Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die melodische Stimme, die jeder Modulation fähig zu sein schien, war zum weichsten Flüstern herabgesunken. »Mein Vater war in seiner Jugend einmal auf einer Jagd in Rodanseck gewesen« fuhr sie, in einen heitern Ton übergehend fort »und erzählte oft und gern von dem alten Schloß und seinem herrlichen Park. Ist Beides noch unverändert geblieben?«

Damit war das Gespräch in eine neue Bahn gelenkt und setzte sich lebhaft fort. Auch als die Tafel aufgehoben wurde, blieb Rodan an Ebba's Seite; sie wußte den Faden geschickt fortzuspinnen, so daß er nicht riß und der Graf doch nicht bemerkte, daß er sich leise und sicher zu einem Netze um ihn wob.

»Darf ich darauf hoffen, Ihnen morgen auf dem Balle bei Baron von Fürstner wieder zu begegnen?« fragte er bei dem Abschiede.

»Ja wohl, Herr Graf« entgegnete sie und ein voller Blick der meist gesenkten grauen Augen traf ihn.

»Dann aber werden Sie tanzen« sagte er lächelnd »und ich bin kein Tänzer mehr.«

»Ich tanze nicht« antwortete sie, und wiederum hoben sich Ebba's Augen zu ihm auf.

Auf der Heimfahrt hatte er sich nachdenklich in die Ecke des Wagens gelehnt. Hatte er gefunden, was er so lange vergeblich gesucht? Ebba von Niederfelden war das erste Mädchen, das ihm in diesen vier Wochen, unter der Reihe Aller, die er mit prüfendem Blick angeschaut, gefallen hatte; sie schien ihm ernsten Sinnes, schien nicht an den Freuden der Welt zu hängen, die erste Blüthezeit der Jugend lag hinter ihr, sie war durch manche ernste Lebenserfahrung vielleicht auch über ihre Jahre hinaus, gereift. Sie war arm: das war kein Fehler, er war reich genug, um das Vermögen seiner Frau nicht zu bedürfen, vielleicht nahm sie so um so lieber das, was er ihr an Lebensgütern, an Stelle der Liebe, die sein Herz nicht mehr geben konnte, zu bieten hatte, die Niederfelden waren kein alter Adel, aber ihr Name hatte einen guten Klang und die Gräfin Rodan bedurfte nicht mehr des Glanzes ihres Geburtsnamens; sie hatte keine Eltern, keine weiteren Angehörigen als diese eine Schwester – auch das war ihm lieb, denn er wünschte nicht in einen neuen, großen Familienkreis einzutreten, der ihm Pflichten auferlegte und Ansprüche an ihn machte. Er sah sie morgen wieder, und dann vielleicht noch ein Mal – und dann wollte er sich entscheiden; ihm war dieses lange Prüfen und Wählen verhaßt, er kam sich so thöricht in der Rolle eines Freiers vor, mußte der Entschluß einmal gefaßt werden, so mochte es schnell geschehen.

Während Rodan so sinnend durch die Straßen der Stadt fuhr, hatten die letzten Gäste sich von der Generalin von Gick verabschiedet. Als die Thür sich hinter ihnen schloß, sagte Ebba: »Gute Nacht, liebe Tante, Du erlaubst, daß auch ich mich zurückziehe.«

Frau von Gick nickte zustimmend. »Nur noch eine Frage vorher, die Du eigentlich nicht hättest abwarten sollen, da Du weißt, wie wichtig mir die Sache ist; wie stehst Du mit Graf Rodan?«

Ebba hielt die Augen gesenkt und sagte kühl: »Wir haben uns während des Soupers gut unterhalten und er scheint mir ein interessanter Mann zu sein, was sollte ich von einem ersten Begegnen mehr mitzutheilen haben?«

Der General lachte laut. »Nun, mein Kind, Du weißt ja, weshalb die Tante Dich hierher berufen, und daß es sich um ein viel wichtigeres Ding handelt, als darum, ob Dir Graf Rodan ein interessanter Mann zu sein scheint; übrigens wich er ja nicht von Deiner Seite, und ich denke, Du wirst eine tüchtige Bresche in die Festung geschossen haben, jedenfalls hast Du Dich brav und tapfer gehalten.«

Der Graf lachte von Neuem über diesen militärischen Witz; in Ebba's Gesicht veränderte sich kein Zug, sie antwortete mit derselben leisen, kühlen Stimme, während ihre Augen an ihm vorüber, durch das Fenster, auf die dunkle Straße zu blicken schienen. »Ich bin hierher gekommen, weil die Tante mich gütig einlud, und ich mich freute, Euch wiederzusehen – aus keinem andern Grunde; ich würde mich niemals entschließen, einem Manne die Hand zu reichen, dem ich nicht mein Herz zugleich geben könnte. Die Schließung eines Bundes für's ganze Leben ist nach meiner Ansicht etwas so unendlich wichtiges, so heiliges und erhabenes, daß ich dieselbe niemals wie eine Geschäftssache behandeln möchte. Und nun gute Nacht, lieber Onkel.«

Ihre königliche, und dabei sehr graziöse Gestalt verschwand hinter der Thür.

»Himmelsapperment« rief der General, »die hat mich abgefertigt und Du hast ihr, denke ich, doch ziemlich deutlich und mit klaren Worten geschrieben, um was es sich handelt, und daß wir sie kommen ließen, weil –«

»Nun ja, natürlich« unterbrach ihn seine Gattin, »wir wissen das ja Alles und Ebba weiß es auch und hat danach gehandelt. Aber ich merke schon, Sie ist zu klug um Jemand in ihre Karten sehen zu lassen und sie liebt es überdies, ein wenig die Heilige zu spielen, ich kenne das schon von früherher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß die Sache gut steht und bin stolz darauf, die Rolle des Schicksals übernommen zu haben. Ebba ist über die erste Jugend hinaus, sie ist arm, sie fühlt sich – wie natürlich alle Mädchen in ihrem Alter und in ihrer Lage – unbefriedigt, eine Heirath wäre unter allen Umständen ein Glück für sie, und nun gar Graf Rodan! Im Uebrigen glaube ich, sie paßt zu dieser Stellung vortrefflich, und dem guten Grafen thut man entschieden den größten Gefallen, wenn man ihn aus der ihm sichtlich höchst unbequemen Situation eines Mannes auf Freiersfüßen errettet. Mithin thut man nach allen Seiten ein gutes Werk, und ich wette, daß Beide heute schon, wenn nicht unter einander, so doch sicher mit sich selbst einig sind. Der Graf hat beschlossen um Ebba anzuhalten und Ebba weiß das sehr genau – ich kann nicht sagen, ist entschlossen ihm das Jawort zu geben, das steht ja einem Grafen Rodan gegenüber außer Frage; Ebba zumal, aus ihren Verhältnissen, ihm einen Korb geben! Das wäre natürlich durchaus unmöglich! Aber ich werde mir zur Hochzeit eine neue Toilette anschaffen müssen, die ich unmöglich aus meinem Nadelgeld bestreiten kann, außergewöhnliche Veranlassungen verlangen auch außergewöhnliche Anstrengungen, darauf bereite Dich nur vor,« so schloß die lebhafte Frau ihre in größter Schnelligkeit hervorgesprudelten Bemerkungen.

Acht Tage später zeigte Graf Eberhard Rodan seine Verlobung mit Fräulein Ebba von Niederfelden an. Man hatte diese Nachricht erwartet, und dennoch erregte sie Sensation; eben dieser Mann, der unter dem höchsten Adel des Landes, unter den schönsten, den jüngsten, den reichsten Mädchen zu wählen gehabt hätte, ging an ihnen allen vorüber und wählte diese, die nichts, garnichts in die Waage zu legen hatte von alle dem, was er, mehr als jeder Andere, beanspruchen durfte. Man nannte sie eine Kokette, die es verstanden, den reichen Mann in ihren Netzen zu fangen, und hieß ihn thöricht, daß er in die Schlinge gegangen war.

Die Betheiligten selbst schienen nichts davon zu wissen, daß sie der Gegenstand so lebhaften Interesses für die Gesellschaft geworden waren. Graf Rodan war zwei Tage nach seiner Verlobung nach Rodanseck abgereist, um, wie er sagte, die Vorbereitungen zu dem Empfange der neuen Herrin zu treffen, denn schon in vier Wochen sollte die Hochzeit stattfinden, Ebba aber nahm die ihr, je tiefer Neid und Groll in den Herzen saßen, mit umsomehr Ostentation dargebrachten Glückwünsche, mit so viel kühler Ruhe entgegen, als ob es ein ganz selbstverständlich ihr zufallendes, längst erwartetes Loos sei, daß sie einen der reichsten und bedeutendsten Grundbesitzer des Landes heirathe. Ja, sie wagte es sogar, der Baronin von Darnow – die Dame hatte vier heirathsfähige Töchter und war sehr reich – auf ihre, mit der holdesten Miene, hinter der sich mühsam Groll und Erbitterung verbargen, ausgesprochenen Glückwunsch, zu erwiedern: daß sie geglaubt habe nicht anstehen zu dürfen, dem einsamen Manne, der von ihr den Schmuck seines freudlosen Lebens erwartet habe, die Hand zu reichen, wenn es ihr auch nicht leicht geworden sei, sich von der geliebten Schwester und aus theuer gewordenen Verhältnissen loszureißen.

Nach Verlauf von vier Wochen kehrte Graf Rodan nach der Hauptstadt zurück, und in dem Hause von Excellenz Gick wurde, zwar mit alle dem, dem Namen und der Stellung des Bräutigams entsprechenden Glanz, aber doch auf dessen ausdrücklichen Wunsch, nur im engsten Kreise die Hochzeit gefeiert. Ebba's Schwester, Frau von Voltzau, war natürlich auch zu dem Feste erschienen und Rodan mußte sich gestehen, daß, wenn er es als einen besondern Vorzug betrachtet hatte, daß Ebba nur diese eine Verwandte habe, ihm nun dafür diese Eine auch von Herzen unsympathisch sei. Er hätte gewünscht, daß die Schwestern, sich weniger geliebt, weniger innig mit einander verbunden gewesen wären, als er das von Beiden fort und fort hörte. Er empfand es als eine gewisse Befriedigung, daß Golten, das Gut der Frau von Voltzau, zu weit entfernt von Rodanseck lag, um einen häufigen Verkehr, ein Herüber und Hinüber zu gestatten. Vielleicht lag der unangenehme Eindruck, den die schöne und elegante Frau, von der alle Andern sehr eingenommen schienen, auf ihn machte, auch am meisten in der nur mühsam von ihm beherrschten Mißstimmung, die sich seiner bemächtigt hatte. Er hatte eine zweite Heirath als eine Pflicht erkannt, deren Erfüllung er sich nicht länger entziehen durfte. So hatte er sich verlobt; als er dann aber nach Rodanseck zurückgekehrt war, und nun die neuen Einrichtungen traf, die der Einzug einer jungen Frau nothwendig machte, erschien ihm plötzlich sein Entschluß in einem gänzlich andern Licht; und als er vor das Bild seiner verstorbenen Gattin trat, dünkte es ihn ein Verrath gegen das Andenken der Theuren, daß ein Mädchen wie Ebba an ihre Stelle treten solle. Weshalb hatte er überhaupt dem Drängen des Grafen Hochstedt nachgegeben, weshalb war er nach der Residenz gegangen! War man denn nicht zuerst Mensch, und dann erst in zweiter Reihe Majoratsherr? Standen die Pflichten des Majoratsherrn über den Wünschen und Neigungen des Menschen? Er war mit sich selbst unzufrieden, daß er einen Schritt gethan, der ihn wenige Tage später gereute, daß er nicht im Stande war, sich mit dem einmal geschehenen zufriedenzustellen.

Dieser Mißstimmung war er noch nicht Herr geworden, als er nach vier Wochen zur Hochzeitsfeier nach der Stadt zurückkehrte; denn auch Ebba's Briefe hatten ihn nicht befriedigt, und als er sie nun wiedersah, wäre ihm ein natürliches, herzliches Entgegenkommen lieber gewesen, als die kühle, sentimentale Weise, mit der sie ihn begrüßte.

Ebba's königliche Gestalt, ihre ganze vornehme Erscheinung, waren durch den Brautschmuck, den herabwallenden Schleier und den Myrthenkranz in den goldrothen Haaren, glänzend gehoben, sie repräsentirte vollkommen die Gräfin Rodan, und das leise Murmeln der Befriedigung, das durch die zuschauende Menge ging, als das schöne Paar die Kirche bis zum Altar durchschritt, hatte nicht nur dem Ohr der Braut wohllautend geklungen, auch Graf Eberhard hatte es mit Stolz erfüllt. Als er dann aber, nach beendeter Ceremonie, einen Kuß auf Ebba's Stirn drückte und er, wie sie dann den Blick zu ihm erhob, nur ein stolzes Aufleuchten desselben entdeckte, da hätte er viel um einen warmen Liebesstrahl aus diesem Auge gegeben. Während des darauf folgenden Dejeuners, das Rodan unsäglich lange zu währen schien, war Ebba liebenswürdig, gesprächig und heiter und er versuchte es auch zu sein, aber er meinte, ein Jeder müsse ihm den Zwang abfühlen.

Dann war auch der Abschied glücklich vorüber, der zwischen den beiden Schwestern sehr wortreich und sehr sentimental gewesen war, und Graf Rodan und Ebba legten die mehrstündige Eisenbahnfahrt ziemlich schweigsam zurück. Was in seiner Brust wogte und hämmerte, – er hätte ihm kaum einen Namen zu geben vermocht, aber er hätte viel, Alles darum gegeben, zu wissen, was sich hinter den stillen, kühlen Zügen, die von keiner Aufregung sprachen, hinter den niedergeschlagenen Augen, verbarg. Er hätte ihr so viel zu sagen gehabt und konnte doch das rechte Wort und den rechten Ton dazu nicht finden. Erst als sie im eigenen Wagen saßen, der sie von der Eisenbahnstation nach Rodanseck führte, und die Dunkelheit so weit vorgeschritten war, daß er die Züge der neben ihm Sitzenden nicht mehr unterscheiden konnte, sagte er, ihre Hand fassend: »Wir haben nun bald meine, jetzt unsere gemeinsame Heimath erreicht, Ebba, bringe ihr ein freundliches, warmes Herz entgegen. Ich bin nicht mehr jung, durch die Einflüsse meines Schicksals vielleicht früher gealtert als durch die Jahre, Du wirst mit dem ernsten, lange an eine fast vollständige Einsamkeit gewöhnten Mann Nachsicht haben müssen.«

Er schwieg einen Augenblick; als die Antwort, die er erwartet zu haben schien, ausblieb, fuhr er fort: »Ich hatte seit Jahren mit der Welt abgeschlossen, ich lebte nur meiner ausgedehnten Thätigkeit auf meinen Gütern und meinen Büchern; ich weiß, daß jetzt andere Pflichten an mich herantreten, daß ich in meinen alten und, lasse es mich gestehen, lieben Gewohnheiten, manches ändern muß; wenn ich das nicht sofort gänzlich, nicht immer in der richtigen Weise thue, so vergieb es mir Ebba, versprich, mir eine gütige, nachsichtsvolle Gattin sein zu wollen.«

Ihn dürstete nach einem herzlichen Worte von ihr, würde die weiche, kühle Stimme, wenn sie ihm jetzt antwortete, einen wärmeren Ton haben? Er lauschte fast ängstlich darauf.

Sie hatte ihn nicht, sie hatte denselben melodischen Klang und Fall, aber sie war nicht um einen Schatten tiefer oder wärmer geworden, als sie erwiederte: »Du hast Dich so wiederholt bemüht mir klar zu machen, welches Opfer Du mit der Schließung einer zweiten Ehe gebracht hast, daß es dieser Bitte um meine Nachsicht nicht mehr bedurfte; wäre ich nicht entschlossen gewesen, sie Dir gegenüber voll und ganz zu üben, so hätte ich niemals Deine Gattin werden können. Wir Frauen sind ja zum Dulden und opfern berufen und verstehen es, ohne Ansprüche an eigenes Glück, diese uns von der Natur zugewiesene Pflicht zu erfüllen. Dennoch muß ich Dir sagen, lieber Eberhard, daß es nicht eben freundlich von Dir ist, so ganz zu vergessen, wie wehe und wund mein Herz eben heute durch den Abschied ist, wie auch ich den Entschluß Deine Gattin zu werden, mit einem schmerzlichen Opfer habe erkaufen müssen.«

Rodan zuckte zusammen; hatten ihn Ebba's Worte bis dahin eisig berührt, so trafen die letzten seinen Stolz bis in's Mark. Längst schon hatte er ihre Hand aus der seinen gelassen und der Ton war herbe und gereizt, mit dem er jetzt sagte: »Und darf ich fragen, welches das schmerzliche Opfer ist, das Du bringen mußtest, um die Gattin des Grafen Rodan auf Rodanseck zu werden?«

»Da siehst Du gleich, wie wenig Verständniß Ihr Männer alle für unser Herzensleben habt,« entgegnete Ebba, »ich mache Dir daraus keinen Vorwurf, Ihr begreift eben unser Fühlen und Lieben nicht. Weißt Du denn nicht, wie glücklich ich in Golten war, wie ich meine Schwester liebe und wie sie mich liebt – o, diese Trennung werde ich niemals ganz verschmerzen.«

Eine herbe Antwort schwebte auf Rodans Lippen, aber in diesem Augenblick rollte der Wagen durch das Hofthor, das festlich erleuchtete Schloß lag vor ihnen und ein lautes Vivat der versammelten Dienerschaft erscholl. Rodan half Ebba aus dem Wagen, sie trat an seinem Arm in die mächtige Vorhalle des Schlosses, hörte dann mit freundlichem Lächeln die Begrüßungsrede des alten Hausmeisters und erwiderte diese mit einigen herablassenden Worten an ihn und die im Festtagsputz unmittelbar hinter ihm stehende Beschließerin.

Rodan mußte sich gestehen, daß die Gräfin Rodan nicht würdiger und zugleich anmuthiger in ihre neue Heimath eintreten könne, und ihre stolze Schönheit, an der sichtlich die Blicke der ganzen Dienerschaft mit Bewunderung hingen, überraschte selbst ihn.

Vor wenigen Monaten noch hätte er gemeint, daß damit das Maaß seiner Ansprüche an seine Gattin erfüllt sein würde; heute empfand er trotzdem eine tiefe Unbefriedigung, eine grenzenlose Mißstimmung, deren er nicht Herr zu werden vermochte.

Ebba hatte sich auf ihr Zimmer begeben um ihre Reisetoilette abzulegen; als sie in das Wohnzimmer zurückkehrte, fand sie Rodan bereits ihrer harrend.

»Wirst Du wünschen jetzt zu soupiren, oder befiehlst Du, daß ich nach dem Haushofmeister schelle, damit er Dich durch die sämmtlichen Räume des Schlosses führt?« fragte er mit kühler Höflichkeit.

»Mich fröstelt,« erwiderte sie, »ich glaube eine Tasse Thee wird uns beiden wohlthun.«

Rodan führte sie in das Eßzimmer; der Diener ging ab und zu, einige gleichgiltige Phrasen wurden gewechselt, Ebba bemerkte die finster zusammen gezogenen Brauen Rodans, den herben Klang seiner Stimme. Als der Diener das Zimmer verlassen hatte, sagte sie: »Es scheint, Du zürnst mir? Ich begreife nicht, weshalb mir nicht gestattet sein soll auszusprechen, was Du so wiederholt geäußert hast. Ich hielt es für nöthig Dich darauf aufmerksam zu machen, daß die Waage für uns gleich steht, und Du kannst nicht verlangen, daß ich mit dem Augenblick, da ich Dir meine Hand reiche, die Erinnerung an meine glückliche Mädchenzeit, an das köstliche Zusammenleben mit meiner Schwester, aus meinem Herzen reißen soll. Habe ich indeß in der Wahl meiner Worte gefehlt, so vergieb mir, es ist nicht recht, wenn der Gatte am ersten Tage in der Heimath schon seinen Launen die Herrschaft gönnt. Also lasse uns Frieden schließen.«

Sie reichte ihm mit einer anmuthigen Bewegung und einem ebenso anmuthigen Lächeln die Hand, und beides verfehlte seine Wirkung auf ihn nicht. Freilich hätte er jedes ihrer Worte zu widerlegen vermocht, freilich waren sie nicht geeignet ihm das Herz zu öffnen, aber sein Groll hatte in diesem Augenblick vor ihrer Schönheit keinen Bestand und als er seine Hand in ihre dargebotene legte, that er es mit dem redlichen Willen, die Mißstimmung, die sich seiner bemächtigt hatte, zu besiegen.

Mit dem Einzug der Herrin in Rodanseck war ein neues Leben in dem alten Schloß erwacht. Graf Eberhard hatte nur wenige Zimmer bewohnt; vor seiner Hochzeit hatte er die ganze, seit Jahren verschlossene Zimmerreihe restauriren lassen, aber Gräfin Ebba fand doch noch zahlreiche Mängel heraus und war unausgesetzt mit Verschönerungen und Neueinrichtungen beschäftigt, an denen sie ihren Geschmack und ihren ausgebildeten Schönheitssinn bethätigen konnte.

Früher war nur je zuweilen einer der Herren aus der Nachbarschaft auf eine Stunde nach Rodanseck herübergeritten; mit Ausnahme des Grafen Hochstedt, den eine alte Freundschaft mit den Rodans verband, hatte Niemand häufiger, oder auch nur gern, in dem stillen, ungastlichen Hause verkehrt. Wie mit einem Schlage war das jetzt anders geworden; seit die lange Reihe der Säle wieder geöffnet war und eine schöne Herrin darin waltete, verging kaum ein Tag, an dem nicht Gäste durch das Hofthor fuhren, und gar häufig brannten die Kronen in den Sälen und eine bunte Menschenmasse wogte darin auf und nieder. Gräfin Ebba bildete stets den Mittelpunkt der glänzend und geschmackvoll hergerichteten Feste; sie war schön, elegant, gastfrei, von vollendeten Weltformen, sie nahm die ihr dargebrachten Huldigungen mit einem stolzen, siegesgewissen Lächeln entgegen und ein leiser Hauch von Melancholie, eine Art von Sentimentalität, die sie, selbst bei den heitersten Festen, in ihr Wesen zu mischen wußte, gaben demselben nur einen erhöhten Reiz.

Der Hausherr fehlte bei dieser bunten, glänzenden Geselligkeit, die mit Gräfin Ebba in Rodanseck eingezogen war, fast ganz; er begrüßte oft nur die Gäste und verschwand dann wieder in seine, auf dem andern Flügel, fern von dem bunten Treiben gelegenen Zimmer, und Niemand entbehrte die Gegenwart des kühlen, verschlossenen Mannes. Das verhinderte aber nicht, daß man doch sein Fernbleiben bemerkte, beurtheilte, und die finstere Falte zwischen den Brauen dahin deutete, daß ihm die Arrangements seiner Gattin nicht behagten und ihre Ehe keine glückliche sei.

So vergingen Sommer und Winter; mit dem heranrückenden Frühjahr verstummte die laute Geselligkeit in Rodanseck, nur die nächsten Bekannten kamen hier und da auf einige Stunden, ungeladen herüber, um sich nach Gräfin Ebba's Befinden zu erkundigen; ihr Gesundheitszustand erlaubte die rauschenden Feste nicht mehr. Es schien, als ob in dieser Zeit das eheliche Verhältniß sich wärmer als zuvor gestaltete. Rodan war jetzt oft in den Zimmern seiner Gattin, er umgab sie mit der zartesten Aufmerksamkeit, mit der rücksichtsvollsten Pflege; erhoffte er doch, daß sie ihm den heiß ersehnten Erben schenken werde, und zugleich lebte in seinem Herzen die Zuversicht, daß der Besitz des Kindes das Edlere und Höhere in Ebba zur Erscheinung bringen und die Gatten fester an einander knüpfen werde. Gräfin Ebba's Augen leuchteten stolz und freudig; jetzt erst fühlte sie sich ganz als Gräfin Rodan, als Besitzerin von Rodanseck, als Herrscherin, nicht nur über Schloß und Park, über Geld und Gut, sondern auch über den stolzen, unbeugsamen Gatten; war sie dann doch die Mutter seines Sohnes, war sie es doch gewesen, die seinem Stamme den uralten, theuren Besitz gesichert hatte. Sie trug ihr Haupt jetzt noch höher und die rothgoldenen Flechten umschlossen es wie eine Krone.

Der Frühling verging in freudiger Hoffnung, in stolzer Erwartung, und als der Hochsommer gekommen war, kam auch die Stunde der Entscheidung. In fieberhafter Erregung durchmaß Graf Rodan – zum wievielsten Male – mit großen Schritten die Zimmerreihe, welche die seinen von denen seiner Gattin trennte; er lauschte mit bang verhaltenem Athem auf jeden Laut, der zu ihm dringen möchte, würde denn nicht endlich, endlich, die ersehnte Kunde: ein Sohn ist geboren, zu ihm kommen? Das Blut hämmerte ihm in den Schläfen, das Athmen wurde ihm schwer – mußte es denn ein Sohn sein – konnte denn nicht – nein, er wollte Furcht und Zweifel bannen, seit Jahrhunderten war das älteste Kind in dem Geschlecht der Rodans immer ein Sohn gewesen, er hatte ja wieder und wieder den Stammbaum bis in seine letzten Zweige verfolgt und seinen Muth und seine Hoffnung an diesem alten Glück gestärkt – woher jetzt das Bangen!


 << zurück weiter >>