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Theo und Valerian.


Erstes Kapitel.


In der Landeshauptstadt waren, durch eine äußere Veranlassung zusammengeführt, viele der Familien anwesend, welche sonst die schöne Jahreszeit, oder was man unter unserm Himmelsstrich so zu nennen pflegt, auf ihren Landgütern zubringen. Die zwei Ladies Patronesses eines Clubs hatten nun Einladungen zu einer Abendgesellschaft ergehen lassen, die im Clublocal improvisirt wurde. Man versammelte sich in einem finstern, schmucklosen Hotel von düsterm Ansehen, das die ganze sorglose Nachlässigkeit und den völligen Mangel an Schönheitssinn verrieth, womit man in unserm Lande gewohnt ist, seine Wohnungen und Anlagen, seine kunstgeschmückten Säle und ererbten Schätze verkommen und verderben zu lassen.

In einigen hohen Gemächern, bei deren eben nicht auffallend glänzender Einrichtung alte und neue Zeit zusammen hergespendet haben, bewegen sich alle jene Gestalten, welche wir in Surenburg kennen lernten, nebst mehreren andern, und eine Anzahl Damen obendrein. Die Gesellschaft ist durchaus exquisit; kein Tropfen, der nicht reinstes Vollblut wäre, nicht das geringste plebeje Element ist da, welches einen trüben Hauch oder Schatten auf die glänzende Reinheit dieser Assembler werfen könnte; der Odem eines Roturiers hat nie die lautere Atmosphäre dieser Gemächer inficirt; ein großer und genialer Künstler, ein die Welt erschütternder Denker würde vergeblich um die Gunst buhlen, eine Einladung zu diesem Club zu erhalten, und wollte eine parlamentarische oder literarische Notabilität aus dem Bürgerstande oder nicht stiftsfähigen Adel sich hier eindrängen, so würde man ein so schandbar niedrig geborenes Subject durch die Bedienten die Treppe hinunter spediren lassen.

Für die Menschen, welche hier versammelt sind, hat selbst die französische Revolution keine Lehre gehabt!

Doch würde man sich sehr täuschen, wenn man in diesen Gesellschaften noch die alte, frivole und sorglose Genußsucht, die alte Grazie der amüsirten Unverschämtheit heimisch glaubte, die vor etwa hundert Jahren hier geherrscht haben mag. Die Manieren haben alle ihre Zierlichkeit, die Reden ihre französische Eleganz und die Herzen ihren leichtsinnigen Schlag verloren. In der That, ein Jahrhundert hat die Physiognomie dieser Gesellschaft bedeutend verändert.

Früher war man fein und galant, jetzt nimmt man den ersten besten Ausdruck, der auf die Zunge gleitet und scheut sich nicht, damit an einer gewissen rohen Kraft so nahe vorbeizustreifen, daß es sichtbar wird, wie man sich nicht das geringste mehr darum kümmert, ob die Linien des Anmuthigen diesseits oder jenseits liegen.

Die Damen lächelten früher sittig in ihren Schoos, wenn sie in großen Gesellschaften waren, um in kleineren desto sorgloser ihre kokettirenden Blicke als ein leichtes Plänklervolk kommender Treffen auszusenden. Jetzt blicken sie mit einer adeligen Kühnheit umher, weder verschämt noch kokettirend, und indem sie sich ohne Rückhalt der Unterhaltung hingeben, zeigen sie, daß sie eine weniger verfängliche, weniger agacirende und verführerische Haltung der Männerwelt gegenüber, eine würdigere den Erscheinungen und Ereignissen überhaupt gegenüber angenommen haben. Sie sind jetzt weniger die Gegenstände eines erheiternden Zeitvertreibs oder auch eines leidenschaftlichen Spiels für die Männer und mehr die gleichberechtigten, für einen Selbstzweck existirenden Wesen. Was an höherer Bildung in diesen Kreisen anzutreffen ist, liegt meist in ihrer Hut.

Früher war man gottlos, ungläubig und genußsüchtig; jetzt ist man fromm, andächtig, devot; man hat sehr geläuterte und überlegene Ansichten über einfältige Jesuitenriecherei, den »Aufkläricht« und den Unsinn der Tagesweisheit, in welchen Sack man alle Narren und Sophisten von Spinoza an bis auf Männer wie Lamennais und Schleiermacher schiebt, und je klarer diese Rebellen gegen Gottes alte Weltordnung beweisen, daß das: »Herr, Herr!« sagen nichts helfen könne, zu einem desto größeren Vergnügen wird es in die Kirchen zu fahren und nun erst recht mit Inbrunst: »Herr, Herr!« zu beten.

Die Genußsucht ist verschwunden, sie ist wenigstens nicht raffinirt mehr, wie ehemals; man wahrt das Decorum, man ist vernünftig und mit Ausnahme eines oder des andern Narren, der sein letztes Geld für Vollblutpferde opfert, nur um das Vergnügen zu haben, sie beim nächsten Wettrennen von den Gäulen irgend eines holländischen Junkers mit Glanz geschlagen zu sehen – nur mit solchen Ausnahmen ist man auch sparsam geworden und amortisirt an dem ererbten Schuldenwirrwar.

Das Charakteristischeste aber, was am meisten diese Gesellschaft, wie sie sich im neunzehnten Jahrhundert zeigt, von der des achtzehnten unterscheidet, ist der geschwundene tolle Muthwille, der Untergang der alten Unbekümmertheit um jede Art von Schranke, sie mochte Namen haben, wie sie wollte. Man ist nicht so lebenslustig, so ausgelassen mehr; es drückt doch so Manches! Der lichte Genius der Zeit, der allen edeln Ringern das verheißende Glänzen seines Blickes, das helle Lächeln seines Mundes zeigt, schreitet durch die Säle dieser Gesellschaft mit zusammengezogenen Brauen und die Denkerfalten seiner Stirn werden hier zu drohenden Runzeln, welche trübes Schweigen und ahnungsvolle Stille hervorrufen.

Die Damen, welche meist in Gruppen für sich allein zusammensitzen, nur zuweilen von einem der jüngeren Herren angeredet, sind fast alle schön zu nennen, wenigstens zeigen ihre Züge beinahe ohne Ausnahme edle und feine Linien. Ein hoher geistlicher Würdenträger, ein imponirender Greis, dessen Züge den gewinnendsten Ausdruck haben, sitzt unter ihnen und ist in eine eifrige Debatte mit seiner Nachbarin, einer magern, ältlichen Dame von außerordentlich prononcirter Physiognomie verwickelt, die ihm ihre Ansichten über sein letztes Fastenmandat klar macht und dabei höchst apodiktisch ihn über seine Intentionen belehrt.

Ich versichere Sie, es ist nicht erlaubt, zweimal an einem Tage Fleischbrühe zu nehmen –

Aber, mein Gott, sagt der Prälat –

Sagen Sie, was Sie wollen, bischöfliche Gnaden, es ist nicht erlaubt!

Aber, Marianne, fällt ihre Nachbarin ihr ins Wort, der Bischof muß es doch am besten wissen!

Ich weiß, was ich weiß, zwei Mal Fleischbrühe ist verboten, unterbricht sie die Gesetzauslegerin.

Ich bestimme und gebe doch das Fastengesetz selber, sagte lächelnd der Kirchenhirt.

Ach, mit Ihnen ist nicht zu streiten; ich weiß doch, daß mich mein Beichtvater nicht absolvirt, wenn ich zwei Mal Bouillon trinke, und dabei bleib' ich!

Der Bischof wandte sich lächelnd ab und horchte theilnehmend dem Gespräche zu, welches sich an seiner andern Seite entsponnen hatte. Eine Dame war kürzlich auf der Eisenbahn gefahren und lobte diese Art zu reisen außerordeutlich. Viele der Andern waren desto mehr dagegen.

Auch einige Männer mischten sich in das Gespräch und konnten durchaus nicht einsehen, wozu Eisenbahnen der Welt nützen sollten, so lange sie selbst noch so kräftige, schnellfüßige Postzüge in ihrem Stalle hätten!

Ein alter Herr, der sich zum Hüter aller Traditionen der verschollenen Höflichkeit der guten, alten Zeit aufgeworfen hatte, mischte sich jetzt ins Gespräch. Er hatte große Reisen gemacht, denn er war einmal nach Nordamerika ausgewandert, weil ihm die alte Welt zu ungehobelt geworden, als daß er es länger in ihr aushalten konnte. Doch war er rasch wiedergekehrt, woraus Manche ungünstige Schlüsse in Bezug auf den conversationellen Ton der Hinterwäldler ziehen wollten, während er versicherte, daß ihn hauptsächlich ihr unmäßig schnelles Essen vertrieben habe, das ihn zur Verzweiflung gebracht.

Die Eisenbahnen sind der Fluch unsers Jahrhunderts, der hervorstechendste Ausdruck unsers Elends, sagte der höfliche Herr. Alles Unglück kommt daher, daß man sich zu nichts mehr die Zeit läßt. Früher machte man bei den passenden Gelegenheiten auch die passenden, dafür bestimmten Redensarten; man machte mit Ruhe, Würde und Feierlichkeit am gehörigen Orte die herkömmlichen Verbeugungen; Jeder wußte, worauf er zu zählen hatte, und wenn er nießte, so bekam er sein: à votre santé! gesagt. Nun, Theilnahme erfreut des Menschen Herz und je blässer Einer ist, desto lieber hört er: wie blühend sehen Sie aus! Zu dem Allen hat man nicht mehr die Zeit; man hat nicht mehr die Zeit dazu, Jemanden sein ihm zukommendes Compliment zu sagen, und weil Keiner dem Andern mehr die ihm gebührende Freundlichkeit und Schmeichelei ausantwortet, sind unsere Conversationen so äußerst langweilig. Früher arbeitete jeder Handwerker und Gewerbsmann mit jener Seelenruhe, welche einem gesetzten Manne ansteht; jetzt ist eine Hatz, daß alles gesetzte Wesen ein Ende genommen hat, Alles Windbeutelei geworden; mit den Maschinen endlich, von denen eine hundert Mal so schnell arbeitet wie früher ein paar Arbeiterhände, ist die gewaltige Armuth gekommen, welche das Staatswesen untergräbt. Die Eisenbahnen, welche auch den bedächtigsten Menschen, wenn er reisen will, so hin- und herwerfen, daß er zu oberflächlichem Drüberhinfahren, zu oberflächlichem, leichtsinnigem Ansehen und Urtheilen ja förmlich gezwungen wird, die vollenden die Sache; kurz, der Fluch der jetzigen Welt, das ist die Geschwindigkeit.

Einige nahmen diese Standrede ernsthaft, Andere lächelten; ein straffer, magerer Herr, der sich durch seinen gelben Teint auszeichnete und wegen seiner Streitsucht bei seinen Nachbarn in großem Respect stand, rief aus:

Ja, mit der heutigen Geschwindigkeit ist freilich nicht auszukommen; da hab' ich jetzt drei Processi gehabt und alle drei sind angefangen und zu Ende gebracht worden in Zeit von fünf Monaten! Es ist gar kein Vergnügen mehr, einen ordentlichen Proceß zu haben!

Valerian von Schlettendorf ging ziemlich mismuthig und theilnahmlos zwischen den verschiedenen Gruppen umher. Auch um ihn kümmerte man sich wenig, denn seit seinem ersten Auftreten in dieser Gesellschaft hatte man zwar einen großen Respect vor seinen geistigen Fähigkeiten bekommen, aber man suchte ihn nicht auf. Nicht, daß man bestimmte Vorwürfe gegen ihn ausgesprochen hätte, aber man wurde nicht recht aus ihm klug, man wußte nicht hinter seine eigentliche Gesinnung zu kommen, wie man sich ausdrückte, so unumwunden Valerian sich auch ausgesprochen; vielleicht war es seine ganz andersartige Bildung, die abstieß; kurz, man begegnete ihm mit einer größern Förmlichkeit als Andern, mit einem gewissen Mistrauen, welches in ihm wieder eine spöttische Laune erweckte, die dann noch mehr entfremdete.

Da öffneten sich die Flügelthüren und Valerians Züge erheiterten sich. Gräfin Allgunde von Quernheim trat ein, auf den Arm ihres Vaters gestützt. Das Sprechen, Lachen, Flüstern, von dem die Gesellschaftssäle soeben noch laut wiederhallt hatten, hörte im Augenblicke auf; eine allgemeine Stille folgte, denn Gräfin Allgunde konnte nicht auftreten, ohne die Aufmerksamkeit Aller, ja mehr als das, eine gewisse, achtungsvolle Scheu in Anspruch zu nehmen.

Sie war ohne Prätension und in dunkle Stoffe gekleidet. Ein Kleid von schwarzem Moire mit Guipuren besetzt, die es hoch bis zum Halse hinauf schlossen, rauschte weitfaltig und lang nieder um ihre volle Gestalt. Eine blaßblaue Sammtschleife war am Halse von einer großen Diamantagraffe gehalten und um das Haar schlang sich eine Rivière von Brillanten. Auf ihrer linken Brust hing das emaillirte, achtstrahlige Ordenskreuz ihres Stiftes.

Die Dame des Hauses bewillkommnete sie und man räumte ihr einen Ehrenplatz neben dem Prälaten ein, während ihr Vater, ein würdiger, alter Cavalier, ziemlich unbeachtet sich unter die Andern mischte.

Valerian bemerkte, wie Allgundens scharfe, pfeilartige Blicke die Gesellschaft überflogen und ihn aufsuchten, und in der That war keine Viertelstunde verflossen und diese Blicke hatten ihn herbeigebannt in ihren nächsten Kreis; er saß neben ihr auf einem Tabouret. Einige Minuten später stand sie auf und trat an eine Fensterbrüstung. Valerian folgte ihr.

Aber ich beschwöre Sie, Gräfin Allgunde, sagte er, bedenken Sie, was Sie thun!

Ich habe Alles bedacht, Valerian, Alles vorbereitet und Alles, was zu überwinden war, geschlichtet. Jetzt gilt es den letzten Schritt thun und dazu reise ich morgen in die Residenz, um den Minister zu sprechen.

Thun Sie, was Sie beschlossen haben, aber lassen Sie mich aus dem Spiele!

Seltsam, sagte Allgunde mit stolzem Lächeln, daß von Ihrer Seite der Widerstand kommen soll! Gehen Sie, seien Sie nicht kindisch! Oder wollen Sie mich im Ernst überreden, daß Sie nicht so viel Ehrgeiz haben, um mit allem Eifer solche Aussichten zu verfolgen?

Ich habe ihn nicht, der Himmel ist mein Zeuge!

O es ist lächerlich! Sie wollen nur flattirt sein, Valerian, das ist Alles!

Soll ich Ihnen schwören, daß Sie mir Unrecht thun? Ich kann die Stelle nicht ausfüllen, für die Sie mich bestimmen, ich habe weder das Talent, noch die Kenntnisse, noch die Erfahrung dazu; mir fehlt die einfachste Geschäftsroutine, ich würde mich lächerlich machen an allen Ecken und Enden. Dazu bin ich zu stolz. Ich würde eine Verantwortlichkeit auf mich nehmen, deren Last für meine Schultern zu schwer ist. Dazu bin ich zu gewissenhaft! Kurz, ich kann, ich darf und ich will nicht!

Wie oft soll ich es Ihnen sagen, versetzte Allgunde eifrig, daß es alles Dessen nicht bedarf; würden Sie nicht über die Talente, die Erfahrungen, die Routine von hundert Ihnen untergebener Arbeiter zu gebieten haben? Hätten Sie nicht Ihre Räthe und Beamten?

Und, dachte sie, hätten Sie nicht mich?

Valerian schüttelte den Kopf. Wählen Sie einen Würdigern! sagte er.

Wen? versetzte sie mit bitterm Lächeln. Mustern Sie der Reihe nach alle diese Männer; ist Einer darunter, welcher, trotzdem daß ihm alle Hülfsmittel zu Gebote standen, um nichts an seiner Ausbildung zu sparen, ist Einer nur darunter, von dem die Rede sein könnte bei der Besetzung eines solchen Postens? Nein, Valerian, ich habe auf Sie meine Hoffnung gesetzt und ich weiß auch, fügte sie mit einem stolzen Rückwerfen des Kopfes hinzu, daß Sie mir keinen Strich durch die Rechnung machen werden! Sie wollen mich nur necken mit Ihren lächerlichen Bedenklichkeiten. Schämen Sie sich; würde je ein Napoleon es bis zum Kaiser gebracht haben, wenn er das Generalspatent mit der Bemerkung: ich bin zu jung! abgelehnt hätte?

Ich bin aber auch kein Napoleon, sondern nichts als ein unbedeutender, junger Mensch, der weiter keinen Ehrgeiz hat, wie den, sich Ihre Huld zu erhalten, meine Gnädigste, sagte lächelnd Valerian. Glauben Sie mir, wäre ich ein halbes Jahr lang in dem Amte, in welches Sie mich so freundlich einzuschieben gedenken, so wären wir die bittersten Feinde – Sie und ich, Allgunde – ja, ja, lächeln Sie nicht so überlegen und spöttisch – es ist so!

Valerian war etwas geärgert, daß Allgunde eine spöttische Miene annahm, als ob es nicht möglich sei, daß irgend Jemand sich ihrem Einfluße entziehe und ihr als Feind gegenübertrete. Er wollte sich abwenden, als Heydenreich Tondern an ihnen vorüberging.

Sehen Sie, da ist Tondern; warum sollicitiren Sie nicht für Heydenreich Tondern? He, Baron Tondern, es ist 'ne Kappe gefunden und Niemand's Kopf paßt hinein. Probiren Sie's doch!

Um Gottes willen, schweigen Sie, Valerian! rief Allgunde, seinen Arm ergreifend.

Wollen Sie Excellenz werden, Tondern? fuhr Valerian fort, ohne sich an Allgundens ängstlichen Ausruf zu kehren.

Heydenreich Tondern war zu ihnen getreten; er ließ einen scharfen, spähenden Blick seiner schmalgeschlitzten Augen über Allgundens Züge gleiten; dann blickte er eben so forschend Valerian an, in dessen Miene nur eine offene, harmlose Zufriedenheit bemerkbar war.

Sie reisen morgen nach B.? fragte er Allgunde, ohne Valerian einer Antwort zu würdigen.

Valerian hörte ihr weiteres Gespräch nicht, da er sich entfernte und in einen andern Saal schritt. Hier wurde gespielt und Valerian trat deshalb in ein halbrundes, elegantes Boudoir, in welchem sich Niemand befand und wo es ihn reizte, allein und ungestört seinen Gedanken nachzuhängen. Ein breiter Divan füllte den Halbkreis aus, welchen, dem Fenster gegenüber, das Gemach bildete; hier warf er sich auf die blähenden Polster, von einem großen Ofenschirm, der seiner kunstreichen Stickerei wegen auch den Sommer über diesen Platz zu behaupten schien, verborgen und beschattet.

Er war innerlich freudig gestimmt über die Standhaftigkeit, womit er entschieden eine schimmernde Lockung von sich abgewiesen hatte. Der oberste Administrationschef der Provinz war vor nicht langer Zeit gestorben. Allgunde von Quernheim hatte allen ihren Einfluß aufgeboten, um den Hof für die Ertheilung der erledigten Stelle an einen ihrer Partei und ihrer Standesgenossen zu stimmen. Die Stelle war von der größten Wichtigkeit, es war eine Art Vicekönigthum über ein großes Land; wurde sie einem der Standesgenossen der intriguirenden Dame ertheilt, so lag darin ein glänzender Triumph aller ihrer Tendenzen und Richtungen, ein Sieg der ultramontankirchlichen und reactionairen Interessen, der nur gut benutzt zu werden brauchte, um unberechenbare Vortheile und fernere Erfolge zu verbürgen. Und für die gute Benutzung des Sieges hätte Allgunde von Quernheim zu sorgen gewußt.

Auf Valerian, als den für die Stelle Vorzuschlagenden, war nun Allgunde von Quernheim's Auge gerichtet. Man hatte schon in einer Versammlung auf Surenburg die Sache in Berathung genommen und war auch dort darin übereingekommen, daß Graf Valerian von Schlettendorf dem Gouvernement und dem Hofe am ehesten in einem Lichte darzustellen sei, in welchem er als persona grata erscheinen könne. Er hatte freilich einen großen Fehler, er war zu jung; aber man beschloß, ihn nicht selbst in die Residenz gehen zu lassen, sondern dort durch Andere zu wirken.

Die Hoffnung auf den Erfolg war groß. Denn man wußte den Monarchen, einen geistreichen Mann von vielen Fähigkeiten und poetisch erregbarer Natur, durch romantische Sympathien befangen und alten Namen, wie ritterlichem Wesen geneigt; seine Regierung aber traf mit den Bestrebungen unserer Ritterbürtigen, das demokratische Element der Neuheit niederzudrücken und der Volksentwickelung keine Selbstthümlichkeit zu lassen, einträchtiglich zusammen. Es kam nur darauf an, dies Gemeinsame hervorzuheben, das aber, worüber man im Zwiespalt lag, für den Augenblick möglichst vergessen zu machen.

Daß Valerian selbst die Candidatur, für welche man ihn bestimmte, ablehnen könne, daran dachte man nicht; desto größer war die Verwunderung, als er seine Weigerung dennoch unumwunden aussprach, und von diesem Augenblicke an begann er in der öffentlichen Meinung um ein Bedeutendes zu sinken.

Man schien die Gründe zu ahnen, welche sein Widerstreben hervorriefen, und warf ihm nebenbei den Mangel an ésprit de corps vor, daß er sich einer Mission entziehen könne, worin er so viel für die Interessen seines Standes zu wirken hoffen dürfe.

Allgunde von Quernheim glaubte nicht an den Ernst der Weigerung. Sie selbst fühlte den Ehrgeiz als eine zu mächtige Leidenschaft, um in einem andern Wesen, zumal in einem Manne, den Mangel daran zu begreifen. Auch glaubte sie Valerians zu sicher zu sein, als daß er es wagen könne, ihr den Schlußstein zu dem Gebäude zu entreißen, das sie kunstreich und mühsam aufzubauen sich anstrengte.

In der That war es weit weniger der Mangel an Ehrgeiz in Valerian, was ihn die Würde ablehnen ließ, mit der man ihn bekleidet wissen wollte, als eine unerschütterliche Loyalität seines Charakters, welche unübersteigliche Hemmnisse davor aufgeworfen sah. Man wollte ihn jetzt als eine der Regierung ergebene, wenigstens nicht unfügsame Persönlichkeit den höchsten Lenkern der Staatsgeschicke darstellen und sie in ihm ein talentbegabtes, von gutem Willen erfülltes Werkzeug ihrer Absichten und Pläne sehen lassen. Und was hatte man eigentlich mit ihm vor? ein Werkzeug von Intentionen und Bestrebungen zu bilden, die denen der Regierung schnurstracks zuwiderliefen.

Und dann, sah er nicht eine Flut von Anliegen, Wünschen und Forderungen voraus, deren Erfüllung alle Vettern und Basen bis zum hundertsten Grad von ihm heischen würden und von denen ihm wahrscheinlich neun Zehntheile als unerfüllbar und unerfüllt die abgewiesenen Bittenden zu tödtlichen Feinden machen würden?

Sah er nicht Collisionen der ärgsten Art voraus, auf der einen Seite mit der Regierung, deren schwankendes, mit Energie dilettirendes, dem Volke verhaßtes System er völlig misbilligte, und auf der andern Seite mit Denen, welchen er seine Ernennung verdanken würde und deren Ansichten und Bestrebungen er im Grunde ebensowenig theilte?

Ja, wär' es nicht schlecht gewesen, sich von diesen Leuten als ein Werkzeug ihrer Pläne befördern zu lassen, um, einmal im Besitz der Macht, ihnen schnurstracks entgegen zu handeln? Denn dazu, das fühlte er, würde seine Gesinnung ihn zwingen. Sie wollten zurück, er vorwärts; sie wollten ein Mehr adliger Prärogative, er sah nur Heil in dem Minder; ihr Motto war: »Adel berechtigt«; das seinige: »Adel verpflichtet«.

Allgunde von Quernheim bedachte dies nicht. Sie hatte, wie alle energischen Charaktere, ein großes Selbstvertrauen auf ihr Urtheil, welches bei ihr oft zum starren Eigensinn wurde. Sie hatte in Valerian den tüchtigen Träger ihrer Parteizwecke gesehen, sie hatte ihn dazu ausgesucht und nach den ersten Unterredungen mit ihm überall erklärt, daß sie alles Das in ihm gefunden, was sie erwartet habe.

Um sie noch heftiger an ihm festhalten zu lassen, dazu fehlte nur noch einiger Widerspruch. Nachdem Valerian in Surenburg seine Ansichten ausgesprochen hatte, erhob sich dieser vielfach. Von nun an wurde Valerian ihr Augapfel. Alle ihre Gedanken beschäftigten sich mit ihm und im Gemüthe einer Frau sind die Gedanken nie so völlig von den Regungen des Herzens getrennt, wie sie es beim Manne sein können.

Er dagegen hatte bisher vermieden, ihr schroff zu widersprechen, und so ahnte sie nicht und wollte nicht ahnen, daß Valerian grade das dem ihrigen entgegengesetzte Princip verfolge, daß sie Beide eigentlich politische Antipoden seien. Sie hätte sich auch nimmer darüber Rechenschaft gegeben, weil sie diesem Punkte ins Auge zu schauen nicht mehr den Muth gefühlt haben würde.

Sie dachte wol daran, daß sich eines Tages eine Kluft zwischen ihnen Beiden aufreißen könne, über welche keine Brücke mehr möglich sei; aber sie wehrte den Gedanken daran mit allen Kräften von sich ab. Valerian war ihr zu theuer, er war ihr Stolz, ja sie träumte von Rechten, die sie auf ihn habe. Sie hatte ihm ihre Freundschaft entgegengetragen; sie hatte ihn eingeweiht in die Verhältnisse seiner Heimat und arbeitete an seiner Erhöhung.

Nein, sie hatte zu viel Hoffnungen auf ihn gebaut, zu viel Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn auf denselben Standpunkt zu bringen, den sie einnahm – fort mit dem Gedanken, daß er sich je als ein Ketzer, ein Widerspenstiger zeigen könne! Lieber gedachte sie der Macht, welche sie so oft siegreich über Andersdenkende entfaltet hatte, und wiegte sich in stolzem Selbstvertrauen.

Valerian hatte eine Weile in seinem Versteck gesessen, als er die Stimme Allgundens und Heydenreichs in eifrigem, aber leisem Zwiegespräch vernahm. Im nächsten Augenblick waren Beide in das Boudoir eingetreten; Allgunde warf sich in einen Fauteuil, der am Fenster stand, und Tondern blieb mit untergeschlagenen Armen, Valerian den Rücken zukehrend, vor ihr stehen.

Ich bin im höchsten Grade alterirt worden über diese Nachricht, sagte die Gräfin von Quernheim.

Liebe Gräfin, versetzte Tondern sehr ruhig, man kann einen Pfeil abschießen, aber ob er einen Schritt weiter oder kürzer fliegt, das weiß Niemand!

Ah, rief mit wegwerfendem Unwillen Allgunde aus – wenn man ein guter Schütz ist, weshalb nicht?

Meine Bursche haben allerdings ein Uebriges gethan; sie sind grob geworden – Mangel an Takt – oder vielmehr zu viel Takt, insofern der Takt geschlagen wird –

Ihre Spaße revoltiren mich, Tondern!

Es ist mir freilich auch leid, sagte Tondern einlenkend, aber Sie wissen so gut wie ich, welch' miserabeler Bursche der lange Finkenberg ist, wie schwachselig er auf den Füßen steht und wie ein tüchtiger Wind ihn umblasen könnte. Was Wunder, daß er fast lebensgefährlich darniedergeworfen wurde, wo ein Anderer nichts weiter abbekommen hätte, als die freundliche Warnung, sich aus dem Staube zu machen, welche ja eigentlich nur beabsichtigt wurde.

Ja, das war es, fiel Allgunde ein, man sollte ihn ängstigen, für sein Leben zagen machen, um ihn zu bewegen, die Gegend zu verlassen. An eine solche brutale Handlung der Gewalt, an eine gefährliche Verwundung habe ich nicht gedacht. Wenn er nun stürbe, Gott im Himmel, wie fatal!

Nun, nun, er wird nicht sterben und auf meine Bursche kann ich jedenfalls bauen. Mischen sich die Gerichte hinein, so bedarf es nur eines Winkes von mir und sie sind zum Lande hinaus. Wenn ich nur wüßte, ob dieser Finkenberg von Schlettendorf nach Theo ausgesandt worden ist oder nicht?

Darüber seien Sie ruhig, versetzte die Gräfin; Schlettendorf kümmert sich nicht um Theo und Finkenberg muß eigene Pläne haben verfolgen wollen, als er meine Cousine aufsuchte. Daß er sie suchte, wußte ich schon lange; er war deshalb früher in Blankenaar und hatte eine Unterredung mit dem Reitknecht Theo's; der stupide Irländer, der gegen mich so verstockt war, muß gegen ihn offener gewesen sein.

Wenn nur Schlettendorf sich nicht in diese Sache mischt, dann bin ich ruhig! sagte Tondern.

Allgunde von Quernheim schwieg eine Weile.

Heydenreich Tondern wiegte sich unterdessen nachlässig in seinen Hüften. Dann sagte er mit einer affectirten Gleichgültigkeit:

Sie gehen Morgen nach B. – um die Bestallung für Schlettendorf zu bewirken; habe ich recht gerathen?

Ja, versetzte Allgunde mit großer Entschiedenheit, es ist allerdings der Zweck meiner Reise, für diese Angelegenheit in B. so viel zu wirken, wie ich vermag.

Das ist perfide, ist abscheulich von Ihnen! platzte Heydenreich heraus.

Tondern! sagte Allgunde –

Ja, es ist abscheulich, und ich hätte große Lust, Ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Aber, lieber Heydenreich, ist es denn meine Entscheidung? Die andern Alle sind darüber einverstanden, daß Schlettendorf durch seinen Namen, seinen Reichthum, seine Studien der Passendste sei und durch seinen Charakter am ehesten von Allen der Regierung später zu imponiren wissen werde.

So reich, wie er, werde ich durch die Blankenaarschen Güter auch werden; erfahren in den Geschäften, glaub' ich, wäre ich nicht minder, als der Gelbschnabel, der noch nicht 29 Jahre zählt, und der Regierung zu imponiren, bei Gott – an dem dazu nöthigen Eigensinn hat mir's der Himmel auch nicht fehlen lassen –

Aber die Andern –

Ach, die Andern! – liebe Gräfin Allgunde, Sie wollen mir doch nicht aufheften, daß es hierbei auf die Meinung der Andern ankomme? Die tanzen, wie Sie ihnen vorpfeifen!

Sie sind bei den Jesuiten in Freiburg erzogen, Tondern; dadurch haben Sie in B. ein Vorurtheil wider sich, dem wir nicht obsiegen können, versetzte Allgunde.

Wer weiß davon in B.? Niemand!

Sie sind viel zu nachgiebig und weich, zu liebenswürdig und zu voll von tiefem und reizbarem Gefühle, um für eine Stellung zu passen, in der die ernstesten und gewaltigsten Conflicte auf Sie eindringen werden, warf nun Allgunde ein.

Jene Eigenschaften waren gerade diejenigen, deren Gegentheil Heydenreich Tondern besaß. Allgunde dachte, eben deshalb werde dieser von ihrem Besitz desto inniger überzeugt sein. Gegen ihre Erwartung aber antwortete er:

Ich bin kein Kind, Allgunde, um mich mit solchen Vorwänden abspeisen zu lassen. Nein, nein, Sie haben einen andern Grund, als Sie mir sagen, für Valerian Schlettendorf Ihren Einfluß aufzubieten. Freilich, er ist weit jünger, als ich; seine Wangen sind viel röther und voller, sein dunkles Haar ist viel lockiger, sein Blick viel kühner, seine junge Rittergestalt viel schöner und anmuthiger – und ich Narr besinne mich noch, welche bessern Ansprüche er auf die Gouverneurstelle haben könne, als ich!

Sie sind freilich ein Narr! sagte trocken Allgunde von Quernheim.

Heydenreich Tondern glaubte selbst nicht an den Verdacht, den er in jenen sarkastischen Worten gegen die Motive Allgundens aussprach. Er beabsichtigte nichts Anderes damit, als seiner besten, seiner einzigen Freundin in der Welt, denn das war Allgunde, ein paar Tröpfchen Galle zu trinken zu geben, was ihm in seiner jetzigen Stimmung außerordentliches Vergnügen machte. Er kannte die Gräfin genug, um zu wissen, daß, wenn auch der Ehrgeiz nicht immer jede andere Leidenschaft in ihr ausgeschlossen habe, doch keinenfalls Beweggründe, wie er angedeutet hatte, sie beirren konnten, wo es auf eine wichtige, politische That ankam.

Die Gründe, die Allgunde hatte, Tondern für unpassend zu der fraglichen Stellung zu halten, waren ganz andere und sehr einfache: Baron Heydenreich war ihr nicht begabt genug und nicht ehrlich genug dazu; er war zu listig, zu pfiffig, zu intriguant. In einer bedeutenden Stellung aber, auf einem, den Augen Aller ausgesetzten Standpunkt gibt es nur eine gute, eine erfolgreiche Politik, nämlich die Ehrlichkeit und die Wahrheit.

Gräfin von Quernheim wollte nach Heydenreich's letzten Worten aufstehen und ihm den Rücken wenden, aber er ergriff ihren Arm.

Gehen Sie nicht, Allgunde, sagte er, lassen Sie uns Frieden schließen; ich wäre ein Thor, böte ich nicht die erste Hand dazu, da ich sehe, daß für mich Alles verloren ist. Als Schlettendorf mir vorhin so leichtsinnig zurief: wollen Sie Excellenz werden? traf mich ein Stich ins Herz, denn würde er diesen Hohn gewagt haben, wenn er nicht seiner Sache gewiß gewesen wäre?

Wie Sie abgefeimt sind, Heydenreich! unterbrach ihn Allgunde.

Er nahm es für ein Compliment und lächelte; in der That war es Spott.

Also, fuhr er fort, die Sache ist für mich verloren, das seh' ich und ich verspreche, mich darein zu fügen – auf die Bedingung hin, daß Sie ernstlich daran denken, ein Versprechen auszulösen, welches mich seit Jahren zu Ihrem treuesten Werkzeug und Diener macht und welches mich seit Monaten von Tag zu Tag auf Erfüllung harren läßt! Verzeihen Sie mir, wenn ich ungeduldig werde, meine gnädigste Gräfin; aber grade heraus, ich bin ungeduldig, sehr ungeduldig, und wenn Sie mich nicht in kürzester Zeit ans Ziel meiner Wünsche gebracht haben – so – nun Sie wissen, wozu ein leidenschaftlich entbrannter Liebhaber fähig ist. Hüten Sie sich!

Heydenreich Tondern sagte diese Worte mit einem anmuthig und leicht sein sollenden, aber so giftig ausfallenden Lächeln, daß Allgunde ihm wie erschrocken ins Wort fiel:

Um Gottes willen, lieber Heydenreich, Sie werden doch ebensowenig an meinem ernsten Vorsatz, mein Versprechen halten zu wollen, zweifeln –

Daran zweifle ich keinen Augenblick; Sie haben zu gute Gründe, mich nicht anzuführen, lächelte Tondern.

Noch werden Sie zweifeln an meiner Macht, das auszuführen, was Mainhövel und ich über Theo beschlossen haben. Sie wissen ja, welche Macht über diese das Testament ihres Vaters dem Onkel Mainhövel einräumt. Theo hat uns die Sache auch so viel wie irgend möglich erleichtert. Sie ist wahnsinnig geworden, sagt Jedermann; wer wird dann Anstoß daran nehmen, daß wir sie bongrè malgrè nach Arnstein bringen lassen, wo wieder Leute genug sind, die ihre Vernunft bezeugen werden, wenn sie später den kirchlichen Act als erzwungen und nichtig angreifen sollte. Sie macht mir viel Kummer, das einfältige Geschöpf; welche Mühe habe ich mir mit ihrer Erziehung gegeben und mit welcher kecken Widerspenstigkeit lohnt mir dieser Trotzkopf alle meine mütterliche Sorge!

Wann denken Sie –

Die Reise nach B. kann ich nicht länger aufschieben, es ist durchaus unmöglich. Vierzehn Tage mindestens müssen Sie mir Zeit lassen. Unterdeß mag Theo sich auf ihrem Bauerhofe vor jedes Menschen Aug' versteckt wähnen. Es wird ihr eine hübsche Ueberraschung sein, wenn ich eines schönen Morgens vor ihrer ländlichen Sommerresidenz vorfahre! Doch wir werden in der Gesellschaft vermißt werden; kommen Sie!

Eins noch, Allgunde: wenn Finkenberg stirbt?

So schicken Sie mir jedenfalls eine Stafette nach und ergreifen alle nöthigen Maßregeln. Und sorgen Sie ja, daß er bald aus dem Bauerhofe, wohin man ihn brachte, zu Bischovings geschafft werde; es ist mir unangenehm, ihn mit Theo in fortwährender Berührung zu wissen.

Aber wo ist Schlettendorf?

Ich weiß nicht, ich sehe ihn nicht; er muß drüben im dritten Saale sein.

Gräfin Allgunde von Quernheim und Tondern verließen das Boudoir.

Valerian erhob sich. Der Wunsch, allein seinen Gedanken nachhängen zu können und von Allgunden und Tondern nicht ins Gespräch gezogen zu werden, hatte ihn anfangs in seinem Winkel festgehalten. Bald war er hier wider seinen Willen der Behorcher einer Unterredung geworden, die augenscheinlich nicht für ihn war. Aufstehen konnte er nicht mehr; er hätte dadurch Tondern eine gar nicht wieder auszulöschende Beschämung und Beiden eine Verlegenheit der peinlichsten Art bereitet; so beschloß er, sich ruhig zu verhalten und alle seine Willenskraft aufzubieten, um nicht auf die Unterredung zu hören, sondern seinem frühern Gedankengange zu folgen.

Eine Weile gelang ihm dies; er sog wie durstig das Stimmengesurr und Geschwirr, das aus den andern Gemächern drang, in sein Ohr; bald aber begannen die Worte des Zwiegesprächs neben ihm seine Aufmerksamkeit so zu fesseln, daß es mächtiger wurde, als sein bestes Wollen, und er lauschen mußte.

Es wurde ihm förmlich wirr im Kopfe, als er sich nun alles Das, was die Beiden gesprochen hatten, zusammenzureimen und zu enträthseln versuchte.

Sie hatten eine gewaltsame That ausüben lassen an einem Menschen, den sie Finkenberg nannten und der Beziehung zu ihm zu haben schien, obwol er ihn nicht kannte. Nach der Beschreibung, die Tondern von diesem Finkenberg gemacht hatte, mußte er an seinen neuaufgenommenen Jäger denken, dessen Sein und Wesen ihm oft etwas Unverständliches gehabt hatte.

Sie beabsichtigten einen Misbrauch von dem jetzigen Zustande der jungen Freiin von Blankenaar zu machen, einen gewaltsamen, frevelhaften Eingriff in ihre persönlichen Rechte; man wollte sie Heydenreich Tondern antrauen, anders ließen sich die Worte, die er belauscht hatte, nicht deuten; auch kannte Valerian die Sitten seiner Standesgenossen zu gut, um diese Deutung als etwas sehr Unerhörtes oder Unglaubliches zurückzuweisen.

Gräfin Allgunde von Quernheim stand im Begriffe, trotz aller Weigerung Valerians, sich an den Hof zu begeben und dort die Federn ihrer Intriguen spielen zu lassen, um ihrem Freunde die fragliche Administrationsstelle ertheilt zu sehen.

Diese drei Punkte waren es, die sich von dem Gehörten Valerian zunächst aufdrängten und alle seine Gedanken beschäftigten. Der erste Impuls seines von solchen Machinationen aufs tiefste empörten Herzens war, sich zum Schützer und Retter der bedrohten und hülflosen Theo aufzuwerfen. Dann verlangte es ihn, augenblicklich Licht über die Identität seines Jägers mit dem Verwundeten zu bekommen, von dem die Rede gewesen und den er Finkenberg hatte nennen hören.

Er verließ das Boudoir und trat wieder in die Gesellschaftssäle. Zuerst suchte er Allgunde auf, um ihr durch eine letzte peremtorische Erklärung die Reise nach B. zu ersparen. Sie war nicht mehr da. Ihr Vater hatte sich nach Ruhe gesehnt, um sich für die Reise zu stärken, welche er am andern Tage im Gefolge seiner Tochter anzutreten hatte, ohne sich selber darüber klar zu sein, wohin und wozu eigentlich.

Er war ein ehrenwerther und herzensguter Mann, der Graf Quernheim; aber seine Seele und seine Männlichkeit war aufgegangen und absorbirt von dem stärkern Geistesleben und der größer angelegten Natur seiner Tochter. Immer der erste Bewunderer Dessen, was Allgunde sagte, der lauteste Lacher, wenn sie einen Scherz machte, der entschiedenste Anhänger ihrer Meinung, so oft sie eine Meinung äußerte, spielte er keine andere Rolle in der Welt, als die des ersten Claqueurs seines Kindes.

»Selbst ist der Mann!« sagte er, wenn irgend ein Geschäft zu ordnen war und setzte dann hinzu: »deshalb, Allgunde, geh' du hin, die Sache ins Reine zu bringen«.

Jetzt hatte Allgunde sich desto nachgiebiger in seinen Wunsch, nach Hause zu kommen, gefügt, als sie nach einigen unbefriedigt durch die Menge schweifenden Blicken annehmen mußte, auch Valerian habe sich verabschiedet.

Tondern trieb sich noch in der Gesellschaft umher. Bald lehnte er sich sanft flüsternd über den Stuhl einer Dame, bald trat er zu den Gruppen der Herren, die sich um die Spieltische gesammelt hatten. Er zeigte eine unruhige Beweglichkeit und schien in einer jener Stimmungen zu sein, worin er den Menschen, die ihm nicht schaden und nicht nutzen konnten, Wahrheiten zu sagen liebte.

Solche kleine Aufrichtigkeiten, die man unschädlichen Leuten ganz harmlos und naiv ins Gesicht sagt, gewinnen uns den Ruf der Offenheit und Ehrlichkeit, war sein Grundsatz; Diejenigen, denen wir nichts Derartiges sagen, sind dann überzeugt, wir fänden sie makellos, was sie uns unendlich verbunden macht; und es ist doch auch ein Vergnügen, kleine Malicen auf die Tröpfe loszulassen, wenn sie im besten Amüsement schwimmen. In der That, nichts fördert mehr in der Welt, als den Leuten die Wahrheit sagen, wenn es mit dem rechten Takt geschieht!

Valerian trat zu ihm; er stand in der Mitte einiger Herren, die sich von der Einrichtung unterhielten, womit einer von ihnen seinen Pferdestall ausgestattet hatte.

Hast du den Marmor zu den Krippen aus Sachsen kommen lassen, Sackenrode? fragte Einer.

Nein, aus Holland; ich habe auch einen Holländer zu den Stuccaturarbeiten gehabt; die Holländer arbeiten am pünktlichsten und besten. Die Sophas an den Enden und in der Mitte, dem Springbrunnen gegenüber, sind hier gemacht. Ich frühstücke gewöhnlich da im Stall, setzte Herr von Sackenrode hinzu, indem er eine Prise nahm.

Hast die Stallfütterung eingeführt, Sackenrode? fragte Tondern mit dem harmlosesten Gesicht von der Welt.

Der Pferdeliebhaber wurde dunckelroth und strich den Haarwust seiner Wangen und seines Kinns zusammen, daß nur noch seine Nasenspitze wie ein funkelnder Thurmknauf aus dem Busch hervorsah. Während er nach einer Antwort suchte, legte Valerian die Hand auf Tondern's Schulter.

Herr von Tondern!

Ein Naturforscher hat gesagt, die Menschen seien erst Fische, dann Amphibien, dann Säugethiere und zuletzt erst Menschen geworden, fuhr Tondern, ohne Valerian zu beachten, fort. Sackenrode, du solltest einen Preis aussetzen, daß Einer mal ausfindig machte, was wir hier für Säugethiere gewesen sind? Ich würde mich für das Pferdegeschlecht entscheiden!

Das Pferdegeschlecht umfaßt vielerlei Thiere, mit kürzern und längern Ohren, lieber Tondern! sagte Sackenrode mit einem grimmigen Gesichte.

Tondern wollte antworten, als Valerian ungeduldig seinen Arm ergriff.

Auf ein Wort, Baron Heydenreich, ich habe eben beschlossen, noch diese Nacht nach Schlettendorf zurückzufahren, und doch ist es durchaus nöthig, daß ich der Gräfin von Quernheim ein paar Worte sagen lasse, wollen Sie nicht der Ueberbringer dieser Worte sein, morgen früh, noch ehe sie nach B. abreist?

Mit großem Vergnügen, versetzte Tondern mit einer auffallend ceremoniösen Verbeugung, wenn Sie nicht vorziehen, ihr die Worte schriftlich zu übersenden.

Es ist kaum der Mühe werth, sagte Valerian, dem es in seiner jetzigen Stimmung gegen Allgunde unmöglich gewesen wäre, an sie zu schreiben. Auch glaubte er, daß seine Worte durch den Mund eines Dritten und grade Tonderns übersandt etwas von einer förmlichen Erklärung bekämen und von Allgunden nicht mehr als eine Ziererei, welche keine ernstliche Berücksichtigung verdiene, genommen werden dürften.

Sagen Sie der Gräfin von Quernheim, fuhr er deshalb fort, daß ich, was den Zweck ihrer beabsichtigten Reise nach B. angehe, ihr hiermit mein Ehrenwort geben lasse –

Tondern war während dieser Worte blaß geworden. Er schoß sprühende Blicke unter seinen halbgeschlossenen Augenlidern her und sagte:

Ich finde es im höchsten Grade auffallend, Herr Graf, daß Sie geruhen, in dieser Angelegenheit mich zum Zwischenträger zu machen! Suchen Sie sich einen Andern dazu aus und lassen mich mit ihren Botschaften unbehelligt.

Herr von Tondern drehte nach diesen Worten Valerian brüsk den Rücken zu und ließ ihn stehen.

Es war sonst nicht die Art und Weise Heydenreichs, entschiedene Grobheiten zu sagen und sich dadurch Feinde oder Gefahren zu bereiten. Aber er war heute in zu übler Stimmung, ein Anfall von Jähzorn hatte den Sieg davon getragen über seine sonstige diplomatische Sanftmuth. Er glaubte, Valerian habe es errathen, daß er selbst Ansprüche auf die Stelle mache, welche für jenen errungen werden sollte, und wolle nun, seines Sieges gewiß, ihn, den leer Ausgehenden, höhnen, indem er ihn zum Boten in dieser Angelegenheit mache. Schon die frühere Frage: Tondern, wollen Sie Excellenz werden? hatte ihn bitter gewurmt.

Valerian war in seiner jetzigen Stimmung gegen Tondern ein Zweikampf mit ihm ganz erwünscht. Er begab sich in sein Quartier, schrieb einen Brief an den Freiherrn von Sackenrode, um ihn zu bitten, das Amt eines Cartellträgers und Secundanten zu übernehmen, schickte dann eine sehr lakonische, peremptorische Erklärung an die Gräfin Quernheim, um ihr die Reise nach B. zu ersparen, und als es drei Uhr Morgens schlug, saß er in seinem Reisewagen, von vier starken Braunen auf dem Wege nach Schlettendorf rasch dahingezogen.



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