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Er hatte seine Wanderung unterbrochen und stand, auf seinen Schreibtisch gestützt, das Haupt nachdenklich gesenkt, da hörte er Schritte, er wandte sich rasch um, Doktor Brode, der schon seit mehreren Tagen im Schlosse Wohnung genommen, stand auf der Schwelle seines Zimmers.

»Doktor,« rief er, ihm einen Schritt entgegeneilend, »Sie bringen mir Nachricht?«

»Das Kind lebt,« sagte Doktor Brode zögernd.

Ein freudiger Laut war die Antwort, dann folgte mit stockendem Athem die Frage: »Ist es ein Sohn?«

»Eine Tochter,« antwortete der Doktor leise.

Es folgte eine momentane Stille. Graf Rodan hatte den Kopf gesenkt, der Doktor sah, wie er bleich geworden war, und daß ein Zucken durch seine Züge ging, dann richtete er sich auf und sagte mit fester Stimme: »Wie geht es der Gräfin?«

»Sie befindet sich gut, nur sehr schwach.«

»Lassen Sie uns zu ihr gehen.«

Der Graf hatte einige Worte zu ihr gesprochen, ihr Blick hatte gespannt an ihm gehangen.

»Du bedarfst der Ruhe,« sagte er, »ich will Dich ihr nicht entziehen.«

Der Doktor stand an der Wiege des Kindes, er hatte die blauseidene Gardine gelüftet, um dem Grafen einen Blick auf das kleine Menschenkind, das darin schlummerte, zu gestatten, dieser aber schritt daran vorüber, ohne den Kopf zu wenden; sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, er hatte Mühe sich die äußere Ruhe zu bewahren. Dem Sohn hatte sein Hoffen und Wünschen gegolten, es war zusammengebrochen, ihn dünkte es, als brächte diese erstgeborene Tochter dem alten Stammbaum Unehre, wie hätte er vermocht, ihr, dem unerwünschten Kinde, einen Blick väterlicher Liebe zu gönnen!

Gräfin Ebba wußte was in ihm vorging, sie hätte nicht zu sehen brauchen, wie er kalt an dem kleinen Bette, dem Bette seines Kindes, vorüber ging, sie verstand ihn auch ohne äußere Zeichen, denn sie fühlte ja Aehnliches im eigenen Herzen. Ihr Stolz war gedemüthigt, ihre Hoffnungen vernichtet, sie wußte, daß der Gatte, der sie nicht aus Liebe gewählt, sich jetzt kalt und fremd von ihr abwenden würde, und ein Gefühl des Hasses gegen das kleine Wesen, das alles dies verschuldet, überschlich ihr Herz. So war ihm nicht Vater- nicht Mutterliebe in die Wiege gelegt, Fremde waren es, die das junge Kind behüteten und entdeckten, daß das kleine Lebensflämmchen nur schwach fortbrannte.

Gräfin Ebba erholte sich sehr langsam; Woche nach Woche verlief und noch immer ging sie nur aus dem Krankenzimmer bis in ihr daranstoßendes Boudoir, und diese Schwäche gab einen genügenden Grund, daß sie ihr Kind nur selten, und auch dann nur auf Augenblicke sah.

Der Graf erschien regelmäßig täglich zu derselben Stunde bei ihr, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, sie wechselten einige kühle, gleichgültige Worte, dann ging er wieder; des Ereignisses, das doch der beide allein erfüllende Gedanke war: daß ihre siegesfrohe Hoffnung auf einen Sohn unerfüllt geblieben, gedachten Beide mit keiner Silbe, auch des zarten, kränkelnden kleinen Mädchens wurde nicht erwähnt.

Der Winter verlief dies Mal für Gräfin Ebba viel stiller als der vorhergehende; ihre schwache Gesundheit gestattete ihr nicht die rauschenden Feste, mit denen sie sich den letztvergangenen geschmückt hatte. Die beiden Gatten wurden sich, wie es schien, immer fremder; den täglichen, kurzen Besuch bei der Gräfin unterließ Rodan zwar nie, aber wenn die Thür sich wieder hinter ihm schloß, so athmeten beide erleichtert auf, als ob sie eine unbequeme Pflicht abgethan hätten. Als dann Frau von Voltzau zu einem längeren Besuch in Rodanseck eintraf, schien das zwar eine neue Scheidewand zwischen den Gatten aufzurichten, denn der Graf machte kein Hehl daraus, wie unsympathisch ihm seine Schwägerin war, aber Gräfin Ebba erholte sich unterdeß sichtlich, so daß sie in der Begleitung ihrer Schwester bisweilen schon eine kurze Ausfahrt wagte.

Einige Wochen nach diesem Besuch, grade als der Frühling seine ersten, Boten in's Land sandte, erlosch das kleine Lebenslicht, das bis dahin, Keinem zur Freude, fortgebrannt hatte. Ein blumengeschmückter kleiner Sarg wurde in der Familiengruft der Rodan's beigesetzt, die Trauerfahne wehte von dem Schloß herab, alle Bewohner desselben, bis zu dem letzten Bediensteten hinab, trugen Trauergewänder und der Geistliche hielt eine Rede an der kleinen Leiche, in der viel von dem Schmerze und den Thränen der Eltern gesprochen wurde. So war der äußeren Form in jeder Weise genügt, aber die echte Liebe, die dem kleinen Menschenkinde in seinem kurzen Leben gefehlt hatte, fehlte ihm auch im Tode und bis zum Grabe hin.

Seltsamer Weise schritt von da an die Genesung der Gräfin rasch fort. War es der Einfluß des Frühlings, und der mit ihm einkehrenden milden sonnigen Witterung, oder fühlte sich ihre Brust von einer Last befreit, durch den Tod des Kindes, das ihre stolzen Hoffnungen zerstört hatte, und dessen Anblick ihr täglich von Neuem ein Gefühl der Demüthigung einflößte – genug sie blühte zu neuer Schönheit auf und das wiederkehrende Gefühl der Kraft und Gesundheit gab ihr, auch ihrem Gemahl gegenüber, die frühere Sicherheit zurück, mit der sie seiner kühlen Herbheit ihren Stolz entgegensetzte.

Als die Jahreszeit weiter vorschritt, wünschte der Arzt, um den letzten Rest der Schwäche bei Gräfin Ebba zu beseitigen, den Gebrauch eines Bades für dieselbe. Grünrode war ein viel besuchter Kurort, der sich durch eine besonders gute und kräftigende Luft auszeichnete.

»Du wirst nicht erwarten, daß ich Dich begleite,« sagte der Graf, »Du weißt wie lästig mir das geschäftige Nichtsthun unter einer Schaar von Bekannten ist, die ich natürlich dort treffen würde, überdies kann ich mitten im Sommer Rodanseck kaum verlassen.«

»Ich verlange kein Opfer von Dir,« entgegnete Gräfin Ebba gleichgiltig, »meine Schwester wird mich gern begleiten.«

»Deine Schwester? und weshalb?« fragte der Graf scharf.

»Weshalb? Eine eigentümliche Frage! Du kannst unmöglich glauben, daß ich Wochen hindurch das Alleinsein am fremden Ort ertragen soll, zumal ich mich immer noch recht leidend fühle. Es würde sich auch wenig schicken, wollte die Gräfin Rodan allein zu einer Kur in die Welt reisen. Du bist überdies meiner Schwester wohl noch – nun wie soll ich sagen – eine Entschädigung für die Unfreundlichkeit schuldig, mit der Du sie hier behandelt hast.«

Die finstere Stirnfalte Rodan's vertiefte sich; er trat an das Fenster und trommelte unmuthig gegen die Scheiben. Dann wandte er sich um und sagte: »Ich werde Dich zunächst nach Grünrode begleiten, wie lange ich dort bleibe, wird sich finden.«

Ein Lächeln, halb, des Spottes, halb der Befriedigung, träufelte Gräfin Ebba's Lippen, als sie den Kopf zustimmend neigte.

Die Ankunft des Grafen Rodan mit seiner Gemahlin erregte die Aufmerksamkeit der schon zahlreich versammelten Badegäste. Sein Name war weithin bekannt, er hatte im Voraus eine Reihe der elegantesten Zimmer in dem ersten Hotel bestellt und seine vornehme Erscheinung, wie die Schönheit seiner Gattin, konnten nicht unbemerkt bleiben. Ueberdies fand der Graf, wie er es vorausgesehen, viele Bekannte, und so machte es sich wie von selbst, daß bald Gräfin Ebba wie früher in Rodanseck, so jetzt hier, der Mittelpunkt eines großen und auserwählten Kreises wurde. Sie schien die gerunzelten Brauen und die sichtbare Mißstimmung ihres Gatten nicht zu bemerken und nahm willig die Huldigungen entgegen, die ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit von Alten und Jungen, von Männern und Frauen, gezollt wurden.

Man hatte eine gemeinsame Partie nach dem nahen Waldschlößchen unternommen, das als ehemaliges fürstliches Jagdschloß, noch manches Sehenswürdige bot, und nachdem die Gesellschaft die inneren Räume besichtigt, hatte sie sich auf den zierlich von Baumstämmen zusammengeschlagenen Bänken niedergelassen und erquickte sich an dem bescheidenen Mahl, das die ländliche Gastwirthschaft zu bieten vermochte. Man scherzte und lachte und Gräfin Ebba, die es nie versäumte, ihrer heitersten Laune einmal den pikanten Beigeschmack einer gewissen Sentimentalität zu verleihen, sagte eben zu ihrem Nachbar: »Ja, ja, lieber Baron, in dieser unvergleichlichen Natur, von Waldesduft und Vogelgesang umgeben, vergißt man alle Sorgen und Schmerzen des Lebens, und glaubt noch einmal ungetrübt froh sein zu können.«

»Wahr, vollständig wahr, gnädigste Gräfin,« schnarrte der blonde Baron, »aber sehen Sie dieses reizende Kind, diesen schwarzlockigen Knaben mit dem mächtigen Blumenstrauß, der hier grade auf' uns zukommt. Guten Tag mein Kleiner, durchstreifst Du hier ganz allein den Wald?«

Es mochte ein etwa achtjähriger Knabe sein, mit einem großen Strauß der schönsten Wald- und Feldblumen in den Händen, den er so anredete. Er blieb stehen und wandte das dunkle, von einer Fülle schwarzer Locken umrahmte Gesicht, aus dem ein paar tief dunkler, so ernster und stolzer Augen, wie man sie selten bei einem Kinde findet, hervorsahen, dem Frager zu. »Mein Vater ist mit mir.«

»Und für wen ist Dein schöner Strauß?« fragte Gräfin Ebba, sich dem Knaben zuneigend.

»Für Gertrud,« antwortete er kurz, als ob ihm die Frage lästig sei.

»Wie stolz er uns abzuweisen versteht,« sagte die Gräfin lachend, und als sie sich bei diesen Worten umwandte, traf ihr Auge Rodan und sie sah, wie er mit der finstersten Miene und dem Ausdruck unangenehmer Ueberraschung, an ihr vorüber, in den Waldweg hineinsah. Kaum, daß sie es bemerkt hatte, als ein Herr auf die Lichtung hinaustrat, die sich vor dem Schlößchen ausdehnte.

»Erich, komme zu mir,« rief er und wollte scheinbar eben, da der Knabe sofort zu ihm geeilt war, höflich grüßend an der Gesellschaft vorüber gehen, als er stutzte, und dann sich derselben wieder nähernd, auf Rodan zutrat.

»Ach, Vetter Eberhard,« sagte er, »ich darf die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne Sie hier zu begrüßen. Ihren Namen las ich allerdings schon vor einigen Tagen in der Fremdenliste, wir wohnen aber nicht in dem eigentlichen Badeort, sondern fast im Walde, in einem einsamen Häuschen, so daß ich kaum in Berührung mit den Kurgästen komme. Darf ich Sie bitten mich Ihrer Frau Gemahlin, die wahrscheinlich auch hier ist, vorzustellen?«

Rodan hatte nur flüchtig die dargebotene Hand berührt.

»Ebba,« sagte er mit dem eisigsten Ton, »Graf Wilhelm Rodan wünscht Dir vorgestellt zu werden.«

»Gestatten Sie, gnädigste Gräfin,« fügte Graf Wilhelm hinzu, »daß ich Ihnen zugleich meinen Sohn Erich vorstelle. Ich glaube auch Sie,« wandte er sich an Graf Eberhard, »haben meinen Knaben nur als ein Baby gesehen.«

»Ich erinnere mich wirklich nicht,« erwiderte dieser abweisend.

Die Gräfin hatte flüchtig ihre Hand über den Lockenkopf des Knaben gleiten lassen, und sagte dann, ohne ihn anzusehen, als ob ihr daran gelegen wäre, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben:

»Wird es Ihnen nicht unbequem, so weit entfernt von dem Badeort selbst, so einsam am Waldrande zu wohnen?«

»Wir – meine Frau und ich – hatten verschiedene Gründe, eben dieses Häuschen zu wählen,« entgegnete der Graf lächelnd. »Nächst dem sehr praktischen, daß man dort billiger als in den eleganten Logirhäusern wohnt, ist unserer kleinen Gertrud eben die Waldluft vom Arzt verordnet, und da sie leider nicht im Stande ist, weite Wege zu machen, war eben dieses Haus sehr geeignet für uns. Ich mache dann mit Erich weite Spaziergänge und wir sammeln dabei allerlei, was da grünt und blüht. Da führte mich denn heute ein, ich darf wohl sagen glückliches Ungefähr, eben dieses Weges und gab mir Gelegenheit, meinen verehrten Herrn Vetter zu begrüßen, und mich Ihnen, gnädigste Gräfin, vorzustellen. Ich will indessen die Gesellschaft nicht länger stören, gestatten Sie, daß ich mich empfehle.«

Er verneigte sich höflich gegen Alle und bot jetzt auch Graf Eberhard nicht mehr die Hand. Kaum daß er sich aus Gehörsweite entfernt hatte, als auch schon Graf Eberhard mit Fragen, in Betreff des Verwandschaftsgrades und der Lebensverhältnisse des Grafen Wilhelm, überschüttet wurde, die er alle in der frostigsten Kürze beantwortete, und schließlich dadurch beendete, daß er erklärte, es sei zum Aufbruch Zeit. Gräfin Ebba versuchte heiter weiter zu plaudern, aber auch auf ihrer Stirn lag eine Wolke; der Anblick dieses schönen, blühenden Knaben, der den Namen Rodan trug, war wie ein Dolchstoß durch ihre Seele gegangen.

»Weshalb hast Du niemals den Namen des Grafen Wilhelm zu mir genannt?« fragte sie, als sie an dem eben servirten Theetisch Platz nahm.

Rodan zuckte die Achseln. »Du kennst ja überhaupt meine Familie nicht.«

»Deine Schuld,« erwiderte sie ironisch, »es ist recht eigenthümlich, daß Du niemals daran gedacht hast, Deine Frau mit Deinen Verwandten bekannt zu machen. Ich glaube, Du hättest mir heute nicht einmal den Grafen vorgestellt, wenn er nicht daran erinnert hätte.«

»Graf Wilhelm ist mir niemals sympathisch gewesen,« sagte Rodan in einem Ton, der einen unterdrückten Groll verrieth. »Unsere Anschauungen gingen stets weit auseinander, wir konnten uns, obgleich wir in demselben Regiment standen, niemals befreunden; er stand stets völlig isolirt und es fiel in dem Regiment nicht eben angenehm auf, daß er fast nur den Umgang auf einer, von unserer Garnison nicht weit entfernten Oberförsterei festhielt, wahrscheinlich hatte er schon damals die Leidenschaft für den Wald, die ihn auch heute noch beseelt,« schaltete er spottend ein. »Endlich überraschte er uns durch seine Verlobung mit der Gouvernante in eben jenem Oberförsterhause, sie war, glaube ich, die Tochter irgend eines Schulmeisters oder dergleichen. Er war der erste Rodan, der eine bürgerliche Gattin wählte, sie hatten bisher alle ihren Stammbaum rein gehalten. Wahrscheinlich ahnte ihm, daß seine Frau in unserm exclusiven Regiment nicht gern gesehen sein würde, und so nahm er noch vor seiner Verheirathung den Abschied, kaufte ein kleines Gut, so wie es sein geringes Vermögen eben gestattete; sein Vater – er war Hofmarschall am W.schen Hofe – hatte wohl die Mittel ihm eine ziemlich bedeutende Zulage zu gewähren, nicht aber das Kapital zu einem Gutsankauf. Ueberdies war er, selbstverständlich, höchlichst erzürnt über die Verlobung des Sohnes, der seitdem mit allen weitverzweigten Gliedern seiner Familie, durchaus fern und fremd gestanden hat. Er hat uns nicht gesucht, und wir ihn nicht.«

Der Graf hatte tief erregt gesprochen, und wenn Gräfin Ebba auch seine streng aristokratischen Gesinnungen kannte, so wußte sie doch, daß des Vetters bürgerliche Heirath allein nicht die Veranlassung zu seinem unverhohlenen Grolle gegen denselben sein konnte. War es nur der Anblick des Knaben gewesen, der seinen Zorn gereizt hatte? Kaum daß sie es gedacht, als der Graf schon von Neuem begann: »Auch heute wäre er mir sicher ausgewichen, was ja sehr leicht möglich gewesen wäre, wenn es ihn nicht gelüstet hätte, mir seinen Sohn, den Erben von Rodanseck, vor die Augen zu bringen; er wollte mich daran erinnern, daß er, der von der Familie in die Acht gethan, nun doch über uns triumphirt, nun doch schon mit einem Auge auf die reichste Begüterung der Familie schaut. Er ist ja um acht Jahre jünger als ich, da kann er's wohl noch erleben; vielleicht wollte er auch prüfen, ob ich aussehe wie ein Mann der bald an's Sterben denkt!«

Der Graf hatte mit einer, ihm sonst fremden Heftigkeit gesprochen, er schob die Theetasse zurück, daß sie klirrte, und athmete tief und schwer, es klang fast wie ein Seufzer.

Gräfin Ebba erbebte innerlich; dennoch versuchte sie, mit einem möglichst gleichgiltigen Tone zu sagen: »Du hast es nie für nöthig gehalten, mich über Eure Familienstatuten zu unterrichten. Also der kleine Erich mit den schwarzen Locken – übrigens ein ganzer Rodan – wird einst Besitzer von Rodanseck?«

»Sobald ich ohne männliche Leibeserben sterbe, allerdings,« erwiderte der Graf; »dann fallen meine Besitzungen an diese Seitenlinie, bisher noch ein unerhörter Fall.«

Gräfin Ebba schwieg, und das Gespräch war wieder einmal in's Stocken gerathen, wie so oft zwischen diesen Beiden.

Am nächsten Tage erklärte der Graf seiner Gemahlin, daß ihn dringende Geschäfte nach Rodanseck zurückriefen. Er reiste ab, und wenige Tage später traf Frau von Voltzau an seiner Statt ein. Ihre Gegenwart trug nur dazu bei, das gesellige Leben reger und heiterer zu machen und Gräfin Ebba schien sich ihm voll und gern hinzugeben, und dennoch war auch ihr der Ort verleidet, durch die wiederholten Begegnungen mit dem kleinen Erich Rodan. Auch sie vermochte nicht, in ihm nur das frische, fröhliche und schöne Kind zu sehen, sondern er war ihr der Erbe von Rodanseck, der sie einst aus Haus und Besitz und Stellung verdrängen konnte.

Frau von Voltzau lachte über so thörichte Sorgen, wie sie sie nannte, und versuchte sie mit ihrer heitersten Laune wegzuscherzen.

Als dann auch Gräfin Ebba nach Rodanseck zurückkehrte, wurde zwischen ihr und ihrem Gatten der Name des Grafen Wilhelm und seines Sohnes nicht mehr genannt; dennoch hatten beide die Begegnung nicht vergessen. Die so lange verstummten heitern Feste nahmen wieder ihren Anfang, für eine Weile herrschte in den Sälen des alten Schlosses wieder das fröhliche Leben, das mit der schönen Gräfin darin eingezogen war.

Dann, als ein Winter und ein Sommer vergangen war, verstummte es zum zweiten Mal, denn eine schöne Zukunftshoffnung machte Gräfin Ebba abermals größte Vorsicht zur Pflicht. Frau von Voltzau kam, ihr während der stillen Tage Gesellschaft zu leisten, und ihr schien es auch zu gelingen, die trübe, gedrückte Stimmung der Gräfin zu beseitigen. Dessen ungeachtet kürzte sie ihren, zuerst auf eine längere Zeit berechneten Besuch ab; ein Brief des Vormunds ihrer Söhne habe ihr viel Aerger gemacht, erklärte sie dem Grafen, eine mündliche Rücksprache mit demselben sei durchaus nöthig, und deshalb ihre Abreise unaufschiebbar.

»Habe Dank für Deine Liebe und Treue,« war Gräfin Ebba's Abschiedswort, »ich kann sie Dir niemals lohnen.«

»Und Du sei muthig und vertraue,« entgegnete Frau von Voltzau, ihr noch einmal aus dem Wagen zunickend.

Es war im März, der in diesem Jahr noch einen scharfen Nachwinter mit heftigem Schneefall gebracht hatte, als wieder ein Brief aus Golten eingetroffen war. Gräfin Ebba hatte darauf ein langes Gespräch mit Doktor Brode gehabt, der jetzt täglich nach Rodanseck hinaus kam.

»Aber ich bitte um die größte Schonung und Vorsicht, Frau Gräfin,« sagte er zum Schluß desselben, »denn ein Wagniß bleibt die Reise jetzt, zumal in dieser Witterung immer.«

»Sein Sie ganz ruhig, lieber Doktor,« entgegnete Gräfin Ebba, »ich werde alle nur mögliche Vorsicht anwenden, und dann wird mir die Reise weniger schädlich sein, als die stete Unruhe um meine geliebte Schwester. O, Sie kennen meine Nerven nicht, Sie wissen nicht, welchen Aufregungen ich ausgesetzt bin.«

Als Doktor Brode sich entfernt hatte, schellte Gräfin Ebba. »Ich lasse den Herrn Grafen bitten, auf einen Augenblick zu mir herüber zu kommen,« sagte sie dem eintretenden Diener.

Der Graf war überrascht; es geschah sonst niemals, daß die Gräfin, außer den gewöhnlichen Stunden, seine Gegenwart wünschte.

»Ist die Frau Gräfin unwohl?« fragte er den Diener.

»So viel ich weiß, nein.«

»Ist Besuch bei ihr?«

»Nein, die Frau Gräfin sind allein.«

Der Graf erhob sich und ging ungesäumt zu ihr hinüber. »Du hast mich zu sprechen verlangt,« sagte er, »was wünschest Du?« Gräfin Ebba hatte sich in den Sessel zurückgelehnt, ihr Blick streifte nur flüchtig den Grafen, dann stützte sie den Kopf in die Hand.

»Ich habe soeben eine äußerst schmerzliche Nachricht erhalten,« sagte sie, »die mich tief bewegt und erregt. Meine Schwester ist erkrankt; die Aerzte halten ihren Zustand zwar nicht für lebensgefährlich, sie selbst aber ist voll der trübsten Vorstellungen, voll einer, gewiß nicht unberechtigten Sorge – mein Gott, was wissen auch die Aerzte! Sie behaupten und irren sich! O, meine geliebte Hortense!«

»Ich bedaure lebhaft,« erwiderte der Graf kühl, »daß Dir eben jetzt diese Sorge nahe tritt, und kann Dich nur dringend bitten, Dich nicht unnöthiger Weise aufzuregen. Frau von Voltzau ist so blühend und gesund, daß – abgesehen von dem Urtheil des Arztes – eine Krankheit nicht eben Besorgniß erregen darf.«

»Ich will aus Deinen Worten nicht Deine Abneigung gegen Hortense, sondern nur Deine freundliche Sorge um mich entnehmen,« sagte Gräfin Ebba, ohne aufzublicken. »Aber wie wäre es möglich, sich fern von der geliebten Kranken nicht aufzuregen und um sie zu bangen! So wirst Du es nur gerechtfertigt finden, daß ich sofort Anordnung getroffen, morgen nach Golten abzureisen. Meine Schwester hat dringend mein sofortiges Kommen gewünscht, und ich würde ja nicht Ruhe finden, wenn ich nicht in jeder Stunde wüßte, wie es um sie steht.«

»Du?« fragte der Graf erstaunt, »Du willst reisen? Jetzt, in Deinem Zustande, und in dieser Jahreszeit? Zu einer Krankenpflege? Das ist ja einfach unmöglich!«

»Glaubst Du mit dieser Erklärung meinen Beschluß zu ändern,« entgegnete die Gräfin kühl, »so irrst Du. Es ist eben wieder ein Beweis, wie wenig Du mich, überhaupt ein Frauenherz kennst, daß Du annimmst, diese aufreibende Angst, diese tödtliche Sorge um ein geliebtes Leben, würden mir weniger schädlich sein als eine, mit aller Vorsicht und Schonung eingerichtete Reise.«


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