geflohen, so sehnte sie sich jetzt danach, und während sie den Weg nach Guntersdorf in ihrem Wagen zurücklegte, zogen unzählige bange Ahnungen und Möglichkeiten durch ihre Seele, die sie dann selbst wieder als thöricht verwarf, hatte sie doch sein Versprechen, daß die Welt nichts erfahren solle.

Eberhard hatte sich nach der Rückkehr von seinem Ritt auf sein Zimmer begeben. Er habe in der Stadt gegessen, sagte er dem Diener und dieser hörte, daß er die Thür hinter sich verschloß. Erst gegen die vierte Stunde schellte er wieder und befahl, ihm den Jäger zu schicken.

Dieser war ein alter, im Dienste von Eberhards Vater ergrauter Mann, von dem er zuerst den Gebrauch der Waffe gelernt, in deren Handhabung er jetzt Meister war. Eberhard war nicht nur ein leidenschaftlicher Jäger, sondern auch ein vortrefflicher Schütze, der auf dem an der Grenze des Parks errichteten Scheibenstand, stets in's Schwarze traf, und diese nie fehlende Sicherheit war des alten Bernd Stolz und Freude.

»Bernd,« sagte Eberhard zu dem Eintretenden, »Herr von Rennertsdorf kommt heute her, wir wollen zusammen nach der Scheibe schießen. Ich möchte aber vorher doch noch die neuen Pistolen probiren, bringe sie mir nach dem Schießstand.«

Bernds Augen leuchteten. »Zu Befehl, Herr Graf. Der Herr Graf haben auch lange nicht geschossen.«

»Desto sicherer soll heute meine Hand sein,« sagte Eberhard, indem er sich umwandte und seinen Schreibtisch verschloß.


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