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Die Husarin.

Novelle.


I.

Henriette von Lombeck war die Tochter eines Officiers, der bei einem Husaren-Regiment stand, dessen Garnison eine norddeutsche Provinzialstadt mittlerer Größe war. Als das junge Mädchen zum ersten Male das Licht der Welt erblickt hatte, war gerade das Regiment, von einer Uebung kommend, am Hause ihrer Eltern vorübergezogen, mit wehenden Standarten und mit klingendem Spiel. In diesen kriegerischen Fanfaren, welche lustig schmetternd das junge Mädchen bei ihrem Eintritt in das Leben begrüßt hatten, lag etwas für ihr ganzes Wesen und ihre spätere Entwickelung Bedeutungsvolles.

Aus der kleinen, so militairisch salutirten Henriette war nämlich im Laufe der Zeit eine vollständige, lustige, übermüthige Husarin in die Höhe gewachsen. In die Höhe sagen wir, denn sie war groß und schlank, und es konnte keinen anmuthigeren Anblick geben, als diese prächtige Figur neben ihrem Vater auf dem schönsten Pferde desselben durch die Alleen galopiren zu sehen, welche an der Stelle der alten Festungswerke als friedliche Promenaden ihren Wohnort umgaben.

Auch war Henriette sehr oft zu Pferde. Wenn das Regiment seine Uebungen draußen auf der Haide abhielt, so sah man sie stets im Gefolge desselben. Die Manoeuvres im Herbst nahmen ihre Aufmerksamkeit in höherem Grade in Anspruch als alle Casinobälle des Winters; und während der schmerzlichste Herzenskummer andrer jungen Damen dadurch veranlaßt wurde, daß irgend ein liebenswürdiges Mitglied des Officiercorps auf der Bahn eines soliden Lebenswandels aus dem richtigen Tempo fiel, oder eine falsche Schwenkung machte, so bildete es Henriettens Kummer ganz allein, wenn die Schwadron ihres Vaters eine falsche Schwenkung machte, oder etwa bei einem Frontangriff im Galop schmählich in's Durcheinander gerieth.

Die Individuen besagter Schwadron wie des gesammten Regiments kümmerten sie dabei im Ganzen wenig; obwohl der »Lieutenant« ihr sehr emsig und wetteifernd den Hof machte und obwohl sie mit demselben auch auf einem recht freundschaftlichen Fuße stand, der etwas von kameradschaftlichem Wohlwollen hatte, so blieb sie doch den Einzelnen gegenüber durchaus unbefangen. Keiner konnte sich eines Zeichens besonderer Gunst rühmen; und für manchen dieser eleganten jungen Herren, die den schönen christlich-germanischen Sinnspruch: »ich dien« hauptsächlich im Sinne christlich-germanischer Frauenverehrung auffaßten, wäre es sehr demüthigend gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß Henriette von Lombeck sich daran gewöhnt hatte, sie jedesmal, wenn über die jüngsten Leistungen einer Schwadron gesprochen wurde, nach ihren Pferden zu bezeichnen, als seien diese die Hauptsache. Es war ja auch so viel kürzer und bequemer. Wenn andre Mädchen etwa sich ausdrückten: »Der Lieutenant von Steuplitz-Wilhorsky, der auf dem hübschen Lockenkopf den Kalpak so graziös trägt, hat sein Pferd heute reizende Courbetten machen lassen«, gab Henriette diesen Gedanken mit den Worten wieder: »Der Brandfuchs-Lieutenant wird sein Pferd nächstens mit den unnützen Stallmeistereien zu Schanden geritten haben!«

Der Vater Henriettens, der nach und nach zum Rittmeister erhoben worden war und die dritte Schwadron commandirte – nebenbei gesagt, die best eingeübte im ganzen Regiment, Henriette wäre untröstlich gewesen, wenn sie sich nicht hätte sagen können, daß es die beste sei – war von sehr guter alter Familie, aber er war nicht reich. Er war ein wohlhabender Mann gewesen, als er in den Dienst getreten. Doch man kennt das Leben eines Militairs. Er war sehr oft versetzt worden und hatte mit Frau und Kindern sein Zelt in der einen Stadt abbrechen, in der andern wieder aufschlagen müssen, nachdem er kaum in der ersten warm geworden. Der Staat hatte ihm dabei eine Entschädigung gegeben von einem halben Thaler für die Meile der Entfernung des einen Orts vom andern. Er war auch von einer Waffengattung zur andern, und von der andern zur dritten wieder versetzt worden. Solch ein Schicksalswechsel verlangt jedes Mal ein vollständiges chan gement des décorations, das heißt, eine vollständige neue Ausrüstung, neue Uniformen, ja sogar neue Pferde; denn der Cürassier-Officier muß andere Pferde haben als der Husaren-Officier und Pferde – à qui les dites-vous! seufzt hier der berittene Leser – Pferde sind ein theurer Artikel.

Bei den Officiers-Diners des Regiments, an denen unser Rittmeister wöchentlich mindestens einmal Theil nehmen mußte – denn so oft war irgend eine ganz überflüssige Erinnerungsfeier, ein verdrießliches Jubelfest, ein langweiliger fremder durchreisender Stabsofficier durch ein Diner in corpore zu feiern – wurde außerordentlich viel Champagner vertilgt. Von dem Gehalt wurden so viel Abzüge für die Wittwencasse, Garderobecasse, die Regimentsmusik, die Bibliothek u. s. w. u. s. w. gemacht, daß es zusammenschrumpfte wie jener Käse, der vom Fuchse als Schiedsrichter getheilt werden sollte. Kurz, Herr von Lombeck war eben in der Lage so manches andern treuen Dieners des Staats, der das messing'ne Kreuz für fünfundzwanzigjährige tadellose Pflichterfüllung trägt.

Die erste Hälfte seines Vermögens hatte er schwinden sehen, während er sich bestrebt hatte, in den Dienst zu kommen, und die zweite war dahin gegangen, während er glücklich im Dienste war; wenn er beide Hälften zusammenrechnete, so war es so viel, daß er hätte von den Zinsen leben können, ohne irgend Jemandem in der Welt dienen zu brauchen!

Jetzt aber war er abhängig und mußte sich in alle Folgen dieser Abhängigkeit fügen. Dazu gehörte auch der Gedanke an die Zukunft seiner geliebten Tochter, welche viel zu lebhaften und indomptablen Geistes war, um jemals bestimmt werden zu können, eine Vernunftheirath um ihrer Versorgung willen zu schließen.

Glücklicherweise hatte sie ein Talent. Es war das musikalische. Auf die Ausbildung desselben wurde deshalb von ihren Eltern verwandt, was irgend darauf verwandt werden konnte. Henriette hatte auch Zeiten, wo sie mit leidenschaftlichem Eifer sich ihren musikalischen Hebungen unterzog. Sie faßte sehr leicht, sie sang und spielte mit großem Gefühl; mit einer, wir möchten sagen stürmischen Beherrschung des Instruments, des Piano's, spielte sie die schwierigsten Stücke – aber sie spielte nicht correct, sie brachte es nicht zu dem, was so wesentlich war, wenn sie auf ihre musikalischen Talente sich eine Zukunft als Künstlerin aufbauen wollte; sie überhüpfte in ihrer Lebhaftigkeit von Zeit zu Zeit einige Noten und mitunter galopirte sie über die Tasten, ohne in ihren Stücken das zu sein, was sie von ihren Husaren doch so unerläßlich verlangte – sattelfest.

Wie dem aber auch sei – das Schicksal Henriettens nahm in ihrem zwanzigsten Jahre eine Wendung, welche ihre Eltern über alle Sorge um ihre Zukunft vollaus beruhigen mußte.

Das Regiment nämlich verlor seinen Chef, der zum Commando einer Brigade berufen wurde und ein neuer Obrist hielt seinen Einzug. Dieser, ein Baron Ehrenfeuchter, war ein alter Junggeselle, der bis jetzt allen weiblichen Verführungen unzugänglich gewesen war, so viel derselben den stattlichen Reuterofficier, der eine rasche Carriere gemacht, auch in seinem Leben umgeben hatten. Jetzt war er allmälig gealtert, er war ein erklärter Hagestolz und die weiblichen Verführungen hörten deshalb auf, ihn zum Ziele des Angriffs zu machen.

Empfand unser tapfrer Obrist das, und spürte er, daß das reifere Alter eine kühle Zone um ihn her lege, in welcher er sich unbehaglich zu fühlen begann, in welcher etwas ihm zu fehlen anfing, was er in der Jugend in einem solchen Maße besessen, daß er nicht daran gedacht, dieser Schatz könne je ausgehen – nämlich die heitre Laune, das Ausgefülltsein jeder Stunde mit angenehm beschäftigenden Gedanken, und vor Allem das Bewußtsein, begehrenswerth und begehrt zu sein? Es mußte wohl so sein; vielleicht vertrug es der cidevant schöne junge Mann nicht, jetzt nicht mehr als solcher umworben zu sein.

Aber weshalb psychologische Motive für einen Schritt suchen, der so ganz einfach sich durch die Erscheinung und die Liebenswürdigkeit unserer Heldin erklärte? War der frische, rosige, mit so muthigen Blicken aus den schönen blauen Augen in die Welt blickende Lockenkopf unsrer schlanken Henriette nicht im Stande, für sich allein und ohne alle Psychologie das Herz eines Husaren – Obristen zu erobern und einen Eheverächter zu bekehren? Denn dies eben war, was geschah. Baron Ehrenfeuchter machte von der ersten Stunde an, in welcher er Henriette sah, dem verführerischen Mädchen den Hof und nach Verlauf von sechs Wochen hielt er nun um ihre Hand an.

Henriette besann sich keinen Augenblick, diesen Antrag anzunehmen. Ob sie den Obrist liebte, darüber mochte ihr jugendliches Herz nicht ganz im Klaren sein; aber um ihn auszuschlagen, dazu liebte sie viel zu sehr – das Regiment.

Die Trauung fand statt, sobald die nächsten Herbstübungen vorüber waren.


II.

Drei Jahre waren verflossen, seit Henriette von Lombeck Frau Obristin von Ehrenfeuchter und damit zugleich etwas wie eine Regiments-Inhaberin geworden. Die junge Frau war glücklich, wie es sich nur erwarten ließ, an der Seite eines biedern, überaus gutmüthigen Mannes. Dieser hatte sich freilich in seinem langen, hagestolzen Leben in einem solchen Maße seine besonderen Allüren und seine Art zu sein angewöhnt, daß er sich in ein inniges Zusammenleben auf gemüthlichem Familienfuß, worin Einer dem Andern seine Gewohnheiten opfert, nicht mehr fand.

Daher kam es, daß beide Ehegatten ziemlich fremd, jeder auf seine eigene Weise lebten. Baron Ehrenfeuchter stand sehr früh auf und legte sich früh nieder; die Baronin erhob sich sehr spät und kehrte sehr spät aus den Gesellschaften zurück, welche sie regelmäßig dann besuchte, wenn sie darauf rechnen durfte, musikalische Genüsse darin zu finden. Baron Ehrenfeuchter nahm gewöhnlich allein sein Souper ein, ohne auf die Rückkehr seiner Gattin zu warten, welche er einen »unsicheren Cantonisten« zu nennen pflegte, wogegen sie ihn ihre liebe »alte Kriegsgurgel« nannte, die nichts von der fesselnden Allmacht einer Beethovenschen Symphonie verstehe, und seinen musikalischen Geschmack mit dem Sprüchlein charakterisirte:

A Trompetten, wann man's g'wöhnt
Ist a sanftes Instrument!

Die Liebe für die Musik hatte sich nämlich in Henrietten nur noch gesteigert, seit nicht mehr die Uebung in der Kunst nicht zugleich auch eine Art Pflichterfüllung für sie war. Das tiefe Gefühl für die Musik legte auch eine gewisse mildernde Harmonie über ihren Charakter, der sonst vielleicht zu keck, zu unabhängigkeitsdurstig, zu soldatesk für eine junge Frau erschienen wäre.

In diese Harmonie mischte sich nach und nach sogar etwas von einer elegischen Stimmung, wie es bei wahrem und innigem Verständniß für irgend eine Kunst nicht ausbleiben kann. Es wurde nach und nach offenbar, daß in ihrer Seele nicht immer nur lustige Reuterlieder wiedertönten, sondern daß auch weichere Mollklänge darin durch die Saiten des Herzens zitterten, ohne doch ein zu lautes Spiel bewußter Empfindungen wach zu rufen. Wären diese Empfindungen wach und bewußt geworden, so wären sie wahrscheinlich in dem melancholischen Selbstgeständnisse Henriettens ausgeklungen, daß es doch nicht die tiefsten Bedürfnisse einer weiblichen Seele ausfüllen könne, wenn sie auch die glückliche Commandantin des schönsten Husaren-Regiments der Armee sei, ein schöneres Pferd als die Prinzessin Schönholm, die in der Nähe auf einem Landsitze wohnte, reite, und sich die Schwadron mit schmetternder Musik im Sommer täglich am Balcone ihres Hauses vorüberführen lassen könne – militairisch salutirt von sämmtlichen vier Rittmeistern und dem gesammten Lieutenant, ohne der »alten Kriegsgurgel« und ihres Adjutanten zu erwähnen, von denen es sich von selbst versteht. –

Im Frühlinge 18** wurde die Stadt, welche der Garnisonsort des Regiments war, in nicht geringe Aufregung versetzt durch die Erscheinung eines concertgebenden Pianisten von europäischem Ruhme. Dieser glückliche Künstler, der mit seiner Macht über die Töne heimathlos durch die Länder schwärmte, beinahe wie einer jener räthselhaften Naturtöne, die durch die Lüfte zittern, ohne daß man weiß, von wannen sie kommen und wohin sie gehen, kam über die Gesellschaft von O. herein wie ein morgenhafter weckender Memmonsklang. Er rief wach das musikalische Gefühl in den Herzen der Männer, Schwärmerei und Begeisterung in den Herzen der Frauen, die ersten Schwingenschläge der Leidenschaft in den Herzen der jungen Mädchen und Bewegung, Interesse, Eifer in der stagnirenden Gesellschaft von O.

Signor Morosini gab sich für einen Italiener und verrieth auch in seiner äußern Erscheinung den Sohn des melodienreichen Südens. Er hatte einen schönen Kopf mit stark vorgewölbter Stirn, sehr braunen Teint, dunkle, mandelförmig geschnittene Augen mit langen, schwarzen Wimpern und ein edles Gesicht, welches jedoch die Spuren der erschöpfenden Anstrengungen und ermüdenden Aufregungen trug, die sich im Leben eines solchen Künstlers stets aneinander ketten. Seine Gestalt aber war unschön; diese breitschultrige Figur mit den mandrillhaft langen Armen und den breiten Händen daran war nichts weniger als anmuthig. Und wenn Arthur Schopenhauer als Grundbedingung für das Entstehen eines Kunstgebildes erklärt, daß der platonischen Idee, oder einfach ausgedrückt, dem Objecte der Leistung, das Subject, also der darstellende Künstler entspreche, so war unser Pianist eine lebendige Erläuterung dieser Philosophie; man brauchte als Object seiner Kunst nur den Mahagony-Flügel zu betrachten, dem er seine Inspirationen einhauchte, und es war unverkennbar, daß beide, Object und Subject, gleich braun und gleich eckig seien. –

Morosini hatte bei der Obristin von Ehrenfeuchter einen Besuch gemacht und Henriette hatte ihm zu Ehren eine große Soirée veranstaltet. Seine Erscheinung hatte einen großen Eindruck auf sie gemacht, und zwar den ersten Eindruck, welchen sie in ihrem Leben empfangen, ohne ihn laut und unbefangen auszusprechen. Sie war stille und schweigsam geworden unter allen den Entzückungsrasereien ihrer Bekannten, nachdem Morosini sein erstes Concert gegeben.

Fehlten ihr die Worte, um das auszusprechen, wofür alle Andern einen ganzen Schwall von Worten, es auszudrücken, hatten? Nein, das war es nicht, was ihrer Stirn den Stempel eines milden Verklärtseins, ihren Augen das Glänzen einer elegischen Schwärmerei, aber ihren Lippen, die sonst so beredt waren, das Siegel der Verschwiegenheit gaben. Es war etwas Anderes, etwas ganz Eigenes. Jene Stimmung nämlich, jenes Schwelgen in süßmelancholischen und himmelaufjauchzenden Empfindungen, in wollüstigen und in schwermüthigen Emotionen, welches die andern Zuhörer entzückte, so lange Morosini seine zauberischen Töne, bald wie ein Engel des Lichts, bald wie ein Dämon der Nacht aus den Tasten lockte – dieses Schwelgen, diese Empfindungen hörten bei Henriette mit seinem Spiel nicht auf. Es klang etwas von ihnen fortwährend in ihrer Seele nach, so oft und so lange sie ihn sah und reden hörte; es war ihr, als ob der merkwürdige Künstler ewig in einem Lichtkranz, der Melodien aushauchte, wandelte.

Und so kam es, daß dieser Mann, der so wenig von dem Ideale hatte, welches sie sich bisher von einem Manne gemacht – der sicherlich auf einem Pferde mit den Armen und Beinen schlenkerte wie ein Polichinell, der statt der reglementsmäßigen Haltung und der propren Adjustirung eine geniale Nachlässigkeit in seinem ganzen Wesen an den Tag legte – daß, dieser Mann eine Revolution in ihrem Innern hervorbrachte und ihr inneres Auge für eine Welt des Gemüths öffnete, welche ihrer jungfräulichen Seele bis jetzt vollständig verschlossen geblieben war. –

Henriette hatte Morosini einige Male gesprochen und in den Gesellschaften gesehen, welche man ihm zu Ehren veranstaltet. Er hatte sie nicht ausgezeichnet und sie selbst war sehr unzufrieden mit den dürftigen und geistlosen Worten, die sie geantwortet hatte, wenn er mit ihr geredet.

Heute Abend, bei der Soirée in ihrem Hause, war er wie gewöhnlich umringt und der Mittelpunkt einer lebhaften und beinahe lärmenden Unterhaltung, woran Henriette Theil zu nehmen durch ihre Obliegenheiten als Wirthin verhindert war. Diese Verpflichtungen wurden ihr plötzlich ganz unerträglich. Es kam ein unabweisbares tiefes Bedürfniß nach Einsamkeit und Sammlung über sie. Verstimmt und beinahe traurig nahm sie endlich allein in einem Divan Platz, welcher einen Winkel ihres Boudoirs ausfüllte, das neben dem großen Salon lag.

Nach einer Weile hörte sie, wie in dem einen Salon, wo der Flügel stand, die Tasten angeschlagen wurden. Ein leises Zittern ging durch ihre Nerven. Nicht Freude ergriff sie in diesem Augenblick, daß der Virtuose nun beginnen werde, durch eine seiner zauberhaften Improvisationen alle Hörer hinzureißen. Es war eher ein ängstliches Gefühl, welches sie ergriff. Es war ihr, als werde das beginnende Spiel etwas in ihr wachrufen, was sie scheute, etwas Fremdes, Unbekanntes, Unseliges. Aber dieses Vorgefühl sollte sich nicht erfüllen. Morosini begann nicht zu spielen. Eine junge Dame der Gesellschaft begann zu singen, eine lange, ganz ungefährliche Bravour-Arie, und den Tönen, welche sie auf dem Flügel begleiteten, hörte man auf der Stelle an, daß sie nicht die des berühmten Virtuosen seien.

Im nächsten Augenblick wurde Henriette überrascht durch die Erscheinung Morosini's neben ihr. Er trat stille in ihr Boudoir und mit einem Seufzer warf er sich in einen zur Seite ihres Divans stehenden Sessel.

Ach, wie ist es schön, wie ist es ruhig und stille hier, meine Gnädige, sagte er – unter Ihren Bildern, Blumen und Büchern – zürnen Sie einer müden Seele nicht, wenn sie hier Ihre Einsamkeit unterbricht – es thut so wohl, zu rasten!

Eine müde Seele nennen Sie sich – Sie, der ein wahrer Feuergeist ist, und dessen Seele unerschöpflich und ewig in Ausbrüchen strömt, wie ein Vulkan?

Morosini sah sie mit einer Art schwermüthigen Lächelns an.

Glauben Sie das, meine gnädige Frau?

Muß man es nicht? Sind Ihre Phantasien nicht wie flammende Lavaströme, die Ihnen immer zu Gebote stehen, so oft man Sie bittet, den Flügel zu öffnen? Andre Künstler haben ihre Stimmungen abzuwarten, ihre Stunden, wo, wie sie es nennen, der Kuß der Muse sie trunken macht; Sie brauchen das nicht, Sie kennen nicht die Ebbe, nur die immer gleich hochgehende Fluth freudiger Begeisterung!

Morosini stützte seinen Arm auf die Lehne des Sessels, und indem er coquett seine wohlgepflegte Hand in seinen kastanienbraunen Locken begrub, antwortete er:

Wissen Sie, daß Sie mich traurig machen?

Traurig? Und wodurch?

Ich möchte verstanden sein. Nicht gerade von Allen. Aber … von Wenigen mindestens! Und ich sehe, daß ich es nicht bin, von Niemanden!

Sie glauben, wir verständen hier Ihr Spiel nicht, wir wüßten uns den Inhalt desselben nicht zu dolmetschen, unsre armen, beschränkten Provinzialseelen waren nicht der Resonanzboden, in welchem Ihre Töne ein richtiges und würdiges Echo fänden?

O wie falsch legen Sie da meine Worte aus – mehr als falsch, förmlich boshaft!

Was klagen Sie denn?

Ich klage nicht. Um zu klagen, muß man noch hoffen – hoffen, daß die Klage erhört werde. Ich habe verzichtet!

Verzichtet? Und worauf?

Worauf? O, welches Geständniß verlangen Sie da – soll ich antworten auf eine Frage, die mit einem einzigen kurzen Wort gestellt wird und doch mit tausend noch nicht beantwortet ist? Ich habe verzichtet auf das Glück.

Sie, inmitten einer Laufbahn des Triumphs, umgeben von Bewunderung, getragen von Huldigungen?

Bilden die das Glück?

Kann ein Mann mehr Glück fordern vom Leben?

Ein Mann, sagen Sie – also Sie räumen ein, daß eine Frau es könnte!

Henriette blickte nieder, ohne gleich eine Antwort zu finden. –

Sie räumen es ein, fuhr der Virtuose fort. Nun wohl – so denken Sie nur, daß das wahre Glück eines und dasselbe sei für den Mann und die Frau, und Sie verstehen, welches Glück es ist, von dem ich rede, auf das ich verzichtet habe.

Aber gesetzt, fiel Henriette ein, Sie hätten Recht darin, sich ohne Glück zu nennen, weshalb dann überhaupt darauf verzichten? Weshalb dann nicht es suchen?

Weil es unerreichbar ist.

Für einen Mann sollte etwas unerreichbar sein, was er erreichen wollte?

Nein, wenn er will. Aber es giebt Existenzen, die nicht wollen dürfen.

Das verstehe ich nicht.

Wohl Ihnen! versetzte der Virtuose mit tiefem Seufzer.

Das klingt wie Spott, es wäre besser, Sie erklärten es mir!

Sehen Sie, antwortete Morosini, unser Schicksal ist die Heimathlosigkeit. Wir sind nicht bloß deshalb heimathlos, weil unsere Verhältnisse uns unstät von Ort zu Ort treiben, weil wir im Dienst unsrer Dame, der Kunst, die irrenden Ritter des neunzehnten Jahrhunderts sind. Nein, wir sind es auch in einem höheren Sinne, weil unsere Empfindungen, unsere Gedanken, unser ganzes Wesen in steter und ewiger Bewegung ist, wie ein fließender Strom, der bald die friedlichsten und lachendsten Thäler, bald die wildesten Schluchten und Felseneinsamkeiten durchzieht; der bald die hellste Sonne spiegelt, bald den düstersten Gewitterhimmel schwarz und dunkel wiedergiebt; der aber nirgends weilen darf, immer weiter, weiter rollen muß, bis an ein Ziel, wo ihn die Vernichtung umfängt. Sie hören das Schmettern der Lerche und den süßen Trauerton der Nachtigall durch unsere Phantasien. Sie hören darin auch den wehklagenden Schrei des einsamen Adlers, der über öden Alpenketten durch eine Region von unermeßlicher Verlassenheit schwebt. Sie hören darin das erschütternde Heulen des Sturmes um Ruinen und Trümmer, worin sich die Schmerzensschreie verlorener Seelen zu mischen scheinen, die im Jenseits statt des Alles, das sie zu finden hofften, das Nichts fanden, das immer der große Abgrund ist, in dem unsere edelsten Aspirationen, und unsere begeistertsten Bestrebungen versinken; das Nichts, welches einst diese ganze Welt von Schönheit und von Schmerz, dies Gemisch von Himmel und von Hölle, das man eine Menschenseele nennt, verschlingen wird. Aber wie würde der Künstler Alles das durch seine Werke tönen lassen können, wenn er es nicht Alles selbst in sich trüge? Sehen Sie, das ist, was ich das innere Vagabundenthum nenne, dem wir verfallen sind, dem wir nicht entsagen können, nicht entsagen wollen dürfen, um uns nicht selbst aufzugeben – dies Hin- und Hergeworfensein, durch alle Regionen der Empfindungen, von Lust zu Leid, von Schmerz zu Entzücken, von einem Pole der Gedankenwelt zum andern.

Henriette hatte, während der Virtuose so sprach, ihm mit größter Spannung zugehört. Sie mußte sich gestehen, daß sie den Zusammenhang dieser Schilderung der Künstlernatur mit dem völligen Verzichten auf alles Lebensglück, das daraus als eine Nothwendigkeit folgen sollte, nicht recht faßte; und doch scheute sie sich, durch eine Frage weiter in eine Gemüthswelt einzudringen, die sich vor ihr wie eine fremdartige, magische Region voll neuer und ungeahnter Dinge öffnete und eine Anziehungskraft auf sie übte, in welcher etwas unendlich Verführerisches und Gefährliches lag.

Wenn Sie über die Bedingung des Künstlerthums, unstät in allen Stimmungen und Gefühlen sein zu müssen, klagen, sagte Henriette nur nach einer Pause, so wäre das Glück, welches ein Künstler zu erstreben hätte, das, einen Ruhepunkt zu gewinnen, zu welchen er immer wieder aus den verschiedensten Stimmungen zurückkehren könnte.

Einen Ruhepunkt, einen Hafen, mit einem Wort ein Herz – rief Morosini schwärmerisch aus – das freilich wäre es –

Müßte es ein Herz, könnte es nicht auch eine Ueberzeugung, ein Glaube, ein Princip, dem der Künstler sich männlich mit voller Seele hingäbe, sein?

Morosini schüttelte seine braunen Locken.

Sie unterscheiden da wieder zwischen einem männlichen Glück und einem weiblichen, versetzte er lächelnd; von den Männern sagt man ja, daß sie glücklich sein könnten in der Hingabe an ein Princip, an einen Glauben, an ein bestimmtes Ziel ihres Strebens – aber meine Gnädigste, glauben Sie mir, man sagt es auch nur! – Es ist nicht möglich, wahrhaft glücklich zu werden auf einem so abstracten Wege. Ich wenigstens könnte es nur durch die Begegnung mit einer großen, warmen Seele! – Aber dann wieder würde ich ja gerade doppelt unglücklich. Der Verzicht im Allgemeinen ist noch leichter, als der Verzicht auf ein bestimmtes, vor uns liegendes, unsere ganze Seele mit heißen Wünschen füllendes Gut.

Aber um Gotteswillen, rief Henriette mit naiver Verwunderung aus – weshalb müßten Sie denn immer nur verzichten? Mir scheint die Resignation auf Etwas, das nach allen innern Stimmen unseres Wesens uns gehört, für das wir uns geschaffen fühlen, in welchem wir das Glück unserer Zukunft sehen, – eine solche Resignation scheint mir weder groß noch edel, denn es liegt darin ein Mangel am Besten, an – Muth!

Signor Morosini schüttelte abermals höchst melancholisch sein braunlockiges Haupt.

O meine Gnädigste, sagte er mit einem tieftraurigen Gesicht, welcher Muth wäre dazu erforderlich, ein anderes Wesen in die unglückseligen Kreise einer solchen stürmischen Gemüthswelt reißen zu wollen? Dürfen wir einem geliebten Herzen ansinnen, es solle mit uns in diesem leidenschaftlich bewegten Elemente verharren, bald uns in die tiefsten Abgründe der Schwermuth und der Hoffnungslosigkeit folgen, bald auf die hochgehenden Wogen unaussprechlicher Anschauungen und Gefühle? Würden Sie es Muth nennen? Ich würde es einen unentschuldbaren Egoismus nennen, der frevelnd eine stille, keusche Seele aus ihrem friedlich umgrenzten und neidenswerthen Glücke risse. Nein, meine Gnädigste, schloß Morosini seine Rede mit sehr pathetischem Ausdruck, nein, es ist unser Einem nicht beschieden, das Glück auf Erden zu finden – ohne fesselnde Bande, ohne eigenen Heerd, ohne Heimath müssen wir weiter und weiter ziehen – elend wie der ewige Jude!

Henriette schwieg und nach einer Pause, während der sie seine Augen glühend auf sich ruhen gefühlt, erhob sie sich. Sie durfte dies Tête-à-tête nicht verlängern, um nicht aufzufallen und die Pflichten der Wirthin gegen ihre andern Gäste nicht zu vernachlässigen. Aber die Reden des Virtuosen hatten einen unbeschreiblichen Eindruck auf sie hervorgebracht. Sie blieb den ganzen Abend hindurch zerstreut und schweigsamer als sie je in einer so belebten Gesellschaft gewesen. Ein tiefes Mitleid mit dem Schicksal des gefeierten, bewunderten Mannes hatte sich ihrer bemächtigt. Seine Verzichtleistung auf Glück erschien ihr in dem Lichte eines unaussprechlich großen Edelmuths; die höchste Poesie schien ihr diesen Charakter zu umstrahlen, der so himmelhoch über allen den militairischen, subordinationsstrammen, reglementmäßigen Leuten stand, welche sie bisher hatte kennen lernen; der wie ein vereinsamter Adler über dieser ganzen Gesellschaft fortschwebte, in den sonnigen Regionen einer Zauberwelt von Gedanken, von Anschauungen, von Flügen stürmischen Seelenaufschwungs.

Als sie in den Salon zurücktrat, wie »fade, flach und unersprießlich schien ihr das ganze Treiben dieser Welt!« Die Frauen wurden nicht müde, dem Virtuosen, wohin er sich auch wandte, Schmeicheleien zu sagen, welche immer dieselben waren. –

Welche Seelengröße, dachte Henriette, gehört dazu, diese Redensarten immer mit derselben Güte und schmelzenden Liebenswürdigkeit anzuhören, wenn man so ganz andre Dinge im Herzen trägt!

Die Männer aber, die anfangs um des Anstandes willen ebenfalls eine Weile gekunstschwärmt hatten, waren allbereits sämmtlich wieder auf die Vorderbeine gefallen und sprachen von den Tugenden eines neuen Pferdes des Obersten und von den Lastern einer neuen Soubrette des Sommertheaters.

Henriette fühlte sich plötzlich wie fremd, wie ausgestoßen in dieser Welt, welcher sie so lange ungetheilt angehört hatte, in der sie bis jetzt sich glücklich gefunden.

Der Virtuose zog sich ziemlich früh zurück. Er senkte noch einen tief bedeutsamen Blick in das Auge Henriettens, als er sich ihr empfahl. Henriette erröthete dabei.

Ein kunstschwärmender Regierungsassessor, Herr von Lebezahn, hatte es sich nicht nehmen lassen, den Virtuosen heimzubegleiten. Als sie auf der Straße waren, fragte er Morosini:

Nun gestehen Sie mir einmal aufrichtig, wie finden Sie unsere Damenwelt?

Mon ami, antwortete Morosini, seinen Arm unter den des Assessors schiebend, Ihre Damen haben mir so viel Complimente gemacht, daß ich sehr undankbar wäre, mich nicht durch die unbedingteste Bewunderung zu revanchiren. Ich finde sie anbetungswürdig!

Spott!

Voller Ernst!

Wenn man so weit in der Welt umhergekommen ist, wie Sie –

Lernt man endlich Charaktere schätzen, die noch nicht blasirt sind, fiel lachend Morosini ein.

Das sind wir freilich noch nicht, Gott sei Dank! rief der Assessor aus.

Ich habe lange keine Dame kennen gelernt, fuhr der Virtuose fort, welche so viel unverholener naiver bonne foi zeigt, als diese Baronin Ehrenfeucht –

Ehrenfeuchter, wollen Sie sagen – unsere Wirthin von heute!

Feucht oder Feuchter, si vous voulez, – es ist höchst amüsant, ihr etwas vorzuplaudern, sie nimmt Alles, was man ihr sagt, mit einer entzückenden Andacht, au pied de la lettre.

Sie ist eine reizende Frau!

In der That, sie ist gar nicht übel, und so aufrichtig! Sie kommt mir vor, als ob ihr Herz noch von einem kindlichen Schlummer umfangen liege. Nun soll man freilich dm Schlaf eines Kindes nicht stören – aber man zupft ihm doch ein wenig am Ohrläppchen oder an seinen blonden Löckchen, man kann es eben nicht lassen! Es ist eine kleine dämonische Schadenfreude, die uns drückt.

Nehmen Sie,sich bei der Baronin in Acht! meinte der Assessor.

Weshalb?

Sie würde sehr leidenschaftlich werden können, glaube ich, wenn sie einmal erwachte!

Darin sehe ich nichts Bedenkliches! Im Gegentheil, desto besser. Lieben Sie die Weiber nicht leidenschaftlich?

Soll das heißen, ob ich nicht leidenschaftlich die Weiber liebe, oder ob ich nicht liebe, die Weiber in Leidenschaft zu sehen?

Das Erstere versteht sich von einem lebhaften und geistreichen Manne von selbst. Ich meine das Letztere.

Es hat eben seine Bedenklichkeiten. Man weiß just nicht immer, was beginnen, mit solch' einer Leidenschaft, die sich wie eine wogende Meerfluth über uns stürzt.

Man nimmt eben ein deliciöses Seebad in dieser Meerfluth, und wenn man sich die Wogen hat ein paarmal über den Kopf zusammenschlagen lassen, und hat genug, nun so geht man!

Es kommt doch nichts über die Frivolität.–

Solch' eines Strichvogels der Kunst, wollen Sie sagen!

Ungefähr! sagte lachend der Assessor.

C'est la vie de Bohemien, fuhr der Virtuose fort, und das ist eben das Schöne, Reizende, Fesselnde unseres Vagabundenthums. Ich begreife gar nicht, wie Ihr soliden Menschen die Langeweile ertragt, immer an demselben Orte zu sitzen, an derselben Scholle zu kleben! Aber sagen Sie mir noch etwas von der Baronin. Nicht wahr, ich habe Recht, dies Herz ist noch nicht geweckt worden?

Das fragen Sie ihren Mann, den wackern Obersten.

Pah, diesen verkörperten Parolebefehl!

Nehmen Sie sich trotz allem Dem in Acht. Sie ist eine Husarin.

Eine Husarin? Was heißt das?

Man hat sie als junges Mädchen schon nicht anders genannt.

Das spricht sehr für sie. Man begegnet unter dem schönen Geschlecht so vielen in den Harnisch ihrer Tugend eingeschnallten Kürassieren, daß es eine wahre Wonne sein muß, einmal einer Husarin zu begegnen!

Die beiden Männer waren vor dem Hotel Morosini's angekommen und trennten sich lachend.


III.

Um die Mittagstunde des folgenden Tages wurde der Baronin Ehrenfeuchter Signor Moritz Morosini gemeldet.

Sie empfing ihn in ihrem Boudoir. Der geübte Blick des Virtuosen erkannte sogleich, wie bewegt sie bei seinem Erscheinen war.

Ich komme etwas beklommen zu Ihnen, sagte er, nachdem er in demselben Sessel Platz genommen, in welchem er am Abende vorher ihr seine rührenden Künstlerklagen ausgeströmt hatte.

Beklommen? Und weshalb?

Weil ich mich undankbar nenne, weil ich mir ein Betragen vorwerfe, welches ich in diesem Augenblick selbst nicht recht mehr fasse. Sie hatten ein Reich voll strahlender Heiterkeit in diesen Gemächern hier um sich her gezaubert; und ich habe vielleicht Ihnen einen tief disharmonischen Klang hineingeworfen – wenn ich anders nicht zu anmaßend bin …!

Und worin sollte dabei Anmaßung liegen? fragte Henriette.

In der Voraussetzung, daß die Klagen eines Herzens, welches sich so grenzenlos vereinsamt fühlt, im Stande seien, die göttliche Harmonie eines edlen Gemüths zu stören, das sich in einem unnahbaren Kreise voll ruhiger Geistesklarheit bewegt.

Wenn Sie mein Gemüth damit meinen, Signor Morosini, so thun Sie ihm bei weitem zu viel Ehre an. Ruhige Geistesklarheit, welche von uns armen Frauen besäße sie, besäße sie wenigstens in einem Maße, daß sie darin unnahbar wäre für jede Disharmonie! – Ich habe allerdings über das, was Sie mir gesagt haben, nachgedacht –

Vor Allem, fiel Morosini ihr in's Wort, haben Sie es mir verziehen, wenn der Augenblick mich hinriß, wenn es wie eine Art Offenbarung über mich kam: hier findest du ein Echo, eine Seele, der gegenüber du einmal wenigstens durch einen kurzen Aufschrei des Schmerzes deinem wunden Herzen Luft machen darfst – sicher, daß du verstanden wirst, daß du Theilnahme findest! Haben Sie mir es verziehen?

Was hatte ich zu verzeihen? Ich glaube, ich habe nur zu danken, entgegnete Henriette, indem sie Morosini voll in's Auge blickte.

Ueber das Antlitz des Virtuosen flog der Ausdruck eines großen Triumphs.

Aber verstanden, fuhr Henriette fort, habe ich Sie nicht ganz.

Und worin nicht? Denken Sie sich in meine Lage –

Das eben habe ich gethan, so viel ich vermochte, entgegnete sie, ihre Blicke zu Boden schlagend. Ich habe mit Ihnen wohl empfunden, wie verhängnißvoll das Leben sein muß, wenn es wie eine ewig bewegte Phantasmagorie an uns vorüberfließt, wenn wir keinen sichern Ankergrund und keinen Ruhepunkt darin finden. Ein ewiges Wandern von Ort zu Ort, von Gefühl zu Gefühl, von einer Stimmung zur andern muß uns peinvoll und marternd werden, ja endlich muß es uns aufreiben, geistig vernichten, das begreife ich wohl. Aber das, was Sie über die Unmöglichkeit gesagt haben, einen Ruhepunkt zu finden, ist mir nicht einleuchtend geworden. Sie nennen es egoistisch, ein fremdes Wesen mit hineinreißen zu wollen, in diese ewig kreisenden Wirbel, in dieses ewige Auf und Nieder einer Seele, die der Genius mit dem Kainstempel der Kunst bezeichnet hat. Aber ein solches Wesen, welches sich in diese Kreise willenlos mit hinein reißen läßt, das mit elastischer Widerstandslosigkeit an dieses ewige Auf und Nieder sich hingiebt, könnte ja überhaupt keinen Halt und keinen Ruhepunkt bieten; es könnte das Bedürfniß nach einer festen Heimath des Gemüths nicht stillen. – Sie müßten eben Eines suchen, welches klar, selbstbewußt, tief und doch einfach in seinen Gefühlen wäre, fest auf sich selbst beruhte, stets sich treu bliebe und Sie fesselte, statt sich von Ihnen mit fortreißen zu lassen!

Ein solches Wesen, entgegnete der Virtuose schwermüthig, wird es sich zu mir herablassen? Wird es nicht eine unüberschreitbare Kluft sehen zwischen seiner Harmonie und dem armen Musiker, unter dessen Tönen sich so viel disharmonischen Schmerzes birgt?

Henriette schlug die Augen nieder ohne zu antworten.

Allerdings, fuhr Morosini fort, ich habe Augenblicke gehabt, wo ich dem beseligenden Glauben mich hingab, ein solches Wesen gefunden zu haben. Ich habe die Geliebte umgeben mit meiner glühenden Verehrung; meine Kunst ergoß sich wie in unerschöpflichem Strome – sie umgab ihre Sonne mit einer strahlenden Welt von Schönheit, wie eine purpurgold'ne Abendröthe das scheidende Gestirn des Tages umhüllt. Aber hinter diesen magischen Welt, in welcher der ganze Himmel wiederstrahlte, der in einem Menschenherzen liegen kann, hinter diesem gold'nen Farbenspiel rosiger Wolken versank mir langsam stillen Ganges meine Sonne, bis sie hinter meinem Horizont verschwunden war – und die Ergüsse meiner Seele verblichen in Dunkel der Nacht.

Signor Morosini stützte nach diesen Worten sein schwermuthgebeugtes Haupt auf den Arm und blickte mit feuchtem Schimmer der Augen vor sich nieder.

Wir haben eben jeder unser Schicksal! sagte nach einer Pause halblaut und wie für sich hin Henriette mit einem tiefen Seufzer.

Morosini beobachtete mit einem raschen Seitenblick ihre Miene.

Wir haben es freilich, sagte er dann, aber es ist dennoch unendlich verschieden, nach der Kraft, die uns gegeben, es zu tragen, und nach der Empfänglichkeit für den Schmerz, mit der wir begabt sind. Die gesteigerte Empfänglichkeit für den Schmerz ist die traurigste Mitgabe der Künstlerseele! Er fühlt den Schmerz doppelt, zehnfach, ja er fühlt den Schmerz der ganzen Welt in sich! –

Henriette war eine einfache klare Natur. Daher hatte sie auch, was der Virtuose bisher in schwärmerischem Pathos an Klagen in ihren Busen ausgeschüttet, sich einfach deutlich zu machen, und den eigentlichen Kern daraus zu schälen gesucht, um zu der praktischen Seite zu gelangen, nämlich zur Lösung der Frage, wie dem poetischen Unglücklichen zu helfen sei. Sie hätte nun nicht durch und durch weiblich fühlen müssen, wenn sie diese Frage nicht mit der Antwort gelöst hätte: diesem edlen Geiste muß, um ihn vor dem Untergange in seinen fortwährenden Aufregungen zu bewahren, eine Häuslichkeit geschaffen werden. Ein fester Herd muß ihn binden, wo ein liebendes Weib ihn mit einer rührenden Sorge umgibt, ihn an die einfache Wirklichkeit fesselt, an die Gesellschaft kettet – oder er flattert sich zu Tode wie ein müder Wandervogel, der über das Meer hat ziehen wollen in den schönen warmen Süden, und dessen Kräfte nicht ausdauern, das Gestade zu erreichen, an welchem das Land seines Ideals beginnt.

Aber Henriette sprach diesen Gedanken nicht aus, weil ihr Alles, was sie sagen wollte, so unendlich schaal und nüchtern und prosaisch erschien gegen die tiefen Gemüthsergüsse Morosini's. Dieser begann daher nach einer Pause wieder:

Ich habe Unrecht, daß ich vor Ihnen diese Klagen ausströme – welches Recht habe ich, Ihren Frieden damit zu stören! Was bin ich Ihnen, was berechtigt mich, mein Inneres vor Ihnen aufzuschließen? Verzeihen Sie es mir. Die Glücklichen sind hartherzig – seien Sie es nicht auch!

Wer ist glücklich! versetzte sie, leise seufzend.

Sie sind es!

Glauben Sie?

Henriette sprach dieses: glauben Sie? mit einem Tone, dessen elegische Trauer vielleicht etwas gesteigert war durch das Verlangen, mit dem Virtuosen auf gleicher Höhe der Empfindung zu erscheinen.

Ja, ich glaube es – und antworten Sie mir nicht Nein darauf, meine Gnädigste! Eine solche Antwort enthielte für mich eine Härte, eine Schonungslosigkeit, größer als Sie ahnen können! O mein Gott, wenn ich mir sagen müßte, Sie wären nicht glücklich – und doch hätte die Verehrung, die Leidenschaft, die bis in den Tod treue Hingebung eines Herzens, das einen Schatz voll starker Empfindung in sich birgt, das nicht liebt, wenn es sich einmal zu Eigen gibt, nein, schwärmt, raset – es hätte sie glücklich machen können! – Es hätte sein eignes, unermeßliches, nicht zu sagendes Glück darin gefunden! – O mein Gott, welchen Dolch würden Sie mir in's Herz stoßen!

Henriette sah den Virtuosen mit einem Blicke an, in welchem sich die größte Ueberraschung malte, während ihr schönes Gesicht erröthete bis unter die Haarwurzeln. Ihre Lippen zuckten, ihre Augen leuchteten von einem stolzen Aufflammen – sie machte eine Bewegung, als wolle sie rasch sich erheben.

O gnädige Frau, was habe ich gethan, rief der Virtuose aus, indem er sich vor ihr auf das Knie warf und ihre Hand ergriff, um sie mit Küssen wahnsinniger Leidenschaft zu bedecken – ich habe meinem Herzen nicht zu gebieten gewußt, meine unseligen Lippen haben ein Geständniß ausgesprochen, das nie, niemals hätte über sie kommen sollen – o mein Gott, ich habe Sie verletzt, beleidigt, und der einzige Wunsch meines Lebens ist doch nur, für Sie sterben zu können!

Stehen Sie auf, stehen Sie auf, Morosini, antwortete Henriette, zu Tode erschrocken, verlassen Sie mich, ich bitte Sie um Gotteswillen – lassen Sie mich allein!

Sie verlassen – jetzt – bevor ich das Wort der Verzeihung von Ihrem Munde vernommen habe? Doch, Sie haben Recht – es ist besser, wir trennen uns, Henriette!

Er stand auf, er warf noch einen unbeschreiblichen, von Leidenschaft glühenden Blick in ihr Auge, dessen Wimpern Thränen zu feuchten begannen; dann, mit einer Miene, in welcher sich die Anstrengung einer heroischen Willenskraft, die sich selbst bezwingt, spiegelte, riß er sich los und ging.

Als er fort war, brach Henriette in einen Strom von Thränen aus. Sie war wie umgewandelt. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Eine bisher ungeahnte Gewalt hatte sich ihres ganzen Seins bemächtigt. Alle Fibern ihres Wesens strebten diesem Manne nach. Die Region, in welcher er athmete, in welcher seine Kunst heimisch war, in welcher sich die hohen Flüge seines großen und ach! so unglücklichen Geistes ergingen, die, fühlte sie, war ihre einzige Heimath, außer ihr war kein Glück für sie auf Erden, war die Welt Nacht, dunkle, lichtlose Nacht. Wie war ihr bisheriges Leben schaal und verächtlich gewesen, ein Gewebe von Alltagsinteressen und trivialen Dingen, ein Gewebe, durch welches sich ja nicht ein einziger Strahl flocht aus jener Lichtquelle ewiger Schönheit, zu der jetzt der Weg offen vor ihr zu liegen schien. Morosini stand in ihren Vorstellungen da wie der Moses, der diese Quelle sprudeln machte, wohin nur immer sein Tactirstab deutete.

Aber es handelte sich ja nicht allein um sie, um ihr Glück. Welcher Gedanke war es, das Glück dieses Mannes begründen, sein Rettungsengel werden zu können! Und sie konnte es. Sie fühlte es in sich. Sie hatte den Muth und die Ausdauer dazu. Es durfte kein flatterhafter, selbst in sich unsicherer Geist sein, der es unternahm. Er mußte einfach und klar in seinem Wollen sein, stets sich selbst gleich, ohne Widersprüche und ohne Schwanken. Henriette glaubte, daß sie diese Eigenschaften besitze. Es lag etwas unendlich Verführerisches in der Aussicht, diese Eigenschaften, die in ihr ruhten, zu ihrem vollen Werthe ausmünzen und sich sagen zu können, daß man mit den Gaben der Natur auch gewuchert, daß man damit ein großes Ziel erreicht habe – nämlich das Glück eines geliebten Wesens!

Henriette brachte eine schlaflose Nacht zu. Aber nicht, weil sich ihr Inneres zerquält hätte, ohne die Ruhe finden zu können, welche ein großer Entschluß verleiht; nein, nur weil sie die Folgen des Entschlusses, den sie bereits fest gefaßt hatte, überdachte.

In der frühesten Frühe erhob sie sich und schrieb ein Paar Zeilen an Morosini, worin sie ihn bat möglichst bald zu ihr zu kommen.

Ihr Bedienter brachte das Billet uneröffnet zurück. Signor Morosini, meldete er, sei mit dem ersten Zuge der Eisenbahn nach der Nachbarstadt P. gefahren, um dort am heutigen Abende ein Concert zu geben. Er werde erst am andern Tage zurückkehren.

Desto besser, sagte sich Henriette. So kann alles Aufsehen vermieden werden.


IV.

Es war um die Mittagsstunde. Morosini hatte im Concertsaale des Clubhauses zu P. die Generalprobe für sein Concert abhalten lassen und war in heiterster Stimmung, begleitet von einer kleinen Schaar auserwählter Kunstenthusiasten, in seinen Gasthof zurückgekehrt. Er hatte Alles in P. ganz vortrefflich arrangirt gefunden, die Akustik des Saales sehr gut, die Dilettanten wohl einexercirt und nicht, wie das ja leider gewöhnlich der Fall, geschieden in »Gluckisten« und »Piccinisten,« in Anhänger Beethovens und in Anhänger Rossini's, Bellini's und Donizetti's, die sich befehden wie weiland die Montecchi und Capuletti, und zwischen denen dann ein unglücklicher Fremder, der unter sie geräth, nicht aus noch ein weiß.

Morosini trat deshalb heiter lachend und scherzend am Arme des Musikdirectors von P. in seinen Gasthof, als der Oberkellner ihm meldete, daß eine Dame, welche mit Extrapost gekommen und den Wagen zurückgeschickt habe, seiner harre. Sie habe sich ein Zimmer neben dem seinen geben lassen und dort erwarte sie ihn.

Eine Dame? Und woher? fragte der Virtuose verwundert.

Die Dame kommt aus O.

Eine Enthusiastin, welche unserem berühmten Maestro nachreist, rief der Musikdirector aus, ach, wer doch auch solch' ein Herzenbezwinger, solch' ein Rattenfänger von Hameln wäre!

Sie wird meinem Concert hier beiwohnen wollen, sagte Morosini etwas betroffen. Adieu, lieber Musikdirektor, sorgen Sie dafür, daß wir an der Table d'Hôte unsre Couverts neben einander bekommen – addio!

Und damit schritt Morosini die Treppen in den ersten Stock des Gasthofs hinauf und ließ sich von dem Oberkellner bei der fremden Dame anmelden.

Der Oberkellner kam zurück und warf die Thüre vor ihm auf. Die Fremde war Henriette.

Sie, meine Gnädigste?! o ich ahnte es, rief Morosini aus.

Sie ahnten es, daß ich zu Ihnen kommen würde, Morosini? sagte Henriette, die so bewegt war, daß ihre Lippen zuckten, während sie sprach, daß sie abwechselnd erbleichte und erröthete.

Mein Herz sagte es mir, antwortete der Virtuose, und drückte auf Henriettens zitternde Hand seine Lippen, in diesem Augenblicke nur von einem namenlosen Gefühl des Triumphs erfüllt. Er hatte viel, viel Erfahrungen. Er hatte Frauen aller Art gekannt. Er hatte Herzen jeglicher Kategorie besiegt. Aber noch nie hatte eine so vornehme Frau sich um seinetwillen so grenzenlos compromittirt. Es war ihm zu Muthe, wie einer aufblühenden Schönheit, um welche sich zum ersten Male zwei jugendliche Helden die Hälse zu brechen versucht haben.

Morosini, sagte Henriette, indem sie ihn zu dem schwarzen Sergesopha führte, welches das Luxusmöbel des Zimmers bildete, – ich weiß nicht, ob mich die Menschen jemals freisprechen werden, aber mein Inneres sagt mir, daß ich dem Drange meines Herzens folgen darf, indem ich Ihnen gefolgt bin.

Welchen höheren Gesetzgeber könnte ein reines, edles, himmlisches Herz haben, als sich selbst! fiel Morosini, ihre Hand in der seinen haltend, ein.

Ich fühle, daß es eine höhere Aufgabe für mich gibt, als an der Seite eines Gatten zu vegetiren, der meiner nicht bedarf, der das redlichste Gemüth, den fleckenlosesten Charakter besitzt, aber mich zu seinem Glücke nicht nöthig hat, und dem ich eigentlich nichts bin, als ein Luxus, als eine Ausschmückung seiner Existenz, die auch ohne diese Zuthat eine völlig befriedigte, ja sogar beneidenswerthe ist. Nein, ich glaube, es gibt eine größere, edlere, poetischere Bestimmung für mich zu erfüllen. Ich will Ihnen folgen, Morosini. An Ihrer Seite werde ich das wahre Glück finden, das Bewußtsein, ein fremdes Herz auszufüllen, es zu erheben, ihm nothwendig zu sein. Gott wird mir die Kraft geben, Ihnen zu werden, was Sie ersehnen, die gleichgestimmte Seele, das Echo Ihrer leidenschaftlichen Empfindung. Ich werde Sie umgeben mit jener aufopfernden Sorge, welche Sie bei mir den Hafen, die Heimath finden läßt, wenn Sie erschöpft und müde sind von den wildflatternden Geistesflügen, von den aufreibenden Anstrengungen Ihres Genius. Darum bin ich Ihnen hierhin gefolgt. Bringen Sie mich jetzt ohne Zeitverlust zu einer Ihnen befreundeten Familie, die mich aufnimmt; irgend ein Asyl der Art werden Sie mir ja zu nennen wissen. Von dort aus werde ich die nöthigen Schritte thun, um mich von meinem Manne scheiden zu lassen. Wir lassen uns dann trauen, ganz im Stillen, in einer einsamen Dorfkirche. Wir suchen uns eine mittelgroße, nicht zu laute und lärmerfüllte Stadt in schöner Gegend zum Wohnort aus. Eine feste Heimath müssen wir haben, ohne sie könnte ich nicht leben. Von dort aus machen Sie Ihre Kunstreifen. Ich begleite Sie auf einer jeden; nie, nie mehr wollen wir uns trennen; immer will ich in Ihrer Nähe sein, um jede Falte Ihrer Stirn zu glätten, auf jeden Schmerz Ihrer Brust meine weiche, warme, mildernde Hand zu legen!

Henriette hatte in fieberhafter Hast alle diese Worte hervorgesprudelt – mit einem Blick von unbeschreiblicher Innigkeit, der seine Augen suchte, strebte sich ihre Seele jetzt in die seine zu versenken.

Aber dieser Blick begegnete einem ganz eigenthümlichen Mienenspiel seines Antlitzes.

Morosini war zu Tode erschrocken.

Was sollte er mit einer Frau beginnen, er, der nicht daran dachte, sein an Lorbeern und Gold ergiebiges Vagabundenleben aufzugeben? Mit einer Frau, die sich an seine Schritte heften wollte; die, gewöhnt an den Luxus und weitläufigen Apparat eines vornehmen Lebens, tausend Bedürfnisse hatte; die ihm für sein heitres Junggesellenleben eine Existenz voll schwärmerischer Sentimentalität aufdringen wollte? Das war es nicht, was er beabsichtigt hatte; er hatte die Coquetterie mit seinen Künstlerklagen und seinem Schmerz zu weit getrieben! Er hatte sich in seinem eigenen Netze gefangen!

Er ließ die Hand Henriettens fahren; er sprang auf und durchmaß mit langen Schritten den kleinen Raum des Zimmers.

Nun? welche Antwort haben Sie, Morosini? fragte Henriette, nachdem sie eine Weile auf seine Erwiederung geharrt hatte, endlich in athemloser Beklemmung.

O mein Gott, versetzte er düster und tonlos, könnte ich sie verschweigen, meine Antwort – das unselige Wort, welches nicht über meine Lippen will, und das ich doch aussprechen muß! Arme, arme Henriette – armer Morosini! Das Glück, das unermeßliche Glück so dicht vor sich zu sehen und es dennoch nicht erreichen zu können – dennoch nicht die Hand danach ausstrecken zu dürfen! Welche Tantalusqualen lassen Sie mich erdulden! Welch' entsetzliches Schicksal ist doch das meine!

Morosini –

Henriette – ach, vernehmen Sie es, fuhr der Virtuose fort und warf sich stürmisch vor ihr auf die Knie nieder – was alle diese schönen Zukunftsträume zerstört, was sich als entsetzliche, unüberschreitbare Kluft zwischen uns stellt.

Ein brennender Schmerz durchzuckte Henriettens Herz. Er ist gebunden, er hat ein Weib – dachte sie!

Mein Gott, sagte sie, – reden Sie nicht weiter – ich ahne, was Sie sagen wollen.

Sie ahnen es, nicht wahr, daß ich neulich nicht umsonst Ihnen klagte, ich sei gleich dem wandernden Juden – bin ich doch verdammt zu wandern, wie er, bin ich doch – von demselben Volke, wie er!

Ein Jude?! rief Henriette aus.

Ein Jude – ich heiße nicht Moritz Morosini, ich heiße Moses Moros, oder Morosch, wie man es in meinem Vaterlande Ungarn spricht. Die Welt hält mich für einen Sohn des sang- und melodienreichen Italiens – aber Sie, darf ich Sie tauschen, himmlisches Wesen? Henriette sprang auf.

Dies ist entsetzlich, – sagte sie halblaut und wie für sich selbst.

Ja, es ist entsetzlich – es ist genug, um mich zum Selbstmord zu treiben. Denn es trennt uns für immer!

Ja, es trennt uns! antwortete Henriette todtenbleich. Die Leidenschaft, welche sie für den Virtuosen gefaßt hatte, war zu plötzlich entstanden, zu sehr ein Geschöpf der Phantasie, sie war zu sehr einer poetischen Schwärmerei entsprungen, als daß sie vor dieser Offenbarung nicht kleinmüthig zusammengesunken wäre.

Er hieß Moses Morosch!

Es trennt uns in der That, sagte sie, wie ein Spruch des Schicksals!

Es ist eine herzzerreißende Grausamkeit des Schicksals, gnädige Frau.

Ich werde ewig Ihre Freundin bleiben, aber …

Meine Sonne erlischt wieder in Nacht, rief Morosini pathetisch aus.

Nach einer Viertelstunde trennten sie sich; Henriette schluchzend, Morosini mit einer Fassung, die das Ergebniß heldenmüthiger Selbstbeherrschung schien.


Am folgenden Morgen rollte vor dem Hause des Obersten von Ehrenfeuchter eine Postchaise vor. Der Obrist eilte die Treppen hinunter an die Hausthüre, auf deren Schwelle bereits ihm Henriette begegnete.

Um Gottes Willen, Henriette, rief der Obrist aus, wo warst Du? Ich habe Todesangst um Dich gehabt, als Du zu Nacht nicht zurückkehrtest! Welche Streiche macht mir meine kleine Husarin, sie desertirt vom Regiment!

Vergib, vergib, mein lieber, guter Mann, entgegnete sie kleinlaut, es war eine unwiderstehliche Lust, die mich reizte, das Concert in P. anzuhören, welches Morosini gestern dort gab.

Die Pest über diesen Musikanten, der Euch Weiber ganz toll macht!

Du warst, als ich gestern Morgen den Einfall bekam, fort, bei Deinen Leuten auf der Exercierhaide – ich konnte Dich nicht um Erlaubniß fragen – offen gestanden, ich fürchtete mich ein wenig, daß Du mich zurückhalten würdest – und so wagte ich es darauf und fuhr nach P.

Der Obrist schüttelte den Kopf.

Welche Idee – Du bist und bleibst doch die Husarin! Auf und davon ohne Urlaub! Und welch' eine Menge Kisten und Kasten Ihr Weiber mit Euch schleppen müßt, wenn Ihr nur die kleinste Reise macht! Zwei Koffer und drei Cartons, um ein Concert in P. anzuhören! Es ist ja vollständig komisch, sagte der Obrist, auf Henriettens Gepäck deutend, das eben von dem Bedienten aus dem Wagen in's Haus geschafft wurde.

Nun komm' hinauf und ruhe Dich aus, fuhr er dann gutmüthig fort. Und höre, mach' mir nicht wieder ähnliche Streiche – unsichrer Cantonist, der Du bist, oder es wird Kriegsgericht über Dich gehalten, so wahr ich lebe!

Der Obrist erfuhr nie etwas von der wahren Absicht, welche seine Frau nach P. geführt hatte. Ihr Ausflug hatte die einzige schlimme Folge, daß man in der ganzen Stadt drei Tage lang über ihren Musikenthusiasmns spottete. Aber sie war ja »die Husarin«, und gehörte zu den Charakteren, welche das Privilegium haben, auch etwas Ungewöhnliches thun zu dürfen, ohne daß es ihrem Rufe schadet. Mit ihrem Obristen und Regimentscommandeur lebte also Henriette nach wie vor in ungestörter Harmonie.

Morosini kehrte nach O. nicht mehr zurück, was Henrietten über alle Beschreibung angenehm war. Ihre Stimmung, ihr Wesen aber war von diesem Tage an für lange Zeit verändert. Fühlte sie sich innerlich gedemüthigt? Machte sie sich selbst Vorwürfe? Wir wissen es nicht – wir wissen nur, daß sie sich in ihre Häuslichkeit zurückzog, und mehr und mehr den Sinn für die Freuden der lauten Geselligkeit und der musikalischen Genüsse verlor, welche sie früher so eifrig aufgesucht hatte.


V.

Sechs Jahre waren vergangen.

Hinter der belebten Piazza Navona in Rom liegt eine kleine schmale Gasse, in welche sich selten der Fuß eines jener Reisenden verirrt, die auf der breiten Heerstraße den officiellen Merkwürdigkeiten nachgehen. Desto fleißiger wird ihr Pflaster von den Füßen Derer betreten, welche, unabhängig von der Menge, die Gegenstände ihrer Verehrung und Bewunderung selber aufzusuchen lieben und das Schöne auch da zu finden wissen, wo es sich bescheiden verbirgt.

In dieser Gasse nämlich wohnt Abbate Santini.

Wer ist Abbate Santini? Eine historische Berühmtheit? Nein. Ein Künstler von europäischem Rufe? Nein. Der Besitzer einer ausgezeichneten Bildergallerie? Nein. Niemand kennt ihn. Abbate Santini ist ein ganz gewöhnlicher italienischer Abbate, vielleicht ein Vicar, ein Meßpriester, ein Kanonich an irgend einer der vielen Kirchen Roms, deren so viele sind wie Tage im Jahr. Ein Prälat wenigstens ist er nicht: er trägt kein Kreuz auf der Brust und keinen Hut mit breitem Rande und carmoisinrothem Band umher.

Er wohnt in einigen großen und einigen kleinen Kammern, deren Einrichtung wie in so vielen Häusern Italiens etwas von einer honetten Dürftigkeit an sich trägt. Doch in diesen bescheidenen Räumlichkeiten hangen an allen Wänden unter Glas und Rahmen wie Votivtafeln höchst kunstreich beschriebene Blätter, wahre Musterarbeiten einer kindlich erfinderischen Kalligraphie; darauf stehen Tag und Monat und Jahr verzeichnet, an, und in welchem die größten und geweihtesten Träger der Tonkunst aus allen Landen, oder die sonorklingendsten Namen der europäischen Gesellschaft, oder die Fürsten ferner Länder über diese Schwelle getreten sind, um den kleinen Abbate im abgeschabten schwarzen Röcklein die Hand zu drücken.

Begibt man sich aber an einem Donnerstag Nachmittag zum Abbate Santini, so findet man in seinen Stuben eine Gesellschaft versammelt, die in Genüssen schwelgt, welche kein andrer Fleck auf Erden wieder bietet. Man macht Musik; aber welche Musik! Man führt die Tonwerke aller großen Meister auf; Schöpfungen von Maestro's wie Marcello, wie Palestrina, wie Orlando di Lasso; Werke, welche die Welt zum großen Theil als untergegangen betrachtet. Der unermüdliche und rastlose Sammlerfleiß des Abbate hat sie in irgend einem staubigen Winkel, auf dem Speicher eines alten Convents, unter dem Schriftenwust und dem Brie-a-Brac eines Altkäuflers, unter dem Nachlaß eines alten Musiklehrers in einem Landstädtchen, aufzutreiben gewußt. Abbate Santini besitzt Alles, was es von berühmter alter Musik gibt, und an seinem »Jovidis« läßt er diese längst verschollenen Werke großer Genien der Kunst durch seine Freunde, durch Dilettanten, auf's Neue in's Leben rufen. Die großen Messen des Marcello, die einst mit ihren erhabenen Klängen die Wölbungen der Dome von Pisa, Mailand und Bologna, die Basiliken von San Pietro und Santa Maria Maggiore füllten, ertönen nach hundertjährigem Schlummer wieder in diesen engen Stuben, in der abgelegenen Gasse hinter der Piazza Navona.

Es war an einem dieser Donnerstage, als ein Legationssecretair der P.schen Gesandtschaft dem Abbate Santini eine schöne, schwarzgekleidete Dame, die den Dreißigen nahe stand, vorstellte.

Der Abbate Santini nahm sie mit der offenen Herzlichkeit auf, welche ihm eigen ist. Daß der ihm bekannte Herr von der P.schen Gesandtschaft seine Landsmännin als eine große Musikkennerin, welche an seinen Donnerstagen Theil zu nehmen wünsche, vorstellte, war bei ihm Empfehlung genug. Den Namen überhörte er. Was sollte ihm der Name! Ihm kamen so viel hundert Namen vor, – was konnte er mit ihnen anfangen, er konnte sie weder behalten, diese barbarischen Namen, noch sie aussprechen.

Für uns hat dieser Name vielleicht mehr Anziehendes. Er lautete:

Frau Baronin Henriette von Ehrenfeuchter.

Henriette war seit einem Jahre Witwe. Sie trug noch die Trauer um ihren wackern Regimentscommandeur. Er war auf eine tragische Weise um's Leben gekommen. Ein reicher alter Junggeselle zu O. gab seinen Freunden schon seit langer Zeit alljährlich ein großes Fastendiner. Schon seit Jahren war gewöhnlich einer der Gäste in Folge der Leistungen, welche dieses Diner den Fassungskräften der Eingeladenen zumuthete, zu Grunde gegangen. Im letzten Jahre hatte den armen Obristen das Loos getroffen. Eine Indigestion hatte ihn zum beklagenswerthen Opfer des letzten Fastendiners beim Baron Lehnert gemacht!

Henriette war also Witwe und zwar eine reiche Witwe, denn der Obrist hatte sie zu seiner Universalerbin eingesetzt.

Sie hatte mit einer befreundeten Familie die Reise nach Italien gemacht. Im Herzen trug sie eine milde Trauer um die redliche »alte Kriegsgurgel« und eine durchaus in den Grenzen des Anstands sich haltende Freude über ihre Freiheit und Unabhängigkeit.

Der Abbate führte Henriette zu einem Sopha und dann kehrte er zu seinem Flügel zurück, um den sich eine Gruppe von Dilettanten schaarte, die eben beginnen wollte, ein Musikstück von Palestrina auszuführen.

Henriette musterte die Physiognomien der Anwesenden, bevor sie ihre Aufmerksamkeit der Musik zuwendete. Sie erblickte Gesichter, welche den verschiedensten Typus hatten; sie sah dunkle, gelbe Gesichter, die Sicilianern oder Portugiesen angehören konnten, neben den blonden Köpfen dänischer oder schwedischer Kunstjünger, den hübschen Zügen deutscher Frauen, den rosig frischen Gesichtern englischer Mißes. Plötzlich fühlte sie sich wie von einem elektrischen Schlage durchzuckt. Ihr Auge haftete auf einer Männergestalt, welche ihr gegenüber in der andern Ecke des geräumigen Zimmers auf einem Tabouret von leichtem Rohrgeflecht saß. Diese Gestalt hing matt und kraftlos zusammen und hatte die Stirn auf die flache Hand gestützt.

Aengstlich gespannt wartete Henriette darauf, daß der Fremde den Kopf erheben, und ihr seine Züge zeigen würde. Nach etwa fünf Minuten geschah dies. Seine Augen begegneten den ihren. Anfangs blieben sie ausdruckslos und starr; dann belebten sie sich etwas und ein nichtssagendes, beinahe fades Lächeln glitt über die Züge des Fremden.

Sie hatte recht gesehen. Es war Moritz Morosini – es war Moses Morosch.

Aber wie hatten ihn die wenigen Jahre entstellt! Sein Antlitz war gealtert, der Blick seiner Augen war erloschen, seine Gestalt war gemagert und gebeugt.

Henriette fühlte sich in eigenthümlicher Weise erschüttert bei diesem Anblick. Als ob sie sein Lächeln wie eine vollgültige Begrüßung auslege, grüßte sie mit freundlichem Kopfneigen ihn wieder.

Als das Musikstück zu Ende war, erhob er sich und trat zu ihr.

Sie sind es, Morosini! sagte sie mit herzlichem Tone der Stimme, und deutete ihm an, neben ihr Platz zu nehmen.

Welche Begegnung, antwortete er, indem er sich niederließ – welche Freude für mich, Sie wiederzusehen!

Wie ist es Ihnen ergangen? Wenn ich nach Ihrem Aeußern schließen darf, so waren Sie krank?

Ach, hätten Sie Recht – könnte ich sagen, ich war krank!

Sie sind noch leidend? fragte sie.

Ich bin nichts als Leiden. Die Ausübung meiner Kunst hat meine Nerven so fatal aufgerieben und ruinirt, daß mir nach einem heftigen Nervenfieber, welches ich in Mailand überstanden habe, die Aerzte diese Ausübung der Kunst gänzlich untersagt haben. Ich soll hier im Süden in der milden Luft vegetiren, ohne zu spielen und ohne zu denken!

Das ist ja entsetzlich, fiel Henriette mitleidig ein, das heißt ja einem Vogel das Fliegen in der Luft untersagen!

Es heißt noch mehr, es heißt ihm das Futter fortnehmen, antwortete Morosini mit bittrem Lächeln. Ich habe leichtsinnig in den Jahren des Glückes und der Kraft, was ich gewann, vergeudet. Ich habe vor mir die bitterste Armuth!

O mein Gott – so finde ich Sie wieder! sagte Henriette halblaut und tief erschüttert.

So finden Sie mich wieder, gnädige Frau, elend und gebrochen. Gesetzt auch, ich erholte mich von meinen körperlichen Leiden, so weiß ich doch nicht, ob ich jemals wieder werden könnte, der ich gewesen. Das alte Feuer ist erloschen, die Begeisterung ist dahin, die Töne gehorchen mir nicht mehr. Mit einem Wort, ich bin ein beklagenswerther armer Teufel!

Henriette antwortete nicht. Sie war zu tief ergriffen; ein solcher Umschwung der Dinge, den wenige Jahre bei einem Menschen hervorgebracht hatten, war überwältigend. Seine Klagen drangen ihr um so tiefer in's Herz, weil er sie vorbrachte in der einfachsten offensten Weise und so ganz entkleidet von den schwärmerischen Redensarten und poetischen Phrasen, in welche sich einst sein coquettss Virtuosenthum gehüllt hatte.

Ich wohne Via della Croce, Numero 33, sagte sie nach einer langen Pause – wollen Sie mich dort aufsuchen?

O gewiß, wenn Sie es erlauben, Sie machen mich glücklich dadurch, versetzte Morosini – ich werde glauben, der Kreuzweg meiner Leiden werde in der Via della Croce – enden! –

Am andern Morgen, es war kaum zehn Uhr und in jeder andern Stadt als in Rom, wo man sich früh zu erheben pflegt, noch keine Besuchstunde – kam Chichina, die Aufwärterin der Obristin Ehrenfeuchter, und meldete den Besuch Morosini's an.

Als er eintrat, kam Henriette ihm mit entgegengestreckter Rechte entgegen. Ihre Augen, ihr Teint trugen die Spuren einer schlummerlos durchwachten Nacht.

Mein Freund, sagte sie bewegt – ich danke Ihnen, daß Sie so rasch meinen Wunsch erfüllen! Setzen Sie sich zu mir. Wie bedeutungsvoll ist es, daß wir hier uns wiederfinden mußten!

Sie danken mir, daß ich komme? antwortete traurig lächelnd Morosini. Dankt der reiche Mann dem Bettler, daß er zu ihm kommt?

Welcher Vergleich ist das, fiel Henriette ein. So lange wir unsere Bildung, unser Herz, unsere Gedankenwelt, unser Selbstbewußtsein haben, sind wir keine Bettler, sondern reich, vornehm, und Jedem ebenbürtig. Seien Sie stark und stolz, mein Freund! Nur keine Redensarten aus »Lorbeerbaum und Bettelstab!« ›Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab‹ (1835), parodierende Posse mit Gesang von Johann Nestroy.

Morosini küßte ihre Hand.

Stark und stolz zu bleiben ist leicht, wenn eine solche Stimme uns begleitet, die es uns zuruft, sagte er, für den Einsamen, ganz Verlassenen ist es schwer!

Als er sich gesetzt hatte, forderte sie ihn auf, ihr ausführlich seine Schicksale zu erzählen.

Er that es, in einfach natürlicher Weise; er suchte nichts zu vergrößern, durch keine Einkleidung Henriettens Gefühl zu erschüttern und ihre Phantasie aufzuregen, oder gar sich als den Mittelpunkt von ganz ungewöhnlichen Schicksalsverwickelungen interessant zu machen. Man fühlte aus Allem heraus: was er erzählte, war die einfache Wahrheit.

Die Coquetterie, die Eitelkeit, der Uebermuth, sind der Luxus des Wohlbefindens, wie unnützer Schmuck und überflüssiger Hausrath der Luxus des Reichthums. Wer arm und leidend ist, dem schwinden beide Arten von Luxus.

Morosini, sagte Henriette, als er zu Ende war, tief bewegt und erschüttert, Sie haben ein unaussprechlich edles Herz! –

Der blasse Virtuose sah sie mit einem Blicke an, in welchem sich einiges Erstaunen verrieth. Hätte sie beim Schlusse seiner Erzählung ausgerufen: Morosini, Sie sind unendlich bemitleidenswerth! so würde er dies ganz natürlich gefunden haben; daß die Moral seiner Geschichte jedoch ein Beweis für sein edles Herz sei, das schien ihm eine Schlußfolgerung, die ihm dunkel war.

Desto folgerechter mußte sich dies jedoch im Gemüth Henriettens als Moral der letzten Lebensepoche Morosini's darstellen. Als ich ihn damals verschmähte, weil er ein Jude ist, dachte Henriette, habe ich seinem Herzen eine so tiefe Wunde zugefügt, daß die Schwingen seines Genius, darüber gebrochen, sein Lebensmuth, seine Energie, seine geistige Elasticität untergegangen sind. Ich habe eine große Schuld an ihm begangen. Aber er redet keine Sylbe von jener fatalen Stunde, er vermeidet die leiseste Anspielung, daß von jenem Tage an sein Unglück begonnen; er hütet sich, ein Wort auszusprechen, in welchem etwas enthalten wäre, das für mich wie ein Vorwurf klingen könnte.

Darum rief sie aus: Morosini, Sie haben ein unaussprechlich edles Herz!

Die Frage, welche in dem Blick enthalten war, welchen er nach diesem Ausrufe auf sie heftete, beantwortete sie nicht.

Sie legte die Hand auf seinen Arm und fuhr fort:

Obwohl Sie mit keinem Hauche Ihres Mundes mich anklagen, so weiß ich doch, daß ich eine große Schuld gegen Sie auf mich geladen habe. Unterbrechen Sie mich nicht, ich weiß es, mein Freund, und ich bereue es. Ich habe es schon früher bereut, und jetzt, wo ich Sie so wiederfinde, bereue ich es doppelt. Eine Frau, welche einem Manne einen Antrag macht, wie ich Ihnen, muß diesen Mann heirathen, wenn sie nicht ein Gefühl der Entehrung vor sich selber durch ihr ganzes späteres Leben tragen will. In diesem folgerechten Handeln habe ich mich beirren lassen. Wodurch? Durch ein Vorurtheil! Denn was anderes hat uns getrennt, als ein aristokratisches Vorurtheil, ein anerzogenes Gefühl, das keinen vernünftigen Grund hat, ein Nichts! Jude oder Christ, was kann uns das sein? Wenn die Herzen brüderlich schlagen, kann dann der Stamm, die nationale Abkunft uns trennen? Und ganz offen gesprochen, Morosini, Sie haben auch nichts Jüdisches in Ihrem Wesen, Ihren Zügen, was ich zu überwinden hätte – zürnen Sie mir, daß ich es sage?

Der Virtuose lächelte nur, ohne zu antworten.

Genug, fuhr Henriette sehr bewegt fort, ich biete Ihnen jetzt noch einmal meine Hand an, Morosini. Ich bin Witwe, ich bin unabhängig, ich bin reich, denn mein verstorbener Mann hat mich zu seiner Erbin gemacht. Ich will die Sorge von Ihrem Lebenswege fern halten; ich will sehen, ob ich nicht vermag, durch Glück Ihre Leiden zu enden, Ihren entmuthigten Genius wieder zu beleben. Lassen Sie sich taufen, werden Sie Christ, und nichts steht unsrer Verbindung entgegen!

Es wäre schwer, das Erstaunen und den Ausdruck von innerem Jubel zu beschreiben, der sich bei diesen Worten Henriettens auf dem Gesichte des Virtuosen malte. Er warf sich vor ihr auf die Knie nieder und wie ein Kind schluchzend, ihre Hand mit Küssen bedeckend, rief er aus:

O mein Gott – Henriette, was wollen Sie thun!

Wollen Sie meine Bedingung erfüllen? fragte sie, indem sie zärtlich ihre Hand auf seine schönen braunen Locken legte.

Christ zu werden?

Wollen Sie sich taufen lassen?

Nein – Henriette, denn –

Sie wollen nicht?

Ich will es nicht, weil es dessen nicht bedarf, um uns zu vereinigen.

Wie – Sie sind schon übergetreten?

Ich bin getauft.

Seit wir uns trennten, sind Sie Christ geworden? Das ist desto besser!

Nein, nicht seit wir uns trennten. Ich bin nie etwas anderes als ein guter katholischer Christ gewesen.

So waren also nur Ihre Eltern Juden?

Auch das nicht, Henriette. – Ich habe so wenig jüdisches Blut in meinen Adern wie Sie!

Aber mein Gott, weshalb –

Weshalb ich damals Ihnen sagte, ich sei ein Jude? Henriette, vergeben Sie mir diese Lüge! Es soll von nun an nichts zwischen uns sein, als die einfachste Wahrheit. Ich sagte es, weil Ihr Antrag mich erschreckte. Ein Künstler wie ich, der sich vorgenommen hatte, auf seine Kunst hin die Welt zu durchstreifen – was sollte er beginnen, wenn eine vornehme Dame mit all ihren Luxusbedürfnissen sich an seine Schritte heftete? Ich wußte in jenem unglücklichen Augenblick keinen andern Ausweg, als eine Unwahrheit, welche mir eine, ach so verhängnißvolle, Geistesgegenwart eingab.

Henriette blickte ihn mit großen, starren Augen an.

Stehen Sie auf, stehen Sie auf, sagte sie dann kalt, und während der Virtuose sich aus seiner knieenden Stellung erhob, erhob auch sie sich und ging im Zimmer langsam auf und ab.

Nein, ich bin weder ein Jude noch ein Ungar, fuhr der Virtuose fort, ich bin in der That ein Italiener, und in meinen Adern fließt das edelste Blut, welches Sie verlangen können, Madonna. Ich bin ein Enkel der großen Morosini, welche ihren Namen der Geschichte eingeschrieben haben. Wir sind längst verarmt; von den stolzen Palästen am Canal grande und der Giudecca Venedigs, die einst unsrem Hause gehörten, gehörte schon meinen Großeltern kein Stein mehr, aber darum nicht minder haben meine Ahnen in der phrygischen Dogenmütze auf dem Bucentauro sich dem Meere vermählt und die Flotten der Republik siegreich gegen ihre Feinde geführt!

Es wäre mir lieber, Sie wären ein Jude, mein Herr Graf Morosini! antwortete Henriette tonlos.

Und nach einer Weile sagte sie:

Thun Sie mir einen Gefallen, verlassen Sie mich jetzt. Ich habe das Bedürfniß, mit mir allein zu sein!

Wie Sie befehlen, theure Henriette. Und wann darf ich zu Ihnen zurückkehren?

Wann ich Ihnen eine Botschaft sende.

Ich gehe, süße Gebieterin über mein Leben!

Sie reichte ihm die Hand, weil er die seine ihr hinstreckte, aber sie vermied ihn anzublicken, während er sich entfernte. – – –

Und nun geben wir es unsern Lesern als ein Räthsel auf, welches Ende die Geschichte Henriettens und des armen leidenden Dogen-Enkels genommen? Aber nein, kann es denn ein Räthsel sein? Für Diejenigen, welche eine Ahnung davon haben, was ein Frauenherz ist, gewiß nicht!

Was Henriette in jener Stunde in P. dem Virtuosen entgegengetragen, das war zu viel, es war ein zu großer Schatz; es war eine Welt von aufrichtigem Gefühl und redlichem Gemüth. Ihr Entschluß hatte ihr einen zu heroischen Schwung des Willens gekostet; sie hatte zu heldenmüthig einer unabsehbaren Reihe von Demüthigungen, von falschen Deutungen und boshaften Urtheilen zu trotzen sich entschlossen. Ja, es war in der That zu viel gewesen, als daß ein weibliches Herz, welches das Bewußtsein von allem dem, die Erinnerung daran stets mit gleicher Lebendigkeit in sich tragen wird, vergeben könnte, daß Alles verschmäht, daß es umsonst erlitten und durchgekämpft, daß es an einen Unwürdigen vergeudet worden, der Liebe heuchelte und Liebe weckte, und doch nur einen Triumph seiner Eitelkeit wollte.

Auch Henriette vergab es nicht.

Alle die hochherzigen Entschlüsse, die Pläne für die Zukunft, die schmeichelnden Hoffnungen auf die glückliche Lösung einer so schönen Lebensaufgabe, wie das Schicksal ihr jetzt gestellt zu haben schien, Alles das, was die letzte Nacht hindurch sie schlaflos wach gehalten – es war verweht und verflogen; es war untergegangen in dem Gefühl der erlittenen bittern Kränkung.

Den Juden Moses Morosch hätte die Baronin von Ehrenfeuchter geheirathet.

Dem Grafen Moritz Morosini schrieb sie, eine Stunde nachdem er gegangen, daß von einer Verbindung zwischen ihnen keine Rede mehr sein könne.

Aber sie schrieb ihm auch, daß sie mit Theilnahme seine weiteren Schicksale verfolgen werde, und daß sie voraussetze, er werde ihr erlauben, für seine Bedürfnisse zu sorgen, so lange er leidend sei. Sie hätte gerne hinzusetzt, so lange er seine Kunst nicht üben könne, oder zu einer andern übergehe, für welche er mit so seltenem Talent begabt sei – nämlich zur Schauspielerkunst! Aber sie unterdrückte diesen Zusatz, als eine ihrer unwürdige Rache.

Morosini rechtfertigte Henriettens Voraussetzung vollständig. Er erlaubte ihr für seine Bedürfnisse zu sorgen; um es bestimmter auszudrücken, er war ganz damit einverstanden, daß sie mit dem Bankhause Torlonia ein Arrangement traf, wonach Morosini vierteljährlich bei demselben eine kleine Pension ausbezahlt erhielt.

Henriette verließ Rom sehr bald nachher. Als sie in ihre Heimathstadt O. zurückgekommen war, fand man die junge Witwe weit ernster und schwermüthiger gestimmt, als wie sie gegangen; und man sprach viel von dem tiefen und melancholischen Eindruck, welchen das ewige Rom mit seinen erhabenen Denkmälern und Ruinen, diesen redenden Zeugen irdischer Vergänglichkeit, auf lebhafte und phantasiebegabte Gemüther machen müsse.

Im Ganzen aber fand man Henriette höchst liebenswürdig und weit anmuthiger, milder und weiblicher als früher; insbesondere fand dies ein hübscher, noch sehr jung zu den zwei Sternen auf dem Epaulet gekommener Rittmeister des Husaren-Regiments. Er machte deshalb Henrietten mit ritterlicher Beharrlichkeit den Hof, und es gelang ihm, aus ihrem elastischen Gemüthe die Spuren zu verwischen, welche das »melancholische ewige Rom« darin zurückgelassen hatte.

Nach Jahresfrist war denn endlich die Frau Obristin zu einer Rittmeisterin degradirt: degradirt nur dem Titel nach, denn sie genoß nach wie vor alle militairischen Ehren, welche ein liebenswürdiges Officiercorps einer liebenswürdigen Dame, die ganz besondere Beziehungen zum Regimente hat, nur angedeihen lassen kann. Und innerlich fühlte sie sich nur »befördert«, nämlich zum Range eines liebenden Weibes, dem ehrenvollsten von allen für eine Frau; und mit der Zeit auch wieder zu einer wirklichen commandirenden Obristin – nämlich über ein ganzes Corps kleiner, dem Cadettenhause entgegenreidender Vaterlandsvertheidiger!



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