Gustav Schwab
Erzählungen aus den alten Volksbüchern
Gustav Schwab

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die vier Heymonskinder

Nach der Krönung Kaiser Karls des Großen zum König der Frankenstämme wurde in der Stadt Paris ein großes Festmahl veranstaltet, an dem unter vielen Adeligen auch Graf Heymon von Dordone aus dem Geschlecht Bourbon teilnahm, der dem König viele treue Dienste gegen die Heiden geleistet hatte. Dieser besaß viele Länder und Städte und war ein strenger Mann, den nicht nur seine Untertanen fürchteten, sondern auch der Kaiser und die Herren von Frankreich wegen seines Ernstes und seiner Ritterlichkeit hochachteten.

Kaiser Karl der Große, der nun auch König von Frankreich war, saß mit seiner Krone in aller Majestät und Herrlichkeit beim Mahl, die Königin an seiner Seite. An einem der Tische befand sich Heymon von Dordone mit seinen Freunden und Rittern, darunter Heymerin von Bourbon und Hugo von Bourbon, Heymons Neffe, ein blonder Jüngling, der sehr gewandt war und viele fremde Sprachen konnte.

Nach dem Mahl stand Hugo von seinem Tisch auf, ging zu dem König und sprach ehrerbietig: »Allergnädigster Herr und König, es ist Eurer Majestät ohne Zweifel bekannt, daß meine lieben Vettern, Heymon von Dordone und Heymerin von Bourbon, anwesend sind. Beide haben Euer Majestät treu gegen die Heiden gedient, haben beinahe ganz Spanien bezwungen und viele Gefahren ausgestanden, wofür sie noch keine Belohnung empfangen haben. Deswegen bitten sie, Eure Majestät wolle sie doch einer Gnade würdigen oder wenigstens mit ihren eigenen Gütern belehnen, damit sie ihre Standeswürde besser wahren können.«

Als König Karl diese Bitte des Jünglings unwillig abschlug, versetzte Hugo von Bourbon ernst: »Gnädigster König, wenn Eure Majestät meine Vettern für ihre treuen Dienste unbelohnt läßt, wird das Eurer Majestät wenig Ehre bei andern Fürsten einbringen!« Auf diese Worte ergriff der König zornig sein Schwert und schlug Hugo von Bourbon zu Boden, daß er bald darauf starb. Großes Wehklagen entstand im Saal, alle Tische wurden über den Haufen geworfen, und draußen entspann sich ein heftiger Kampf.

Da sprach der König zornig: »Ich gelobe bei Gott, ich will sie aus dem Land vertreiben samt ihren Freunden!« Darauf ließ er alle Herzoge, Grafen und Ratsherren zusammenkommen und eine Beratung abhalten. Heymon und seine Freunde wurden für Räuber erklärt und mußten in aller Eile das Land verlassen.

Der König aber nahm alle ihre Güter und gab sie seinen Anhängern. Racheschnaubend fielen Heymons Leute des Nachts aus den Wäldern, wo sie sich verborgen halten mußten, raubten, plünderten und verbrannten alles, was sie außerhalb von Stadtmauern fanden. Heymon hatte einen Vetter im Gefolge namens Malegys, einen stolzen Ritter, der ein Schwarzkünstler war und es besonders arg trieb. Der Krieg währte sieben Jahre.

Endlich wurden die Franken dieser langwierigen Fehde überdrüssig. Sie baten den König, Frieden mit Heymon zu schließen. Zögernd bewilligte der König ihren Wunsch. Es wurde ein Gesandter an Heymon, der zu Pierlamont lag, abgefertigt mit dem Vorschlag, König Karl wäre bereit, seinen Vetter Hugo neunmal mit Gold auszuwägen; damit solle der Frieden mit ihm beglichen sein. Aber Heymon erwiderte dem Gesandten zornig: »Sagt Eurem König, ich will keinen Frieden, sondern den Krieg weiterführen, solang es mir möglich ist; denn ich kann Hugo von Bourbons Tod nicht mit Geld vergelten lassen!«

Mit dieser Antwort Heymons kamen die Gesandten wieder zu König Karl, worauf er sie nochmals mit dem Anerbieten zu Heymon sandte, wenn Heymon mit ihm Frieden schließen würde, wolle er ihm überdies seine Schwester Aya zur Gemahlin geben und alle Güter rückerstatten, die er ihm und seinen Freunden genommen hätte, und zwar als freies Erbgut ohne Lehen. Er möge zu ihm nach Senlis kommen, da wolle er den Frieden besiegeln.

Als Heymon diesen Vorschlag des Königs hörte, rüstete er sich mit seinen Freunden auf das herrlichste und zog nach Senlis. Vor der Stadt kam ihm König Karl mit seinen Verwandten samt fünfhundert Rittern entgegen. »Mein Freund Heymon«, sprach er, »ich habe unrecht getan, daß ich deinen Vetter Hugo erschlug. Verzeihe es mir um Gottes und seines Sohnes willen! Ich will ihn dir neunmal mit Gold auswägen, meine Schwester Aya will ich dir zur Gemahlin geben samt allen Gütern, die ich dir genommen, und allem, was du von den Heiden noch erobern wirst.« Als Heymon dieses Versprechen vernommen, einigte er sich mit dem König, und es wurde der Friede geschlossen.

Als der erste Tag zu Ende ging, dachte Heymon wieder an die Weigerung des Königs und schwur, er wolle seines Vetters Hugo Tod doch noch rächen und alles erschlagen, was von des Königs Geschlecht wäre.

Heymon aber zog nach seiner Hochzeit bald wieder in einen Krieg gegen die Heiden. Während seiner Abwesenheit schenkte seine Gattin ohne sein Wissen in einem Frauenkloster einem Sohn das Leben, den man Rittsart taufte. Seine Paten waren der Bischof Turpin und Graf Wilhelm. Diese bestellten für das Kind heimlich eine Amme und gaben ihm ein Schreiben mit, daß es ehrlicher Eltern eheliches Kind und von hohem Stand sei. Niemand sollte erfahren, wem es gehörte; denn die Mutter fürchtete, Heymon könnte das Kind, als von König Karls Geschlecht, nach seinem Eid töten lassen, wenn er davon erführe. Mittlerweile kehrte Heymon, der gegen die Heiden gestritten hatte, wieder in die Heimat zurück.

Ihren zweiten Sohn gebar Frau Aya wieder im Kloster, so daß es niemand erfuhr. Auch dieses Kind, Writsart genannt, wurde in aller Stille erzogen. Mit dem dritten Sohn ging es ebenso; er erhielt den Namen Adelhart.

Jahre später zog Heymon neuerdings in den Krieg und blieb sieben Jahre aus. Schon hatte sich das Gerücht verbreitet, daß er tot sei, und Frau Aya begann um ihn zu trauern, da kam Heymon wieder nach Hause; er hatte schwere Wunden im Krieg empfangen, saß aber trotzdem mit Harnisch und Schild auf seinem Pferd.

Als der Himmel Frau Ayas Ehe mit einem vierten Sohn, Reinold, segnete, ließ sie ihn wie die früheren heimlich aufziehen.

So besaß Heymon vier Söhne, von denen er nichts wußte. Der vierte Sohn war ein schöner junger Held, größer und stärker als die andern. Auch König Karl hatte einen Sohn, der Ludwig hieß. Reinold und Ludwig waren gleichen Alters. Als Reinold aber fünfundzwanzig Jahre zählte, war er fast um einen Fuß größer als Ludwig.

An Ludwigs Geburtstag wollte König Karl seinen Sohn feierlich zum König von Frankreich krönen lassen; denn er selbst war schon hochbetagt. Er ließ deshalb die zwölf höchsten Herren von Frankreich berufen, den Papst, Bischöfe, Könige, Herzoge und Grafen. Als alle versammelt waren, stand er auf und erklärte: »Ihr Herren, ihr seht mein hohes Alter, die Herrschaft in Frankreich fällt mir bereits schwer. Daher bitte ich euch, meinen Sohn Ludwig als König anzuerkennen und ihn zu krönen; denn er ist ein junger Held und kann die Herrschaft wohl antreten.«

Auf diese Rede des Königs erhob sich Bischof Turpin im Namen der andern Herren und sprach: »Allergnädigster Herr und König, das kann diesmal noch nicht geschehen; denn Euer Hof ist noch nicht vollzählig versammelt.«

Da fragte der König: »Wer sollte noch fehlen? Ich meinte, ich hätte die Edelsten des Landes und die mächtigsten Herren der ganzen Christenheit hier versammelt.«

Darauf antwortete der Bischof: »Es fehlt der allertapferste und kühnste Held der Welt, von hohem Geschlecht und Herkommen, der unbezwungen und frei ist und seine Güter von keinem Menschen zu Lehen hat als von Gott allein.«

Da erwiderte der König: »Das kann nur Heymon von Dordone sein; er hat mir den Tod geschworen. Wenn es euch aber ratsam scheint, daß ich ihn hieher berufen lasse, so will ich nach ihm schicken!«

»Gnädigster König«, entgegnete Bischof Turpin, »wir alle halten es für gut, daß Ihr die Krönung vierzig Tage aufschiebt und Heymon hierher beruft. Ihr müßt ihm freies Geleit zusagen, und wenn er trotzdem nicht kommen wollte, so stellt ihm die einundzwanzig edelsten Herren Eures Königreiches als Geiseln.«

Diesen Rat fand der König für gut und sandte den Grafen Roland, Wilhelm von Orleans, Bertram und Bernhard nach Pierlamont, um Heymon zur Krönung seines Sohnes Ludwig nach Paris einzuladen.

Als die vier Herren vor die Burg kamen, stand Frau Aya eben an einem Fenster und blickte ins Feld hinaus. Sie erkannte die Reiter bald und dachte: »Was mögen die vier Ritter wollen; ich fürchte, sie eilen in ihren Tod!« Als die vier Ritter vor Heymon traten, fielen sie dem Grafen zu Füßen, und Graf Roland begann mit freundlichen Worten: »Gnädigster Herr Heymon, wir kommen als Gesandte König Karls von Frankreich, der Euch freundlich ersucht, nach Paris zu kommen und an der Krönung seines Sohnes Ludwig zum König von Frankreich teilzunehmen. Er wird Euch diesen Dienst vergelten; denn er hat die Krönung um Euretwillen vierzig Tage aufgeschoben.«

Als Heymon diese Botschaft hörte, erbleichte er vor Zorn, sprach aber kein Wort. Da redeten sie ihn wieder an, er möge sich entscheiden, ob er zur Krönung kommen wolle oder nicht. Heymon aber antwortete abermals nichts. Da sahen die vier Gesandten einander bestürzt an. Frau Aya aber nahm einen silbernen Becher voll Wein und sprach: »Liebster Vetter Roland, nehmt und tut einen Trunk, ich will jetzt Euer Schenk sein!« Da ergriff Roland den Becher und trank; darauf gab er ihn den andern dreien, daß jeder einen Schluck tun sollte. So hieß sie Frau Aya willkommen. Darnach wandte sie sich an ihren Gemahl Heymon: »Gnädiger Herr, ich bitte Euch, gebt diesen Herren Antwort; denn es sind Eure eigenen Verwandten und die Vornehmsten des Königreiches.«

Heymons Zorn ließ nach, und er sprach zu seiner Gattin: »Liebste Gemahlin, wenn ich wirklich Antwort geben soll, so muß ich erklären, daß ich der unseligste Mann im ganzen Königreich bin.« Erstaunt fragte sie: »Warum, lieber Herr?« – »Weil«, entgegnete er, »Gott uns in zwanzig Jahren, die wir verheiratet sind, keine Erben gegeben hat, die unser Land und unsere Güter nach unserem Tod erben könnten, damit sie nicht in die Hände unserer Feinde kommen. Nun weiß ich bestimmt, daß Ludwig nach meinem Tod meine Güter beschlagnahmen wird, und diesen Mann soll ich krönen helfen? Nein, ich komme nicht; denn ich bin ihm mehr feind als seinem Vater.«

Da ließ sich Frau Aya vernehmen: »Gnädiger Herr, wenn Ihr nun Kinder hättet, wolltet Ihr sie töten?« Darauf erwiderte Heymon: »Geliebte Gattin, ich sage Euch, wenn ich Kinder hätte, ich wollte ihnen mehr schenken, als ein Vater seinen Kindern schuldig ist.« Da rief Frau Aya fröhlich aus: »Dann sind die Worte nicht so ernst zu nehmen, die Ihr einstmals geschworen habt, daß Ihr alles töten wolltet, was von meinem Stamm ist?«

»Aya«, erklärte Heymon, »böse Eide kann man vergessen! Hätte ich Kinder, so würde ich fröhlicher sein, als ich jetzt bin!« Nun jubelte Frau Aya: »Wollt Ihr mir versichern, gnädiger Herr, daß Ihr ihnen nichts zuleide tun werdet, dann will ich Euch Eure Kinder zeigen!«

Als Heymon diese Worte hörte, kam ihm das sonderbar vor, und er bemerkte: »Ich will es gern tun, aber ich kann nicht glauben, daß ich jemals Kinder gehabt habe.« Da nahm Frau Aya den Grafen bei der Hand und bat: »Geht mit mir, ich will sie Euch zeigen!« Darüber war Heymon hocherfreut; ehe er davoneilte, forderte er die Ritter auf, etwas zu warten, er wolle dann Antwort geben, nur müsse er zuerst seine Kinder sehen.

Darauf ließ Heymon den Saal, in den man seine Söhne geführt hatte, prächtig ausschmücken, denn er wollte seine Söhne zu Rittern schlagen.

Zuerst nahm er Rittsart vor, zog ihm zwei vergoldete Sporen an und gürtete ihm ein Schwert um; dann hieß er ihn niederknien, schlug ihn zum Ritter und sprach: »Steh auf, mein Sohn Rittsart; von nun an sollst du gegen Heiden und Türken streiten ganz nach Rittersart. Ich reiche dir hier das Schwert, das mein Vater mir gegeben hat, womit ich Heiden und Türken besiegte.«

Darnach ließ er Adelhart vor sich treten, schlug ihn zum Ritter und sprach: »Ich erkläre dir, zur Ritterschaft gehört viel! Ich gebe dir weder Haus noch Burg, du mußt sie mit deiner Hand von den Heiden und Türken gewinnen, wie ich es getan habe.«

Hierauf nahm er Writsart vor und handelte so, wie er mit den beiden andern getan hatte. Schließlich ließ er auch Reinold zu sich kommen. Der hatte seine Sporen schon umgeschnallt, aber das Schwert hängte Heymon ihm um wie den andern; Reinold war so hochgewachsen, daß Heymon auf einen Stuhl steigen mußte, als er ihn zum Ritter schlug. Darauf sprach Heymon zu seinem Sohn: »Steh auf, Reinold, und sei mutig wie ein Ritter. Ich überlasse dir Pierlamont, Montagne und Montfaucon; du sollst nicht vergessen, gegen die Türken zu kämpfen.« Nun brachte man vier schöne, wohlgezierte Rosse; das stärkste gab er Reinold.

Als Reinold das Pferd musterte, schien es ihm zu schwach; er schlug den Gaul mit der Faust auf den Kopf und rief: »Das Pferd ist viel zu leicht für mich!« Darnach holte man ihm ein anderes Roß aus der Stadt, das stattlicher war; das schlug er ebenfalls vor den Kopf, daß es zusammenbrach. Nun brachte man ihm noch ein drittes Pferd, das war noch stärker als die vorigen; da sprang er darauf, daß dem Pferd das Rückgrat brach und es bald darnach einging.

Als Heymon das alles sah, freute er sich über seines Sohnes Kraft und erklärte: »Reinold, ich kenne noch ein Pferd, das heißt Beyart, es ist in einem alten Turm verwahrt; niemand darf hinzu wegen seiner Wildheit. Es ist so geschwind wie ein Pfeil, schwarz wie ein Rabe, hat Augen wie ein Leopard und besitzt keine Mähne.«

Reinold meinte lachend: »Vater, das wäre ein Pferd für mich!« Da antwortete Heymon: »Ziehe deine Rüstung an, das rate ich dir, und versuche, ob du es zwingen kannst. Aber sieh dich vor, denn der Hengst ist sehr bösartig und läßt niemand an sich herankommen; er frißt Steine wie andere Pferde Heu!« Als Reinold das hörte, höhnte er: »Soll ich mich gegen ein Pferd wappnen? Das wäre wohl eine große Schande!« Dennoch folgte er seinem Vater und wappnete sich, als ob er in den Krieg ziehen wollte, nahm einen Stock in die Hand und ging zum Stall, wo das Roß stand. Außer Vater und Mutter folgten ihm einige Ritter und Frauen, um zu sehen, was Reinold mit dem Pferd treiben würde.

Als er aber im Stall an das Tier herantrat, schlug ihn das Pferd vor den Kopf, daß er ohnmächtig zu Boden fiel. Entsetzt jammerte Frau Aya: »O Gott, mein Sohn Reinold ist tot!« Heymon aber rief: »Reinold, steh auf und zwinge das Roß, ich schenke es dir!« Die Mutter wiederum klagte: »Ach, lieber Gott, wie soll er das Roß zwingen, er ist doch tot!« Heymon hieß sie schweigen, »denn«, sagte er, »er ist meines Geblüts; er wird wieder aufstehen.«

Indessen kam Reinold wieder zu sich, stand auf und nahm seinen Stock, um das Roß damit zu zwingen. Aber Beyart faßte ihn beim Hals und warf ihn vor sich in die Krippe. Da schlug Reinold mit dem Stock so kräftig auf das Pferd ein, daß er ihm den Zaum ins Maul brachte. So zäumte er das Roß, sprang darauf und ritt aus dem Stall. Er saß so fest auf dem Pferd, als ob er darauf gewachsen wäre und sprengte über zwei Gräben, deren jeder über vierzig Fuß breit war. Auf diese Weise bezwang er das Roß, bis es müde geworden. Dann ritt er wieder in den Stall.

Nun reiste Graf Heymon mit seinen vier Söhnen in voller Rüstung, als ob sie in den Kampf ziehen wollten, nach Paris; in ihrer Begleitung waren die Grafen Roland, Wilhelm, Bernhard und Bertram. Als König Karl vernahm, daß Graf Heymon mit seinen vier Söhnen ankomme, machte er sich samt seinem Gefolge auf, den Grafen Heymon mit den Seinigen feierlich zu empfangen und einzuholen.

Doch der junge König Ludwig war damit nicht einverstanden und sprach: »Wie, Vater, wollt Ihr dem entgegengehen, der Eurer Majestät und den Eurigen todfeind ist und sie verfolgt hat, wo er nur konnte?« Da erklärte König Karl: »Mein Sohn, ich will den Zank und Streit ruhen lassen; er hat lang genug gewährt. Darum mach dich fertig, du mußt mit mir kommen und deine Vettern freundlich empfangen.« Als sie zusammentrafen, begrüßte König Karl den Grafen Heymon und seine Söhne gütig und mit allen Ehren; es war das erstemal seit dreißig Jahren, daß er Heymon sah. Aber der junge König Ludwig beachtete Heymon nicht, sondern schwieg. Graf Roland trat zu ihm und verlangte, er solle Graf Heymon samt seinen vier Söhnen auch freundlich begrüßen. Ludwig jedoch antwortete ihm, er habe mit Heymon und seinen vier Söhnen nichts zu schaffen.

Ritter und Frauen, die Reinold sahen, fragten einander: »Ist das Ritter Reinold, des Heymons Sohn? Er ist wirklich der stattlichste und erhabenste Fürst von ganz Frankreich!« Das hörte König Ludwig und ärgerte sich sehr darüber, denn er meinte, es wäre keiner vornehmer, keiner ritterlicher und keiner redegewandter als er. Deswegen meinte er höhnisch: »Wo hat man denn je gehört, daß Heymon selbst Kinder gehabt hat?«

Darauf ging er zu Reinold, bot ihm die Hand und hieß ihn willkommen. Dieser dankte ihm freundlich. Nun sprach König Ludwig: »Vetter, Ihr habt ein schönes Pferd; wollt Ihr mir's nicht verehren? Ich gäbe Euch viel dafür.« – »Lieber Vetter«, antwortete Reinold, »wenn ich es jemand gebe, so sollt Ihr der erste sein; aber jetzt kann ich es nicht tun, weil kein anderes Tier mich tragen kann als dieses.«

Ärgerlich grollte Ludwig: »Jetzt sehe ich, er ist von keinem geringen Geschlecht; wenn ich aber gekrönt bin und die Macht habe und die Lehen austeile, so will ich ihm auch nichts geben!« Als dies Reinold hörte, rief er zornig König Ludwig zu:

»Ich habe vernommen, daß Eure Majestät mir keine Lehen geben will. Darnach frag' ich gar nicht, ich bedarf ihrer gottlob auch nicht; mein Vater hat mir soviel hinterlassen, daß ich von Eurer Majestät nichts brauche.«

Als nun Zeit war, Tafel zu halten, befahl König Ludwig, daß man den vier Heymonskindern kein Essen und Trinken vorsetzen sollte, auch ihre Rosse sollten kein Futter erhalten.

Doch Reinold dachte, er müsse zu essen haben, koste es was immer. Deswegen erhob er sich, stieß die Küchentür mit einem Fußtritt auf, daß sie in Stücke sprang, und stürmte in die Küche. Dort nahm er etliche Speiseschüsseln und wollte sie seinen Brüdern reichen. Der Koch aber schrie: »Laß die Schüsseln stehen, du loser Vogel, oder du wirst mich kennen lernen!« Erbost schlug Reinold den Koch mit der Faust zu Boden und ging mit den Speisen zu seinen Brüdern.

Als man König Karl meldete, warum Reinold den Koch geschlagen habe, meinte er: »Ihm ist recht geschehen, wenn er meinem Vetter das Essen verweigerte, das jeder Fremde erhält.« Von da an erhielt Reinold alles, was sein Herz begehrte, so sehr sich König Ludwig auch ärgerte. Nun kam der Marschall zu Reinold und tadelte ihn: »Junger Herr, Ihr habt dem Koch unrecht getan, daß Ihr ihn erschlagen habt; wenn er mit mir verwandt wäre, so wollte ich seinen Tod an Euch rächen.« Da hänselte Reinold: »Ihr wagt es nicht!« Nun wurde der Marschall zornig und schlug nach Reinold; der aber streckte den Marschall mit einem Faustschlag zu Boden und gab ihm einen Fußtritt, daß er weit in den Saal rollte. Da bemerkte König Ludwig zu seinem Vater: »Gnädigster Herr Vater, wenn Ihr diesen Übermut an Eurem Hof ungestraft laßt, wird es Eurer Majestät wenig Ehre bringen!« Doch König Karl gebot, daß niemand an Reinold Hand anlegen solle.

Das Fest ging weiter, man ließ Musik klingen, und die Fröhlichkeit dauerte bis in die Nacht hinein. Da ließ König Ludwig wieder gebieten, man solle Heymons vier Söhnen kein Bett anweisen. Als Reinold das hörte, sprach er zornig zu seinen Brüdern: »Was gilt's, wir bekommen heute nacht noch das beste Lager!« Um Mitternacht nahm er seine Waffe zur Hand, machte einen großen Tumult und trieb alle aus den Betten, so daß gegen dreißig davon frei waren. Dann legte er sich mit seinen Brüdern in die besten Schlafstätten und schlief in Ruhe bis in den Tag hinein.

Am nächsten Morgen klagten die Vertriebenen dem König Karl, wie es ihnen ergangen wäre und wer das getan hätte; zugleich verlangten sie, der König solle Reinold strafen. Da schalt der König: »Wie, ihr laßt euch alle von einem einzigen vertreiben? Dafür kann ich keine Strafe verhängen; denn er hat eine ritterliche Tat getan!«

Am gleichen Tag wurde König Ludwig in die Kirche geführt, um zum König von Frankreich gekrönt zu werden. Bischof Turpin hielt das Amt, der Patriarch von Jerusalem diente dabei, und alles geschah mit großem Gepränge.

Als das Königsmahl vorüber war, begann man mit schönen Frauen zu tanzen, und es war große Freude bei Musik und Saitenspiel. Dann legte sich König Karl zur Ruhe, und König Ludwig ließ alle Edlen vor sich kommen und teilte Lehen und große Geschenke aus nach Verdienst und Würde. Nur Heymons Kindern gab er nichts. Als diese erfuhren, daß die Lehen ausgeteilt und sie leer ausgegangen waren, klagten sie es ihrem Vater. Der eilte zornig zu König Karl und sprach: »Allergnädigster Herr und König, Eurer Majestät Sohn, König Ludwig, hat Lehen und viele Geschenke unter die Edelleute ausgeteilt, nur meinen Kindern hat er nichts gegeben, obwohl sie Euch und ihm allezeit Gehorsam geleistet haben; ich wüßte nicht, daß sie sich je ungebührlich gegen Seine Majestät verhalten hätten.«

König Karl erwiderte: »Dich, Rittsart, setze ich mit heutigem Tage zum Markgrafen in Spanien ein, weil du der älteste unter deinen Brüdern bist; dich, Adelhart, mache ich zum Markgrafen in Polen; Writsart, dir gebe ich eine Landschaft zwischen Paris und Löwen; dich aber, Reinold, will ich nicht vergessen; dir gebe ich ganz Artois, Hennegau, Angers und Valois zum Lehen.«

Die Brüder fielen demütig auf ihre Knie und dankten dem König Karl; jeder empfing seine Lehen mit großen Freuden. König Ludwig aber ärgerte sich, als er von dieser Belehnung hörte, und sagte:

»Ich muß einmal sehen, ob meine Edelleute auch stark und mächtig genug sind, die Waffen zu führen, und will's mit einem Steinwurf erproben. Vorweg erkläre ich, daß ich der Stärkste bin im ganzen Königreich.«

Alle Herren und Edelleute schwiegen. Darauf wiederholte Ludwig seine Worte. Nun wurde Heymon zornig, konnte die Überheblichkeit Ludwigs nicht länger ertragen und antwortete: »Herr König, seid Ihr so stark, dann dankt Gott dafür. Ich weiß einen Jüngling von zwanzig Jahren, wenn der seine Stärke gebrauchen wollte, so würfe er den Stein weiter als Ihr, wenn Ihr Euch auch noch so sehr anstrengen würdet!«

Zornig legte König Ludwig den Mantel ab, nahm den Stein und warf ihn dreißig Fuß weit. Darnach warfen die Edelleute einer nach dem andern, aber keiner brachte ihn so weit wie König Ludwig, der sich stolz an Heymon wandte: »Was sagst du nun, Alter? Wo ist dein Sohn Reinold? Lauf und hole ihn, daß er gegen mich werfe!«

Diese Rede verdroß Heymon so sehr, daß ihm die Augen überliefen. Trotzdem ging er und rief seinen Sohn, der samt seinen Brüdern im Garten war. Als Reinold seinen Vater so zornig sah und bemerkte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen, verließ er die Gesellschaft, kam zu seinem Vater und fragte: »Lieber Vater, warum seid Ihr so traurig?«

Graf Heymon erzählte seinem Sohn zornig, was König Ludwig zu ihm gesprochen und daß er ihn einen alten Griesgram gescholten. »Mein Sohn«, schloß er, »wenn du des Königs Übermut nicht dämpfst, muß ich sterben. Ich bitte dich, nimm den Stein und wirf mit ihm um die Wette, damit er sieht, daß andere auch etwas gelernt haben und als Männer bestehen können, damit ich nicht als Lügner erscheine!« Reinold entgegnete: »Vater, es geziemt sich nicht, daß ich es tue; denn Ludwig ist nun einmal unser König und soll recht behalten; seine Reden entspringen nur seiner Jugend, ich will nichts mit ihm zu tun haben.« Heymon aber erklärte nochmals: »Mein Sohn, wenn du mich in dieser Schande zurückläßt und den Stein nicht wirfst, so muß ich sterben.« Da sprach Reinold: »Gut, Vater, ich will den König im Werfen überwinden, und wenn er der Teufel selbst wäre!«

Als sie nun zu der Stelle kamen, wo König Ludwig den Stein geworfen hatte, nahm Reinold ihn auf und schleuderte ihn um einen Fuß weiter als König Ludwig. Darüber ärgerte sich der König heftig, weil ihn vorher keiner hatte überwinden können. Er ließ sich den Stein bringen und warf ihn diesmal noch weiter als Reinold. Reinold aber hob auch den Stein zum Wurf auf und warf ihn noch viel weiter als König Ludwig. Da ergriff der König den Stein von neuem und schleuderte ihn noch einmal mit solcher Kraft, daß ihm Blut aus Mund und Nase lief. Aber Reinold blieb endgültig der Sieger.

Als Heymon sah, daß sein Sohn den Preis erhielt, sprang er vor Freuden auf und dankte Gott. Zu Reinold aber sprach er: »Mein Sohn, weil du dich so ritterlich gegen König Ludwig gehalten hast, schenke ich dir jetzt mein Roß Beyart. Hättest du gewollt, du hättest den Stein gewiß noch weiter geworfen!« Reinold dankte seinem Vater lachend für das Geschenk.

Während König Ludwig sich zornglühend entfernte, begegneten ihm seine Räte, Guillon, Herr von Rodes und Makarius Foukon. Alle drei waren böse, hinterlistige Menschen. Sie rieten dem König, Graf Adelhart, Heymons zweiten Sohn, zu einem Schachspiel aufzufordern mit dem Vorschlag, wer fünf Partien nacheinander gewinne, solle des andern Kopf zum Preise erhalten. König Ludwig werde gewiß Sieger sein und sich auf diese Weise für Reinolds Hochmut rächen können.

Dieser Rat gefiel nun König Ludwig außerordentlich; denn er meinte, keiner im ganzen Königreich sei ihm im Schachspiel überlegen; deshalb ließ er sofort Adelhart zu sich kommen und sprach zu ihm: »Ich will mit dir Schach spielen, und wer fünf Spiele hintereinander gewinnt, der soll dem andern das Haupt abschlagen.« Darauf erwiderte Adelhart: »Gnädigster Herr König, ich spiele nicht um so großen Einsatz; auch wäre es eine Schande, wenn Eure Majestät sich mit meinen Belangen beschäftigen wollten; aber um Städte und Schlösser will ich mit Euch spielen.« Da schwur der König einen Eid bei seiner Krone, er wolle um nichts anderes spielen als um sein Haupt. Darauf erklärte Adelhart: »In Gottes Namen, wenn es nicht anders sein kann, so muß ich spielen«, während Guillon flüsterte: »Das wird ein guter Spaß werden!«

König Ludwig gewann drei Spiele nacheinander, worüber er übermütig wurde und zu Adelhart bemerkte: »Wenn ich auch gegen deinen Bruder im Steinwerfen verloren habe, so will ich doch dir den Kopf abschlagen!« Als Adelhart das hörte, wandte er ein: »Gnädigster Herr König, wenn ich das Spiel gegen Eure Majestät verlöre, wolltet Ihr nicht Geld oder Gut dafür annehmen?« Der König aber erwiderte: »Nein, ich tausche dein ganzes Geld und Gut nicht für deinen Kopf.« Da flehte dieser zu Gott, er möge mit Ehren aus diesem Spiel kommen.

Die beiden spielten weiter, jeder tat sein Bestes, um zu gewinnen. Schließlich gewann Adelhart das Spiel. Darüber geriet der König in heftigen Zorn. Bald darnach gewann Adelhart das zweite, das dritte, das vierte und das fünfte Spiel. Als er nun fünf Spiele gewonnen hatte, dankte er Gott und sprach zum König: »Mein lieber Vetter und gnädigster Herr König! Eure Majestät wissen, daß ich Euer Haupt gewonnen habe. Aber ich will es nicht, denn mich dauert Euer Leben; doch bitte ich Euch, ein andermal nicht mehr um ein so hohes Pfand zu spielen!«

Wütend über diese Worte ergriff der König das Spielbrett und schlug damit Adelhart ins Gesicht, daß ihm das Blut herablief. Zufällig kam sein Bruder Reinold daher und sah, daß er blutete; er fragte, wer ihn geschlagen habe. Adelhart wollte nicht Auskunft geben, daß es König Ludwig getan, sondern antwortete: »Niemand!« »Du lügst«, rief Reinold, »du sollst mir sagen, wer es getan hat.« Endlich erklärte Adelhart: »Ich habe mich gestoßen.« Reinold glaubte es nicht, zog sein Schwert und bedrohte Adelhart. Daraufhin erzählte er seinem Bruder den ganzen Verlauf. Da meinte Reinold: »Dieses teure Pfand, das du da gewonnen hast, will ich mir nicht entgehen lassen.«

Die beiden Brüder gingen nun zu ihrem Vater und erzählten ihm den Vorfall. Heymon befahl sogleich, man solle zum Aufbruch rüsten. Reinold aber rief: »Ich will des Königs Haupt haben, koste es, was es wolle«, nahm sein blankes Schwert unter den Mantel und begab sich mit Adelhart an den Hof.

Als sie dort ankamen, war König Ludwig gerade dabei, Lehen auszuteilen, sein Vater Karl folgte dem Geschehnis. Sogleich ergriff Reinold den jungen König beim Haar, enthauptete diesen und gab den Kopf Adelhart. Dabei rief er: »Da hast du, was du im Schachspiel gewonnen hast!«

Als König Karl den Leichnam seines Sohnes vor sich liegen sah, forderte er seine Edlen ergrimmt auf, den Tod seines Sohnes zu rächen. Sofort waffneten sich zweihundert Ritter und verfolgten Reinold, der bereits mit seinem Bruder die Flucht ergriffen hatte. Als die beiden bei ihrem Vater ankamen, der wohlgerüstet draußen auf dem Feld mit dreihundert Mann lag, rief Reinold: »Vater, wir müssen die Flucht ergreifen; ich habe König Ludwig das Haupt abgeschlagen und es meinem Bruder Adelhart gegeben! König Karl ist nunmehr unser Feind.« Da erklärte Heymon: »Das will ich nicht tun. Die Bourbons sind niemals geflohen, sondern haben allezeit den Feind erwartet; und wenn jemand von den Meinigen jetzt fliehen will, so soll er sofort des Todes sein.«

Als Reinold das hörte, sprang er fröhlich auf sein Roß Beyart, die andern Brüder stiegen gleichfalls wohlbewaffnet zu Pferd; so zogen sie frohgemut König Karl entgegen.

Es kam zu einem erbitterten Kampf, in dem die Übermacht des Königs schließlich den Sieg davontrug. Heymons Mannen wehrten sich tapfer, bis fast alle gefallen und ihre Pferde erschlagen waren. Als Reinold sah, daß seine Brüder ihre Pferde verloren hatten, hieß er sie hinter ihn auf den Beyart springen, und so jagten sie davon, während ihr Vater Heymon sich noch tapfer zu Fuß wehrte. Endlich rief ihm der Bischof Turpin zu: »Heymon, gib dich gefangen!« Da antwortete ihm Heymon: »Ja, Herr Bischof, in Euer Geleit und in Eure Hand will ich mich ergeben!«

Reinold und seine Brüder waren inzwischen in dem Schloß Pierlamont angelangt. Dort erzählten sie, was sich ereignet habe, und befahlen, sie mit allem Nötigen zu versehen und dies sowie alle Kleinodien ihres Vaters auf ein Kamel zu laden, denn sie müßten flüchten.

Sobald alles fertig war, berieten sie, wohin sie ihren Weg nehmen sollten, und beschlossen, nach Spanien zu reisen und den König Saforet zu besuchen; denn sie wußten, daß er sie gut aufnehmen würde, weil ihr Vater vorzeiten sieben Jahre bei ihm gewesen war. Als Saforet die vier Brüder von weitem kommen sah, erkannte er sie an ihren Waffen und sprach zu den Seinigen: »Die da kommen, sind die Kinder Heymons von Dordone; wenn sie bei mir bleiben wollen, will ich sie gern behalten; denn sie scheinen tapfer und kühn zu sein; und wenn sie die Art ihres Vaters haben, dürfen sie jedem Feind wohl unter die Augen treten!« Die Brücken wurden niedergelassen, und der König hieß sie herzlich willkommen. Er fragte, wo sie hin wollten und was sie begehrten. Da erwiderte Reinold: »Gnädigster König, ich und meine Brüder begehren bei Euch Dienst und Unterhalt.«

Hierauf erklärte König Saforet: »Ich schwöre bei meinem Gott Mahomet, ich will euch Unterhalt geben, und ihr sollt keine Not haben, wenn ihr mir treu dienen wollt! Geht in das Kastell und behaltet es zu eurer Wohnung und gebt mir euren Schatz zur Aufbewahrung! Wann es euch gefällt und ihr wieder fortziehen wollt, werde ich ihn euch wiedergeben; wollt ihr aber euer Leben lang bei mir bleiben, so will ich euch reichlich besolden!« Da gab Reinold dem König seinen Schatz und ritt mit seinen Brüdern zum Kastell. Sie blieben mehrere Jahre bei König Saforet in Spanien und leisteten ihm treue Dienste.

Nach vielen ritterlichen Taten verlangte Reinold vom König sein Gut wieder zurück, er müsse sich mit seinen Brüdern neu ausrüsten. Aber Saforet folgte ihm nichts aus. Darüber ergrimmte Reinold und sagte zu seinen Brüdern: »Wenn uns der König unser Gut nicht wiedergibt, will ich ihm antun, was ich König Ludwig getan habe.« Adelhart aber wendete ein: »Brüder, wenn ihr diesen König erschlüget, so müßten wir außer Landes gehen.« Doch Reinold erklärte: »Warum sollten wir länger bleiben! Man gibt uns ja nichts zum Lohn!« Er rief einen Diener und befahl ihm, er solle zum König gehen und ihn fragen, ob er ihnen Unterhalt und Kleider geben wolle oder den Schatz, den sie ihm zur Aufbewahrung überlassen hätten.

Der Diener ging zum König und richtete seinen Auftrag aus. Der König aber gab ihm zur Antwort: »Geh aus meinen Augen und sag deinen Herren, wenn sie viel Wesens machen, will ich sie hängen lassen!« Da sprach der Diener: »Gnädigster Herr, das wäre ein schlechter Lohn für die treuen Dienste, die sie Euch geleistet haben.« Nun befahl der König, den Boten zu ergreifen und für seine Worte zu strafen. Man schlug ihn und stieß ihn dann zum Palast hinaus.

Als er nun so übel zugerichtet zu Reinold kam, fragte dieser den Diener, wer das getan habe. Der aber erwiderte: »Das hat mir des Königs Marschall auf Befehl seines Herrn getan, weil ich dem König berichtete, was Ihr mir befohlen habt! Der König erklärte, ihr wäret Fremde und hättet euren Vetter ermordet, er wolle euch nichts wiedergeben!«

Erzürnt rief Reinold seine Brüder Rittsart und Writsart und sprach: »Ich befehle euch, das Roß Beyart aus der Stadt zu führen und euch heimlich zu waffnen; du aber, Adelhart, sollst mit mir zum König gehen. Wir wollen ihn fragen, ob er uns das wiedergeben will, was wir ihm zur Aufbewahrung überreicht haben. Wenn er es verweigert, so nehmen wir seinen Kopf für unsern Schatz!«

Darnach begaben sich Reinold und Adelhart an den Hof, wo der König mit allen seinen Edeln gerade bei der Tafel saß. Dort fielen beide auf die Knie und wünschten gute Mahlzeit. Der König sah sie an, sprach aber kein Wort. Da erklärte Reinold trotzig: »Gnädigster König, drei Jahre dienen ich und meine Brüder Eurer Majestät, aber wir haben dafür bisher nicht einen einzigen Sporn an unsere Füße bekommen, geschweige denn unsere Löhnung. Wir bitten daher, uns unser Entgelt zu geben; es ist uns nicht möglich, länger so zu leben!« Aber der König sah sie nicht an.

»Herr König«, drängte Reinold, »gebt uns doch wenigstens unsern Schatz wieder, den wir Euch zur Aufbewahrung gegeben haben, und laßt uns unseres Weges ziehen! Außerdem will ich Euch sagen, daß ich mir's nicht gefallen lasse, daß man mir meinen Boten so jämmerlich geschlagen hat; wer das getan hat, den wird es noch reuen!« Zornig rief der König: »Genug! Und stündet ihr bis in alle Ewigkeit hier, ich würde euch nicht einen Groschen geben; denn ihr seid Fremde!« Und ein Markgraf setzte hinzu: »Warum soll man euch etwas geben? Es ist noch nicht lang her, daß du deinen Vetter, einen König, totgeschlagen hast; geht, wir geben euch nichts!« Nun zog Reinold empört sein Schwert und rief: »So sollt Ihr mit dem Leben zahlen!« Dann holte er aus und tötete den König.

Große Verwirrung entstand, jeder griff zu den Waffen, um den Tod des Königs zu rächen. Reinold floh mit seinem Bruder Adelhart zu dem Roß Beyart, und alle vier sprangen darauf. Dann gab Reinold dem Roß Beyart die Sporen und rief dem Pferd zu: »Du mußt uns heute aus der Not helfen!« Diese Worte verstand Beyart und schlug und zerriß alles, was es erreichen konnte, so daß die Brüder den Söldnern des Königs entrannen. Als sie einen sicheren Ort erreicht hatten, verbanden sie sich gegenseitig ihre Wunden.

Dabei meinte Adelhart: »Ich weiß nicht, Bruder, wo wir uns hinwenden sollen, damit wir unseres Lebens sicher sind.« Ratlos nickte Reinold.

Da ließ sich Writsart vernehmen: »Das wäre doch sonderbar! Soll es in der ganzen Welt keinen Platz mehr für uns geben?«

Rittsart aber sagte lächelnd: »Wenn ihr nicht wißt, wo wir bleiben können, so weiß ich einen Aufenthalt!«

»Wo denn, Bruder?« fragte Reinold.

»In Tarragona beim König Yvo«, erwiderte Rittsart; »der ist dem König Saforet todfeind; denn dieser erschlug Yvos Vater und auch zwei seiner Brüder und verwüstete sein ganzes Land!«

»Ja«, stimmte Reinold zu, »dort werden wir willkommen sein. Wir wollen dem König Yvo Saforets Haupt überreichen, das wird ihn günstig stimmen.«

Als dem König von Frankreich zu Ohren kam, daß Reinold mit seinen Brüdern in Tarragona bei dem König Yvo sei, schickte er einen Gesandten zu Yvo mit dem freundlichen Ersuchen, er möge ihm die vier Brüder ausliefern; denn sie hätten seinen Sohn Ludwig erschlagen. König Yvo berief sogleich heimlich seine Räte und setzte ihnen den Wunsch König Karls auseinander. Als erster erklärte der Herzog von Ripemont: »Gnädigster Herr, ich habe schon früher gehört, daß sich die vier Brüder gegen den König von Frankreich aufgelehnt und ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen haben. Damit nun Eure Majestät nicht in des Königs von Frankreich Ungnade falle, halte ich es für ratsam, daß man sie ausliefere!« Ebenso riet auch Herr Andell.

Herr Hugo von Averna dagegen schalt zornig: »Das ist ein schändlicher Rat; wenn Eure Majestät das tut und sie dem König von Frankreich überliefert, so wird man Euch immerwährend einen Verräter nennen. Es wäre nicht klug gehandelt; denn sie haben manchen Heiden erlegt und Euch im ganzen Heidenland berühmt gemacht.«

Darauf fragte der König einen anderen Edelmann, namens Isoret, was er dazu sage. »Gnädiger Herr und König«, antwortete dieser, »es wäre Eurer Ehre zuwider, die vier Ritter nach Frankreich zu schicken, damit sie dort ums Leben kämen. Wenn Ihr König Karls Ungnade fürchtet, so laßt sie in ein anderes Land ziehen, wo sie vor ihm sicher sind.«

Dem König gefiel dieser Gedanke am besten; aber es tat ihm leid, Reinold und seine Brüder entlassen zu müssen, weil sie ihm so treue Dienste geleistet hatten. Da schlug Herr von Averna vor: »So gebt doch Graf Reinold Eure Tochter Klarissa zur Gemahlin und dazu ein ansehnliches Schloß. Er würde seine Sache gegen König Karl schon selbst vertreten, denn er ist von so gewaltigem Geschlecht, daß er dessen Macht nicht zu fürchten braucht; dann kann Eure Majestät in Ruhe leben.« Dieser Rat schien König Yvo gut, und er ließ die Brüder zu sich rufen.

»Hier habe ich ein Schreiben vom König Karl aus Frankreich«, begann König Yvo, als die vier Helden vor ihm standen, »worin der König wünscht, daß ich euch ihm ausliefern soll. Aber das tue ich nicht; ich will kein Verräter sein. Wenn ihr nach Polen oder nach Kalabrien oder anderswohin ziehen wollt, so will ich euch reich beschenkt entlassen.«

Da antwortete Reinold: »Allergnädigster Herr und König, schenkt mir jenen Felsen dort, ich will mir darauf eine starke Festung bauen, so daß ich den König Karl mit all seiner Macht nicht zu fürchten brauche.« König Yvo erwiderte: »Reinold, wenn ich dir diesen Felsen gebe und du eine Festung darauf erbaust, so beherrschst du mein ganzes Königreich!«

»Ach nein, gnädiger Herr«, verwahrte sich Reinold, »das will ich nicht tun, sondern ich gelobe Euch, wenn Euch jemand angreift, will ich Euch verteidigen, als ob Ihr unser Vater wäret.« Darauf erklärte der König: »Ich will es mir überlegen und dir dann die Antwort geben.«

Nachdem König Yvo den Vorschlag mit seinen Edlen eingehend besprochen hatte, ließ er Reinold vor sich kommen und sagte: »Reinold, mein lieber Sohn, wenn du und deine Brüder mir treu dienen wollen, will ich dir meine Tochter zur Gemahlin geben, dazu die Steinklippe und die Hälfte meiner Güter; du magst dir darauf ein Kastell bauen lassen, so stark und fest du willst, damit du vor König Karl sicher bist; er kann dir auf dieser Burg nicht an, und läge er hundert Jahre davor.«

Reinold dankte dem König, und bald darauf hielt er die Hochzeit. Nach dem Hochzeitsfest wurde sogleich mit dem Bau des Kastells begonnen. Man nahm lauter weißen Marmor dazu. Reinold nannte es Montalban oder Weißenstein.

Einige Zeit darauf unternahm König Karl mit seinem Neffen Roland und andern Rittern einen Zug nach St. Jakob in Spanien. Als sie durch König Yvos Land reisten, kamen sie an dem gewaltigen Kastell vorüber. Karl sah, daß es fast unüberwindlich war. Er fragte, wem es gehöre. Roland erkundigte sich bei einem Bauern und erfuhr, daß Reinold und seine Brüder darin säßen. Er eilte zum König zurück und meldete ihm dies. Voll Zorn gebot der König seinem Neffen, Graf Reinold zu sagen, daß er ihm das Kastell sowie seine Brüder ausliefern solle; in diesem Fall werde er ihnen alle Missetaten verzeihen. Wenn er sich aber weigere, werde es ihm übel ergehen. »Dann will ich«, schloß er, »mit meiner ganzen Macht kommen, das Land vernichten und ihn samt seinen Brüdern töten lassen.«

Roland ritt nach Montalban und richtete seinen Auftrag aus. Reinold aber erwiderte: »Ich gebe König Karl nicht eine Kirsche, mag er auch sieben Jahre in meinem Land liegen.« Als der König Reinolds Antwort erfuhr, schickte er König Yvo einen zornigen Brief, worin er ihm seine Freundschaft kündigte, weil Yvo Karls Feinde in seinem Land beherberge. Sobald er dann wieder nach Frankreich zurückgekehrt war, versammelte er eine Kriegerschar, zog in Reinolds Land und belagerte Montalban. Ein ganzes Jahr lag er im Land, verheerte weite Gebiete, hatte aber so große Verluste, daß er zuletzt abziehen mußte.

Nun herrschte wieder Frieden im Land. Eines Tages rief Reinold seine Brüder zu sich und sagte: »Liebe Brüder, es sind nun sieben Jahre her, daß wir unsere Mutter nicht gesehen haben; mein Herz sehnt sich nach ihr.« Da erwiderte Adelhart: »Bruder, du weißt wohl, daß unsere Eltern haben schwören müssen, daß sie uns alle vier dem König Karl ausliefern wollen!« Reinold aber meinte: »Das war ein gezwungener Eid. Es gehe, wie es wolle, ich muß meine Eltern sehen. Wir wollen im Wald auf die Pilger warten und sie bitten, daß sie mit uns die Kleider vertauschen. Dann gehen wir als Pilger durch das feindliche Land zu unsern Eltern.« Dieser Rat gefiel den Brüdern. Sie begaben sich in den Wald, wo sie nach einiger Zeit mit vier Pilgern die Kleider wechselten. Diese gingen zwar nicht gerade gern auf den Tausch ein, wagten sich aber den drohenden Worten Reinolds nicht zu widersetzen. Als Pilger verkleidet machten sich die Brüder nun zu Fuß auf den Weg nach Pierlamont. Sie fanden das Tor verschlossen. Da klopften sie an; der Torhüter kam und fragte, wer sie wären und was sie begehrten. Reinold entgegnete: »Lieber Freund, wir sind arme Pilger und kommen von Rom. Wir haben Hunger und Durst; deshalb bitten wir, gebt uns zu essen und laßt uns ausruhen!« Der Torhüter gab zur Antwort: »Ich darf euch nicht einlassen.« – »Warum?« fragte Reinold. »Das will ich euch sagen«, erwiderte jener; »weil unsere vier Söhne gefangen sein sollen, nämlich Rittsart, Writsart, Adelhart und Reinold. Aber ich sage Euch, Freund, Ihr seht Reinold ganz ähnlich, und wenn Euer Bart nicht so lang wäre, würde ich Euch für den stolzen Reinold halten!« Da entgegnete dieser: »Freund, ich bitte Euch um Gottes willen, laßt uns ein! Gott wolle die Brüder aus der Hand König Karls retten, falls er sie gefangen hat; sind sie aber anderswo, so wolle sie Gott beschützen!«

Die Worte Reinolds gefielen dem Pförtner, er öffnete das Tor, und sie traten ein und fanden ihre Mutter im Saal sitzen. Sie grüßten sie ehrerbietig. Dann begann Reinold: »Wir kommen von Rom und von St. Jakob in Spanien; wir haben noch niemals solchen Hunger gehabt wie heute; darum gebt uns etwas zu essen, damit Ihr des Segens unserer Pilgerfahrt teilhaftig werdet.« Frau Aya brachte ihnen zu essen und zu trinken. Als sie satt waren, sprach Reinold: »Gebt mir noch einen Trunk Wein, dann will ich König Karl, meinen Vetter, nicht mehr fürchten.« Als Frau Aya diese Worte Reinolds hörte, fiel sie ihm voll Freude um den Hals. Das sah einer der Edlen an ihrem Hof, der König Karl günstig gesinnt war; der sprach zu der Fürstin: »Ich sehe wohl, daß es Reinold, Euer Sohn, und seine Brüder sind, die seinerzeit König Ludwig erschlagen haben. Nun ermahne ich Euch, kommt Eurem Eid nach; laßt sie gefangennehmen und schickt sie König Karl von Frankreich. Wenn Ihr das nicht tut, will ich zum König reiten und ihm anzeigen, daß Ihr Eure Kinder, wider Eurem Versprechen, heimlich an Eurem Hof behaltet!«

Erzürnt rief Frau Aya: »Du Treuloser, willst du mein Verräter sein, obwohl du so lang mein Brot gegessen hast? Und wenn mein Bruder noch tausendmal mehr über mich erbittert wäre und ich ihm noch einen Eid schwören müßte, so wollte ich ihm meine Kinder doch nicht schicken, damit er sie töte!« Als der Ritter sah, daß er bei der Frau nichts ausrichtete, lief er zu Heymon, redete ebenso mit ihm und stieß noch mehr Drohworte aus, als er zuvor gegen die Frau gebraucht hatte. Da wurde Heymon zornig, ergriff einen Prügel und schlug den Verräter zu Boden; dann sagte er: »Du wirst dem König nichts mehr sagen!« Hierauf befahl er seinen Edelleuten, sie sollten sich waffnen und ihm seinen Sohn Reinold samt den Brüdern fangen helfen, damit er sie dem König Karl gemäß seinem Eid ausliefern könnte. Sie ergriffen ihre Waffen und gingen mit Heymon vor den Saal.

Als Adelhart das bemerkte, seufzte er und sprach: »Nun wolle uns der Herr und unsere Mutter beistehen; ich sehe meinen Vater kommen mit einer Menge Leute, um uns zu fangen!« Und zu seiner Mutter gewandt, bat er: »Mutter, wißt Ihr uns keinen Rat, wie wir unserm Vater entrinnen können? Reinold hat zuviel Wein getrunken und liegt im Schlaf!« Da entgegnete die Mutter: »Verwahrt die Tür, daß niemand zu euch kann!« Sie trugen Reinold in das Gemach und blieben mit gezogenem Schwert vor der Tür stehen.

Unterdessen kam Heymon mit seinen Leuten heran. Da rief ihnen Adelhart entgegen: »Ihr Herren, kommt mir nicht zu nah, oder ich wehre mich, so gut ich kann«, und schlug samt seinen Brüdern wuchtig auf sie ein. Dieser Streit währte zwei Tage lang, ohne daß Heymon etwas ausrichtete. Erst am dritten Tag erwachte Reinold aus seinem Schlaf. Da er sah, daß seine Brüder ermattet waren, hieß er sie zurücktreten, sprang unter ihre Bedränger und schlug so tapfer auf sie ein, daß viele ihr Leben lassen mußten.

»Ich sehe wohl, meine Kinder werden diesmal nicht gefangen«, seufzte Heymon, »denn Reinold ist tapferer als alle meine Leute. Er hat das beste Schwert, und wen er trifft, der ist verloren; darum laßt uns weichen!«

Als der König das hörte, ließ er eine Heerschar rüsten und zog nach Dordone, um Reinold samt seinen Brüdern gefangenzunehmen.

Von den Zinnen des Schlosses aus sah Reinold als erster, daß der König zur Belagerung des Kastells heranziehe und schon seine Sturmleitern anlegen ließ. Da eilte er zu seiner Mutter: »Hört, liebe Mutter, jetzt steht es übel; König Karl belagert uns, und wenn er uns in die Hände bekommt, müssen wir alle sterben! Gebt uns einen Rat!«

Frau Aya antwortete ihm: »Ziehe deine Pilgerkleider wieder an, dann will ich dich gern zum Tor hinauslassen.«

Reinold folgte seiner Mutter, verabschiedete sich von seinen Brüdern und machte sich wieder nach Montalban auf, wo er das Roß Beyart gelassen hatte.

Als Reinold dem König entronnen war, weinte die Mutter bitterlich und sprach zu Adelhart: »Ach, wie ist mir leid, meine Söhne, daß ihr in meinem Haus belagert werdet. Ich weiß keinen bessern Rat, als daß ihr euch demütigt und barfuß zum König geht; fallt ihm zu Füßen und bittet ihn um Gnade!« Die drei Brüder taten es und baten den König fußfällig, er solle ihnen ihre Missetat vergeben; sie wollten ihm ihr Leben lang mit Leib und Gut dienen. Da fragte der König nach Reinold. Die drei erklärten, sie wüßten nicht, wo er wäre. Nun befahl Karl, man solle ihnen Hände und Füße binden und sie gefangenlegen; er wolle sie so lang einkerkern, bis er auch Reinold dabei hätte, dann sollten sie alle sterben. Als Frau Aya dies hörte, fiel sie vor dem König nieder und bat, er solle ihre Söhne freilassen.

Reinold, der schon zu Montalban weilte, vernahm mit wildem Grimm von der Gefangennahme seiner Brüder. Sogleich ließ er sich seine Rüstung reichen, bestieg sein Roß Beyart und ritt nach Paris. Er dachte, man habe seine Brüder dorthin geführt, um sie zu henken; dann würde er Leib und Leben für sie eingesetzt haben. Plötzlich kam ein Jüngling dahergelaufen, den fragte Reinold, ob er gegen gute Belohnung eine Botschaft an König Karl von Frankreich ausrichten wolle; aber er müsse vom König sicheres Geleit begehren.

Der Jüngling erwiderte: »Ich will die Botschaft gern besorgen; denn ich bin Euer Diener.« Nun trug ihm Reinold folgendes auf: »Du sollst dem König öffentlich sagen, ich lasse ihn bitten, daß er meiner Brüder Leben verschone. Ich will ihm auch willig zu Füßen fallen und ihn um Verzeihung bitten. Dazu will ich ihm seinen Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen und ein goldenes Standbild machen lassen, so groß, als Ludwig gewesen ist, auch will ich eine Kirche erbauen zu Ehren Marias, der Mutter unseres Herrn. Außerdem will ich ihm mein Roß Beyart samt meinem Kastell Montalban zu eigen geben, wenn er nur mich und meine Brüder in Gnaden annimmt. Und wenn er mir den Aufenthalt in seinem Königreich verbietet, so will ich mit meinen Brüdern über See fahren, damit ich ihm aus den Augen komme. Wenn er aber unsere Dienste gebrauchen kann, so werden wir ihm allezeit willig dienen. Wenn sie dagegen der König hinrichten lassen wollte, so will ich meine ganze Macht darauf verwenden, sie zu befreien!«

Mit diesen Aufträgen eilte der Diener nach Paris, fiel vor König Karl demütig auf die Knie, brachte seine Botschaft vor, wie sie ihm Reinold aufgetragen hatte, und schloß mit den Worten: »Wenn aber Eure Majestät nicht Gnade erweisen will, so wird Reinold ins Land fallen, brennen und rauben, alle Kirchen und Klöster zerstören und alles Gold und Silber, das er darin findet, nehmen!« Da fragte der König: »Läßt mir mein Vetter Reinold nichts weiter sagen?« – »Ja, gnädiger Herr«, antwortete der Bote, »er sagte, wenn Eure Majestät durchaus nicht aufhören will zu zürnen, so wird er trachten, Euch in seine Hand zu bekommen und mit Euch umgehen, wie er es mit Ludwig getan hat.«

Mißmutig grollte der König: »Wahrhaftig, diese Botschaft ist mir nicht angenehm; ich hätte viel lieber etwas anderes gehört. Aber du bist klug, daß du vorher sicheres Geleit begehrt hast; denn wenn ich es nicht versprochen hätte, müßtest du auf der Stelle sterben.«

Nun fragte der König den Boten nochmals, ob er nichts mehr zu berichten hätte. Der antwortete: »Nein! Er läßt aber die zwölf Vornehmsten von Frankreich grüßen und empfiehlt dem Bischof Turpin, seine Brüder in Schutz zu nehmen, und bittet auch seine Verwandten und Freunde, für sie einzutreten. Und, gnädiger Herr und König, wenn sie hingerichtet werden sollen, so will er seine ganze Macht daran setzen, sie zu retten, und wenn es sein Leben kosten sollte.«

»Nun«, höhnte König Karl, »ich will sehen, wer so kühn sein wird, sich des Reinold anzunehmen; den will ich in drei Tagen henken lassen.«

Als der Diener diese Worte des Königs hörte, ging er traurig zu Roland und fragte ihn, ob er mit Reinold verwandt sei. Roland gab zur Antwort: »Ja, ich will ihn nicht verleugnen; er ist mein Vetter!« Der Jüngling aber entgegnete: »Das ist recht; wenn Ihr den jungen Helden verleugnet hättet, wärt Ihr von meiner Hand gestorben.« Er fragte hernach Bischof Turpin, ob Reinold mit ihm verwandt sei. Der Bischof erklärte: »Richtig, ich will immer sein Freund bleiben.«

Den Diener aber fragte der König: »Wann habt Ihr denn Reinold zum letztenmal gesehen?« Der Diener antwortete: »Herr und König, wenn ich die Wahrheit bekenne, so bin ich gestern bei ihm gewesen.« Der König forschte weiter: »Willst du mir sagen, wo Reinold jetzt ist? Ich will dir tausend Goldgulden schenken und dich vor aller Gefahr und vor seinen Verwandten schützen.« Aber der Bote wies dieses Ansinnen zurück: »Das will ich nicht tun, und wenn Eure Majestät mir noch ungezählte Gulden mehr geben wollte. Soll ich meinen eigenen Herrn verraten? Und das sollt Ihr wissen: Wenn ich bei Reinold wäre und Eure Majestät wollte ihn gefangennehmen, ich würde ihm mit ganzer Kraft beistehen!« Da zürnte der König: »Wenn ich dir nicht freies Geleit zugesagt hätte, wollte ich dich um dieser vermessenen Worte willen zur Rede stellen.«

Da der Bote länger als erwartet ausblieb, wurde Reinold unruhig und meinte, der König habe ihn gefangennehmen lassen. Die Sorge machte ihn so müde, daß ihn der Schlaf überfiel. Er ritt deshalb in den Wald, stieg vom Pferd und band es fest. Dann legte er sich auf seinen Schild und schlief ein. Indessen bekam das Roß Hunger, es zerrte so lange am Zügelzeug, bis es loskam, und trabte aus dem Wald hinaus, um zu weiden.

Währenddessen kamen mehrere Bauernknechte auf die Wiese, um Futter zu holen. Als sie das Roß auf der Weide wahrnahmen, sagten sie zueinander: »Ist das nicht das Roß Beyart, auf dem Reinold geritten ist, der unsern König Ludwig erschlagen hat? Wir wollen es sogleich fangen und unserm König Karl bringen, der wird uns unsere Mühe wohl belohnen.« Sie fingen tatsächlich das Roß und überbrachten es dem König nach Paris. Als die reisigen Männer das Roß Beyart sahen, gab es ein solches Geschrei, daß König Karl mit seinem Vetter Roland aus dem Palast trat, um zu sehen, was es gäbe. In diesem Augenblick kamen die Bauernknechte, brachten das Roß Beyart und übergaben es dem König. Dieser nahm das Geschenk freundlich an und befahl, man solle den Knechten Essen und Trinken und dazu ein reiches Geschenk geben; denn er schätzte das Roß so hoch, daß es nicht mit Gold zu bezahlen wäre. Darnach schenkte er das Pferd seinem Vetter Roland. Dieser dankte höflich dafür, dachte jedoch: »Ich wollte, daß es mein Vetter Reinold wieder hätte und die Diebe alle gehängt wären, die es ihm gestohlen haben.«

Nachdem die Knechte gegessen hatten, ließ sie der König zu sich kommen und fragte sie, wo sie das Pferd gefangen hätten. »Gnädigster Herr«, erwiderten sie, »wir haben es bei Vordel im Wald gefunden, da weidete es im Gras.« Als Karl noch wissen wollte, ob sie Reinold nicht auch gesehen hätten, erklärten sie, sie hätten nichts von ihm gehört.

Inzwischen war Reinold wieder erwacht und sah sich vergebens nach seinem Roß Beyart um. Wie von Sinnen verwünschte er sich selbst, sein Unglück, ja die Stunde seiner Geburt, riß schließlich seinen Harnisch und seine Sporen ab und schrie: »Was soll das alles, wo ich mein Roß Beyart verloren habe!«

Während er sich seinem Schmerz hingab, trat ein Mann aus der Hecke, der sich durch die Macht der Schwarzkunst in eine andere Gestalt verwandeln konnte: jetzt jung, bald alt, bald krumm oder wohlgestalt. Wenn er wollte, war er so häßlich, daß man sich vor ihm fürchtete, hatte einen langen Bart bis auf die Brust, Augenbrauen, die ihm in die Augen hingen, schien auch über zweihundert Jahre alt zu sein und ging an einem Stock. Dieser Mann trat zu Reinold und bot ihm einen guten Tag. Reinold dankte und erwiderte: »Ich habe keinen guten Tag gehabt, solang ich lebe.« Da sagte der Zauberer – es war Reinolds Vetter Malegys, den er aber nicht erkannte: »Herr Reinold, Ihr müßt nicht verzweifeln, Gott wird alles zum besten wenden.«

»Ja, Freund«, erwiderte Reinold, »mein Leid ist unaussprechlich; ich wollte lieber tot sein, als länger in solchem Elend bleiben.« Darauf sagte Malegys: »Herr, ich bin ein armer Mann; wenn Ihr mir etwas geben könnt, so will ich Euer und Eurer Brüder in meinem Gebet gedenken.« Reinold aber versicherte: »Ich habe nichts, was ich Euch geben könnte.« Da fielen ihm seine Sporen ein, die von echtem Gold waren. Die gab er dem Pilger und sagte: »Seht, da habt Ihr die Sporen, das ist das erste Geschenk, das mir meine Mutter Aya gab, als mich mein Vater, Graf Heymon, zum Ritter schlug. Gott schenk' ihr langes Leben! Auf die Sporen erhaltet Ihr gewiß zehn Pfund.«

Malegys nahm die Sporen und dankte mit den Worten: »Herr, ich bitte, habt Ihr nicht noch etwas, das Ihr mir geben könnt? Ich will um so mehr für Euch beten!« Da meinte Reinold unwillig: »Treibt Ihr Spott mit mir? Ich sage Euch doch, daß ich nichts habe.« Malegys aber bat: »Herr, gebt mir noch etwas, dann will ich Gott bitten, daß er Eure Brüder aus dem Gefängnis und Euch von Eurem Leid errette!« Als Reinold das hörte, gab er ihm seinen Nachtrock und erklärte: »Pilger, da könnt Ihr lang davon zehren; den gebe ich Euch um Gottes willen, daß er meine Brüder behüten wolle vor dem schmählichen Henkerstod, daß mir kein Leid widerfahre und ich der Gewalt König Karls entfliehen möge.«

Auf diese Worte nahm Malegys den Nachtrock, schlug ihn zusammen und steckte ihn in einen Sack. Dann bat er Reinold noch einmal: »Herr, habt Ihr nicht noch etwas zu geben? Ich bitte, schenkt es mir, ich will es in meinem Gebet wieder erstatten.« Als Reinold dies hörte, rief er zornig: »Du Wicht, spottest du meiner? Hab' ich dir nicht genug gegeben?« Er zog sein Schwert und schlug nach ihm. Malegys aber hielt den Schlag mit seinem Stab ab und sprach: »Schlagt mich nicht mehr, ich werde mich wehren!« – »Du wolltest dich wehren?« höhnte Reinold; »ich sage dir, wenn deiner Helfer so viel da als Bäume im Wald wären, würde ich es mit euch aufnehmen.« Doch Malegys warnte: »Reinold, ich sage Euch, Ihr wißt nicht, was ich kann, und wenn ihr mich mehr schlagt, so wird es Euch gereuen!«

Wutentbrannt schlug Reinold wieder nach Malegys; aber der wehrte den Streich abermals ab, kraft seiner Kunst verwandelte er sich in einen Jüngling von zwanzig Jahren. Darüber erschrak Reinold und dachte: »Was wird das wieder werden? Ein Unglück kommt nach dem anderen; meine Brüder sind gefangen, mein Roß ist dahin, König Karl will mich henken; jetzt kommt gar der Teufel und treibt seinen Spott mit mir.« Dabei zog er sein Schwert, schlug wieder nach Malegys und meinte, ihn totzuschlagen. Malegys aber wich dem Streich aus und rief mit heller Stimme: »Vetter Reinold, kennt Ihr mich nicht?« Reinold gab zurück: »Nein, wer seid Ihr denn?« Da sagte Malegys: »Ich bin Euer Vetter Malegys.« Als Reinold das hörte, rief er erleichtert aus: »Gott sei Dank! Vetter, Ihr seid meine einzige Hoffnung. Nehmt es mir nicht übel, daß ich Euch nicht erkannt habe. Ich bitte Euch, helft doch meinen Brüdern aus dem Gefängnis. Ich habe mein Roß verloren und kann ihnen nicht mehr beistehen!« Malegys erwiderte: »Hört, Vetter Reinold, was ich tun will: Ich will Euch mit meiner Kunst das Roß wieder verschaffen, aber Ihr müßt tun, was ich Euch befehle.«

Reinold atmete auf. »Vetter«, rief er, »ich will alles tun, was Ihr gebietet, und wenn es mein Tod wäre.« Malegys nahm nun einen Frauenmantel, gab ihn Reinold, damit er ihn über den Harnisch ziehe, dazu einen Hut, der voll Löcher war, und ein Paar alte Hosen, die er anziehen solle. Er selbst hängte auch einen Frauenmantel um, setzte einen alten Hut auf und verwandelte Reinold mit Hilfe seiner Kunst in die Gestalt eines uralten Mannes. Wer die beiden sah, der hätte sie für die zwei ärmsten Pilger gehalten. So gingen sie bis zu einem Wald und setzten sich dort in eine Hütte. Bald darauf kamen vier Mönche daher. Da sagte Malegys zu Reinold: »Wartet, ich will den Mönchen entgegengehen, denn ich will mit ihnen reden.«

Als Malegys zu den Geistlichen kam, grüßte er sie demütig und fragte, was sie Neues wüßten. Die Klosterbrüder erklärten, sie hätten gehört, am nächsten Sonntag werde Roland zu Paris den Frauen zu Gefallen das Roß Beyart reiten und hernach werde der König Gericht halten über Heymons Kinder und sie zu Paris henken lassen. Da sprach der Pilger: »Herr, ich sage Euch, sie können noch immer gerettet werden!« Der Mönch aber meinte: »Sie leben noch, aber sie werden dem Tod nicht entrinnen, den sie verdienen. Auch will Karl über Reinold noch Gericht halten und hat uns befohlen, den Missetäter in den Bann zu tun. Niemand soll ihn beherbergen noch ihm Essen und Trank geben; wenn sich aber jemand unterstünde, das zu tun, sollen wir ihn auch bannen.«

Als der Pilger die Mönche so reden hörte, dachte er aufgebracht: »Diese vier Schwarzen gehören erschlagen!«

Am Sonntagmorgen kamen Reinold und Malegys zur Brücke von Paris und sahen da eine Scheuer stehen, in der Stroh lagerte. Davon nahm Malegys einen Armvoll, trug es auf die Brücke und sagte: »Reinold, ich weiß, daß dir das Stehen schwer ankommt, denn du bist weit gegangen. Strecke dich auf das Stroh hin und ruhe dich aus!«

Bald darauf hatte Malegys auf einmal eine goldene Schüssel in der Hand, mit Edelsteinen geschmückt, hell wie die Sonne. In diese zauberte er einen wunderbaren Trank, der die Kraft hatte, daß jeder, der den Trank genoß, in allem dem Malegys gehorsam sein mußte. Darauf gab er Reinold seine goldenen Sporen zurück und sagte: »Vetter, bindet Eure Sporen wieder an Eure Füße!« Da fragte Reinold: »Was sollen mir die Sporen, da ich doch mein Roß Beyart nicht habe?«

»Vetter Reinold«, drängte Malegys, »legt sie an; ich will Euch das Roß mit meiner Kunst wieder zur Stelle bringen.«

Unterdessen kamen die Herren vom Hof mit großem Gefolge; viele Leute standen herum und besahen die Ritterschaft.

Als König Karl auf die Brücke kam, sah er Malegys und Reinold und zwischen ihnen eine schöne goldene Schüssel. Da sagte er zu Roland: »Seht, Vetter, da zwischen den zwei Pilgern steht eine wunderbare goldene Schüssel; sie mag wohl mehr als tausend Dukaten wert sein.« – »Das ist wahr«, erwiderte Roland; »wir wollen fragen, wo sie die Schüssel her haben.«

Die beiden ritten also zu dem Pilger, Beyart aber führte man vor ihnen her. Das Roß schnaubte den Pilger an, erkannte Reinold und erwies sich sehr freundlich. Der König aber wandte sich an Malegys: »Freund, woher habt Ihr die schöne Schüssel?« Malegys antwortete: »Mein Herr, das Geld, das ich dafür gegeben habe, habe ich vor elf Jahren in Kirchen und Klöstern zusammengebettelt. Dann hab' ich die Schale weihen lassen; sie heißt der Heilige Gral; jeder, der daraus trinkt, wird alle seine schweren Sünden los, auch wenn er bis über die Ohren darin steckte gleich Maria Magdalena, als sie die Füße unseres Herrn mit ihren Tränen benetzte und mit ihrem Haar trocknete.«

»Vetter Roland«, rief der König, »das sind gewiß zwei von Gott gesandte Engel, denn das stumme unverständige Roß erweist ihnen Ehre!« Indes schwang Malegys seinen Stock und schlug das Roß Beyart, daß es einen Sprung tat. Der König fragte den Pilger: »Warum schlagt Ihr das Roß?« Malegys antwortete: »Es kam uns zu nah, und wenn ich's nicht geschlagen hätte, hätte es meinem Gesellen ein Leid getan; ich bitte deshalb, führt es ein wenig zur Seite, denn wir fürchten uns davor.« Da ließ der König das Roß Beyart auf die Seite führen und verlangte, daß Malegys ihm einen Trunk aus der Schüssel gebe, damit er von seinen Sünden frei werde. Er bot ihm dafür einen goldenen Pfennig. Darauf antwortete Malegys: »Gnädigster Herr und König, das darf ich nicht tun, außer wenn Ihr allen denen verzeiht, die Euch jemals erzürnten.« Der König entgegnete: »Freund, Reinold hat mir soviel Übles angetan, daß ich's ihm nicht vergeben kann. Und dann ist noch ein Mann namens Malegys, ein Schwarzkünstler, den kann ich noch viel weniger leiden. Ich wollte, ich hätte sie beide gefangen, ich ließe sie vernichten.« Nun verlangte der König abermals einen Trunk aus der Schüssel. Malegys aber erwiderte: »Herr König, hier liegt mein armer Bruder, der seit fünfzig Tagen weder gesehen, gehört, noch geredet hat; wenn er auf dem Roß Beyart reiten könnte, würde ihn das von all seinem Elend befreien.« Da sagte der König: »Freund, Ihr seid zur rechten Stunde hierhergekommen; denn Beyart wird hier geritten werden. Aber ich bitte Euch noch einmal, gebt mir einen Schluck aus der Schüssel, dann will ich Euern Gesellen das Roß Beyart reiten lassen.«

»Herr König«, erklärte Malegys, »es soll geschehen, aber laßt auch die Knechte, die da hinten stehen, einen Löffel voll nehmen.« Der König befahl, daß die Knechte vor ihm einen Trunk nehmen sollten. Darnach trank auch der König.

Als dies geschehen war, ließ der König das Roß Beyart an den Ort führen, wo Roland es reiten sollte. Unterwegs sagte der König zu Roland: »Lieber Vetter, ich bitte, laßt diesen kranken Pilger auf Euer Roß sitzen, damit er durch Gottes Hilfe gesund werde; Ihr verdient Gottes Lohn daran!« Roland erwiderte: »Ja, gnädigster Herr König, das will ich gern tun.« Er nahm den Pilger und hob ihn auf das Roß.

Sobald Reinold auf dem Beyart saß, setzte er seine Füße in die Steigbügel und sprach zu den Knechten, die das Pferd am Zügel führten: »Ich möchte gern einmal allein reiten!« Als Malegys hörte, daß sein Geselle wieder reden konnte, fragte er ihn, ob er auch sehen und hören könne? »Ja«, erwiderte dieser, »ich bin von allen meinen Krankheiten geheilt.«

Unterdessen merkte Reinold, daß man nicht besonders auf ihn achte, und stieß dem Roß die Sporen in die Weichen. Als dieses spürte, daß sein Herr wieder auf ihm saß, stürmte es mit ihm davon. Malegys tat sehr erschrocken, raufte sich die Haare und rief: »O gnädiger Herr König, mein Geselle wird sich den Hals brechen!«

Der König befahl eilig, man solle das Roß mit dem Pilger einholen und ihm helfen. Da ritten sie alle dem vermeintlichen Pilger nach, Roland und Ogier an der Spitze. Reinold sah sich öfter um und dachte: »Ach, wenn ich nur wüßte, ob mir meine Verwandten in böser Absicht folgen; aber es ist wohl besser, ich setze mich zur Wehr.« Daher zog er sein Schwert und wartete, bis sie in seine Nähe kamen, dann rief er ihnen zu: »Sagt, ihr Herren, habt ihr mir den Tod geschworen?«

Sie wußten nicht, daß es Reinold sei und waren aufs höchste erstaunt, als dieser sich zu erkennen gab. Alle versicherten ihm, daß sie ihm durchaus nicht feindlich gesinnt seien. Darnach bat Reinold den Bischof Turpin und die andern Herren, sie sollten seine Brüder, die noch in des Königs Hand seien, in ihren Schutz nehmen und nicht zulassen, daß sie zur Richtstätte geführt würden. Als sie dies zusagten, verabschiedete sich Reinold und ritt nach Montalban. Die Herren aber kehrten zum König zurück und meldeten ihm, daß sie das Roß Beyart nicht hätten einholen können. Darauf ließ der König die Knechte, denen das Pferd anvertraut war, auf der Stelle in Haft nehmen.

Bald darauf kam Malegys wieder nach Paris, um Reinolds Brüder zu retten; er bewirkte, daß die Fallbrücke vor dem Gefängnis niederging und das Tor sich öffnete; die Schlösser des Turms sprangen auf, und er betrat ungehindert das Verlies. Dort nahm er Adelhart, Rittsart und Writsart bei der Hand und löste ihnen die Fesseln. Die Brüder wußten nicht, daß es Malegys, ihr Vetter, war, sondern meinten, es wäre des Königs Diener, der sie heimlich umbringen wolle. »Ach«, riefen sie, »nun ist es um unser Leben geschehen!« Malegys beruhigte sie: »Liebe Herren, erschreckt nicht; ich bin Malegys, euer Vetter, ich will euch aus dem Gefängnis befreien.«

Als die Brüder dies hörten, waren sie von Herzen froh. Malegys nahm sie bei der Hand und führte sie aus dem Gefängnis bis an die Brücke vor der Stadt Paris; hier sagte er: »Ich habe nicht recht getan, euch ohne Wissen des Königs aus dem Gefängnis zu führen; ich will zu ihm gehen und ihn um Erlaubnis bitten.«

Da sprach Adelhart: »Vetter, ich bitte Euch, laßt uns gehen; denn ich weiß, er wird Euch keine Erlaubnis geben.« Malegys aber kehrte um, ging bis vor des Königs Bett und redete den Schlafenden an: »Herr König, ich kann nicht unterlassen, Euch kundzutun, daß ich meine Vettern aus dem Gefängnis geholt und bis an die Brücke vor Paris gebracht habe! Nun bitte ich, gnädigster Herr König, Ihr wollt mir erlauben, sie wieder nach Montalban zu führen.« Der König antwortete im Schlaf: »Nehmt Eure Vettern und tut mit ihnen, was Ihr wollt!« Er sagte das, ohne zu wissen, was er sprach.

Zufrieden lächelnd sah sich Malegys nach des Königs Krone um und nahm sie samt Karls Schwert vor dessen Augen mit sich. Dann brachte er die drei Herren samt der Krone nach Montalban. Als Reinold seine Brüder sah, sprang er vor Freuden auf und dankte seinem Vetter herzlich.

Am nächsten Morgen wußte der König nicht, ob er das alles gesehen und gehört habe oder ob es ihm nur im Traum so vorgekommen sei. Er ging daher, sobald er sich angekleidet hatte, nach dem Gefängnis, um nachzusehen. Als er dahin kam, fand er den Arrest offen und die Gefangenen fort. Zornig kehrte er in sein Gemach zurück. Unterwegs kam ihm Roland entgegen und begrüßte ihn. Da sagte der König: »Liebster Vetter Roland, ich muß Euch mein Unglück klagen. Vergangene Nacht, als ich im Schlaf lag, kam der Betrüger Malegys zu mir, wenn ich recht gesehen habe, und erklärte mir, er hätte Reinolds Brüder aus dem Gefängnis befreit. Er bat mich um Erlaubnis, diese nach Montalban führen zu dürfen. Ich bewilligte ihm ihre Freilassung und sah auch, daß er meine königliche Krone samt dem Schwert an sich nahm; ich fürchte, ich werde all dies nimmer bekommen!« Roland antwortete: »Herr König, wenn Ihr Malegys die Bewilligung erteilt habt, warum nehmt Ihr es ihm nun übel?«

»Roland, höhnt mich nicht!« verbat sich der König und ging mißvergnügt in sein Gemach.

Da König Karl nicht wußte, ob er je wieder zu seiner Krone kommen werde, ließ er eine neue, viel schönere und kostbarere anfertigen; auch ein Pferd, das dem Roß Beyart glich, hätte er gern besessen.

Auf den Rat des Ritters Dunay setzte er die neuangefertigte Krone als Preis für den Sieger eines Wettrennens aus. Er hoffte dadurch zu erfahren, welches Pferd das beste im ganzen Königreich sei. Die Krone wollte er dem Sieger viermal mit Gold aufwiegen.

Das erfuhr auch Reinold von einem guten Freund, den er in Frankreich hatte; der kam in aller Eile zu Reinold nach Montalban und erzählte ihm des Königs Absicht. Reinold erwiderte: »Freund, wenn es meinem Vetter Malegys ratsam erscheint, will ich nach Paris reiten und das Kleinod gewinnen; denn ich weiß, es gibt kein Pferd, das meinem gleich ist im Laufen und Springen.« Malegys, von Reinold befragt, erklärte: »Reinold, zieht hin und nehmt Eure Brüder samt Euren Dienstmannen mit, damit Ihr besser geschützt seid. Ich selbst will auch mitreiten.«

Da ließ Reinold das Roß Beyart satteln, rüstete sich in aller Eile, und sie zogen aus. In Orleans hielten sie Mittagsrast. Nach der Mahlzeit gingen Malegys und Reinold in einen Garten, wo Kräuter und Blumen wuchsen; dort suchte Malegys etliche davon und stieß sie zusammen in einem Mörser; den Saft nahm er heraus und bestrich Reinolds ganzen Körper damit.

Dadurch veränderte Reinold die Farbe und sah viel jünger aus, als er war, so daß man ihn nicht erkennen konnte.

Darauf veränderte Malegys auch die Farbe für das Pferd Beyart; das Roß war früher ganz schwarz, jetzt wurde es so weiß wie Schnee. »Und nun«, erklärte Malegys, »wollen wir nach Paris reiten; denn jetzt kennt niemand Reinold und sein Roß, wie genau mancher es auch ansehen mag.«

Unterdessen hatte König Karl in Paris durch einen Verräter die Nachricht erhalten, daß Reinold mit seinen Brüdern auf dem Weg nach Paris sei. Sogleich erteilte er Folko von Morlin den Befehl, mit einem Heer von dreißigtausend Mann alle Straßen zu besetzen und Reinold samt seinen Brüdern gefangenzunehmen.

Während Folko seine Vorbereitungen traf, war Reinold mit seiner Schar bis auf vier Meilen an Paris herangekommen. Hier übergab er den Befehl seinem Bruder Adelhart, um mit Malegys nach Paris vorauszueilen. Vor der Stadt sagte Malegys zu Reinold: »Wenn man Euch etwas fragen wird, so antwortet auf bretonisch, und laßt Euch nicht merken, daß Ihr Französisch versteht.«

Plötzlich näherte sich Folko mit seiner Schar. Da meinte Reinold zu Malegys: »Vetter, was sollen wir tun? Wir wollen lieber umkehren, denn da kommt Folko von Morlin.« Darauf antwortete Malegys: »Reinold, Ihr habt keinen Mut mehr; reitet weiter und fürchtet Euch nicht, denn niemand kennt Euch und das Roß!«

Inzwischen ritt Folko mit dem Schwert in der Hand auf Reinold zu. Als er näher kam, meinte er, es wäre ein Knabe, und sah, daß er nicht gewappnet war. Da schämte er sich, senkte seine Waffe, nahm Reinold bei der Hand und fragte ihn: »Jüngling, wo kommst du her?« Reinold antwortete ihm auf bretonisch, Folko aber bat: »Rede französisch, denn ich verstehe dich sonst nicht – Jüngling«, setzte er hinzu, »ein so großes Pferd habe ich noch nie gesehen; es ist schier dem Roß Beyart gleich, das Reinold ritt, und wenn es ein Rappe wäre, so wäre ich sicher, es ist wirklich das Roß Beyart.« So ließ er Reinold weiterziehen.

Als der Ritter Dunay dann Folko fragte, ob es nicht Reinold gewesen sei, sagte Folko: »Nein, es war ein junger Mensch von vierzehn oder fünfzehn Jahren; er kommt aus der Bretagne!« Eilig ritt Dunay den beiden nach. Als er zu Reinold kam, nahm er seinen Zaum in die Hand und fragte ihn, wo er geboren sei. Reinold antwortete bescheiden: »In der Bretagne bin ich geboren.« Dunay forderte ihn auf: »Sprecht französisch, ich verstehe Euch sonst nicht.« Als er aber hörte, daß der Jüngling sonst keine Sprache reden konnte, meinte er: »Nun, so reitet denn weiter!«

Einige Zeit später fragte Dunay auch Malegys, woher der junge Held stamme. Malegys antwortete auf französisch: »Aus der Bretagne; er ist eines Grafen Sohn, der Land und Leute verloren hat.« – »Wie ist er denn zu dem Pferd gekommen?« erkundigte sich Dunay. »Das ist ein schönes, großes Roß, wie ich noch keines gesehen habe. Es gleicht im Wuchs dem Roß Beyart.«

»Kein Wunder«, erwiderte Malegys, »daß es so groß ist; es hat niemals etwas anderes gefressen als Korn und Brot, und das nur deshalb, weil der König hat verkünden lassen, er wolle seine Krone als Preis aussetzen für das beste Pferd. Darauf hat der Jüngling sein Pferd nur mit Korn und Brot füttern lassen; denn er hofft, die Krone zu gewinnen und den Preis davonzutragen.«

Nun fragte Dunay: »Habt ihr nichts von Reinold gehört?« – »Ich glaube, er ist noch hinter uns«, erwiderte Malegys kaltblütig. Dann verabschiedete er sich von dem Ritter Dunay und ritt Reinold nach. Dunay aber kehrte zu Folko von Morlin zurück und erklärte: »Ich glaube, wir warten vergeblich auf Reinold.« Folko teilte diese Ansicht und meinte, es wäre besser umzukehren. Unter solchen Gesprächen kehrten sie wieder nach Paris zurück.

Auf die Frage des Königs, ob sie Reinold erwischt hätten, erklärte der Ritter Dunay: »Nein, gnädigster Herr König, es wäre nicht klug gewesen, den stolzen Ritter Reinold dort zu erwarten. Ich will Eurer Majestät einen andern Rat geben: Laßt alle Tore der Stadt sperren und an jedes Tor drei oder vier Bewaffnete stellen. Wenn nun Reinold mit einigen Pferden kommt und herein will, könnte man ihn sogleich ergreifen und Eurer Majestät gefangen ausliefern!«

Der König befand den Rat für gut und befahl, ihn auszuführen; er ließ die Stadt Paris bewachen, um den Ritter Reinold zu fangen. Reinold und Malegys kamen schließlich an die Stadttore. Aber niemand machte ihnen auf. Malegys rief einen der Wächter an: »Freund, warum läßt der König alle Tore verschließen? Ich wundere mich sehr, daß alle Teilnehmer am Wettkampf hier draußen bleiben müssen. Oder meinte der König, daß er alle guten Pferde schon drinnen hat?«

Der Torposten erwiderte: »Meine Freunde, es ist nicht deshalb geschehen; es ist uns nur um den Ritter Reinold zu tun.« – »Um Reinold?« forschte Malegys; »ich habe gehört, er sei noch hinter uns.« Darauf öffnete man das Tor und ließ die Reiter hindurch.

Als sie durch die Straßen von Paris ritten, bewirkte Malegys durch seine Zauberei, daß Beyart ganz mager und unansehnlich wurde.

Dann ritten sie zum Kampfplatz, wo das Rennen vor sich gehen sollte, und erwarteten dort den König, der mit seinem Gefolge bald erschien. Als die versammelten Herren auch Reinold sahen, spöttelten sie: »Der Knabe wird das Kleinod gewinnen, und das Roß wird ihm der König abkaufen!« Darauf gab Reinold bescheiden zurück: »Spottet nicht, Freunde! Wer weiß, vielleicht gewinne ich doch die Krone mit meinem unansehnlichen Roß!« Dies hörte ein Bürger, der daneben stand, und lachte: »Freund, ich rate Euch, reitet wieder in die Stadt zurück und schaut Euch um eine Kuh um, die kann weit ausschreiten, so kommt Ihr eher zu der Krone!«

Indes befahl der König, man solle das Rennen anfangen. Da sprach Malegys zu Reinold: »Nun, Vetter, tut Euer Bestes! Ich will wieder durch Paris reiten und auf der andern Seite der Seine warten.« Während sie miteinander redeten, waren die andern Ritter bereits ein gutes Stück geritten.

Da ließ Reinold seinem Roß die Zügel schießen, und es flog dahin wie ein Pfeil, den man von der Sehne geschnellt, so daß es die andern Pferde leicht überholte und Reinold der erste am Ziel war. Er griff sofort nach der Krone, jagte über die Seine dahin und brachte so die Krone in Sicherheit. Als der König sah, daß Reinold mit der Krone fortritt, rief er ihm bestürzt nach: »Freund, zurück mit der Krone! Gebt sie mir wieder, ich will sie Euch viermal mit Gold bezahlen. Ich will Euch das Roß, mit dem Ihr die Krone gewonnen, abkaufen und Euch dafür geben, was immer Ihr von mir verlangt.« Aber Reinold rief zurück: »Herr König, dies Roß gehört mir, ich will es auch behalten. Wollt Ihr ein schönes Pferd haben, so seht, wo Ihr eins bekommt; ich weiß, Ihr findet keines, wenn Ihr die ganze Welt durchsuchen ließet, das Beyart gleich wäre. Ich künde Euch, Herr König, ich bin Reinold, und dies ist mein Roß Beyart. Die Krone aber will ich behalten und in Montalban zur ständigen Erinnerung an den stolzen Sieg aufbewahren; denn Kaufleute dürfen keine Krone tragen, es ist besser, mein Roß trägt sie! Mir scheint nämlich, Ihr wollt ein Roßtäuscher werden!« Dieser Hohn ärgerte den König, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel und bat: »Lieber Vetter, gebt mir die Krone, ich will Euch zum Rentmeister über alle meine Güter einsetzen. Adelhart soll Marschall, Rittsart Küchenchef und Writsart Truchseß sein!« Reinold aber entgegnete: »Herr König, Gott weiß, wenn wir Euch dienten, könnte es uns übel bekommen.«

Währenddessen kam Malegys mit seinem Pferd in vollem Lauf dahergesprengt und fragte Reinold: »Vetter, wie ist es mit der Krone, wer hat sie gewonnen, habt Ihr sie?« Reinold antwortete: »Ja, ich habe sie mir genommen, ich danke den Sieg Gott und Euch, Vetter Malegys!« Da sprang Malegys voll Freude vom Pferd und küßte Reinold samt Beyart. Als der König das sah, fragte er den Zauberer: »Seid Ihr es, Vetter Malegys, oder täusche ich mich? Ich bitte Euch, überredet meinen Vetter Reinold, mir die Krone zu lassen; ich will sie ihm vierfach bezahlen. Dazu will ich ihm vier Monate lang Frieden geben, damit er nach Dordone reisen und seine Mutter besuchen kann.« Doch Malegys rief lächelnd: »Herr König, kommt und holt Euch die Krone.« Dabei schwang er sich in den Sattel, Reinold bestieg seinen Beyart, und sie ritten zu Reinolds Brüdern, die begierig auf ihre Rückkehr und die Krone warteten. Dann zogen sie gemeinsam nach Montalban.

Eines Tages befand sich Olivier in einem Wald außerhalb von Paris auf der Jagd. Da begegnete er Malegys, nahm ihn gefangen und brachte ihn nach Paris vor den König, der sich über diese Jagdbeute sehr erfreut zeigte. »Malegys, du falscher Dieb«, sagte er spöttisch, »weißt du noch, daß du mir vor kurzem, als Rittsart hier gefangen war, fast meinen Daumen abgebissen hast? Du sollst heute noch hangen.«

»Herr König, laßt mich leben, nur bis morgen«, bat Malegys.

»Nein«, erwiderte der König, »du könntest mir entlaufen.« Malegys schwur: »Herr König, ich will Euch dafür Bürgen stellen.«

Der König fragte: »Wer will denn dein Bürge sein?«

»Gnädiger Herr«, fiel Graf Roland ein, »Eure Majestät braucht nicht zu sorgen; Olivier und ich wollen uns verbürgen, daß er nicht entweichen wird.«

Unterdessen wurde es Essenszeit, und der König setzte sich mit seinen Edlen zur Tafel.

Als Malegys die andern essen sah, sagte er zum König: »Gnädiger Herr König, alle Eure Herren haben sich zum Mahl gesetzt, aber ich bin vergessen worden; ich denke, ich setze mich zu Eurer Majestät.«

»Du ehrloser Schelm«, schalt der König erzürnt, »du wagst noch zu reden und sollst doch morgen hangen? Wenn ich an deiner Statt wäre, würde mir das Essen und Lachen vergehen!«

»Je nun«, meinte Malegys, »Herr König, heute abend bin ich noch frei; was morgen geschieht, das weiß ich nicht.«

»Malegys, schweigt«, mischte Roland sich ein, »kommt und eßt mit mir!«

»Das will ich tun«, antwortete Malegys; »ich will heute noch fröhlich sein und ein schönes Liedlein singen.« Damit setzte er sich zu Roland.

Sobald das erste Gericht auf die Tafel kam, fing Malegys an zu singen. Da rief der König: »Wie, Ihr habt noch Lust zu singen, obwohl Ihr morgen hangen sollt?«

»Herr König«, erwiderte Malegys, »Ihr habt noch keinen lustigern Menschen gesehen als mich, weil ich noch Zeit habe, bis morgen zu leben!« Der König aber höhnte ihn: »Du glaubst vielleicht, mit deinem Gesang dich vom Galgen zu erlösen; aber deine Hoffnung ist umsonst!« Dann ließ der König ihn in das Gefängnis führen und befahl, ihm fünf Zentner Eisen anzulegen.

Als Malegys sah, daß es dem König ernst war, schrie er: »Herr König, wenn Ihr mich nicht freilaßt, will ich Euch mit Gewalt entlaufen. Erlaßt meinen Bürgen die Bürgschaft!« Der König aber erwiderte: »Ich brauche die Bürgschaft nicht; du wirst mir nicht entlaufen.«

»Ich will mich losmachen, ehe es Mitternacht ist!« beteuerte Malegys.

»Du aufgeblasener Wicht«, entgegnete der König, »wie wolltest du das zuwege bringen? Du bist fest genug geschlossen und trägst schweres Eisen am Leib; auch will ich das Gefängnis durch Diener bewachen lassen!«

Aber um Mitternacht gebrauchte Malegys seine Kunst, daß alle Schlösser abfielen und das Tor des Gefängnisses sich öffnete. Die Wächter sanken in Schlaf, und er nahm ihnen ihre Waffen. Dann ging er in des Königs Schlafgemach, schleppte Silbergeschirr mit sich, soviel er tragen konnte, und begab sich damit nach Montalban.

Am nächsten Morgen eilte König Karl in das Gefängnis, um Malegys richten zu lassen. Als er vor das Tor kam, fand er es offen, die Wächter alle schlafend liegen und die Stätte leer. Unmutig rief er: »Roland, steh auf, Malegys ist entkommen.« Nachdem der König schreiend die Wache zur Rede stellte, wurden alle wach und wollten nach ihren Schwertern greifen, siehe – da waren aber alle Waffen weg. Als König Karl dies sah, schalt er sie heftig, daß sie nicht besser Wache gehalten hatten. Ogier aber meinte: »Herr König, wenn Ihr ihn auch bis zum Galgen gebracht hättet, so entkäme er doch und nähme mit sich, was ihm gefiele.« Da schwur Karl, der Täter solle ihm nicht mehr entgehen, und wenn er schon zu Montalban wäre.

König Karl zog nun mit einer großen Kriegerschar nach Montalban, um die Burg zu belagern.

Die Herren aber verabredeten, dem König Vorstellungen zu machen, mit Reinold Frieden zu schließen, und Bischof Turpin fing an: »Gnädiger Herr König! Ihr wißt, daß Montalban eine feste Burg ist und die Belagerten nichts zu fürchten haben. Deshalb bitten wir, Eure Majestät wolle Reinold und seine Brüder in Gnaden aufnehmen und Frieden mit ihnen schließen. Was hilft es Euch, wenn das ganze Land mit Stadt und Burg zugrunde geht? Es wäre besser, Ihr ließet Eure Feinde mit uns gegen die Heiden ziehen.« König Karl aber wollte davon nichts wissen. »Nein«, rief er zornig, »ich will sie fragen lassen, ob sie das Kastell Montalban übergeben und sich gefangennehmen lassen wollen!« Da fragte der Bischof: »Herr König, welcher Bote soll diesen Befehl ausführen?«

»Roland«, erklärte der König, »ich weiß keinen Bessern als Euch. Geht zu Reinold und sagt ihm, wenn er mir das Kastell zu Montalban nicht übergeben will, so werde ich in seinem Land keinen Stein auf dem andern lassen.«

Dem Befehl gehorchend, zog Roland nach Montalban und wurde zu Reinold geführt. »Vetter Reinold«, begann er, »König Karl schickt mich, Euch aufzufordern, daß Ihr ihm das Kastell Montalban übergeben und mit allen, die in Montalban sind, zu ihm kommen sollt, barfuß und einen Strick um den Hals. Wenn Ihr das nicht tut, will er Euer Land verheeren, und wenn er Euch und Eure Brüder ergreifen kann, will er Euch aufhängen lassen.« Reinold erwiderte: »Wer mir als Landesherrn so zu drohen wagt und verlangt, ich solle ihm Land und Leut, Leib und Gut übergeben, der ist selbst des Todes würdig. Freund Roland, melde deinem König: Ich empfehle mich und meine Brüder seiner Gnade und bin bereit, ihm mit Leib und Blut zu dienen, sobald er uns in Gnaden aufnimmt. Wenn er es aber nicht tut, möge er sich vor mir hüten! Denn ich will ihm Schaden tun, wo es mir möglich ist, und Krieg gegen ihn führen, solang ich Leute aufbringen kann.«

Nachdem der König Reinolds Botschaft vernommen, versammelte er ein großes Heer. Reinold ließ gleichfalls sein ganzes Volk bewaffnen und befahl die Verteidigung des Landes.

Der Streit zwischen König Karl und Reinold währte sieben Jahre. Die Ritter kamen immer wieder mit der Bitte vor den König, er möge dem Krieg ein Ende machen. Endlich willigte Karl ein.

Als Reinold hörte, daß eine Versammlung der Ritter zu diesem Zweck ausgeschrieben war, erschien er in eigener Person vor dem König und grüßte ihn: »Gnädigster Herr, der König des Himmels und der Erde möge Euer Majestät Beschützer sein.« Karl erwiderte darauf: »Was grüßt du mich noch, du hast mir Schaden genug getan?« Reinold jedoch erklärte: »Herr König, den Schaden will ich wieder gutmachen, und für meine Missetat mögt Ihr mich bestrafen. Wenn es Euer Majestät gefällig ist, wollen wir uns mit Leib und Gut ergeben.« Darauf hieß der König sie abtreten, er wolle sich mit seinen Herren und Freunden in einer Versammlung beraten. Forcier jedoch flüsterte dem König ins Ohr: »Gnädiger Herr, gedenkt Eure Majestät nicht, daß Reinold Ludwig, unsern jungen König, erschlagen hat? Und diesen Reinold solltet Ihr in Gnaden annehmen?« Als Ogier das hörte, fürchtete er, Forcier würde noch mehr gegen Reinold wettern, und warf ein: »Schweigt, Forcier, laßt mich reden.«

Da mengte sich der Bischof Turpin in die Debatte: »Das ist wahr, diese Leute raten dem König stets so, daß er immerfort Krieg führen muß, wobei Land und Leute zugrunde gehen. Ich aber, Herr König, empfehle, Eure Majestät wolle Reinold mit seinen Brüdern in Gnaden aufnehmen und sich mit ihnen versöhnen. Dann mögen sie gegen die Heiden ziehen, denn sie sind die besten Kriegshelden, die ich im ganzen Reich kenne.«

»Nein«, entgegnete der König, »ich will nicht. Soll ich mich mit jenem versöhnen, der mir meinen Sohn und so viele Leute erschlagen hat?«

Als die Versammlung sah, daß sie nichts erreichen konnte, trennten sie sich, und der König gelobte, er wolle Reinold richten lassen. So schieden beide Parteien in Unfrieden voneinander.

Reinold ritt nach Montalban und rüstete sich zum Kampf. König Karl folgte ihm und schloß die Feste von allen Seiten ein. Aber wiederholt machte Reinold mit seiner Besatzung einen Ausfall und fügte dem Feind große Verluste zu. Hiebei wurde Malegys von den Königlichen gefangengenommen. Reinold war darüber sehr bestürzt und haderte mit dem Schicksal, das ihn überall und jederzeit verfolge.

Um Mitternacht entwich Malegys mit Hilfe seiner Kunst aus dem Gefängnis, schlich vor des Königs Bett und redete ihn leise an: »Herr König, kommt, wir wollen nach Montalban gehen!« Der König erwachte aus seinem Schlaf, sah Malegys vor seinem Bett stehen und wußte nicht, was er antworten solle; denn Malegys hatte ihn bezaubert. Er murmelte: »Ich wollte, wir wären schon auf dem Weg!« Malegys fuhr fort: »Herr König, steht auf, eilen wir!« – »Nein«, erwiderte der König, »ich will noch schlafen.« Da nahm Malegys Karl auf den Rücken und trug ihn schlafend nach Montalban. Dort legte er ihn in ein weiches Bett, lief zu Reinold und sagte ihm: »Vetter Reinold, ich brachte den König in Euer Kastell und gebe ihn Euch gefangen.«

Reinold fragte verwundert: »Vetter, wie geht das zu, daß Ihr den König gefangen habt? Ihr seid doch selbst sein Gefangener gewesen!«

Bald darauf erwachte der König, blickte um sich und sah Reinold samt seinen Brüdern vor sich stehen. Zutiefst erschrocken, erklärte er: »Dies hat Malegys mit Hilfe seiner Kunst vollbracht; Gott wird ihn dafür strafen!« Reinold fiel auf die Knie und bat den König um Gnade; der schlug sie ihm dennoch ab. Nun drohte Rittsart dem König: »Gnädiger Herr, wenn Ihr uns nicht in Gnaden aufnehmen wollt, müßt Ihr sterben.«

»Wie«, zürnte der König, »willst du, Bube, dich gegen mich auflehnen?« Reinold bat von neuem: »Wollt Ihr Euch mit uns versöhnen und uns in Gnaden aufnehmen?«

»Nein«, erklärte der König.

Als Malegys hörte, daß der König so hartnäckig war, warf er ein: »Herr König, versöhnt Euch doch mit Eurem Vetter!« Der König aber erwiderte: »Ich will's aber nicht tun. Verflucht sollst du sein, du Erzschelm, mit deiner teuflischen Kunst hast du mich hierher gebracht!«

Malegys sah, daß sich der König nicht erweichen lasse, und sprach: »Ich sehe, es ist alles vergebens, Gott behüte Euch!« Damit entfernte er sich, zog sich tief in die Wälder zurück und wurde Eremit; dies blieb er vier Jahre.

Der König aber begann von neuem: »Reinold, laßt mich in mein Lager, ich will Euch gute Antwort geben!« Reinold entgegnete: »Das ist uns lieb, Herr König, geht, wenn's Euch gefällt. Wir haben Euch nicht gefangen!«

Als die Gefolgschaft ihren König wieder sah, war sie froh, denn sie hatte schon gefürchtet, Malegys habe ihn getötet. Der König aber berichtete ihnen, wie ihn Malegys seinem argen Feind Reinold ausgeliefert und wie ihn Rittsart fast erschlagen hätte. Dann ließ er den Herzog von Bayerland zu sich kommen und befahl ihm, er solle nach Montalban reiten und Reinold befehlen, er möge kommen und sich in die Hände des Königs begeben. Der Herzog überbrachte seine Botschaft, wie sie ihm der König befohlen hatte.

»Das will ich tun«, antwortete Reinold, »sofern uns der König kein Leid zufügen und sich mit uns versöhnen will.« Der Herzog ritt zum König und berichtete ihm, was Reinold geantwortet hatte. »Wollen sie nicht freiwillig kommen, so will ich sie mit Gewalt zwingen«, schrie Karl erbost, »denn ich weiß, sie haben keine Verpflegung mehr.« Sofort ließ er das Kastell von allen Seiten berennen.

Traurig sagte Reinold zu Klarissa, seiner Gemahlin: »Nun muß Beyart sterben, denn wir haben sonst nichts mehr zu essen.« Er ging also in den Stall, um das Pferd zu töten; denn alle andern Rosse waren geschlachtet. Rittsart aber bat: »Bruder, laß Beyart am Leben, wer weiß, wie es noch kommen wird!«

Das Roß verstand diese Worte und fiel auf seine Knie, als ob es um Gnade bitten wollte. Als Reinold das sah, jammerte ihn das Tier, und er ließ es leben. Adelhart aber sprach: »Brüder, ich weiß einen andern Rat, damit wir uns noch eine Zeitlang halten können: wir wollen Beyart alle Tage, solang er es vertragen kann, Ader lassen und von seinem Blut leben, bis sich das Geschick zu unsern Gunsten wendet.«

Als Dunay, Herzog von Bayern, Graf Roland und Bischof Turpin erfuhren, daß auf dem Kastell der Hunger eingekehrt sei, erklärte der Bischof: »Es ist eine Schande, daß unsere Verwandten vor Hunger sterben sollen. Wir wollen den König bitten, er möge beim Sturm auf das Kastell Roland mit seinen Leuten den Vorzug lassen; dann soll dieser die Burg ohne des Königs Wissen mit Nahrung versehen.«

So geschah es auch, und Reinold mit seiner Mannschaft hatte fast wieder auf ein Jahr genug zu essen. Auch das Roß Beyart bekam nun so viel zu fressen, daß es innerhalb vierzehn Tagen wieder so stark war wie früher.

Nach einiger Zeit versammelte Reinold seine Brüder und sprach: »Liebe Brüder, ich rate, daß wir nach dem Kastell Ardane ziehen, da können wir uns besser halten als hier.« Als Frau Klarissa das hörte, fragte sie betrübt: »Liebe Freunde, warum wollt ihr mich in solcher Gefahr verlassen?« Reinold antwortete: »Weil wir in Ardane sicherer sind als hier und damit Ihr Euch desto besser aus den Vorräten erhalten könnt!« So nahm Reinold Abschied von seiner Frau und ritt mit seinen Brüdern bei dunkler Nacht hinaus, damit sie nicht gesehen würden.

Als die königliche Wache den Ausritt feststellte, wurde dem König gemeldet, daß Reinold mit seinen Brüdern auf dem schnellen Roß Beyart sich nach Ardane begeben wolle. Sogleich befahl Karl seinen Rittern, ihnen nachzusetzen. Alloret war am besten beritten und sprengte als erster auf Reinold zu. Er erreichte ihn, stellte ihn zum Kampf und stieß ihm seinen Speer durch den Schild, daß die Spitze des Speeres absprang und im Schild stecken blieb. Reinold fehlte seinen Gegner auch nicht und rannte ihm den Speer durch den Schild in die Brust, daß Alloret tot vom Pferd fiel. Dann rettete er sich vor dem König und seinen Scharen in die Burg Ardane. Der König aber schlug sein Lager vor Ardane auf und belagerte das Kastell von neuem. Er schwor, nicht von der Burg zu weichen, bis er sie in seiner Hand und Reinold samt seinen Brüdern gefangen habe. Das Roß Beyart aber wolle er auf der Stelle töten lassen. Reinold und seine Mannen waren in großer Sorge, weil sie fürchteten, sie könnten die Burg gegen die Streitmacht des Königs nicht allzulang behaupten.

Bald darauf bekam der König Nachricht, daß seine Schwester, Frau Aya, mit vielen Frauen und Herren angekommen sei, und begab sich in das Lager, um zu vernehmen, was sie wolle.

Als der König erschien, fiel ihm Frau Aya zu Füßen und bat ihn händeringend, er möge Reinold samt seinen Brüdern in Gnaden annehmen; denn der Krieg habe nun schon mehr als sieben Jahre gewährt. Auch die Herren von Frankreich schlossen sich dieser Bitte an. Als der König die Demut seiner Schwester sah, antwortete er gerührt: »Liebe Schwester, du handelst wie eine Mutter; darum will ich auf diese demütige Bitte hören; wenn mir Reinold sein Roß Beyart geben will, werde ich ihm und seinen Brüdern gnädig sein.«

Frau Aya ging froh in das Schloß zu ihren Kindern und erzählte ihnen des Königs Willen. »Bruder«, rief Adelhart, »ich wollte tausendmal lieber den König zum Feind haben, als das bewilligen, was er da wünscht!« Das gleiche sagten auch die andern Brüder. Aber Reinold erklärte: »Liebe Brüder, wenn wir durch die Hingabe Beyarts Versöhnung erlangen können, wollen wir ihm das Roß geben; denn wir können dem König auf die Dauer nicht widerstehen!« Er bat seine Mutter, dies dem König zu sagen. Frau Aya überbrachte dem König die Antwort ihrer Kinder.

Vor der Burg Ardane kamen die Brüder mit König Karl zusammen, fielen ihm zu Füßen und baten um Gnade. Der König hieß sie aufstehen und sicherte ihnen im Beisein aller Edelleute und des ganzen Rats seine Begnadigung zu. Darnach nahm Reinold das Roß Beyart, überreichte das Pferd dem König und sagte: »Das Roß sei Eurer Majestät verehrt; tut damit, was Euch beliebt!« Der König nahm es an und folgte seinem alten Schwur; er ließ dem Pferd zwei Mühlsteine um den Hals binden und es von der Brücke in das Wasser werfen. Das Roß ging anfangs unter, kam aber bald wieder an die Oberfläche und fing an zu schwimmen. Als es seinen Herrn sah, schüttelte es die Steine ab, lief an Land und auf Reinold zu und stellte sich so freundlich an, als ob es sagen wollte: »Warum tust du mir das an?« Als der König das sah, rief er: »Reinold, gib mir das Roß wieder, es muß sterben!« Reinold erwiderte: »Herr König, ich verweigere den Wunsch Eurer Majestät nicht«, und übergab es ihm. Nun ließ der König dem Pferd an jeden Fuß einen Mühlstein binden und an den Hals zwei und es wieder in das Wasser werfen. Beyart tauchte aber wieder empor, sah seinen Herrn, schlug die Mühlsteine in Stücke und kam zu Reinold zurückgesprengt.

Mitleidig trat Adelhart zu Beyart hin und streichelte das Pferd. Der König und die andern Herren wunderten sich über die Stärke des Rosses und verlangten von Reinold zum drittenmal seinen Tod.

»Verflucht sollst du sein, Bruder, wenn du das Roß wieder hergibst«, rief Adelhart grollend. Reinold aber erklärte: »Bruder, schweig, soll ich um des Rosses willen des Königs Zorn wieder erregen?«

»Ach, Beyart«, seufzte Adelhart, »wie werden dir jetzt deine treuen Dienste gelohnt, die du meinem Bruder und uns allen erwiesen hast!«

Reinold aber führte das Roß dem König zu und sagte: »Wenn es nun nochmals an Land kommt, fange ich es nicht wieder; denn es tut meinem Herzen zu weh!« Da ließ der König dem Pferd einen Mühlstein an den Hals und an jeden Fuß zwei Mühlsteine binden und das Tier sodann wieder in das Wasser werfen. Er verbot nun Reinold, sich nach dem Roß umzusehen, sonst könne es nicht untergehen. Dennoch kam das Tier wieder über das Wasser, streckte den Kopf heraus und sah nach seinem Herrn wie ein Mensch, der um die Hilfe seines Freundes blickt. Aber es war vergebens. Schließlich ertrank es, weil es Reinold nicht ansehen durfte.

Verzweifelt über den Tod des treuen Gefährten, schwur sich Reinold sein Leben lang kein Pferd mehr zu reiten, keine Sporen mehr an seinen Füßen zu tragen und kein Schwert an seine Seite zu gürten, und gelobte Gott, ein Einsiedler zu werden. Er beschloß, sich in einen wilden Wald zu begeben, wollte aber vorher nach Hause ziehen, um seine Kinder zu sehen und zu bestimmen, was einem jeden gehören sollte, sobald sie erwachsen wären.

Als er nach Montalban kam, wurde er von seiner Gattin und seinen Kindern freudig empfangen. Frau Klarissa fragte ihn: »Wo sind Eure Brüder, Herr, und wo habt Ihr Beyart gelassen?« Da erzählte ihr Reinold den ganzen Verlauf der Ereignisse. Mit Tränen in den Augen hörte die Frau seinen Bericht. Als er geendet hatte, sagte sie: »Es ist mir leid, daß Ihr das Roß habt aufgeben müssen, doch ist mir des Königs Huld lieber; denn wir können seiner Macht doch nicht länger widerstehen.«

Hierauf ließ Reinold seine Kinder kommen und schlug seinen ältesten Sohn Aymerich zum Ritter. Er machte ihn zum Herrn über das ganze Land und gab ihm das Kastell Montalban. Seinen übrigen Besitz verteilte er an seine Frau und die andern Kinder, küßte sie alle herzlich und zog in der Nacht heimlich fort.

Am andern Morgen ließen sie Reinold überall suchen, konnten ihn aber zu ihrem größten Schmerz nirgends auffinden. Reinold aber erreichte die Wildnis; da begegnete ihm ein Einsiedler, der ihn fragte, wer er sei. Reinold antwortete: »Herr, ich bin der traurigste Mensch auf Gottes Erdboden; denn ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr fröhlich gewesen, weil ich Ludwig, den Sohn des Königs von Frankreich, erschlagen habe. Nun möchte ich Buße dafür tun; denn es reut mich von Herzen.«

Der Eremit antwortete: »Freund, Ihr seid ein großer Sünder; Ihr sollt auf Eure Knie fallen und Gott bitten, daß er Euch verzeihen wolle; denn seine Barmherzigkeit ist größer als Eure Sünden.«

»Herr«, sagte Reinold demütig, »ich will bei Euch bleiben und alles tun, was Ihr verlangt.« Da erklärte der Eremit: »Wurzel und Kräuter sollen Eure Speisen sein, ohne Unterkleidung und Schuhe müßt Ihr gehen und Armut und Elend leiden!«

»Ja, Herr, ich will alles auf mich nehmen«, nickte Reinold ergeben.

Drei ganze Jahre blieb er bei dem Eremiten im Wald, tat Buße und kasteite seinen Leib mit Fasten, Frost und Kälte so sehr, daß er krank wurde.

Der Eremit tröstete ihn in seinen Schmerzen: »Bruder, laßt es gut sein und vertraut auf den Herrn, er wird Euch nicht verlassen.« Er schickte sein Gebet zu Gott, weil er großes Mitleid mit Reinold hatte. Da hörte er eine Stimme vom Himmel, die sprach, Reinold müsse ohne Verzug in das Heilige Land ziehen und wider die Heiden streiten.

»Freund«, rief der Alte bewegt nun Reinold zu, »Gottes Engel hat mir befohlen, Euch zu sagen, daß Ihr unverzüglich in das Heilige Land ziehen und dort gegen die Ungläubigen kämpfen sollt.«

»Ach, Herr«, seufzte Reinold, »wie kann ich das tun? Es sind über fünf Jahre her, daß ich mich verschworen habe, kein Pferd mehr zu reiten und keine Waffen in meine Hand zu nehmen. Wenn ich den Eid bräche, könnte mich Gott dafür strafen!« Der Eremit aber beruhigte ihn: »Lieber Freund, seid Gott gehorsam und tut, was mir der Engel befohlen hat; zieht in seinem Namen!« Darauf schied Reinold unter Tränen von ihm und machte sich auf den Weg. Zu Fuß und zu Schiff kam er bis nach Syrien. Dort ruhte er sich acht Tage aus.

Als nun die Christen gegen die Heiden zu Feld zogen, lief Reinold zu Fuß mit wie ein Pilger. Kaum erfuhren die Türken, daß das Christenheer aus dem Hafen ausgezogen war, rückten sie ihm entgegen. Die Christen erschraken über die gewaltige Streitmacht der Heiden und machten Miene zu fliehen. Als Reinold dies sah, rief er mit lauter Stimme: »Bleibt, ihr Herren; setzt euch tapfer zur Wehr und zweifelt nicht, Gott wird uns aus der Not helfen und den Feind schlagen.« Er riß einen Baum aus der Erde und schlug damit auf die Türken ein. »O heilige Maria«, staunten die Christen, »was will denn dieser Pilger ausrichten, er hat weder Hosen noch Schuhe und keine Waffen und will sich mit einem Knüttel zur Wehr setzen; gebt ihm doch Waffen!«

Sogleich wurde ihm ein Harnisch gereicht. Mit frischem Mut drangen die Christen, Reinold immer voran, auf die Ungläubigen ein, trieben sie in die Flucht und zerschlugen das ganze Heer. Darauf zogen sie alle ins Gelobte Land.

Um dieselbe Zeit hörte Malegys, der sich schon viele Jahre in der Wüste aufhielt, eine Stimme vom Himmel, die ihm befahl, ohne Verzug den streitenden Christen zu helfen; da werde er auch seinen Vetter Reinold finden. Als Malegys das hörte, freute er sich darüber und eilte auf die Walstatt, wo ihn sein Vetter freundlich empfing. Als Reinolds Kampfgenossen das sahen, fragten sie, wer das wäre. Reinold antwortete: »Ich sage euch, wären Gott und dieser Mann nicht gewesen, ich wäre schon lange tot; denn er hat mich und meine Brüder mit seiner Kunst oft aus großer Gefahr gerettet; er heißt Malegys und ist mein Vetter.«

Unterdessen hatten sich die Sarazenen neuerlich gesammelt und wollten die Christen überfallen. Diese teilten sich in drei Heerhaufen, Malegys und Reinold stellten sich in die vorderste Schar, und so zogen sie dem Feind entgegen. Es kam zu einer erbitterten Schlacht, in der fast alle Heiden erschlagen wurden.

Als Reinold und Malegys wieder ins Lager zurückgekehrt waren, kam die Kunde, daß die Heiden die Stadt Jerusalem eingenommen hätten, worüber große Trauer herrschte.

Da sammelten die zwei tapfern Ritter das Volk, zogen mit einem starken Heer vor die Stadt Jerusalem und belagerten sie. Als die Türken erkannten, daß sie eingeschlossen waren, machten sie mit der ganzen Streitmacht einen Ausfall und wollten die Christen vertreiben. Aber diese erwarteten den Feind in Schlachtordnung.

In einem solchen Gefecht wurde der Ritter Malegys von einem Pfeil tödlich getroffen. Reinold wollte den Tod seines Vetters rächen und drang grimmig auf die Feinde ein, nur wenige kamen in die Stellung zurück.

Als schließlich der Hunger in die belagerte Stadt einkehrte, versuchten die Türken einen letzten Ausfall, um sich durchzuschlagen. Aber die Christen waren auf der Hut. Während des Kampfes gelang es Reinold, den Sultan gefangenzunehmen. Auf Reinolds Wunsch befahl er seinen Leuten, den Kampf einzustellen und dann Reinold die Stadt zu übergeben. Darauf ließ dieser die Obersten des Christenheeres versammeln und übergab ihnen den Sultan samt den andern Gefangenen.

Der Sultan bat die Christen, sie sollten allen Gefangenen die Freiheit geben, er wolle für sie gefangen bleiben und allen Schaden ersetzen. Die Obersten fragten Reinold, was er davon halte. Dieser gab ihnen zur Antwort, sie sollten tun, was ihnen gut scheine, er stelle es ihnen frei. Da ließen sie alle Gefangenen nach Hause ziehen und behielten nur den Sultan in Haft.

So war der Friede zwischen den Christen und Türken wiederhergestellt. Die Christen, die nun die Stadt Jerusalem wieder in ihrer Gewalt hatten, wollten Reinold krönen. Aber dieser weigerte sich; er dachte daran, daß ihm der Eremit befohlen hatte, wieder zurückzukommen, sobald sie die Heilige Stadt eingenommen hätten. Deshalb nahm er Abschied und begab sich zu Schiff nach Europa.

Als er in Marseille angelangt war, hörte er, daß zwischen Guillon und seinem Sohn Aymerich ein Streit ausgebrochen sei. König Karl hatte nämlich Reinolds ältesten Sohn Aymerich zu sich kommen lassen und mit allen Gütern seines Vaters belehnt. Dann hatte er ihn mit sich an seinen Hof geführt, wo er ihn allen andern Herren vorzog. Das verdroß die Räte sehr, weil er noch nicht großjährig war. Darum versuchten sie jetzt, Aymerich beim König anzuschwärzen, indem sie sagten, Aymerich hätte geschworen, die Schmach, die man seinem Vater samt dessen Brüdern angetan hatte, sowie den Tod des Rosses Beyart zu rächen. Daran war aber kein wahres Wort.

Als Reinold dies vernahm, zog er nach Paris und kam wie ein armer Pilger zu dem König. Dieser fragte ihn, ob er nichts Neues gehört hätte von der Stadt Jerusalem. Reinold erwiderte: »Gnädiger Herr und König, ich komme aus der Heiligen Stadt. Die Christen haben die Stadt Jerusalem und das ganze Land erobert, besonders durch die Hilfe zweier Männer, die früher hier ansässig waren.« Der König fragte, wer dies gewesen wäre. »Malegys und Reinold«, erwiderte der Pilger, »die haben den Türken so tapfern Widerstand geleistet und so viele Feinde erschlagen, daß der Kampf siegreich endete; zuletzt ist Malegys gefallen.« Nun fragte ihn der König, ob er nicht wüßte, wo Reinold wäre.

»Gnädiger Herr«, gab Reinold zur Antwort, »er steht jetzt vor Eurer Majestät als ein armer Eremit.«

Als der König das hörte, begrüßte er ihn freundlich, und jedermann freute sich über Reinolds Rückkehr, vor allem aber sein Sohn, doch die Verräter ärgerten sich. Der König ließ Reinold sogleich kleiden und erwies ihm große Ehre. Aymerich aber erzählte ihm, wie es zum Kampf gegen Guillon gekommen sei.

»Mein lieber Sohn«, entgegnete Reinold, »fürchte dich nicht; Gott, der die Gerechten niemals verlassen hat, wird dich in der Not auch nicht verlassen.« Er blieb so lange bei seinem Sohn, bis die Zeit herankam, daß er mit Guillon kämpfen sollte, und in diesem Kampf gab Gott Aymerich Gnade und Sieg, daß er Guillon überwand.

Nach dem siegreichen Kampf beschloß Reinold, sein Leben in freiwilliger Armut und Einsamkeit zu verbringen und sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu erwerben. Er zog seine kostbaren Gewänder aus und legte Bauernkleider an, entfernte sich heimlich aus des Königs Palast und ging auf das Land, wo er unbekannt allerlei Bauernarbeit verrichtete. Er nährte sich nur von Milch und Brot, trank Wasser und war damit zufrieden. Nun hörte er eines Tages, daß die Stadt Köln die heiligste Stadt in ganz Deutschland sei, ob der Reliquien der Heiligen, die dort aufbewahrt seien. Dies bewog ihn, dahin zu ziehen. Als der fromme Mann an den Rhein kam, begab er sich in das St.-Peters-Kloster, wo er dem Herrn diente. Gott gab ihm die Macht, Wunder zu wirken.

Zu dieser Zeit begann zu Köln der Bischof Agilolphus die St.-Peters-Kirche zu bauen und ließ deswegen in allen umliegenden Ländern Zimmerleute, Steinmetzen und andere Meister aufrufen: wer Geld verdienen wolle, der solle nach Köln kommen, da würde er Arbeit genug finden. Es kamen viele Arbeiter, auch Reinold bot sich an. Er wurde zum Oberhaupt aller Werkleute bestellt, tat selbst mit und arbeitete unermüdlich. Wenn die andern zum Essen gingen, schleppte er Steine herbei, daß ihrer fünf an einem genug zu tragen gehabt hätten. Sobald Ruhezeit kam, blieb er auf den Steinen liegen; er aß nur Gerstenbrot und trank Wasser, begehrte auch für den Tag nur einen Weißpfennig zum Lohn. Ein Werkmeister fragte ihn, wie er denn heiße und wo er zu Hause wäre. Das wollte er aber nicht sagen und tat ruhig seine Arbeit. Da nannten sie ihn »St. Peters Werkmann«, weil er so fleißig bei der Arbeit war.

Als die Meister den Fleiß dieses einen Mannes sahen, warfen sie den andern Arbeitern Faulheit vor und erklärten, sie nähmen viel mehr Lohn als dieser Mann und täten nicht den vierten Teil seiner Arbeit. Aus diesem Grund wurden die andern Handwerksleute ihm feind, wollten ihn nicht länger dulden und faßten heimlich den Plan, ihn zu töten. An der Stelle, wo heute die St.-Reinold-Kapelle steht, warteten sie auf ihn, töteten ihn, steckten seinen Leichnam in einen Sack, füllten diesen mit Steinen an und warfen alles in den Rhein in der Hoffnung, der Sack würde untersinken und ihre Untat verschwiegen bleiben. Aber Gott ließ es nicht zu, sondern der Ballast kam wieder empor und schwamm ans Ufer, obgleich der Rhein sehr hoch ging.

Die Seele des Märtyrers Reinold aber wurde von den Engeln vor Gottes Thron geführt.

Einige Jahre später schickten die Bürger der Stadt Dortmund Boten zu dem Erzbischof von Köln und baten, er wolle ihnen etwas von den Heiligtümern senden, die sich in der frommen Stadt befänden. Der Bischof rief die Priesterschaft zusammen und beriet sich mit ihr, welche Reliquien er den Dortmundern geben solle. Während sie berieten, zeigte Gott ihnen an, daß sie die Überreste Reinolds hinsenden sollten.

Als der Sarg mit seinem Leib auf dem Wagen stand, rollte dieser ohne Pferde und ohne menschliche Hilfe bis nach Dortmund und blieb an der Stelle stehen, wo die Kirche von »St. Reinold« erbaut wurde, die noch heutzutage dort zu sehen ist.

So wurde der heilige Reinold Beschützer der Stadt Dortmund. Die Sage erzählt, Leute hätten einmal gesehen, wie er dort auf der Stadtmauer gestanden sei und den Feind, der den Ort belagerte, vertrieben habe.


 << zurück weiter >>