Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Jagdrennen.

Eine Skizze.


I.

Aber das ist ja eine ganz verwetterte Gegend, in die man sich ohne Compaß und Längenberechnungsapparat gar nicht wagen sollte! Eure Generalstabskarten helfen so viel wie nichts, in dieser schaurigen Wirrniß von Hecken und Büschen!

Dieser unwillige Ausruf kam von den Lippen eines stattlichen jungen Reiterofficiers, dessen schmal galonnirter Kragen nebst dem silbernen Stern auf der Achselschnur andeutete, daß er auf der Leiter der Ehren glücklich die Staffel der Premier-Lieutenantschaft erklettert hatte.

Er war zu Pferde und neben ihm ritt ein Kamerad von gleichem Alter; aber die karmoisinrothen Aufschläge seiner Uniform zeigten, daß dieser einem andern Corps, daß er dem Generalstabe angehörte.

Der Letztere faltete eine kleine auf Leinwand gezogene Karte zusammen, und indem er sie in die Brusttasche seines aufgeknöpften Waffenrockes schob, antwortete er:

Es ist in der That seltsam, daß man nirgends einen Menschen erblickt. Und doch ist das Land überall wohlbeackert und bestellt. Man wird dabei an den alten Ovid erinnert:

Mollia securae peragebant otia gentes
Ipsa quoque immunis – – – – –
– – – – per se dabat omnia tellus.

Um Gottes Willen, Victor, sei so gut und entwickele Deine Gelehrsamkeit nicht, sondern schone Deine Geisteskräfte für die Aufgabe des Augenblicks, welche darin besteht, den richtigen Weg zu finden!

Das habe ich aufgegeben, lieber Burkhard.

Aufgegeben? Warum nicht gar!

Weil ich nicht überzeugt bin, daß es in unserm Interesse liegt, ihn zu finden.

Willst Du die Nacht im Freien campiren? Ich meine, angenehme Bivouaks werden uns im Laufe dieses Herbstes noch in hinreichender Zahl blühen.

Ich weiß ein gutes Nachtlager eben so wohl zu schätzen wie Du, lieber Freund, versetzte der Officier vom Generalstabe. Ich bin eigentlich von Natur der abgesagteste Feind von Ungemach, Strapazen, schlechtem Wetter, schmutzigen Wegen und ärmlichen Nachtquartieren. Der schöne alte Spruch: à la guerre comme à la guerre hat mich nie über ein Strohlager und eine Abendmahlzeit, die lediglich aus einem Paar gesottener Eier bestand, trösten können – kurz, ich hasse jede Unbequemlichkeit!

Ein schönes Bekenntniß von einem Soldaten! Wie kann man so verwöhnt sein! fiel lachend Graf Burkhard Etzelstein, der Officier in der Husaren-Uniform, ein.

O ich bin nicht verwöhnt. Gott weiß es! rief der Andere aus, und dabei spielte etwas wie ein Lächeln geschmeichelter Eitelkeit um seine schönen Lippen mit dem kleinen kastanienbraunen Schnurrbart. Ich hasse nur das Ungemach, weil es unschön ist.

Ah, aus ästhetischen Gründen! lachte Graf Etzelstein.

Nun ja, weil es alle Anmuth der Lebensformen tödtet; weil es unsere geistige Ruhe stört; weil es den Gang unserer Gedanken zerschneidet, unsere Stimmungen unstät und wechselnd macht, weil es der Staub und irdische Schmutz ist, der sich auf das Bild legt.

Auf welches Bild?

Auf das, welches wir darstellen sollen durch eine harmonische, gleichmäßige, in allen ihren Aeußerungen und ihrer ganzen Erscheinung edel gehaltenen Existenz.

Graf Etzelstein lachte laut auf.

Du bist köstlich, lieber Bewerungen – nie in meinem Leben habe ich eine so philosophische Schutzrede für träge und weichliche Lebensgewohnheiten gehört!

Ach, Du verstehst mich gar nicht!

Wenigstens habe ich noch nicht verstanden, aus welchen Gründen Du Dich nicht mehr darum kümmern willst, ob wir den richtigen Weg eingeschlagen haben oder nicht.

Ganz einfach, weil der richtige Weg uns jedenfalls in ein miserables Nest von Städtchen führen muß, welches für die nächste Nacht unser Quartier werden soll. Und weil ein unrichtiger Weg uns zwingen wird, in irgend einem idyllischen Pfarrhause, oder einem romantischen Edelhofe ein Nachtlager zu suchen, denn endlich einmal müssen wir doch auf so etwas stoßen; und Du mußt einräumen, daß wir dann bedeutend im Vortheil sind.

Allerdings, wenn wir immer weiter reiten, ist es wahrscheinlich, daß wir endlich auf so etwas stoßen, vielleicht noch bevor der nächste Armeebefehl erscheint; für die Nacht aber, fürchte ich, werden wir am Ende froh sein müssen, irgend eine Hütte für uns und einen Ziegenstall für unsere Pferde zu finden! – –

Dieses Gespräch wurde geführt in einer späten Nachmittagsstunde eines schönen warmen Augusttages, in einer im Ganzen flachen, doch hügelicht gewellten Gegend, so daß der Charakter der Abwechselung, den sie bot, dadurch nur noch stärker hervortrat. Die beiden Reiter befanden sich nämlich bald inmitten sehr hoher und dichter Wallhecken, zwischen denen ein abscheulicher kothiger Weg mit der abscheulichsten Straßenbaukunst, die es für Reiter geben kann, das heißt mit eingeworfenen Reisigbündeln verbessert worden war; bald in kleinen zumeist aus Eichenholz bestehenden Waldungen, wo Schlagbäume ihrem Einzug wie ihrem Auszug hartnäckige Hindernisse in den Weg stellten, über die sich mit den ermüdeten Dienstpferden nicht so ohne Weiteres hinwegsetzen ließ; bald befanden sie sich auf kleinen Haiden, auf denen lustig die Erika blühte, hier und da ein Wachholderstrauch vegetirte, und eine Wolke Rauch ausstieß, wenn zufällig der Steigbügel eines der beiden Reiter ihn streifte; bald waren sie inmitten neuer Markenzuschläge, mit ihren sandigen, von melancholisch dürftigen, jugendlichen Birkenstämmchen überragten Umwallungen; bald in einem kleinen und schmalen Wiesenthal, durch das ein Bächlein schlich, gottlob ein sommerlich schmaler Wasserfaden; denn sonst hätten unsere beiden Reiter wahrhaftig nicht hinübergekonnt, weil die Brücken sich in dem allerbaufälligsten Zustande befanden, der sich nur irgend ersinnen läßt.

Immer aber, mochten unsere jungen Krieger nun im Wald, oder auf der Haide, oder zwischen Hecken und Umwallungen sich befinden – immer waren sie in der vollständigsten Ungewißheit, ob sie sich ihrem eigentlichen Ziele entgegen oder vielleicht mit jedem Schritte weiter von demselben fort bewegten. Der Ausschnitt aus der Generalstabskarte, den Viktor von Bewerungen bei sich trug, hatte sie bei einem »coupirten Terrain« wie dieses war, vollständig im Stich gelassen!

Sie kamen wieder an einem Bache an, über den eine lange Holzbrücke führte. Diesmal war das Gewässer beträchtlicher; es war ein vollständiger kleiner Fluß, der zwischen hohen grasbewachsenen Ufern über weißen Kies langsam und träge dahinströmte.

Beide Reiter hielten vor der Brücke.

Wagst Du Dich über dies vermoderte alte Bauwerk? fragte Graf Etzelstein.

Es ist allerdings höchst originell construirt, und scheint mehr einen monumentalen Charakter, etwa zur Erinnerung an einen Uebergang Pipins des Kleinen in seinen Sachsenkriegen, zu haben, als praktischen Werth für die Gegenwart. Für die Passage von Mann und Roß ist es wenigstens nicht berechnet; höchstens für ein Kuhgespann; wenn das durchtritt, hält es der nachfolgende Wagen, und wenn etwa hinter ihm der Wagen einbricht, so wird dieser von dem Gespann gehalten. Aeußerst sinnreich!

Während Bewerungen so scherzte, schwang er sich aus dem Sattel, um sein Pferd hinüberzuführen. Etzelstein folgte seinem Beispiel. Beide leiteten ihre Thiere sorgsam an den gefährlichen Stellen der Brücke vorbei, durch welche man überall auf das unten durchströmende Wasser blicken konnte.

Sieh einmal, was ist das, Bewerungen? rief Etzelstein in diesem Augenblicke aus.

Was meinst Du?

Das kleine graue Etwas, welches auf dem Wasser unter unsern Füßen einhersegelt.

Das ist – in der That, das ist merkwürdig!

Und mit diesen Worten reichte Bewerungen rasch seinem Freunde den Zügel seines Pferdes und sprang am Ufer des Flüßchens dem kleinen grauen Gegenstande nach, den Etzelstein eben bezeichnet hatte.

Er mußte ihm eine ziemliche Strecke weit folgen, bevor das Ding bei einer Wendung des Baches dem Ufer so nahe kam, daß Bewerungen es mit seiner Reitgerte erreichen und zu sich heranziehen konnte. Dann kam er zu Etzelstein zurück, seine Beute lustig schwenkend.

Was ist's? rief der Letztere ihm entgegen – ich glaube wahrhaftig, es ist …

Eine Straußfeder – eine graugefärbte, mächtig lange Straußfeder, und wenn ich mich darauf nur halbwegs verstehe, so ist sie ächt!

Da Du Dich auf Alles verstehst, so zweifle ich daran nicht – es frägt sich nur, ob Du auch verstehst, woher sie in diese Einöde kommt?

Ganz gewiß von einer Dame comme il faut, eine andre trägt einen solchen werthvollen Schmuck nicht.

Das Werthvollste daran ist für uns jedenfalls, daß es auf die Nähe civilisirter Wesen deutet.

Richtig, wo eine Straußfeder ist, da müssen auch andere weibliche Eigenschaften in der Nähe sein, z. B. Crinolin, Volants und Echarpen, und diese deuten wieder auf die Anwesenheit eines gebildeten weiblichen Organismus!

Es käme nur darauf an, ihn zu entdecken, meinte Etzelstein.

Das kann nicht schwer sein, bei der großen Breite, welche heut zu Tage eine Damen-Existenz in Anspruch nimmt!

Die beiden Officiere hatten unterdeß – nachdem die Brücke glücklich zurückgelegt war und nachdem Bewerungen die wenig vom Wasser genetzte Feder in seine Brusttasche geschoben – ihre Pferde wieder bestiegen und ritten über einen schmalen Wiesengrund einem Gehölze zu, in welches der Weg führte.

Als sie dies Gehölz erreicht hatten und nun, dem Wege folgend, rechtshin in dasselbe einbogen, bot sich ihnen ein in hohem Grade überraschender und fesselnder Anblick dar.

Vor ihnen lag eine weit in die Waldung hineinführende, schluchtartige Bodenvertiefung, ähnlich dem breiten Bette eines Baches, obwohl der Boden trocken und mit dürftigem grünen Rasen überzogen war. Auf dem rechts und links in die Höhe schwellenden Terrain wucherte dichtes Gehölz und dieses wölbte sich in der Mitte so zusammen, daß es ein vollständiges Berceau mit einer höchst malerischen Perspective bildete. Hier und da blickten die Strahlen der Abendsonne golden in die grüne Schattenwelt.

Das schönste an diesem malerischen Bilde aber war die Staffage und diese bestand in nichts Andrem, als in der Gestalt einer Dame, die hoch zu Roß am entgegengesetzten Ende des Wald-Berceaus hielt. Sie war viel zu weit entfernt, als daß man ihre Züge hätte unterscheiden können – nur erkannten die beiden jungen Leute die Farbe ihres Gewandes, das dunkelgrün zu sein schien, und des grauen spanischen Männerhuts, den sie trug. Das eigenthümlichste an der ganzen Erscheinung war, daß sie auf einer goldenen Lichtwolke zu schweben schien.

Ah, rief Etzelstein aus – da ist sie, die Dame, die wir suchen, ganz ohne Zweifel!

Bewerungen zog betroffen die Zügel seines Pferdes an, als wolle er halten, um mit Muße zu betrachten.

Welch' schönes Bild! sagte er – wie eine Heilige auf Goldgrund!

Mit dem Unterschiede, daß die Heiligen den goldenen Schein um den Kopf tragen, und diese einsame Reiterin ihn unter ihren Füßen hat!

Oder unter denen ihres Pferdes, fiel Viktor Bewerungen ein, wenn anders diese schlanke Gestalt auf einem Pferde ruht, denn ich bin sehr versucht, das falbe Thier unter ihr für einen Hirsch zu halten und die Reiterin für die heilige Ida da von Herzfeld (um 770/775 - 825), deutsche Kirchenstifterin, wird innerhalb der katholischen Kirche vor allem in Deutschland als Heilige verehrt. Der Hirsch, mit dem Ida oft abgebildet wird, ist ein Bild für die von den Franken bedrängten Sachsen. Noch heute befindet sich der Hirsch im Wappen von Herzfeld. selber!

Oder für die Fee der Romantik – aber woher kommt diese goldene Lichtwolke, auf der sie schwebt, während doch ihre Gestalt vom Gehölz beschattet ist?

Ganz einfach von dem Staube, welchen die Bewegungen ihres Pferdes aufrühren und in den die Sonne scheint.

Ich sah nie einen hübscheren Effekt! sagte Etzelstein; aber nun halte Dein Thier nicht länger zurück, und laß uns eilen, ihr die Feder zu bringen, es sieht ganz so aus, als wenn sie darauf wartete.

In diesem Augenblick wandte die Dame ihr Pferd und ritt weiter in den Waldweg hinein.

Setzen wir uns in Trab, um sie einzuholen, sagte Bewerungen.

Beide gaben ihren Pferden die Zügel und ließen sie lang austraben.

Nach einer Weile wandte die Dame den Kopf und dann setzte auch sie ihr Pferd in Trab.

Galop, sagte Etzelstein, oder sie entkommt uns.

Der Hufschlag eines gestreckten Galops tönte im nächsten Augenblick durch das Gehölz, vermischt mit dem Klirren von Waffen und Bügeln.

Aber nicht allein die Bäume schien dies kriegerische Geräusch, welches ihre lautlose Friedensstille unterbrach und das sie im Echo zurückwarfen, zu erreichen; die Dame mußte es ebenso wohl vernommen haben; denn gleich darauf sprang auch ihr Pferd zu langen Galopsätzen an und trug sie mit Windeseile davon.

So lange die beiden Officiere die Flüchtige vor sich erblickten, hielten sie, lachend über diese ergötzliche Jagd, ihre Pferde in demselben Tempo. Nach einer Weile aber verschwand die Reiterin, indem sie am Ende des Weges rechts hin, wie es schien, in das Gehölz, abbog.

Diese heilige Ida ist besser beritten als wir, sagte Etzelstein, indem er sein Pferd parirte.

Bewerungen ahmte seinem Beispiel nach.

Sie schien hier, versetzte er hoch aufathmend, auf dienende Geister zu warten, welche ihr ihre Straußfeder zurückbrächten; daß diese in der Gestalt zweier Lieutenants auftauchten, muß ihr bedenklich vorgekommen sein!

Die beiden jungen Leute ritten nun gemach weiter, bis sie an die Stelle gekommen waren, wo die Amazone verschwunden. Der Wald öffnete sich hier vor sich erblickte man überall bebautes Ackergelände, rechtshin aber führte, am Saume des Waldes entlang, eine junge Allee von Lerchentannen, mit Rüstern vermischt, auf ein großes Gebäude zu, dessen zahlreiche Fenster in der Abendsonne glühten, und dessen alterthümliche Structuren auf den ersten Blick den ehrwürdigen Edelsitz verriethen.

»Alarkos' hohe Zinnen seh' ich ragen!«

rief Bewerungen aus – rechtsan geschwenkt, und die Ritter von der Straußfeder werden finden was sie suchen: – a damsel in distress – um ihren verunstalteten Amazonenhut nämlich. –

Nach etwa zehn Minuten ritten sie durch den Thorweg eines Vorgebäudes in einen engen dunklen Hof ein, der ihnen ein vollständiges Bild eines mittelalterigen Schloßbaues zeigte. Links hob sich ein steinernes Gebäude auf, mit einem breiten Erker und fast quadratförmigen Fenstern, die von gekuppelten Säulen eingerahmt wurden; die Gebäudetheile en face und rechts waren in Fachwerk ausgeführt, und das Gebälke und Holz daran war auf's reichste und schönste mit Schnitzwerk geziert, während auf den horizontal liegenden Balken allerlei schöne und fromme Sprüche in altertümlicher Schrift zu lesen standen.

In der Ecke links hob sich ein hoher Treppenthurm auf, in welchem auf der halben Höhe des ersten Stocks eine offenstehende Thür angebracht war. Zu dieser Thüre führte eine breite Stiege mit durchbrochenem Steingeländer und geräumigem Perron empor.

Graf Etzelstein spähte nach einem menschlichen Wesen, das die Pferde annehmen könne; Bewerungen ließ die Blicke über das malerische Ganze schweifen und endlich auf den Wappen haften, die an dem Treppenthurme angebracht waren.

Das ist ein ehemaliges Johanniter-Ordensschloß und muß jetzt dem Küchenmeister von Sontheim gehören, sagte er.

Deine Heraldik in Ehren, versetzte Etzelstein, aber, mir wäre lieber, Du entdecktest einen Stallmeister.

Bewerungen schwang sich aus dem Sattel, und band sein Pferd an einen der Ringe, die, hier und da an den Mauern angebracht, nicht schwer zu finden waren.

Wir werden auch ohne Stallmeister fertig werden, sagte er – und als Etzelstein seinem Beispiel gefolgt war, schritten Beide die Treppe hinan und in das Innere des Thurmes. Hier führte eine steinerne Wendeltreppe hinauf; aber nachdem die jungen Männer wenige Stufen empor geschritten waren, zeigte sich ihnen zur Linken ein kleiner Corridor, und am Ende desselben ein Flügelthüre von altergebräuntem Eichenholz, mit einem Eisenbeschlag und einem Schloß, die wahre Kunstwerke von Schmiedearbeit waren.

Als die beiden Officiere darauf zuschritten, öffnete sich die Thüre rasch und eine schlanke jugendliche Mädchengestalt im dunkelgrünen Reitkleide trat auf die Schwelle.

Mit einem leisen Ach! der Ueberraschung blieb sie stehen. –

Viktor von Bewerungen nahte sich ihr mit seiner galantesten Verbeugung.

Meine Gnädigste, sagte er, wir sind so glücklich gewesen, einen Gegenstand aufzufinden, der ohne Zweifel Ihr Eigenthum ist; gönnen Sie uns die Ehre, denselben Ihnen persönlich zu überreichen.

Die schönen Züge der jungen Dame hatten einen gewissen Ausdruck von Unfreundlichkeit angenommen, hinter dem sich sicherlich ein kleines Erschrecken vor der überraschenden und plötzlichen Erscheinung ihrer zwei Verfolger barg. Als Viktor von Bewerungen geendet, erhellten sich diese Züge keineswegs, sondern mit ziemlich kaltem Tone sagte sie:

Das muß ein Irrthum sein – ich verlor nichts!

Nicht diese Straußfeder? fiel Bewerungen ein, indem er mit der Hand in seine Brusttasche griff, wo er die Feder auf's sorgfältigste geborgen glaubte. Er zog die Hand leer zurück. Die Feder war fort.

Mein Gott – wo ist die Feder? rief er aus, indem er Etzelstein einen verzweifelten Blick zuwarf.

Du hast sie ja zu Dir gesteckt, nahm Graf Etzelstein jetzt das Wort.

Sie ist fort – ich habe sie so behutsam und sanft, um sie nicht zu zerdrücken, in die Brusttasche geschoben – die Behutsamkeit war wohl zu groß! Sie ist gewiß bei unserm schnellen Galopreiten davon geflogen.

Die Züge der jungen Dame verloren den unfreundlichen Ausdruck; aber sie nahmen einen viel schlimmeren an: ein spöttisches Lächeln spielte um ihre rothen Lippen.

Die beiden Officiere sahen sich an mit Blicken, welche sich wechselseitig eine abscheuliche Verlegenheit eingestanden.

Sie spielten in der That in diesem Augenblick eine ganz erschrecklich unangenehme Rolle.

Sie hatten die Dame verfolgt – sie trieben jetzt die Frechheit so weit, mit einem erlogenen Vorwand sich bei ihr eindrängen zu wollen – so mußte es scheinen; es war eine grausame Situation und Graf Etzelstein erröthete darüber bis unter die Haarwurzeln.

Bewerungen verlor jedoch die Geistesgegenwart nicht.

So reiten wir einfach, um zu suchen, den Weg zurück, sagte er.

Das muß ich Ihnen überlassen, meine Herren, fiel die junge Dame etwas schnippisch ein, und machte Miene sich zurückzuziehen, und die Thüre, in welcher sie stand, zu schließen.

Aber in diesem Augenblicke erhielten die verlegenen jungen Männer plötzlich einen unerwarteten Bundesgenossen.

Ein schwerer bespornter Schritt kam die Wendelstiege herauf; ein sehr blonder und sehr rothglühender Kopf und ein galonnirter Livreekragen wurden sichtbar.

Gnä Frölen, hier ist sie – ich habe sie gefunden! rief der kleine, pausbackige Groom, der im nächsten Augenblick zwischen unserer Gruppe stand – und dabei schwenkte er triumphirend die graue Feder und überreichte sie seiner Herrin.

Diese nahm sie mit einer äußerst großen Gemessenheit. Sie streckte die Hand so zögernd und langsam danach aus – es schien, als ob sie Lust habe, ihrem Groom in's lustige runde Angesicht hinein abzuleugnen, daß sie je eine solche Feder besessen, je eine mit Augen erblickt habe.

Aber sie nahm sie dennoch und die Reihe zu erröthen war an sie gekommen.

An der Zeller Furth, wo gnä Frölen glaubte, daß sie beim Durchreiten an den Zweigen hängen geblieben, war sie nicht, fuhr der erhitzte Groom fort, – dann bin ich durch den ganzen Sternbusch geritten, ohne sie zu finden – aber wo war sie? – In der Wolfschneise, da, wo gnä Frölen auf mich warten wollten, da lag sie – wie sie dahin gekommen ist, das begreife …

Es ist schon gut, schon gut, geh' Andreas, ich danke Dir! sagte das Fräulein hastig.

Gestehen Sie, daß wir gerechtfertigt sind, hub Bewerungen jetzt wieder an.

O, fiel das Fräulein mit dem raschen Wortfluß ein, hinter welchem man eine Verlegenheit zu verstecken pflegt – wenn Sie unter dem Gegenstand, welchen ich verloren haben sollte, diese armselige Feder meinten – dann allerdings. Ich würde nicht einmal danach haben suchen lassen, wenn nicht mein Reitknecht sich darauf capricirt hätte. Am wenigsten konnte ich glauben, daß zwei Herren der Mühe werth fänden, um ein solches halbes Nichts wie rasend durch unsern Wald zu sprengen und sich so weit ab von ihrem eigentlichen Wege zu entfernen! Aber Ihr stürmisches Wettrennen muß Sie nicht wenig ermüdet haben – wenn Sie vielleicht eintreten wollen, um sich auszuruhen – – ich will meinen Vater rufen.

Bei dieser Rede, die so viel Spitzen gegen unsere beiden Freunde enthielt, schickte Graf Etzelstein sich an, seine Abschiedsverbeugung zu machen, um sich zurückzuziehen. Anders Bewerungen. Er machte einen Schritt vorwärts. Die Dame trat demzufolge zurück und führte die Herren in einen sehr großen, sehr niedern, in der Mitte von einem Holzpfeiler gestützten Saal, dessen sämmtliche Wände bedeckt waren von neuumrahmten, neurestaurirten, aber sehr altmodisch costümirten Familienbildern. Am oberen Ende desselben befand sich eine offenstehende Glasthüre. Das Fräulein schritt auf diese Thüre zu; eine kleine Brücke, welche über einen schmalen, aber tiefen Schloßgraben gelegt war, führte auf den alten Burgwall; dieser bot jetzt den Anblick einer hübschen kleinen Gartenanlage dar, und hier standen die beiden jungen Männer nach zwei Schritten vor dem in einem Gartenstuhl sich schaukelnden Schloßherrn, dem Baron Küchenmeister von Sontheim. –


II.

Die junge Dame that nichts, um den beiden Offizieren die Bekanntschaft mit dem Schloßherrn rascher zu vermitteln, was so leicht gewesen wäre, wenn sie des kleinen Dienstes erwähnt hätte, den dieselben ihr geleistet.

Zwei Herren aus der Stadt wünschen sich Dir vorzustellen, sagte sie trocken und dabei trat sie einen Schritt weit hinter ihren Vater, um wie von dieser gesicherten Position aus die Fremden ihrem prüfenden Blicke zu unterziehen.

Bewerungen war der, welcher das Wort nahm; mit dem ersten Blick hatte er zu erkennen geglaubt, was für eine Art von altem Herrn er in dem Baron Küchenmeister vor sich habe, und danach den Stil seiner offenen und unbefangenen Begrüßung eingerichtet.

Zwei verirrte Wegfahrer, sagte er, die glaubten, durch das Gebiet des Herrn Barons nicht ziehen zu dürfen, ohne demselben ihr Compliment zu machen. Mein Name ist Viktor von Bewerungen, Hauptmann im Generalstabe – mein Freund, Graf Burkhard Etzelstein, Premierlieutnant im 6. Husaren-Regiment …

Sehr angenehm, äußerst angenehm, meine Herren, unterbrach der Baron Küchenmeister, indem er beiden jungen Leuten die Hände schüttelte – bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Aufmerksamkeit, charmant von Ihnen, nehmen Sie Platz, wir Landleute sehen so selten einen anständigen Menschen. Also vom 6. Husaren-Regiment, na, da hat ja mein Bruder, Gott hab' ihn selig, seiner Zeit auch drin gedient – was macht denn der Felsberg, der Major Felsberg im sechsten – ist auch todt – na, kann ich mir denken – setzen Sie sich doch, Graf Bewerlungen …

Bitte, fiel Bewerungen ein, ich heiße von Bewerungen, mein Freund Graf Etzelstein.

Ach, ja ja ja, fuhr der Baron fort, entschuldigen Sie, Bewerungen, freilich Bewerungen, kannte ja selbst einen Herrn von Bewerungen recht gut, war zu meiner Zeit Landrath in Friedensburg und Graf Etzelstein, das ist ein Name, der guten Klang hat im Lande – ja, die Etzelstein – allen Respekt – aber die Herren nehmen eine Erfrischung, eine kleine Collation, bitte, Leonore, besorge uns das.

Die junge Dame entfernte sich, während die Officiere Platz nahmen, und sich Glück wünschten zu dem zuvorkommenden Wirth, den sie gefunden.

Baron Küchenmeister war in der That ganz der alte Herr, für den Bewerungen ihn nach dem ersten Blick gehalten – die »gute Zeit«, die harmlos joviale ehrliche Haut selber: ein kleiner starker Mann, mit einem runden blühenden Gesicht, das von einem dichten, ergrauenden Barte noch runder gemacht wurde, und dem die Lebenslust aus den kleinen, von starken Brauen bedeckten Augen sah. Er war sehr leicht gekleidet, im grünen Jagdrock mit stehendem Kragen, ohne Halsbinde, aber dafür mit einer andern Hals- oder vielmehr Nackenzierde angethan, nämlich mit einer langen und starken silbernen Kette, die um seine Schultern hing und nicht etwa irgend ein Kleinod oder ein Schaustück trug, sondern ganz einfach mit den silbernen Kettchen in Verbindung stand, welche die einzelnen Theile seiner großen Meerschaumpfeife zusammenhielten.

Bewerungen gab Bericht, was ihn und seinen Freund hierhin geführt. Einige Stunden weiter lag eine sehr ausgedehnte Haidestrecke. Dieselbe war zum Kriegstheater für die großen Herbstmanöver des Armee-Corps vorgeschlagen. Die beiden Officiere waren commandirt worden, das Terrain zu besichtigen, die dahin führenden Wege in Augenschein zu nehmen, die Qnartierverhältnisse der Umgegend zu untersuchen. Sie waren zu dem Ende am Morgen in der Frühe aus der Stadt aufgebrochen, wo ihre Garnison lag. Nach der Mittagrast in einem Dorfwirthshaus hatten sie den Einfall bekommen, ihre Burschen mit den Mantelsäcken auf dem eigentlichen Wege, der nach einem in der Nähe der fraglichen Haide liegenden Städtchen führte, zu senden, für sich aber, der Romantik wegen, wie Bewerungen erzählte, Richtwege einzuschlagen, die sie nach der Generalstabskarte leicht zu finden vermeint, während sie doch in der That vollständig in diesem Vorhaben gescheitert und ganz und gar in die Irre gerathen waren.

Nun, desto besser, rief der kleine Baron aus, weil Sie dadurch hierhin gerathen sind, wo ich nun aber sehr bitte, daß Sie mir die Loberger Haide morgen ganz über alles Lob erhaben und vortrefflich finden! – Hab schon zu meiner Freude davon gehört, von dem Corps-Manöver – da bekommen wir endlich einmal Leben und Unterhaltung in unsre stillen Thäler. Ist ganz charmant, malerisch, romantisch, fruchtbar bis zum Exceß, unsre Gegend hier, aber, unter uns, etwas stille und langweilig – gerade Recht, daß Du kommst, Leonore, Kind, die Herren kündigen uns ein großartiges Herbstvergnügen an, laß Dir das von ihnen erzählen – Einquartierung wird's geben die Hülle und Fülle, und da können wir in die Wette darauf losarbeiten, wer am meisten Ehre einlegt, Du mit dem Küchen- und Keller-Departement, oder ich mit dem Pferdestall und unserm kleinen Jagdapparat!

Das Fräulein, welches eben zurückgekehrt war, sah die beiden Officiere mit einem Blicke an, der sich nicht leicht enträthseln ließ, ob er Freude über diese Nachricht oder Mißbehagen darüber ausdrückte, so völlig kalt und ruhig war er.

In der That? sagte sie nur, zu Graf Etzelstein gewendet.

Etzelstein erwiederte auf diese Anrede, die ihn jetzt zum ersten Male in's Gespräch zog, mit einem ganz leisen und kaum merklichen Erröthen:

Es ist die Absicht, in der Nähe die diesjährigen Herbstmanöver abzuhalten, und Ihr Herr Vater nimmt die Aussicht auf eine, auch für Ihr Haus damit verknüpfte Quartierbelästigung mit einer Zufriedenheit auf, die schwerlich von allen Bewohnern desselben getheilt wird!

Es kann uns nur angenehm sein, versetzte das Fräulein mit derselben Kälte und nahm einen leeren Stuhl neben ihrem Vater ein.

Ich hoffe Kind, Du hast ein paar Flaschen mit dem grünen Lack bestellt, fuhr der Baron fort – wir müssen unsere Gäste für eine solche Botschaft ehren, wie wir nur immer können …

Ich fürchte, fiel Bewerungen ein, das gnädige Fräulein ist doch nicht ganz dieser Ansicht; das Militair scheint bei Ihnen keineswegs in Gnade zu stehen, wenigstens haben meine Gnädigste vorhin bei unsrer Erscheinung Ihr Pferd in eine Gangart versetzt, welche für uns nichts schmeichelhaftes hatte!

Fräulein Leonore sah zu Boden, aber bevor sie antworten konnte, fiel der Baron ein:

Wie so? hat sie vor Ihnen Reißaus genommen? Ja sehn Sie, das darf Sie nicht wundern; meine Tochter, Gott sei's geklagt, ist etwas von einer Menschenfeindin, sie liebt die Einsamkeit wie ein Anachoret, und glauben Sie, daß ich sie hier von meinem Gute fortbringe, etwa um den Winter in der Stadt zu verleben? Keine Möglichkeit!

Das liegt nur in der verschiedenen Auffassung des Begriffs Winter, die wir Beide haben, mein lieber Vater, warf hier Leonore ein – ich nenne den Winter die Zeit, wo die Bäume sich entlauben und die Tage kurz sind – Du aber, Du nennst das die Jagdzeit, und würdest dann um keinen Preis fortgehen. Kommt dann für Dich der Winter …

Der bei mir mit dem Carneval so ziemlich genau zusammenfällt, unterbrach sie der Baron.

Dann, fuhr das Fräulein fort, halte ich den Ueberzug nicht mehr der Mühe werth und ziehe vor, zu bleiben, um nichts von dem ersten Kommen des Frühlings zu verlieren.

Richtig, und so bleiben wir denn und verbauern!

Sie sind also immer hier auf dem Lande? fragte Bewerungen.

Mein Vater hat alle Jahre die Güte, eine weitere Reise mit mir zu machen, versetzte Leonore, ohne aufzublicken.

Der Baron seufzte. Ja so ist es, sagte er, und ordnete an seinem Pfeifenkettensystem.

Ein Bedienter trat eben aus dem Hause mit einer großen Platte, welche mit Flaschen und Lebensmitteln sehr reich besetzt war. Baron Küchenmeister sah zu seiner Befriedigung, daß die grüne Lack-Sorte nicht fehlte und schenkte seinen Gästen ein; er ging ihnen sodann mit einem guten Beispiel voran und griff herzhaft zu. Die Officiere waren hungrig und durstig von ihrer Irrfahrt, sie thaten deshalb der »Naturalverpflegung« alle Ehre an. Das Gespräch stockte unterdeß, was jedoch den Baron Küchenmeister von Sontheim nicht abhielt, sich einer steigenden Heiterkeit hinzugeben.

Ich hoffe, daß die Herren über hier zurückkehren werden, um mir die Nachricht zu bringen, daß unsre Loberger Haide völlig Gnade gefunden hat vor Ihren Augen – sagte er; wir wollen dann diese gute Botschaft mit einigen Flaschen Sekt feiern, eine besondere Sorte, meine Herren, zu der aber meine gestrenge Tochter nur bei feierlichen Gelegenheiten den Schlüssel herausgibt. Graf Etzelstein, leeren Sie doch Ihr Glas – Sie sind kein Trinker, seh' ich –

Darüber müssen Sie sich nicht wundern, fiel Bewerungen ein, derartige Laster hat mein Freund Etzelstein zahllose. Er trinkt nicht, er spielt nicht, er tanzt nicht und macht nicht die Cour, – dieser Husarenlieutenant ist mit einem Wort die bewaffnete und berittene Moralität.

Leonore warf bei diesen Worten einen unbeobachteten Seitenblick auf Etzelstein, der auffallend lange auf ihm haften blieb.

Du singst mir da, – entgegnete Etzelstein mit einem Lächeln, das etwas Verlegenes hatte, – ein Loblied, dem wohl nur die Absicht zum Grunde liegt, daß ich mich dafür revanchiren soll, indem ich nun Deine geselligen Glanzseiten der Reihe nach vorstelle: ich begnüge mich aber zu sagen, daß Freunde gewöhnlich durch die Gegensätze und Verschiedenheiten ihrer Charaktere zusammengeführt werden, und daß Bewerungen und ich – sehr warme Freunde sind!

Das heißt, er ist ein Trinker, Spieler, Tänzer und Courmacher, der Herr Hauptmann von Bewerungen, fiel lachend der Baron ein.

So arg ist's nicht gemeint; aber es ist eben ein Universalgenie, und treibt Alles, was getrieben werden kann. Sie werden an ihm einen Mann kennen lernen, der Alles kann, Alles gesehen, Alles gelesen und Alles behalten hat …

Also ein Gelehrter, unterbrach der Baron – nun damit kann Herr von Bewerungen sich bei meiner Tochter einen Stein im Brett erwerben, die weiß das besser zu schätzen, als ihr Papa, der Alles verschwitzt hat, was er jemals aus einem Buche irgend einer Art erfahren. Das geht uns armen Landjunkern nun einmal nicht anders. Wir helfen uns aber doch so durch, meine Tochter und ich. Sie stellt die Gelahrtenbank und ich die Ritterbank vor, und so regieren wir zusammen unsere Hufe; es fehlte nur ein Dritter, der den Ausschlag gäbe bei einer Meinungsverschiedenheit der Räthe im Collegium, wie das denn auch wohl vorkommt – aber …

Der Baron brach wieder mit einem Seufzer ab und schenkte sein Glas voll. –

Der gute Baron scheint sich nach einem Schwiegersohn zu sehnen und Fräulein Leonore eigensinnig zu sein, dachte Bewerungen, und dabei heftete er wie forschend seinen Blick auf das Fräulein. Diese erröthete leicht, und Bewerungen sagte sich deshalb:

In der That, so stehen die Sachen! davon ist Akt zu nehmen! –

Nun aber, begann der Baron wieder, leeren Sie Ihre Gläser, meine Herren, und dann gewähren Sie mir das Vergnügen, Sie ein wenig herumführen zu dürfen.

Etzelstein stand auf und versetzte:

Es ist Abend, Herr Baron, und wir werden unser heutiges Nachtquartier nicht mehr erreichen, wenn …

Ihr Nachtquartier? fiel der Baron ihm mit hellem Lachen laut in die Rede – als ob Sie das nicht längst erreicht hätten, meine Herren – Sie bleiben hier unter meinem Dach, das ist eine ausgemachte Sache, – morgen werde ich Sie selbst auf den Weg zu Ihrem Ziele bringen und Sie werden dann vollständig nachholen können, was Sie heute dem alten Küchenmeister zu Liebe versäumten, und damit Basta, und jetzt kommen Sie.

Bewerungen schwieg, Etzelstein wollte Protest einlegen, aber er vermochte nichts gegen des alten Herrn Entschiedenheit, und nach wenig Minuten war die Gesellschaft auf dem Wege durch die Gartenanlagen, in welche die alten Burgwälle und Gräben umgeschaffen waren.

Der Baron führte sie so, daß sie sich allmählich den, einen Steinwurf weit von dem Herrnhause liegenden Oekonomiegebäuden näherten, wo der Schloßherr den Fremden seinen Stolz und die Freude seines Herzens, seine Pferde, zeigen wollte. Burkhard Etzelstein hatte sich dabei dem Baron angeschlossen, während Bewerungen neben dem Fräulein schritt. Der junge Husaren-Officier fand dabei Gelegenheit, das Herz des gutmüthigen Edelmanns durch die ruhige, verständige und klare Art gefangen zu nehmen, mit welcher er auf alle Liebhabereien und Interessen desselben einzugehen wußte. Er hörte z. B., während der Baron über Landwirthschaft sprach, mit einer Aufmersamkeit zu, als wäre er ein gelernter Zögling von Hohenheim; Die heutige Universität Hohenheim geht zurück auf die ›Landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt‹, die durch König Wilhelm I. von Württemberg am 1818 gegründet und 1847 ›Landwirtschaftlichen Akademie‹ erhoben wurde. er machte ihn sogar mit neuen Erfindungen und Entdeckungen bekannt, und beschrieb ihm ganz genau, wie man in England durch die sinnige Erfindung der Braunheubereitung den Ertrag sumpfiger Wiesen steigere. –

Durch eine ganz andere Art der Unterhaltung suchte unterdeß Viktor von Bewerungen auf das Fräulein Leonore Eindruck zu machen. Im Anfange wurde ihm diese Aufgabe nicht gar leicht gemacht. Fräulein Leonore schien eine äußerst schweigsame junge Dame; sie äußerte nur so viel, um ihn erkennen zu lassen, daß sie Geist und Bildung genug habe, seinem Geplauder folgen und die vielfachen Anspielungen verstehen zu können, in denen er sein mannichfaltiges, wirklich nicht gewöhnliches Wissen glänzen ließ.

Bewerungen suchte nach und nach zu ergründen, wie weit er dabei gehen dürfe und wo die Grenze ihres Verständnisses liege. Er fing an englische und französische Dichter zu citiren – sie ließ ihn aus ihren Antworten schließen, daß sie nichts höre, was ihr neu sei. – Er begann von seinen italienischen Reisen zu sprechen und italienische Phrasen anzuführen; sie verstand auch das Italienische vortrefflich; sie wurde zugleich bei diesem Gegenstande der Unterhaltung immer wärmer, sie thauete auf, sie begann selbst zu erzählen und einen Abend zu schildern, den sie in Florenz im Theater zugebracht hatte. Lebhaft malte sie den Enthusiasmus aus, mit dem die Italiener die Darstellung von Alfieri's Virginia ›Virginia‹ (1783), Tragödie des italienischen Dichters Vittorio Alfieri. Seine Dramen sind durchdrungen von den republikanischen Freiheitsgedanken des späten 18. Jh. und seiner Abscheu gegenüber jeder Form von Tyrannei. Dadurch hatten sie großen Einfluss auf die italienische Freiheitsbewegung des 19. Jh., das Risorgimento. aufgenommen hatten. Dabei waren die beiden jungen Leute eine Strecke weit hinter den Andern zurückgeblieben; der Baron und Etzelstein hatten deshalb ihre Schritte gehemmt, um sie herankommen zu lassen.

In der That, sagte Bewerungen, mit Beziehung auf Leonorens letzte Worte, und während jetzt alle vier neben einander herschritten, – ich begreife diesen Enthusiasmus der Italiener für das Stück, in welchem so viele Schlagworte, welche sie auf ihre heutige politische Lage deuten, vorkommen. Wie müssen zum Beispiel Verse sie elektrisiren wie:

ei, che mostrarsi
Osa Romano ancor, mentre sta Roma
In reo silenzio attouita, vilmente
E, nel servaggio, libera si crede!

Was heißt das? unterbrach ihn hier das Fräulein. Sie muthen unserer Gelehrsamkeit zu viel zu, wenn Sie glauben, wir wären aller Sprachen mächtig und verständen solche Zitate!

Bewerungen sah sie betroffen an. Sie hatte ihm ja so eben noch im Laufe des Gesprächs durch ihre Antworten bewiesen, daß sie das Idiom Tasso's und Dante's vortrefflich verstand! Um ihr zu zeigen, daß er sich durch ihre erheuchelte Unwissenheit nicht täuschen lasse, übersetzte er denn auch die Verse nicht, sondern leitete das Gespräch auf etwas Anderes über.

Mit dem Beschauen des vortrefflich besetzten Reit- und Jagdstalls des Barons war der Rest des Abends vergangen. Als man heim kam, stand in dem großen, mit Ahnenbildern dekorirten Saale das Nachtmahl aufgetragen und der Baron hielt seine Gäste bis ziemlich tief in die Nacht hinein bei seinen auserlesenen Weinsorten gefesselt, während sich Fräulein Leonore bei Zeiten still zurückgezogen hatte.

Als die beiden jungen Leute endlich auf ihre Zimmer geführt waren, die neben einander lagen, und durch eine offene Thüre in Verbindung standen, sagte Bewerungen, indem er begann, seine Kleider abzuwerfen:

Nun, hab' ich Recht gehabt, als ich Dir von unserer Verirrung das schönste Ergebniß, das amüsanteste Abenteuer in Aussicht stellte?

Wie immer! Du hast immer Recht, lieber Viktor! antwortete trocken Burkhard Etzelstein durch die offene Thüre.

Und was sagst Du zu diesem Schloßfräulein?

Daß sie bewundernswürdig schön ist.

Dabei das merkwürdigste Geschöpf, welches mir je vorgekommen! fuhr Bewerungen fort. Versteckt wie eine Sphinx! Und gescheut – durchtrieben – den dicken, behäbigen Papa scheint sie zu pantoffeln, daß ihm Hören und Sehen vergeht – prächtiger alter Mensch das – wenn ich nur herausbringen könnte, was er mit all den Silberketten um den Hals macht! – Aber das Eine erkläre mir, Burkhard, weshalb diese räthselhafte Schöne, während sie mit mir allein ist, zeigt, daß sie wie ein Pfingstapostel alle möglichen Sprachen redet, und dann, wo sie Dich und den Papa als Zeugen hat, mit der größten Unverschämtheit ableugnet, daß sie italienisch versieht?

Gewiß, weil die Pfingstweihe des Geistes, die in Deiner Gesellschaft über sie kommt, verloren geht, wenn so unbedeutende Individuen wie ich und der Papa störend dazwischen fahren.

Boshafter Mensch, versetzte Bewerungen.

Oder, fuhr Etzelstein trocken fort, weil sie die Schätze ihrer Bildung und ihres Geistes einzig vor Dir enthüllen will, und sie vor profanen Augen zuschließt!

Nun, halt nur ein mit Deinen Malicen, entgegnete Bewerungen – Du bist ja heute Abend ganz entsetzlich sarkastisch – und doch hast Du gar keinen Grund dazu, ich versichere Dich auf Ehre, Du hast von uns Beiden entschieden den günstigsten Eindruck auf sie gemacht, ich habe sehr wohl bemerkt, wie sie Dich still von der Seite betrachtete, wenn sie es unbemerkt thun zu können glaubte. Und, glaub' mir, damit hängt auch ihre kleine Heuchelei zusammen. Sie will vor Dir nicht den Schein haben, als wolle sie mit ihrer Bildung groß thun, sie fürchtet Dir als ein Blaustrumpf zu erscheinen …

Du fabelst!

Nein, nein, glaub' mir – wenn Du Dein Glück hier versuchen wolltest …

O ich verzichte darauf! versetzte Etzelstein trocken, indem er sich in sein Bett warf.

Weshalb? entgegnete Bewerungen. Sie ist das einzige Kind des Ritters von der silbernen Kette. Nach dem zu urtheilen, wie man hier lebt und eingerichtet ist, hört das Vermögen mit einer Million schwerlich auf. Wenn man ein Mensch ist, wie Du, der schönste Offizier im Regiment, wenn man dazu Graf Etzelstein heißt …

So wird man sich immer noch vor der Thorheit hüten müssen, mit dem Geiste und der Gewandtheit eines Bewerungen ein Wettrennen anzustellen! Gute Nacht – Viktor!

Was Den nur verstimmt! murmelte Bewerungen vor sich hin, während er sich jetzt ebenfalls auf das weiche Lager streckte – er ist wahrhaftig bei dem schönen Burgfräulein um drei Pferdelängen vor mir voraus; aber wenn ihn sein Stoicismus treibt, in einer großartigen Resignation sein Vergnügen zu suchen – nun wohl, und desto besser! –

Am andern Morgen in der Frühe beurlaubten sich die beiden Officiere von ihrem gastlichen Wirth. Fräulein Leonore war noch nicht sichtbar. Der Baron ließ seine Gäste nicht ziehen, ohne die Versicherung zu erhalten, daß sie jedenfalls zu ihm zurückkehren würden – wenn nicht bei Gelegenheit der Manöver, dann doch zu den Jagden im Herbst.

Es wurde jedoch die Loberger Haide von den beiden jungen Officieren als durchaus zweckentsprechend befunden, und die Benutzung derselben zu den Uebungen wurde vom General-Commando beschlossen. Der Spätsommer hatte deshalb die Verwaltungsbeamten der Umgegend in eine gewaltige Thätigkeit versetzt, um alle nöthigen Vorkehrungen zur Unterbringung und Ernährung einer großen Anzahl von Truppen zu treffen, und der Septembermonat hatte Alles weit und breit mit Uniformen, Waffen und Fuhrwerk, mit Menschen und Pferden angefüllt. Ein Theil der Truppen bivouakirte in Zelten; ein andrer Theil cantonnirte in den nächstliegenden Dörfern.

Zu diesen letzteren gehörte die Schwadron vom 6. Husaren-Regiment, bei welcher Burkhard Etzelstein stand; und zwar war ihr Quartier angewiesen worden in der Bauerschaft, welche Schloß Welzenburg, den Sitz des Barons Küchenmeister von Sontheim, umgab; den Grafen Etzelstein selbst hatte das Schicksal so begünstigt, daß er nebst dem Obersten seines Regiments und dessen Stab im Schlosse sein Quartier erhalten hatte, zu nicht geringer Freude des alten Küchenmeisters, der den jungen Mann vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft an in besondere Gunst genommen.

Viktor von Bewerungen war natürlich beim Stabe im Hauptquartier; aber dies Hauptquartier hatte seinen Sitz in einer kleinen Stadt aufgeschlagen, die nicht mehr als eine Meile von Welzenburg entfernt war. Kein Ruhetag verging deshalb, ohne daß Bewerungen gekommen wäre, seinen Freund in Welzenburg zu besuchen und die heitere Gesellschaft von Officieren zu vermehren, die sich's hier unter dem Dache eines großartig gastlichen Wirths wohl sein ließ, und das sonst so stille Schloß mit ihrem Lärm, ihrer lauten Fröhlichkeit erfüllte, welche durch die Aufregung der großen Waffenübung natürlich in hohem Grade gesteigert war.

Bewerungen bewunderte dabei die Haltung, welche Leonore inmitten dieser Schaar von Männern, die sich natürlich alle mehr oder minder zu ihren Verehrern aufwarfen, beibehielt. Die vornehme, kalte Ruhe, mit der sie sich in dieser Gesellschaft bewegte, mit der sie das Hauswesen trotz der verhundertfachten Ansprüche an dasselbe leitete, wich keinen Augenblick von ihr. Sie erlaubte keinem der galanten Herren, welche ihr den Hof machten, sich einer Begünstigung vor den andern zu rühmen.

Nur Bewerungen – freilich, Bewerungen machte nach und nach Fortschritte in ihrer Gunst, das war augenscheinlich. Viktor von Bewerungen war in der That ein zu gescheuter Mensch, als daß, wo er gefallen wollte, er nicht es dahin gebracht hätte, einen günstigen Eindruck zu machen. Er wußte Leonore zu gewinnen durch die Lebendigkeit eines Geistes, der zu viel Bildung in sich aufgenommen hatte, um ein junges Mädchen nicht zu fesseln, das ebenfalls einen großen Bildungstrieb besaß, das aber in seiner ländlichen Abgeschlossenheit dafür so wenig andere Nahrung hatte finden können, als die, welche sich aus der stummen Gesellschaft todter Bücher schöpfen ließ. Im Gespräche mit Bewerungen ertappte sie sich auf hundert Lücken ihres Wissens, und eben so viele Fragen wurden in ihr angeregt, über welche sie noch nicht gedacht, oder die sie sich unbeantwortet gelassen hatte, und von deren Besprechung mit Bewerungen, der auf Alles eine geistreiche Antwort hatte, Leonore nun auf's lebhafteste angezogen wurde.

Bewerungen, der seinerseits bei diesem Verkehre mit dem jungen Mädchen immer mehr sein Herz von ihr eingenommen fühlte, war dennoch klug genug, die Stimme desselben zu unterdrücken. Er beschränkte sich willensstark darauf, nur jenen geistigen Verkehr mit ihr zu pflegen, der sie ihm endlich doch gewinnen mußte, wenn nicht ihr jungfräulicher Stolz, die Sprödigkeit ihrer verschlossenen Natur zu früh verletzt, wenn sie nicht so zu sagen scheu gemacht und daran erinnert wurde, daß sie sich auf eine gefährliche Bahn bei dieser Freundschaft mit einem jungen Manne wie Bewerungen begeben habe.

Einen vollständigen Gegensatz zu diesem Betragen Bewerungens bildete das, welches Burkhard Etzelstein gegen das Fräulein beobachtete. So viel er um den alten Herrn mit der Silberkette war, so wenig näherte er sich Leonoren. Er von Allen allein schien für ihre Schönheit und Anmuth kein Auge zu haben, für ihn allein schien die geistige Bildung, welche sie vor der Mehrzahl junger Damen ihres Alters auszeichnete, ohne Anziehungskraft zu sein; er allein legte die für einen Husaren-Officier seltsame Passion an den Tag, die Stunden, die er in Welzenburg verlebte, im Gespräche über Pferde, Jagd, Drainage, und alte Familiengeschichten mit dem Baron oder den älteren Officieren hinzubringen, statt sich in die Reihen der Verehrer Leonorens zu stellen, in welchen man sich mit allen möglichen angenehmen und lustigen Dingen, als da sind: Musik, Reiten, Gesellschaftsspiele, Tanzen, die Zeit vertrieb.

Diese kalte Zurückhaltung, wo Alles ihr huldigte, schien von Leonoren nicht unbemerkt zu bleiben. Bewerungen machte oft seine kleinen psychologischen Beobachtungen, wie doch selbst ein sonst so starker, stolzer und selbstbewußter Frauengeist, gleich dem Leonorens, von seinen kleinen weiblichen Schwächen nicht frei sei. Daß hier ein Herz übrig blieb, welches nun einmal ganz entschieden nicht für sie schlug, welches kalt und ungerührt blieb, war Leonoren offenbar ebenso unangenehm und ärgerlich, wie jedem andern gefallsüchtigen jungen Mädchen auch; zwischen einem solchen und ihr war, so sagte sich Bewerungen, nur der Unterschied, daß ein anderes junges Mädchen vielleicht nun darauf ausgegangen wäre, den Gegenstand ihres Verdrusses durch allerlei kleine Coquetterien zu umgarnen, bis auch er an den Triumphwagen gespannt sei; während im Gegentheil die hochmüthige Leonore ein Gefühl wie von einer persönlichen Beleidigung in sich zu tragen schien, und dies durch die vollkommenste, mitunter bis dicht an die Grenzen des Verletzenden und Unartigen streifende Kälte, Zurückhaltung, Uebersehen oder wie man es nennen will, an den Tag legte. Diese Zeichen der Abgeneigtheit gingen bis zu einem gewissen spöttischen Ton, den Leonorens Aeußerungen annahmen, so oft in Etzelstein's Abwesenheit von ihm die Rede war.

Und weshalb, fragte sie Bewerungen eines Tages, zieht sich denn Ihr philosophischer Freund so auffallend von der Welt zurück, wie Sie versichern, daß er es auch in Ihrem Garnisonorte thue?

Der Himmel weiß. Wer ihn nicht so gut kennte, wie ich, könnte auf den Gedanken kommen, er sei ein heimlicher Sünder und mache, in seine vier Wände eingesperrt, Verse oder Trauerspiele!

Wohl möglich! erwiederte Leonore mit einem verächtlichen Lächeln.

Nein, nein, das ist es doch nicht, fiel Bewerungen ein. Viel eher dient zur Erklärung seiner Weltverachtung, daß er bei seiner Schönheit, seinem vornehmen Namen, und dem Vermögen, das doch sicherlich auch einem Etzelstein nicht fehlen wird, die Erfolge zu leicht gefunden hat, zu zahlreich, daß sie deshalb keinen Reiz für ihn haben.

Glauben Sie das? fragte Leonore, indem sie die Lippen spöttisch aufwarf.

Es ist wenigstens das Wahrscheinlichste!

Sie machen damit der Gesellschaft ein schlechtes Compliment!

Wie so, meine Gnädigste?

Oder Ihrem Freunde; denn in der That, er ist noch etwas gar jung für einen Menschen- und Weltverächter!

Sie wollen damit sagen, er sei ein eingebildeter Mensch? Da muß ich ihn in Schutz nehmen! das ist er am wenigsten von allem, was ein junger Mann sein kann. Er ist eine durchaus bescheidene Natur. Dies drückt sich in seinem ganzen Wesen aus. So vermeidet er allen Luxus und lebt so sparsam, so einfach, als ob seine Person ihm nicht der Mühe werth sei, Umstände um sie zu machen, etwas für sie aufzuwenden. Wenn er sich in höherem Grade, als es freilich der Fall ist, Ihrer Huld erfreute, so würden Sie gewiß auch die Bemerkung gemacht haben, wie wenig er von sich selbst spricht, wie wenig es ihm gleich allen andern Menschen in Gesellschaft drückt, in ein belebtes Gespräch mit Personalien in der ersten Person des Präsens oder Perfecti einzufallen!

Leonore antwortete:

So ist er, nehmen wir Alles zusammen, eine enge in sich zusammengeschnürte Natur, der Herr Lieutenant Graf Etzelstein, eine Natur, die keine Wärme besitzt, welche sie zur Mittheilung, zum vollen frohen Leben mit Andern drängte, ein Charakter ohne Schwung, der sich äußern, ohne Selbstbewußtsein, das sich geltend machen wollte …

So scharf beurtheilen Sie meinen armen Freund Burkhard, meine Gnädigste?

Urtheile ich zu scharf, so nehmen Sie ihn in Schutz, antwortete mit einem Lächeln, welches etwas Gezwungenes hatte, Leonore; stellen Sie eine Thatsache auf, welche ihn entschuldigt, daß er den alten Herrn spielt, statt des jungen Mannes, wie er sollte …

Ich verstehe Sie, fiel lachend Bewerungen ein – Ihr nach Romantik dürstendes Herz will hinter jeder etwas ungewöhnlichen Erscheinung einen geheimnißvollen Grund finden. Sie wollen, es soll irgend eine hochtragische Leidenschaft mit höchst poetischen Conflikten, welche den armen Burkhard zum Einsiedler macht, dahinter stecken.

O, sagte Leonore, verächtlich ihren schönen lockenumwallten Kopf zurückwerfend, daran habe ich nicht gedacht!

In der That nicht?

Leonore, schien es, hielt es nicht der Mühe werth, eine Antwort zu geben, um dies nochmals zu versichern.

Es ist auch in der That nichts dergleichen bei Burkhard vorhanden, fuhr Bewerungen fort. Sein Herz ist frei.

Damit hörte das Gespräch über Bewerungens Freund auf und Fräulein Leonore lenkte die Unterhaltung auf andere Dinge über.

Bewerungen machte unterdeß im Stillen seine Bemerkungen über weibliche Charakter-Eigenschaften.

Wie schlecht er angeschrieben ist, der gute Burkhard, sagte er sich, weil er das Verbrechen begeht, sich einer Alles beherrschenden Liebenswürdigkeit zu entziehen! Aber so gleichgültig sie auch gegen ihn ist, ihre kleine Eitelkeit forscht dennoch, was der Grund seiner Kälte sei, sie will den Trost haben, sich sagen zu können, daß irgend ein früheres Herzens-Engagement ihn unempfänglich für ihre Reize mache. Daher dies ganze Gespräch, das mich ausholen sollte, ob Burkhards Herz an irgend einer stillen Wunde blute!

Obwohl Viktor Bewerungen derartige kleine psychologische Bemerkungen über Leonore zu machen nicht unterließ, so fühlte er sich dennoch von Tag zu Tag mehr gefangen von dem Geiste und den Reizen des schönen Mädchens, während er sich durchaus rathlos und hülflos fühlte, was zu beginnen, um dem freundschaftlichen Verhältniß zwischen ihm und Leonore, zu dem er es glücklich gebracht, den Charakter eines innigeren und sentimentaleren zu geben, nach dem sein Heiz verlangte.

Sein Herz, sagen wir, denn wenn auch bei Bewerungen der Gedanke an die reiche Mitgift des Erbfräuleins von Küchenmeister zu Sontheim nicht so im Hintergrunde lag, daß er ganz antheillos an den heißen Wünschen seiner Seele gewesen wäre, so war dieser Gedanke doch darum nicht mehr das erste und einzige Motiv von Bewerungens Bewerbung. Und gerade deshalb, weil sein Herz dabei im Spiele war, fühlte er sich schüchterner und zuversichtsloser dem stolzen, verschlossenen Fräulein gegenüber und kam endlich zu einem Entschluß, der eigentlich für einen gewandten und beredten jungen Mann etwas Demüthigendes hatte. Aber die logischen Schlüsse, welche Bewerungen dazu hinleiteten, waren zu zwingender Natur, als daß er sich ihnen nicht unterworfen hätte.

Er beschloß nämlich, zuerst mit dem Vater Leonorens zu reden.

Wenn ich ihr einen Antrag mache, sagte er sich, so wird diese spröde, kalte Natur im ersten Augenblick nichts hören als ihren jungfräulichen Stolz und mir einen Korb geben, so colossal groß, daß mit Ehren gar nicht auf die Sache zurückzukommen ist. Anders, wenn der Ritter von der Silberkette davon bei ihr beginnt. Sicherlich ist das Heirathsthema schon öfter von ihnen abgehandelt. Aus dem Munde des Papa's kommend tritt ein Antrag weniger überraschend, so zu sagen mit weniger Eclat vor sie; und wenn sie einwilligt, braucht sie nicht eine Neigung zu gestehen, wogegen sich jedenfalls im ersten Augenblick noch ihr Stolz sträuben wird; sie kann ihrer Hingabe den Mantel kindlichen Gehorsams umhängen.

Das war Bewerungens Raisonnement, und von diesen Gründen bestimmt, nahm er eines schönen Abends, wo er den Ritter von der Silberkette allein in der Gartenlaube traf, die Gelegenheit wahr, und brachte frischweg sein Wort an.

Der Baron hörte ihm mit großer Seelenruhe zu.

Mein lieber Bewerungen, sagte er dann, darauf kann ich Ihnen nichts antworten als: das kommt ganz auf die Leonore an, ob sie einwilligt; mir sind Sie ganz willkommen als Schwiegersohn; ich kenne Sie als tüchtigen Officier, der die besten Aussichten hat; sind ein Mann von Vermögen, gutem Hause, ehrenwerther Führung, kurz, ich will Ihrem Glücke, wenn Sie es an der Seite meiner Tochter suchen, nicht im Wege stehen. Verhehle Ihnen auch nicht, daß ich mich nach einem Schwiegersohne sehne; führe ein einsames Leben hier, Gott weiß es, und wenn sich ein Paar lustige Blondköpfe von Enkel im Hause herumtummelten, es wäre meinem alten Herzen eine wahre Freude, und ich meine, dann wäre Alles gut. Die Leonore weiß auch wohl wie ich denke, aber das Kind hat nun einmal seine eigenen Ideen, und daran ist nichts zu machen, und … aber da kommt sie ja just, – Leonore, bemühe Dich einmal zu uns, Kind, Herr von Bewerungen hier hat mit Dir zu reden!

So lautete des Barons Antwort, deren letzter Theil an das eben durch den Garten heranschreitende Fräulein gerichtet war.

Bewerungen sprang auf, während Leonore in die Laube trat. Daß die Sache diese Wendung nehme, war nicht eben das, was er vorausgesetzt und gewünscht hatte. Er blieb stumm, verlegen und roth bis unter die Haarwurzeln.

Nun, ich sehe schon, fuhr lachend der Baron fort, der getreue Seladon ist zu bewegt, um sein Wort anbringen zu können, und so wird der Papa das Eis brechen müssen. Leonore, Kind, der Herr von Bewerungen beehrt uns mit einer Werbung um Deine Hand. Mir ist er als Schwiegersohn willkommen, und, da Du Dich nun doch einmal wirst entschließen müssen, es darauf zu wagen, ist es Dir hoffentlich nicht minder?

Leonore blickte ruhig auf Bewerungen und sodann auf ihren Vater; die Augen niederschlagend versetzte sie endlich:

Ich achte Herrn von Bewerungen zu hoch, um nicht durch seinen Antrag mich geehrt zu fühlen. Und wenn es Dein ausgesprochener Wunsch ist, mein Vater, daß ich heirathen soll, wie es freilich nach allen unsern Verhältnissen ja natürlich, – so kennst Du mich zu gut als Deine folgsame Tochter, als daß …

Bewerungen ließ sie nicht ausreden; er ergriff stürmisch ihre Hand und bedeckte sie überglücklich mit seinen Küssen.

Nun, Gott segne Euch, meine Kinder! sagte der Baron gerührt – Sott segne Euch – und dann ließ er, nachdem er Bewerungen herzlich umarmt, die beiden jungen Leute allein und ging, Jedem, der ihm von seinen Gästen und Hausgenossen begegnete, die große Kunde mitzutheilen.


III.

Unter den Gästen, die Welzenburg belebten und, so oft es die freien Abendstunden oder die Rasttage nur erlaubten, hinüber geritten waren, um die lustige Tafelrunde des vortrefflichen alten Küchenmeisters zu vergrößern – unter allen diesen Gästen erregte die Nachricht von Bewerungens Glück natürlich das größte Aufsehen, d. h. Neugier oder Verdruß oder Neid oder Spott über den klugen Burschen, der sein Mundwerk so vortrefflich auszubeuten gewußt, oder, hier und dort, auch ein wenig aufrichtiger Theilnahme und herzlicher Freude, und überall Lärm. Daß Jeder sich zudrängte, um Glück zu wünschen, sowohl dem Brautpaare als dem alten Herrn, versteht sich von selbst; der alte Herr aber, was ihn angeht, wehrte diese Gratulationen eifrig ab.

Nein, nein, nein, sagte er, so weit sind wir noch nicht, meine Herren … Alles zu seiner Zeit, und nach der Ordnung – bevor Sie Glück wünschen können, müssen wir ein rechtes Brautpaar haben und bevor wir ein rechtes Brautpaar haben müssen wir eine rechte, feierliche Verlobung haben! –

Die Aussicht auf ein feierliches Verlobungsfest wurde natürlich mit Jubel aufgenommen.

Der alte Herr beraumte dieses Fest auf den Tag der nächsten Woche an, an welchem die Herren Officiere ihren Rasttag hatten. Mit unbeschränkter Liberalität wurden die Einladungen dazu erlassen, nach großartigem Maßstab die Vorbereitungen getroffen. Desto mehr aber fühlten die jungen Männer, welche nun seit einer Reihe von Tagen bereits die Gastlichkeit des Barons genossen hatten, sich die Verpflichtung auferlegt, etwas zu thun, um demselben ihre Dankbarkeit zu beweisen. Man trat also zusammen, um zu überlegen. Es wurden allerlei Vorschläge gemacht. Man dachte zuerst daran, auf einem improvisirten Theater Scenen aufzuführen. Aber es fehlten dazu eben nur die passenden Scenen – die Aufgabe, welche zu erfinden und zu verfassen, hatte Keiner Lust auf sich zu nehmen. Dann wurde in Ueberlegung genommen, ob man nicht ein Caroussel reiten solle? Oder eine Fantasia im Beduinen-Costüme, mit Turban und wehendem weißem Burnus? Aber das wollte eingeübt sein und zu langen Uebungen fehlte Zeit, auch wohl die Lust bei den meisten der Herren, die den Morgen bei den Manövern thätig sein mußten und dann, wenn sie auch den Nachmittag hindurch größtentheils unbeschäftigt blieben, doch ermüdet und rastbedürftig waren.

Endlich blieb man dabei stehen, daß man ein großes glänzendes Jagdrennen an dem Festtage halten wolle. Dieser Vorschlag fand um so mehr Billigung, als man die dazu nöthigen Jagdpferde in hinreichender Anzahl aus der Stadt kommen lassen konnte, mehrere tüchtige Hunters ja auch im Besitz des Barons Küchenmeister waren, der sie den nicht damit versehenen Herren gewiß mit Vergnügen herlieh. So wurde denn ein kleines Comité von drei Officieren gewählt, welches die Angelegenheit zu organisiren und zu leiten hatte. Der in Welzenburg einquartierte General und der Baron Küchenmeister von Sontheim wurden gebeten, das Schiedsrichteramt zu übernehmen.

Unter Denen, welche an dem Rennen Theil nehmen wollten, waren Bewerungen und Etzelstein.

Etzelstein lag nicht mehr im Quartiere in Welzenburg. An demselben Tage, an welchem Bewerungen durch Leonorens Zusage so glücklich geworden, hatten einige Unordnungen auf einem großen Bauernhofe statt gefunden, auf welchem ein Theil der Schwadron, bei welcher Etzelstein stand, einquartiert lag. Der Letztere hatte am Morgen darauf seinen Obersten um die Erlaubniß gebeten, sich selbst auf dem Hofe einzuquartieren, um die Wiederkehr ähnlicher Scenen – blutige Schlägereien zwischen den Husaren und den Knechten des Hofes – zu verhüten. Der Oberst hatte diesen Vorschlag nur gebilligt, der Verwaltungsbeamte der Gemeinde war damit ebenfalls ganz einverstanden gewesen, und Etzelstein hatte sich deshalb vom Baron Küchenmeister verabschiedet, um den Bauernhof zu beziehen.

Thut mir leid, sehr leid, daß Sie mein Haus verlassen, hatte der Ritter von der Silberkette dabei mit einer Stimme gesagt, in der etwas wie eine gemüthliche Affection lag, die bei dem heiteren alten Herrn nicht gerade zu den gewöhnlichen Vorkommnissen gehören mochte. Sehr leid, wahrhaftig. Habe Sie lieb gewonnen, Graf Etzelstein, wenn Sie's nicht übel nehmen. Glaubte nicht, daß wir so bald wieder auseinander kommen würden. Hatte mir schon so meine Gedanken gemacht. Nun, es ist jetzt anders gekommen. Muß auch gut sein! Ist's auch, ist's auch! Also, jedenfalls auf baldiges Wiedersehen! Ist doch nur so eine Art Bivouac, in das Sie jetzt ziehen, hoffe, als Ihr eigentliches Quartier betrachten Sie nach wie vor mein Haus!

Nach dieser Abschiedsrede des alten Herrn war Burkhard Etzelstein von dannen gezogen, und seitdem hatte er sich nur ein oder zwei Mal in Welzenburg blicken lassen; aber immer nur flüchtig; Bewerungen war nach seiner Verlobung noch gar nicht wieder mit ihm zusammengetroffen, er hatte noch nicht einmal seines Freundes Glückwünsche erhalten.

An dem Jagdrennen jedoch erklärte Etzelstein bereitwillig, Theil nehmen zu wollen. Man hätte auch auf seine Mitwirkung gar nicht verzichtet, denn Graf Burkhard Etzelstein galt für den besten Reiter im Regiment.

Der für die Verlobungsfeier anberaumte Tag war gekommen. Ein wolkenlos heiterer Himmel, ein wunderbar schönes klares Herbstwetter begünstigte ihn. Auf Schloß Welzenburg war Alles in regster Thätigkeit und Bewegung, alle Zimmer bis in die Dachstuben mit Gästen belegt, wahrend Bekannte und Verwandte von den benachbarten Gütern und Orten fortwährend zu Roß und Wagen durch die Schloßallee heranzogen. Gegen zehn Uhr wurden von den Jockey's die Pferde herausgeführt; in dem Schloßhof, vor dem Schlosse, auf dem Wege von den Stallungen her, überall sah man diese schön und kräftig gebauten, leicht und elegant aufgezäumten und gesattelten Thiere. Dazwischen bewegten sich die Herren, welche am Rennen Theil nehmen wollten, in ihren scharlachrothen Jagdröcken, Andere, die bloß die Zuschauer abzugeben beabsichtigten, in ihren Uniformen, oder in ihrem schlichten Reitcostüme, wenn sie zu den eingeladenen Nachbarn und alten Freunden des Barons gehörten.

Endlich bewegte sich eine Cavalcade, ein ganzer Schwarm aus dem Schloßhofe heraus. An seiner Spitze der Baron und neben ihm Leonore, ebenfalls zu Pferde, begleitet von einer andern jungen Dame, einer entfernten Cousine, die seit einigen Tagen zum Besuche bei ihr war. Man ritt einem geräumigen Grasanger zu, wo das Signal zum »Start« gegeben werden sollte. Hier wurde gesäumt, bis Alles, was zur Sache gehörte, beieinander, bis das letzte Arrangement getroffen, der letzte Anstoß beseitigt war. Die Preisrichter setzten dann ihre Pferde in Galop, um sich auf dem nächsten Wege an ihren Platz, den »Winpost« zu begeben.

Man sah bei dieser Gelegenheit auch, zu welchem Ende Baron Küchenmeister die eigenthümlichen silbernen Ketten um den Nacken trug. Er war wie immer von seiner Meerschaumpfeife begleitet. Bei dem hitzigen Galop, in den der lebhafte alte Herr augenblicklich sich oder vielmehr sein Pferd warf, verging ihm jedoch der Athem. Er ließ die Pfeife ans dem Munde fallen. Die heftige Bewegung riß die einzelnen Theile des treuen und geliebten Rauchapparats auseinander und diese flogen nun, von der Silberkette festgehalten, in lustigem Durcheinander ihm um Kopf und Schultern.

Leonore, ihre Begleiterin, ein paar ältere Herren in Civil, eine Gruppe Officiere, die am Rennen nicht Theil nahmen, lösten sich nun ebenfalls von dem Schwarme der rothen Wettrenner ab; in gestrecktem Trabe folgten sie den bereits vorausgeeilten Preisrichtern, aber nicht um den Winpost, sondern um auf geradem und gebahntem Wege eine Stelle der Bahn zu erreichen, wo das in Aussicht stehende Schauspiel den höchsten Grad des Interesses, seine spannendsten Scenen entwickeln sollte. Die ausgesteckte und mit Fahnenstangen bezeichnete Bahn, die sich in einem Halbkreis über ein sehr coupirtes Terrain zog, in welchem es Hindernisse genug zu überwinden gab – Umzäunungen, Gräben, frisch aufgepflügtes Ackerland, eine sumpfige Wiese,– hatte an der erwähnten Stelle nämlich ihr Haupthinderniß. Die Reiter mußten hier zuerst eine ziemlich steile Anhöhe herunter, dann einen Graben und eine Wallhecke überwinden, und an der andern Seite der Wallhecke einen zweiten Graben, der sehr breit und wassergefüllt war, überspringen.

An diese Stelle der ausgesteckten Bahn also begaben sich die Damen mit ihren Begleitern, um hier Zeugen des Minder oder Mehr von Heroismus zu werden, womit Roß und Reiter das Hinderniß zu besiegen verstanden. Als Leonore mit ihrem Gefolge an diesem Ziele angekommen war, faßte sie Posto zur Seite der Bahn, auf der Anhöhe, also an einem Punkte, wo sich die zu erwartende Scene am besten überschauen ließ, während man zugleich den Vortheil hatte, die Wettrenner schon eine gute Strecke weit daher kommen sehen zu können.

Vielleicht eine Viertelstunde lang hatte die Reitergruppe mit den Damen in der Mitte voll Spannung an dieser Stelle geharrt; eine Hornfanfare, das Zeichen zum Abreiten, war längst durch die frische Herbstluft aus der Gegend des Schlosses herübergeklungen. Es konnte nicht lange mehr dauern, bis die ersten der wettrennenden Herren auftauchten und sichtbar wurden. Und sichtbar wurden sie denn auch, rothschimmernd, bald in langen Sätzen forcirten Galops heranbrausend, bald in vorsichtig gemäßigterer Gangart, aber mit kühner Todesverachtung sich über die Hindernisse schnellend.

Ein an solche Entwickelungen von Gewandtheit und Kraft in Mann und Pferd nicht gewöhntes Auge mußte manche Leistung wirklich ganz unerhört finden; über Hecken und Zäune schnob die wilde Jagd einher, sie schleuderte sich über breite Gräben, als ob die Magie des todverachtenden Willens und Muthes den Einzelnen Flügel gegeben hätte. Es waren zwölf Herren gewesen, die sich bei dem ersten Klang der Hornfanfare von dem Anger in der Nähe des Schlosses in Bewegung gesetzt hatten. Ihrer neun schnoben lustig und unverletzt in nur kleinen Zwischenräumen an Leonoren und ihrer Gruppe vorüber. Nur drei also auf der ganzen Strecke hatten irgend ein kleines Unglück erlitten; der Phantasie der Zuschauer blieb die völlige Freiheit, es sich auszudenken; aber zwischen den beiden äußersten Enden der Gefahrenscala, dem Reißen eines Zügels oder eines Gurts und dem Brechen eines Halses mußte es jedenfalls liegen.

Die Gruppe von Zuschauern auf der Hügelerhebung hatte jedoch wahrlich die Zeit nicht, sich um die Zurückgebliebenen viel zu kümmern; denn Diejenigen, welche noch mit völlig heiler Haut an ihr vorüberstürmten, boten einen Anblick dar, der viel zu spannend und fesselnd, um nicht alle Aufmerksamkeit ganz und gar für sich in Beschlag zu nehmen. Unter den Ersten, welche herankamen, war Bewerungen; er hatte ein vortreffliches Pferd, das vor keinem Hinderniß stutzte und sich aufnahm wie ein Schulpferd in der Reitbahn unter einem Kunstreiter, so leicht und regelrecht geschah es. Etzelstein war ziemlich weit hinter ihm zurück, entweder weil sein Pferd mit dem Bewerungens nicht wetteifern konnte, oder weil Etzelstein das Feuer desselben gemäßigt und es zurückgehalten hatte, um seine Kräfte zu schonen und dieselben für den letzten Theil der Aufgabe aufzusparen. In dem Raume aber, den Leonorens Auge überschaute, schien Etzelstein es darauf angelegt zu haben, die Andern alle zu schlagen und plötzlich die Spitze zu nehmen. Etzelstein brauste jetzt mit wunderbarer Schnelligkeit daher, die Anhöhe hinab, als ob für ihn keine Gefahr in der Welt sei. Als er mit Leonoren und ihrer Umgebung auf gleicher Linie angekommen war, wandte er ihr das Gesicht zu; hochgeröthet glänzte es in wunderbarer, ganz eigenthümlicher Schönheit.

Der blickt ja hierhin wie ein zürnender Gott! rief die Cousine Leonorens aus – im nächsten Augenblick waren Roß und Reiter unten am Fuße der Hügelsenkung angekommen und im Angesichte des Haupthindernisses.

Graf Burkhard Etzelstein war in der That der Erste geworden, der vor dem Graben und der Wallhecke ankam. Der Zweite hinter ihm war Bewerungen.

Etzelstein nahm sein Pferd auf und drückte ihm die Sporen in die Weichen; es hob sich auf den Hinterfüßen, wie von einer Herkulesfaust emporgerissen – aber es setzte nicht, es weigerte den Sprung.

Die früheren Hindernisse, schien es, hatte es genommen, weil ihm andre mit dem guten Beispiele vorauf gegangen waren. Jetzt, wo es sich an der Spitze befand, schien sein Muth vor diesem größten Satz, der ihm angesonnen wurde, zu schwinden. Es warf sich auf die Seite und machte Miene, linkshin zur Bahn hinaus zu brechen. Wie mit einer eisernen Gewalt warf Etzelstein es herum; er sah Bewerungen neben sich; wollte er ihm den Ruhm nicht gönnen, der Erste zu sein, der hinüberflog – genug, er führte noch einmal das wiederspenstige Thier schnurstracks auf das Hinderniß zu, er hob es, er stieß ihm die Sporen in die Seiten – aber das Pferd hob sich nur, ohne zu setzen. Es stieg steilrecht in die Luft. In dieser Stellung balancirte es eine, zwei Sekunden lang, während deren der Athem in der Brust der Zuschauer stockte und dann, im selben Augenblick, in welchem Bewerungens Pferd den Satz folgsam machte und wohlbehalten auf der Höhe der Waldhecke ankam, um gleich darauf an der andern Seite sich ebenso glücklich über den zweiten Graben fortzuschnellen – in demselben Augenblick schlug Etzelstein's Thier nach hinten über.

Roß und Reiter lagen am Boden; der Reiter, wie es schien, unter dem Pferde, das sich heftig bewegte und mit den Füßen arbeitete, um wieder in die Höhe zu kommen; im nächsten Augenblick war es in der That wieder auf den Beinen und galopirte nun scheu und wild querfeldein.

Die Gruppe auf dem Hügel, ihnen Allen voran Leonore, eilte dem Schauplatz des Unglücks zu, auf welchem Burkhard Etzelstein regungslos da lag.

Ein furchtbarer Anblick bot sich ihnen dar. Etzelstein lag ohne alles Bewußtsein, die Augen geschlossen, das Gesicht auf das Entsetzlichste entstellt; bei den Anstrengungen, die sein Pferd gemacht, in die Höhe zu kommen, mußte es ihn mit einem seiner Hufe in's Gesicht getroffen haben – es hatte ihm dabei das Auge unrettbar verwundet, die linke Wange bis auf den Knochen aufgerissen, – es war in der That ein ganz grauenhafter Anblick, dieses zerfleischte, mit Blut überströmte Gesicht!

Ein lauter, ein markdurchschütternder Weheschrei ertönte – ein Schrei, so unsäglichen Jammer kündend, als ob er sich aus der Brust einer Mutter losringe, der man plötzlich ihr Kind erschlagen vor die Füße legte. Eine hohe Gestalt war mit der Schnelligkeit des Gedankens neben dem Bewußtlosen in's Gras gesunken, hatte sich über ihn geworfen und schluchzend, außer sich, umklammerte sie seine Brust und netzte sein blutiges Haupt mit einem Strom von Thränen.

Es war Leonore. Sie gebehrdete sich wie eine Verzweifelte; sie schien von Sinnen.

O erwache, erwache, schrie sie in einem fort, oder laß mich neben Dir sterben!

Ihre Cousine, die jetzt ebenfalls rasch aus dem Sattel geglitten war, umfaßte sie, sie wollte sie wegziehen – aber Leonore stieß sie zurück.

Laßt mich, laßt mich, rief sie aus – er ist mein, er ist mein, ich liebe ihn wie je ein Mann geliebt ist.

Mit erstaunten Blicken sahen sich die Anwesenden an; sie schauten bestürzt auf die Gruppe nieder und dann zu Bewerungen auf, der eben, weil ihm Niemand nachgefolgt war, den Weg über die Wallhecke zurück gemacht hatte, und mit erschrockenem Gesicht die Scene betrachtete.

Die Cousine faßte sich zuerst. Sie suchte mit ihrem Tuche das Blut zu stillen und rief nach einem Arzt. Von den Herren sprang einer hinzu, um ihr beizustehen; er holte Wasser in seinem Hut aus dem Graben und begann die Wunden zu waschen; er fand zuerst auch die Sprache wieder.

Beruhigen Sie sich – die Wunden sind nicht lebensgefährlich, sagte er, – Graf Etzelstein wird sogleich wieder zum Bewußtsein kommen – glauben Sie mir – aber scheuslich wird er aussehn sein Lebenlang!

Sein Lebenlang! rief Leonore, noch immer außer sich, – ja, das wird er, und weil er jetzt unglücklich und entstellt ist, darf ich es sagen, will ich es sagen vor aller Welt, daß ich ihn liebe, liebe bis in den Tod! Als er schön und glücklich war, hätte keine Marter mir dieses Geständniß entrissen – jetzt bin ich sein auf ewig!

Sie blieb neben dem Bewußtlosen knieend, über seine Brust hingeworfen, bis zwei starke Arme sie umfaßten und emporhoben und sie innig umschlossen. Es waren die Arme ihres Vaters, der mit feuchten Wimpern sein Kind an sich drückte.


Ein Paar Stunden später lag Burkhard Etzelstein, das Gesicht mit Tüchern umwunden, in einem halbverdunkelten Zimmer auf Schloß Welzenburg; man hatte ihn auf ein weiches Lager gebettet, und zu Häupten dieses Lagers, seine Hand in der ihren, saß Leonore. Auf einem Tabouret am Fußende hatte der Baron sich niedergelassen.

Sie liebten Leonore, sagte er vorwurfsvoll zu dem Verwundeten, der jetzt sorgfältig von einem Arzte verbunden war und mit ruhiger Fassung zu reden begonnen hatte – Sie liebten Leonore und Sie sagten es nicht. Sie ließen sie ruhig einer Verbindung entgegen gehen, in der sie nicht glücklich werden konnte!

Ahnte ich das? antwortete Etzelstein leise mit einem schmerzlichen Lächeln. Und dann, durfte ich um sie werben?

Und weshalb durften Sie es nicht?

Weil ich arm bin.

Arm?

Arm, sehr arm – ich habe nichts als meinen Namen, und die Philosophie, die mich als Einsiedler leben ließ, war nichts als meine Dürftigkeit. Zum frohen Dasein meiner Genossen hatte ich einfach – kein Geld! Durfte ich deshalb um die reichste Erbin im Lande werben?

Ich verstehe Sie, antwortete der Baron – Sie waren zu stolz, wie meine Tochter zu stolz war, ihre Liebe für den schönen und glänzenden Burkhard Etzelstein zu gestehen. Jetzt …

Wo er entstellt und hülflos ist, fiel Leonore, sich über den Verwundeten.beugend, ein, liebt sie ihn doppelt, und kündet es freudig aller Welt!

Der Baron Küchenmeister von Sontheim blieb nicht zurück mit dem Geständniß, daß er von Anfang an sich Burkhard zum Schwiegersohn gewünscht, und dann ging er, um den beiden jungen Leuten Zeit zu lassen, sich ihre Geständnisse zu machen; wie sie sich geliebt vom ersten Augenblick an, da sie sich gesehen; wie Leonore Bewerungens Bewerbung nur im zornigen Schmerz über des Geliebten eisige Kälte angenommen; wie Burkhard im Gram über sein Loos, das ihn von den Ansprüchen auf Leonorens Hand hoffnungslos ausgeschlossen, zu vergehen geglaubt.

Und während sie so in namenlosem schmerzlichen Glück die Fülle der Gefühle vor einander ausschütteten, bis endlich der Arzt eintrat und Burkhard alles Sprechen, alle Aufregung untersagte – während deß beschäftigte sich Baron Küchenmeister von Sontheim lange und höchst angestrengt mit der wenig heiteren Aufgabe, Viktor von Bewerungen im Namen seiner Tochter »abzuschreiben.«

Bewerungen war zu gescheidt, um nicht auf eine ganz taktvolle Weise gute Miene zum bösen Spiel zu machen und einen sehr anständigen Rückzug zu nehmen. Es wurde ihm erleichtert dadurch, daß das Ende der Manöver gekommen, und daß Burkhard Etzelstein für immer in Welzenburg zurückblieb – seine Verwundung war dergestalt, daß er sofort seinen Abschied nehmen mußte. Wurde auch sein Gesicht leidlich wieder hergestellt, so blieben doch gräuliche Narben und das linke Auge blieb verloren!

Statt des so verhängnißvoll gestörten glänzenden Verlobungsfestes wurde auf Schloß Welzenburg sechs Wochen später ein ganz einfaches, stilles, im Kreise der Verwandten und Nachbarn gefeiert. Ein Jagdrennen fand nicht dabei statt – das ist überhaupt seit jenem Tage auf den Küchenmeister von Sontheim und heute Etzelsteinschen Gütern nicht mehr gehalten worden.

.


 << zurück