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Sechstes Kapitel.


Auf Wiedersehen – hier unter diesen Eichen, in dieser grünen Verschollenheit, wo ich dich fand, Theo, wie eine Feenkönigin, die der märchenhaften Waldeinsamkeit angehört; hier laß mich dich wiederfinden! sagte Valerian zu Theo, als er am andern Tage Abschied von ihr nahm. Ich meine, wenn ich dich wiedersehe ohne diese grüne, liebliche Umrahmung, in der mir die zwei nächsten Tage hindurch dein Bild vorschweben wird, so scheu' ich mich vor dir; so ist etwas Fremdes um dich, etwas Unbekanntes, was mich verlegen macht, was mich nicht gleich wieder ohne Zagen zu dem holden Kerne deines Selbst dringen läßt. O, du weißt nicht, fuhr er fort, als sie lächelnd, aber verwundert ihn anblickte, welche verlegene Scheu ich vor dir empfinde; sieh, du bist keine strenge Richterin für mich, nicht wahr?

Theo schüttelte lächelnd ihre Locken, aber sie antwortete nicht anders als durch diese stumme Verneinung und den bittenden Blick ihrer Augen; sie wollte ihn so weiter reden hören, sie hätte ihn um Alles in der Welt nicht unterbrechen mögen.

Und doch, fuhr Valerian fort, ist es mir, als müßte mein Mädchen jeden Augenblick den Gedanken bekommen, mir zu sagen: geh, geh, wer bist du, daß ich dich so lieben sollte?

O das ist schlecht von dir, das ist recht schlecht! ereiferte Theo sich; mir fällt so etwas gar nicht ein, und auch dir würde es nicht in den Sinn kommen, wenn du so recht fühltest, wie wir Eins sind und wie ich nur in dir lebe und du nur in mir leben sollst! Wird denn ein voller Jubelton zur Luft sagen: wer bist du, Luft, daß ich in dir mein Leben ausklingen und in dir zerrinnen soll?!

Herz, Herz, sagte Valerian, sie an sich drückend, wenn du wüßtest, wie reizend dir dies zornige Kräuseln deiner Oberlippe steht! Aber sag', wenn du nach jahrelangem Suchen nun endlich im Schoose geheimnißvoll rauschender Wälder die blaue Blume der Sehnsucht gefunden hast, wirst du da nicht voll Scheu und bangem Zagen an das süße Wunder treten und wird deine Hand nicht zittern, wenn du sie nach ihm ausstreckst? Wird dir nicht sein, als rauschten oben die laubigen Zweige, als riefe die Amsel vom Fichtenast, als zischelte die Eidechse, die durch's Moos schlüpft: Hüte dich, hüte dich!

Sie schüttelte den Kopf.

Nein, nein, sagte sie, das ist recht schön, aber was hat das Herz mit der blauen Blume zu schaffen? Ich bin keine Blume und ich will für dich keine sein! Hörst du? kein Gebilde der Romantik und der Poesie will ich für dich sein, für das du schwärmst, das du anbetest, das du vergötterst, das du trunken mit allen Reizen umkleidest, welche ein Rausch der Phantasie aufzutreiben weiß! Nein, du sollst das nicht, du sollst mich nicht anbeten, nicht für mich schwärmen!

Kleiner Tyrann, rief Valerian lachend aus, was soll ich denn?

Mich lieben, nur lieben, so wie ich bin und Gott mich gemacht hat, ein armes Ding, das nicht leben könnte, wenn sie nicht Alles, Alles wäre für dein Leben, auch für dein tägliches, trocken prosaisches Leben, für deine Sorgen und deine Freuden, für deine Mühen, deine Schmerzen, deine kleinsten Angelegenheiten!

Und sieh, fuhr sie fort, als er sie innig an sich drückte, wenn du mich vergötterst, dann werde ich nichts sein können für dein eigenes Ich, das doch nur im Ganzen des gewöhnlichen Lebens sich herauskehrt; dann werde ich Alles sein für deine Phantasie, nichts für dein Herz, Alles für deine Träume, nichts für dich selbst. Und deine Phantasie wird sich kühlen, deine Träume werden verwehen – und was wäre ich dann?!

Unter solchen Gesprächen wandelten Beide in den frischen Herbstmorgen hinaus, bis Valerian's Wagen, der ihn fortführen sollte, sie einholte und der Augenblick der Trennung kam. Schon am Abend des dritten Tages wollte Valerian wieder da sein, nachdem er bei Theo's Vormund um die Hand seines Mädchens geworben und mit Allgunde von Quernheim wegen Finkenberg gesprochen. Doch war die Trennung darum nicht weniger schwer und bitter; und als endlich der Wagen mit ihm dahinrollte, stand Theo noch lange auf einem Hügel unter einer Linde und winkte weinend mit dem Tuche dem Scheidenden nach.

 

Allgunde von Quernheim hatte in Folge der lakonischen Zeilen Valerian's, deren wir oben erwähnten, ihre Reise nach B. aufgeschoben, bis sie zu einer nochmaligen Unterredung mit ihm Gelegenheit gefunden. Sie befand sich in diesem Augenblicke in Surenburg, denn eine verdrießliche Angelegenheit, welche sie beschäftigte, hatte ihr eine Besprechung mit dem Freiherrn von Mainhövel wünschenswerth erscheinen lassen.

Der blinde Freiherr saß in seinem Armsessel und hatte eben seine Tochter Herbertine, die ihm den Frühstückskaffee eingeschenkt hatte, aus dem Zimmer geschickt; Allgunde von Quernheim ging langsam auf und ab.

Welch' fürchterliches Aufsehen, sagte sie, welches Scandal würde daraus erfolgen, wenn man ihr nachgäbe!

Freilich, versetzte Mainhövel, es geht nicht, nein, es geht nicht. Aber empörend behandelt hat er sie, dieser Sasseneck; so handelt kein Edelmann!

Ja, es ist unritterlich und bedroht uns mit einem großen Aergerniß, wenn Marie ihren Vorsatz nun doch ausführt!

Sie wird ihn nicht ausführen, dazu fehlt ihr der Muth! meinte der Freiherr.

Man kann nicht wissen, versetzte Allgunde von Quernheim zweifelnd. In Sturm und Regen den Reitknecht machen, auf der Jagd durch die schwersten Ackerschollen neben dem Herrn Gemahl herlaufen, um ihm die Waidtasche und das erlegte Wild zu tragen; der brutalsten Behandlung ausgesetzt sein, das eigene Kind als Kegelknabe in der Dorfschenke verwendet sehen – in der That, ich möchte nicht darauf wetten, daß Marie Sasseneck nicht endlich einen desperaten Streich machte, um dem Allen zu entgehen! Ihr Brief an mich, wo sie meinen Schutz für einen solchen Fall in Anspruch nimmt, lautet sehr entschieden.

Mein Rath ist, sagte Mainhövel, Sie fahren selbst zu Sassenecks hinüber und reden ihm und ihr ins Gewissen! Sagen Sie ihr, welche Einfälle das seien, wegen schlechter Behandlung mir nichts dir nichts seinem Manne durchgehen zu wollen, als ob eine Frau unter irgend einer Bedingung dazu das Recht habe! Sagen Sie ihr, daß man nicht seiner selbst und um seines Lebensgenusses wegen auf der Welt sei, wenn man einen adligen Namen trägt. Wir Männer sind ja eigentlich nur dazu da, als Fideicommißträger unser Gut und unsern Titel unversehrt auf den nächsten Nachkommen zu überliefern, und die Frauen sind nur dazu da, für die Existenz dieser Nachkommen zu sorgen. Das ist die nächste und erste Bestimmung des Edelmanns und der Edelfrau und dieser müssen wir uns fügen. Laß Marie sich an ihrem Kinde Trost holen und vor Allem zu verhüten suchen, daß sich kein Aergerniß an den Namen dieses ihres Kindes hefte. Wenn ihr Mann sie mishandelt – nun, so muß sie sich einmal mishandeln lassen. Dafür ist er ihr Mann!

Freilich, sagte Allgunde von Quernheim, die immer eine große Verteidigerin der unterdrückten Rechte und der Würde der Frauen im Allgemeinen war, aber äußerst scharf und schonunglos urtheilte, wenn irgend eine einzelne Frau sich etwas herausnehmen wollte.

Sie soll ihn nur gezwungen genommen haben, hob Mainhövel nach einer Pause wieder an.

Wer würde auch freiwillig solch' einem Narren seine Hand gegeben haben! rief Allgunde aus.

In diesem Augenblicke trat ein Ackerknecht ein, der gelegentlich als Lakai fungirte, und meldete die Ankunft des Grafen Valerian von Schlettendorf.

Sehr willkommen, sagte Mainhövel, indeß die Gräfin von Quernheim überrascht und beunruhigt mit den Worten: Was mag den hierher führen? um ein paar Schritte der Thüre näher trat. Sie wußte, daß Valerian seit drei Tagen von seinem Gute entfernt sei; wohin aber hatte sie nicht erfahren können, da er es in Schlettendorf selbst nicht angegeben, und so wähnte sie ihn zur Rencontre mit Heydenreich Tondern abgereist – es war ja sonst nichts denkbar, weshalb er seinen Leuten das Ziel seiner Reise verheimlicht hätte.

Valerian trat ein.

Es freut mich, daß ich Sie hier finde, Gräfin Allgunde, sagte er mit unbefangener Freundlichkeit, als er sie begrüßt hatte. Ich baue vor Allem auf Ihre Freundschaft, Gräfin, und ein Freundeswort, das für mich bei Herrn von Mainhövel spricht, würde mich Ihnen sehr dankbar machen.

Allgunde reichte ihm die Hand.

Bei Herrn von Mainhövel? sagte sie.

Ja, versetzte Valerian, sich zu diesem wendend, in Ihrer Hand liegen die Loose meines Schicksals!

Die Loose unsers Schicksals liegen gewöhnlich in der Hand eines Blinden, antwortete der alte Freiherr mit bitterm Scherze. Aber sprechen Sie, Graf Valerian, worin kann ich Ihnen dienen?

In einer Angelegenheit, bei der die Beredtsamkeit gewöhnlich versiegt – im Augenblicke, wo man ihrer am nöthigsten bedarf. Deshalb will ich kurz und rund heraus es sagen: ich komme zu Ihnen als dem Vormunde Theos von Blankenaar, deren Verlobter ich bin.

Ha, sagte der Freiherr und strich den kurzen, weißen Bart, während die Runzeln seiner gewaltigen Stirn wie ein Vorhang auf- und niederrollten.

Die Gräfin Allgunde sagte kein Wort; sie konnte nicht verhindern, daß ihre Züge blässer wurden, als sie vorher gewesen, aber kein anderes Zeichen verrieth die äußerst unangenehme Ueberraschung, welche in Valerian's Worten für sie enthalten war.

Sie, Herr von Mainhövel, fuhr Valerian fort, sind nach den genauen Vorschriften des Vaters meiner Braut auch noch nach ihrer Volljährigkeit befugt und beauftragt, ihr den Gatten zu wählen. So hat mir Theo berichtet. An eine Heirath ohne Ihre Einwilligung hat der verstorbene Herr von Blankenaar den Verlust der Güter zu Gunsten der Grafen von Blankenaar in Schlesien und seinen väterlichen Fluch geknüpft.

Ja, es ist so, in der That, versetzte Mainhövel. Die Bedingungen des Testaments sind äußerst streng, äußerst streng in dieser Beziehung. Mein alter Freund war untröstlich, daß er keinem Sohne seine Güter hinterlassen konnte. »Es ist zum Verzweifeln, sagte er – einem unberathenen, jungen Mädchen solche Besitzungen in Händen zu lassen! Und wenn sie nun heirathet, wer steht dafür, daß es nicht ein galanter Windbeutel, ein fremder Mensch, wie jetzt so viele ins Land schneien, ein Herr von Habenichts, ein Subject ohne Namen und Rang ist, welcher ihr thörichtes Mädchenherz berückt? Ich würde mich im Sarge umdrehen, wenn meine schönen Güter auf diesem Wege in die Hände eines niedriggeborenen Menschen geriethen!« Um solchen Befürchtungen nicht zur Beute zu sein, machte denn mein seliger Freund sein Testament.

Und demzufolge sehen Sie mich hier, Herr von Mainhövel, um zu meiner Verbindung von Ihnen die Genehmigung zu erbitten, an welche der väterliche Segen sich knüpft. Sie kennen mich und meine Verhältnisse, und obwol ich nichts Näheres von dem Inhalte des Testaments weiß, nach dessen Vorschriften Sie Theo den Gatten zu wählen haben, so glaube ich doch annehmen zu dürfen, daß ich keine der gefürchteten Eigenschaften besitze, welche Sie eben erwähnten und gegen die jene letztwillige Verfügung gerichtet ist.

In der That, versetzte Mainhövel, ich glaubte ganz in den Intentionen meines seligen Vetters Blankenaar zu handeln, wenn ich seine Tochter einem Grafen von Schlettendorf zur Ehe gäbe.

O wie Sie mich durch dieses Wort glücklich machen, rief Valerian aus, indem er die Hand des Blinden ergriff.

Es käme nur darauf an, sagte Mainhövel verlegen und unschlüssig – ob – Gräfin Allgunde – Sie – ja, Sie waren die Erzieherin Theo's –

Allgunde that nichts, den stotternden Freiherrn, der sie um ihre souveraine Willensmeinung befragen und doch nicht seine Abhängigkeit von ihr verrathen wollte, aus der Verlegenheit zu ziehen.

Sie können deshalb besser als ich beurtheilen, ob Theo zu unserm verehrten Vetter passen würde? brachte er endlich als eine ostensible Art, die Gefürchtete um ihren entscheidenden Ausspruch anzugehen, heraus.

Sie sagte trocken:

O gewiß, wenn nur Herr von Tondern nicht Ihr Wort schon hätte!

Mein Wort? Nicht grade mein –

Er hat Ihr Wort! unterbrach Allgunde ihn mit großer Ruhe, aber scharfer Betonung. Obwol ich des Grafen Valerian Wünsche immer nur die meinen nennen kann, fuhr sie fort, so sehe ich doch nicht ab, wie Sie von Ihrem Worte loskommen wollen, lieber Mainhövel!

Aber, fuhr Valerian dazwischen, Theo liebt, Theo will Tondern nicht!

Nun, das ist wol kein Grund, der in Erwägung kommen dürfte, versetzte der blinde Freiherr; wir sind hier zu Lande nicht gewohnt, die jungen Mädchen zu fragen, ob sie lieben oder wollen, wenn wir ihnen einen Mann ausgesucht haben.

Dann dürfte es hohe Zeit werden, diese Gewohnheit einzuführen, sagte Valerian entrüstet.

Sie werden das nicht von mir verlangen. Ich hasse jede Abweichung von der Sitte, die Jahrhunderte sanctionirt haben!

Streiten wir uns nicht darüber, fiel Valerian ein; mein Herz ist zu schmerzlich auf die Folter gespannt! Herr von Mainhövel, ich habe noch nicht Ihr letztes Wort, o ich bitte Sie, lassen Sie dies letzte Wort ein freies, ein von allen fremden Einflüssen unabhängiges sein; denken Sie an Theo's Vater, ihren verstorbenen Freund, und daß sie seinen Manen für das Glück seiner Tochter werden Rechenschaft geben müssen! O sprechen Sie frei, nach eigener, bester Erwägung und –

Der Freiherr von Mainhövel wurde zornig über diese Ermahnung; je mehr er fühlen mußte, daß solch' eine Aufforderung, unabhängig und unbestochen zu entscheiden, hier an ihrem Platze sei, desto mehr ärgerte sie ihn und deshalb sagte er, während die Runzeln seiner Stirn doppelt rasch und düster ihr rollendes Spiel fortsetzten:

Was ich zu bedenken habe, weiß ich! Ich bedauere, Graf Valerian, den Antrag, der für meine Mündel so ehrenvoll ist, ablehnen zu müssen. Den Grund haben Sie gehört; er ist der einzige. Dies ist mein letztes Wort und Sie werden selbst das Gewicht einer einmal gegebenen Zusage zu gut zu schätzen wissen, um nicht einzusehen, daß es auch mein letztes Wort bleiben wird und muß.

Ich weiß Ihnen freilich nichts mehr einzuwenden, sagte Valerian, der einsah, daß mit den beiden Charakteren, denen er gegenüberstand, ein Vergleich unmöglich sei – aber ich hoffe, Sie erlauben mir, Ihre offene Erklärung mit einer gleich offenen dahin zu erwidern, daß ich Sie bitte, die schlesischen Vettern herbeizurufen, sobald Ihre Zeit es Ihnen erlaubt. Ich hoffe, meine Braut hat hinreichende Willensentschlossenheit und Klarheit des Gemüths, um über die Drohungen eines Testaments sich hinwegzusetzen, welche thöricht und frevelhaft in unbestimmte zukünftige Verhältnisse wie in einen Nebel hineingeschleudert sind. Sie wird sich nicht von einem Fluche getroffen fühlen, den nur der Buchstabe enthält und den der Geist ihres Vaters gewiß nicht über sein Kind ausspricht, wenn es seine Hand dem Stammhalter der Grafen von Schlettendorf reicht! Leben Sie wohl, Herr von Mainhövel. Ich hoffe, Sie werden in dem Schritte, den ich jetzt thun werde, nicht einen Grund sehen, mir Ihre fernere Freundschaft und Gewogenheit zu entziehen.

Valerian verbeugte sich und nachdem er zu Allgunde gesagt hatte: Sie, meine Gnädigste, muß ich dringend um eine Audienz ohne Zeugen bitten, entfernte er sich aus dem Zimmer.

Allgunde von Quernheim folgte ihm im Augenblicke darauf und führte ihn in ein kleines Eckzimmer, welches sie gewöhnlich in Surenburg bewohnte. Hier lud sie Valerian ein, auf dem Sopha Platz zu nehmen, setzte sich neben ihn und, indem sie seine Hand ergriff, sagte sie mit einer, wie es schien, sehr herzlichen Theilnahme:

Mein lieber, lieber Freund, wie bedauere ich Sie; o könnte ich etwas thun, um Wünsche, welche Ihnen so theuer zu sein scheinen, erfüllt zu sehen!

Valerian kochte innerlich vor Zorn bei dieser gleißnerischen Anrede, da er wohl gemerkt hatte, daß Mainhövel nur Allgundens Einflüsterung gehorchte, als er die Genehmigung versagte, die er schon im Begriffe gewesen, zu ertheilen.

Doch that Valerian Allgunden jetzt Unrecht. Gleißnerisch war ihr Charakter nicht, und sie mochte in der That bedauern, daß sie gewissermaßen in Tondern's Gewalt sei und diesem Theo, um ihrer eigenen Sicherheit wegen, ausliefern müsse.

Wirklich? fuhr Valerian auf, bedauern Sie mich in der That? Nun, um so mehr Hoffnung habe ich, daß, was ich Ihnen sagen wollte, eine gute Stätte bei Ihnen findet, daß Sie einen Vorschlag annehmen, vermittelst dessen Alles in das beste Geleise gebracht werden könnte!

Und dieser Vorschlag ist?

Sie lassen für Tondern die Ehrenstelle nachsuchen, welche Sie mir auszuwirken im Begriffe stehen, unter der Bedingung, daß er auf Theo, die ihn verabscheut, zu meinen Gunsten verzichtet, wenn von Verzicht geredet werden kann, wo kein Recht ist.

Allgunde schüttelte den Kopf. Das wird Tondern nie thun; wie könnte ihm der Besitz der reichen Blankenaar'schen Güter für sich und seine Familie auf ewige Zeiten durch eine und wenn auch noch so glänzende Anstellung aufgewogen werden?

Aber, sagte Valerian, seine gereizte Stimmung immer noch so viel, wie ihm möglich, zurückdrängend, Sie werden doch jetzt, wo ich mit Theo verlobt bin und weiß, daß ihre Gemüthskrankheit nichts Anderes war, als ein Vorwand, um vor Ihnen und Heydenreich sicher zu sein – Sie werden doch jetzt nicht daran denken, mit Gewalt das arme Mädchen an den Altar zu schleppen? Ich begreife gar nicht, wie Sie sich vorstellen, daß eine Verbindung zwischen Theo und Tondern noch zu Stande kommen sollte.

Allgunde sah ihn groß an.

Diese Gemüthskrankheit ein Vorwand? sagte sie wie äußerst verwundert.

Ich weiß nicht, fuhr sie gleich darauf fort, was Ihnen Theo erzählt haben mag; das weiß ich, daß ich mir eine sehr vergebliche Mühe machen würde, Ihnen Theo's Angaben und Behauptungen zu widerlegen, denn Sie lieben Theo. Aber so viel auch die unnatürliche und unbegreifliche Abneigung dieses Mädchens gegen mich Ihnen kann eingeflüstert haben, so bin ich doch überzeugt, Valerian, daß Ihre Einsicht und Ihre Freundschaft für mich, die auf der Gemeinsamkeit der edelsten Sympathien und Bestrebungen ruht, darunter leiden könnten! Nein, die Liebe kann Ihnen einen Zoll an die Alltäglichkeit abfordern, kann Sie mir und Ihren größeren Gedanken für eine Zeitlang entfremden – dann aber kehren Sie –

Lassen wir das, unterbrach sie Valerian, den es in tiefster Seele verletzte, von seinem heiligen Gefühle für Theo als von einem »Zoll an die Alltäglichkeit« reden zu hören. Er fuhr fort:

Sie haben meinen ersten Vorschlag nicht zu genehmigen geruht, meine Gnädigste. So hören Sie meinen zweiten. Wie wäre es, wenn Sie die Sache bei der Wurzel anfaßten, indem Sie mir Theo's Hand ließen, dem Zorne Heydenreich Tondern's aber trotzten und, wenn dieser die Drohung erfüllte, welche Sie zu seiner Sklavin macht, ihm kühn die Stirne böten? Gibt es nicht ein Mittel für Sie, sich von diesem Tondern loszumachen und zugleich von Ihrem Gewissen eine eben so große Last abzuwerfen?

Was wollen Sie damit sagen? fragte Allgunde, die wie elektrisch berührt zusammenzuckte, aber sich hinreichend beherrschte, um ihr Gefühl nicht im mindesten zu verrathen.

Allgunde, sagte Valerian, ich habe versprochen für die Rechte eines Mannes in die Schranken zu treten, der freilich einst ein Unwürdiger war, der tief gesunken ist, der aber heilige Rechte auf Sie besitzt, Rechte, welche Ihr einseitiger Machtspruch ihm nicht nehmen kann! Dieser Mann heißt Finkenberg. Erkennen Sie die Ansprüche an, welche er macht, und Sie haben den einzigen Zeugen Ihrer Vermählung, den Baron Tondern, nicht mehr zu scheuen, Sie haben Niemand auf Erden mehr zu scheuen. Sie haben dann alle jene geheimen Maßregeln und Intriguen nicht nöthig, die Ihrer unwürdig sind, und während die Ruhe in Ihre Seele zurückkehrt, wird Ihnen das reine Bewußtsein wiedergegeben, welches hoch über allen Zielen und Kronen steht, die der Ehrgeiz erringen kann!

Valerian! Valerian! rief Allgunde aus, als er geendet hatte. Das von Ihnen! Habe ich das um Sie verdient! Einem Nichtswürdigen haben Sie Ihr Ohr geschenkt – einem Menschen, dessen Namen Sie nicht in meiner Gegenwart aussprechen würden, wenn Sie ihn kennten – o feige, kindische Leichtgläubigkeit! Sind Sie ein Mann, Valerian, und lassen sich von Elenden bethören, statt sie zu tödten für die Schmach, welche das Gewürm häuft auf mich, mich, die Ihnen im Leben am nächsten stehen sollte, als Ihre Freundin, als eine zweite Mutter?!

Sind Sie die Frau Finkenberg's, meine Gnädigste, oder nicht?

Nein! nein, zehnmal nein!

Und ich schwöre zehnmal: ja! entgegnete Valerian, der bei Allgundens Aufwallen seine vollständige Ruhe wieder erhielt. Aber ich glaube, fuhr er fort, daß bei so großer Meinungsverschiedenheit eine weitere Unterhaltung zwischen uns schwerlich zu irgend einem Ziele führen wird!

Er erhob sich und wollte gehen.

Valerian! rief sie aus, indem sie ihm nacheilte und seine beiden Hände ergriff. Sie wollen mich verlassen, in dieser Stimmung verlassen, Zorn und Mistrauen und Feindschaft im Herzen – weil Sie zu tief in die Augen eines thörichten, jungen Mädchens geblickt haben, weil ein Verworfener, ein Spion, ein Mensch ohne Treu' und Glauben Verleumdungen gegen mich ausgestoßen hat, wollen Sie mich verlassen und sich meinen Feinden zugesellen? O Gott, können Sie so leicht allen den großen und edeln Gedanken entsagen, welche uns Beiden zu einem festen Bündnisse haben die Hände reichen lassen? Können Sie die Endziele Ihres Lebens, das Streben des Mannes, der wahrhaft Mann ist, die Pläne, welche Ihre jugendlich glühende Seele erfüllten und allein Sie emporhoben über die schale Existenz der andern Männer – können Sie das Alles vergessen? Alles, Alles, was Sie so eng mit mir verknüpfte, können Sir dahin geben, um das Lächeln eines jungen Mädchens zu erhaschen, um die Rodomontaden eines Vagabunden anzuhören? Sind Sie ein Mann, schlägt ein Herz in Ihnen, das Ehrgeiz, das Ruhmdurst, das die Hoffnungen einer stolzen Seele kennt?

Valerian schüttelte den Kopf und entzog ihr seine Hände.

Nein, nein, sagte er, alle diese Gedanken, diese Pläne, dieser Ehrgeiz, von denen Sie sprechen, nehmen in meiner Seele nicht den Platz ein, welchen Sie vorausgesetzt zu haben scheinen, Gräfin Quernheim. Jedenfalls ist das Rechtsgefühl in mir mächtiger, als sie alle, und wo die Liebe spricht, schweigen sie.

O gehen Sie nicht, gehen Sie nicht von mir, Valerian! Scheiden Sie nicht, Haß im Herzen gegen mich – ich habe ihn nicht verdient, Ihren Haß, bei Allem, was heilig ist, nicht! O Sie wissen nicht, was Sie mir gewesen sind – wie lange schon mein Auge auf Ihnen geruht hat, wie lange schon und bis wie weit meine Blicke unablässig Ihnen folgten, mit der ängstlichen Sorge einer Mutter, deren Gedanken, Wünsche und Sorgen ohne Unterlaß ihrem Kinde in die Fremde nachziehen! Sehen Sie, ich stehe allein und einsam auf der Welt und habe seit Jahren so allein gestanden; ich habe keinen Freund, keine Freundin, kein Wesen, dem ich ganz vertrauen kann. Und doch habe ich ein Herz, wie ein anderes Weib, ja ein größeres, ich habe ein Herz, das für Leidenschaften, für große, gewaltige Leidenschaften Raum hat. Meine Seele ist geschwellt von dem Drange nach der That, nach Leben, nach Macht und Größe; diesem Drange nach hat sich die Kraft meiner Seele ergossen und in dem aufregenden Treiben einer über die Frauensphäre hinausgehenden Thätigkeit habe ich Ersatz gesucht für Liebe, Freundschaft, mütterliche Zärtlichkeit und wie alle die Regungen heißen, welche die Brust anderer Frauen erfüllen. Aber nie ist die Leere in mir ausgefüllt worden, die ich fühlte seit dem Augenblicke, wo ich den Umfang der Kraft erkannte, welche die Natur in mich gelegt hat und zugleich mir den Mangel aller Gelegenheit gestehen mußte, diese Kraft in dem Glanze des Heroismus zu entwickeln, nach dem ich dürstete. Jene Leere wurde mir unerträglich; wirkte und agitirte ich auch für eine großartige und würdige Idee, so machte sich doch endlich in mir die Frau geltend, die statt der abstracten Idee ein persönliches Ziel sehen will, wenn sie sich dauernd begeistern soll. Ich sehnte mich nach einem ebenbürtigen Gehülfen und Erben meiner Plane und meiner Thätigkeit. Sie nun waren die Person, Valerian, welche mir meine Idee vertreten sollte, dieser Gehülfe an meinem Werke, dieser Erbe meiner Hoffnungen. O, Sie können, Sie können sich nicht von mir lossagen, Sie sind der Augapfel meiner Sorge gewesen, der Stern meiner Zukunftträume, der König auf allen Thronen, welche meine hochfliegenden Gedanken aufbauten. Keine Braut kann ihrem Geliebten mit mehr zitternder Spannung, mehr athemloser Ungeduld entgegensehen, als ich Ihnen entgegensah, als ich in meinen ersten Gesprächen mit Ihnen den Ausdrücken Ihrer innersten Gesinnung lauschte. Nein, nein, Valerian, Sie können sich nicht von mir trennen – es ist nicht möglich, es würde mir das Herz brechen!

Und doch, sagte Valerian mit traurigem Kopfschütteln, so sehr auch dies Alles mich erschüttert, doch muß ich mich trennen von Ihnen und jede fernere Gemeinsamkeit mit Ihnen ablehnen, Gräfin Quernheim. Sie sprechen von Plänen, von Gedanken und ehrgeizigen Zwecken, die Sie verfolgen. Ich kann unmöglich Theil an diesen Plänen nehmen, denn ich habe mich überzeugt, daß Sie für Ihre Zwecke Mittel und Hebel anzuwenden nicht verschmähen, welche ich meiner für unwürdig halte. Und Ihre Gedanken, Ihre Pläne selbst, welche sind sie? Hat Ihnen Ihr Scharfsinn nicht gleich gesagt, daß Sie in mir kein Werkzeug dafür suchen durften? Sie haben mich dazu ausersehen, sagen Sie. Ich kann dies nur auf Rechnung einer jener heftigen und stürmischen Frauenphantasien setzen, welche Das, was sie sehen wollen, wirklich zu sehen glauben, als sei ihr Wünschen schöpferisch. Ich bin eine Ihrer Capricen, eine Figur, welche Sie sich herausgeputzt haben mit allen Ihnen angenehmen Eigenschaften. Leider muß ich Sie enttäuschen. Ich bin tief durchdrungen von der Nichtigkeit aller der männlichen Existenzen, welche ein Leben führen, ohne eine Idee zu erfassen und die Aufgabe ihres Daseins in der Vertretung derselben zu sehen. Ich habe selbst, längst ehe ich Sie kannte, mir einen Gedanken aus denen, welche die Zeit bewegen, ausgehoben, und für den will ich streiten! Aber zwischen ihm und dem Gedanken, dem Sie dienen, ist keine Gemeinsamkeit, nein, ist vielmehr eine Fehde auf Tod und Leben. Ich war ein so gutmüthiger Thor bis jetzt, diesen Zwiespalt zwischen uns nicht klar auszusprechen. Ich mochte Sie nicht in der Leidenschaftlichkeit Ihrer Freundschaft für mich verletzen, ich war Ihnen dankbar, gab Ihnen nach und schob eine Erklärung hinaus, in der Hoffnung, Ihr eigener Scharfsinn werde sie nach und nach überzeugen, daß von mir Nichts für Ihre Zwecke und Absichten zu erwarten sei. Aber damit Sie sehen, daß Ihre Ansicht, es lasse sich ein Diplomat aus mir entwickeln, nicht ganz aus der Luft gegriffen war, so will ich Ihnen auch gestehen: ich scheute eine klare Auseinandersetzung und ein Zerwürfniß mit Ihnen, weil ich den Schlüssel zu Allem, was Theo betraf, nur bei Ihnen zu finden hoffen konnte.

Ha! rief Allgunde, indem sie sich in die Sophaecke warf und das Gesicht mit den Händen bedeckte.

Jetzt aber, fuhr Valerian fort, will ich Ihnen mein Glaubensbekenntniß sagen: Sie kämpfen für die todten Rechte einer todten Welt, ich für die Lebendigen und ihre Rechte. Jeder Standesunterschied in Folge der Geburt ist ein frecher Hohn der Christuslehre. Er ist jetzt, wie sich die Zeit angethan, noch obendrein unpolitisch; er ist albern, er ist lächerlich. Er schließt euch hier in diesem Lande wie einen unglückseligen Ueberrest irgend eines von der Civilisation aufgeriebenen Wildenstammes, wie ein letztes Häuflein Irokesen oder Chippewaer in seine Jagdgründe ein; hier, wo ihr im Unmuth gegen die Welt unter dem Schatten eurer heiligen Stammbäume zusammenhockt und nichts lernt und nichts vergeßt. Ihr seid unmuthig und zürnt gegen die Regierung, die von oben her euch nicht genug thut, weil sie, auch beim besten Willen, doch an die Stimme der öffentlichen Meinung gebunden ist. Ihr zürnt auf die andern Stände, weil sie spotten oder erbittert sind durch eure Ansprüche und euch zurückdrängen in euern »Jagdgrund«. Ihr zürnt gegen die öffentliche Meinung, weil sie Euch mit euern Anmaßungen niederhält. Ihr zürnt gegen die Intelligenz des Landes, die Presse, die Dichter und die Denker der Nation, weil sie nur Hohn für eure Sparren haben. Ihr zürnt gegen jede neue Regung, jeden edeln Trieb, der im Volke auflebt, weil er die Macht verstärkt, die euch besiegt hat. Ihr zürnt gegen den Fortschritt, weil ihr ewig im Nachtrab seid – kurz, eure Hand ist wider Jedermann und Jedermanns Hand ist wider euch! – Wenn eure Politik noch einen großen und gesunden Zweck hätte; wenn ihr z. B. strebtet, eine mächtige, durch Intelligenz und Genie, wie durch Besitz und Adel der Gesinnung hervorleuchtende Pairskammer zu bilden und so an der Staatsgewalt Theil zu nehmen! Aber nein, ihr wollt nur die Staatsgewalt euch gegenüber ohnmächtig, den andern Ständen gegenüber möglichst absolut sehen. Das ist eure Politik und Gott soll mich bewahren, je für sie die Hand zu erheben! Nein, Gräfin Quernheim, meine Politik und der Gedanke, für den ich kämpfen will, ist anderer Art. Euer Blick ist in die Vergangenheit gerichtet und zehrt an Erinnerungen; der meinige schaut in die Zukunft, in eine freie Zukunft, in welcher es Jedem gestattet sein wird, ein Aristokrat zu sein, und was noch mehr, ein Mann. Und mit dieser Gesinnung bin ich nicht allein ein besserer Politiker, als ihr es seid, sondern auch ein besserer Christ trotz all' euers Römerthums. Denn die christlichen Gestirne, welche über dem Leben des Menschen hellleuchtend wandeln sollen, das sind die Liebe, die Hoffnung und der Glaube; die Hoffnung aber hat die Blicke in die Zukunft gewendet und eben dahin schaut der Glaube gewordenen Verheißungen entgegen. Nirgends steht geschrieben, daß die Erinnerung, das Haften am Ererbten eine christliche Tugend, oder daß der Krebs unter den Thieren der Apostel des Herrn sei, wie der Adler zum Johannes und der Löwe zum Markus gehört! Und fragen Sie mich, wie ich mir die Zukunft, an die ich denke, damit sie meiner gedenke, vorstelle? So, daß in ihr, wie einst der Emporkömmling adelig zu werden strebte, der Stammbaum-Adlige strebt ein Emporkömmling zu werden. Doch genug – Sie sehen, Gräfin Quernheim, unter uns kann von keinerlei Gemeinsamkeit die Rede sein.

Er verbeugte sich, um zu gehen.

Graf Schlettendorf! rief Allgunde aufspringend – noch ein Wort!

Sie befehlen?

Man hat Sie in diesen Tagen vermißt. Ich weiß jetzt, daß Sie bei Theo waren, aber Niemand konnte daran denken; ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr Verschwinden in demselben Augenblicke, wo Baron Tondern einen Ehrenhandel mit Ihnen ausmachen wollte, äußerst auffallend gewesen ist. Unterlassen Sie doch nicht, möglichst bald an Tondern Ihren Secundanten zu schicken; wenn Sie auch, setzte sie lächelnd hinzu, durchaus mein Widerpart sein wollen, so können Sie mich doch nicht hindern, wenn ich nur mit einem unbescholtenen und an seiner Ehre ungekränkten Gegner kämpfen mag!

Gräfin Allgunde sprach diese Worte mit der äußersten Gelassenheit und durch keine Miene eine andere Stimmung verrathend, als Ernst und das Gefühl großer Würde.

Ich danke Ihnen für diese Nachricht, sagte Valerian und verließ das Zimmer.

In diesem Augenblicke veränderten sich die Züge der Gräfin plötzlich in höchst auffallender Weise. Ihre Augenbraunen schienen in eine tiefe Falte des Zornes zusammenrollen zu wollen, ihre blaue Unterlippe zitterte und jede Fiber ihres marmorblassen Gesichts zuckte in krampfhafter Aufregung. Es war häßlich geworden, dieses Antlitz, in dem durch die gelbe Farblosigkeit der Wangen sich dunkelrothe Aederchen schlängelten und über der Stirn strotzende Venen aufliefen, während die großen, starren Augen Blicke schossen, als ob ein Paar von kalten, harten Dämonen sich da eingenistet; aber es war auch fürchterlich und erschütternd wie das Antlitz einer Medea.

Sie stand eine Weile so, die Blicke auf die Thüre gerichtet, als ob sie durch die Breter hindurch dem Feinde folgen und ihn vernichten sollten. Dann stieß sie ein kurzes, heiseres Gelächter aus und sich wendend begann sie sehr langsam in dem Zimmer auf- und abzugehen, halbe Sylben oder gebrochene Worte ausstoßend, bis sie endlich in zusammenhängender Rede sagte:

Also du willst Kampf, du willst Krieg mit mir – o du sollst ihn haben, ja, bei Gott, bis auf den Tod! o schändlicher Verrath! fluchwürdiger Elender, für den ich mehr that, als für einen Menschen auf der Welt! Schlange, die ich am Busen nährte, feiger, niedriggesinnter, jämmerlicher Mensch! Fluch, Fluch, dreimal Fluch der Niederträchtigkeit, die zu Hohem berufen ist und sich ihm entzieht im Drange nach plebejischer Gemeinheit; die diesen Drang, statt ihn offen zu gestehen, mit modernen Weisheitsphrasen und den Gemeinplätzen liberaler Strohköpfe verdecken will! O welch' herzloser, undankbarer Mensch! Wie vor einer Mutter sollte er vor mir auf den Knien liegen – Dankesthränen weinen! Aber du sollst mich kennen lernen! Deine Braut, wie du sie nennst, sollst du, ehe wenige Tage verflossen sind, als angetrautes Weib in der Gewalt deines Feindes sehen; dein Freund und Schützling, mein edler Gemahl, soll wie ein durchgepeitschter Hund Gott danken, wenn man ihn losläßt, um sich heulend aus dem Staube machen zu können! Und über dich selbst will ich eine Acht aussprechen, die dich treffen soll, wie ein Fehmspruch. Die Welt soll dich fliehen, wie einen Aussätzigen, und wo du die Hand darreichst, soll man sie fortstoßen, als strömte die Pest aus ihren Poren!

In diesem Augenblicke schlüpfte scheu Herbertine in das Zimmer und sagte mit allen Spuren des Schreckens in den Mienen:

Gott, wie ist der Vater so zornig! Er läuft an seiner Schnur im Zimmer herum wie ein blutender Eber; er wüthet gegen dich und Tondern und Cousine Theo und Alle –

Laß ihn wüthen, unterbrach sie barsch die Gräfin – lauf und laß augenblicklich meinen Wagen anspannen – auf der Stelle!

Das arme Kind, das vom Regen in die Traufe gekommen, schoß eilfertig wieder hinaus.

Es kommt Alles darauf an, flüsterte dann Allgunde, ihn einige Tage lang irgendwo zurückzuhalten, bis Theo sanft und ohne Aufsehen in unsere Gewalt gebracht ist. Das Duell dient trefflich zu diesem Zweck.

Sie hüllte sich hastig in Ueberwurf und Shawl und als sie in den Wagen stieg, der nach wenigen Minuten bereit stand, befahl sie dem Kutscher:

Nach Haus Crailsfurt!

Dies war der Name des Gutes, welches Heydenreich Tondern gehörte.



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