Georg Schweinfurth
Im Herzen von Afrika
Georg Schweinfurth

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24. Der Sklavenhandel

Noch nie mochte der Sklavenhandel auf der Straße nach Kordofan so geblüht haben wie im Winter 1870-71, als ich, ein Augenzeuge, mich an seinen Quellen befand. Sir Samuel White Baker war, auf Empfehlung des Prinzen von Wales, vom ägyptischen Vizekönig Ismail zum Gouverneur der neugeschaffenen Äquatorialprovinz ernannt worden; diesen Posten hatte er von 1870-1873 inne. Im Sommer vorher hatte er mit der endgültigen Säuberung der oberen Nilgewässer vom Sklavenhandel begonnen, indem er seine Tätigkeit durch Wegnahme aller sklavenführenden Barken eröffnete. Mögen seine Maßnahmen dazu beigetragen haben, das Zusammenströmen der Gellaba aus Kordofan zu vermehren, oder mag der Mangel an Baumwollstoffen, der um jene Zeit in den Seriben herrschte, ihren Unternehmungsgeist besonders angeregt haben, mag vielleicht auch die Anwesenheit ägyptischer Truppen im Bahr-el-Ghasal-Gebiet ihrer Habgier neue Quellen der Bereicherung in Aussicht gestellt haben: soviel steht fest, daß weder Baker noch der Generalgouverneur in Chartum an eine Überwachung der Ortsbehörden in Kordofan dachten.

Wie ich aus dem Munde Sibers selbst erfuhr, hatten im Laufe des Winters zwei über Schekka eingetroffene große Karawanen 2000 kleiner Unternehmer ins Land gebracht. Anfang Februar langte abermals ein Zug an, der auf 600-700 Köpfe geschätzt wurde. Ihre Waren bestanden hauptsächlich aus Ballen von Baumwollstoff. Groß war auch die von den Sklavenhändlern abgesetzte Menge Vorderlader, meist gewöhnliche Doppelflinten belgischen Ursprungs im dortigen Wert von 10 bis 20 Mariatheresientalern. Außerdem führten sie allerhand Kleinkram mit sich.

Alle diese Händler bedienten sich der Esel, auf deren Rücken sie, man kann getrost sagen, den größten Teil ihres Lebens verbrachten. Solch ein Eselein kann seine zehn Stück Zeug aufnehmen und den Reiter noch oben darauf. Der Esel wurde im Gebiet der Seriben gegen ein bis zwei Sklaven eingetauscht, mit den Zeugen wurden ihrer drei erzielt, so daß ein blutarmer Kleinkrämer, der mit 25 Talern Wert an Waren und mit einem Esel ins Land kam, mindestens vier Sklaven erstehen konnte, die in Chartum einen Erlös von 250 Talern ergaben. Der Rückzug wurde zu Fuß angetreten, und die Sklaven mußten den nötigsten Reisebedarf tragen.

Neben diesen kleinen Leuten fehlte es nicht an größern Unternehmern, die mit vielen Esel- und Ochsenladungen dahergezogen kamen, eigene bewaffnete Sklaven mit sich führten und alljährlich einen Umsatz von einigen hundert Sklaven zu machen wußten. Solche hatten denn auch in den größern Seriben ihre Vertreter oder Geschäftsfreunde, die über eigen Haus und Hof verfügten. Die Vertreter waren meist Faki; eigentlich heißen so nur die Rechtsgelehrten des Islam, aber im Sudan werden auch gewöhnliche Priester und alle des Schreibens kundigen Leute so genannt.

Von Seriba zu Seriba wandernd, durchzogen sie das Land. Ihr zweites Wort war Allah; allein nie fand ich unbarmherziger die Sklaven behandelt als von diesen glaubensstarken Männern.

Bei einem Transport befanden sich etliche elende, zu Gerippen abgemagerte Mittusklaven, die kaum imstande waren, den ihnen am Halse befestigten Balken, die Scheba, nachzuschleifen. Eines Morgens wohnte ich einem Auftritt bei, den wiederzugeben sich die Feder sträubt. Man hatte einen Sterbenden aus seiner Hütte geschleift und mit grausamen Peitschenhieben, die ebensoviele weiße Streifen auf seiner welken Haut zurückließen, prüfte man unter Fluchen und Schmähungen, ob er noch ein Lebenszeichen von sich gebe. Dabei spielten die Sklavenknaben aus dem Gefolge der Faki mit dem noch deutlich röchelnden Körper förmlich Fangball. Stimmen wurden laut, der Unglückliche verstelle sich nur, um unbemerkt entfliehen zu können. Er wurde in den Wald geschleppt, wo ich nach einigen Wochen seinen Schädel fand.

Das Treiben der kleinen Händler wurde bedeutend dadurch erleichtert, daß überall Gastfreundschaft herrschte. Außer den Söldnern der verschiedenen Handelsgesellschaften, ihren Verwaltern, Vertretern, Schreibern, Lagerhaltern und andern Beamten befand sich eine fast gleichgroße Anzahl von Landsleuten und Glaubensbrüdern in diesen Ländern, die als kostenfreie Mitesser von der Arbeit der Neger zehrten. Hätte man all das unnütze Gesindel, unter dem sich viele davongelaufene Sträflinge oder solche befanden, die eine Strafe zu befürchten hatten, aus dem Lande schaffen können, so wäre Futter genug vorhanden gewesen für die ägyptischen Truppen, selbst wenn man zehn Regimenter ins Land geschickt hätte.

Wie im ägyptischen Sudan, so kostete auch in diesen Ländern das Reisen so gut wie gar nichts. Jeder Ankömmling wurde in der Seriba bewirtet und erhielt überdies Korn für Esel und Sklaven. So zogen die Gellaba durchs Land bis zu den Flüssen Rohl und Djemit. Vor Eintritt der Regenzeit fanden sie sich alle wieder in dem gemeinsamen Sammelplatz des Westens, in Dem-Siber, zusammen, um die Karawane nach Kordofan auszurüsten.

Die seßhaften Sklavenhändler in den Niederlassungen des Westens pflegten weiter in die Negerländer einzudringen, als das Seribengebiet reicht. Fast alle wandten sich zu Mofio, dem großen Niamniamkönig des Westens, begleitet von ansehnlichen Banden, die sie aus ihren besten Sklaven zusammensetzten. Die Sklavenvorräte Mofios schienen unerschöpflich zu sein. Tausende wurden alljährlich aus seinem Gebiet ausgeführt. Teils stammten sie aus den ihm unterworfenen Sklavenstämmen, teils ließ er sie auf Plünderungszügen in den benachbarten Gegenden zusammenrauben.

Der übliche Preis für junge Sklaven beiderlei Geschlechts von der Klasse der Ssittassi, d. h. 6 Spannen, etwa 1 1/4 Meter hoch, also Knaben und Mädchen von 8 bis 10 Jahren, stellte sich auf 7 1/2 Mariatheresientaler, entsprechend dem Werte des dafür hier geforderten Kupfers in Chartum. Ausgewachsene, kräftige Sklavinnen waren etwas billiger. Alte Weiber hatten so gut wie gar keinen Wert. Erwachsene Männer wurden sehr selten als Sklaven verkauft, wegen der Schwierigkeit ihrer Bändigung.

Der Bedarf an Sklaven innerhalb der Seriben des von mir bereisten Gebietes war so groß, daß er für sich schon einen schwunghaft betriebenen Handel ins Leben rufen mußte. – Im Durchschnitt konnte man drei Köpfe auf den Mann rechnen. Eine Schätzung der zum Privatgebrauch im Gebiete selbst dienenden Sklaven auf 50-60000 mochte nicht zu hoch gegriffen sein. Diese Privatsklaven gehörten zu folgenden Gruppen:

1. Knaben von 7 bis 10 Jahren, die zum Gewehr- und Patronentragen dienten und von denen jeder nubische Söldner wenigstens einen besaß.

2. Faruch, auch Basinger genannt, mit Gewehren bewaffnet; eine Art schwarzer Schutztruppe, deren Bestimmung es war, alle Raub-, Kriegs- und Handelszüge der Nubier zu begleiten. Ihnen fiel im Krieg die Hauptrolle zu. Sie suchten die Negerdörfer nach Korn ab, trommelten die Träger zusammen und durchstöberten die Wildnis nach Widerstrebenden. Sie mußten Sklaven einfangen und den eigentlichen Kampf mit den »Wilden« bestehen. Die Faruch besaßen Feld, Weib und Kinder in den Seriben, die ältern hielten sich sogar ihre eigenen Sklavenjungen zum Gewehrtragen. Einen großen Zuwachs erhielten sie nach jedem Niamniamzug, da sich im Verlauf solcher Expeditionen stets zahlreiche junge Eingeborene freiwillig den Nubiern anschlossen, zufrieden, ein Hemd und eine Flinte zu tragen. Mir selbst gingen allerorten solche Anträge von jungen Negern zu.

3. Eine dritte Gruppe bildeten die Haussklavinnen. Jeder Soldat hatte eine oder mehrere. Im letztern Fall wird eine zu seiner Favoritin, die andern haben Mehl zu bereiten und zu backen. Diese Sklavinnen gehen aus einer Hand in die andere, eine der Hauptursachen zur schnellen Verbreitung ansteckender Krankheiten.

Alles Dichten und Trachten der nubischen Söldner drehte sich um Sklaven und Sklavinnen. Entbrannte ein Streit, so konnte man sicher darauf rechnen, daß es sich um eine Sklavin handelte. »Eine Sklavin ist entflohen!«, diese Worte weckten mich hundertmal aus dem Schlummer. Eine der Hauptbeschäftigungen der Seribenbewohner war das Wiedereinfangen. Bei einsklavigen Soldaten hatte die Sklavin das Wasser vom Brunnen in einem riesigen Kruge auf ihrem Haupt herbeizutragen. Sie wusch, rieb das Korn, machte den Brei an, fegte Haus und Hof mit ihren Händen, diente auch als Lastträger, um Holz herbeizuholen oder auf Reisen den Plunder ihres Herrn fortzuschaffen. Die größern Leute hatten für jede dieser Arbeiten ihre eigenen Sklavinnen. Sie ließen sich, wenn sie über Land reisten, Gewehre, Pistolen und Schwerter, jedes einzelne von einem besondern Sklaven, nachtragen. Auf hundert Soldaten rechnete man während des Niamniamzugs 300 Sklavinnen, und Knaben.

Das rohe Zerreiben des Korns mit Hilfe eines kleinern Steins auf einem größern gestattet einer Sklavin selbst bei angestrengter Tagesarbeit nur für den Bedarf von etwa sechs Menschen zu sorgen!

Eines der abscheulichsten Bilder aus meinem Wanderleben stellt die untenstehende Zeichnung dar. Eine neueingefangene Sklavin, beständig bewacht von einem Knaben, hat den Hals in das schwere Joch der Scheba geklemmt. Sie war zu der harten Arbeit des Mehlreibens verurteilt. Der Knabe hielt das Joch in die Höhe, um ihr die Bewegung zu ermöglichen.

Eine Sklavin in der Scheba beim Mehhlreiben

Zum Feldbau dienten die alten Sklavinnen, die zu den übrigen Arbeiten untauglich waren. Für das Ausraufen des Unkrauts reichten ihre Kräfte immerhin noch aus. Bei der Ernte wurde allerdings auch die Mithilfe der Faruch in Anspruch genommen. Frondienste zum Ackerbau wurden von den Eingeborenen nirgends gefordert. Sie würden aber weniger nachteilig gewirkt haben und weniger zu bedauern gewesen sein als die schreiende Willkür, mit der jeder Seribenverwalter Kinder in den Dörfern aufgreifen ließ, um sie an die Gellaba zu verkaufen.

Die Oberverwalter waren in vielen Fällen im Hause ihrer Herren aufgewachsene Sklaven, da auf solchen Posten nur zuverlässige Leute gebraucht werden konnten. Als minder zuverlässig erwiesen sich die Unterverwalter und Vertreter in den Filialseriben. Die Sklavenhändler wußten dies wohl und besuchten mit Vorliebe solche Plätze, wo häufig Knaben und Mädchen verschachert werden konnten.

Wenden wir uns jetzt den Sklaven zu, die, als eigentliche Ware betrachtet, lediglich zum Zwecke des Gewinns und Gelderwerbs alljährlich aus den obern Nilländern in die Knechtschaft geschleppt wurden.

Das Hauptgebiet waren die Negerländer im Süden von Darfur, die man unter dem Namen Dar-Fertit zusammenfaßt. Die Völker, die dort seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als Beute des Sklavenhandels eine Menschenausfuhr von jährlich 12000 bis 15000 Köpfen erdulden mußten, gehörten zu der Gruppe heidnischer Negerstämme, die von den Bewohnern Darfurs Kredj genannt werden. Der Hauptertrag kam aber zu meiner Zeit aus den westlichsten Niamniamgebieten, wo Mofio Sklaven raubte, um sie an die Gellaba zu verkaufen: Diese betrieben den Handel durch Kordofan und betraten bei Abu-Harras ägyptisches Gebiet. Die andern Wege gingen unmittelbar nach Darfur, von wo aus zweimal im Jahr Karawanen nach Assiut in Ägypten aufzubrechen pflegten.

Zur Entschuldigung der Sklaverei im Orient ist oft die milde Behandlung und das im Verhältnis zu ihrer wilden Heimat glückliche Los der Sklaven hervorgehoben worden. Es ist wahr: ganz im Gegensatz zur Sklavenarbeit bei den Europäern, die den Neger als nützliches Haustier verwerteten, ist der Sklave im Orient fast ausschließlich Luxussache. Nur ein geringer Teil wird in Ägypten, häufiger In den sudanischen Provinzen zur Feldarbeit verwandt. Im allgemeinen erzieht der reiche Orientale den Neger zum Nichtstun. Pfeifenstopfen, Wasserreichen, Kaffeekochen, sind das Beschäftigungen für einen Mann?

Die Sklaverei des Orients mit ihrer guten Nahrung und schönen Kleidung war aber nicht das einzige, was diese armen Geschöpfe zu erwarten hatten. Denn bis dahin führte sie ein weiter Weg durch Wüsten; Hunger und Mühsal und Seuchen aller Art denen das frische Blut der Naturvölker am wenigsten widersteht, lichteten ihre Reihen. Das Schlimmste war die Entvölkerung Afrikas; das Wegschleppen aller jungen Mädchen hatte ganze Länderstrecken – ich habe es in Dar-Fertit selbst gesehen – in Wildnis verwandelt!

Zwischen Ägypten und England war am 4. August 1877 ein Vertrag zur endgültigen Unterdrückung des Sklavenhandels geschlossen worden. Aber es vergingen noch Jahre, bis innerhalb der ägyptischen Grenzen Sklaventransporte und Sklavenmärkte ganz verschwunden waren.

Ich habe Afrika gesehen und habe es noch vor Augen, als das große Haus der Knechtschaft, nicht wie es sein sollte, als das ungeheure Gebiet einer freien Mitarbeit an den Gesamtaufgaben der Menschheit. An einem endlichen Sieg der guten Sache und an der Zukunft des schwarzen Menschengeschlechts werde ich aber nie zweifeln!


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