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Dorly.


1.

Es war ein schauriges Wetter. Der Regen rieselte einförmig und unaufhörlich herab. Eine dichte graue Wolkenmasse lagerte auf der Erde, nur bisweilen von einem Stoßwinde gehoben, um nachher wieder desto tiefer zu sinken. An solchen Tagen fühlt der Mensch die Obhut eines schützenden Daches mit größerem Behagen und wenn sich Luxus in der Ausstattung mit dem echten Comfort vereint, um die Behaglichkeit daselbst zu erhöhen, so ist es nicht zu verwundern, daß an diesem wetterschweren Herbsttage zwei Damen verschiedenen Alters, in glückseliger Zufriedenheit an einem Fenster gruppirt, eifrig, fröhlich und aufgeweckt sich ihrer Unterhaltung überließen, ohne des strömenden Regens zu achten.

Das Haus, worin diese Damen sich befanden, war das Schönste in dem Städtchen und das Zimmer zeigte sich so nobel und geschmackvoll ausgestattet, daß man auf glückliche Lebensverhältnisse schließen konnte. Spiegel und Gemälde zeigten von feinem Geschmacke, Teppiche, Marmortische und reich bekleidete Divans von mehr als bürgerlichen Gewohnheiten, obwohl die alte Dame, die mit liebenswürdigem Lächeln den Plaudereien des jungen Mädchens lauschte, ganz einfach Madame Hallström genannt wurde, und in ihrer soliden, aber feinen Kleidung die ehrbare Wittwe eines Kaufmanns, vom Anfange des neunzehnten Jahrhunderts, vollständig richtig repräsentirte.

Etwas phantastischer erschien der Anzug des jungen lebhaften Mädchens, welches mit geistsprühendem Wesen, mit lebhaftem Gebärdenspiele und in rasch fortrollender Weise von der Heimath, von den Geschwistern und von ihrer einsamen aber dennoch schönen Häuslichkeit erzählte; während ein einfaches Häubchen den grauen Scheitel und das weiße Gesicht der alten Dame einschloß, umflatterten Löckchen mit bunten Bandschleifen die jugendlich heitere Stirn und das classisch geformte, blühend schöne Gesicht des jungen Mädchens. Ein schwarzer Spencer Eng anliegende, taillenkurze Jacke. – Anm.d.Hrsg. von Sammet, reich mit Schnüren verziert, umschloß die prächtige Gestalt so eng, daß die vollendeten Formen derselben vortheilhaft bei jeder Bewegung heraustraten. Das nicht gar zu lange und nicht gar zu weite Kleid, nach damaliger Mode mit Stickereien am Knie geziert, hob die Grazie ihrer Beweglichkeit, statt sie, wie die jetzigen Crinolinen Die Krinoline ist ein mit Roßhaar, später mit Fischbein und sogar Stahl verstärkter Reifrock, der um 1830 in Mode kam und geradezu eine regelrechte Manie auslöste. Berüchtigt war die Krinoline wegen ihrer Brand- und Unfallgefahr. – Anm.d.Hrsg. zu verhüllen oder was noch schlimmer ist, unbeholfen zu machen.

Das reinste Wohlgefallen leuchtete aus den Blicken der alten Dame, indem sie der jungen Erzählerin aufmerksam zuhörte und wer da wußte, daß Madame Hallström schon seit Jahren sehnlichst nach einer Schwiegertochter verlangte, dem drängte sich der Gedanke auf, daß dies Mädchen wohl geeignet sein möchte, allen ihren Ansprüchen zu genügen.

Der Galopp eines Pferdes störte endlich die Unterhaltung. Rasch bog das Mädchen ihren Kopf so nahe zum Fenster als möglich und fragte:

»Ist Günther zu Pferde nach dem Schlosse hinauf? In diesem Wetter, Tantchen?«

»Nein, Dorly, mein Sohn hat anspannen lassen. Da der Wagen noch nicht zurück ist, so fürchte ich, daß der Zustand des alten Comthur Der Komtur war als Amtsträger eines geistlichen Ritterordens Leiter und Verwalter einer Ordensniederlassung, der sogenannten ›Kommende‹. – Anm.d.Hrsg. gefährlich ist und Günther die Nacht dort bleiben wird.«

Unterdessen war der Reiter, welcher Dorly's Aufmerksamkeit erregt hatte, näher gekommen und man sah einen Jäger in voller Carrière die Straße hinauf sprengen, die vom Markte des Städtchens geradeaus auf den Schloßberg führte, der ungefähr eine halbe Stunde davon entfernt lag.

»Nun,« sprach die alte Dame erstaunt, »was ist denn das? Besuch auf's Schloß, wo ein Sterbender liegt? Das war ein Vorreiter, Dorly, aber ein Vorreiter, wie ihn nur vornehme, gräfliche oder fürstliche Familien gewöhnlich haben. Da wollen wir aufpassen, wer in diesem abscheulichen Wetter Lust hat dem Comthur eine Visite zu machen.«

»Der Besuch kann ja seinem Neffen gelten, Tantchen,« meinte Dorly rasch. »Sagtest Du mir nicht, daß der Oberst von Wettstein, der Schwestersohn des Comthur oben wohnt, seitdem den alten Herrn der Schlag gerührt!«

»Ja – mit Familie!« bekräftigte Madame mit spöttischem Pathos. »Wo es etwas zu erben giebt, da fehlt Wettstein nie! Hat er doch seit mehr als zwanzig Jahren auf den Tod seine alten Onkels gewartet und die Redensart, ›wenn Onkel Virchotsch todt ist, wollen wir flott leben,‹ ist stehend in seiner Familie, die genußsüchtig und habsüchtig wie selten eine Familie ist.«

»Solche Reden sind abscheulich!« rief Dorly empört.

»Warum denn, Kind? Laß die Leute reden, was sie wollen. Reden bringen keinen Menschen um. Wenigstens dem guten Comthur erwuchs daraus kein Leid. Er lebte fort und fort, wurde alle Tage älter, sah jedoch seit mehr als zwanzig Jahren immer egal aus. Wie alt er eigentlich ist, weiß kein Mensch genau. So lange mein Günther lebt, ist der Comthur ein alter Herr und Günther zählt achtunddreißig Jahre.«

»Aber, Tantchen,« lachte das junge Mädchen, »dann müßte er ja so alt wie Methusalem sein.«

»Mag auch wohl, lieb' Dorly,« erwiederte Madame Hallström. »Der Comthur war der Aelteste des Stammes. Seine Schwester war im zweiten schlesischen Kriege schon an den Kammerherrn von Wettstein verheirathet und der Sohn dieser Schwester, die lange todt ist, zählt schon zu den alten Männern.«

»Gehört der Comthur einem Orden an, daß er nicht verheirathet gewesen ist?« fragte Dorly, die sich zu interessiren begann.

»Bewahre, lieb' Rind! Das Volk nennt ihn nur Comthur, weil er seinen Maria-Theresiaorden wie eine Reliquie nie von sich läßt, sogar des Nachts über dem Anzuge tragen soll. Man sagt, die große Kaiserin habe ihm, nach der Schlacht von Prag, eigenhändig den Orden umgehangen und er habe den Schwur gethan, ihn nie von sich zu lassen. Es ist in dem alten Herrn etwas Altritterliches, das läßt sich nicht ableugnen und wenn man behauptet, er habe einst eine leidenschaftliche Neigung für die schöne Kaiserin Maria Theresia gehegt und deshalb niemals zur Heirath sich entschließen können, so ist jedes romantische Gemüth geneigt, dies zu glauben, obwohl sich diese Geschichte in das Reich der Tradition verläuft, da Niemand sie bestätigen kann.«

»Aber, Tantchen, ist denn kein Herr von Virchotsch mehr da, daß Oberst Wettstein als Erbe genannt wird?«

»Nicht doch, lieb' Kind, die Familie Wettstein erbt nur das Allodialvermögen des Comthur, welches aber ungeheuer unter seiner einfachen sparsamen Lebensweise angewachsen ist. Die Güter sind Lehen des Kaisers und fallen an einen Nebenzweig des alten Hauses Virchotsch. Der Comthur hatte zwar einen Bruder, der sich aus Familienrücksichten noch in späteren Jahren verheirathete, auch glücklicher Weise noch ein Kind bekam, obwohl er sechszig Jahre war, aber leider ein Mädchen. Dies Mädchen kam keinem Menschen ungelegener als dem Herrn von Wettstein. Aber horch – jetzt kommt die Herrschaft, die der Jäger ›anzumelden‹ vorgeritten ist.«

Wirklich rasselte ein Fuhrwerk von fern herbei und fesselte die Aufmerksamkeit des jungen Mädchens. Dicht an die Scheiben gedrückt, wartete sie so lange, bis es sich hinlänglich genähert hatte und öffnete dann neugierig ihr Fenster, um besser sehen zu können.

Ein verschlossener Wagen, gelenkt von einem Kutscher, der auf dem hohen thronartigen Bocke saß und das Viergespann mit der Würde eines Herrschers zügelte, fuhr rasch heran. In dem Augenblicke, wo das Gespann das hübsche Haus erreichte, lehnte sich eine schöne Frau aus dem Wagen, der an ihrer Seite offen war und streifte mit ihren Blicken, warm und freundlich, die Fenster desselben. Ihr Auge traf auf Dorly, die mit unbefangener Neugier zu ihr hinabsah. Dorly's Blick veränderte sich plötzlich und die Dame im Wagen zog blitzschnell ihr blasses, edles, schönes Gesicht zurück, sichtlich überrascht von einem Anblicke, den sie nicht erwartet hatte. Fort rollte der Wagen und Dorly schaute ihm träumerisch eine Secunde nach, ehe sie sich zur Tante wendete, um hastig zu fragen:

»Wer war die Dame?«

Madame Hallström war leider zu spät an's Fenster getreten, hatte das Gesicht also nicht gesehen. Aber sie lehnte sich aus dem Fenster, studirte nachträglich das kaum noch sichtbare Wappen und antwortete bestürzt:

»Eine Dame? Sollte es die Gräfin Rhodau gewesen sein? Hast Du sie gesehen, Dorly? War sie schön, weiß wie eine Elfe, hatte sie eine etwas gebogene Nase?« – Als Dorly, aufgeregt, alle Fragen bejahte, faltete die Alte tiefbetrübt ihre schmalen, blutlosen Hände und sagte weinerlich: »Ach, meine Träume – nun sehe ich klar – nun weiß ich, weshalb Günther so viel Umstände mit seinem Anzuge machte, weshalb er heute nicht ritt, sondern fuhr! Alles vorbei, lieb' Dorly! Diese Gräfin ist der gefährlichste Feind meiner Pläne – ach, ich arme Frau und ich war diesmal so sicher!«

Das junge Mädchen hörte mit lächelndem Erstaunen auf dies Klagelied. Ihr eigenes Interesse an dieser Dame war aber zu groß, um sich dabei aufzuhalten, Deshalb wiederholte sie eifrig:

»Wer ist denn diese Gräfin Rhodau, die sich in Deine Träume drängt? Sag' mir's, dann will ich Dir auch sagen, warum ich es wissen möchte.«

»Die Gräfin Rhodau ist ja eben die Brudertochter des Comthur, die dem Wettstein ein Dorn im Auge war. Kind, Kind, diese Frida von Virchotsch ist Günthers erste, heilige einzige Liebe. Sie war sein Ideal und bleibt es ewig. Darum ist er gleichgültig gegen alle Frauen, darum gefällt ihm kein Mädchen, darum heirathet er nicht. Jetzt war er auf so gutem Wege. Ich sah es ja, daß Du ihm mit jedem Tage mehr gefielst. Jahre lang hat er Frida nicht gesehen. Er ging still und unverdrossen seinem Berufe nach. Du weißt ja, daß er sich gelobt hatte die Pockenimpfung hier in der Provinz einzuführen, um dadurch der fürchterlichen Seuche, die so viele schöne Menschen entstellt hatte, Einhalt zu thun. Aber Du weißt noch nicht, daß auch zu diesem Entschlusse nur Frida die Veranlassung gegeben hat. Sie wurde von den Pocken befallen. Günther hat durch unsägliche Mühe ihr Leben und ihre Schönheit gerettet. Sie lebte damals bei ihrem Onkel, dem Comthur. Günther kam fast nicht herunter vom Schlosse und als sie wieder gesund war, da reiste mein Sohn unverzüglich nach England zum Doctor Jenner, der das Impfen gar so sehr angepriesen hatte. Seitdem impft Günther unverdrossen und die Leute hier fangen an einzusehen, welche Wohlthat diese neue Erfindung ist. Günther nennt Frida seinen guten Engel, aber ich möchte sie eher seinen Dämon nennen, der sein Glück stets im Keime erstickt.«

Die gute Dame hatte mit ihrer thörichten Schwätzerei mehr Unheil angerichtet als sie dachte. Dorly's Farbenwechsel hatte es schon genugsam verrathen, was sie bei dieser Mittheilung fühlte und als sie jetzt, mehr für sich, um ihrem gequälten Herzen Luft zu machen, dumpf hervorstieß: »Diese Dame liebt er – diese Dame!« da gewahrte Madame Hallström erst, wie unvorsichtig sie gehandelt hatte.

»O Kind, lieb' Kind,« bat sie weichmüthig, »er hat die Gräfin seit ihrer Verheirathung nicht wieder gesehen.«

»Das weiß ich besser!« flüsterte Dorly kaum hörbar, aber etwas trotzig.

»Wahrhaftig nicht!« betheuerte Madame Hallström. »Und glaube mir, Du bist ihm schon seit mehr als vier Jahren gar nicht gleichgültig.«

Das junge Mädchen lachte gereizt hell auf.

»Wahrhaftig, lieb' Kind! Sieh, als er nach dem Schlaganfalle des Comthur so unruhig, so merkwürdig verstimmt, so nachdenklich und düster war, da sagte ich eines Tages zu ihm, ob es nicht für ihn sowohl als für mich zerstreuend wäre, wenn ich Dich bäte den Winter bei uns zuzubringen. Du hättest nur sehen sollen, Dorly, wie freudig er aufschaute, wie hastig er mir antwortete: Das ist ein vortrefflicher Gedanke von Dir, Mama!«

O wie glücklich würde eine Stunde früher diese Versicherung das Mädchen gemacht haben, jetzt preßte sie nur fest ihre rothen Lippen zusammen, um die bittere Entgegnung, die darauf schwebte, zu unterdrücken.

Dorly fragte schnell:

»Und an wen ist denn diese Frida von Virchotsch verheirathet? Vielleicht an einen alten Mann, der so thöricht ist zu glauben, daß dies schöne Fräulein ihn um etwas Andere, wie seines Ranges wegen geheirathet hat?«

Madame Hallström blickte strafend auf.

»Wie kommst Du mir denn vor? Dorly? Die Eifersucht verleitet Dich zu sonderbaren Ausfällen!«

»Die Eifersucht?« wiederholte Dorly fest aufschauend, während zwei große Thränen über die bleichgewordenen Wangen liefen. »Ich scheine von Dir mißverstanden worden zu sein, Tantchen,« fügte sie mit stolz zurückgeworfenem Kopfe hinzu. »Günther ist mein Vetter, wenn auch nur vom Großvater her und als solchen habe ich ihn betrachtet, so lange ich denken kann. Aber Du bist mir noch die Antwort schuldig geblieben, Tantchen. Findest Du meine Frage wirklich so befremdend? Gut, so beantworte mir eine andere Frage. Wie kommt es, daß Frida, das hochgeborene Fräulein von Virchotsch, so lange nicht hier gewesen ist? Hat sie es angenehm gefunden, Günther anderwärts zu sprechen?«

»Dorly, Dorly, Du bist ein heftiges, leidenschaftliches Mädchen!« rief die alte Dame bekümmert. Hüte Dich, daß Du nicht ein engelreines Wesen und einen ehrenwerthen Mann verdächtigst!«

»Beunruhige Dich nicht, Tantchen! Diese Dame habe ich unter Umständen kennen gelernt, die mehr als zweideutig sind. Wo lebt sie?«

»In Berlin!« meinte Madame Hallström etwas kleinlaut.

»Hat sie ihre Kinder bei sich?« fragte Dorly mit ironischem Tone, wurde aber plötzlich von einer tiefen Trauer dermaßen übermannt, daß sie in Thränen ausbrach.

Madame Hallström schüttelte bedenklich ihr ehrwürdiges Haupt, antwortete jedoch sogleich:

»Das weiß ich wirklich nicht, lieb' Kind, was ist denn aber darüber zu weinen?«

Dorly hatte nicht länger die Kraft ihre tobenden Gefühle zu verbergen. Ihr heftiges Temperament warf die Fesseln der Verstellung ab, und sie rief:

»Warum habe ich meine stille Heimath verlassen! O laß mich fort, liebes Tantchen, laß mich fort, sonst muß ich ersticken! – Wer hätte gedacht, daß sich dies Geheimniß so unselig in mein eigenes Geschick verflechten könnte.«

»Welch Geheimniß, Dorly?« fragte die alte Dame sehr neugierig ihr näher tretend.

»Frage Deinen Sohn darnach,« antwortete diese sich mit Gewalt ermannend. »Ich bin zwar nicht verantwortlich für die Geheimhaltung gemacht, allein es widersteht mir, hinter seinem Rücken das zu offenbaren, was er Dir verheimlicht hat. Uns in Birkwald ist er sogar mit seiner Verstellung entgegengetreten, indem er seine Besuche bei uns dem verwandtschaftlichen Interesse unterschob, während sie genau mit dem Zeitpunkte zusammentrafen, wo jene Dame im Tempel am Teiche verborgen lebte.«

»Dorly – Du träumst wohl?« fiel Madame Hallström mitleidig lächelnd ein. »Sei vernünftig und erzähle mir zusammenhängend, was Du meinst.«

Das junge Mädchen schüttelte energisch ihr schönes Haupt.

»Frage Deinen Sohn, liebe Tante,« sprach sie bei Weitem ceremoniöser als vorhin. »Es geziemt mir nicht die Geheimnisse zweier Menschen ans Tageslicht zu bringen, wenn sie es für nöthig gefunden haben, den Schleier der Dunkelheit darüber zu ziehen. Ich werde sehr bald ruhiger über diese Erfahrung denken, die mich allerdings aus einem Zustande kindischer Arglosigkeit aufgeschreckt hat, aber, liebe Tante, ich muß fort von hier – schon morgen früh muß ich fort – am liebsten sogleich, wenn es ginge. Der Gedanke, mit Günther nach dieser Aufklärung zusammenkommen zu sollen, ist fürchterlich –.«

Sie schauderte wirklich krampfhaft wie vor einem unsichtbaren Gespenste zurück und wurde todtenbleich. Madame Hallström stand rathlos vor ihr.

»Das ist ein trauriges Ende meiner Träume,« murmelte sie wehmüthig. »und wir wissen noch nicht einmal, ob es die Gräfin Rhodau gewesen ist, die zum Schlosse –.«

Dorly unterbrach sie hastig.

»Das bleibt sich gleich, Tantchen. Ich danke Gott, daß ich durch diesen Zufall hinter Günthers Eigenthümlichkeit gekommen bin. Ich habe niemals sein Wesen begreifen können und es dem edelsten Streben, dem idealen Geistesfluge zugeschrieben, wenn ich bemerkte, wie abhold er, der Bürgersohn, dem gewöhnlichen Leben war, wie er sich nicht wohl zu fühlen schien in der Sphäre, der er doch eigentlich angehört. Ich war thöricht genug, etwas Geistesverwandtes zwischen ihm und mir zu finden. Meine Jugendjahre inmitten eines glänzenden geistreichen Kreises hatten mich über meine Verhältnisse hinausgehoben. Wir waren arm und bürgerlich, aber meine Vaters Geist schwebte über uns, obwohl er längst von Gott abgerufen war und seine Genialität, die ihn heimisch in allen Kreisen gemacht hatte, blieb wie ein Geisteswehen um uns, selbst in der niedrigen Stellung, die meine arme Mutter nothgedrungen annehmen mußte, um nicht in Breslau mit uns zu verhungern. O, wie glücklich lebten wir in dieser Einsamkeit! Wir dünkten uns Königinnen in dem alten unbewohnten Schlosse von Birkwald, worin nur die Ueberbleibsel von Pracht an frühere Zeiten erinnerten.«

»Die Franzosen sollen arg darin gewirthschaftet haben,« schaltete Madame Hallström freundlich ein.

Sie hatte über die lebendige Darstellung Dorly's die kurze leidenschaftliche Unterhaltung schon wieder vergessen. Nicht so Dorly. Sie hatte geflissentlich diesen Gang des Gespräches geleitet, um nach und nach das von ihrer Verwandten zu erlauschen, was jetzt für sie von schmerzlichem Interesse war.

»Das Gut gehört ebenfalls dem Comthur,« fuhr Madame Hallström fort.

»Dadurch wurde es also dem Vetter Günther natürlich sehr leicht, uns dort ein Unterkommen zu verschaffen, als meine Mutter in ihrer höchsten Noth sich an Dich wendete,« sprach Dorly gleichgültig.

»Günther galt viel bei dem alten Herrn seit seiner Aufopferung in Frida's Pockenkrankheit und es mußte dem Comthur ja angenehm sein, das Schloß unter so guter Aufsicht zu wissen, lieb' Kind.«

»Günther selbst kam aber die Bekanntschaft mit der Schloßcastellanin auch zu Statten,« meinte das junge Mädchen gewaltsam ruhig. »Der Besuch bei uns war ein hinreichender Grund, wenn Vorwände gebraucht werden mußten.«

»Er reiste wirklich gern zu Euch,« betheuerte Madame Hallström treuherzig. »Ich erinnere mich noch lebhaft seiner Unruhe, ehe er weg konnte.«

»Daran zweifle ich nicht!« sprach Dorly mit stockendem Athem.

Würde er sonst wohl vierzehn Tage von seinen Patienten weggeblieben sein? Selbst im Winter vor drei Jahren hatte er nicht eher Ruhe, bis er reisen konnte. Siehst Du, Dorly, darin lag eben die Idee, welche mich plötzlich ergriff, Dich hieher kommen zu lassen, da er wegen der Krankheit des Comthurs durchaus nicht zu Euch kommen konnte.«

»Nun ja,« flüsterte das junge Mädchen mit ihrer Bewegung kämpfend, »ich bin eiligst gekommen und sie auch.«

Madame Hallström zuckte, unangenehm von der Erinnerung an die eben erlebte Scene berührt, zusammen und sagte schnell:

»Je mehr ich darüber nachdenke, desto unwahrscheinlicher ist mirs, daß Gräfin Frida hierher eilen sollte, wo sie weder vom Comthur, noch vom Oberst Wettstein mit Freuden erwartet wird. Es war ein thörichter Einfall von mir.«

»Bemühe Dich nicht, liebes Tantchen, nachdem ich sehend geworden bin, gelingt es Dir nicht mich wieder blind zu machen. Es ist die Gräfin Frida gewesen, weiter Niemand. Der Zusammenhang zeigt und beweis't es mir. Von unserm Unterkommen in Birkwald an bis zu Vetter Günthers letztem Besuche fügt sich Ring an Ring, und das Erschrecken der Dame, ihr plötzliches Zurückziehen läßt mich glauben, daß sie auch mich erkannt hat, obgleich wir uns nur wenig und dann höchst flüchtig erblickt haben.«

»Aber Dorly,« wendete Madame beschwichtigend ein. »Es kann wirklich die Gräfin kaum gewesen sein – sie ist ja mit der Familie zerfallen – sie darf dem alten Herrn nicht unter die Augen kommen.«

Dorly sah betroffen, aber mit einiger Schadenfreude auf.

»Weshalb?« fragte sie.

»Weil sie nicht nach dem Sinne des Comthur geheirathet hat. Sieh, lieb' Kind, das ist eine alte Geschichte, die darin spukt, aber vielleicht interessirt sie Dich. Der Comthur ist ein alter echter Oesterreicher, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, der für sein Kaiserhaus gestorben wäre und die Wasser- und Feuerprobe für sein Vaterland durchgemacht hätte. Wir haben es aber erleben müssen, daß der Preußenkönig, der alte Fritz, unser schönes Schlesien ohne Weiters sich zueignete und, so zu sagen, mitten in österreichisches Gebiet hineinkroch. Seitdem haßte der Comthur Alles, was Preuße hieß und vor allen Dingen haßte er die Edelleute, seine früheren Cumpane, gründlich und leidenschaftlich, die sich dem neuen Herrscher freundlich zeigten und sich ihm zur Disposition stellten. Da war ein Herr von Rhodau, ein kluger, aber nicht gerade reicher Edelmann, der folgte dem Rufe des alten Fritz und nahm eine bedeutende Anstellung in Preußen an. Unser Comthur, sein intimster Freund, schäumte vor Wuth und schwor ihm ewige Feindschaft, wenn er dem ›Räuber‹, wie er den König von Preußen zu nennen beliebte, diene. Herr Adrian von Rhodau ließ ihn aber wüten und blieb Berlin. Späterhin mag die alte Jugendfreundschaft wohl wieder in ihm erwacht sein. Genug, er schickte im Jahre 1810 seinen Enkel, den Grafen Adrian von Rhodau, um einen versuch zur Versöhnung zu machen, hierher aufs Schloß. Na, der kam schön an. Aber Fräulein Frida blieb nicht gleichgültig gegen den jungen Boten. Wie sie sich gefunden hatten, weiß ich nicht. Eines Tages kam mein Günther nach Hause, zitternd, todtenblaß und schrecklich aufgeregt. Er erzählte mir, daß Frida mit Wettsteins Hülfe die Frau des Grafen Adrian von Rhodau geworden und vom Schlosse entflohen wäre.«

»Das sieht ihr ähnlich –,« murmelte Dorly tief seufzend vor sich hin.

»Günther war ganz außer sich, bis endlich ein Brief von Frida an ihn kam. Ich weiß es noch wie heute, lieb' Kind, was er damals gesagt hat.«

»Bitte – wiederhole es mir!« flehte Dorly.

»Günther fühlte nämlich Mißtrauen, weil der Oberst von Wettstein eine Rolle als Vertrauter übernommen und auch den Caplan überredet hatte, die Trauung zu vollziehen. Er sagte deshalb: ›Wenn der Graf Frida's werth ist, so will ich ja gern Alles verzeihen, was geschehen ist, aber daß sie mir so geflissentlich ihre Liebe verborgen hat, daß sie den verhaßten Wettstein zum Vertrauten wählen konnte, das ist mir ein Beweis seiner Unwürdigkeit!‹«

»Gräfin Frida hat ihr Vergehen gegen Günther später wieder gut gemacht,« unterbrach Dorly sie mit schmerzlich ironischem Tone.

»Ja, ja!« bekräftigte die alte Dame arglos. »Gleich nach dem ersten Briefe war er wie umgewandelt. Danach schrieben sie sich fleißig, aber der Comthur, dem sie auch versöhnliche Briefe schrieb, blieb unerbittlich. Man sagt, er habe sie gänzlich verstoßen.«

»Vielleicht hofft die Gräfin ihn jetzt, Angesichts des Todes, milder zu finden,« schloß Dorly das Gespräch, denn sie wußte nun genug, um eine Lebenstragödie der verwerflichsten Art in ihrer ganzen abschreckenden Gestalt zu erkennen. »Betrug von allen Seiten!« dachte sie schwermüthig, indem sie sich erhob, um das Zimmer zu verlassen. An der Schwelle kehrte sie wieder um, flog leidenschaftlich aufgeregt ihrer alten Verwandten – nach ihrer Ansicht, die einzige treuherzige Seele – an die Brust, küßte sie und sagte:

»Nicht wahr, Du zürnst mir nicht, wenn ich Dich jetzt verlasse, um meine Sachen zu packen? Hier bleiben kann ich nicht. Ich muß heim zu meiner Mama – wirf mir nicht ein, daß ich mich Irrthümern hingäbe – ich weiß leider, leider – leider mehr als Du und ich kann nicht hier bleiben ohne unterzugehen,« schloß sie klanglos. »Morgen früh mit der Post verlasse ich Dich. Günther darf mich nicht wiedersehen – ich will ihn nicht wieder sehen, hörst Du Tantchen! Ich will nicht den Blicken eine Mannes preisgegeben sein, der durch Heuchelei von Gefühlen ein strafbares Verhältniß zu verbergen trachtete. Mein Tantchen – ich bin recht glücklich gewesen – vielleicht werde ich bald wieder ruhig –!«

Sie faltete krampfhaft ihre Hände und wankte aus dem Zimmer hinaus.

Die alte Dame blickte ihr tief bekümmert nach.

»Wenn doch mein Sohn käme!« seufzte sie. »Was ihr nur in den Kopf gefahren ist! Ach, mein schöner Traum – sie paßte so gut für ihn – freilich nun die Gräfin da ist, wird er schwerlich noch Augen für das hübsche Mühmchen haben. Die Gräfin hat es ihm angethan. Ich begreife nur nicht, wie es Männer geben kann, die solche blasse feine Mondscheinschönheiten, wie diese Frida, einem lebhaften und blühenden Mädchen wie Dorly vorziehen können. Ganz ohne Gefühl ist Günther jedoch nicht geblieben, ich habe es wohl bemerkt, wie seine Augen bisweilen glühten und glänzten, gestern Abend noch, da war's nicht richtig zwischen Beiden. Gott, wie schön war das Kind, als es so stolz und doch so demüthig, so ruhig und doch innerlich so tief glühend vor ihm stand, als er sie nur ansah und nur ihre beiden Hände hielt! Jesus, Maria und Joseph, wäre ich doch meiner Eingebung gefolgt und hätte sie, mit meinem Segen, in diesem schönen Moment verlobt! Der Mensch ist seines Glückes aber immer zu sicher und verliert es dann am ersten!«

Nach und nach beruhigte sich Madame Hallström an dem Gedanken, daß ihr Sohn vielleicht jetzt einsähe, wie thöricht seine ideale Liebe zu der schönen Frida sei und daß gerade der Vergleich der alternden Gräfin mit der jugendlich reizenden Cousine sein Herz gänzlich zu heilen fähig sein könnte. In ihren Augen war ihr Sohn ein Gott, dem die Menschen seiner Wirksamkeit wegen Anbetung zu zollen verpflichtet waren. Man schien auch geneigt dazu.

Schon sein erstes Auftreten als Arzt hatte den Leuten imponirt und sie hatten sehr bald entdeckt, daß unter dem befehlshaberischen Wesen ein vortreffliches Herz und hinter den finstern Augenbrauen nicht allein die Wahrheit, sondern auch eine milde Gerechtigkeit verborgen lag. Seine Ausfälle und Seitenhiebe, womit er sehr splendid war und die er mit trockenem Humor austheilte, machten ihn eher beliebt als verhaßt. Es verging kein Jahrzehend, so war er der angesehenste Arzt in der ganzen Umgegend, wurde von seinen Collegen beneidet und bespöttelt, ging aber dessen ungeachtet ruhig seine eingeschlagene Bahn, kümmerte sich wenig um die Praxis Anderer, impfte Groß und Klein, Arm und Reich, Vornehm und Gering und nahm, beiläufig gesagt, außer dem Zoll von Verehrung, auch Geld genug ein, um seiner Neigung gemäß nobel leben zu können.

War es ein Wunder, daß Madame Hallström diesen Sohne Altäre baute und ihn abgöttisch liebte?


2.

Unterdessen war der gräfliche Wagen mit seinem Viergespann unverweilt fortgerollt und die Dame, die mit einem einzigen Blicke eine so gewaltige Aufregung in Dorly's Busen hervorgezaubert hatte, lehnte ruhig im Fond, als sei nichts geschehen, was ihre Laune hätte trüben können.

Nur ein Blick des Einverständnisses glitt bisweilen zu einer ältlichen Frau hinüber, die ihr gegenüber saß und einen Knaben von drei Jahren auf dem Schooße hielt, während vier andere Kindergestalten theils neben ihr, theils neben der Dame im Fond placirt waren.

So lange der Wagen auf dem Steinpflaster der Stadt dahin donnerte, schwieg die Dame, als aber der Kutscher plötzlich in eine Allee einbog, die sanft aufwärts bis zum alterthümlichen Schlosse hinanlief, da sagte sie mit ruhigem Lächeln:

»Wie vorsichtig und umsichtig der Doctor ist, liebe Horning! Denken Sie nur, Dorly ist hier!«

»Wie? Das schöne Töchterchen der Professorin vom Schlosse? Wo sahen Frau Gräfin sie?« fragte die Bonne hastig, aber sehr leise, da sie bemerkte, daß der älteste Junker, ein Knabe von neun Jahren, scharf aufhorchte. »Haben sich Gnaden nicht geirrt?«

Die Dame schüttelte sanft das Haupt.

»Es leuchtet mir ein, weshalb das geschehen ist. Der Doctor braucht Reserve – der Kampf wird heiß werden – ich bin sehr gefaßt auf abscheuliche Scenen; wenn ich nur meinen Onkel noch am Leben treffe!«

»Sicher, Mama,« erlaubte sich der älteste Junker zu sagen, »sonst hätte uns der Doctor eine Stafette entgegengesendet!«

Madame Horning warf der Gräfin einen verstohlenen Blick zu, den diese mit der Frage erwiederte:

»Was weißt Du denn davon, Adrian? Du scheinst sehr aufmerksam zugehört zu haben, wenn ich mit der Horning sprach.«

»Allerdings, Mama!« erklärte der junge Graf Adrian. »Prinz Karl, der immer in unsere Reitstunde kommt, sagte neulich, ein Mann müsse mehr hören als sehen und sprechen und eine Frau mehr sehen und sprechen als hören, dann würde das Regiment richtig verteilt. Das habe ich mir gemerkt, Mama.«

Die Gräfin lachte und schlug ihren Sohn tätschelnd auf den blonden Lockenkopf.

»Altverstand!« sprach sie, merke Dir nur des Prinzen Wort ordentlich und sprich nicht zur Unzeit von dem, was Du während der Reise gehört hast,« fügte sie ermahnend hinzu. »Es paßt nicht für alle Ohren, Adrian, und Du bist noch zu jung, um die richtigen herauszufinden, also schweige lieber, bis Du gefragt wirst.«

Der Knabe nickte sehr weise mit dem Kopfe. Daß er in kurzer Zeit Veranlassung finden würde, dieser Anweisung buchstäblich Folge zu leisten, ließ sich Gräfin Frida nicht träumen.

Schweigend legte sie den Weg zurück, der ihnen noch übrig blieb und bald hielt der Wagen im Schloßhofe an der Treppe einer mit Fliesen belegten Terrasse, wo man aussteigen mußte, um zum Portale hinaufzusteigen. Doctor Hallström, ein nicht sehr großer, nicht sehr schöner, aber dennoch imponirender Herr stand schon am Wagenschlag, ehe nur irgend einer der dienstbaren Geister des Schlosses die Beine in Bewegung setzen konnte, um seine Schuldigkeit zu thun. Jedes Kind betrachtete dieser Herr beim Heraussteigen mit einem wunderbaren Freudenglänzen im Auge und küßte es auf Mund und Stirn.

Dann bot er der Madame Horning mit herzlichem Willkommen die Hand zur Hülfe und hob mit Leichtigkeit die feine schlanke Gestalt der Gräfin aus dem Wagen.

Er küßte ihr mehrmals die Hand, bevor er ein Wort zu ihr sprach und sie lehnte flüchtig, wie im Schwindel, die Stirn an seine breite, starke Brust. Das Alles ging aber so schnell vorüber, daß wahrlich sehr scharfe Blicke dazu gehörten, um es in seiner Bedeutung aufzufassen.

Im nächsten Momente lag die Hand der Gräfin in seinem Arme, den er ihr ceremoniös bot und sie stiegen, gefolgt von der Horning und den fünf gräflichen Sprößlingen, langsam die Terrasse hinauf.

»Wie steht es mit dem Onkel?« fragte die Gräfin kaum hörbar.

»Er lebt und ist bei Besinnung,« antwortete der Doctor eben so leise.

»Weiß er, daß ich heute komme?«

»Er erwartet Sie mit heißer Sehnsucht und meint nicht eher sterben zu können.«

»Und Wettsteins?«

Der Doctor zuckte verächtlich die Achseln.

»Man benimmt sich unverzeihlich. Der Secretair des Comthur steckt mit ihnen unter einer Decke. So habe mich veranlaßt gesehen, einen treuen handfesten Krankenwärter und einen handfesten Bedienten heraufzuschaffen, um Räubereien zu verhindern. Der Comthur klagte mir eines Tages, daß man ihm die Archivschlüssel mit Gewalt habe abnehmen wollen. Man kann die Zeit gar nicht erwarten, bis diese alten armen Augen geschlossen sind. Der Comthur hat sich jeden Besuch von der Familie verbeten.«

»Wo logiren sie? Ich möchte keinem von ihnen begegnen, ehe ich meinen Onkel gesprochen habe.«

»Wird nicht zu fürchten sein. Die ganze Familie nistet im Anbau. Viel Zeit wird man uns nicht gönnen. Wer weiß, ob wir nicht alle Minen springen lassen müssen, um Sieger zu bleiben.«

»Ich habe Dorly gesehen –« fiel die Gräfin lebhaft ein.

Doctor Hallström beantwortete diesen Aufruf nicht. Sein Auge richtete sich nach dem Ausgange des Schlosses, wo die stämmige gedrungene Gestalt eines Lakaien erschien, der dem Doctor bedeutsam winkte.

»Kommen Sie, Gräfin,« rief Hallström darauf etwas lauter und hastiger, »der Comthur hat wahrscheinlich den Wagen über die Fallbrücke donnern hören, er ist auf Ihre Ankunft vorbereitet und wir müssen jeden freien Moment benutzen. Wettstein wird sehr bald seine Pflicht als Schloßherr zum Vorwand gebrauchen und uns stören.«

Er winkte der Horning und flüsterte ihr beim Näherkommen zu, daß sie dem Bedienten folgen und sich mit den Kindern in die Zimmer zurückziehen solle, die dieser ihr anweisen werde. Daß es dem ältesten Junker Adrian beliebt hatte schon unsichtbar zu werden, bemerkten sie Beide leider nicht.

Doctor Hallström beeilte sich mit seiner Begleiterin ein Gemach zu erreichen, wo der Comthur in einem großen englischen Rollstuhl verpackt ihrer Ankunft entgegenharrte. Ein Schlaganfall hatte endlich die eiserne Natur des steinalten Mannes erschüttert, ohne sie jedoch gänzlich überwältigen zu können. Drei Tage war er bewußtlos gewesen. Dann war er nach und nach zum träumerischen Leben erwacht und jetzt wieder im Besitz einer vollen Geisteskraft. Nur der Arm und der Fuß der rechten Seite versagte jeden Dienst und deshalb ließ er sich den Rollstuhl, den Doctor Hallström einst aus London mitgebracht hatte, gefallen.

Als sich die Gräfin der Thür seines Zimmers näherte und somit dem verhängnisvollen Wiedersehen unaufhaltsam entgegenging, da brach ihre feste Haltung zusammen. Es dunkelte vor ihren Augen, zitternd streckte sie die Hand abwehrend aus und stützte sich tiefathmend an die Thür, welche einzig und allein sie nur noch von dem trennte, den sie vor elf Jahren so tief und schmerzlich betrübt hatte.

»Ruhig, Frida, ruhig!« beschwichtigte der Doctor sie. »Wahrlich, Sie haben nichts zu fürchten. Sie finden einen liebreichen väterlichen Freund!«

»Dann danke ich es Ihnen, Günther!« flüsterte die schöne Dame schwärmerisch zu ihm aufblickend. »Und ich werde es Ihnen eben so wenig vergelten können, wie all' die Treue und Liebe, die Sie mir von Jugend auf bewiesen haben. Glauben Sie mir, theurer Freund, es fehlte meinem reichen schönen Glücke immer noch etwas, so lange ich mir meines Onkels Augen finster und grollend denken mußte. So viel Liebe mir auch wurde, mein Herz verlangte dennoch nach der Liebe desjenigen, der sie mir entzogen hatte. Jetzt aber, wo ich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt sehen soll, jetzt bangt mir vor meiner irdischen Glückseligkeit, denn sie wird nun vollkommen sein. Bin ich armes Erdenwesen dessen werth, Günther?«

»Ja!« sprach Günther einfach. »Der einzige Fehler, der sie drückt, kann durch Liebe und Demuth gesühnt werden. Zögern Sie nicht – manche Flamme flackert und erlischt vom leisesten Wehen. Also Vorsicht, theuere Gräfin – keine gewaltsame Aufregung!«

Schnell öffnete die Gräfin die Thür.

»Gott nur noch eine Minute Leben, um den Strahl der Versöhnung von Auge zu Auge senden zu können!« flüsterte sie vorwärts eilend.

Ihr Blick traf bald den Blick des greisen Verwandten, der mit stolzem Nacken, ungebeugt von der Last der Jahre, aufrecht im Sessel saß.

»Bist Du da, meine liebe Frida?« rief er mit tönender Stimme und streckte die gesund gebliebene Linke ihr entgegen. »Dein alter Onkel sieht ein, daß es vor Gott ganz gleich sein wird, ob wir als Preußen oder als Oesterreicher sterben. Reich mir dein Händchen, lieb' Nichtchen, und gieb dem alten Griesgram einen Versöhnungskuß! So! Nun könnte ich in Frieden abfahren, aber ich habe noch andere schwere Sünden gut zu machen, Frida.«

Die Gräfin hielt mit Gewalt ihre leidenschaftliche Natur in Zaum und Zügel, um die Stimmung des alten Herrn nicht aufzuregen. Liebkosend strich sie mit ihrer kleinen weichen Hand über den Kopf, über die Stirn und Augen des Comthur und gewährte sich nicht die Erleichterung durch Thränen.

»Mein Onkel, wie freue ich mich!« sprach sie dabei abgebrochen. »Wie gütig bist Du! Du vergiebst mir also den Schmerz, den meine Flucht Dir bereitet hat? Du segnest meine Wahl?«

Der Comthur schaute sehr ernst zu ihr auf.

»Wenn ich es thue, so dankst Du es dem da!« antwortete er, indem er mit der Hand auf den Doctor deutete, welcher still beobachtend zur Seite stand, um rechtzeitig jede schädliche Rührung abzuwenden. »Er war es, der den rechten Augenblick traf, wo meine morsch gewordene Kraft unter Gottes züchtigender Hand erlegen war – er wußte besser als mein Caplan die Regungen der christlichen Liebe aus dem verpalisadirten Gewissen herauszulocken. Hast Du sehr über meine Härte und Kälte geschimpft, Frida?« fügte er heiteren Blickes hinzu.

»Nein, mein guter Onkel, nein!« betheuerte die Dame lebhaft. »Nur getrauert habe ich und mit Angst der Möglichkeit gedacht, daß Du unversöhnt aus der Welt scheiden könntest.«

»Na, wenn's nicht geschieht, so ist der da schuld,« antwortete der Comthur mit rührender Schalkhaftigkeit dem Arzte drohend. »Ich will alles gut machen, Frida, was ich Dummes gethan habe. Morgen soll mein Justizamtmann kommen – ich lasse das alte Testament verbrennen –«

»Nein, mein bester Onkel,« fiel die Gräfin ein. »Man soll nicht sagen, ich hätte eine Versöhnung des Vortheiles wegen gesucht!«

»Weißt Du denn wohl, wie das Testament, das mir der Wettstein gemacht hat, lautet?« fragte der Comthur mit bedeutsamen Tone.

Die Gräfin lächelte und tauschte mit dem Doctor einen Blick.

»Ja, ich weiß es Onkel!« erklärte sie offen und frei.

»Ah, von dem da! Nun, wenn Du Deinetwegen auch eben nicht sorgen wolltest, Deiner Kinder wegen muß das Testament umgeändert werden!«

»Es ist wahrlich nicht nothwendig, lieber Onkel! Darüber gebe ich Dir später die nöthigen Erklärungen. Sei Du ganz unbekümmert! Ob mit, ob ohne Deinen Willen, wir haben dafür gesorgt, daß die niedrigen Ränke des Cousin von Wettstein durchkreuzt wurden.«

»So, so? Nicht wahr, der da hat wacker geholfen bei diesem Werke?« scherzte der alte Herr, sehr zufrieden Lächelnd.

»Ja, Herr Comthur!« entgegnete Doctor Hallström vergnügt die Hände reibend. »Ich habe Ihr zweites Gewissen vorgestellt und das zu entkräften gesucht, was von Ihrer Seite ein großes Unrecht gewesen sein würde. Wären Sie in ihrem Widerwillen gegen die arme Gräfin verblieben, so hätten Sie niemals etwas von einem Widerspiele erfahren, so aber wollen wir Sie morgen davon in Kenntniß setzen. Jetzt aber bitte ich kraft meines Amtes um Ruhe!«

»Doctor,« antwortete der Comthur schon etwas matter und schläfriger als früher, »kann ich mich darauf verlassen, daß ihre Komödienstreiche, denn weiter wird nichts herauskommen, meine Nichte in ihren Rechten beschützen? Ja? Hand darauf, Doctor! Doctor! Morgen mehr! Gott segne Dich, mein lieb' Kind, meine Frida!« – –


3.

Von seiner lebhaften Neugier verlockt, hatte Adrian, der kleine Graf von Rhodau, sogleich unter dem ersten Tumulte des Bewillkommnens sich seitwärts von den Terrassen in einen schmalen, gewölbten Gang geschlichen und war dann zu seiner unaussprechlichen Verwunderung in einen zweiten kleinen Schloßhof gekommen, der durch einen neu angebauten Flügel gebildet worden war. Er sah sich neugierig nach allen Seiten um und wollte eben im Triumphe seiner neuen Entdeckung zurücklaufen, um seinen Geschwistern die unerhörte Neuigkeit zu verkünden, als ein großer, sehr hagerer, aber elegant und vornehm aussehender junger Mann, der die Spuren der Residenzfreuden sehr deutlich auf dem bleichen, schönen Gesichte trug, rasch aus einem Balconfenster trat und mit wenigen Sätzen die Stufen bis zur Erde zurücklegte, um den kleinen Herrn, der sich beim Geräusche wieder umgewendet hatte, festzuhalten.

Es bedurfte nur weniger Fragen, und Herr Emil von Wettstein, welcher hier in vollster Bequemlichkeit mit seinen Eltern und mit seiner Schwester auf den Tod des Comthurs wartete, wußte, daß seine erste Ahnung ihn keineswegs betrogen, als er in diesem Knaben einen Vetter Rhodau vermuthet hatte. Der Augenblick war günstig. Emil, durch und durch schlau und diplomatisch, wie er als Attaché der Gesandtschaft sein mußte, benutzte den Zufall, um sich über einige Familienverhältnisse der gefürchteten Familie Rhodau informiren zu können.

Er zog den Junker, der sich ganz als artiger Cavalier zeigte, in das große prächtig ausgestattete Gemach, das durch die Balconfenster in unmittelbarer Verbindung mit dem Hofe stand und begann ein schlaues, vollständiges und gründliches Examen über alles, was er zu wissen wünschte und was er aus dem Munde eines neunjährigen Knaben zu erfahren hoffen konnte. Zu seinem gränzenlosen Erstaunen wußte aber dieser kleine, altkluge Mensch viel mehr, als sonst Kinder wissen und verstehen. Da er ganz der Weisung seiner Mutter folgte, erst dann zu sprechen, wenn er gefragt würde, so glaubte er in seinem Rechte zu sein, indem er dem jungen Herrn, der ihn fragte, Alles mittheilte, was sich auf der wochenlangen Reise aus den gelegentlichen Gesprächen der Gräfin mit ihrer Vertrauten in seinem kleinen Kopfe aufgehäuft hatte.

Natürlich fehlte dieser Mittheilung das Warum und Wozu, allein es gehörte keine außergewöhnliche, menschliche Schlauheit dazu, bei der geringsten Bekanntschaft mit den Verhältnissen das Vorhaben der Gräfin mit allen Nebenumständen zu erkennen. Sie wollte ihren Oheim, den Comthur von Virchotsch, versöhnen! So viel stand fest. Sie wollte ihm aber auch ein Geheimniß mittheilen! Wenigstens behauptete Junker Adrian dies. Leider kannte der Knabe dies Geheimniß nicht. Aber er erzählte mit besonderer Wichtigkeit, daß Dorly in der Stadt unten sei und daß während der Reise sehr häufig Doctor Hallström als Mitwisser genannt wäre.

Herr Emil von Wettstein stutzte und sann nach. O, er erinnerte sich wohl, daß er auf seinen Spazierritten durch die kleine Stadt seit vierzehn Tagen ein bildschönes Mädchen am Fenster des Doctorhauses bemerkt hatte, welches die prächtigen strahlenden Augen stets schnell niedergeschlagen hatte und lieblich erröthet war, wenn er mit leidenschaftlicher Bewunderung zu ihr hinaufzustarren für gut fand.

»Das käme mir erwünscht in allen Fällen,« dachte er mit vielem Selbstgefühle sein Bärtchen streichend. »Ich habe geschmachtet und nach einer Gelegenheit getrachtet, dies himmlische Bürgerkind in der Nähe bewundern zu können. Jetzt kann ich das Mädchen à deux mains gebrauchen! Also ein ordentliches Complot zwischen dem fatalen Doctor und der Gräfin Cousine –. Wüßte ich nur die Grundidee dieser Conspiration hinter unserm Rücken –. Lala! Greifen wir auf der Stelle an, versuchen wir durch Mamsel Dorly dem Feinde eine Bresche zu schlagen, die unser Vordringen erleichtert, während die Verschwörer noch in voller Sicherheit schwelgen. Ist Mamsell nur halb so geschwätzig, wie Graf Adrian, so wird meine diplomatische Klugheit unnöthig sein.«

Indem er sich diesen Gedanken überließ, strich er zerstreut immerfort über den Lockenkopf des kleinen Adrian, welcher die Liebkosung für eine Aufforderung hielt noch zu verweilen, obwohl sein Herz bänglich zu klopfen begann, da er an strengen Gehorsam gewöhnt war. Aufmerksam blickte er deshalb in das Gesicht seines neuen Freundes, und während dieser Musterung fühlte er eine so plötzliche Aufwallung von Mißbehagen, daß er sich trotzig losriß und die Balcontreppe hinabsprang, bevor Herr Emil von Wettstein sich besinnen konnte.

»Verdammt,« murrte der junge Diplomat. »Ich hätte den Burschen festhalten sollen. Jetzt wird er seiner chère mama das Abenteuer mit derselben Sprechlust erzählen, wie er seine Geheimnisse mir mitgetheilt hat und dann überrumpeln uns die Comploteurs! Handeln!« sprach er energisch, seine dünne Gestalt imposant emporrichtend. Seine Hand griff mechanisch nach dem Klingelzuge. Ein Diener in überladen reicher Livrée erschien.

»Jean, in zwei Minuten das Brenneisen, in zehn Minuten den Galawagen!« befahl er so hoheitsvoll, daß Jean die Wichtigkeit der Eile zu begreifen schien.

Im Begriffe nach diesem ertheilten Befehle das Zimmer zu verlassen, wendete sich Herr Emil rechts, wurde jedoch in demselben Momente von einer weiblichen Stimme angerufen, die aus dem links liegenden Cabinete kam.

Emil durchmaß mit seinen langen Schritten eiligst den Salon, um dem Rufe seiner Mutter, der würdigen, hochwohlgeborenen Frau von Wettstein Folge zu leisten. Die Dame war die Schwester eines mächtigen Ministers im kaiserlich österreichischen Lande, dem bei aller seiner Macht nichts weiter fehlte, als die Fähigkeit, so viel Geld anzuschaffen, wie seine verschwenderische Schwester zu verbrauchen für nöthig hielt. In Erwartung der fürstlichen Erbschaft vom ewig lebenden Comthur spielte die Dame schon seit langer Zeit die Fürstin, hatte auf diese Weise das glänzende Vermögen ihres Gatten, sowie ein Erbtheil von ihrem Hause durchgebracht und es war vorauszusehen, daß sie auch noch vor ihrem Lebensende mit dem zu erwartenden Nachlasse des Comthurs fertig werden würde, wenn das Geschick, günstig gestimmt, ihr denselben in die Hände spielte.

Ein ungemessener Stolz und ein gränzenloser Dünkel waren die Grundzüge ihres Charakters. Sie war eine Qual ihrer Umgebungen, ohne eigentlich bösartig zu sein. Genug, sie glich ungefähr jenen Caricaturen der Aristokratie, die Gottlob auszusterben beginnen.

Schon ihre Gestalt und ihre Haltung weckten dies Urtheil beim ersten Erblicken. Sie war von überraschender Größe und von übermäßiger Stärke, ihre Büste zeigte sich in einen Zustande unübertrefflicher Vollständigkeit und ihr Kinn ruhete in drei weißen Fettfalten, die bis zum halbentblößten Busen hinabwallten. Sie pflegte in majestätischer Ruhe den Kopf hochauf zu tragen und behielt diese Gewohnheit selbst in ihrem Familienkreise bei, wahrscheinlich um nicht aus der Façon und Uebung zu kommen.

Ganz unbemerkt war die Dame Zeugin der kleinen Scene zwischen ihrem Sohne Emil und dem kleinen, einfach reisemäßig gekleideten Grafen Adrian gewesen, jedoch ohne verstanden zu haben, was zwischen ihnen geredet worden war. Sie hatte aber durch die Spalte der halb offenen Cabinetsthür bemerkt, daß Herr Emil vertraulich des fremden Knaben Hände hielt, daß er, um ihn zum Sprechen aufzumuntern, seine Wangen streichelte und daß seine Hand auf dem Kopfe desselben ruhen blieb.

Eine gewisse Neugier aber wurde erst in ihr rege, als sie den Befehl Emils hörte und daraus schloß, daß etwas Besonderes im Werke sein müsse. Sie rief ihn und er kam eilig herbei, um mit üblichem Handkusse nach ihren Befehlen zu fragen. Rasch griff er nach der blendend weißen, fetten Hand seiner Mama. Sie verweigerte sie ihm mit allen Zeichen großen Ekels und griff nach einem Flacon, das in silberner Stellage neben ihr stand.

»Purificire Dich erst, mein Sohn,« sagte sie hochmüthig die Nase rümpfend.

Gehorsam hielt Emil seine langen magern Hände hin, empfing eine tüchtige Portion Eau de milles fleurs, rieb seine Hände, bis es verflogen war und sog dann tief athmend den Duft ein, wobei er listig lächelnd in das Vollmondsgesicht seiner Mutter blickte.

»Warum gnädige Mama mir diese Wohlthat erweiset, begreife ich nicht,« sprach er mit einer tiefen Reverenz und mit einem Spottlächeln eigener Art.

»Ich will nicht von den Händen berührt werden, die sich mit dem Schweiße der Bürgerbengel besudelt haben,« entgegnete die Dame, noch immer Ekel in allen Mienen, »Was nützt mir die vortreffliche Erziehung, die ich Euch Allen gegeben habe, wenn ich vor meinen Augen solche Verstöße gegen die façons de vivre erleben muß!«

»Gnädige Mama irret dies Mal,« spottete Emil auflachend. »Die Schweißtropfen dieses Knaben sondern sich aus eben so gutem Blute ab, wie das unsere ist. Es war Graf Adrian von Rhodau, der mit seiner Mama, der Gräfin Frida, gebornen von Virchotsch, eingetroffen ist, um eine Versöhnung mit ihrem Onkel, dem Comthur, zu bewirken.«

Wie von einer unsichtbaren Macht gehoben, fuhr die große und mächtig dicke Dame blitzgeschwind vom Sopha auf, worauf sie gethront hatte.

»Jesus Maria, sie will das Testament vernichten!« schrie sie in einem Tone, der ihrer stolzen Haltung gar nicht entsprach. Herr Emil wehrte mit der Hand ab.

»Das glaube ich weniger, als daß diese kluge, stolze Frau ein Mittel gefunden hat, unsers Vaters schlaue Maßregeln zu durchkreuzen,« sprach er. »Noch verstehe ich die Sache nicht, aber des Knaben Schwatzhaftigkeit hat mir kund gethan, daß sein Vater den Befehl gegeben habe, weder durch Geschenke, noch durch Umänderung des Testamentes die Versöhnung besiegeln zu lassen, die Cousine Frida leidenschaftlich gewünscht hat. Aber diese Mittheilungen ließen auch etwas von einem Complote gegen das Testament durchblicken, ungefähr so, als würde uns nicht gelingen, die Kinder von der Theilnahme an des Comthurs Nachlaß auszuschließen. Unter Mitwirkung des Doctors und eines jungen Mädchens Namens Dorly wird Gräfin Cousine einen Angriff wagen. Apropos, wissen gnädige Mama auch wohl ganz gewiß, daß der Zufall wirklich Frida von Virchotsch in Warmbrunn, also im Preußenlande, das Licht der Welt hat erblicken lassen?«

»Ganz gewiß, mein Sohn Emil!« erwiederte die Dame feierlich. »Ich war damals schon Deines Vaters Gattin und bin selbst nach Warmbrunn gefahren, um der Frau Tante die Gratulationsvisite zu machen. O, das Herz war mir gar nicht leicht dabei! Wir hofften auf einen Sohn, der uns in unsern Hoffnungen auf das Allodialvermögen des Comthurs nicht viel gestört haben würde und der auf der andern Seite als Stammhalter sehr erwünscht gewesen wäre. Statt dessen kommt ein Mädchen an, ganz unverhofft und viel zu früh. Es war die erste Calamität meines Lebens.«

»Aber immerhin bei den jetzigen Umständen ein köstlicher Zufall, daß Frida von Virchotsch außer Landes geboren ist,« sprach Herr Emil sich lachend die Hände reibend. »So viel ich aus dem Geschwätze des Knaben entnehmen kann, schmeichelt sich die Gräfin Frida mit der Hoffnung, gültige Beweise über Erbschaftsrechte der Kinder herbeischaffen zu können, die den testamentarischen Bedingungen conform sind.«

»Ach Kindergeschwätz!« fiel Frau von Wettstein ein.

»Gnädige Mama erlauben, dazu ist es zu viel, aber es ist auch zu wenig, um Gewicht darauf zu legen. Das Kind hat vielleicht leere Wünsche für Erwartungen genommen, vielleicht ist aber auch ein Versuch gemacht, durch Intrigue das zu gewinnen, was der Stolz des Gemahls der Gräfin Cousine versagt bat. Sie rechnete dabei sicher auf unsere Sorglosigkeit. Aber der kleine Vetter Adrian kam mir zur rechten Zeit in die Hände und ich will unverzüglich hinab in die Stadt, um dem Doctor seine Hülfsarbeiterin abwendig zu machen. Schade, daß Papa mit dem Secretair fort ist – seine Sachkenntniß könnte mir meine diplomatische Mission sehr erleichtern.«

»Dein Vater ist immer dann nicht zur Hand, wenn man ihn braucht. Nimm doch Deine Schwester Isabelle mit. Das Mädchen hat einen enormen Scharfblick.«

Herr Emil von Wettstein warf einen kokettirenden Blick in den Spiegel

»Gnädige Mama haben zu befehlen, allein ich bin der Meinung, daß das beste Mittel zum Zwecke ist, wenn ich das hübsche Mädchen in mich verliebt mache. Der Leidenschaft entschlüpfen die Schlüssel des Geheimnisses! Und meine Augen haben Uebung in diesem Geschäfte!«

Er küßte der Gnädigen die Hand und ging.

Seine Mutter sah nachdenklich hinter ihm her. Eine dunkle Sorgenwolke lag auf der breiten Stirn, als sie ihre weißen fetten Hände rang und dabei stöhnte:

»Jesus Maria, wenn der Comthur sein Testament änderte! O wäre er doch vor vier Wochen gleich gestorben, dann wären wir im Besitz und könnten flott leben. Dieser verdammte Doctor!«


4.

Einige Stunden mochten verflossen sein, seitdem der Wagen der Gräfin Rhodau durch das Städtchen gerollt war. Dorly hatte die Zeit benutzt, ihre Habseligkeiten sauber zusammenzulegen, um damit am nächsten Morgen zur bestimmten Zeit fertig zu sein, wenn das Posthorn zur Abfahrt rufen würde. Ihr Entschluß hatte sich also nicht verändert. Sie wollte fort, theils um ihrem innern Grolle Genüge zu thun, theils weil sie einfach, daß sie in ihrem leidenschaftlichen Schmerze Blößen geben würde.

Dagegen sträubte sich ihr jungfräulicher Stolz mächtig.

Sie war arm und verdankte ihre Existenzmittel schon jetzt der Fürsprache des Mannes, der mit eitelm, hochstrebendem Geiste sein Herz an eine Dame gehangen hatte, die nun einmal, den bestehenden Lebensformen und Weltgesetzen zufolge, hoch über ihm stand. Diesem Manne hatte sie leider in unbewachten Augenblicken verrathen, wie lieb er ihr sei. Um so eher mußte sie nun fort. Unter den Eingebungen einer wilden Eifersucht war sie einem Geheimnisse auf die Spur gekommen, das wunderbar schlau verborgen worden war und durch den Scharfsinn der Eifersucht hatte sie sich selbst den Zusammenhang verschiedener Zufälligkeiten erklärt. Sie konnte unmöglich hier bleiben, nachdem sie diese Einsicht in einen Charakter erlangt hatte, den sie bis dahin verehrungswürdig gefunden.

Stil saß sie am Fenster ihres kleinen Stübchens und schaute auf die öde Straße hinab. Der Regen hatte endlich etwas nachgelassen und eine rosige Gluth vom Westen aus die lichteren Wolkenmassen durchstrahlend, färbte alle Gegenstände mit einem Verklärungsschimmer.

Dorly haßte nichts mehr als dumpfe Luft und die erdrückende Schwere der Ungewißheit und Unsicherheit. Letztere hatte sie durch ihren Vorsatz von der Seele abgeworfen, warum sollte sie nicht die erfrischende Atmosphäre der Abendluft um ihre brennende Stirn wehen lassen, um ferner Erleichterung zu finden?

Schnell öffnete sie die Fensterflügel, als wolle sie die Niedergeschlagenheit ihres Gemüthes von dem Hauche der feuchten Regenluft bekämpfen lassen.

Ihre Gedanken, zuerst verworren und umherfahrend, hingen sich allmälig an den Bildern der Vergangenheit fest und vor Allem traten die Scenen vor ihren Geist, die sich auf ihre heutige Erfahrung bezogen.

Sie erblickte sich wieder in dem frohen Familienkreise, der von Freunden ihres geistvollen Vaters vergrößert worden war. Sie gedachte der Zeit, wo ihr Vater als Professor in Frankfurt an der Oder wirkte und erinnerte sich lebhaft des Schreckens, der sie Alle traf, als es verlautete, die Universität werde nach Breslau verlegt werden. Was damals ahnend ihre Seele berührt hatte, traf ein. Das Glück wich von ihrer Familie mit dieser Uebersiedelung. Kaum in Breslau angelangt erkrankte ihr Vater, starb und hinterließ seine Familie hülflos in einer Stadt, wo Niemand sie kannte, Niemand sich für sie interessirte und Niemand sich ihrer annahm.

Dorly erinnerte sich deutlich des Momentes, wo die Noth am höchsten gestiegen war und ihre Mutter plötzlich beschlossen hatte, sich an Madame Hallström, eine Verwandte, der es sehr gut gehen solle, zu wenden, um ihre Hülfe in Anspruch zu nehmen.

Es währte nicht acht Tage, so hatte ihre Mutter Antwort und eine hinreichende Summe Geldes in Händen gehabt, um die Reise nach Birkwald zu bestreiten. Freilich die Bedingungen, unter welchen diese Unterstützung gewährt worden war, stand nicht recht im Einklange mit den frühern Ansprüchen und der frühern Stellung der Familie, allein es blieb ihnen keine Wahl und als sie sich erst heimisch gemacht hatten im Schlosse zu Birkwald, da söhnten sie sich Ade mit einem Verhältnisse aus, das nahe an die Functionen einer Castellanin streifte.

Dorly verlor sich nun aber auch in die reizvollen Rückerinnerungen eines Jugendlebens inmitten einer wunderschönen Einsamkeit, in der sie, nur umgeben von ihren jüngern Geschwistern zur Jungfrau herangeblühet war. Sie schwelgte in diesen Reminiscenzen und ihr Gesicht erglühte von dem innern Feuer der zauberhaften Heiterkeit, womit ihr Jugendleben vor sie hintrat.

Sie sah sich unter den dunkeln Baumgruppen des prächtigen Parkes, der im weiten Bogen einen Fischteich einschloß. Schmale, dunkle, schattige Wege durchschnitten diesen Park. Rasenflecke mit Steinfiguren und versiegten Springbrunnen wechselten mit dem dichten Gestrüpp und der Teich mit seinen hohen Schilfmauern war dem Kindergemüthe von Anfang an als ein Aufenthalt schöner Nixen und Elfen erschienen.

Dorly erinnerte sich wehmüthig werdend dieses ersten Eindrucks. Am Ende des Teiches stand ein Haus von wunderlicher Form. Man hatte es ihnen als »der Tempel« bezeichnet und davon erzählt, daß der Comthur von Virchotsch den Schlüssel dazu seit vierzig Jahren bei sich trage, weil in diesem Tempel einst die schöne Kaiserin Maria Theresia eine Stunde geruhet habe, als sie auf einer Reise durchpassirt sei. Einem Tempel gleich war ihr dies Haus zwar nie erschienen, aber das Kuppeldach mit seinem kleinen spitzen Thürmchen rechtfertigte wenigstens die Meinung, daß es einstmals einem Tempelritter aus dem Geschlechte der Virchotsch zur Wohnung gedient haben, späterhin aber durch verschiedentliche Bauveränderungen zu einem wohnlichen Häuschen umgewandelt sein könne.

Daß dies alterthümliche Gebäude, dessen Mauern bei hohem Wasserstande von den Wellen bespült wurden, der Neugier verschlossen war, regte damals bei Dorly das Interesse um so tiefer auf. Wie oft hatte sie mit ihren Geschwistern das Haus umkreiset und an die festen Fensterladen gepocht, übermüthig alle Spukgeister, die in demselben hausen sollten, herausfordernd.

Ein Lächeln schlich bei dieser Erinnerung über Dorly's Gesicht, aber es erlosch schnell, als sie in ihrem Gedankenspiele auf den Moment stieß, wo sie eines Tages, wild mit ihren Geschwistern den Park durch streifend, zu ihrem Erstaunen die Fensterläden geöffnet und eine feengleiche schöne Frau an dem einen offenen Fenster stehen sah. Versteinert, durchrieselt von einem Grauen und dennoch entzückt wie nie in ihrem Leben, hatte sie die Dame angestarrt, bis sie verschwand und das Fenster schloß.

Einige Tage später war der Vetter Günther zum ersten Male auf Besuch zu ihnen gekommen und hatte volle vierzehn Tage bei ihnen zugebracht. Fünf Mal wiederholte die Dame ihren Aufenthalt im Tempel am Teiche und fünfmal besuchte Doctor Hallström zur selben Zeit seine Anverwandten in Birkwald – Dorly barg in leidenschaftlichem Zorne ihre Stirn in beiden Händen, als sie dessen gedachte! Sie war so versunken in ihren traumähnlichen Erinnerungen, so verzweifelt über die plötzliche Leere und Oede in sich, daß sie nichts von dem beachtete, was um sie her vorging. Die schauerliche Last einer verschmähten Liebe lag auf ihrer Seele und betäubte sie.

In dieser Unempfindlichkeit überhörte sie das Rollen des Wagens, der den siegesgewissen Diplomaten Emil von Wettstein vom Schlosse herabführte. Erst das Anhalten desselben vor der Thür schreckte sie auf. In der Ueberzeugung, daß es Günther sein müsse, schlug sie leise beide Fensterflügel zu und flüchtete in eine Ecke des Zimmerchens, gleichsam Schutz im Verstecken suchend, wie die Kinder.

Sie lauschte auf des Doctors Stimme. Eine andere fremde Stimme ließ sich aber vernehmen und sie hörte ihren Namen nennen. Gleich darauf trat Madame Hallström, ziemlich aufgeregt, zu ihr ein und flüsterte:

»Ein Herr will Dich sprechen, Dorly –. Um aller Heiligen willen, lieb' Kind, hast Du denn schon eine Liebschaft gehabt –, ach, mein Traum, mein schöner Traum!«

»Beruhige Dich, Tantchen! Ich kenne keinen Herrn in der weiten großen Welt, wie Deinen Sohn!« sprach Dorly mit innigem Pathos. »Unsere Einsamkeit in Birkwald schloß jede Bekanntschaft aus. Mich will der Herr sprechen?«

»Dich, lieb' Kind, Dich!« betheuerte Madame Hallström. »Und zwar allein, ganz allein will er Dich sprechen. Es ist ein schlanker, schöner Mann, vornehm in Haltung und Geberde, aber er ist hager und todtenbleich!«

Dorly wurde neugierig. Schnell warf sie einen Blick in den Spiegel, ordnete ihr Haar, das in der kaum bezwungenen Seelenstimmung wenig von ihr respectirt worden war und folgte gelassen der alten Dame nach dem Zimmer, wo sie früher gesessen hatte.

Bei ihrem Eintreten erhob sich Herr Emil.von Wettstein eilig vom Sopha und begrüßte sie mit jener studirten Grazie, die jetzt nicht mehr Mode ist.

Dorly erwiederte den Gruß mit demselben Anstande und wartete ruhig auf seine Anrede, obwohl ihr Herz seltsam zu pochen begann, als sie in ihm den Reiter erkannte, der ihr seit ihrem Hiersein so unzweideutige Beweise von Bewunderung gegeben hatte.

Madame Hallström sah nur noch, daß der fremde Cavalier die Hand Dorlys ergriff und sie zierlich zum Sopha geleitete, daß er dicht neben ihr Platz nahm und mit unverhehlter Zärtlichkeit in das reizende Gesicht des Mädchens blickte. Dann verließ sie seufzend das Zimmer, »ihre schönen Träume »den Heiligen empfehlend.

Dorly erwartete mit einiger Spannung, was sich aus dieser Scene entwickeln werde. Der junge Mann war hübsch und bedeutend genug, um ein eitles Mädchenherz beschäftigen zu können und die Eitelkeit, dieser Dämon der Frauen, verrieth ihr, daß ihre Schönheit es sei, die ihn aufrege. Eine Wallung, der sie sich schämte, stieg vom pochenden Herzen hinauf zum Kopfe und drohte sie einer gefährlichen Verwirrung zu überliefern. Doch ihre keusche unverdorbene Natur rettete sie aus dieser Bedrängniß. Resolut erhob sie sich und sprach in gebieterischem Tone:

»Mein Herr, wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie für lächerlich erklären soll, so sprechen Sie!«

Diese handfeste Anrede entmuthigte jedoch den jungen Cavalier keineswegs. Er hielt sie nur für eines Bürgerherzens letzten Kampf kurz vor der gänzlichen Niederlage und flüsterte deshalb mit weicher schmelzender Manier:

»Du süßes, Du reizendes Wesen, ahnest Du in Deiner himmlischen Unschuld nichts von den stürmischen Wünschen einer wild entflammten Leidenschaft, die in meinem Busen für Dich glüht?«

Dabei suchte er die Hand des jungen Mädchens zu ergreifen. Allein Dorly war klug geworden. Sie trat weit zurück und nahm ihre Stellung nahe der Thür, um im Falle der Noth den Rücken frei zu haben.

Der junge Herr erhob sich nun ebenfalls.

»Sollte Dein strahlender Blick, der dem meinigen so himmlisch gütig leuchtete, mich getäuscht haben,« sprach er leise und traurig. »Ich sah in demselben meine Leidenschaft erwiedert!«

»Bitt' schön, dann hat mein strahlender Blick gelogen, mein Herr,« entgegnete Dorly trocken. »Es ist mir nie eingefallen, Interesse an Ihnen zu nehmen. Bei uns zu Lande ist's nicht Mode, jedem Unbekannten das Herz entgegen zu tragen und bis jetzt weiß ich noch nicht, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen.«

»Holdes Kind der Natur!« hauchte der junge Herr schmachtend, obwohl er schon seinen Angriffsplan abzuändern beschlossen hatte, weil er sich nicht verhehlen konnte, daß zwischen ihm und diesem charaktervollen Bürgerkinde eine chinesische Mauer stand, die von dem angefangenen Liebesspiele nicht einmal beschädigt, geschweige denn eingestürzt werden würde. Um einen Uebergang zu finden, schritt er gewaltsam und mit leidenschaftlich theatralischem Anstande mehrmals im Zimmer hin und her und sagte dann mit tief traurigem Tone:

»Sie kennen mich nicht und doch arbeiten Sie so beharrlich an meinem Verberben?

»Ich?« fragte Dorly frappirt. »Bitt' schön, mein Herr, jetzt verfallen Sie in einen zweiten Irrthum. Ich liebe und ich hasse Sie nicht! Wahrhaftig, Ihr Dasein ist mir viel zu gleichgültig, um an Ihrem Verderben zu arbeiten.«

»Wie? Wollen Sie leugnen, daß Sie willig die Hand zu einer Intrigue geboten haben, die mein zeitliches Wohl beeinträchtigt?«

»Ja, das leugne ich!« rief Dorly belustigt von dieser Wendung des Gesprächs.

»O schlagen Sie Ihr göttliches Auge nieder, schöne Heuchlerin, denn ich werde Sie überführen, daß Sie in Alliance mit meiner gnädigen Cousine getreten sind, welche eine kleine Erbschaftsdifferenz mit Eclat ausgleichen will!«

Dorly starrte den jungen Mann erschrocken an. Sie vergaß in ihrem gränzenlosen Erstaunen den nöthigen Widerstand zu leisten, als er bei diesen Worten ihre Hand faßte und dieselbe zwischen seinen brennend heißen Fingern leise drückte.

»Ich?« wiederholte sie. »Alliance? Differenz? Mein Herr, was meinen Sie? Ich schwöre, daß Sie sich irren!«

Er neigte sich zärtlich nahe zu ihr und flüsterte ihr schmeichelnd zu:

»Irre ich noch, wenn ich Ihnen den Namen der Gräfin Frida von Rhodau nenne, wenn ich Ihnen eröffne, daß ich der arme Emil von Wettstein bin?«

Er zog sie sanft näher und führte ihre fieberhaft zuckende Hand an seinen Mund.

»Sie duldete auch dieß in dem Zustande der peinlichen Verwunderung, worin sie sich befand und wiederholte nur zweifelnd den Namen der Gräfin.

»Wollen Sie mir nun noch ferner ableugnen, holde Verschwörerin, daß Sie bereit sind ein Zeugniß zu Gunsten der Gräfin abzugeben und damit mir unendlichen Schaden zuzufügen?« fragte er mit weichem Accente, indem er Miene machte, sie zu umfassen und an sich zu drücken.

Jetzt kam Dorly zu sich. Im Nu war ihre Hand ihm entrissen, sein Arm zurückgeworfen und sie rief voller Zorn:

»Was geht mich die Gräfin Rhodau an, mein Herr! Sie sprechen in Rätseln, die ich nicht zu lösen vermag!«

»Also Sie wollen fortfahren zu leugnen, theure Dorly,« entgegnete Herr Emil sanft lächelnd, indem er die Arme über einander schlug und sie fest betrachtete. »Soll ich Sie nun überführen, daß Sie ein Geheimniß der Gräfin Cousine wissen, welches dieser große Vortheile bringt und in Verbindung mit ihren Erbschaftsrechten steht?«

»Ich soll dies Geheimniß wissen?« fragte das Mädchen befremdet. »Sie irren sich, mein Herr!«

»Soll ich Ihnen beweisen, daß es eine Fürsorge des Doctor Hallström ist, die Sie hier am Orte fesselt, während mein Großonkel mit dem Tode ringt?«

»Sprechen Sie wirklich von mir, mein Herr?« fiel sie empört ein.

Er fuhr fort:

»Soll ich Ihnen beweisen, daß Sie, der Doctor und die Gräfin im Complot gegen den letzten Willen des Comthur von Virchotsch, meines Großonkels, vereinigt sind, daß Einer von Ihnen unrechtmäßiger Weise die Geheimnisse des Testamentes erforscht haben muß?«

Dorly warf stolz den Kopf in die Höhe:

»Jetzt hören Sie auf, Herr von Wettstein! Erfahren Sie von mir, daß ich gar nicht die Ehre habe die Gräfin von Rhodau zu kennen!«

»Nicht?« fragte Emil hohnlächelnd. »Und doch hat die Gräfin Sie sogleich erkannt beim Vorüberfahren und doch hat sie gesagt, daß es gut vom Doctor sei, Sie, mein theures Kind, als Reserve bereit zu halten, wenn Ihr Zeugniß nöthig sein solle und doch hat sie die Furcht geäußert, daß der Kampf mit uns ein heißer werden würde und daß sie auf heftige Scenen gefaßt wäre, die Sie mit Ihren Zeugnissen enden könnten?«

Zu große Sanftmuth war Dorly's Fehler nie gewesen, kein Wunder also, daß es in ihr »brausete, siedete und zischte, wie wenn Wasser und Feuer sich menget!« Zitat aus »Der Taucher« (entstanden 1797, erstveröffentlicht 1798), einer Ballade von Friedrich Schiller. – Anm.d.Hrsg. Sie verlor während der letzten Rede des Herrn von Wettstein alle Geduld, aber leider auch alle Besonnenheit.

»Das ist mir zu arg!« sprach sie ganz außer sich. »Wenn die Dame, welche vor einigen Stunden durch die Stadt passirt ist, die Gräfin Frida von Rhodau war, so hat sie eher Ursache, mein Zeugniß zu fürchten, als zu wünschen, denn meine Aussagen würden diese Dame auf's Schmählichste compromittiren!«

Herr Emil trat unvermerkt zurück und faßte die junge Dame scharf in's Auge. Seinem erfahrenen Blicke entging es nicht, daß andere Gründe als bisher die Worte des schönen Mädchens so leidenschaftlich färbten. Welchen Weg er nun einzuschlagen hatte, um der Sache gründlich auf die Spur zu kommen, wußte er nicht und er fragte wirklich nur unwillkürlich, ganz absichtslos und keineswegs von der Wichtigkeit seiner Frage durchdrungen:

»Wo wohnen Sie denn, schöne Dorly? In Berlin etwa?«

»In Birkwald, mein Herr, wo uns der Comthur als Aufsichtsbehörde in's Schloß gesetzt hat!« antwortete das Mädchen mit stolz flammenden Blicken.

»In Birkwald? Und dort hätten Sie die Gräfin Frida gesehen? Das ist nicht wahr, kleiner Engel!«

Dorly lächelte verächtlich.

»Oder – verdammt – Himmelelement –« murmelte Emil, indem er sich hart an die Stirn schlug. »Die Gräfin wohnte zuweilen dort im Schlosse?« examinirte er mit zusammengekniffenen Lippen.

»Dann würde ich es wissen, daß es die Gräfin gewesen –«, sie brach ab.

»Zum Vergnügen hielt sie sich dort auf? Wo wohnte sie? Warum sagte man Ihnen nicht, daß es die Gräfin war?«

Er schwieg, weil er fühlte, daß er in dieser Ueberstürzung nichts gewann. Heftig schritt er auf und ab – dies Mal ohne studirte Grazie. Erst als er sich ganz gefaßt hatte, blieb er stehen und sagte:

» Es tagt in mir! Wie oft war die Gräfin in Birkwald, Mademoiselle?«

Dorly zog es vor diese Frage nicht zu beantworten, deshalb fügte Emil unverzüglich hinzu:

»Fünf Male in gewissen Zwischenräumen etwa?«

Dorly neigte stolz ihr Haupt.

»Und Doctor Hallström war ihr hilfreicher Beistand, nicht wahr?«

Dorly schaute rasch auf. Ihre Wangen färbten sich purpurroth. Nur diese Redewendung war nöthig gewesen, um auch in ihrem Innern ein Licht über die wunderbaren Rendezvous dieser beiden Menschen anzuzünden.

»Die Frau Gräfin Cousine hat uns an Schlauheit übertroffen, wie es scheint,« murmelte Herr Emil, sich zum Weggehen rüstend, » jetzt begreife ich alles!« Er verließ das Zimmer mit flüchtigem Gruße, stürmte die Treppe hinab, warf sich in den Wagen und schrie: »Fort! Fort! Fort!«

Dorly hingegen blieb wie gebannt auf dem Flecke stehen, wo sie gestanden hatte, legte die gefalteten Hände fest auf ihre Brust und flüsterte:

»Sollte ich meinem Vetter Günther und der Gräfin Frida Unrecht gethan haben, als ich sie Beide mit dem schwarzen Verdachte eines verruchten Lebenswandels bewarf? O, ich will mein Herz von dieser fürchterlichen Last befreien – ich will seiner Mutter alles erzählen, was dort damals geschehen ist – mag sie sehen, wie fürchterlich ich unter diesem Verdachte gelitten habe!«


5.

Fort! Fort!« tönte es immer aus dem Fond des Wagens und dieser Befehl fachte den Eifer des Kutschers zu hellen Flammen an. So himmelstürmend war gewiß noch niemals eine schwere Staatscarosse bergan geschleppt worden, als der Wagen, worin Emil in brennender Ungeduld saß.

Ein paar Männer mochten dieselbe Bemerkung machen, denn noch ehe das Fuhrwerk die halbe Höhe erreicht hatte, schallte es aus dem Munde des Einen, der schon durch lebhaftes Geberdenspiel seinem Unmuthe Ausdruck gegeben hatte, herab:

»Ist Er denn verrückt, bergan Trab zu fahren!«

Emil steckte geschwind seinen Kopf aus der Rutsche und gewahrte seinen Vater, welcher mit dem Secretair ein nasses Jagdvergnügen der trockenen Langweiligkeit seines Familienzimmers vorgezogen hatte und eben quer durch die Felder schritt, als sein Sohn, wie ein Sonnengott, in der rosigen Abendgluth dahergestürmt kam.

Auf Emils donnerndes »Halt!« stand der Wagen still. Er winkte eifrig seinem Vater näher zu kommen. Der Oberst von Wettstein, ein mürrischer Mann von ähnlicher Gestalt und Haltung wie sein Sohn, nur wettergebräunt im Gesicht, näherte sich höchst verdrießlich dem Wagen.

»Himmelelement, Du denkst wohl, ich finde meine Pferde auf der Straße, Junker Emil! Ich traue Dir viel dumme Streiche zu, aber daß Du bergan galoppiren läßt, damit die Thiere oben schäumend zusammenbrechen, das habe ich vom weisen Diplomaten denn doch nicht erwartet.«

Emil hatte mehr durch devote Geberden, als durch Worte geantwortet. Er wartete geduldig, bis sein Vater seiner Galle Luft gemacht hatte und sagte dann:

»Will der gnädige Papa nicht einsteigen? Ich habe wirklich Eile und möchte gleich unterwegs mit Dir besprechen, was noth thut.«

»Was giebt's denn? Einsteigen mit diesen Stiefeln voll Schmutz in die Staatscarosse Ihrer Gnaden, der Frau Mama?« wendete der Oberst hohnlächelnd ein.

»O – wir purificiren uns –« entgegnete in ganz gleichem Tone der Sohn, indem er sein reichgesticktes feines Leinentuch aus der Tasche zog und es dem Secretair hinwarf. Dieser hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Stiefeln des Obersten damit zu reinigen, und es dann, als eine willkommene Eroberung dicht zusammengewickelt in seiner Jagdtasche zu verbergen.

Während dessen war der Oberst eingestiegen, hatte befohlen »vernünftig zu fahren« und sah nun seinen Sohn mit bezeichnend fragenden Blicken an.

»Es hat sich viel, sehr viel ereignet, seitdem Du auf die Jagd gegangen bist,« begann Emil geflissentlich zögernd.

»Ist er todt?« fragte der Oberst freudig auffahrend.

»Bewahre! Im Gegentheil, er lebt wieder auf und hat nie weniger Lust gehabt zu sterben, als eben jetzt!«

»Nun, was ist denn passirt, Emil?« meinte der Oberst, weit gleichgültiger als bisher.

»Ehe ich dazu schreite es zu erzählen, muß ich um Erlaubniß bitten, dem gnädigen Papa für dies Mal einen guten Rath geben zu dürfen.«

»Nur zu! Ich kenne des Junkers Rathschläge schon, sie gränzen immer an Unsinn. Das ist wahrscheinlich eine Methode der Diplomatik!«

»Papa thut mir und meinem Stande grausames Unrecht,« antwortete Emil mit hämischer Freundlichkeit. »Wir sind nun einmal ein verschrieenes Corps und doch überholt uns mancher als klug und ehrlich respectirte Mann in Unsinn, List und ränkevoller Schlauheit. Doch das gehört nicht hierher, Papa. Wenden wir unsere kostbare Zeit nicht zu unnützen Wortklaubereien an. Erlaubt der gnädige Papa mir wohl die Frage nach dem Casus im Testamente des Großoheims, der die nicht im Lande Oesterreich geborenen Nachkommen ganz decidirt ausschließt?«

Der Oberst, schon sehr unangenehm von dem Seitenhiebe, der in Emils Entgegnung lag, getroffen, riß seine Augen weit auf und starrte seinen Sohn ziemlich wüthend an.

»Mißverstehe meine Frage nicht, Papa,« beschwichtigte ihn der junge Mann eiligst, denn das Gewitter in diesem Gesichte drohete mit fürchterlicher Explosion.

»Ich muß den Casus ganz genau wissen, um Rath geben zu können.«

»Was weiß ich davon?« grollte der Oberst.

»Wir sind entre nous,« fiel Emil schadenfroh ein. Es weiß kein Mensch diese Bestimmung besser als Du, darum wendete ich mich an Dich und darum flog ich, wie auf Sturmesflügeln, bergan. Die Sache eilt. Wenn Papa es mir nicht sagt, so wird es mir eine andere, wie es scheint, wohlunterrichtete Person im Schlosse sagen!«

Der Oberst blieb die Antwort schuldig, war aber sichtlich gespannt darauf, was noch kommen würde. Sein Auge flog unruhig von einem Gegenstand zum andern und die nervöse Bewegung seiner Finger deutete vollkommen die innerliche Aufregung an, worin er sich befand. Sein Sohn fuhr ruhig fort:

»Gut, wenn der gnädige Papa meinen Wunsch in dieser Form nicht erfüllen will, so hat er vielleicht die Gewogenheit, mir zu notificiren, wenn ich falsch unterrichtet gewesen sein sollte. So viel mir erinnerlich ist, heißt es wörtlich im Testamente: ›Nur diejenigen meiner Nachkommen von Geschwisterseite, die in meinem theueren Vaterlande geboren sind, seien es Geschwisterkinder oder Geschwisterkindeskinder, sollen Theil an meinem Allodialvermögen haben und soll das ganze Vermögen in gleichen Theilen an diejenigen fallen, die sich zu meinen leiblichen Erben zu zählen das Recht haben, in so fern sie der Bedingung, auf österreichischem Grund und Boden geboren zu sein, entsprechen.‹«

Emil schwieg und sah seinen Vater forschend an.

»Nun? Was willst Du mit dieser Citation sagen?« fuhr der Oberst auf. »Ist es Deine Absicht, Dich als gleichberechtigten Erben zu betrachten? Willst Du gerichtlich diese thörichte Phrase, von der ich den alten starrköpfigen Comthur trotz aller Vorstellungen nicht abbringen konnte, in Anwendung bringen und Deinen Vater dadurch elend machen?«

»Ruhig, Papa! Ich weiß, Ihr werdet ohne mich fertig mit dem Gelde, was zu erben ist!« sprach Emil etwas trübe. »Der Grund meiner Nachfrage ist ein weit drohenderer, als Du wähnst.«

»Nun, was ist es denn sonst? Frida ist auf preußischem Grund und Boden geboren – die fällt weg, nebst ihrer ganzen –«

»Still! Die Rache der Götter ist uns nahe!« fiel Emil pathetisch ein. »Die diplomatisch feine Abfassung des Testamentes macht dem alle Ehre, der es entworfen hat. Kein Vorwurf kann ihn treffen – man muß glauben, daß nur der Haß unseren Großonkel zu den Bedingungen getrieben hat, die uns in Vortheil setzen, allein die diplomatische Schlauheit des Verfassers ist von einer Mutter, die wenig Vermögen und ein halbes Dutzend Kinder hat, übertroffen worden.«

»Wie so? Foltere mich nicht!« murmelte der Oberst dumpf. »Frida hat Kinder, ich weiß es. Es sind fünf an der Zahl – aber wie wäre es möglich?«

»Nichts leichter als das!« warf Emil spöttisch ein. »Sie hat fünf Kinder und alle fünf haben das Licht der Welt in Birkwald erblickt, also nicht allein auf österreichischem Grund und Boden, sondern sogar auf echtem Virchotsch'schen!«

Der Oberst war sprachlos vor Schreck.

»Mein guter Rath, den ich Dir geben wollte, geht nun dahin, daß wir die gnädige Frau Cousine auf alle Weise flattiren, damit sie nicht auf den Unsinn verfällt, ihre fünf Sprößlinge zu gleichen Theilen präsentiren zu wollen. Reizen wir sie sowohl, als den Doctor Hallström, ihren Helfershelfer, nicht, so wette ich hundert gegen eins, daß sie Beide eine gleiche Theilung zwischen Dir und der Gräfin gelten lassen. Der Stolz des Grafen Adrian garantirt mir für diese Ansicht!«

»Ich will mit Deiner Mutter sprechen!« schloß der Oberst das Gespräch. Gleich darauf donnerte der Wagen über die alte Zugbrücke und die Herren verließen denselben mit der Empfindung, als hinge ein schweres Gewitter über ihren Häuptern.

Während der Oberst sich in sein Zimmer schlich, um Toilette zu machen, verfügte sich sein Sohn in das Cabinet, wo er seine gnädige Mama über Lafontaine's himmlischen Roman »St. Julien« »Die Familie Saint Julien« (1798) war einer der zahlreichen Romane des Unterhaltungsschriftstellers August Lafontaine (1758-1831), der in den 1830er Jahren, in welchen die Erzählung spielt, noch häufig gelesen wurde. – Anm.d.Hrsg. eingeschlafen fand. Sie träumte gewiß von jener entzückenden Zeit, wo sie der Heldin des herrlichen Erzählers geglichen hatte, denn ein süßes Lächeln thronte auf ihrem dicken Gesichte.


6.

Der Oberst verwendete weit mehr Zeit als nöthig war, um sich anzukleiden. Er hatte die Absicht, nicht zu früh zu erscheinen. Als er endlich, Verdruß in allen Mienen, bei seiner Gemahlin eintrat, da wußte die Gnädige schon die ganze Geschichte, die ihr eine längst erwartete Erbschaft entzog. Die Wangen der Frau von Wettstein glühten wie Päonien und ihr Flacon zeigte sich leer. Die häufigen Anwandlungen von Ohnmacht hatten eine enorme Menge belebender Essenzen nothwendig gemacht.

Ihr Sohn Emil schien in der Wendung der Dinge kein Unglück mehr zu sehen. Er saß gemüthlich im Sessel und schaukelte seine Beine.

Seiner Mutter Groll belustigte ihn mehr, als daß er theilnehmend davon ergriffen war und er beantwortete, gerade beim Eintreten seines Vaters, den Aufruf derselben: »Eine affreuse Betrügerei! eine gemeine Intrigue!« mit herzhaftem Pathos:

»Gnädige Mama, Du bist ungerecht! Ein Staatsstreich ist es – ein wahrer, süperber Staatsstreich und eine köstliche, anbetungswürdige Schlauheit!«

Damit erhob er sich von seinem Platze und ging seinem Vater artig entgegen.

»Nicht wahr, gnädiger Papa, Du stimmst mir bei! Wir leben nun einmal im Zeitalter der feinen Intrigue, die als ein Erbtheil des kaum überwundenen Franzosenreiches auf uns gekommen ist, deshalb ist es auch unsere Schuldigkeit, die als unsere Meister zu verehren, die uns überflügelt haben. Meine Meinung geht nur dahin, daß wir denen nicht zeigen, wie tief uns dieser ungeahnte Ausgang vierzigjähriger Hoffnungen getroffen hat.«

»Vierzigjähriger Hoffnungen?« erwiederte die Gnädige indignirt, indem sie einen Blick in den großen Wandspiegel warf. »Ich bin erst sechsunddreißig Jahre Deines Vaters Gemahlin! Welche Fehler der Decenz Du Dir heute erlaubst!«

»Bitt' um Verzeihung – schon mein Großpapa soll dergleichen Hoffnungen haben laut werden lassen,« scherzte Herr Emil, der mit der Kaltblütigkeit und Gelassenheit eines Diplomaten längst die tröstliche Seite dieser Affaire aufgesucht und gefunden hatte und der darauf ausging, seinem Vater noch einen tödtlichen Schrecken mit der Nachricht zu verursachen, daß die Gräfin Rhodau angekommen sei und jeden Augenblick mit ihm zusammengetroffen könne.

Zwischen diesem Vater und diesem Sohne war immerwährend Krieg um die Obergewalt. Wenn dem Vater, vermöge seiner väterlichen Rechte, der Respect nicht versagt werden durfte, so nahm der Sohn jede Gelegenheit wahr, um ihn heimtückisch zu kränken und sein geistiges Uebergewicht geltend zu machen. Geflissentlich hatte er im Wagen unerwähnt gelassen, daß die Gräfin angelangt und bereits mit dem alten Herrn versöhnt sei. Er rückte ihm nun näher, und sagte ohne alle Vorbereitung:

»Der gnädige Papa wollte mit der gnädigen Mama über unser Verhalten gegen die Gräfin Cousine berathschlagen – ich möchte um die Beschleunigung dieser Berathung bitten, denn die Cousine wird uns hoffentlich noch heute vor Nacht ihre Antrittsvisite machen.«

Der Oberst fuhr sichtlich zusammen und sah wie ein furchtsames Kind um sich. »Heute? Hier?« fragte er ärgerlich laut, um seine innere Beklemmung zu verdecken.

»Ja wohl!« entgegnete Emil freundlich. »Sie ist hier! Ich erlaubte mir ja dem gnädigen Papa schon unterwegs bemerklich zu machen, daß ich hinreichend Grund hätte, die Pferde nicht zu schonen. Gräfin Frida ist angekommen und ich habe ihren ältesten Junker in scharfes Verhör genommen. Aus seinen Reden leuchtete hervor, daß etwas im Werke wäre und ich verfolge die Spuren der Verschwörung. Das Resultat kennt der gnädige Papa – ich erfuhr, daß Gräfin Frida fünf Mal in Birkwald gewesen war und im Tempel am Teich Wochen gehalten hatte. Ein famoser Einfall!« –

Er lachte aus Leibeskräften und steigerte dadurch den Grimm der Eltern aufs Aeußerste. Das wollte er eben. Sie sollten fort aus dem Schlosse. Sein Plan, den er erst vor einigen Minuten gefaßt hatte, reifte mit Blitzesschnelle unter der Berechnung, wie bald diese letzte Erbschaft verfliegen und wie hülflos er dann in der Welt dastehen würde, während er bei der Erbvertheilung nach dem Testamente den achten Theil als unantastbares Eigenthum erlangte. Dahin ging also nun sein Streben!

Seinen Vater versuchte er durch die unerwartete Nachricht von Frida's Anwesenheit bestürzt zu machen. Er war Menschenkenner genug, um zu wissen, daß der gnädige Papa gleich allen Verbrechern wohl den Muth hatte, ein Unrecht zu thun, aber nicht Courage genug, um der hintergangenen Verwandten entgegenzutreten. Er wußte genau, wie viel Hinterlist, Heuchelei und Ueberredungskunst sein gnädiger Papa angewendet hatte, um eine Heirath hinter dem Rücken des Comthur zu bewerkstelligen, die einen ewigen Zwiespalt zwischen dem Onkel und der Nichte erzeugen mußte. Er kannte auch die Mittel und Wege, die unmittelbar nach der Trauung und nach der Flucht des jungen Paares versucht wurden, um ein Testament zu erzielen, das den gnädigen Papa zum alleinigen Erben machte, ohne ihn einer unrechtmäßigen Erbschleicherei verdächtig erscheinen zu lassen.

Es war Alles fein und schlau geordnet, aber man übersah, daß Frida einen treuen Freund in der Heimath gelassen, der ganz unschuldig den Gedanken im Comthur aufregte » zu gleichen Theilen« erben zu lassen. Man übersah, daß andere Leute auch Mittel und Wege finden könnten, ihr Recht zu behaupten, und eine Mutter ihren Kindern zu Liebe wohl noch größere Opfer bringen kann als eine Reise in geheimnisvoller Einfachheit antreten, um das Heimathsrecht für das geliebte Wesen zu erringen, welches unverschuldet zeitlicher Vortheile beraubt werden sollte.

Während Herr Emil immerfort gelassen seine Beine schaukelte, saß der Oberst stumm, gleichsam niedergedonnert da und überlegte was zu thun sei.

Er war zu weit gegangen, um mit dreister Stirn seiner Cousine entgegentreten zu können. Der Weg von Schlesien nach Berlin war dazumal so langweilig und schwierig, daß er niemals daran gedacht hatte, derselben im Leben wieder zu begegnen und nun war sie da, nun konnte sie jeden Augenblick vor ihn treten und ihn »einen Schurken« nennen. Das waren allerdings unangenehme Aussichten! Emil sah es an den immer tiefer und dichter sich bildenden Falten seiner Stirn, daß die Rachegötter ihr Werk begonnen und seine Seele mit Furcht und Zagen gefüllt hatten. Er schaukelte etwas lebhafter seine Beine – wendete den Blick herausfordernd seiner gnädigen Mama zu und sagte:

»Nicht wahr, gnädige Mama sieht jetzt nach einigem Nachdenken ein, daß wir weise handeln, wenn wir mit Eifer die Kluft auszufüllen suchen, die das leidige, im Grunde sehr ungerechte Testament unsers Comthur zwischen uns und Gräfin Frida aufgeworfen hat.«

»Wie meinst Du das, Emil? Ich bin der Betisen freilich von Dir gewohnt; allein wenn Du Deinen Sarkasmus so weit ausdehnen solltest, mir eine demüthigende Rolle gegen unsere Cousine zuzumuthen, so gestehe ich, daß Du Dich selbst übertriffst. Ich – die Schwester –.«

Emil, sichtlich amüsirt von ihrem Verdruß, fiel schnell ein:

»Mama – bitte – ich weiß schon, was Du sagen willst. Ich bin bereit, meiner Zunge Zaum und Zügel anzulegen, allein bedenke gefälligst, die Thür könnte sich öffnen, um Frida einzulassen – was könnten wir anders thun, als sie mit aufrichtiger Hochachtung empfangen und ihr, die im Hauptgebäude wohnt, das heißt, eine geborene von Virchotsch ist, mit schuldiger Ehrerbietung das Regiment hier einräumen? Habe ich nicht recht, solche Situationen vorher zu bedenken, damit man sich, dem Decorum gemäß, betragen kann?«

Der Oberst rückte unruhig auf seinem Sessel hin und her. Seine Augen hingen an der Thür, welche sich öffnen konnte, um Frida einzulassen, da er aber aus Artigkeit, seiner stolzen Gemahlin immer das erste Wort gönnte, so durfte er den Entschluß, sofort das Schloß zu verlassen, nicht eher aussprechen, bis diese es gestattete.

Emil lächelte ihm gutmüthig zu, als wolle er sagen, daß der Augenblick nicht fern sei, wo er erlöst werde. Er fuhr fort:

»Wir sind ja keineswegs als Feinde von einander geschieden! Daß wir innerlich diese Frida zu hassen Ursache hatten, haben wir ja stets verhehlt! Warum jetzt plötzlich eine Freundschaft verleugnen, da dies unsern Charakter verdächtigen würde?«

Die Gnädige erhob sich mit etwas derangirter Grazie und rief hochfahrend:

»Ehe ich mich zur Freundin einer Dame herabwürdige, die so ordinair ist, ihre Wochenbetten in betrügerischer Heimlichkeit abzuhalten, lieber verlasse ich das Schloß unverzüglich.«

»Der Meinung bin ich auch!« stimmte der Obrist bei. »Wir sind heute beim Kammerherrn von Heinselberg eingeladen gewesen und haben des mißlichen Wetters wegen nicht Gebrauch von dieser Einladung machen wollen. Das Wetter hat sich geändert – was hindert uns wohl noch, hinüber zu fahren?«

»Noch dazu, da die Staatscarosse angespannt steht,« ergänzte Emil sehr artig.

»Angespannt? Noch angespannt?« fragte der Oberst mißtrauisch und ärgerlich. »Wie kannst Du die Pferde, die so unerhört –.«

Emil unterbrach ihn eiligst.

»Nicht doch, gnädiger Papa. – Ich habe des Großonkels Marstall in Anspruch genommen, weil ich vornherein die Absicht hatte, noch zum Kammerherrn hinüber zu fahren, um einer Begegnung mit der Cousine auszuweichen. Allein der Respect verbot mir, meine Vorsätze maßgebend für die gnädigen Eltern machen zu wollen. Wir verlassen also, unbekümmert um den eingetroffenen Besuch, der uns noch nicht officiell angezeigt ist, das Schloß, nisten uns irgendwo bis zum Tode des Comthur ein und wenn es den gnädigen Eltern genehm ist, so kann ich ja morgen oder auch später hierher zurückkehren, um das Terrain zu recognosciren.«

Wieder warf der Oberst einen Blick voller Mißtrauen in das Gesicht seines Sohnes, da er aber aus der ganzen Rede desselben nichts Verdächtiges hervorheben konnte, so schwieg er lieber.

Nach kurzen Vorbereitungen fuhr die Familie von Wettstein, beleuchtet von dem letzten Tagesschimmer, vom Schloßhofe, um eine Hoffnung ärmer und um eine Demüthigung reicher.


7.

Selten gleicht ein Tag dem andern, sowohl in Bezug auf Sonnenschein über Flur und Haide, als auf Sonnenschein im Geiste und im Gemüthe. Die Naturerscheinungen in ihrem Wechsel sind ein Bild des menschlichen Lebens und wir fühlen uns von der himmlischen Heiterkeit eines unbewölkten Himmels nach Regentagen, eben so tief bewegt, wie von der Freude nach tiefer, schmerzlicher Unruhe.

Im Hause der Madame Hallström glänzte nicht allein der Sonne frischer belebender Strahl, sondern auch die Fröhlichkeit eines beschwichtigten Herzens. Dorly hatte ihr heftiges Temperament, das vom jungfräulichen Stolze noch gereizt worden war, bezwungen und in kindlicher Treuherzigkeit der Mutter Günthers Alles gebeichtet, was sie je gefühlt und was sie, um deshalb, jetzt so schwer gekränkt hatte.

Wenn sie nun auch dem Argwohne, der ihr Gemüth vergiftete, nicht klare Worte lieh, so war es doch der erfahrenen Frau ein Leichtes gewesen, das zu errathen, was Dorly, tief beschämt, ihr verschwieg. Freilich von ihrem Standpunkte aus begriff sie den Unsinn einer Leidenschaft nicht, die absurde Dinge zusammenzimmerte, die in eifersüchtigem Grolle einem strafbaren Verhältnisse nachspürte, wo jeder Unbefangene nur die ärztliche Beziehung zu der schönen Dame herausgefunden haben würde.

Madame Hallström hielt dem jungen Mädchen auch eine wohlverdiente Strafpredigt. Aber das Mädchen war ihr durch diese Geschichte noch lieber geworden und sie konnte eigentlich die Zeit gar nicht erwarten, wo Günther heimkehren werde, um ihm gründlich zu Gemüthe zu führen, daß er der heißen Zärtlichkeit dieses schönen Kindes gar nicht werth sei, da er sich kaltsinnig schon drei Jahre lang von ihr habe anbeten lassen.

Sie nahm nämlich in ihrer altmütterlichen Weisheit an, daß Günther über diese Zärtlichkeit längst im Klaren gewesen sei und darin gerade irrte Madame Hallström. Bei Männern, die mit kindlichen Mädchen gescherzt haben, muß eine besondere Stunde kommen, wo sie gewahr werden, daß das Kind längst eine Jungfrau geworden ist. Diese besondere Stunde aber war leider erst vor ganz kurzer Zeit bei Günther eingetreten und sie wurde etwas entkräftet durch die Unruhe seiner Seele, die ihn beständig zum Zwiespalte zwischen Frida und ihrem Onkel zurückleitete und somit die eigene Herzensangelegenheit, als etwas leicht zu beseitigendes, in den Hintergrund drängte.

Vielleicht fühlte Günther sich seines Glückes auch zu sicher, wie seine Frau Mama und es würde ihm am Ende sehr gesund gewesen sein, wenn er in dem kritischen Schwanken Dorly's zwischen Haß und Liebe angelangt und darüber belehrt worden wäre, wie energisch das junge Mädchen einer unwürdigen Liebe trotz bieten könne. Dieser Belehrung entging er, denn er kam nicht nach Hause, weder zu Abend, noch zur Nacht!

»Der Gräfin wegen!« dachte Dorly, als sie sehnsüchtig spät Abends im Fenster lag und unter guten Vorsätzen Eifersucht und Mißtrauen begraben wollte. Sie hatte der Mutter Günthers gelobt, geduldig auszuharren, bis sich die Wolken an ihrem Lebenshorizonte entwickeln würden, aber sie hatte dagegen das Versprechen eingetauscht, bei der geringsten Herzenstheilung des jungen Mannes fliehen zu dürfen.

Als der neue Tag so sonnenhell vor ihr lag, da kehrte auch in ihrer Brust eine neue Hoffnung ein. Ein Bote kam in früher Stunde und meldete, daß der alte Herr eine sehr schlimme Nacht gehabt habe und der Doctor erst Mittags zurückkommen werde.

»Also nicht der Gräfin wegen!« dachte sie fröhlich, vom Trübsal der Selbstquälerei kurirt.

Endlich kam Günther. Scheu wie ein Vogel, der den Käfig fürchtet, obwohl er ihn mit dem Gegenstand seiner Sehnsucht vereinen soll, wich Dorly vor der Berührung seiner Hand zurück, die er ihr treuherzig darbot. Das war dem Herrn Doctor noch nicht passirt und er blickte sogleich mit forschendem Ernst in die schönen braunen Augen, die ihm sonst so hell entgegengeleuchtet hatten.

»Bist Du endlich da, mein Sohn?« fragte seine Mutter, so herzlich ihn begrüßend, daß ihm keine Zeit blieb, seinem Befremden Worte zu leihen. »Wie steht es im Schlosse? Schlecht? Aber einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, Günther? Das ist der Berufstreue zu viel geopfert.«

»O, hier sprachen nicht allein Berufs-, sondern auch Freundschaftspflichten,« entgegnete Günther begeistert. »Gott sei Dank – es ist alles, Alles gelungen und Frida empfängt am Sterbebette ihres alten Onkels den Lohn für den heldenmüthigen Entschluß, den sie in der sichern Ueberzeugung gefaßt hatte, daß ein Tag kommen werde, das Gewissen des Comthurs zu wecken. Es ist alles gut dort oben. Die Wettsteins sind wie Nachtvögel ausgezogen und nicht wieder heimgekommen, bis auf Emil, den schlauen Diplomaten, der Wache zu halten beordert scheint.«

»Wie geht es heute mit dem Comthur?« fragte Madame Hallström nochmals.

»Es geht zu Ende mit ihm, mein Mütterle, aber ein Engel bewacht sein Sterbelager und fünf liebliche Genien beeifern sich, ihm das Sterben heiter zu machen.«

»Sind die Kinder hier? Meinst Du mit den Genien die Kinder?« fragte Dorly rasch.

Günther nickte nur mit dem Kopfe und sah sie schelmisch an. Das Mädchen stand schnell auf.

»Dorly sah die Gräfin kommen,« referirte Madame Hallström zögernd, indem sie Dorly, die zu entschlüpfen Lust zeigte, den Weg verschränkte.

»Ja, sie ist gekommen auf meinen Ruf – ich stand Nachmittags Todesangst aus, daß sie zu spät eintreffen würde, denn ich sah das Aufflammen und Zusammensinken der Lebensgeister unsers guten alten Herrn und fürchtete das Aergste. Gottlob, er war bei voller Besinnung und bei guter Laune, als die Gräfin eintraf. Eine Stunde später wiederholte sich der Schlaganfall und lähmte ihm die Zunge dermaßen, daß ihm nur ein unverständliches Lallen möglich wird.«

Günther schwieg und senkte die Stirn seine Hand, die er auf dem nie gestützt hielt. Nach einer Weile schauete er auf und fügte mit leicht bewegtem Tone hinzu:

»Wunderbar! Seine letzten Worte, die er auf dieser Welt geredet hat, waren ein Segen für Frida –. Erkanntest Du die Gräfin gleich, Dorly?« fragte er dann weiter.

Das Mädchen neigte schweigend ihr Köpfchen und senkte es gleich darauf seitwärts, um ihm die Röthe ihrer Wangen zu verbergen.

Was war hier geschehen? Der Doctor blickte unruhig werdend zu seiner Mutter auf, die neben Dorly Posto gefaßt hatte und mit derselben stand, während er saß. Von einem sonderbaren Gefühle getrieben, griff er rasch nach Dorly's Hand und zog sie, mit warmen Blicken die schönen Augen suchend, zu sich heran.

»Erinnerst Du Dich wohl, wie Du die Gräfin zum ersten Male im Tempel erblickt hattest und es meiner ganzen Ueberredungskunst bedurfte, um Dir's glaublich zu machen, daß es keine Fee, sondern eine Dame sei, die da hause?«

Dorly senkte die Stirn noch tiefer. Das Unrecht, welches sie Günther im Wahnsinne ihrer Eifersucht gethan, durchdrang mit ätzender Schärfe ihr Inneres und verwischte jedes fernere Mißtrauen bei dieser Frage.

»Erinnerst Du Dich, wie Du athemlos bald darauf gestürmt kamst und mir erzähltest: es weine ein kleines, ein ganz kleines Kind im Tempel,« forschte der Doctor mit schlauem Lächeln weiter. »Erinnerst Du Dich, daß genau zwei Jahre später plötzlich die Dame wieder erschien und daß Du athemlos darauf wartetest, ob wieder ein kleines Kind schreien werde? Erinnerst Du Dich, daß dies fünf Mal geschah, seitdem Du mit Deiner Mama in Birkwald wohnst? Sieh, Dorly, diese fünf Kinder umflattern, umgaukeln und umschwärmen jetzt sein Sterbebett. Unsere klugen Maßregeln haben bewirkt, daß die müden Augen eines sonst edeln Mannes sich ohne Sorgen schließen können. Er weiß, was geschehen ist, um seine ungerechten Bestimmungen zum Segen zu verkehren. Der Schlummer des Todes schleicht langsam an ihn heran, aber er erkennt, er sieht und fühlt die Liebe, die ihn umgiebt und wenn die kindlichen Lippen von seiner Frida Kinder seine Hand leise und schmeichelnd berühren, so fliegt es wie Sonnenhelle über sein bleiches Gesicht und der Frieden der Verklärung lagert sich darauf! Das ist die Sühne von Frida's Vergehen, womit sie sein altes Herz vor elf Jahren furchtbar kränkte – sie macht ihm die letzten Erdentage zum Himmel und das ist der Segen seiner Güte, womit er verziehen hat!«

»Es wäre viel besser gewesen, Günther, Du hättest uns vierundzwanzig Stunden früher in dies Geheimniß eingeweiht,« entgegnete jetzt mit einigem Schmollen Madame Hallström. »Wir sind leider auf unangenehme Weise dahinter gekommen. Herr Emil von Wettstein hat Dorlyn eine diplomatische Visite gemacht.«

»Wie? Wer?« fragte Günther auffahrend. Ein leichter Schrecken malte sich in seinen Zügen. Er kannte diesen Herrn genugsam, um ihn aus seiner Pascharuhe, dem schönen Mädchen gegenüber, aufzuschrecken.

Dorly beobachtete in stillem Entzügen dies erste Zeichen einer leidenschaftlichen Besorgniß. Sie erhielt dadurch die eigenthümliche Färbung ihres Charakters zurück, die von der seltsamen Befangenheit ihres Wesens gänzlich verändert erschien. Offener als vorhin erwiederte sie den Blick ihres Vetters und sträubte sich nicht länger, dem Zuge ihres Herzens zu folgen, der sie zu Günther zurückführte.

Dieser legte seine Hand um ihre Taille, indem er sich lebhaft vom Stuhle erhob und zu ihr trat.

»Hat der junge Herr mich verdächtigt, Dorly?« fragte er dicht zu ihr niedergebeugt. Sie wiegte mit einem Anfluge von Schelmerei ihren Kopf. »Der nicht, Günther, der nicht! Das hatte Deine Mutter bereits besorgt!«

»Was ist denn geschehen, Dorly? Was hat Mama'chen Dir erzählt? Bitte, sag' mir! Ich merkte es gleich, daß in Dir etwas verstört, daß es nicht richtig war.«

Dorly wurde mit einer Gluth übergossen bei dem Blicke, womit er diese Worte begleitete. Sie war nicht im Stande, ihre innere Bewegung so weit zu zügeln, um heiter und gelassen antworten zu können. Madame Hallström hatte Erbarmen, nahm für sie das Wort und sagte etwas verlegen:

»Ich habe ihr von Deiner Passion für die Gräfin Frida erzählt, mein Sohn!«

Günther wendete sich ruhig zu seiner Mutter um:

»Spukt denn die alte Idee noch immer in Deinem Kopfe, Mutter? Daß doch die Frauen nie hartnäckiger sind, als wenn es eine Herzensangelegenheit betrifft, die sie fürchten! Ja, Dorly, ja – ich liebe diese Frida und will es der ganzen Welt bekennen, daß ich sie lieb habe. Ich bin niemals so thöricht gewesen, diese herzliche Liebe zu verleugnen – ich habe es bewiesen, daß ich sie liebend verehre, wie ein zartsinniges, edles, weibliches Wesen geliebt und verehrt werden muß. Ich habe sie stets vor Schaden behütet und bewahrt, habe über ihr Leben gewacht, habe kein Opfer gescheut, um sie glücklich und froh zu machen – aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, Wünsche zu hegen, die meine Seelenruhe hätten beeinträchtigen zu können.«

»Warum hast Du aber nicht geheirathet, Günther?« fragte seine Mutter etwas pikirt und eigensinnig.

Günther sah zerstreut vor sich hin.

»Warum ich nicht geheirathet habe?« wiederholte er in verwundertem Tone. »Warum warum? Ich weiß es selbst nicht! Vielleicht weil mein häusliches Leben mich vollkommen befriedigte.«

»Nein, weil Dein ganzes Sinnen und Denken, Dein ganzes Trachten nur auf Frida – auf Frida's Wohlsein gerichtet war,« betheuerte die alte Dame.

Günther lächelte und blickte Dorly an, die in peinlicher Spannung mit zuckendem Herzen dieser Unterredung lauschte. Jeder, der nur irgendwie des Menschen Inneres beobachtet hatte, mußte den schweren Kampf gewahren, der in ihrem Busen wüthete. So kühl die Liebeserklärung Günthers auch geklungen hatte, für ein Mädchenherz, das den Alleinbesitz beanspruchte, lag dennoch viel Verletzendes darin. Dem Scharfblicke der Liebe entging dies nicht und der junge Mann wurde von unbezwinglichen Wünschen erfaßt, heilenden Balsam in diese Verletzungen zu träufeln.

»Möglich daß Du Recht hast, Mütterle,« antwortete er scherzend, änderte aber sogleich seinen Ton, indem er fortfuhr: »Vielleicht schlummerte aber auch ein anderes, lieberes Bild in mir – vielleicht behütete eine höhere Hand meine Sinne, daß sie mich nicht irre führten, weil Gottes Vorsehung eine Blume für mich bereit hielt, die eine seligere Liebe als die zu Frida, in meinem Herzen entzünden sollte – wer weiß es und wer kann es sagen, was uns regiert, damit wir jenes thun und dieses unterlassen. Vielleicht ist diese Stunde nicht fern, wo ich heiligere Rechte anerkenne, als die Rechte der Freundschaft, wo ich heiligere Pflichten übernehme, als die Pflichten einer brüderlich zärtlichen Neigung –.«

Er hielt inne und ließ sein Auge leidenschaftlich über Dorly's anmuthige Gestalt schweifen. sie fühlte den Blick, aber er beschwichtigte diesen Kampf nicht. Dies »vielleicht« enthielt für sie einen bittern Zweifel. Während sie seit fünf Jahren sein Bild treu im Herzen trug, während sie seit ihrer Kindheit, seit dem ersten Tage, wo sie ihn gesehen, fest überzeugt gewesen war, niemals einen andern Mann lieb gewinnen zu können, während dieser langen Zeit beschäftigte ihn nur die Gräfin Rhodau und ihr Bild hatte keine Macht über sein Herz gehabt. Konnte diesem starken, glühenden Mädchenherzen solche Erklärung genügen?

Als sie aufschaute, als der Spiegel ihres Auges dicht verhüllt von den Lidern blieb und ihr Gesicht unbeweglich wie Marmor erschien, da erfaßte endlich Günther die Tiefe ihrer Schmerzen und die Tiefe ihrer Liebe für ihn. Selbst ein starker Mann würde von dieser Erkenntniß erschüttert worden sein und Günther gehörte keineswegs zu den Männern, die bei der Schwäche eines Menschenherzens zu lächeln vermögen. Noch hielt er sie leicht umschlungen im Arm. Er zog sie fester an sich, er führte ihre Hand an seine Lippen. Er fragte hastig mit eigenthümlichem Tone, der seine aufgeregte Stimmung gar nicht in Zweifel ließ:

»Dorly, willst Du Nachmittags mit mir zur Gräfin hinauffahren?«

»Ja – ja,« antwortete das Mädchen leidenschaftlich, indem sie sich entwand und beide Hände fest gegen die bedrängte Brust preßte. Jetzt hob sie ihre Augen zu seinen Augen empor – aber sie wußte es nicht, daß große Thränen daraus hervordrangen und über ihre Wangen hinab rollten.

Günther faßte ihren Kopf mit beiden Händen und sah sie unverwandt an.

»Arme, arme Kleine –,« flüsterte er leise. »Der Schmerz hätte Dir erspart werden können – aber nein – es ist gut, recht gut so – ich hätte wohl niemals eine Gelegenheit gehabt Dein Inneres so kennen zu lernen, wie in diesem himmlisch schönen Augenblicke. –«

Madame Hallström unterbrach seine leise Rede. Sie sah wie die Sachen standen und um nicht wieder in ihren schönen Träumen gestört zu werden, trat sie mit raschem Entschlusse heran, legte ihre Hände, die vor innerer Freude leicht zitterten, auf die beiden, nahe zu einander geneigten Häupter und segnete mit lauter fröhlicher Stimme die geliebten Kinder.

Dorly fuhr erschreckt zurück und wollte fort – Günther jedoch hielt sie lachend fest.

»Zu früh, Mama, zu früh!« sprach er. »Das kann geschehen, wenn wir vom Schlosse zurückkommen – wenn Dorly sich überzeugt hat, daß eine Neigung, wie sie mich und Frida verbindet, mit der heißen Zärtlichkeit nichts gemein hat, die nach dem Rechte des Besitzes strebt, die sich für alle Ewigkeit verkettet, die Alles ausschließt, was nicht vom Herzen des geliebten Weibes geheiligt wird.«

Dorly neigte, bezwungen von dieser Erklärung, ihre Stirn gegen Günthers Brust.

»Oder,«fuhr er fort, »könntest Du schon jetzt glauben, und vertrauen, Dorly?«

Sie richtete rasch ihr Gesicht zu ihm auf und bot ihm schweigend zwar, aber mit glückverheißendem Lächeln die Lippen zum Verlobungskuß.


Schluß.

Es bleibt wenig zu erörtern, was Bezug auf die fernere Charakterentwicklung der Personen hat, welche an unserm Geiste vorübergezogen sind.

Daß Herr Emil von Wettstein seines persönlichen Interesses wegen im Schlosse blieb, während seine Eltern durch die diplomatischen Experimente desselben vertrieben worden waren, ist leicht einzusehen. Es gelang seiner schmiegsamen Natur, sich der Gräfin so weit nützlich zu machen, daß sie ihn gern um sich duldete. Mit den Kindern der Gräfin war er bald vertraut und durch diese führte er sich zuletzt auch in das Sterbezimmer ein. Der Comthur lebte noch volle acht Tage im seligen Halbschlummer. Die Sprache war ihm geraubt, aber sein Auge behielt bis zum letzten Moment Ausdruck genug, um seine Befriedigung vollständig zu verrathen.

Als er gestorben war, trat Doctor Hallström als Curator der gräflich Rhodau'schen Kinder in seine Functionen und das Testament wurde buchstäblich zur Richtschnur seines Handelns gemacht. Fünf Theile des Allodialvermögens gingen in den Besitz des Grafen Adrian von Rhodau über – drei Theile fielen an Wettstein, der erleben mußte, daß sein Sohn ohne Verzug mit seinem Antheile nach Paris zurückeilte, um dort auf eigene Hand nach den Principien zu leben, die er mit der Muttermilch eingesogen hatte. Das Geschlecht Wettstein ist untergegangen im Schlamme des Verderbens, das im eigenen Verschulden begründet liegt. Die Rhodaus glänzen in der soliden Pracht der Intelligenz noch immer auf der Bahn der preußischen Verwaltung und werden hoffentlich nicht aussterben.

Doctor Hallström aber wurde der glücklichste Gatte, der beneidenswertheste Vater und der heiterste Großpapa, als diese Zeit für ihn herangerückt war. Seine Dorly war und blieb sein höchstes Gut und sie glaubte es ihm und vertraute ihm in allen Lebensfällen. Solchen Menschen thun die kleinen Erdenplagen nicht viel, also können wir ihr Erdenleben ein glückliches nennen.



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