Georg Schweinfurth
Im Herzen von Afrika
Georg Schweinfurth

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17. Die ersten Zwerge.

Die ersten Vertreter der Zwergstämme Zentralafrikas habe ich bei meinem Aufenthalt unter den Mangbattu zu Gesicht bekommen. Schon in der Frühzeit der griechischen Literatur tritt die Sage von den Zwergen, den Pygmäen, auf; bereits Homers Ilias kennt die mit den Kranichen kämpfenden »Ellenmännchen«, und Aristoteles berichtet in bestimmtester Form über Völker von unnatürlich kleinem Wuchs in den Quellgegenden des Nil. Auf meiner Reise begleitete mich überall die Sage von den Zwergen; bei der Nilfahrt, in den Seriben des Bongogebiets, unter den Niamniam stieß ich auf die abenteuerlichsten Erzählungen von Männchen, die nur von Metergröße wären und einen weißen Bart hätten, der bis zu den Knien reiche, und dergleichen. Daß es aber in der Tat eine ganze Reihe von Völkerstämmen gibt, deren durchschnittliche Körpergröße weit unter dem Mittelmaß der bekannten Bewohner von Afrika steht, davon sollte ich mich erst bei Munsa durch den Augenschein überzeugen.

Schon hatte ich mehrere Tage in der Residenz des Mangbattukönigs verlebt, und noch immer waren mir nicht die Zwerge zu Gesicht gekommen; meine Leute aber hatten sie gesehen. Da erscholl eines Vormittags lauter Jubel. Mohammed hatte einige Pygmäen beim König überrascht und schleppte nun ein seltsames Männlein trotz seines Sträubens vor mein Zelt. Es hockte auf Mohammeds Hüfte; ängstlich schreiend klammerte es sich an Mohammed fest und warf scheue Blicke nach allen Seiten. Jetzt saß es vor mir auf meinem Ehrenplatz, zu seiner Seite der Dolmetsch des Königs. Den kleinen Mann zeichnen und ausfragen war nicht leicht. Ihn vorläufig zum Sitzen zu bringen, vermochten nur die von mir eilfertig ausgekramten Geschenke. Er wurde gemessen, gezeichnet, gefüttert, beschenkt und bis zur Erschöpfung ausgefragt.

Sein Name war Adimokú; er war das Haupt einer Familie, die nahe bei der Residenz eine kleine Zwergenansiedlung bildete. Aus seinem eigenen Munde erhielt ich die Bestätigung, daß ihr Volksname »Akka« sei. Sie bewohnten zerstreute Gebiete im Süden der Mangbattu, ungefähr zwischen dem 1. und 2. Grad nördlicher Breite. Ein Teil ist dem Mangbattukönig unterworfen, und dieser hatte auch einige Familien in seiner Nähe angesiedelt.

Schließlich war Adimokus Geduld erschöpft. Er sprang auf, eilte zum Zelt hinaus und wollte entfliehen. Auf vieles Zureden ließ er sich aber bewegen, einige Waffentänze zum besten zu geben. Er war nach Art der Mangbattu gekleidet, mit Lanze, Bogen und Pfeilen bewaffnet, alles im kleinen, denn er hatte nur eine Höhe von anderthalb Metern; es war dies jedenfalls das durchschnittliche Körpermaß. Trotz seines Hängebauches, trotz seiner kurzen Säbelbeine leistete Adimoku, der bereits bejahrt zu sein schien, Unglaubliches an Sprungkraft und Gewandtheit. Seine Sprünge und Gebärden waren von einer Lebhaftigkeit des Gesichtsausdrucks unterstützt, daß alle Anwesenden sich vor Lachen den Bauch halten mußten.

Bereits am folgenden Tag erfreute ich mich des Besuchs von zwei jungen Männern, die ich zeichnete. Nachdem ich ihnen alle Furcht benommen hatte, erhielt ich fast täglich Besuch von Akkas. Auch größere Vertreter fanden sich ein, das Ergebnis einer Vermischung mit Mangbattu, in deren Mitte sie lebten.

Unvergeßlich ist mir eine Begegnung, bei der ich mehrere Hunderte von Akkakriegern zu sehen bekam. Mummeri, der Bruder Munsas, dem die Akka zinsbar sind, war von einem siegreichen Feldzug gegen die schwarzen Momfu an das Hoflager gekommen. Ich hatte an jenem Tag einen weiten Ausflug gemacht, auf dem mich meine Niamniam begleiteten. Der Rückweg führte mich durch das Residenzdorf. Ich wußte nichts von Mummeris Ankunft. Da sah ich mich auf dem weiten Freiplatz vor den königlichen Hallen plötzlich von einem Haufen übermütiger Knaben umringt, die zu meinem Empfang ein Scheingefecht auszuführen sich anschickten. »Das sind ja Tikitiki,« riefen meine Niamniam aus, »du glaubst wohl, es seien Kinder; das sind Männer, die zu fechten wissen!«

Munsa hatte mir einen Akka von 15 Jahren geschenkt. Nsewue, so hieß mein kleiner Schützling, war von da ab der tägliche Genosse meiner Mahlzeiten. Ich ließ mir die zahlreichen Unarten und kleinen Teufeleien, die seiner Rasse eigen waren, ohne Murren gefallen. In Chartum kleidete ich ihn aufs sorgfältigste, und er erschien da, mit dem roten Fes auf dem Kopf, wie ein kleiner Pascha.

Die Akka bilden ein Glied in der langen Kette von Zwergvölkern, die, mit allen Zeichen einer Urrasse ausgestattet, sich quer durch Afrika längs des Äquators hin zu erstrecken scheinen.

Der einzige Reisende, der vor mir mit einem Teil dieser Pygmäenrassen in Berührung gekommen war, war der Amerikaner Du Chaillu. Er fand südlich vom Ogowe im westlichen Afrika ein wanderndes Jägervolk, die Obongo, von denen er eine Anzahl gemessen hat. Seine Beschreibung stimmt vortrefflich zu den Eigentümlichkeiten der Akkarasse. Die kleinsten der erwachsenen Akka, die ich gezeichnet und gemessen habe, waren zwischen 1,24 und 1,34 Meter hoch. Größere als anderthalb Meter hohe glaube ich nicht gesehen zu haben, abgesehen von den Mischlingen.

Die Haut hat die Farbe von schwach gebranntem, gemahlenem Kaffee; es ist die Farbe der südafrikanischen Buschmänner. Haupt- und Barthaar sind schwächlich entwickelt. Die Farbe des Haars entspricht der Körperfarbe; ich vergleiche sie am besten mit Werg. Ein längerer Bartwuchs wurde nicht wahrgenommen, wie ein solcher ja auch den Buschmännern gänzlich zu fehlen scheint.

Was mir an den Akka am meisten in die Augen fiel, waren folgende Merkmale. Ein verhältnismäßig großer runder Kopf saß auf einem vorherrschend schwächlichen und dünnen Hals. In der Schultergegend zeigten sich auffällige Abweichungen von der gewöhnlichen, andern Negervölkern eigenen Gestaltung. Besonders in die Augen fiel das Überwiegen der Länge des Oberkörpers in Verbindung mit langen, dürren Armen. Ein nach oben zu plötzlich und flach verengter Brustkorb, dessen untere Öffnung sich übermäßig erweitert, dient einem wohlgerundeten Hängebauch als Halt, der selbst bejahrten Individuen das Aussehen arabischer und ägyptischer Kinder verleiht. Dem letztern Merkmal entsprechend war auch eine außerordentlich starke Ausbildung des hintern Körperumrisses zu beobachten.

Akka in Jagdausrüstung

An den Gliedmaßen fallen die eckig vorragenden Gelenke, die plumpen, großscheibigen Knie und die einwärts gerichteten Füße auf. Der Gang hat etwas zappelig Watschelndes, jeder Schritt ist von einem Wackeln begleitet. Mein Nsewue war nicht imstande, eine gefüllte Schüssel zu tragen, ohne den Inhalt zu verschütten. Das schönste waren die Hände, die bewundernswerte Zierlichkeit und elegantes Ebenmaß erkennen ließen. Alle Rasseeigentümlichkeiten gipfeln im Bau des Schädels. Als Hauptmerkmale stellen sich folgende heraus: ein hoher Grad von Schiefzahnigkeit, schnauzenartiges Vorspringen der Kiefer, eine breite, der Kugelgestalt sich nähernde Schädelwölbung mit abgerundeten Stirnhöckern.

Alle Nachrichten, die über die Buschmänner vorliegen, stimmen darin überein, daß ihre Augen, die beständig dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, sich durch stark zusammengezogene schmale Lidspalten auszeichnen. Dagegen haben die im Waldesschatten aufgewachsenen Akka große breitgespaltene und offene Augen, die ihnen fast ein Vogelaussehen geben. Gegenüber der ganzen Reihe übereinstimmender Merkmale ist dies der einzige sehr auffallende Unterschied zwischen Akka und Buschmännern, der lediglich auf den Einfluß der Lebensweise und auf klimatische Ursachen zurückzuführen ist.

Die welke Beschaffenheit der Haut, wodurch die Buschmänner ausgezeichnet sind, war bei den Akka nirgends zu schauen. Überhaupt erschienen sie nicht in so hohem Grad dürr und mumienhaft, wie es bei den Buschmännern stets hervorgehoben wird. Die Akka waren knochig und eckig an den Gelenken, aber die Haut, die diese umspannte, war nicht runzliger als bei den andern Rassen.

Die Akka sind durch eine auffallend große Ohrmuschel gekennzeichnet. Die zierliche, regelmäßige Form dieses Körperteils bei der Mehrzahl der Bewohner des tropischen Afrika bildet einen ästhetischen Vorzug der vielgeschmähten Negerrasse vor der unsrigen. Akka und Buschmänner haben an diesem Vorzug keinen Anteil.

Dem hohen Grad von Schiefzahnigkeit entsprechend ragen die Lippen weit vor, lang und gleichsam schnabelartig geschweift, ohne daß ihre Ränder indes breit umgeschlagen oder wulstig erscheinen, wie dies bei der Negerrasse üblich ist. Eigentümlich ist ihnen die scharfkantige Begrenzung der äußern Lippenränder, die an die spaltförmige Mundbildung der Affen erinnert.

Der wechselvolle Ausdruck des Mienenspiels der Buschmänner macht sich auch bei den Akka in hohem Grad geltend. Dasselbe Hin- und Herziehen der Augenbrauen beim Sprechen, hier noch gehoben durch die außerordentliche Lebhaftigkeit ihrer großen Augen; lebhafte Bewegungen von Hand und Fuß begleiten gleichsam zur Unterstützung ihre unentwickelte Sprache; ununterbrochen wackelt der Kopf.

Nichts weiß ich leider von der Sprache der Akka zu berichten; die wenigen Aufzeichnungen, die ich besaß, habe ich bei dem unheilvollen Brand eingebüßt. Erinnerlich ist mir nur noch das Unartikulierte ihrer Aussprache; die Laute waren mit unsern Schriftzeichen nicht wiederzugeben. Mein Liebling war nicht imstande, im Laufe der anderthalb Jahre, die er bei mir verlebte, soviel Arabisch zu lernen, um sich auch nur notdürftig darin verständlich zu machen, während andere eingeborene Begleiter in wenigen Monaten sich einen bewunderungswürdigen Wortschatz zu eigen machten. Nsewue hat es nie weiter gebracht, als einige Bongophrasen zu lallen, die nur mir und meiner täglichen Umgebung verständlich waren. Ganz ähnlich lauten die Berichte über die Buschmänner.

An Sinnenschärfe, an schlauer, wohlberechneter Gewandtheit sind die Akka den Mangbattu weit überlegen, denn sie sind ein richtiges Jägervolk. Ihre Schlauheit ist meist nur der Ausdruck eines in ihrem innersten Wesen wurzelnden Naturtriebes, der seine Freude an Bosheiten hat. Nsewue machte sich ein besonderes Vergnügen daraus, nächtlicherweile Pfeilschüsse auf Hunde abzugeben; auch quälte er gern Tiere. Als wir uns im Kriege befanden, schien ihm nichts mehr Spaß zu machen als die abgeschnittenen Köpfe der A-Bangba. Ein Jägervolk kann naturgemäß sich auszeichnen in teuflischer Erfindungsgabe, um Fallen zu stellen und dem Wilde Schlingen zu legen.

Das einzige Haustier der Akka ist das Huhn. Ein Mosaikbild aus Pompeji stellt die Pygmäen dar, umgeben von ihren Häuschen und Hüttchen, alles voll Hühner. Woher mochte solche Zusammenstellung der Alten stammen? Die Annahme scheint zulässig, daß Berichte über die Lebensweise der Zwergvölker an den Nilquellenseen schon zu den Griechen und Römern gelangt waren.

Die Akka stehen an Bosheit den Buschmännern nicht im geringsten nach, und von diesen wissen wir, daß alle Südafrikaner ihnen als Wald- und Affenmenschen der gefährlichsten Art Tod und Verderben geschworen haben. Dagegen erfreuen sich die Akka unter der Herrschaft der Mangbattu eines gewissen Schutzes. Sie erscheinen ihren Nachbarn offenbar nicht als gemeinschädliche Unholde, vielmehr spielen sie die Rolle wohlmeinender Heinzelmännchen und verhelfen den Mangbattu zu reicherer Jagdausbeute. Freilich, wenn die Mangbattu wie die Kaffern Vieh besäßen, würden die Akka dieses gewiß ebenso als Jagdbeute betrachten wie die Buschmänner und eine große Freude daran haben, ihre spitzen Pfeile und Lanzen in die breiten Leiber der Kühe zu jagen.

Munsa versieht seine Akka reichlich mit Speisen und Getränken, und Nsewue wußte nicht genug zu rühmen von den stets gefüllten Bierkrügen, dem Bananenwein und den Maiskolben, die seinen Stammesgenossen zugetragen wurden. Jedenfalls ist die Wissenschaft dem Mangbattukönig Dank schuldig dafür, daß er sich dieses kostbaren Restes einer dem Untergang entgegengehenden Urbevölkerung liebreich angenommen und sein Bestehen bis zu der Zeit gesichert hat, in der Innerafrika offen vor unsern Augen liegt.


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