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Noch eine Spießbürgergeschichte

Fröhliche Randbemerkung

Gegen Weihnachten 1920 baten mich die Dresdner Nachrichten, das Blatt der sächsischen Royalisten, ihnen für eine Weihnachtsbeilage der Dresdner Dichter und Autoren eine nette kleine Geschichte zu schreiben. Heiterem Einfalle folgend, schrieb ich diese harmlose Historiette; ahnungslos aber versetzte ich die Schriftleitung in das größte Dilemma. Unmöglich, schrieb man mir zurück, unmöglich können wir Ihre amüsante Satire drucken. Unmöglich! Liest S. M. das Ding, so kann er es uns übel nehmen; und liest Storz die Geschichte, was wird er uns antun? Und Sie, lieber Herr Doktor, haben Sie gar keine Angst um Ihr schätzenswertes Leben? Wir schlagen Ihnen daher ganz ergeben vor: Ändern Sie das alles! Lassen Sie Serenissimum weg; lassen Sie Storz fort; schonen Sie die ehrenwerten Gritzengrüner! Wir werden Ihnen gern das siebenfache Honorar zahlen. – Leider, leider, ich habe mir das siebenfache Honorar verkneifen müssen.

Die verwandelten Denkmäler

Weiß der Deibel, wie es gekommen war: das vogtländische Bergstädtchen Gritzengrün besaß seit zweihundert Jahren eine Sehenswürdigkeit, eine einzige ältere wirkliche Sehenswürdigkeit – von den jüngeren wollen wir nicht reden –, ein wunderschönes Denkmal aus Erz, darstellend den hochseligen, wegen seiner 365 Kinder und auch sonst, als Erbauer des Zwingers zum Beispiel, in aller Welt berühmten Kurfürsten und König August den Starken. Die Siebzigjährigen im Ort erzählten, ihre Großmütter hätten bezeugt, das Bild stelle den erlauchten Herrn vor, wie er leibte und lebte; und es liegt keinerlei Anlaß vor, an dieser Überlieferung zu zweifeln. Der Polenkönig stand mitten auf dem miserabel gepflasterten Markte gegenüber dem malerischen, niedlichen Rathause auf verwittertem, bemoostem Steinsockel, dessen ehedem dukatengoldene Inschrift noch immer deutlich genug verkündete:

AUGUSTUS REX
ETIAM HIC FORTUNATUS
X. IX. anno Domini MDCCXX

Was zu deutsch heißen dürfte: König August war auch hiesigen Orts ein glücklicher Mann.

Der stattliche Fürst war zu Fuß in Jagdtracht und leutseliger Haltung postiert. Offenbar hatte er sich dazumal im meilenweiten Walde über der Stadt auf der Sauhatz weidlich belustigt, nicht minder hinterher im Jagdquartier beim Hofforstmeister, der im alten Schlosse zu Gritzengrün seinen Amtssitz hatte. Kurz und gut, ein Jahr nach huldvoller Anwesenheit hat Augustus Rex zum ewigen Gedächtnis an sein Waidmannsglück der ehrbaren Bürgerschaft sein Standbild in voller Größe allergnädigst gestiftet. Genaueres über den 10. September im Jahre des Herrn 1720 weiß niemand, leider, und auch in der 1830 von Gottfried Steifhuhn, weiland Pfarrer in Gritzengrün, erbaulich verfaßten und gedruckten Chronik von Gritzengrün stehen hierüber nur devote Andeutungen; aber entschieden ist infolge besagten glücklichen Herbsttages vor zwei Jahrhunderten ein epikureischer Einschlag – um es diskret auszudrücken – im Temperament der Gritzengrüner und insbesondere der schönen Gritzengrünerinnen unverkennbar. Und, wie dem auch war, die Gritzengrüner hängen seit nun sieben Generationen treu und dankbar an ihrem unvergeßlichen Landesvater und Schutzpatron. Sein Denkmal ist längst zum Wahrzeichen der Stadt geworden und in das Amtssiegel aufgenommen. Hundert berühmte und unberühmte Maler haben das Standbild gezeichnet und gemalt; Scheffel und Baumbach, Will Vesper und Börries v. Münchhausen es in unsterblichen Liedern und Balladen verherrlicht. Es prangt auf allen Ansichtspostkarten, die je in Gritzengrün verfertigt worden sind. Und während des Großen Krieges, – der bei den immer streitlustigen Vogtländern trotz dem wasserscheuen Nie-wieder-Krieg! der Herren Pazifisten in hohem Angedenken steht –, wenn damals ein Gritzengrüner im Schützengraben von seiner fernen schönen Heimat träumte, an der dreckigen Somme oder im unseligen Flandern, da hat es der göttliche Kurfürst selten versäumt mitzuerscheinen, war er doch mit dem Bilde der traulichen Stadt untrennbar verbunden.

 

Im Frühjahre 1918 drohte der Stadt das schrecklichste Mißgeschick, das man sich damals, zu einer Zeit, die noch die Tradition ehrte und liebte, nur ausdenken konnte, und es ward als Glück für alle Zukunft gedeutet, daß die Hand der gütigen Vorsehung unsagbaren Verlust gnädig abwandte. Eines schwarzen Tages nämlich, am 10. April, traf in schäbigem Umschlag ein Schreiben aus Preußisch-Berlin beim Magistrat ein, unterzeichnet mit: Midas Rosenthal, wonach die Deutsche Denkmals-Verwertungs-Gesellschaft m.b.H. zu Berlin-W 99 dekretierte: die hochwohllöbliche Stadt Gritzengrün habe das daselbst nachweisbar vorhandene Bronze-Standbild weiland Augusts des Starken binnen acht Tagen portofrei anher einzusenden. Berufung sei unzulässig.

Ein Extrablatt – seit langem war wegen Mangels an Papier und hoffnungsvollen Taten keines mehr erschienen – gab die Hiobspost der bis ins Mark erschrockenen Bürgerschaft kund und zu wissen. Und noch selbigen Abends fand im Weißen Roß eine stark besuchte Protestversammlung statt. Angesichts der Gefahr, in der das vielgeliebte Königsbild schwebte, kannte man wie dereinst vor vier langen, schweren Schicksalsjahren keine Parteien. Wer die Deutschen versteht, weiß, was das bedeutet. Kamele gehen tausendmal eher durchs Nadelöhr als der dumme deutsche Michel durch das Tor der Einheit. Sogar die Spießbürger der Stadt, die sich selten öffentlich äußern, bildeten einen Ausschuß, an ihrer Spitze der Apotheker Hans-Joachim Bullmeyer. Unter endlosem Beifall erklärte der erste Redner, der redselige Studienrat Dr. phil. Hellmut Rogge, bis zum Jüngsten Tage, der im Vogtlande vier Wochen nach dem allgemeinen Weltuntergange anzusetzen sei, werde sich die, ihres hohen Sonderwertes allezeit bewußte Stadt Gritzengrün niemals so weit vergessen, daß sie das Symbol ihrer alten ehrwürdigen Vergangenheit, das hehre Vermächtnis ihres angestammten Fürsten und Schutzherrn, einer offensichtlichen Raubgesellschaft ausliefere. Und wenn es zur blutigen Feldschlacht der Bürgerschaft mit der Deutschen Denkmals-Verwertungs-Gesellschaft m.b.H. in Preußisch-Berlin unter dem Generaldirektor Midas Rosenthal kommen sollte: nie und nimmer werde die alte Stadt ihre wohlbehüteten Tore freiwillig öffnen. Eine Stadt mit Tradition wie Gritzengrün gibt ihren Augustus Rex nicht heraus.

Am andern Tage fand eine öffentliche feierliche Gesamtsitzung der sieben Stadträte und dreizehn Stadtverordneten unter dem Vorsitze des Bürgermeisters Fridolin Piepmeyer statt. Auf einen Krieg im Kriege aber wollte man es trotzalledem nicht ankommen lassen, und so ward einstimmig beschlossen, das genannte allverehrte Stadtoberhaupt solle unverzüglich nach der sieben Bahnstunden entfernten Residenz des Landesherrn eilen und bei Seiner Majestät eine Audienz erwirken, um das Standbild seines hohen Vorfahren von 1720 zu retten.

Am 13. April 1918 stand Fridolin Piepmeyer, in höchster Erregung, Frack und weißer Binde, die goldne Stadt-Ehrenkette unterm Kinn, den Landespiepmatz, das Ritterkreuz Albrechts des Verstopften erster Klasse mit der Krone, auf steifgebügelter mutiger Brust, im Audienzsaale des Schlosses der Wettiner und trug dem Vater des Volkes seinen auswendig gelernten, nichtsdestotrotz begeisterungsdurchloderten Appell bedrängter treuer Untertanen der Allerhöchsten Huld und Gnade und dem wie allbekannt noch höheren, unfehlbaren Kunstsinne des Monarchen zugunsten des selig verblichenen Augustus Rex zu Gritzengrün alleruntertänigst vor. Piepmeyer schloß mit den heimatsliebeglühenden Worten: In tiefster Not wendet sich die sterbensunglückliche altsächsische Stadt an Eure hochverehrte Königliche Majestät, um ein uns Gritzengrünern seit zweihundert Jahren ans Herz gewachsenes erhabenes Denkmal der Nachwelt und dem Ruhme des verehrten Königshauses zu retten.

Tränenden Auges ging der Bürgermeister sodann in das vorgeschriebene höfische Schweigen über.

Nu, sagte Majestät mit dem unerschütterlichen Gleichmute Jupiters in den Wolken, Euer Dings da auf Eurem Markte kenne ich natürlich. Vom letzten Auerhahne her. War ein Prachtkerl. Der Auerhahn. Und in Anbetracht Eurer langen Rede sollt Ihr Euren August den Starken behalten, solange es dem lieben Gott gefällt. Das heißt: ich muß natürlich den Hofrat vom Gipsmuseum erst einmal hören, und den Oberschafskopp vom Verein zur Erhaltung der heimatlichen Denkmäler. Verehrtester, wenn er nämlich bloß sozusagen historischen Wert hat. Euer Augustus Rex, dann wird er ohne Erbarmen eingeschmolzen und zu Granaten verwandelt. Ich und der liebe Gott werden da nicht weiter gefragt. Eilts denn überhaupt so?

Majestät, binnen acht Tagen muß unser August portofrei nach Berlin-W 99.... Wir müßten gerade noch einmal an den Generaldirektor Midas Rosenthal telephonieren.

Nee, nee, Herr Bürgermeister, vorläufig machen wir unsern Kram noch alleene. Ich bestimme, das heißt: Verehrtester, setzen Sie sich mal dort unter die große alte Marcolini-Vase, nehmen Sie sich eine Virginia da aus dem Zigarrenkasten, rauchen Sie sie mit Verstand (die Marke kriegen Sie nirgends zu. koofen!) und warten Sie, bis der Gipsfritze kommt! Mit dem können Sie die Sache abmachen. Für Berlin bin ich natürlich nicht. Also, auf Wiedersehn, Herr Bürgermeister, beim nächste Auerhahn in Ihrem schönen Forste! August ward gerettet.

Ganz Gritzengrün schwamm in Freude. Lorbeer und Myrte ward um die Bronzestirn des Unvergleichlichen gewunden. Aber, aber, im dunklen Schöße der Zukunft dämmerte der Stadt und dem Denkmal ein viel, viel größeres Unheil.

 

Etwa zwei Jahre später traf eines Morgens in der Frühe und im Auto, umringt von zwölf unrasierten Genossen, alle mit Stahlhelmen und Handgranaten, der berüchtigte Räuberhauptmann Storz vor dem Ratshause von Gritzengrün ein, um sich seine schwindsüchtige Kasse aufzufüllen. Bürgermeister und Stadtkassierer wurden durch Eilboten vorgeladen; in Schlafrock und Galopp mußten sie den Familienkaffeetisch verlassen und sich im großen Ratssaale zur Stelle melden. Um die richtige Stimmung unter den Spießbürgern zu erzeugen, hatte Storz inzwischen die Rokoko-Villa des Herrn Kommissionsrats Kriechmeyer angockeln lassen.

Nach rascher Verhandlung sackte der neue Rinaldini 30 000 Mark ein, die er höflichst ausbezahlt bekam, selbstverständlich gegen die übliche Empfangsbescheinigung. Ordnung muß sein, auch wenn ein Staat zusammenkracht. Auch ließ Fridolin Piepmeyer es sich nicht nehmen, nach erledigter Zeremonie den Herrn Brandschatzer persönlich bis zur kleinen Freitreppe vor dem Ratshause zu geleiten (zu seinem Kummer im Schlafrocke); denn wer konnte es wissen: vielleicht ward Storz alsbald der Machthaber von Sowjet-Deutschland?

Schon glaubte sich das Stadtoberhaupt wieder frei, als der rauhe Nachzügler des Dreißigjährigen Krieges ihn anschnauzte:

Sie, wenn ich wieder Bedarf habe, und das kann passieren, wünsche ich Euer Kupfermännel da drüben auf dem Döppermarkt nicht mehr zu erblicken. Sonst kriegt die Chose einfach tausend Prozent Aufschlag. Für heute seid Ihr in Gnaden entlassen. Brüllt mit mir: Nieder mit allen Königen! Es lebe die Weltrepublik!

Piepmeyer tat alles, was ihm befohlen ward. Mut, wo Mut am Platz ist! sagte er sich. Hier gilts, das Kapitol zu retten.

Sie sind ein brauchbarer Mann! meinte Storz jovial, worauf Fridolin eine ähnlich tiefe Verbeugung ausführte wie damals, ehe er die Virginia aus der königlichen Kiste nehmen durfte. Daran zu denken, fiel ihm unter solchen Umständen natürlich nicht ein. Er begnügte sich, aufzuseufzen, als Storz samt Auto und Genossen, Handgranaten und empfangenem Tribut von dannen sauste.

Drei Stunden später war große Ratssitzung. Die sieben Stadträte und die dreizehn Stadtverordneten schwitzten Blut, weniger wegen Augustus Rex, dessen Volkstümlichkeit arg gelitten hatte, als vielmehr wegen der angedrohten, nicht unmöglichen zweiten und höheren Zwangsanleihe durch die Galgenvögel im Stahlhelm. Erregt bat der Bürgermeister um Vorschläge zur Rettung des alten Wahrzeichens der Stadt. Man lachte ihn höhnisch aus. Noch traute er seinen – an die lieben Töne der alten guten Zeit allzusehr gewöhnten – Ohren nicht, da klärten ihn die barbarischen Worte eines der Stadtvertreter auf: Einschmelzen! An den Trödler verkaufen! Fort mit gefährlichen Altertümern!

Du mein Gott, klagte Fridolin stumm, wo ist der Geist vom April 1918 hin?

Man begann zu debattieren. Die Mehrheit war sich rasch einig, daß August der Starke angesichts des noch stärkeren Storz sofort verschwinden müsse. Dreitausend braune Lappen könne die sowieso verarmte Stadt nicht noch aufbringen.

Nur ein einziger zeigte noch einigermaßen Mut: der unbesoldete Stadtrat und Bürstenbinder Leberecht Hahnekamm, der seine tiefe Verwunderung auszusprechen wagte, daß man Gauner wie Storz und Genossen beim Verlassen der Stadt nicht schlankweg durch die eiligst aufgebotene Schützengilde, die doch sonst so kolossalen Schneid zeige, verhaftet und unverzüglich vor dem Ratshause aufgeknüpft habe. Mittelalterliche Missetaten könne man nur durch mittelalterliche Justiz ausroden. Da kam er bei dem Bolschewisten Kotzmeyer schön an. Eigentum sei Diebstahl! schrie er; Storz habe legal gehandelt; und Hahnekamm sei ein blöder Reaktionär!

Der Bürgermeister rief zur Ordnung.

Darauf ging ein Antrag des Sozialisten Friedrich Biermeyer, unterstützt vom Schnapsfabrikanten Karl Riebezahl, einem Kriegsgewinnler, ein, den um seine erschacherten Reichtümer zu bangen begann. Kurz, man beschloß, das alte Denkmal abzutragen, vorläufig im Spritzenhause zu verbergen und baldigst einzuschmelzen. Mit Müh und Not erreichte der Demokrat Rülps den Beschluß, daß aus dem alten Metall ein neues Standbild zu gießen sei. Gritzengrün habe nur dies eine Denkmal gehabt; man müsse Ersatz schaffen. Gut! Aber nun stritt man sich darum, wem die Ehre gebühre, von der Stadt ein Denkmal gesetzt zu bekommen.

Berühmte Söhne hatte Gritzengrün bisher nicht erzeugt. Buchdruckern, Kompaß, Schießpulver und Leberwurst waren ohne Beteiligung von Gritzengrünern der Welt geschenkt. So schlug man, ziemlich kleinlaut, nacheinander vor: Bismarck, Hindenburg, Marx, Bebel. Keiner drang durch. Darauf beriet man sich eine Weile, ob es nicht ratsam sei, sich einfach auf ein Monument für den Räuberhauptmann Storz zu einen.

Jetzt erbat der Schulmeister Eulenspiegel das Wort.

Ehret die Frauen! begann er. Da wir keinen Mann finden, der unser aller Herzen gefällt, so wählen wir just eine Frau und setzen wir ihr das Denkmal, das wir brauchen!

Bravo! meinte der konservative Stadtverordnete Stußmeyer, Notar, Landsturmoberleutnant und Etappenheld, der damit seit dem Umsturz zum ersten Male wieder öffentlich etwas äußerte. Bravo! Lassen wir uns eine Germania gießen!

Dem widersprachen die Sozialisten, und wiederum war es Eulenspiegel, dessen neuer Vorschlag siegte. Man kam auf ein Standbild der Freiheit ab.

Freiheit, die ich meine, brummte der Kantor Schönmeyer vor sich hin.

Der Bürgermeister freute sich insgeheim. Die beste Lösung! dachte er bei sich. Nur keine Parteibonzen! Übrigens, dieser Eulenspiegel ist mir noch nie aufgefallen. Na, wenn es je wieder Orden zu spenden gibt – ich taxiere so um 1932 herum –, werde ich diesen Schlaumeyer auf die erste Vorschlagsliste setzen. Man wird ihn gelegentlich wieder brauchen können.

Meine Herren, fragte jetzt der Oberschuldirektor Prüdmeyer, welches Kostüm soll unsre Freiheit tragen? Hoffentlich hat sie was an.

Bei unsrer durchschnittlich kühlen Temperatur, warf der Notar (der auch die Innere Mission zu vertreten hatte) in sachlichem Tone ein, dürfte eine solide Kleidung unsrer Frau Freiheit zweifellos zu empfehlen sein.

Die von anno 1789! schlug der gelehrte Volksbibliothekar Buchmeyer vor.

Er hatte kein Glück; das Jahr 1848 triumphierte.

Das Schlußwort bekam der Stadtverordnete und Kunstkenner, im Hauptberufe Nachtwächter von Gritzengrün, Siegfried Zippelmeyer, der die wichtige Frage erörterte, welcher Künstler mit der Neuschöpfung zu betrauen sei. Wenn er, der sich schmeichle, in der Plastik der Gegenwart auch im Finstern unfehlbar das Beste zu finden, hierzu ein Wörtchen sagen dürfe, so wolle er gestehen, daß er weit und breit nur ein einziges Bildwerk kenne, von dem jedermann entzückt sei, heute und ganz gewiß auch noch in tausend Jahren, ohne Unterschied von Geschlecht, Stand, Alter und Partei. Das sei der Eselreiter am Rathause zu Dresden. An den Meister dieses Werkes sollten sich die Gritzengrüner wenden. Der und kein Andrer werde der Stadt ein unvergängliches neues Wahrzeichen schaffen.

Also ward beinahe einstimmig beschlossen, den Meister des Eselreiters zu beauftragen, die Freiheit von Gritzengrün als ehrsame Matrone in Erz darzustellen.

 

Andern Morgens früh fünf Uhr dreißig bestiegen Fridolin Piepmeyer, der Ratsdiener und August der Starke, letzterer in einem Mantel von Sackleinwand, die Bimmelbahn Gritzengrün–Zwickau, um sich von dort weiter zur Landeshauptstadt, ehedem Residenz genannt, befördern zu lassen. Angelangt, setzte man sich zunächst selbdritt in eine Droschke erster Klasse (die Dinger sind inzwischen ausgestorben) und fuhr zum Esel. Piepmeyer war zwar schon mehrere Male in Elbflorenz gewesen, aber, wie er sich zu seiner Schande gestehen mußte, nicht zum Studium von Kunstwerken. Er war sogar schon mehrfach am Eselreiter vorbeigegangen, um hinunter in den Ratskeller zu stiefeln; aber, aber – merkwürdig! sagte er sich – den verrückten Kerl da auf dem Langohr hab ich nie gesehen. ... Spießer sehen ein Denkmal nur, wenn es im Bädeker mindestens einen Stern hat. Bei zwei Sternen finden sie das Ding großartig, und bei drei Sternen verfehlen sie nicht, es später bei passender und unpassender Gelegenheit in Wort und Rede sattsam zu erwähnen.

Bei einem Schoppen Pfälzer und dem Telephon-Adreßbuch stellte die Vertretung der Stadt Gritzengrün die Werkstatt des Künstlers fest.

Donnerwetter, Herr Bürgermeister, meinte der Ratsdiener, wenn einer so einen Esel auf die Welt bringt, wird er Professor, Geheimrat und Ehrenbürger, mag er wollen oder nicht – und da sagen die Leute, man täte nichts für die Kunst. Nee, nee, wir Sachsen sorgen für unsre genialen Köppe. Daran is nich zu tippen!

Eine Viertelstunde später ward das alte Erzbild in der Vorhalle des Ateliers ausgepackt. Piepmeyer beaufsichtigte es gewissenhaft; da fiel sein Blick auf ein zweites ehernes Standbild, das soeben auch ausgepackt worden war, ein Frauenbild, etwas altmodisch, aber gar nicht übel, wie Fridolin zu meinen sich für berechtigt hielt. Und weiter bemerkte er zur Seite auf einer Bank zwei Wartende, die offenbar zu dem Bronceweibsbilde gehörten. Er sah genauer hin: Der eine von beiden war unbedingt Ratsdiener.

Unwillkürlich stellte er sich nun dem Andern vor, und seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen: es war der Bürgermeister von Dippelskirch im Erzgebirge. Bubmeyer hieß er. Und die ausgepackte Statue stellte die alte brave Mutter Anna dar, eine sächsische Kurfürstin, die zwar schon vor dreihundertundunzig Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, aber in der Volkslegende vergnügt weiterlebte. Mutter Anna, vielmehr ihr Erzkonterfei, hatte seit etwa 1620 die Ehre genossen, in Dippelskirch auf dem miserabel gepflasterten Marktplatze vor dem alten Ratshause ungestört zu stehen. Weiß der Deibel, wieso sie dorthin gekommen war, wohl weil sie die Spitzenklöppelei eingeführt hatte. Keine Ortschronik gab hierüber klare Auskunft. Es war nunmehr auch belangslos, denn die Bürgerschaft von Dippelskirch hatte, dem Geiste der neuen Zeit entsprechend, mit entschiedener Mehrheit beschlossen, die alte Mutter Anna einschmelzen zu lassen und aus dem alten Metall ein neues Denkmal zu bestellen: einen Iwan Trotzki, den Massenmörder des längst total überflüssigen Mittelstandes. Und da die Dippelskircher bekanntlich Nimrode vor dem Herrn sind, zum mindesten es zu sein sich einbilden, so hatte der Dippelskircher Eulenspiegel – es gibt in jeder Spießerstadt davon ein Exemplar – es zuwege gebracht, daß die Ratsversammlung ziemlich einstimmig einen Trotzki in Jagdtracht begehrte. Im Stillen waren starke Bedenken auch in Dippelskirch aufgetaucht, aber schließlich: wem Trotzki nicht behagte, konnte einfach annehmen, Iwan sei dasselbe wie der heilige Hubertus. Phantasie und Religion sind sogar in einer modernen Republik reine Privatsache.

Nachdem er solches vernommen, drückte Fridolin Piepmeyer seinem Amtskollegen Alexander Bubmeyer stumm und bewegt die biedere Rechte. Die Anwesenheit von zwei Amtsdienern und Proletariern gestattete laute Herzensergießungen nicht. Zudem trat der Meister soeben in die Vorhalle.

Alsbald wurden ihm, einem stattlichen und überlegenen Manne, die Wünsche der Bürgerschaften von Gritzengrün und Dippelskirch wortreich vorgetragen. Er warf einen Blick auf August den Starken, einen zweiten Blick auf die Mutter Anna und einen dritten summarischen auf die beiden Stadtoberhäupter.

Meine Herren, die Sache ist geradezu lächerlich einfach, meinte er sodann.

Piep- und Bubmeyer stutzten. Am Ende lehnt der große Bildhauer gar ab! jammerte der Dippelskircher bei sich; er war ausgesprochener Pessimist. Der Gritzengrüner hingegen war der Zusage des Künstlers optimistisch sicher. Meine Herren, fuhr der sächsische Myron, der an allen Kreaturen im Erdenzirkus seine Freude hat, fort. Meine Herren, der starke August kriegt ein Schild unten dran mit der Aufschrift: Iwan Trotzki, Erfinder des Kollektivmenschen –, und die gute Mutter Anna kriegt ebenfalls ein Schild mit der Aufschrift: Viva la Libertà! Sie wissen, das steht bei Mozart im Don Juan. Hören Sie weiter! Trotzki im bestellten Jagdkostüm (ich werde ihm die Nase ein wenig veröstlichen) bekommt fortan seinen Platz auf dem Markte zu Dippelskirch. Anna als Freiheitsgöttin wandert nach Gritzengrün. Die beiden Schilder liefere ich binnen acht Tagen. Mein bester Schüler soll sie machen. Ich bitte, was sagen Sie zu meinem Vorschlage?

Hochverehrter Herr Meister, stammelte Fridolin Piepmeyer, diese Lösung des Problems ist glänzend. Wenn mein lieber Kollege der gleichen Meinung ist. ...

Jawohl, wahrhaft glänzend! unterbrach ihn der Dippelskircher. Und als Pessimist fügte er rasch hinzu: Verabreden wir die Verwandlung und den dazu nötigen Tausch unsrer alten Denkmäler zunächst auf sieben Jahre.

Nu freilich, bestätigte der Gritzengrüner. Weeß mer denn, was 1929 los sein wird?

Dankerfüllt verabschiedeten sich die Stadtväter vom Meister.

Und als sie beide im Ratskeller weidlich zechten, da sagte der Dippelskircher zum Gritzengrüner: Wissen Sie, Herr Kollege, solange ich meinen Esel noch so halbwegs zu reiten verstehe, mache ich noch mit. Aber keinen Tag länger!

Es blieb bei der Verabredung. Die verwandelten Denkmäler wurden am April 1922 feierlich enthüllt; die Feier verzögerte sich, weil die hochwohllöbliche Entente-Kommission ihren Senf dazugab. Also ward in Dippelskirch der Trotzki enthüllt, und am gleichen Tage in Gritzengrün die Freiheit.

Man jubelte in Gritzengrün, man jubelte in Dippelskirch, und wieder einmal war die Republik gerettet.

Am 1. April 1929 sind nun aber die sieben Jahre des Vertrags der beiden Stadtoberhäupter um. Vielfach bereits sind in beiden Bergstädten Stimmen hörbar geworden: Wir hätten unser liebes altes Denkmal behalten sollen; die Vernichtung war übereilt.

Ich glaube: wer anno 1930 zufällig durch Gritzengrün zu wandern das Vergnügen hat, wird Augustus Rex wieder begrüßen dürfen. In Dippelskirch aber wird man einem freudigen Empfange der guten alten Mutter Anna nicht abhold sein.

In Gritzengrün wie in Dippelskirch wird natürlich Eulenspiegel die Festrede halten.

Von diesem Buche wurde eine einmalige numerierte Vorzugsausgabe von hundert Exemplaren auf bestem deutschen Büttenpapier abgezogen. Arthur Schurig signierte die Exemplare im Druckvermerk. Die Stücke 1-50 sind in Ganzleder, die Stücke 51-100 in Halbleder gebunden.

 

C.H. Beck'sche Buchdruckerei in Nördlingen


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