Georg Schweinfurth
Im Herzen von Afrika
Georg Schweinfurth

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20. Der unglücklichste Tag meines Lebens.

Fast den ganzen Rest des Jahres 1870, über fünf Monate, habe ich in der Seriba Ghattas verbracht, eine Zeit ruhiger Arbeit, die nur zweimal durch kleine Ausflüge unterbrochen wurde. Der Reiseplan, auf Grund dessen die Berliner Akademie der Wissenschaften die Mittel bewilligt hatte, war durchgeführt, aber ich trug mich mit dem Plan einer zweiten Reise in das Niamniamland, deren Verwirklichung mir das Eintreffen neuer Vorräte ermöglichen sollte. Ich konnte jetzt die mir bekannten Seribenverwalter durch Geschenke an Mänteln, Pistolen und Flinten verpflichten, jede Dienstleistung durch Perlen und Zeuge belohnen. Auch konnte ich wieder einigermaßen europäische Lebensart pflegen, sogar Wein trinken konnte ich, was im Innern Afrikas ein rätselhaftes Glück war. Ein ganz besonderer Glücksfall war es, daß ich Berichte über die reichen Ergebnisse des letzten Jahres noch rechtzeitig hatte abschicken können; es war der einzige Ersatz für den spätern Verlust fast aller meiner Papiere. Briefe nach Europa, die ich meinem Freund Mohammed nach der Meschra mitgegeben hatte, waren schon nach fünf Monaten in den Händen der Empfänger.

Auf dem Rückzug von der Meschra erging es Mohammed recht schlecht. Einer seiner Widersacher unter den Händlern hatte ihm im dichtesten Wald einen Hinterhalt gelegt. Seine Chartumer Soldaten weigerten sich, auf die Wegelagerer, ihre Glaubensgenossen, zu schießen. So blieb Mohammed auf die Hilfe seiner schwarzen Landsknechte angewiesen, von denen mehrere niedergemacht wurden. Auch ein Vetter Mohammeds wurde erschossen. Er selbst wurde zu Boden geschlagen, erhielt eine Menge Säbelhiebe über den Kopf und wurde im Blut schwimmend liegengelassen. Sämtliche Vorräte wurden geraubt. Der Befehlshaber der ägyptischen Regierungstruppen aber blieb trotz aller Zeugenaussagen gleichgültig und schritt nicht ein.

Auch sonst ließen die Sicherheitszustände viel zu wünschen übrig. Ich selbst aber war auf meinen Ausflügen von Gewalttätigkeiten verschont und konnte mich in meiner Hütte behaglich einrichten.

Ich legte mir eine kleine Menagerie an. Mohammed schenkte mir ein erbeutetes Elefantenjunges, das mit Kuhmilch aufzuziehen versucht wurde. Vor der Hütte standen Esel und Kuh, im Innern wurden untergebracht ein Kalb, Hunde, zwei Karakalluchse, ein Honigdachs und ein Zebraichneumon. Leider hatte ich meine Absicht aufgegeben, den Wohnsitz außerhalb der Palisaden aufzuschlagen, um so der feuergefährlichen Nachbarschaft so vieler Strohhütten zu entweichen. Der Oberverwalter hatte dies für gefährlich gehalten, und das ist mir zum Verhängnis geworden. Mitten unter den Vorbereitungen für eine neue Niamniamexpedition überraschte mich der unglücklichste Tag meines Lebens.

Als ich am 1. Dezember 1870 mit Briefschreiben beschäftigt war, erschreckte mich plötzlich der Ruf eines Bongo: »Poddu, poddu!« (Feuer!). Ich eilte vor die Tür und sah auch schon, nur durch drei Hütten von der meinigen getrennt, die Lohe aus der Spitze eines Kegeldachs emporschlagen. Die Windrichtung führte die Flamme gerade auf meine Behausung. Sofort kamen alle meine Leute herbeigesprungen, und jeder griff nach dem, was ihm gerade unter die Hände fiel. Ich selbst schleuderte die für einen solchen Fall bereits zurechtgelegten Manuskripte in einen großen Holzkasten; es war ein eitles Bemühen. Allerdings gelang es meinen Dienern, fünf Lederkoffer und zwei Kasten auf den nahen Freiplatz der Seriba zu schleppen, allein nur zu bald fegte die Lohe über den ganzen Platz. Kein Mensch hätte mehr standzuhalten vermocht. Auf der Flucht warf ich noch einen Blick auf den Rest meiner Habe: die Kasten begannen zu rauchen, und lange Flammensäulen bezüngelten sie. Es war für mich ein herzbrechender Anblick! Enthielten sie doch alle meine Manuskripte, die Reisetagebücher und die Notizbücher! Der Funkenregen versengte mir das Haar; heulend, mit verbrannten Füßen, folgten die Hunde, und atemlos hielten wir endlich unter einem großen Baum. Ich hatte nicht einmal nach meinem Hut greifen können.

Hinter uns erscholl das Krachen der zusammenbrechenden Dächer, ab und zu übertönt von dem dumpfen Schall der explodierenden Munitionsballen, während die zurückgelassenen Gewehre sich entluden und die Fliehenden bedrohten. Die Nubier benahmen sich überraschend ruhig. Die meisten von ihnen hatten nur wenig oder nichts zu verlieren, und so manches Schuldbuch mußte in den Flammen verschwinden. Nur die mohammedanischen Priester heulten und schrien vor ihren Hütten die gewohnten Beschwörungsformeln. Die ganze Seriba stand in vollem Brand. Bündel von glimmendem Stroh führte der Sturmwind mit sich und entzündete in wenigen Minuten auch die außerhalb des Pfahlwerks gelegenen Hüttengruppen. Die ausgedörrte Steppe fing ebenso leicht Feuer, und selbst die alten Bäume entflammten sich. Das Unheil währte indes kaum eine halbe Stunde. Die Leute brachten Wasser in Krügen herbei, um wenigstens einen Teil der glimmenden Kornvorräte in den großen Tonkrügen zu retten.

Als die Sonne sank, wurde das Nachsuchen in der glimmenden Asche meiner Hütte begonnen. Ich hatte wenig mehr als das nackte Leben gerettet: ohne Kleider, ohne Waffen und Instrumente, ohne Tee und Chinin stand ich jetzt vor dem Haufen Kohle und Asche, der die Frucht mehrjähriger Anstrengungen barg. Meine schöne Ausrüstung für die geplante Forschungsreise, die Sammlungen aus letzter Zeit, unter denen der Verlust der gesamten Ausbeute an Insekten und vieler wertvoller Erzeugnisse des afrikanischen Kunstfleißes am meisten zu beklagen war, meine Handschriften mit allen meteorologischen Beobachtungen, die ich von meinem Aufbruch von Suakin an täglich gebucht hatte und die allein gegen 7000 barometrische Ablesungen enthielten, die Reisetagebücher mit den Erlebnissen und Wahrnehmungen von 825 Tagen, die mühsam erlangten Körpermessungen und Wörterverzeichnisse, alles war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen geworden. Nichts war gerettet als mein Bettzeug, meine Zeichnungen, Schreib- und Zeichenmaterial, zwei Koffer mit drei Barometern und einem Kompaß und das der Asche entnommene Eisengerät aus den Werkstätten der Mangbattu und Niamniam.

Der Abend kam, mit ihm wie gewöhnlich die Kuh mit dem Kalb, um mir zwei Gläser Milch zu spenden. Ich zehrte von den letzten Überbleibseln meiner Vorräte. Um mich herum heulten die Hunde wegen ihrer verbrannten Füße. Die Diener und die Sklaven waren vergnügt, denn was hätten sie zu verlieren gehabt? Ich konnte die Häupter meiner Lieben zählen; es waren sieben vierbeinige und sieben zweibeinige.

Als es völlig dunkel geworden, glich die ehemalige Seriba einem glänzenden Kohlenfeld. Immer noch brannte der alte Feigenbaum vor dem Haupteingang in seinen höchsten Ästen mit heller Flamme, und das Pfahlwerk selbst umgab diese schreckliche Festbeleuchtung wie mit einem Kranz brennender Lämpchen. Den Nubiern war der Anblick nichts Ungewohntes, hatten sie doch selbst soviele Negerdörfer eingeäschert. Jetzt, da sie ihrer Vorräte beraubt, sich hungernd schlafen legen mußten, konnten sie an sich selbst erfahren wie es den Verfolgten zumute gewesen sein mochte.

Einen merkwürdigen Anblick gewährte die Landschaft in der Frühe des folgenden Tags. Schneeweiße Aschenfelder bedeckten den Boden und wechselten ab mit den halb verbrannten Kohlenschollen, wie auf einem Moorboden im Winter der Schnee mit den aufgeschichteten Torfstücken. Der auf dem Boden lagernde Rauch, die kahlen Bäume vervollständigten den Vergleich mit einer nordischen Winterlandschaft. Schwarze und braune Gestalten, in Lumpen gehüllt, strichen durch die verkohlten Trümmer und scharrten im Boden. Dazwischen lagen die gedunsenen Leiber halbgerösteter Esel und Schafe. Eine große Schar wassertragender Sklavinnen war immer noch bemüht, die glimmenden Kornhaufen zu löschen.

In den nächsten Tagen wurde schon mit dem Wiederaufbau begonnen. Hunderte von Bongo, Djur und Dinka eilten mit Bambus, Holz, Gras und Stroh herbei, um die neuen Hütten zu errichten. Aus dem Unglück wollte man nicht die geringste Lehre ziehen, die Seriba wurde nicht nur auf derselben Stelle, sondern auch ganz in derselben gedrängten Bauart wieder hergestellt.

Die Veranlassung zum Brand setzte mich nicht im geringsten in Verwunderung. Einer der Soldaten des Ghattas war mit seiner Sklavin in Streit geraten und hatte im Innern der engen Behausung sein Gewehr auf sie losgedrückt, um von ihr ein Geständnis zu erpressen. Zehn Minuten später stand die Hütte in Flammen. Die glimmende Papierpatrone hatte im Dachstroh Feuer angefacht. Die Schuld an allem trug nach meiner Ansicht der Verwalter Idris; denn weshalb gestattete er das wahnsinnige Schießen innerhalb der Seriba? Weshalb ließ er es zu, daß jeder nach eignem Belieben die Zahl seiner Hütten, Zäune und Sonnendächer vermehren durfte, wie man ähnliches in keiner zweiten Seriba zu sehen bekam? Er selbst trug noch dazu bei, den Strohwirrwarr zu vermehren, indem er dicht vor meiner Hütte ein großes Schutzdach, eine Rokuba, für sein Reitpferd bauen ließ.

Der Zerstörung der Seriba folgte auf dem Fuß die Hiobspost von der gänzlichen Niederlage der Abteilung, die bereits auf dem Vormarsch nach Süden ins Niamniamland begriffen war. Abgesehen von den eingeborenen Trägern hatten allein 150 Mohammedaner den Tod gefunden. Auch nach dieser Richtung hin war mir also jede Möglichkeit einer neuen Unternehmung vorläufig abgeschnitten. Das Unglück an sich, das mich betroffen, hätte mich keineswegs davon abzuhalten vermocht, die geplante zweite Niamniamreise ins Werk zu setzen. Wie aber konnte ich ein solches Vorhaben ausführen, da mir niemand die eingebüßten Ausrüstungsgegenstände zu ersetzen vermochte? Ich besaß weder Schuhe noch Stiefel, weder Munition noch Waffen, ich besaß keine Papiervorräte, keine Instrumente mehr, selbst die unentbehrlichsten Taschenuhren waren verloren. So mußte ich mich schweren Herzens zur Heimreise nach Europa entschließen.


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