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Drittes Kapitel.


Theo hatte den Baumhof verlassen und war in den Eichkamp geschritten, nach der Gegend hin, in welcher man vor mehreren Tagen den verwundeten Finkenberg gefunden. Es war hell und licht im Walde von den überall durch das Astgewölbe dringenden Sonnenstrahlen. Nur die Schatten der Baumstämme lagen dunkelstreifig auf dem Boden, auf dem sonst überall heller Schein die braune, vorjährige Laubdecke vergoldete. Die Vögel hatten eine Geschäftigkeit und einen Lärm, als sei Volksversammlung da oben in den Zweigen, und die Elster schrie, krächzte und schlug mit Schwanz und Flügeln so unsinnig dazwischen, als sei sie ein verkanntes Rednergenie, das man nicht zu Worten wolle kommen lassen.

Theo achtete nicht auf das ganze lustige Volk, das ihr in allen Tonarten seine besten Lieder vorsang; sie schritt langsam weiter und ließ sich endlich auf jener Bank über dem schmalen Bachthälchen nieder, auf welchem unlängst der junge Arzt und der Priester bis spät in die Nacht hinein ihre Gedanken ausgetauscht hatten.

Ein uralter Baum mit breit ausgeästeter Krone beschattete den Sitz; man hatte eine weite Aussicht hier auf sonnige Wiesengründe, denen der unten rieselnde Bach Nahrung brachte. Theo lehnte sich zurück an den Stamm der Buche hinter ihr und legte ihr Haupt an die Rinde, während ihre Hände verschränkt im Schoose ruhten; denn ihr Köpf war schwer vom Widerstreit unverträglicher Gedanken. Es war ein heftiger Kampf verschiedener Gefühle in ihrer Brust gewesen, während sie langsamen Schrittes bis hierhin gewandert.

Jetzt beschloß sie, müde und rathlos, wie sie sich fühlte, alle Gedanken von sich abzuweisen und in einem Zustande von traumhafter Apathie, der über sie gekommen und den sie festhalten wollte, allein dem nächsten und unmittelbarsten Antrieb zu gehorchen, dem Antrieb, der sie von hier forteilen und Valerian ausweichen hieß. Denn dies war es, um das es sich handelte; sollte sie auf der Stelle abreisen, um nicht mit ihm zusammenzutreffen, oder sollte sie sein Kommen abwarten?

Das Bild des schönen und ritterlichen jungen Mannes, dessen Bekanntschaft sie auf eine so seltsame Weise gemacht hatte, konnte nicht anders, als einen großen Theil der Gedanken in Anspruch nehmen, mit denen sie ihre Einsamkeit ausfüllte. Theo war eine erregbare, feurige, tiefer Leidenschaft fähige Natur; waren die Eindrücke, welche die Außenwelt auf sie machte, immer stark und lebhaft, so war ihre jetzige Lage nur geeignet, den Eindruck, welchen Valerian auf sie gemacht hatte, lebhaft und stark zu erhalten Es kam nichts, was ihn hätte verdrängen oder vermindern können, denn ihre Tage flossen in einer Abgeschiedenheit dahin, welche die Seele zwingt, durch desto intensivere Gedankenthätigkeit das Leben und die Bewegung zu ersetzen, die außen fehlt und die gesunden, frischen Naturen ein Bedürfniß ist.

Theo war nicht leichtsinnig, dennoch wäre ohne diesen Umstand ihrer Vereinsamung vielleicht rasch und bald das Bild Valerian's aus ihrer Seele verdrängt worden.

Sie hatte Valerian plötzlich vor sich auftauchen sehen, eine schöne, eine ganz neue und von allem Reiz des Fremden umgebene Erscheinung; sie war ihm zuerst in zwei Situationen begegnet, welche beide nach einander auf gleiche Weise das Interesse eines weiblichen Herzens im höchsten Grade in Anspruch nehmen mußten; das erste Mal war er ein Flüchtling, dem sie aus der drohendsten Gefahr half, das andere Mal war er ein hülfloser Verwundeter, dessen Schmerzen sie lindern konnte.

Seitdem waren ihre Gedanken oft zu ihm zurückgekehrt und den Gedanken die Empfindungen nachgezogen. Er schien ihr ein Wesen besserer Art, als die, welche sie bis jetzt in den Kreisen ihrer Gesellschaft kennen gelernt hatte. Er war der Stern, der ihr aus jener dunkeln Nacht der Angst und der Verzweiflung herüberleuchtete; es war ihr wie eine innere Stimme, eine Offenbarung des ahnenden Herzens, daß sie in ihm einen Freund und einen Bruder, eine Stütze, einen Retter, einen kraftvollen und siegreichen Beschützer finden könne und werde!

Wie hätte die stolze, in jungfräulicher Herbheit oft gegen Männer zurückstoßende Theo sich so tief demüthigen können, irgend einem ihr bekannten, in allen seinen Gewohnheiten und Ansichten, seinen kleinen Schwächen und Eigenthümlichkeiten bekannten Manne eine solche Rolle des Beschützers und Seelenfreundes in Gedanken einzuräumen?

Nein, ein anderer Mann hätte das nicht zugestanden erhalten. Wenn sie ihn sich bewegen gesehen in dem Kreise, worin die andern Junker ihrer Bekanntschaft sich bewegten, und den sie im höchsten Grade untergeordnet, trivial und eines männlichen Geistes von höherem Gepräge unwürdig fand, so hätte er immerhin ihre Achtung und ihre freundliche Theilnahme erringen können; aber der Nimbus, welchen die Liebe und die Leidenschaft um das Haupt des Seelenfreundes sehen wollen, wäre in der Atmosphäre der Alltäglichkeit zerflossen!

Anders war es Valerian gegenüber. Es verletzte Theo's jungfräulichen Stolz nicht, ihm alle Rechte eines ritterlichen Beschützers, eines Vertrauten einzuräumen, da er nicht mit seiner Persönlichkeit vor ihr stand, nicht als junger Herr mit den Ansprüchen eines solchen der jungen Dame gegenübertrat. Es war eine Fülle rein menschlicher Gefühle, die sich an seine ferne Gestalt knüpften, wie an den Vertreter einer reinen Idee, die Theo sich in ihr Leben schlingen wollte, oder besser wie an das Ideal, an das sich ihr Leben emporzuranken sehnte. Der Mensch in ihm, wie er seinen Verhältnissen angehörte und wie die Gesellschaft ihn geformt hatte, verschwand ihr, um so eher, da sie ihn als solchen gar nicht kannte; nur die Seele suchte sie in ihm, mit allem tiefen Glühen einer leidenschaftlichen Innerlichkeit, die Seele, wonach die vereinsamte, unter ewig fremd bleibenden Menschen erwachsene Theo seit dem Erwachen ihres Bewußtseins alle Stimmen ihres Herzens unablässig hatte rufen gehört.

Nichts tieft innerlich mehr die Charaktere aus und flößt so den jugendlich Unbekümmerten des reiferen Alters Gedankenthätigkeit ein, als die Einsamkeit. Indem sie den Enthusiasmus des jugendlichen Gemüths mit dem Drang nach geistiger Nahrung, der Innerlichkeit und der Richtung der Intelligenz, welche gewöhnlich erst spätere Jahre herbeiführen, verbindet, gibt sie dem Menschen einen Anflug von jener edeln Schwärmerei, die, mit großer Geisteskraft gepaart, die Erzeugerin großer Dichtungen, großer Philosopheme und großer Leidenschaften ist.

Das Letztere war es, was die Einsamkeit in unserer Heldin erzeugt hatte. Denn einsam war Theo gewesen, nicht allein die Reihe von Tagen hindurch, welche sie in stiller Verborgenheit unter den Eichenwipfeln eines entlegenen Bauerhofes zugebracht hatte; nein, fast so lange, wie ihre Erinnerungen zurückreichten, sah sie sich als ein verlassenes Kind durch menschenleere Säle in fremden Schlössern gehen oder träumerisch und sinnend unter den Laubdächern schweigender Parkwaldungen umherschweifen.

Jetzt hatte sie gehört, daß in wenigen Stunden vielleicht Valerian vor ihr stehen werde. An und für sich konnte Niemand darin ein großes Wunder erkennen. Theo aber traf es wie ein Blitzstrahl. Es war, als hätte man ihr angekündigt, ein überirdisches Wesen, das in ihren jüngsten Traum niedergestiegen, stehe vor der Thüre; oder der Held eines Romans, der, vom Dichter mit allen größten Eigenschaften des Geistes und des Gemüths ausgestattet, grade eben auf's lebhafteste ihre Theilnahme in Anspruch genommen, trete über ihre Schwelle; denn wie einem Romane, einem schönen Traume angehörend, schwebte die Gestalt Valerian's vor ihrem Auge.

Jetzt, was sollte sie thun? Sollte sie ihn erwarten und der Seelen-Erschütterung, die eine Zusammenkunft mit ihm für sie herbeiführen mußte, Trotz bieten? Sollte sie dem innersten, halb unbewußten Verlangen gehorchen – ihn sehen – ihn beobachten – seine Züge sich einprägen? Ja, sie wollte es, aber mußte er sie nicht für ein Wesen halten, dessen Geisteszustand ein mit Abscheu und Widerwillen gemischtes Mitleid zu erwecken pflegt?

Obwol niemand Anderes als sie selbst den Glauben an ihren Irrsinn zu verbreiten gesucht hatte, wie eine Aegide für ihre persönliche Freiheit, so zürnte doch ihr Herz auf Valerian bei diesem Gedanken, daß er so etwas glaube. Er, verlangte dies ungestüme, heftige Herz, hätte es besser wissen, hätte es fühlen, ahnen sollen, daß Alles ein Märchen sei. Aber er hatte gewiß ohne Anstand die allgemeine Sage für wahr angenommen und dann vor ihm zu stehen – nein, das war unmöglich, das konnte sie nicht, das würde sie getödtet haben vor Beschämung!

Fort, auf der Stelle hinweg – Valerian mochte es von den Bewohnern des Hofes, von Finkenberg erfahren, daß sie nicht sei, wofür er sie hielt; vielleicht, vielleicht, sagte leise eine halbe Hoffnung in ihr, die sie sich nicht aussprach, vielleicht denkt er dann daran, daß ich ja nicht bis ans Ende der Welt geflohen bin!

 

Während Theo so in tiefes Sinnen versenkt dasaß, das Haupt an den Stamm des Baumes zurückgelehnt und ihre Blicke durch das Laubdach hinaufsendend, als ob sie lesen wolle in der Höhe, die den klaren Spiegel ihrer Augen mit tiefer, weicher Bläue tränkte, war sie Gegenstand der Beobachtung für eben Den, welcher so ausschließlich ihr Sinnen und Träumen beschäftigte.

Valerian war die Nacht durchgefahren und als er die Gegend erreicht, die das Ziel seiner Eile war, hatte er den Wagen verlassen, um den Rest des Weges zu Fuß zu machen. Sein Wagen folgte auf dem, vielfache Umschweife machenden Fahrwege; ihn hatte der kürzere Fußsteig in das kleine Thal geführt, über dem, oben am Hange, Theo saß. Dichte Gebüsche, die von dem Bache genährt, hier üppig aufgewachsen waren, verbargen ihn. Er blieb stehen, als er Theo erblickte; seine Augen ruhten auf ihr mit dem Ausdruck großer Spannung. Dann lagerte sich ein Zug tiefer Wehmuth um seinen Mund und indem er, die Arme unterschlagend, sich an den Stamm einer verkrüppelten Weide lehnte, schien er einer Reihe von bittern und peinigenden Empfindungen zum Raube zu werden.

Er stand lange so. Ein paar Thränen perlten in seinen Wimpern. Da ermannte er sich, fuhr mit der flachen Hand über die Augen und sagte leise für sich:

Ich bin ein Narr – und ein Kind! Was geht es mich an? Ich werde nie von der Thorheit geheilt werden, wie ein Kind Alles haben und besitzen zu wollen, was mich hinreißt! Aber dies Mädchen ist mehr als hinreißend! Sie ist wie eine Heilige, aber eine Heilige in der Extase der Liebe und der Schwärmerei! Ich habe eine große Seele flammen sehen in ihrem Auge und diese Flamme hat durch meine Träume gelodert, bald als ob sie mich verzehren wolle, bald, als sei sie nur da, ein flammender Gedanke Gottes, um in meiner Seele wie ein heiliges Opferfeuer zu brennen! – und wenn ich erwacht bin, habe ich mir die Schläfe gehalten, damit ihr heißes, fieberhaftes Pochen nicht meine Stirne sprenge. Sie ist ja irre, sie ist wahnsinnig! habe ich mir dann zugerufen, wie man Eisstücke auf eine fiebernde Wunde legt! Für den Tag über half es, aber wenn die Nacht mit ihrer Stille kam, war das Eis für mich ohne Kälte und ich hatte Augenblicke, wo ich wahnsinniger war, als sie je sein kann! Also hier, hier finde ich sie wieder! Soll ich sie anreden? Nein, ich will nicht. Ich will mir das Bild nicht zerstören, das rein und unverzerrt von ihr in meiner Seele steht und ewig darin stehen wird!

Valerian wollte sich losreißen, aber es hielt ihn eine Fessel an den Fleck, worauf er stand. Er konnte das Auge nicht von ihr wenden. Alle die Gedanken stürmten auf ihn ein, welche jedesmal die immer und immer wiederkehrende Erinnerung an Theo in ihm erweckte, und jetzt mit doppelter Stärke. Die herzzerreißende Trauer um die Verdunkelung eines so edeln und lieblichen Seelengebildes ergriff ihn zuerst, dann suchte er sich daraus loszuringen mit einem Troste, den er mit all der aufrichtigen Heiterkeit, welche der Verzweiflung eigen ist, sich vorsagte.

Eine heilige Extase des Geistes ist's, nichts Anderes, sagte er; das Gefühl, über die Schranken einer beengten, körperlichen Schwerfälligkeit hinaus zu sein und ein Wühlen in Ideen und Vorstellungen, bei dem der Geist nicht die Reihe und Ordnung der Aufeinanderfolge beobachtet, an welche wir andern Sklaven der arithmetischen Vernunft uns gebunden fühlen. Ist die Seele darum kleiner, der Geist darum ärmer? O kühne, adlerhohe Flüge der fessellosesten Freiheit, wo der Gedanke sich um keine, keine Schranke mehr kümmert, wie beneide ich sie! Wie voll glanzausstrahlender Gestaltungen, wie voll berauschender Empfindungen mögen die Gebiete sein, die du durchschwebst! Der danke Gott, dem er das Auge mit der weichen Binde des Irrsinns verhüllte. Unser Sein ist dunkel und der Blick ruht auf Dingen und Verhältnissen, auf Leiden und Krankheiten der moralischen Welt, die mehr Verwundendes, ja Herzzerreißendes für uns haben, als wir uns selbst gestehen. Sollen wir nicht den Finger segnen, der den Spiegel unsers Auges umkehrt und ihn wendet nach der Seite unserer innern Welt, die unendlich ist wie das Meer und die Liebe? die sich idealen Genüssen, überirdischen Bildern, tiefen Entzückungen hingeben kann, ohne Schranke und Ende? Ist es nicht der Wahnsinn, der die höchsten Menschen, Heilige und Dichter, emporträgt in die Atmosphäre, worin ihre himmlischen Visionen auf- und niederschweben, wo endlich der geheimnißvolle Vorhang sich vor ihren Augen auftollt, der das Unsagbare verhüllt?

Theo erhob sich; sie schritt den Abhang hinunter; noch ein leichter und anmuthiger Sprung und sie stand dicht an dem Strauch, der die Gestalt Valerian's ihren Blicken unsichtbar gemacht hatte. Dieser trat, im ersten Impuls, um nicht als Lauscher von ihr entdeckt zu werden, hastig vor und stand neben ihr, als sie sich eben wandte, um heimkehrend dem Fußsteige zu folgen.

Theo erbleichte; sie stieß einen leisen Schrei aus und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen; wankend tappte sie dann mit der Rechten hinter sich, bis sie den Erdabhang berührte und den Arm dagegen stützen konnte. Sie fühlte, sie wäre sonst in Gefahr gewesen, in die Knie zu sinken.

O Gott, habe ich Sie so erschreckt? rief Valerian aus.

In der That, sagte sie nach Athem ringend, sich aufrichtend und die Locken aus dem Gesichte streichend, in der That, ich bin arg erschrocken. Ich ahnte nicht, daß ein menschliches Wesen hier im Walde sein könne.

Ich werde es mir nie verzeihen –

Es ist thöricht von mir, unterbrach sie ihn, da Ihr Hiersein mich nicht überraschen kann. Sie werden ängstlich vom Herrn von Finkenberg erwartet; er wird sehr erfreut sein, Sie so bald zu sehen, denn daß Sie mit solcher Eile seinen Wunsch erfüllen würden, hat er, glaub' ich, kaum zu hoffen gewagt. Ich stehe im Begriff, von hier abzureisen, fügte Theo leiser hinzu, und vermuthete auch nicht, daß ich Sie noch sehen würde!

Ich komme doch nicht zu rasch und zu früh? sagte Valerian.

Nein! antwortete Theo; es war ihr unmöglich, ein Wort mehr zu sagen.

Sie wandte sich, um zu gehen. Valerian bot ihr den Arm und Beide schritten nun in den Wald hinein, dem Hofe zu. Theo's Herz, das fieberhaft geschlagen hatte, fing an, sich zu beruhigen; sie fühlte mehr, als sie mit klarem Gedankengange sich es vorsagte, welches Glück es für ihre innere Ruhe sei, daß er nun doch gekommen und sie gesehen, ehe sie abgereist; wie sie nun werde gehen können mit völliger Sorglosigkeit über die Vorstellungen, welche er sich von dem Zustande ihres Innern machen müsse. Dies war genug, um sie mit einem Gefühle von unendlicher Befriedigung zu erfüllen.

Im nächsten Augenblicke darauf jedoch begann wieder das tiefste Zagen sich ihrer Seele zu bemeistern; sie fühlte, daß nie ein Augenblick in ihrem ganzen Leben vorgekommen sei, wo ihre Gedanken verworrener, ihre Gefühle chaotischer, ihr ganzes, inneres Leben in wilderer Regellosigkeit gewesen. Sie war überwältigt, der schöne Einklang ihres Wesens war in grenzenlose Verwirrung gerathen; nicht im Stande, eine gleichgültige Unterhaltung zu führen, fühlte sie bald den Fluß ihrer Worte vollständig stocken, bald strömte sie dieselben in nervöser Hast, in forcirter, beängstigender Lebhaftigkeit hervor.

Kurz, sie mußte sich gestehen, daß sie nie weniger im Stande gewesen, den Beweis ihrer Verstandesklarheit zu führen, als eben jetzt, wo ihr so viel daran gelegen war, es zu thun!

Valerian wurde ängstlich zu Muthe, als er mit ihr durch den Wald dahinschritt. Sollte er sich der Hoffnung hingeben, welche er im ersten Augenblick gefaßt hatte? Er wagte es nicht, wollte es nicht wagen; eine hintennachkommende Täuschung würde ihn zu tief getroffen haben. Und es war in der That etwas in ihrem Wesen in dieser Stunde, was Den, der mit einem Vorurtheile vor sie trat, stutzig machen mußte.

Valerian wurde nach und nach einsilbiger. Wie sollte er zu ihr reden? als junger Mann zur fremden Dame? es war unmöglich, er fühlte, daß zwischen ihnen zu viel innigere Beziehungen seien, daß Theo's exceptionelle Lage, daß sein Verhältnis; zu ihr als zu seiner Cousine, seiner hülfreichen Wohlthäterin, sie auf einen andern Fuß zusammenstelle. Doch, durfte er bei ihrer Gemüthsstimmung davon Gebrauch machen? mußte er nicht fürchten, irgend eine Saite ihres Innern zu berühren, welche schmerzhaft vibriren werde, oder gar an eine fixe Idee zu rühren, wenn er auf frühere Verhältnisse und Dinge zurückkomme?

Und dazu kam, daß Valerian gar nicht wagte, irgend ein Wort auszusprechen, was darauf hätte hindeuten können, als wolle er Rechte alter Bekanntschaft oder mehr Vertrauen, als man einem Fremden schenkt, in Anspruch nehmen. Er war Theo gegenüber zu scheu dazu; sie thronte in seinem Gemüth wie eine Königin; er konnte das Knie vor ihr beugen, aber nicht mit ihr – plaudern.

Je schweigsamer Valerian wurde, desto mehr wuchs die Verlegenheit der armen Theo. Auch sie schwieg zuletzt und Beiden war es eine augenscheinliche Erleichterung, als sie nun endlich vor Finkenberg standen, der noch immer unter dem Baume im Garten saß. Er wollte sich erheben, aber Valerian drückte ihn in den Sessel nieder und, nachdem er voll Theilnahme ihm beide Hände geschüttelt, konnte er nicht umhin, ihn mit einer Menge Fragen zu bestürmen.

Ja, ja, ich glaube, daß Sie mich nicht so wieder zu finden erwartet haben, versetzte Finkenberg; ich will Ihnen Alles erklären, dazu bat ich ja auch um eine Unterredung mit Ihnen. Nur bin ich in diesem Augenblicke zu freudig erregt von Ihrem Kommen. Meine Nerven sind tüchtig mitgenommen, lassen Sie uns erst eine Zeitlang von gleichgültigen Dingen sprechen!

Valerian unterdrückte seine Neugier und sprach von andern Gegenständen; Finkenberg hörte zerstreut zu, doch suchte er Theo ins Gespräch zu ziehen und ließ nicht ab, bis auch sie wiederholt das Wort genommen hatte. Sein Auge schweifte dann lächelnd und spähend von Theo auf Valerian und von diesem zurück auf das Edelfräulein über.

Nach einer Weile sprach die Letztere die Vermuthung aus, daß ihre Anwesenheit Finkenberg von seinen Mittheilungen an Valerian abhalten könne. Wollte sie aufrichtig sein, so mußte sie gestehen, daß sie schon im ersten Augenblick dies gedacht habe; aber ein gewisser Drang, der stärker war, als ihr Wollen, hatte sie festgehalten. Sie hatte es ja bis jetzt immer noch so recht gründlich ungeschickt angefangen, zu zeigen, daß sie in der That bei völligem Verstande sei, die Aermste – von jeder kommenden Minute hoffte sie eine bessere Gelegenheit – aber die Minuten kamen und gingen und keine machte Theo zufriedener mit sich selbst.

Sie ging – sie verbarg sich in ihrem Pavillon, warf sich in einen Sessel und indem sie das Gesicht auf die flache Hand stützte, rollten heiße und schwere Tropfen zwischen ihren schmalen, langgeschnittenen Fingern durch.

Ich habe in der That bis zum Weggehen des Fräuleins gewartet, hob unterdeß Finkenberg an, um Ihnen –

Um Gottes willen, was ist mit Theo? fragte mit leidenschaftlicher Hast Valerian; ist sie genesen?

Sie hat bis zu diesem Augenblicke einen so klaren und gesunden Verstand gehabt, wie Sie und ich uns nur je desselben haben rühmen können, Graf Schlettendorf, sagte Finkenberg. Nur Ihre Erscheinung, setzte er spöttisch lächelnd hinzu, hat, sehe ich, ihn mit einer kleinen Erschütterung bedroht!

Meine Erscheinung? Was wollen Sie damit sagen?

Sie ist verliebt!

Theo?

In Sie, Graf Valerian.

Possen! sagte Valerian, indem er dunkelroth wurde und seine Blicke nicht zu lassen wußte, da er sich außer Stande fühlte, Finkenberg wieder ins Auge zu sehen. Der Mann war ihm durch seine lächelnde Ruhe und seinen spöttischen Ton ganz verhaßt, doch hätte er ihn freilich auch umarmen können für jedes der Worte, welche er eben gesprochen.

Finkenberg ging nun unmittelbar dazu über, von seiner Angelegenheit zu sprechen und Valerian's frühere hastige Fragen zu beantworten. Er begann mit der Geschichte seiner Verwundung; aber obwol er es nicht an Lebendigkeit und Eifer im Vortrage dieses schändlichen und verbrecherischen Anfalls auf sein Leben fehlen ließ, hatte er doch an Valerian nicht ganz den aufmerksamen Zuhörer, den er in ihm zu finden gehofft. Zerstreut ließ der Graf seine Blicke umherschweifen und Finkenberg entging nicht, daß sie, gewiß ganz unerklärlicher Weise, die Richtung, in welcher Theo's Gestalt vorhin verschwunden war, weit öfter einschlugen, als irgend eine andere.

Endlich unterbrach Valerian den Erzählenden mit einem hastigen Ausruf:

O, einen Augenblick! Ich sehe Fräulein von Blankenaar ihren Pavillon verlassen; ich habe ihr, bevor sie abreisen sollte, eine Mittheilung zu machen – nur ein Wort – warten Sie, ich bin im Augenblick wieder da.

Valerian eilte fort und erreichte Theo, welche die Sonnenstrahlen aus ihren Pavillon vertrieben hatten, als sie eben eine schattige Laube aus dichten, seit langem nicht mehr geschornen Hagebuchen betrat. Finkenberg schloß unterdeß die Augen und überließ sich wie im Halbschlummer seinen Gedanken; Valerian aber mußte, voll der zartesten Rücksicht für den Leidenden, große Scheu haben, ihn zu stören, denn dieser hörte die Schwarzwälderuhr im Bauerhause elf und Mittag schlagen und noch immer, schien es, hegte Valerian Bedenken, ihn aus seiner Ruhe zu stören und sich endlich alle die Umstände erklären zu lassen, nach denen er doch bei seinem Kommen mit so viel brennender Neugier geforscht hatte.

Als Finkenberg die Augen wieder aufschlug und um sich schaute, sah er Valerian und das Fräulein Arm in Arm in der Ferne unter den Eichen auf- und abgehen und immer wieder auf- und abwandeln, als ob sie gar nicht genug des würzigen Waldgeruchs und des hellen Vogelgezwitschers bekommen könnten.



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