Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Spießer aus der Kavalier-Perspektive von Eugen Baron Vaerst

(1836)

Vaerst, geboren in Wesel 1792, Offizierssohn und Offiziersenkel, von 1811 bis 1818 selber ausgezeichneter Soldat, nimmt als Garde-Kapitän den Abschied. Studiert. Befreundet mit Jean Paul und E. T. A. Hoffmann. Lebt in Berlin, Weimar, Kopenhagen, London, in Holland und Italien, dann in Paris bis 1840. Bis 1847 Theaterleiter in Breslau. Leidend zieht er sich zurück auf das Gut seines Bruders und stirbt 1855; Weltmann und Literaturfreund. Wir kommen im Büchlein: Der gottvergnügte Schlemmer – auf Vaerst als Gastrosophen zurück.

Ich leite den Namen Philister von den Philistern des Alten Testaments ab. Wie charakteristisch erscheinen sie, als sie sich mit dem Kinnbacken eines ihrer würdigen Ahnen tausendfältig von Simson totschlagen ließen; und wie vollendet, als sie des gefangenen blinden Helden spotteten. Je höher, je erhabener der in den Staub Getretene stand, desto größer ist der natürliche Philisterjubel, wenn er fällt.

 

Das Wandeln auf sich selbst vorgezeichneter Bahn hat dem Philister seit ewiger Zeit für unerhörten Leichtsinn gegolten. Nur den ihm von Anderen durch Umstände oder durch die Konvenienz bestimmten engen Weg vermag er zu gehen. Aus seinem Sonnensystem ist der Komet gestrichen. Dieser ist ihm ein ärgerlich Ding, ein Extravagant; er irritiert ihn. Seine Bahn ist schwer zu berechnen; sein Licht bis auf den Feuerschweif ihm verhaßt. Auch die Fixsterne sind dem Philister unbequem. Aber der Planet, der Philister des Firmaments, der ist sein Mann; denn er schreitet unwandelbar auf ewiger Bahn, ohne Barmherzigkeit und Erbarmen, ohne eigene Tätigkeit und Verantwortlichkeit. Da weiß man doch, woran man ist, woran man sich zu halten hat.

 

Der Philister engt sich gutmütig ein und wohnt am liebsten in einer kleinen Stadt. In solchem Winkel läßt es sich am leichtesten glänzen. Sein höchstes Ziel ist die reichste Krämertochter im Neste, die zugleich die hochnäsigste ist. Geht sein Glück mit ihren Talern Hand in Hand, so wird er zumeist ein sanfter Hausvater unter strengem Pantoffel-Regiment. Er gedeiht bei Stallfütterung, wie das Hasengeschlecht den Ort liebt, wo es geheckt und gehegt wird. Er ist ein guter Hausvater, trägt sein Hauskreuz mit Geduld. In seiner kühnsten Phantasie schweift er bis zum Bürgermeisterposten.

Der Philister hat keine sozialen Eigenschaften, keine Idee von den wichtigsten menschlichen Dingen. Er weiß nicht, wie es draußen in der großen Welt zugeht; aber er hat Kaprizen für allerlei Kleinigkeiten, viel Sonderbares; und er ist ein Freund des Barocken. Ist er gelehrt, so weiß er am besten Bescheid in jenen Gegenden der Wissenschaft, wo die Motten anfangen.

 

Überall predigt der Philister das Nützlichkeitsprinzip. Überall sucht er sogleich den Nutzen herauszufingern nach einem gewissen natürlichen Instinkt, nach einer Form und wieder nach einer Form.

 

Er verehrt seinen Gott in der Kirche; er betet gern mit den Lippen, wobei er die Augen demütig niederschlägt.

 

Der Philister liebt Unveränderlichkeit. Er hängt zäh an dem, was er hat und ist. Er liebt den eingewohnten Gedankenkreis. Er ist ein Petrefakt für die Ewigkeit; kein Salz, kein Prozeß hilft ihm davon. Er ist wie ein Passatwind, der immer nach einer Richtung, an einer Stelle, zwischen den Wendekreisen des Krebses und des Steinbocks, weht. Der bewegliche Denker ist dem Philister verhaßt. Er verfolgt ihn desto mehr, je unwissender, blödsinniger, abergläubischer er selber ist. Besonders unerträglich ist ihm das keimende grüne Genie.

 

Ein Philister richtet nicht nach einem inneren Maßstabe, nicht nach einem Gefühle des Rechts. Er hat für alles sein Urteil fertig; er hat Regeln und Formeln, geschnitten und gehauen. Er braucht kein halbes Leben, um mit sich selber fertig zu werden; und ebenso kurz macht er es mit den Andern.

 

Ein sicheres Kennzeichen des senilen Philisters sind seine Klagen über schlechte Zeiten. Wer seine Zeit erkennt, wird sie nicht schlecht nennen. Zeitlichkeit ist unser Los. Wer seine Zeit nicht anerkennt, verkennt alle. Der Philister wünscht die seine immer zum Teufel. Ferner klagt der Philister über Verschlechterung der Sitten, Verfall des Theaters, und daß die Erde kälter geworden sei. Weil des Philisters Jugend erstarb, soll alles tot sein. Schon Homer erzählt: als Odysseus heim kam, fand er, es schneie auf Ithaka.

 

Philister hassen den Witz wie Kastraten die Liebe. Witz und Verstand sind Geschwister. Das Philisterpack hat heiligen Respekt vor beiden. Eine Art Witz aber, den hausbackenen, handhaben sie gern gegen ihre Untergebenen, die Art jenes Oberbürgermeisters, der zum Stadtgendarm, der vor Komplimenten nicht zum Sitzen kam, sagte: Setz er sich nur! Wo er sitzt, ist immer unten.

 

Der Spießer wandert ungern, und zu einer großen Reise entschließt er sich nur, wenn ihn Geschäfte dazu nötigen. Wer wandert, bleibt jung. Ein türkisches Sprichwort sagt: Nur fließendes Wasser bleibt frisch und klar.

Zwei Maximen stehen einander gegenüber: Bleibe im Lande und nähre dich redlich! – und: Verlaß deine Heimat und geh in die Welt, denn der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande.

 

Ich komme zur Wohnung des Philisters, die durchaus wohlgeordnet ist, denn er kennt keine höhere Ordnung der Dinge, die auch Unordnung zuläßt. Er kennt jene Träume nicht, in denen man sich und die Welt vergißt.

Er ist immer zu Hause; am liebsten im Großvaterstuhle, die Schlafmütze bis über die Ohren gezogen. Ellenlanges Gähnen ist sein Vergnügen, seine Kurzweil.

Hier bemerke ich beiläufig, daß ein Philister kein Vagabund oder Bohemien sein kann – und umgekehrt.

 

Ist der Philister Dandy, so trägt er sich gern recht bunt. Geleckt und geschniegelt, sieht er aus wie eine Karikatur, immer lächerlich.

Seine reichlich vorhandene Wäsche wechselt er nur an den bestimmten Tagen. Seine Strümpfe sind numeriert; nie zieht er Nummer 15 vor Nummer 14 an, denn er richtet sich stets nach Uhr und Ordnung. Bei allem hört er lieber auf die Glocke als auf den Geist.

 

Der Philister beginnt früh einzuheizen und viel; er liebt den Ofen, denn seine Natur ist kalt.

 

Mit der Liebe für alles Steife und Gemachte hängt sein Haß zusammen gegen alles Freie und Anmutige.

Gegen das Erhabene und Göttliche im Menschen, gegen jede höhere Natur trägt er Scheuklappen. Besonders zuwider sind ihm Goethe und Shakespeare; er hütet sich aber, dies laut auszusprechen, denn, eingedenk der eigenen Schwäche, fürchtet er offenen Krieg mit den Superioren.

 

In den seltenen Stunden der Seligkeit, die ihm widerfahren, singt der Philister doch auch ein Lied mit, am liebsten bei einem Glase Punsch am Familientische. Er reibt dazu die Zitronen auf Zucker selber ab; das ist ihm eine Lieblingsbeschäftigung, denn es erinnert ihn an seine Universitätsjahre, von denen er gern erzählt, wo er, wie er sich ausdrückt, ein ganz verfluchter Kerl war. So erzählt er reibend und reibt erzählend. Der Punsch, mäßig genossen, steigt ihm gleichwohl in den Kopf. Dann wird feierlich angestimmt:

Freude, schöner Götterfunken ...

Beim Ende des Gesanges ist der Philister tiefgerührt. Er weint, qualmt mächtig aus kurzer Pfeife, versichert jedermann ewige Freundschaft, und alle um ihn herum will er küssen. Der Moment ist gefährlich. Fliehe, fliehe, unschuldsvoller Jüngling! Meide Philisterküsse; sie sind unangenehmer Natur.

 

Die Wahrheit zu sagen: der Philister ist ein mäßiger Mann. Er ißt wenig und trinkt mit gespitztem Munde, ebenso wie er seine Philine küßt. Er liebt Hausmannskost, ladet auch zu solcher ein, wozu er seinem Gaste recht guten Tischwein vorsetzt. Nach Tisch geht er, wie er sich ausdrückt, die freie Natur genießen.

Nach Sonnenuntergang geht er ungern aus, weil er den Schnupfen fürchtet; und nur notgedrungen schläft er außerhalb seines Hauses.

 

Im Allgemeinen träumt der Philister nicht; träumt er aber einmal, so sind es Zahlen. Er setzt sie in der Lotterie; doch keines Philisters Zahl kommt heraus. Es ist ihm bestimmt, die Last des Lebens im Schweiße seines Angesichts zu tragen. Nichts nimmt er leicht; über nichts weiß er sich hinwegzusetzen, sei es vor eingebildetem oder wirklichem Hindernisse. Nichts sieht er im Voraus kommen. Rund um sich erblickt er Unmöglichkeiten, die chinesische Mauer. Und immer klagt er.

 

Der Philister kennt kein mutiges Wagen, kein heimliches Wünschen, keine lockenden Hindernisse. Gefahr reizt ihn nicht; seine Kräfte vergeudet er nicht. Nur im äußersten Notfalle strengt er sich an. Sein Leben verschwenden kann er nicht. Er bezahlt mit langem Schmerze kurze Freuden. Er treibt gute Wirtschaft, überall, und doch will es ihm nirgends recht klecken; denn er ist kein Sonntagskind, und er weiß das. Nicht aber weiß er offenbar, daß der Anfang des Glücks, der Anlauf zum Siege, kühner Mut ist. Er ist weder verwegen wie Achill, noch ungeduldig wie Herkules, noch gar übermütig wie Alexander. Nie setzt er sich auf ein rassiges Pferd; jede Rosinante, jeder alte Postgaul, jeder lahme Packesel ist ihm lieber. Den Moment holder Trunkenheit kennt er nicht; nichts weiß er vom Wahne der Begeisterung, von bacchantischer Lust. Seine Einbildungskraft hat keine Flügel; sie ist ein kriechendes Insekt. Er haßt die Übereilung; nie verfällt er diesem schönen Laster. Sein Fuß tritt immer fest auf. Er verliert nie einen Schuh im Gange. Nie auch hebt er dabei goldene Apfel auf. Nie, auch als Kind nicht, hat er sich die Finger verbrannt; nie sich, auch als Junge nicht, braun und blau gestoßen. Löwe und Adler kennen Geduld nicht; dem bekannten Müllertier ist sie sprichwörtlich zu eigen. Geduld ist des Philisters höchste Weisheit, seine Universalmedizin gegen jedes Übel.

 

Man möchte denken: alle Philisterseelen seien über eine einzige Allerwelts-Schablone gestrichen. Fabrikseelen! Einerlei Montur! Kennst du eine, so kennst du die ganze Philistergilde.

 

Der Philister tröstet gern; hat immer guten Rat für Andere, doch immer ist er ratlos in eigener Angelegenheit. Jener Ratgeber in Tiecks Phantasus ist ein Philister erster Klasse.

Ich gestehe: mir ist die Erfindung der Dampfkraft wichtiger als die gesamte moderne Literatur. Sie greift auch mehr ins Leben. Philister aber lieben keine neue Erfindung und keine Entdeckung: sie ziehen zu viele Veränderungen nach sich. Bekanntlich hat Pythagoras nach Auflösung seines berühmten Lehrsatzes den Göttern eine Hekatombe geopfert. Seitdem zittern alle Ochsen vor neuen Dingen.

Durch umfangreiche Studien habe ich mir ein Wörterbuch der Philisterredensarten angelegt. Nichts imponiert dem Spießbürger mehr als Floskeln und Phrasen folgender Art: die Fackel des Aufruhrs – der Reiz der Neuheit – die Hefe des Volkes – das rollende Rad der Zeit – der allein selig machende Glaube – gefährliche Aufklärung – grandiose Effekte – melodisches Organ – majestätische Abendbeleuchtung – ehrwürdiges Altertum – eine plastische Erscheinung – Fortschritt der Zeiten – süße Dämmerstunde usw. Diese gedankenlosen, abgegriffenen Redensarten wechseln wie die Mode. Heute (1928) beliebt der Spießer, wo er nur kann, zu sagen: prominente Personen, jemanden mit etwas betreuen, Ertüchtigung der Jugend, Auswirkungen, Farbe bekennen, sich auslösen, Kurven der Wirtschaft, tiefschürfende Untersuchungen, eine Sache wieder ankurbeln, Hinein in den Staat, von der Plattform der Borniertheit.

Der Philister gleicht der tönenden Schelle; er ist flach wie die Mongolei; er hat keine weiten, letzten Ziele und ein ödes Herz.

Ich lobe und preise dich, lieber Philister. Dich ziehe ich allen Anderen vor, weil ich mich immer ganz besonders wohl befinde, wenn du dich entfernt hast. Ich wünsche dir alles Gute. Glück auf den Weg! Nur leben mag und kann ich nicht mit dir und deinesgleichen.


 << zurück weiter >>