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Dritter Theil


Die Feindin.

Novelle.


I.
Julius von Milendonk an Max von Eggstein.

1.

Haus Milendonk, am 5. April 185*.

Erst heute, mein theurer Max, komme ich dazu, mein gegebenes Wort zu lösen und Dir Bericht von dem Erfolg, mit welchem ich meine Rolle als Gutsherr spiele, zu geben. Ich hätte schon früher eines der Tagebuchblätter, welche ich Dir verheißen, abgeschickt, hätte ich die nöthige Gemüthsruhe dazu gehabt. Allein erstens waren meine Pferde noch nicht angelangt – Abdallah und Fingal ließen, nachdem ich ihnen vorausgereis't, um in ihrer neuen Residenz alles zu ihrem Empfang vorzubereiten, auf sich warten, wie große Herren nun einmal zu thun pflegen. Und dann zweitens, mein lieber Freund, mußt Du wissen, daß ich glücklicher Inhaber so hoher, weiter und überflüssig geräumiger Etui's für den in so viel glänzende Facetten hauptstädtischer Bildung geschliffenen Brillant meiner kleinen Persönlichkeit bin, daß – ich friere! Ganze Blöcke trockenen Eichenholzes – sie dauern mich förmlich, denn wie viel Prachtexemplare von Landeseingeborenen echtester Sorte könnte man daraus schnitzeln – also ganze Blöcke von Eichenholz lasse ich in die Ofenungeheuer stecken, und doch wird es in diesen großen Gemächern nicht so warm, daß ich die nöthige Behaglichkeit finde, die zum ausführlichen Schreiben an einen Freund gehört.

Aber alles der Reihe nach! Wer hätte mir prophezeit, mir, dem hoffnungsvollen Diplomaten, der mit seinem getreuen Max so lange an der Spitze der Zeitbewegung der flinkste von Allen war, romantische »Standpunkte zu überwinden,« wie wir das nannten, daß ich einst auf einen so patriarchalisch niedern Standpunkt zurücksinken würde, wie das Landleben ist! Wahrhaftig, es ist Schade um mich. Ich hätte es, wäre ich meiner Carriere in den Salons und den philosophischen Kreisen der Residenz treu geblieben, weit bringen können. Vielleicht wäre ich ein Orakel, eine Berühmtheit, ein großer Mann geworden. –

Aber – »Laß' Er's nur gut sein, wir stehen uns halt so besser«, antwortete der talentvolle Kaiser Leopoldus, als ihm sein Musiklehrer das Bedauern ausdrückte, daß er kein Flötist geworden! Ich kann Dich nämlich versichern, mon ami – es ist ein vortrefflicher Besitz, den mein guter Großohm mir so unerwarteter Weise hinterlassen hat. Denke Dir, Du gelangst durch weite Saatfelder endlich in eine von Linden beschattete Dorfstraße, welche sich allmählich, wie zwei Seiten eines Dreiecks, erweitert; die dritte schließende Seite des Dreiecks bildet mein stattlicher Hof, mit großem, wappengekröntem Steinthor und einem Kranz stattlicher Platanen. In der Mitte des Dreiecks liegt zwar ein abscheuliches, von Alter in sich zusammengesunkenes Haus mit einem Garten voller Obstbäume, so daß dadurch dem Ankommenden der Anblick meiner Herrlichkeit vollständig verhüllt wird, aber ich werde dieses Haus und diesen Garten ankaufen und alles dem Erdboden gleich machen lassen.

Betrittst Du meinen Hof nun, so hast Du zur Rechten ein großes Stallgebäude, worin jetzt Abdallah und Fingal untergebracht sind. Nebenbei gesagt, es ist fabelhaft, in welchem Grade den Menschen hier zu Lande alle Idealität abgeht. Denke Dir, daß dieses Stallgebäude einen abscheulichen Anbau hat, der zahlreichen Exemplaren jener unästhetischen Thierrace, welche man im ungezähmten Zustande Schwarzwild nennt, und daneben einer stillen Gemeinde von Kühen und Ochsen zum Aufenthalt dient. Dieser Anbau kehrt sich gerade dem Ankommenden zu, mit allen seinen Abzugskanälen und all den Vorräthen an jenem ammoniakalischen Befruchtungselement, welchem der Cultus unserer neuesten Agriculturchemie gewidmet ist – dabei fällt mir ein, auf welchen Mangel an Bildung bei den gepriesenen Griechen deutet nicht die classische Augiasstallsage, und um wie viel leichter hätte es sich Herkules machen können, wenn er diesem verschwenderischen Könige Augias einen Band der landwirthschaftlichen Annalen von Hohenheim überreicht hätte! Aber, was ich sagen wollte, ich habe bereits einem Baumeister Aufträge gegeben, den totalen Umbau dieses Gebäudes vorzunehmen, damit es nicht länger den vornehmen Charakter meiner Residenz so abscheulich entstelle. –

Zur Linken befindet sich ein ganz gleiches Gebäude, ebenfalls wirthschaftlichen Zwecken und Wohnungen des Hofgesindes gewidmet; dem vorigen ganz symmetrisch gebaut, ist es nur – denke Dir! um zwei Fuß niedriger – wie mein alter Großohm das hat so lange ansehen können, ist mir unbegreiflich – mein Schönheitssinn sträubt sich so sehr dagegen, daß ich auf meinen eigenen Hof nicht gehen mag, den Gräuel anzuschauen, bis ich das Dach habe herunter nehmen lassen, um das Gebäude zu erhöhen. In der Mitte zwischen diesen beiden Schöpfungen landesüblicher Architektur steht das Herrenhaus. Es enthält schöne, große und weite Räume mit Flügelthüren, Lambris und Getäfel, und ist vor hundert Jahren à la Louis XV. gebaut. Aber die Einrichtung – du lieber Gott! Welche Thätigkeit ist da meinem reorganisirenden Geschmacke geboten!

Aus dem Hauptsaal tritt man durch eine Glasthüre in den Garten – einen Garten, wahrhaftig man meint, man müßte in diesen engen, mit Buchsbaum ausgelegten Pfaden, zwischen diesen dunklen, curios verschnittenen Taxushecken Frau Sophie de la Roche mit einem Bande von Siegwart in der Hand, oder der gefühlvollen Dichterin Susanna von Bandemer begegnen – es kann auf der Welt nichts geben, was mehr Rococo wäre. Sobald der neue Gärtner kommt, den ich verschrieben habe, wird hier der Frühling ein vollständiges Changement de décorations bringen. Du siehst, lieber Max, ich schwelge in der mir gebotenen reformatorischen Thätigkeit – was giebt es Schöneres, als Bauen, Schaffen, Arbeiten im Dienst der Schönheit – aber Gott bewahre mich vor dem Augenblick, wo Alles fertig sein wird und ich ohne weitere Beschäftigung die Hände in den Schooß legen kann!


2.

Am 11. April.

Ich habe heute eine sehr ernsthafte Unterredung mit meinem Verwalter gehabt. Dieser alte Prakticus hat in mir eine Gedankenreihe angeregt, die zu einer Theorie des gesammten irdischen Daseins hinüberleitet, von so einfachen Vordersätzen sie auch ausgeht.

Mein lieber Sparenberg, habe ich den Herrn Verwalter angeredet, nach meinen bis heute gesammelten ökonomischen Beobachtungen, scheint mir der ganze Betrieb meines Gutes einer logischen Folgerichtigkeit zu ermangeln.

Sparenberg – ich gäbe, nebenbei gesagt, vieles darum, wenn ich wüßte, welchen Eindruck der neue jugendliche Gutsherr auf diesen naiven ländlichen Geist macht! – Sparenberg also blinzelte mit den kleinen, listigen Augen in seinem vollen, rothen Gesichte (wie hidös müßte dies Gesicht sein, wenn es keine Augen hätte!) und ein Lächeln verbreitete sich um seinen Mund, der respectvoll sich nicht die Frage erlaubte, was ich denn eigentlich meine.

Desto huldvoller fuhr ich fort:

Seht, alter Knabe, ich finde da die sämmtlichen Speicher so ziemlich gefüllt; es sind, sagt Ihr, 60 Schock Stroh, 800 Centner Heu, eine unermeßliche Masse von aufgeschüttetem Korn aller Art, und 30 Malter Kartoffeln – ich bin kein Freund davon, Sparenberg, nebenbei gesagt – vorhanden und was weiß ich noch alles an Lein, Hanf, Rapps u. s. w. Diese Gegenstände repräsentiren nationalökonomische Werthe, die, auf ihren kürzesten Ausdruck gebracht, einige tausend Thaler in hübschen Bankbillets, von denen ich mit jenem Philosophen sagen würde: non olet, in mein Portefeuille lieferten. Warum nun, wenn diese Werthe einmal erzeugt sind, wird eine solche Umwandlung unästhetischer Gegenstände in eine weit liebenswürdigere Form der Erscheinung nicht vorgenommen? Warum hat sie mein guter Großohm, den Gott selig habe, nicht schon vornehmen lassen – die Preise aller solcher Sachen sind doch, meine ich, jetzt hoch genug?

Wir gebrauchen das Alles selbst, Herr, versetzte Sparenberg, nöthig selbst!

Wir gebrauchen es selbst. Gut. Aber wozu?

Ei, für das Vieh und für die Leute.

Für das Vieh und für die Leute – (ich mache Dich auf diese Rangordnung aufmerksam, lieber Max). Gut. Also zuerst für die Ackerpferde. Aber wozu sind die Ackerpferde da?

Ei, Herr, damit wir bauen können!

Damit wir bauen, das heißt, jene Vorräthe erzielen können. Dann für die Kühe. Aber wozu sind die Kühe da?

Wegen der Milch.

Wozu ist die Milch nöthig?

Wegen der Butter und um die Schweine zu mästen!

Und die Schweine, die Butter?

Um das Gesinde zu ernähren.

Also zum Verkauf gegen baares Geld wird nichts gezogen?

O doch, antwortete Sparenberg, so viel hat der selige gnädige Herr immer jährlich verkaufen lassen können, wie er für die baaren Ausgaben nöthig hatte; an Abgaben, an Lohn, an Communal-Lasten, an Einquartierung, für den Schmied, Wagner, Schreiner, Thierarzt brauchen wir jährlich eine hübsche Summe, und die muß es auch aufbringen.

Also, mein vortrefflicher Sparenberg, seht Ihr nun nicht ein, daß diese Wirthschaft ein wahrer Saturn ist, der seine eigenen Kinder frißt? daß die ganze Art der Gutsausbeutung ein Hysteron-Proteron bildet? Gebt nur acht:

Die Pferde sind da, um Früchte zu bauen; die Kühe, das Mittelglied in dieser sinnreichen Maschine, die mir wie einer der neuen Ofen vorkommt, die ihren eigenen Dampf auffressen, sind da, diese Früchte in Milch zu verwandeln; die Schweine sind da, diese Milch in Schinken und Speckseiten zu metamorphosiren, und diese endlichen Resultate unserer Jahresthätigkeit dienen dazu, daß Gesinde zu nähren, das mit dem neuen Ackerjahr wieder die Pferde in Thätigkeit setzt, damit wieder die Kühe zu fressen haben, damit diese wieder Milch geben, die wieder in Schweinegestalt das Gesinde nährt!

Ja, sagte Sparenberg, und seine Gesichtszüge zeigten, daß ihm ein leuchtender Gedanke gekommen – aber die Kühe geben nicht allein Milch. Wir haben auch den Dünger von ihnen.

Aber, alter Sparenberg, entgegnete ich, seht Ihr denn nicht ein, daß ja der Dünger auch nur zum Behuf dieser selben Maschine da ist, die immer selbst wieder frißt, was sie erzeugt? Denn Ihr sagt ja, was Ihr an Gelde aus dem Betrieb macht, das bedürft Ihr wieder für Deckung der Auslagen des Betrieb's. Was kommt nun dabei heraus?

O, der Wald, die Mühle geben jährlich –

Redet mir nicht davon, fiel ich ihm in's Wort – von ihnen spreche ich nicht – ich frage Euch, Sparenberg, was kommt bei der eigentlichen Ackerbauwirthschaft, worüber Ihr Verwalter seid, heraus?

Am Ende doch, meinte Sparenberg mit seinem schelmischen Augenblinzeln, daß die Herrschaft bequem davon mitleben kann.

Aha, das ist also Alles. Was die Kühe, die Schweine, das Gesinde übrig lassen, bleibt immer noch ein Restchen, von dem die Herrschaft sich ländlich sittlich ernähren darf, und dies Restchen ist dann am Ende auch nicht reiner Ueberschuß, sondern ebenfalls eine versio in rem, eine Verwendung für das Gut, denn es bildet den Lohn des Herrn für seine Sorge und die Mühe der Oberleitung!

Sparenberg lachte noch pfiffiger mit seinen grauen, schmalen Aeuglein und antwortete:

Ja, Herr, so ist es nun einmal!

So ist es, antwortete ich – allerdings. Die Pflanze treibt mit aller Gewalt in die Höhe, um es zur Bildung des Samens zu bringen, der gesäet wird, damit wieder Pflanzen und wieder Samen sich bilde, der abermals Pflanzen und abermals Samen erzeuge, und so con grazia in infinitum. So sind auch eine Fülle menschlicher Existenzen nur Maschinen eines Kreislaufs, bei dem gar nicht abzusehen ist, wozu er da; und da sie sich dabei schinden und placken wie armselige Sclaven, so sagt Arthur Schopenhauer mit Recht: das Leben ist ein Geschäft, bei dem der Ertrag bei Weitem nicht die Betriebskosten lohnt!

Die Physiognomie Sparenberg's bei dieser meiner Lucubration hättest Du sehen sollen! Er war köstlich mit seinen zuckenden Mienen, deren jede das höhnische Gefühl der Ueberlegenheit über seinen Herrn ausdrückte: wie grenzenlos verrückt und in den einfachsten Elementen ländlicher Bildung vernachlässigt er mich hielt, war gar nicht zu sagen. Auch hütete er sich wohl, es zu sagen – der Schelm ist so pfiffig, daß er Alles thut, um bei seinem Herrn in Gnade zu bleiben, und eigentlich müßte er, seinem Standpunkte und seiner Ueberzeugung nach, mir viel mehr widersprechen als er thut. Aber sonst ist er ein prächtiger Kerl, er ist der personificirte Ackerbau – um seinen mächtigen Schädel steht das dichte schlohweiße Haar wie eine üppige Waizensaat, und sein Kinn repräsentirt auf's Malerischeste das herbstliche Stoppelfeld.

Eh bien, fuhr ich in meiner Unterredung mit meinem Getreuen fort, Ihr sagt: es ist nun einmal so. Aber deshalb braucht es nicht immer so zu bleiben. Die neueren Fortschritte der Agronomie haben dargethan, daß der große Viehstand ein Uebel auf den Oekonomien ist; es ist unendlich einträglicher, statt der animalischen Düngmittel die künstlichen, wie Guano und Poudrette oder Knochenmehl anzuwenden. Man braucht dann die erzielten Ernten nicht einzuscheuern, um sie einer Unzahl von hungrigen Bestien vorzuwerfen, sondern man kann sie auf den Markt bringen.

Du mußt Dich über diese meine Kenntnisse in der Wissenschaft der Thaer und Schwerz nicht wundern, lieber Max. Ich fuhr zufällig auf meiner Reise hierher in einem und demselben Eisenbahncoupee mit einem Professor aus Tharand, der die jüngste Versammlung deutscher Landwirthe in Cleve besucht hatte. Von ihm habe ich außerordentlich viel in der kurzen Zeit unseres Beisammenseins erfahren. Ich will dies jetzt hier in's Leben führen. Ich habe mir einige Bücher kommen lassen, welche mein Professor mir empfohlen hat. Wenn ich darnach den alten Schlendrian hier reorganisire, so wird das eine Musterwirthschaft für die Gegend werden. Es ist mir ein schönes und befriedigendes Gefühl wenn ich mir sage, daß ich damit dem alten Satz: noblesse oblige gerecht werde.

Wir haben oft zusammen über die Aufgabe, welche in unserm Jahrhundert der Aristokratie geblieben ist, philosophirt. Ich meines Theils verzichte darauf, in die metaphysischen Theorien und sehr weitgreifenden, praktischen Forderungen einzugehen, welche von so Manchem in unserm Kreise aufgestellt wurden. Sternberg's vortrefflicher »Paul« Alexander von Sternberg: Paul. Roman. 3 Bde. 1845. – Anm.d.Hrsg. ist Alles, nur nicht praktisch. Ich beabsichtige das Ding nüchterner, den gegebenen Verhältnissen gemäßer und des Erfolgs sicherer anzugreifen, indem ich mich auf den kleinen, vom Schicksale mir angewiesenen Kreis beschränke. Auch im Kleinen kann man ja Großes wirken – ich erblicke mich im Geiste bereits als den gefeierten Wohlthäter der Gegend; in der Ackerbauschule der Provinz wird man meine Büste aufstellen, und an den Schulfesttagen werden die Bauerjungen meine reformatorische Stirne bekränzen. Um dies Glück wirst Du mich freilich nicht beneiden! Aber darin liegt doch ein neidenswerthes Glück, zu empfinden, wie der Gedanke Herr ist über den Stoff und wie dem Geiste sich die Natur gehorsam schmiegt, gleich einem Rosse unter seinem Reiter!

3.

Am 20. April.

Du fragst mich nach meinen lebenden Umgebungen, lieber Freund! Wahrhaftig, Du hast Recht, mich daran zu erinnern, sie sind originell genug. Da ist zuerst der Pastor Loci, der in mir seinen Patronatsherrn verehrt. Er ist ein alter, stiller Mann, dem man nachsagt, daß er hart und heftig werden könne; ich glaube, es ist ihm in der Seele zuwider, daß er neben seiner kirchlichen Autorität noch eine weltliche Macht im Dorf dulden muß, aber das canonische Recht hat seinem Gutsherrn nun einmal Befugnisse eingeräumt, und das ist sehr hübsch und liebenswürdig von diesem canonischen Recht, von dem ich früher nie ahnte, daß ihm so angenehme Seiten abzugewinnen wären. Wenn ich dabei berücksichtige, wie viel Mühe sich der königliche Inhaber der Polizeigewalt im Dorfe giebt, um meinen Wiesen die Abzugskanäle im Bereich der Gemeindegründe rein und offen erhalten zu lassen und den Holzfrevlern in meinen Büschen nachzuspüren so muß ich mir gestehen, daß wir im gewöhnlichen Leben doch sehr fühllos und undankbar an den schützenden Institutionen der Gesellschaft vorüber gehen. Polizei und Jus Canonicum – nie hätte ich gedacht, daß ich diese Elemente des socialen Lebens in der Nähe in einem so liebenswürdigen Lichte erblicken würde.

Was aber jenen Inhaber der Polizeigewalt selbst angeht, so ist er ein Capitalmensch. Er war früher Rentmeister eines Grafen M. in den alten Provinzen, und seine ausgezeichnetste Eigenschaft ist die fessellose Thätigkeit seiner Phantasie, wenn er sich in den süßen heimathlichen Erinnerungen ergeht. Wie ein Communist den Begriff des Eigenthums, so hat er den Begriff der Wahrheit in einer Weise verdünnt, deren geniale Energie alle Anerkennung verdient. Auf den Jagden seines Grafen hat ihn einmal ein wüthender Hirsch mit dem Geweih gefaßt und sich den Herrn Petermann so über den Kopf geschleudert, daß er rittlings auf den Rücken des erbosten Thieres zu sitzen gekommen ist. Dann ist der edle Hirsch, erschrocken über die plötzliche, ungewohnte Last, davon gesprengt über Feld und Flur, durch Wald und Dickicht – natürlich die Meute und der Jagdtroß hinter ihm drein, und ihm immer näher auf den Fersen kommend, da das Thier begreiflicher Weise mit unserm schweren Gemeindevorstande auf dem Rücken nicht die gewohnte Behendigkeit hatte.

Nun denke Dir dies Bild aus: diesen neuen Hackelberg, auf dem Hirsche reitend, sich ängstlich an sein Rückenfell klammernd, zerfetzte Stücke seines Gewandes um ihn herflatternd, und mit wildem Halloh, mit Hörnerklang und Peitschenknall, die Meute und die Jagdcumpanei hinter dem Reiter drein! Weshalb haben die »fliegenden Blätter« Fliegende Blätter war der Name einer humoristischen, reich illustrierten deutschen Wochenschrift (1845 bis 1928). Mit Karikaturen, Gedichten und Erzählungen gelang eine zielsichere, satirische Charakterisierung des deutschen Bürgertums. Beliebte Serienfiguren aus waren die beiden Typen Biedermann und Bummelmaier (aus ihren Namen entstand der Begriff Biedermeier). – Anm.d.Hrsg. nicht Herrn Petermann in dieser Situation fixirt. –

Ein andersmal hat er beim Baden mit mehren Freunden eine ausgezeichnete Gewandtheit dadurch an den Tag gelegt, daß er einen Hecht von horrender Größe mit eisenfestem Griff am Schwanze erhascht hat. Nun muß nicht allein unter den Menschen auf Erden, sondern sogar unter den Fischen im Wasser eine Antipathie gegen derartige Griffe der Polizeigewalt herrschen, denn der große Hecht hat sich mit allem Aufgebot seiner Flossenkraft der drohenden protokollarischen Abwandlung zu entziehen gesucht. Aber vergeblich. Die obrigkeitliche Hand läßt auch ein so schlüpfriges Ding, wie den Schwanz eines freiheitliebenden Hechtes, nicht fahren, wenn sie es einmal gefaßt hat. Mein schwimmender Petermann ist also in Blitzesschnelle fortgerissen worden durch das rauschende Element; erschrocken darob hat ein neben ihm badender Freund ihn am Fuße zu halten gesucht – aber auch der ist mit fortgerissen worden, und so sind sie daher gebraust, den Fluß hinab, voran der Hecht, ein lebendiges Schleppschiff, hinter ihm drein unser Polizeivorstand und hinter diesem der hülfebereitende Freund. Denke Dir diese Seeschlange!

Die Katastrophe, welche dieser Schwimmparthie nach Herrn Petermann's Versicherung ein glückliches Ende gemacht hat, ist aber noch großartiger: stelle Dir vor, daß der abscheuliche heimtückische Hecht, fühlend, wie ihn nichts aus dem entsetzlichen Griff des Mannes der öffentlichen Sicherheit retten könne, endlich beschlossen hat, seinen Feind mit sich zu verderben. Zu dem Ende ist er in wüthendem Schuß in eine große Fischreuse – sie wird in ihren Größenverhältnissen auf den Fang von Haifischen und Wallrossen berechnet gewesen sein – gefahren. Die Verfolger natürlich, solche Tücke nicht ahnend, ihm nach. In diesem dädalischen Irrgewinde von Bindfaden-Maschen, behauptet Petermann, nun seine Besinnung verloren zu haben; glücklicher Weise aber sendet die Fürsehung in demselben Augenblick den Fischer daher, der nach seiner Reuse zu schauen kommt und sie aufzieht, keuchend und ächzend über die ganz ungewöhnliche Last. Wie groß muß des Mannes Erstaunen gewesen sein, als er sieht, daß er erstens einen ungeheuren Hecht, zweitens einen königlichen Administrativbeamten und dann gar noch ein drittes Individuum gefangen hat, dessen äußere Erscheinung und Costüme keinen Schluß auf Stand und Herkunft zuläßt!

Das sind so die Jagdstücklein meines vortrefflichen Dorfgebieters. Sie haben mich zu der Beobachtung geführt, daß überhaupt etwas im Landleben liegt, was zum Windbeuteln und Aufschneiden verführt. Mir sind nämlich auffallend viel Charaktere hier vorgekommen, welche sich durch höchst anerkennenswerthe Leistungen auf diesem Gebiete auszeichnen. Das bekannte Erzählertalent aller alten Jäger ist also nur einer allgemeineren Erscheinung unterzuordnen. Woher kommt das? Ist es die Einsamkeit, welche die Thätigkeit der Phantasie weckt? Der Drang, dem Städter zu zeigen, daß man nicht minder seine Erlebnisse, seine Abenteuer, seine Wichtigkeit habe? Ich weiß es nicht, aber so viel ist gewiß, Münchhausen ist ein Landedelmann, kein Städter!

Mais revenons à nos moutons – auf die guten Hämmel, deren belebenden Umgang ich hier zu genießen das ausgezeichnete Vergnügen habe. Es ist noch ein seltsames Individuum darunter, der Sohn eines französischen Marquis aus der Emigrantenzeit, wo das Land hier von Prinzen, Herzogen, Grafen und Abbé's, von Vicomten, Chevaliers und Requetenmeistern, die sich den demokratischen Zudringlichkeiten in ihrer Heimath entziehen wollten, überströmt war. Der fragliche Marquis hat diesen Herrn Sohn als eine Art Contrebande einer hübschen Landschönen zurückgelassen, nachdem er hinreichend lange in diesen friedlich stillen Thälern geweilt, um seinen par parenthese in's Leben gerufenen Sprossen im Französischen und im Tanzen auszubilden; worauf der gewissenhafte Papa, ruhig über das Schicksal desselben, geschieden ist. Und siehe, des Vaters Voraussicht hat sich erfüllt – der gebildete junge Mann hat seine Vorzüge so zu entfalten gewußt, daß er zum Maire der Commune ernannt worden ist, in jenen vorsündfluthlichen Zeiten, als unser Dorf hier in der Seligkeit schwelgte, dem großen französischen Kaiserreich anzugehören, und als französisch parliren zu können die erste und schönste Bürgertugend war.

Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen – nur Herr Püttmeyer, der ehemalige Maire, nicht. Er ist eingefleischter Franzose, heute so wie zu den Zeiten seiner napoleonischen Glanztage; daneben ist auch das alte Marquiselement stark in ihm lebendig und er hält die Traditionen des ancien régime im Dorfe aufrecht mit seinen tiefen Bücklingen, seinen höflichen Manieren und seinen wohlfrisirten Redensarten. Besonders soll diese Seite seines Wesens sich in den letzten Jahren – ich weiß nicht, ob unter dem Einfluß des Alters, das sich ja immer den Jugendeindrücken wieder zu nähern pflegt, oder unter dem Einfluß der Strömung der Geister in unsern Tagen, herausgekehrt haben. Seine fixe Idee ist jetzt, wie man mich versichert, geworden, vom Könige die Erlaubniß zu erhalten, seinem plebejischen Namen den aristokratischen seines Vaters beifügen zu dürfen; er will sich Püttmeyer de la Roche Aymon nennen!

Komisch ist es für mich das Bild zu studiren, welches die unverdorbenen Gemüther dieser biedern Landbewohner sich von mir machen. Wenn Du glaubst, lieber Max, daß die universelle Bildung, die feine Tournüre und die Conversationsgabe Deines Freundes ihnen imponiren, so irrst Du sehr. Jeder Bauer bekommt einen Schrecken, wenn er irgend Jemanden mit einem Papiere in der Hand in sein Haus rücken sieht. Er weiß, daß das Etwas ist, was das modern gebildete Staatswesen, der rationelle Organismus der Gesellschaft ihm in seine patriarchalische Fürsichexistenz sendet. Und da er die Welt, aus der diese Liebeszeichen stammen, die ihn aufsuchen, ohne daß er sie sucht, nicht kennt: da dieselben zudem immer nur zärtliche Vorwürfe über seine Gleichgültigkeit wider das liebende Staatsganze und dringliche Einladungen, durch Zahlung von Steuerresten, Communalzuschlägen, Gerichtskosten, Rentenablösungen und Kreisumlagen jenen Avanzen eifriger entgegenzukommen, enthalten – so ist es im Grunde erklärlich, daß er vor allen solchen Billetdoux einen ganz gehörigen Respect hat.

Einen ganz ähnlichen Eindruck, wie auf den Bauer ein Stück obrigkeitlich vollgeschriebenen Papiers, mache ich, glaube ich, auf meine verehrten ländlichen Originale. Ich bin ihnen eine Botschaft in einer unverständlich vornehmen Sprache, aus einer Welt, die sie nicht kennen. Sie verstehen mich nicht, aber sie möchten mir ja nicht zeigen, daß sie nicht so gebildet sind, um mich nicht zu verstehen. Ich lege ihnen deshalb eine fortwährende Gene auf. Sie beneiden die Welt nicht, welche ich ihnen darstelle, dazu ahnen sie zu wenig von ihr, sie ist ihnen zu fern; aber sie hegen ein gründliches, instinctartiges Mißtrauen gegen sie. Es ist ihnen auch nie vorgekommen, daß ein solider, respectabler Mann so viel in der Welt gesehen hätte, so viel zu reden wüßte, so viel Bilder und Ideen in der Conversation um sich würfe.

Kurz, ich bin ihnen überaus unbehaglich, sie mißtrauen mir, ohne es sich selbst zu gestehen; aber wenn ich nicht der Gutsherr wäre, würden sie es sich selbst und auch allen Andern sehr laut gestehen. Du weißt, wie mein Caro immer ein lautes Geheul erhub, sobald auf meinem Flügel ein Ton angeschlagen wurde. Wahrhaftig, wenn es nicht so übermüthig lautete, würde ich sagen, mein geistiges Leben ist hier wie die Musik in Hundeohren!


4.

Am 10. Mai.

Ich bin in voller Thätigkeit. Auf dem Hofe wird gezimmert, gemauert, gemeißelt und angestrichen; im Hause habe ich Tapezierer beschäftigt, den Garten gestalten mir zwei Gärtner mit einem Haufen Arbeiter in eine geschmackvolle englische Anlage um – Du wirst Deine Freude daran haben, wenn Du im Herbst zur Jagd zu mir kommst. Aber entsetzlich viel Geld nimmt das Alles in Anspruch. Viel mehr als ich glaubte. Sparenberg blinzelt jeden Sonnabend pfiffiger mit den Augen, wenn er kommt, um meine Cassette zur Löhnung der Arbeiter anzuzapfen.

Dazu haben die Bethätigungen meines Schönheitsdranges eine üble Folge für mich. Das Volk macht sich ausschweifende Vorstellungen von meinem baaren Reichthum, und während auf der einen Seite Jeder davon sein Profitchen ziehen will, der von mir zu bekommen hat, glaubt Jeder, der mir zu zahlen hat, sich bei einem so reichen Herrn dieser lästigen Pflicht überhoben erachten zu dürfen. Die Mühlenpächter, die Holzersteigerer zahlen nicht – aber ich, ich muß zahlen, daß mir die Augen übergehen. Meine Unbekanntschaft mit den Preisen der Dinge, die ich nöthig habe, wird weidlich ausgebeutet, und noch mehr die städtische Naivetät, die ich herbrachte, Jedermann, mit dem ich zu thun bekomme, für ehrlich und zuverlässig zu halten.

O Dorfgeschichten, o Idyllen Geßner's! – welch' treuer Spiegel ländlicher Unschuld seid Ihr! Oft ergötzt es mich, oft ärgere ich mich darüber. Mein treuer Sparenberg ist ein unbrauchbarer Schlingel, der wie alles Dienervolk immer fremden Menschen mehr beistehet als seiner Herrschaft. Ich werde ihn fortjagen. Wie ungenirt man's treibt, davon will ich Dir ein Beispiel geben.

Neulich habe ich auf Sparenberg's Verlangen einen neuen Ackergaul zu kaufen. Ein Jude – der Gott Abrahams und Isaak's sende ihn in das Feuer Gehennah – stellt sich vor und präsentirt mir ein stattliches Roß, einen Schimmel, so schön, daß man es als Luxuspferd gebrauchen könnte. Ich untersuche das Pferd nach allen hippologischen Regeln, finde keinen Fehler, und da der geforderte Preis mir sehr, ja auffallend mäßig scheint – weil der Jude, wie er versichert, sich mir empfehlen will – nehme ich die Waare. Sparenberg zupft mich am Aermel: Lassen Sie doch den Juden gut dafür sagen, daß kein Fehler an dem Thiere ist, raunt er mir zu. Richtig, Sparenberg – also Baruch, es ist nichts daran, an Eurem Gaul? – Auf Ehre nicht, es ist nichts daran, Herr Baron – gar nichts; auf Ehre, Herr Baron, als ich bin ein rechtschaffener Mann!

Der Gaul wird in den Stall geführt – aber als man ihn am andern Tage einspannt, zeigt sich, daß er einer der abscheulichsten, hirntollsten »Schläger« ist, welche je Geschirr und Deichsel zerrissen und zertrümmert haben. Der Jude wird aufgefordert, sein Juwel zurück zu nehmen. Baruch weigert sich. Mein Advokat klagt ihn ein. Termin vor dem Kreisgericht. Mein Mandatar führt seine Zeugen an, daß Baruch für die Fehlerlosigkeit der unbändigen Bestie eingestanden habe. Für die Fehlerlosigkeit? schreit Baruch – straf mich Gott, was heißt Fehlerlosigkeit – Doctorleben, wie kommen Sie mir vor! Ich habe offen gesagt, es sei nichts daran, gar nichts daran gelegen, aber der Baron hat gewollt haben das Pferd, weil es ist gewesen ein schönes, propres Thier von Angesicht, und da hab' ich's ihm gelassen für 85 Thaler Preuß Courent – wär' es gewesen fehlerlos, hätt' ich's nicht gelassen für 200 – lassen Sie kommen die Zeugen und lassen sie thun einen Aid, ob ich was anders hab' gesagt, als es sei nichts daran, und ob ein ehrlicher Mann kann thun mehr?

In der That, auf diese Art der Klageeinlassung war ich nicht gefaßt. Jetzt dauert der Proceß fort, und der Gaul steht unterdeß in meinem Stall, um, bis die Sache glücklich durch alle Instanzen abgewickelt ist, dreimal so viel Futter zu verzehren, als er werth ist.

Ich würde mich über alles dieses ärgern, wenn ich mit Illusionen auf das Land gekommen wäre. Das bin ich Gott sei Dank nicht. Ich habe lange genug gelebt, um zu wissen, daß die Menschen überall dieselben sind. Freilich, so arg habe ich mir die allgemeine Entsittlichung nicht vorgestellt. Wie soll das enden? Laß es an Deiner Vorsicht enden, wirst Du sagen. Das soll es, freilich. Aber die Folgen im Großen und Ganzen?

Doch zu etwas Erfreulicherem. Ich kann Dir nicht beschreiben, welches Vergnügen im Gestalten und Schaffen enthalten ist, und selbst bei Dingen, von denen Du gewiß nicht glaubtest, daß sie Deinen lebhaften Freund so fesseln könnten. Da habe ich z. B. fünfzig Morgen nasser, vermooster Wiesen, von denen mein wackerer Großohm nach altem Landesbrauch Jahr für Jahr ein dürftiges saures Heu hat ernten lassen, ohne daß ihm je der Gedanke gekommen wäre, solch ein Grundstück könne für seine langen, getreuen und unausgesetzten Leistungen von seinem Herrn auch ein dankbares Zeichen der Anerkennung in Form von Pflege und Sorgfalt verlangen. Ich lasse die ganze verkommene und unfruchtbare Fläche umbauen und Kunstwiesen mit den sinnreichsten Bewässerungsanstalten daraus schaffen. Auch das verschluckt große Summen, aber es wird einen fabelhaft reichen Ertrag abwerfen, mit dem bisherigen Zustande der Dinge verglichen.

Ueberhaupt leistet die ganze Landwirthschaft wenig, wenn sie sich nicht inniger mit der Industrie gesellt. Der Ackerbau und die Industrie, diese beiden Grundmächte der Gesellschaft, müssen eine Ehe schließen: jener, der Mann muß erzeugen, diese, die sinnige, arbeitsame, organisirende Hausfrau muß verwerthen, was der Mann draußen gewinnt und als Rohstoff heimbringt. Von diesem Gedanken ausgehend, will ich eine industrielle Unternehmung auf meinem Gute gründen; das ist die nächste Schlußfolgerung eines Gespräches, welches ich neulich mit meinem Schlingel von Verwalter hatte – es ist auch ein gebieterisches Bedürfniß, wenn ich die Verbesserungspläne, die ich hege, ausführen will, um die Fonds zu gewinnen. Denn es bleibt noch gar vieles zu thun.

Da ist zum Beispiel ein bedeutender Bach, der ein neues Bett verlangt; bei dem jüngsten Thauwetter im März ist er weit ausgetreten und hat mir eine ganze Strecke der schönsten Wintersaaten verschlammt und versandet. Das ist bei hoher Fluth so alle fünf oder sechs Jahre der Fall gewesen, sagt Sparenberg, und nie ist man auf die Idee gekommen, durch eine Regulirung des Bettes dagegen eine Radicalcur anzuwenden!

Und so ist alles vernachlässigt, mitunter bis in's Fabelhafte hinein. Das Hausarchiv habe ich auf einem der Speicher in Gestalt eines verschimmelnden, von den Mäusen durchfressenen Haufens feuchten Papier- und Pergamentwustes gefunden. Die hoffnungsvollen Rangen, welche in voraufgegangenen Generationen die Sprossen meines erlauchten Hauses bildeten und von der Vorsehung zu der Fortsetzung eines Geschlechtes ausersehen waren, dessen Untergang für die Weltgeschichte ewig bejammernswerthe Folgen gehabt haben würde – diese Rangen also, die nachher zu der unverdienten Ehre gekommen sind, meine Ahnen zu werden, haben die schönen Bullen mit den kaiserlichen Siegeln von den prächtigen Lehnsbriefen geschnitten, um sie auf den Fußböden rollen zu lassen, oder um sie sich in Ausbrüchen erhöhten Lebensgefühls an die Köpfe zu werfen. Die Ränder der großen Pergamentblätter sind zerschnitten von sittigen Fräulein voraufgegangener Epochen, die sich das standesmäßige Vergnügen gemacht haben, darauf zerbrochene Säulenschäfte mit Lorbeerkränzen umher, oder griechische Tempelchen unter Trauerweiden in Wasserfarben zu klecksen.

Die Ahnenbilder im Gartensaale waren so verstaubt, verräuchert, beschmutzt, daß ihre Züge nur noch wie von Unmuth schwarz und düster auf ihre pietätlosen Enkel herabblickten, oder in »Staub« mehr noch, als in »Asche« zu trauern schienen über diese Vernachlässigung. Seit sechs Wochen habe ich einen Maler hier, um ihnen zu zeigen, daß ein ihrer würdigerer Nachkomme hier eingezogen ist, und ich kann Dich versichern, daß sich, bereits bei einer ganzen Reihe von ihnen die düstern Züge wunderbar erhellt und aufgeheitert haben!


5.

Am 25. Mai.

Ich habe ein Veilchen entdeckt, das im Verborgenen blüht, ein Landpomeränzchen, dem ich jedoch nur aus Höflichkeit das Diminutiv gebe; denn eigentlich ist meine Schöne groß und stattlich, und von der Landpomeranzen-Eigenschaft hat sie weiter nichts, als die langsam bedächtige, vom Dialect mehr als billig gefärbte Sprache der Landeseingeborenen und dazu etwas steife Manieren; sonst ist sie eine ganz untadelige Gestalt, der das einfache, dunkle, bis an den Hals schließende Kleid von bescheidenem Merino oder Tibet vortrefflich steht. Ihre Züge sind eigentlich schön, sie würde auch auffallen, wenn sie einen blendenderen Teint und mehr Farbe hätte; aber auch so ist ihre hohe, klare Stirn mit dem prächtigen kastanienbraunen Haar, wohl zu erobern im Stande.

Für mich ist sie der stärkste, selbstbewußteste Ausdruck jener indolenten, beinahe abwehrenden Kälte, womit meine Landsassen mich hier betrachten – jener beinahe komischen Respectlosigkeit, welche diese Landoriginale den Sphären des geistigen Lebens und des erweiterten Daseins von uns Culturmenschen entgegensetzen. Ich bin ihr interessant, das ist nicht anders möglich bei ihrer einförmigen Existenz, in welche so wenig fremde Erscheinungen treten; aber sie läßt sich nicht herab, es mir nur durch einen einzigen auf mir haftenden Blick zu zeigen; und wenn ich ihr auf's liebenswürdigste vorplaudere und ihr Herz zur Bewunderung zu verführen, suche, so ist es, als ob Gretchens »guter Geist« hinter ihr stände und ihr zuraunte: laß dich nicht verblüffen. Dieser Einflüsterung scheint sie denn auf's gewissenhafteste zu gehorchen.

Und doch ist sie, glaube ich, innerlich nicht theilnahmlos, sie scheint mir obendrein ein ganz verwettert gescheutes Ding; sie ist sogar witzig, ironisch, und ich glaube, ihre Phantasie hätte im Grunde ein ganz wildes Wesen werden können, wenn sie nicht wieder mit so kalter, klarer Verständigkeit die Rosse vor dem Helioswagen ihrer Einbildungskraft zu zügeln und zu zähmen verstanden, daß sie sie jetzt à deux mains gebrauchen kann, Werkeltags für ökonomische Zwecke und nur in sonntäglichen Stimmungen zum Ausflug in icarische Bahnen. Ich möchte einmal sehn, ob ich's nicht dahin bringe, daß sie freundlich mich mit sich steigen heißt in den goldenen Wägen, worin sie doch für Zwei Platz haben muß, oder sie wäre kein junges Mädchen!

Nun habe ich Dir da das Charakterbild einer ländlichen Schönheit gezeichnet, und kein Wort gesagt, von welchem Rahmen individueller Verhältnisse Fräulein Sophie Menther eingefaßt ist. Du mußt wissen, daß sich eine halbe Stunde von meiner Besitzung ein Gut befindet, welches nur etwa halb so groß wie das meinige ist; dafür hat es eine ausgezeichnete Wasserkraft, welche mehre Mühlen-Etablissements in Bewegung setzt, und pour comble de bonheur eine höchst ergiebige Kohlenzeche.

Dies Besitzthum befindet sich in der Hand eines ehemaligen Hauptmannes, der es dadurch bekommen haben soll, daß er die Cousine im siebenundzwanzigsten Grade canonischer Computation der letzten Eigenthümerin, einer kindischen und unzurechnungsfähigen, alten Frau geheirathet hat. Besagter Capitano und seine Sposa haben dieser steinalten Donna Urica nämlich deutlich zu machen gewußt, daß sie für ihr zeitliches und ewiges Wohl weitaus am besten sorge, wenn sie die ferngradige Cousine zur Erbin einsetze. Das ist geschehen; nahe, dürftige Verwandte sind dadurch übergangen worden – ein skandalöser Prozeß mit ihnen hat sich durch viele Jahre gezogen – enfin, der Hauptmann ist seit einem Menschenalter Gutsherr.

Petermann hat mir eine lange Mordgeschichte über das Alles erzählt; wieviel davon gelogen ist, weiß ich nicht, wahrscheinlich ein bedeutender Bruchtheil des Ganzen – auch wenn Petermann ein glaubwürdigerer Historiker wäre, als er ist, denn auf dem Lande pflegt man die Verhältnisse seiner Nachbarn mit einem rührenden Aufgebot christlicher Milde zu analysiren.

Eh bien, mich kümmert's nicht; ich habe einen Besuch in Osterlohe gemacht. Der Hauptmann, der selten sichtbar werden soll, weil er an allen Gebrechen seiner natürlichen Krankheit, dem Alter, leidet, hat mich nicht empfangen können – dafür hat der sorgsame und liebende Stab seiner hinwelkenden Kräfte, seine Tochter Sophia, mir die Honneurs gemacht – tant mieux – und ich habe einen Vorwand, mehrmals zurückzukehren, aus dem Umstande schöpfen können, daß ich noch nicht die Ehre gehabt, dem Herrn Hauptmann mich zu präsentiren.

Bei der Gebrechlichkeit des Alten, der nur noch zum Wetterglase gut ist, weil eine Kugel, die er in der Schlacht von Jena empfangen haben will, je nach dem Wetter in ihm fällt oder sinkt, gerade wie das Quecksilber in einem Barometer – bei dieser Gebrechlichkeit hat Sophie die Aufgabe, die Geschäfte der Gutsverwaltung zu leiten, und sie soll sich mit bewundernswürdiger Umsicht derselben annehmen. Sparenberg wenigstens äußert vor ihrem savoir faire und ihrem Talent als »Regisseur«, wie die Franzosen das nennen, unbedingten Respect.

Und hat sie keine Freier? habe ich ihn gefragt, als die Rede neulich auf die Bewohner von Osterlohe kam.

Freier – o sicherlich, und Osterlohe noch mehr; aber bisher hat man nicht gehört, daß einer bei ihr Glück gemacht hätte, antwortete Sparenberg.

Und doch ist sie kein Kind mehr!

Fünf und zwanzig im Herbst, versetzte er; es denkt mir noch, als sie in unserer Kirche zur Taufe getragen wurde; es war ein Jahr, nachdem der Sohn des seligen gnädigen Herrn von den Schulen und von seinen Reisen wieder heim kam, und das sind jetzt 26 Jahre!

Ich weiß nicht, welche Ideenassociation sich Sparenberg aufdrängte, aber aus seinem verschmitzten Mienenspiel errieth ich, daß darin nichts war, was ich als eine Schmeichelei für mich hätte auslegen dürfen. Dachte er vielleicht, wie viel ruhiger, behaglicher und vortheilhafter für Schelme seines Gleichen die Gestalt des vor 26 Jahren seinen Einzug feiernden Erben gewesen, im Vergleich mit dem jüngst eingezogenen windigen Menschen? Vielleicht – doch dann hätte seine röthlichen Züge auch wohl eine gelinde Wehmuth überschattet, daß das Schicksal diesen vortrefflichen Junker in der Blüthe seiner Jahre vorzeitig dahingerafft, und den in der Residenz lebenden unangenehmen Vetter, mit dem so schwer für Sparenberg zu leben ist, zur Erbschaft berufen habe. Wahrscheinlicher dachte er, ich werde den Entschluß gefaßt haben, um die Hand der hübschen Oekonomin zu concurriren, in der Absicht, Osterlohe meinem Gebiete einzuverleiben – und ich werde mir, zu Sparenberg's ganz besonderer Ergötzung, einen weidlichen Korb holen, als ein viel zu fahriger, unzurechnungsfähiger Mensch für die Perle des Landes!

Du lieber Gott – j'ai d'autres chats à fouetter, und denke sehr wenig daran, dieser Erbin einer sehr ausgiebigen Wasserkraft und eines Kohlenflötzes von x Lachter Mächtigkeit Fallstricke zu legen!


6.

Am 3. Juni.

Die Natur ist doch eigentlich ein ganz eigenthümliches Wesen: ich habe hier in ein paar Monden in meinem Tête-à-tête mit dieser gütigen, allliebenden Mutter mehr darüber erfahren, als unsre Cathederweisheit, welche glaubt, jeden elektrischen, magnetischen, galvanischen und odischen Nerv derselben nach ihrem Belieben unter ihren Fingern spielen lassen zu können, sich träumen läßt. Diese alte Mutter Gea mit den vielen Brüsten ist nämlich ein im Grunde böses neidisches, tückisches Weib, das nicht mit reichen Händen aus üppigen Füllhörnern spendet, sondern geizt und raubt, wo sie irgend einen armen Sterblichen um den Lohn seiner ihr gewidmeten Arbeit bringen kann. Es ist Feindschaft zwischen der Natur und dem Kinde des Geistes und Gedankens, dem Menschen.

Ja, es ist etwas Dämonisches, Diabolisches in dieser von den Pantheisten angebeteten Natur; die ganze Materialisten- und Stoffwechselschule, die uns zu Naturproducten stempelt und folgerichtig uns in den remarkabelsten Zucht-Exemplaren auf die landwirthschaftlichen Ausstellungen liefern müßte, versteht nichts davon. Unser geistiges Wesen hat mit der Natur nichts gemein. Die alten Scholastiker blickten viel tiefer, und in der Erbsündetheorie, die alle Natur als unheiliges, unsalvirtes Ding unter einem Banne liegend erblickt, ist mehr Weisheit, als in dem modernen Naturcultus, der aus einem Pandämonium ein Pantheon macht.

Wodurch ich auf diese Ideen komme? Durch meine Erfahrungen, also auf dem Wege der zuverlässigsten Belehrung, auf dem empirischen. Ich habe das stille Walten der alma mater tellus und der Elemente so empfunden, daß ich davon mitreden kann. Beim Nahen des Lenzes, während schwärmerische Seelen im abendlichen Birkenduft und beim ersten Nachtigallschlag einen Himmel naiver Entzückungen in sich aufsteigen fühlten, hat mir die Fluth meine Wintersaaten verdorben. Im Mai ist eine Nacht mit einem tüchtigen Frost über meine Rappsfelder gekommen und hat sie vernichtet; jetzt haben mir die Erdflöhe meine Leinsaaten verdorben und das Sommergetreide, das nach Sparenberg's Versicherung sich in sehr hoffnungsvollen Umständen befindet, soll, wie Herr Petermann behauptet, der das Ding kennen will, jämmerlich aussehen.

Ich würde aus diesen persönlichen Erlebnissen keine Schlüsse ziehen, so inhuman und unfreundlich auch von der Natur diese Aufführung sein mag, einem mit den besten Absichten kommenden jungen Anfänger gegenüber; aber ich sehe, daß alle andern Menschen, alle diese wie Zugstiere arbeitenden, ihre sauren Schweißtropfen an sie wendenden Bauern von der alten Hexe nicht besser behandelt werden. Sie quälen sich durch eine Kette von unangenehmen Erlebnissen hindurch – Nachtfröste, Hagelschlag, Wasserfluthen, Dürre, Nässe Mehlthau, Ungeziefer, und weiß der Himmel, wie alle diese Dinge heißen, womit ihnen das Leben vergällt wird.

Ich habe das gestern Sophie ausgesprochen und ihr mein Leid geklagt. Ich traf sie bei einem Spazierritte zufällig auf einem Haidegrundstücke, das ihr Vater, oder vielmehr sie selbst, urbar machen läßt, und wo sie den Arbeitern zuschaute. Als sie mich, von Abdallah's Rücken getragen, dahertraben hörte, blickte sie rasch um, dann aber machte sie einige hastige unwillkürliche Schritte, wie um sich von meinem Wege mehr zu entfernen – es war ein Beweis, daß meine Erscheinung sie nicht ganz so unbefangen laßt, wie sie sich stellt. Aber sie ist doch herzlos wie alle diese Menschen.

Als ich neben ihr anhielt, das Pferd meinem Diener überließ, und zu ihr trat, um dann bald im Gespräche auf meine verdrießlichen Erfahrungen zu kommen, wurden ihre Züge fast von demselben Spott belebt, der in Sparenberg's Mäuseaugen glänzt, wenn ich ihm klage. Sie wandte sich ab und lenkte ihre Aufmerksamkeit so ausschließlich auf Abdallah und Fingal, als ob diese unendlich mehr Anziehendes für sie hätten, als der Besitzer derselben. Ich begleitete sie dann nach ihrem Hause zurück.

Der Weg ist sehr hübsch, er führt durch ein Gehölz mit schattigen Alleen, darauf durch die Ackerfelder und Wiesen, die zu Osterlohe gehören. Das Gut liegt in einer Thalsenkung, von breiten Wassergräben umgeben; sonst hat es nichts Herrschaftliches, es ist ein einfaches, modernes Gebäude mit weißem Verputz und grünen venetianischen Blenden. So bildet es gerade den Gegensatz zu meinem wappengeschmückten, feodalen Edelhof. Aber rund umher, in den Gärten, auf dem Wirthschaftshofe, sieht Alles überaus proper und frisch aus. Die strengste Ordnung waltet hier; die Oelfarbe wird nirgends gespart, und das Vieh, welches auf den Weidestücken grast, gleißt und strotzt von Wohlbehagen. Auch machte Sophie, wenn wir durch eines dieser Gehege schritten, zahlreiche kleine Abstecher, um hier einem jungen Rinde das glänzende Fell zu streicheln, und dort ein unbändiges Fohlen zu locken, das mit den weitgeöffneten Nüstern ihre ausgestreckte Hand anblies und nach dieser schnaubenden Huldigung den Revers seiner wilden Galanterie zeigte, indem es sich umdrehte und hinten ausschlagend davon galoppirte.

Aber mein Gott, Fräulein, fürchten Sie nicht, daß Sie getroffen werden können? rief ich bei der ersten Begegnung dieser Art erschrocken aus.

Die wackern Thiere hüten sich, mich zu treffen, antwortete sie lächelnd; es ist nur eine Freudenbezeugung, es sind Buben, die aus Heiterkeit ein Rad schlagen, nur anders! Ich bin nicht so ängstlich, wie Ihre Damen in der Stadt.

Das sehe ich in der That! Aber es ist nicht zu verwundern; Sie wissen eben, daß keine Gefahr da ist, wo eine Stadtdame eine Gefahr erblicken würde. Und wenn Sie in diesen Sachen erfahren sind –

So, fiel Sophie lächelnd ein, sind es die Stadtdamen desto mehr, wollen Sie sagen, in andern und zwar viel bessern Dingen, als solchen auf der Weide erworbenen Erfahrungen!

O wie boshaft, mir solche Dinge in den Mund legen zu wollen!

Boshaft? Nicht im mindesten! Geben wir armen, ungebildeten Landbewohner Ihnen nicht täglich Ursache, so über uns zu urtheilen?

Habe ich das je Ihnen gegenüber gethan?

Sicherlich – natürlich nur im Stillen!

Sie beurtheilen mich sehr ungerecht und falsch, Fräulein Sophie–ich versichere Sie hier auf Ehre des unbedingtesten Respects vor Ihrer eminenten landwirthschaftlichen Thätigkeit, Umsicht und Bildung.

Und Bildung! – Vor dieser landwirthschaftlichen Art von Bildung haben Sie großen Respect! antwortete sie ironisch.

Das habe ich in der That! Ich weiß, daß wir nicht Alles, nicht Maria und Martha zu gleicher Zeit sein können; Sie sind nun einmal Martha und wenn Sie den Marien in der Stadt überlassen, die Romane Bulwer's und den Byron in der Ursprache zu lesen, oder ihr Herz den süßen Emotionen und bittern Wahrheiten in den Schriften der Sand zu öffnen – so ersetzen Sie den Mangel dieses ganzen Bildungsstoffs durch ein anderartiges, aber deshalb nicht schlechteres Wissen. Wer wird von Ihnen verlangen, daß Sie Französisch und Englisch verstehen – ist doch Niemand da, der mit Ihnen in diesen Sprachen redet! Dagegen wissen Sie mit Ihren Dienstleuten in der Sprache der Herrin zu reden, und das ist auf dem Lande unendlich nützlicher!

Sie sind höchst liebenswürdig, mich so in meinen eigenen Augen etwas zu heben – sagte sie, ich weiß nicht, ob in Scherz oder Ernst.

Sehen Sie, fuhr ich fort, ich habe vor Ihrer ökonomischen Bildung so großen Respect, daß ich mich zu ihr wie zu einem Orakel flüchten möchte!

Ich klagte ihr sodann wiederholt all meine Leiden und schloß mit der Bitte, einmal nach meinem Milendonk herüberzukommen und nach gehaltenem Augenschein mir ihren Rath zu ertheilen.

Sophie schüttelte die braunen, reich niederwallenden Locken.

Das geht nicht! sagte sie.

Und weshalb nicht?

O aus vielen Gründen. Unsere Lebensformen hier sind nicht so leicht. Sparenberg würde sich tief gekränkt fühlen, wenn Sie andern Rath dem seinen vorziehen und würde mir bitterböse werden.

Und Sparenberg's Feindschaft würde ich bei Ihnen durch meine – Dankbarkeit nicht aufwiegen können?

Sie antwortete nicht.

Sparenberg ist ein Schelm! fuhr ich gereizt fort.

Er ist ein tüchtiger Landwirth und ein ehrlicher Mann, antwortete sie mit einem beinahe zornigen Nachdruck. Sie können ihm unbedingt vertrauen, setzte sie dann wie mit begütigendem Tone hinzu.

So will ich ihn Ihnen zusenden, er soll Ihnen über Alles den genauesten Bericht abstatten, und Sie werden ihm dann rathen, was zu thun ist, um zu retten, was von meinen verdorbenen Saaten noch gerettet werden mag.

O nein, nein, senden Sie ihn mir nicht!

Sie sprach das so rasch und entschieden, daß diese Lebhaftigkeit mir auffallen mußte.

Also Sie wollen nichts, gar nichts mit meinen Angelegenheiten zu thun haben, Sophie?

In diesen Worten mußte ein Ton liegen, der sie bewegte.

Legen Sie es nicht so aus! sagte sie sehr milde.

So will ich es anders auslegen, sagte ich lachend. Sie wollen von Sparenberg nicht das Detail meiner Art zu wirtschaften hören. Sie haben schon zu viel davon gehört, völlig genug, um den Aerger einer so guten Patriotin zu erwecken, welche die alte Landessitte und den heimathlichen Schlendrian von einem Einbruch des modernen, energischen Fortschritts und Verbesserungsdranges bedroht sieht!

Ueber ihr hübsches Gesicht flog etwas wie eine kleine Wolke von Unmuth bei diesen Worten.

In der That, ich habe nichts dagegen, wenn Sie es so auslegen, sagte sie ernst.

Wir schieden bald – ich mit dem Gefühl, daß zwischen uns doch wenigstens statt der früheren Gleichgültigkeit ein gewisses Verhältniß entstanden sei – ob von ihrer Seite ein sympathetisches oder antipathetisches, das weiß ich in der That nicht – wer blickt in einen solchen mystischen und labyrinthischen Abgrund, den man – ein junges Mädchen nennt!


7.

Am 8. Juni.

Trotz aller Thätigkeit, die man sich schafft, ist es doch mitunter recht herzlich langweilig auf dem Lande. Ich habe jetzt so viel unternommen, daß ich fest gebannt bin, sonst würde ich wieder auf einige Zeit zu Dir in die Residenz kommen, lieber Max. Um es für lange in solcher idyllischen Eintönigkeit auszuhalten, muß man verheirathet sein, und inmitten eines ungetrübten Familienglücks stehen. Den Winter bringe ich jedenfalls in der Stadt zu und diese Zeit will ich benutzen, mich unter den Töchtern – nicht des Landes, sondern der Stadt, nach einer Geist, Gemüth und – Publicität befriedigenden Gattin umzusehen.

Ich war gestern in der kleinen Stadt, welche die Metropole unsres Kreises ist und in ihren verschiedenen Buden feil hält, was ein geplagter Landbewohner der Umgegend alles bedarf: Wein, Cigarren, Kaffee, Gerichtssentenzen, Sämereien, Advocatenrath, notarielle Acte, Pferdegeschirre und Küchengewürze. Ich hatte mit meinem Advocaten, der mir eine Summe Geldes hat auftreiben müssen, zu reden. Sparenberg übt nämlich noch immer die süße Gewohnheit des Forderns, und die Gartenanlagen, der Wiesenumbau, der Bau des Ockonomiegebäudes schluckt Geld wie ein Oger. Es ist in der That wahr, daß nichts mehr kostet, als Bauen – wer den ersten Ziegelstein kauft, sagt der König v. W., ist ruinirt!

Nun also, ich war in unsrer Kreisstadt und auf dem Heimweg, nahe vor Milendonk, holte ich den herrlichen Püttmeyer de la Roche Aymon ein. Ich stieg, um die Conversation zu erleichtern, ab, und ging neben ihm her. Herr Püttmeyer fand sich, wie er sagte, sehr geschmeichelt durch diese Ehre. Er bestrebte sich sofort, im Lichte seiner Belesenheit vor mir zu glänzen. Er ist der Dorf-Bel-Esprit. Gray's »unvergleichlich schöne« Elegie auf einen Dorfkirchhof kann er auswendig. Matthison's »Schweigend in der Abenddämmerung Schleier« – cela va sans dire! – Uhland's »Sängerfluch« gefällt ihm nicht, der ethische Inhalt des Verhältnisses der jungen Königin zu dem Sängerknaben scheint ihm Scrupel zu machen. Aber er schwärmt für Zedlitz' »Nächtliche Heerschau«; ich glaube, er hält sie für die jüngste nennenswerthe Bereicherung der poetischen National-Literatur der Deutschen. Ich habe ihn mit Freiligrath's »Löwenritt«, der ihm neu war, bekannt gemacht, und ihm dann versichert, daß ich als Gegenstück dazu Herrn Amtmann Petermann's famosen Hirschritt bearbeiten würde. Das hat den alten Schöngeist in heitre Laune versetzt; er hat zutraulich werdend mich nach dem französischen Bestandtheil meiner Bibliothek zu fragen gewagt. Als ich ihm mehres daraus nannte, auch die Schriften der Sand, rief er mit besonderer Lebhaftigkeit aus:

Ei, – Sie haben die Schriften von der Sand – auch wohl Mauprat darunter?

Ich bin so glücklich – interessirt Sie das Buch so sehr?

O nein, ich mache mir aus diesem neuen Französisch gar nichts; zu meiner Zeit war, was man gutes Französisch nannte, etwas anderes. Es war eine klare, leicht verständliche, durchsichtige Sprache, jeder Satz wie eine wohlfrisirte Locke, verglichen mit den struppigen Haarbüscheln von heute, welche der Herren Autoren geistiges Antlitz umrahmen, dicht, verworren, ungekämmt und von allerlei Winden durcheinander und aufgeblasen! Ich bin zu alt, um all diese verzwickten neuen Redensarten und Wörter noch zu lernen. Aber Fräulein Sophie hat schon lange das Buch zu bekommen gewünscht.

Fräulein Sophie – die liest, und liest die Sand?

I, das wollt' ich meinen – im Französischen bin ich ihr Lehrmeister gewesen, und wie schnell das Kind begriff – eine wahre Freude war's, es anzusehen – seitdem hat sie auch Englisch hinzugelernt, von dem ich keine Sylbe verstehe, und so ist sie mir überall über den Kopf gewachsen. Sie liest sehr viel.

Das hat sie mich nie mit einem Worte ahnen lassen, unterbrach ich ihn überrascht.

Ja, ja, es steckt überhaupt mehr in ihr als man ahnt! sagte Püttmeyer de la Roche Aymon, mit großem, emphatischem Stolze auf seine frühere Schülerin den Kopf wiegend.

Und sie wünscht Mauprat zu haben? – Aber weshalb hat sie ihn denn nicht längst aus der Stadt vom Buchhändler kommen lassen?

Wie? fragte Püttmeyer verwundert. Kommen lassen? Hat der Buchhändler in der Stadt es denn?

I freilich – oder er verschreibt's!

Herrn Püttmeyer schien diese Art, sich den Besitz eines Buches zu verschaffen, neu zu sein. Es geht leider auch gebildeteren Leuten als meinem Dorfschöngeist so!

Es würde wohl viel kosten? sagte er nach einer stummen Pause.

Und wünscht sie auch englische Bücher? fragte ich.

Ich weiß es nicht, versetzte der alte Herr; sie bekommt englische Bücher aus einem Lesezirkel in der Stadt.

Und was? The Vicar of WakefieldA simple Story und Montague's Letters? Populäre englische Werke aus der zweiten Hälfte des 18. Jh.: The Vicar of Wakefield (1766) von Oliver Goldsmith; A Simple Story (1791) von Elizabeth Simpson Inchbald; Montague's Letters , posthum (d. h. nach 1762) veröffentlichte Briefe von Mary Wortley Montagu, die sie während ihrer Zeit auf der Reise nach und in Konstantinopel verfasst hat und die unter dem Titel Embassy Letters bekannt wurden. – Anm.d.Hrsg.

Kann sein, ich verstehe nichts davon. Sie hat mir zuletzt von einem neuen Roman von Dickens gesprochen, für den sie schwärmt; sie behauptet, daß kein Schriftsteller je ein so liebevolles Herz an die Wirklichkeit herangebracht und das reale Leben so mit der tiefen Poesie seines eigenen Gemüths durchströmt habe, wie dieser Dichter. Sie setzt ihn beinahe, glaube ich, Shakespeare an die Seite. Sie sagt, die bewundernswürdige Verschmelzung von Realität und Idealität in Shakespeare sei auch in diesem englischen Romanschriftsteller vorhanden; aber sie sei hier noch wohlthuender und erwärmender, weil der Romandichter die Idealität wie eine schöne Blume aus den Zweigen des Wirklichen und Realen selbst naturgemäß aufblühen lasse. Deshalb sei nichts in ihm, was gesucht oder weit hergeholt, wie bei Shakespeare.

Sind das ihre eigenen Worte? fragte ich.

So ungefähr; denn, meinte Püttmeyer, was mich angeht, ich verstehe nichts davon. Shakespeare ist mein Mann nicht, ich stelle Corneille und auch Voltaire höher.

Ich muß Dir gestehen, Max, daß diese Mittheilungen mir das stille Wasser, das sich so gutmüthig von mir wegen seines Mangels an Kenntnissen und Bildung hatte trösten lassen, nicht wenig piquant machten. Bisher hat mich immer an unsern Damen ergötzt » comme elles font la moue« wenn man ihnen etwas erklärt, was sie schon wissen. Diese Sophie scheint eine andere Natur. Ihr Selbstbewußtsein scheint so sicher, daß sie keinen Werth darauf zu legen braucht, wie sie sich in andrer Leute Vorstellungen spiegelt. Aber daß sie auch nicht einmal ein Wort, eine Sylbe daran wendet, meine Vorstellungen von ihr zu berichtigen, ist etwas demüthigend für mich. Meinst Du nicht auch?

Ich will morgen hinüberreiten und ihr den Mauprat bringen. Für die Demüthigung, die sie mir zugefügt hat, indem sie meinen liebenswürdigen Trost für ihren Mangel an Bildung schweigend anhörte, will ich ihr eine kleine Strafe geben. Ich will sie nun als auf solchen Höhen der Bildung stehend behandeln und sie in eine so philosophische Gedankenwelt führen, daß sie wenigstens demüthig ausrufen soll: hören Sie auf, ich verstehe nicht so viel, wie Sie glauben – da sie zu hochmüthig war, mir zu sagen: ich verstehe mehr als Sie glauben!


8.

Am 10. Juni.

Ich habe gestern meinen Vorsatz ausgeführt, aber ich bin eigentlich heimgekehrt wie Jener, der Wolle zu holen ging und geschoren zurückkam. Als ich in Osterlohe in das Wohnzimmer geführt wurde, traf ich Sophie nachdenklich vor einem großen Buche mit weißen Blättern sitzend, in welches sie augenscheinlich, – sie hielt die Feder in der Hand, – etwas hatte eintragen wollen, ohne über ihren Gedanken dazu gekommen zu sein. Denn das Blatt vor ihr war völlig weiß. Sie mußte auch mein Kommen nicht gehört haben, denn sie erschrak sichtbar und es verging eine Weile, bis sie ihre volle Sicherheit wiedergefunden hatte. War es nur die Ueberraschung oder war ihr mein Kommen überhaupt störend – eine gewisse Aufregung konnte sie nicht verbergen. Während ich mich in einem Sessel ihr gegenüber etablirte, nahm sie eine keineswegs sehr elegante Näherei zur Hand – ich glaube, es waren Kissenüberzüge oder so etwas – eine Leinwand, die wegen ihrer Feinheit auf der Londoner Weltausstellung schwerlich eine Medaille erhalten haben würde. Ihre Finger schienen ein klein wenig zu zittern bei dieser häuslichen Thätigkeit.

Ich bin gekommen, um Ihnen ein Buch zu bringen, Fräulein – Maria! begann ich.

Und auch einen neuen Namen? fragte sie, etwas verwundert aufblickend.

Den rechten bloß, da ich neulich Ihnen den unrechten gab. Sie sind keine Martha, oder besser, Sie sind mehr denn eine Martha. Einen neuen Namen, fuhr ich fort, und der Henker hole den Uebermuth, der mich dem, wie mir schien, verlegenen Mädchen gegenüber kitzelte – einen ganz neuen Namen würde ich Ihnen sehr gern bringen, wenn ich wüßte, daß sie ihn von mir annehmen würden!

In ihrem Auge funkelte etwas wie Zorn, und das jungfräuliche Selbstbewußtsein schien so verletzt, daß ich von nun an aus ihrem hübschen Munde gar nichts mehr hörte, als was den Ton einer zornigen Gereiztheit durchschimmern ließ.

Wer hat Ihnen gesagt, daß ich das Buch – ich hatte Mauprat ihr überreicht – wünsche?

Das hat mir das alte Original, Herr Püttmeyer de la Roche Aymon, der älteste Ihrer Verehrer, verrathen, dessen literarische Bildung ich unlängst zu bewundern Gelegenheit erhielt.

Wie spöttisch Sie das Alles sagen! versetzte sie.

Nicht im mindesten – wie sollt' ich einen so trefflichen alten Herrn verspotten, der durch seine Begeisterung für Sie einen so großen Fond von richtigem Gefühl und Urtheil an den Tag legt!

O Sie spotten über uns Alle hier. Sie erblicken in uns armen Landbewohnern nichts als Marionetten, welche Ihre souveräne Ueberlegenheit zu Ihrer Ergötzung an den Fäden Ihres Witzes tanzen läßt. Man muß Angst vor Ihnen haben.

Da möcht' ich jedem Ihrer Worte widersprechen, antwortete ich eifrig. Wann hätte ich über Sie gespottet, Fräulein Sophie? Und vor meinem Witze Angst haben – das wäre sehr thöricht, denn ich habe gar keinen Witz – ich bin eine ganz sentimentale Natur.

Das, sagte sie, räume ich Ihnen nur dann ein, wenn keinen Witz haben schon hinreichte, um Gefühl zu haben.

Also daß ich keinen Witz habe, räumen Sie ein.

Sie haben den Witz der Bildung; der ist wohlfeiler, aber auch viel unbehaglicher für Andere, als der eigene, ursprüngliche Witz.

Und den ursprünglichen, den Mutterwitz also, den sprechen Sie mir ab.

Ich spreche über nichts ab, antwortete sie spitz, ich überlasse das andern, geistreicheren Leuten; ich glaubte nur, Sie hätten ihn eben sich selbst abgesprochen.

Ja so, freilich! Und den Witz der Bildung – was verstehen Sie darunter?

Die matten Lichtfunken, welche die Blasirtheit aus sich lockt, wenn sie sich mit andern Blasirtheiten reibt; den kleinen Krieg, den die Armen im Geiste gegen Die führen, welche reich sind durch ein ehrliches Gefühl und ein aufrichtiges Herz; die Opposition der Proletarier im Reich der Empfindung gegen die ganze Welt, die noch ein unaufgebrauchtes Capital an Glauben und Hoffen besitzt. Das ist der Witz der Bildung; alle die Redewendungen und Ausdrücke gehören dahin, welche die große Welt Tag für Tag vermehrt, um damit zu verspotten, was nicht zu ihr gehört, und gegen die man sich nicht vertheidigen kann, weil man die Beziehungen nicht kennt.

Sie halten mir eine harte Strafrede und Sie thun mir Unrecht, versetzte ich. Ich bin nicht blasirt, ganz im Gegentheil, ich bin viel zu sehr Spielzeug meiner Eindrücke. Es ist wahr, daß mir manche der achtbaren Individuen, die ich hier gefunden habe, einen heitern Eindruck machen. Wenn ich die pyramidalen Jagdgeschichten des Herrn Amtmanns anhöre, oder die überaus höflichen Manieren des Ex-Maire ansehe …

So reicht Ihnen das hin, diese Menschen zu beurtheilen – und doch ist der Amtmann einer der thätigsten und redlichsten Beamten dieser ganzen Provinz. Ein solcher Mann, der als Gemeindevorstand die Interessen seiner Verwalteten gegen die Regierung vertreten soll, von der Regierung jedoch als Polizeibeamter jeden Augenblick Befehle erhält, wider die Interessen der Verwalteten zu handeln, und der auf diese Weise bald den Hammer, bald den Amboß zu machen hat, ein solcher Mann befindet sich in einer höchst dornenvollen Stellung. Dazu wird er jämmerlich schlecht besoldet. Und dennoch leistet unser Amtmann das Unglaubliche für Ordnung, gemeinnützige Anstalten und den Wohlstand seines Bezirks, ohne je sich durch den Undank abschrecken zu lassen, der ihn meist von allen Seiten lohnt. Und was Herrn Püttmeyer angeht, so, meine ich, braucht man seine große Höflichkeit nur als den Ausdruck einer unendlichen Gutmüthigkeit und eines überfließenden Wohlwollens zu betrachten; und wollte man sie auch dann noch lächerlich finden, so brauchte man sich nur an die bittern Erfahrungen zu erinnern, welche diesem Manne im Leben geworden sind, um ihn zu bewundern, daß er noch ein solch überfließendes Wohlwollen sich bewahrt hat.

Und welche bittere Erfahrungen, fragte ich, hätte Püttmeyer, den das Glück Ihrer Bewunderung doch wieder für Alles entschädigen muß, denn gemacht?

Die mannichfaltigsten; schon von Hause aus in Verhältnissen wurzelnd, die man auf dem Lande eben nicht leicht vergißt, hat er sein Lebenlang sich kümmerlich durchschlagen müssen. Eine kurze Zeit, damals als er die dreifarbige Schärpe trug, hat ihm das Glück gelächelt, um ihn dann bald desto tiefer wieder sinken zu lassen. Ein vermögendes Mädchen, seine Braut, ist gestorben – doch wozu soll ich Ihnen erzählen, was Sie nicht interessirt?

Als ob nicht Alles, was Sie mir erzählen, vom höchsten Interesse für mich wäre! Wenn Sie aber jetzt geduldig meine Schutzrede anhören wollen, so werde ich Ihnen auch dankbar sein. Sie wissen, daß ich mein Leben in einem großen Mittelpunkt der Gesellschaft und des Verkehrs zugebracht habe. Die Fülle von Erscheinungen, Anregungen, Bildern und Gedanken, welche ein solches Leben bringt, habe ich durch die Güte meines Großoheims noch bedeutend auf Reisen in Frankreich und Italien vermehren können. Ich bin so recht mitten im geistigen Strom der bewegten Welt von heute mitgeschwommen. Das hat vielleicht nichts gethan, um mich innerlich wahrhaft zu bereichern – ich gebe es Ihnen zu. Aber es hat mir einen unabsehbaren Horizont eröffnet, es hat mir wenigstens gezeigt, in welchen großen, bunten, namenlos reichen Kreisen sich der Geist des Menschen, schaffend und zerstörend, nach allen Richtungen vordringend, bewegt. Denken Sie sich, ich sei ein Vogel, eine Seemöve, wenn Sie wollen, des mittelländischen Meeres, des Meeres, in welchen sich die Ruinen von Akro-Corinth und die zertrümmerten Säulen von Pästum, die Kuppeln von Byzanz, die Minarets von Alexandrien spiegeln; dem der Nil den Staub aus den Königsgräbern der Pharaonen, die Tiber die Trümmer alter Marmorbilder aus den Palästen der Cäsaren zuwälzt. Und nun lassen Sie diese Seemöve weit, weit hin in's Land verschlagen werden. Muß hier nicht ein Gefühl von unbändiger Heiterkeit sie anwandeln, wenn eine Ente auf einem kleinen Weiher, Wasserlinsen schluckend und schnatternd, mit vollendetster Gravität zu ihr aufblickt, im vollsten Bewußtsein, daß sie auch die Welt kennt und ein vielerfahrener Rupertus ist! Muß das nicht einen unwiderstehlich komischen Eindruck machen? Den habe ich hier, Ihren Landbewohnern gegenüber, nur empfunden und den dürfen Sie mir nicht übel nehmen. Sie werden ja auch Goethe sein bekanntes:

Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht Jeder sich den engen Cirkeltanz
Wie junge Katzen um dm Schwanz –

nicht übel nehmen! Es ist ganz derselbe Eindruck, was sich darin ausspricht!

Mein Gott, wie übermüthig Sie sind, Herr von Milendonk, fiel mir Sophie in's Wort.

Ich, übermüthig? Da thun Sie mir wieder bitter unrecht. Ich bin eigentlich ein ganz kleinmüthiger, verzagter Mensch. Ich habe oft Anwandlungen von förmlicher Seelenangst, besonders dann, wenn ich mich mit naturwissenschaftlichen Büchern beschäftige, wie ich es in neuerer Zeit oft thue. Ich fühle, daß ich den Faustfragen, die unser Jahrhundert so scharf betont, so giftig zugespitzt hat, so wenig gewachsen bin, wie ein Kind, und doch kann ich sie nicht von mir abwehren. Ich komme mir dann vor wie ein allgemeines Ziel der Antipathie der schaffenden und erschaffenen Mächte – die Menschen überhaupt erscheinen mir in dieser Lage. Die Natur ist eine böse Macht für mich, die uns mit Schmerzen, Krankheiten, Tod verfolgt: die unsren Arbeiten sacht entgegenwühlt, um sie um den Lohn zu bringen. Der Ackerbau z. B. macht mir jetzt den Eindruck eines stillen Minenkriegs des Menschen wider die Naturkräfte. – Das Schicksal schlägt uns, wenn wir, inmitten unsrer besten Hoffnungen, schönen Lebenszielen entgegeneilen, tückisch ein Bein unter, oder schleudert uns ganz aus der Bahn. Es rächt Sünden vorausgegangener Geschlechter an uns, für die wir nichts können; es ist immer wachsam, daß es uns ja nicht lange wohl ergehe auf Erden. Und nun diese peinigenden Fragen nach dem Warum, dem Wozu in uns! Der blaue Himmel steht über uns mit seiner ängstigenden Unendlichkeit – die Sterne funkeln über unseren Häuptern, wie Augen einer sarkastisch verschwiegenen Allwissenheit, die auf uns spöttisch herablugen, um uns mit ihrer ewigen Klarheit zu höhnen – ja, zuweilen kommen diese Sterne mir vor, wie die gleißenden Schätze hinter den Juwelierläden vor den Augen armer Verhungernder! – Bin ich übermüthig, Fräulein Sophie?

Fräulein Sophie schwieg auf diesen langen Herzenserguß, den sie mir entlockt hatte. Ich glaube, ich habe sie doch jetzt gezwungen, die Waffen zu strecken, ihre impertinente Sicherheit sei durch das Gefühl erschüttert, daß sie mir nicht folgen könne. Aber weit gefehlt!

Sie sagte nach einer stummen Pause:

Gerade das beweist den höchsten Uebermuth. Der Uebermuth hat Sie verleitet, Forderungen an Gott und die Welt zu stellen, deren Nichterfüllung Sie dadurch bestrafen, daß Sie Gott und der Welt, der Natur und dem Schicksal, alles mögliche Böse nachsagen. Ihr Uebermuth verhindert Sie, anzunehmen, daß Sie selbst irgend etwas hätten verschulden können. Sie schieben deshalb alle Schuld der Außenwelt zu. Daher kommt es, daß Sie sich, wie inmitten einer allgemeinen Antipathie fühlen – aber Sie haben selbst gesäet, was Sie ernten. Sie sehen in der Natur etwas Feindliches, eine mißgünstige Macht. Das ist sie Ihnen nur deshalb geworden, weil Sie ihr ohne Liebe und ohne Verständniß entgegengetreten sind. Sie wollen sie bloß exploitiren, und dagegen sträubt sie sich. Sie will den Cultus eines ganzen, starken, ausharrenden Menschen; der in sich selbst Entzweite wird sie nicht überwältigen. Der Frost, der Ihre Saaten verdirbt, liegt in Ihrem Herzen. Nur der positive Mensch hat die Ausdauer, der es beschieden ist, ein glückliches Verhältniß, sei es nun zur Natur oder zur Gesellschaft, zu erkämpfen. Und nun sehen Sie den eigentlichen Grund, weshalb wir Landbewohner uns gereizt fühlen, wenn der Ausdruck von selbstzufriedenem Behagen in unserem Wesen Ihnen einen so komischen Eindruck macht. Wir sind positive Menschen. Die Vortheile, welche uns das giebt, soll uns Niemand bespötteln. Wir haben in Demuth uns in die harte Arbeit des Lebens geschickt und uns durchgekämpft, bis wir eben haben behaglich auf den Preis unsrer Mühen blicken können. Dieser Ausdruck ruhiger Selbstzufriedenheit ist nicht entstanden durch den Gedanken, daß wir gerade so klug seien, wie es menschenmöglich ist; wir glauben durchaus nicht, daß wir Alles kennen, wissen, gesehen haben, o nein, da beugen wir uns gern vor dem Schwan des mittelländischen Meeres.

Sie böse Zunge!

Unsere Selbstzufriedenheit ist, fuhr Sophie ohne sich stören zu lassen fort, entstanden durch das Bewußtsein, das Unsrige gethan zu haben und dadurch in unentzweiter Harmonie mit dem Ganzen, dem wir uns demüthig unterwerfen, zu stehen. Sie werden aber auch Manchen hier auf dem Lande unter uns finden, welcher Ihnen anders, also viel gescheidter, mit viel mehr Selbsterkenntniß ausgerüstet, erscheinen muß; Manchen, der scheu vor Ihnen zur Erde blickt, ein ganz bescheidenes Gesicht macht, und mit Ihrer behaglichen Ente auf dem winzigen Teich ganz und gar keine Ähnlichkeit hat. Wir loben diese Leute nicht. Wir nennen sie die Tagediebe, die der Gemeinde Unehre und Sorge machen, weil sie nicht gut thun wollen: wir wissen eben gerade so gut wie der große Dichter, den Sie vorher anführten, wer bescheiden ist!

Sie halten mir eine arge Strafpredigt!

Sie haben mich dazu aufgefordert. Nicht eben heute durch das was Sie sagten. Nein, neulich haben Sie es geradezu gethan, als Sie meinen Rath in Ihren landwirthschaftlichen Angelegenheiten verlangten. Ich wußte damals nicht, was ich Ihnen sagen sollte. Aufrichtig gesprochen – ich wußte nicht, ob Sie mich verstehen würden, wenn ich Ihnen meinen Rath gäbe!

Wenn Du Dich, lieber Max, der Absicht erinnerst, in welcher ich heute zu Sophie gekommen war, so wirst Du mir einräumen, daß diese letzten Worte eine bittere Pille für mich waren! Ich wollte dieses hochmüthige Geschöpf blenden, vollständig verblüffen, und nun mußte ich den Zweifel ausgesprochen hören, ob ich im Stande sei, den tiefen Sinn ihrer Worte zu fassen!

Ganz, antwortete ich ihr, verstehe ich Sie in der That nicht. Sie gehen mit mir um, als ob ich Sie persönlich beleidigt hätte – und das habe ich doch in keiner Weise – ich würde untröstlich darüber sein!

Sie haben aber, antwortete Sophie, doch den Esprit de corps in mir verletzt; so rücksichtslos sind Sie zwischen uns gefahren, umstürzend und durcheinander werfend, was wir festhalten und bewahren, wie Saul wüthend wider das Hergebrachte und alte Art und Sitte. Mit Ihren Reformen, Plänen und Umgestaltungen würden Sie das Volk hier endlich unsicher in sich selber machen.

Ich fiel ihr in's Wort, indem ich sehr lebhaft meine Reformen vertheidigte. Doch fühlte ich freilich, daß ich nicht viel andres vorbrachte, als Gemeinplätze. Ich machte keinen Eindruck damit, und ich fühlte mich diesem merkwürdigen Mädchen gegenüber ganz dumm und einfältig.

Und so schied ich denn auch endlich, mißmuthig und gedrückt. Ich grübelte vergebens darüber nach, was eigentlich der Schlüssel zu Sophiens Wesen gegen mich sei. Wenn ich die eigenthümliche Aufregung des jungen Mädchens bei dem, was sie mir gesagt, in's Auge faßte, so war ich nahe daran zu glauben, es sei eine tiefe Theilnahme für mich der Souffleur ihrer Vorwürfe. Dazu aber hatte sie mir wieder zu bittere Dinge gesagt; sie hatte mir Glauben und Liebe abgesprochen und alles Positive, das heißt doch eigentlich kein gutes Haar an mir gelassen.

Sollte Sie wirklich eine so leidenschaftliche Partheigängerin des Conservatismus sein, daß ihr ganzes Innere sich empört, wenn in ihrer Nachbarschaft die seit Jahrhunderten vermoosten Wiesen und verhudelten Gärten umgestülpt werden, wenn der Schlendrian einer veralteten Exploitationsweise neuen Ideen weichen, und eine ganze Bevölkerung durch ein großes Beispiel aus dem dumpfen instinctartigen Kleben am Alten gerissen werden soll?


9.

Am 15. Juni.

Verlache mich nicht, mein theurer Max, aber ich bin unglücklich, vollständig unglücklich. Dies Mädchen hat eine Macht über mich erlangt, die ich nicht abschütteln kann, wie oft auch ich mir sage, daß ich ein Thor, ein Narr bin, ein jämmerlicher Sclave – was hilfts! Ich liege wie unter ihrem Banne. Kleinmüthig und unruhig kehrte ich von meiner letzten Unterredung mit ihr zurück. Meine Gedanken waren völlig von ihr und von dem, was sie mir gesagt, absorbirt. Meine Beschäftigungen hier, in die ich mich mit so großem Eifer gestürzt, waren mir gleichgültig, ja mehr als das, sie waren mir zuwider geworden. Ich fühlte, Sophie hatte mir in meine Pläne und Entwürfe einen Wurm gesetzt, ich hätte all die Arbeiter um mich her, denen ich so oft tagelang, von einem zum Andern wandelnd, zugeschaut, fortjagen mögen. Ich hütete mich Sparenberg zu begegnen, um seinem verkniffenen Augenblinzeln nicht ausgesetzt zu sein.

Das ging einige Tage so fort. Endlich ermannte ich mich, und mit dem Ruf Karl's von Eichenhorst, des romantischen Ritters:

Knapp', sattle mir mein Dänenroß,
Daß ich mir Ruh' erreite,
Es wird mir hier zu eng im Schloß,
Ich will und muß in's Weite!

befahl ich Abdallah vorzuführen. Es liegt etwas unendlich Stählendes, Ermuthigendes in einem tüchtigen Ritt durch den frischen Wind – so hatte ich denn auch bald den Muth, das Haupt meines treuen Thieres den Zinnen oder besser dem weißgetünchten Giebel von Osterlohe zuzuwenden.

Sie wird nach den hiesigen ländlichen Anschauungen dein öfteres Kommen als eine förmliche Liebeserklärung und Bewerbung auslegen, sagte ich mir – aber was liegt daran – ich muß wissen, weshalb sie mich eigentlich so altklug hofmeistert!

Ich traf sie im Garten und zwar eigenthümlich beschäftigt. Sie hatte eine grobe Gartenschürze vorgebunden und begoß aus einer kleinen Gießkanne einzelne Stellen der Blumenbeete; wie sie mich belehrte, war ein Mittel gegen schädliche Insekten in dem Gefäß und es war eine Razzia wider Ameisen, die sie machte.

Und so grausam können Sie sein wider diese höchst achtbaren, industriellen Thierchen? sagte ich.

Sie lachte.

Sie sehen, die industriellen Genie's finden keine Aufnahme bei uns. Wir vertreiben sie!

Ein Stich für mich, versetzte ich. Ich weiß es. Sie schütten kaltes Wasser über sie aus –

Nein, es ist heißes!

Das kalte schütten Sie über warme Seelen aus.

Sie lachte abermals. Ich fand sie überhaupt heute von einer eigenthümlichen Heiterkeit. Im Anfang dachte ich, sie sei durch mein baldiges Wiederkommen geschmeichelt, doch sollte ich bald Andres erfahren.

Wenn ich, sagte sie, kaltes Wasser über »warme« Seelen ausschütte, weil ich finde, daß ihnen das nützlich ist, so brauche ich aber keine Mischung – nur ungefärbtes, lautres Wasser!

Sie hatte ihr Geschäft beendet und setzte sich in eine schattige, von Aristolochien umrankte Laube. Die Gartenschürze warf sie von sich und ordnete mit einer gewissen Coquetterie ihr etwas derangirtes Haar.

Ich nahm ihr gegenüber an der andern Seite des runden Tisches Platz.

Ich komme, um mich von einem Vorwurf zu reinigen, begann ich, den Sie mir neulich gemacht haben und der ein himmelschreiendes Unrecht enthält.

Und der ist?

Sie haben mir die Hoffnung abgesprochen, jemals mit der Natur auf einen guten Fuß zu kommen, weil ich ohne Liebe zu ihr gekommen sei. Aber mein Gott, wozu bin ich denn hierher gekommen, als aus Liebe für das Landleben, für die Natur? Weshalb trage ich sonst die Entbehrungen, welche eine ländliche Einsamkeit, wie die meine, mir auferlegt?

O das rechnen Sie der armen Natur als Liebe an? Sie sind durch den Tod Ihres Großoheims der Erbe eines schönen Gutes geworden – und daß Sie sich herbemühen, Besitz davon zu ergreifen, das soll ein Verdienst sein?

Ich könnte doch hier Alles beim Alten gelassen haben, um bald möglichst zu den Genüssen des Stadtlebens zurückzukehren?

Im Winter werden Sie das ohnehin thun – im Sommer ist ein Landaufenthalt ein beneidenswerther Tausch mit dem staubigen Stadtgewühle.

Wenn ich nun auch den Winter hindurch mich hier gefesselt fühlen werde? sagte ich mit einem bedeutsamen Blick in ihre dunklen großen Augen.

Sie wandte sie kalt ab und antwortete dann lächelnd:

Das halten Sie gar nicht aus – die Herbststürme werden Ihre Freude am Landleben spurlos verwehen! Auch werden Sie dann schon so viel Aerger und Verdruß auf dem Lande erlebt haben, daß Sie nicht mehr daran denken mögen!

Und was für Aerger und Verdruß prophezeihen Sie mir?

Von allerlei Art, wie es nicht anders sein kann. Sie werden eine schlechte Ernte machen.

Woran der Frost meiner Seele Schuld ist!

Allerdings; denn hätten Sie sich mit Liebe dem neuen Berufe hingegeben, dann würden Sie nicht so eigenmächtig der Natur Ihren Willen aufdrängen wollen, sondern Sie hätten damit begonnen, der Natur ihren Willen zu lassen und sich die Mühe gegeben, erst zu beobachten, wie sie behandelt sein will. Nun haben Sie allerlei Experimente gemacht, und unstet, sobald dieselben eingeleitet waren, sie sich selber überlassen. Das alles wird mißrathen. Was sonst bei schlechter Ernte aushelfen muß, der Heuertrag, – um den haben Sie sich durch Ihre Wiesenbauten gebracht. Sie haben ein großes Capital verwandt an den Kunstbau von Grasflächen, deren schlechte Bodenbeschaffenheit ein solches Opfer nicht lohnt. Es ist Rasenerz unter Ihrem Wiesengrunde und dagegen hilft keine Siegen'sche Bewässerung Das Siegerland hatte bereits seit dem 16. Jh. Pionierarbeit für den kunstgerechten Wiesenbau geleistet, was naturgemäß die Ausbildung von Bewässerungssystemen einschloss. Im Jahre 1838 erschien der »Katechismus des Kunstwiesenbaues nach Siegener Art«; er belegt die Vorbildfunktion, welche die Siegener Praktiken landesweit erhalten hatten. – Anm.d.Hrsg.. Noch mehr Verdrießliches aber wird Ihnen von den Menschen kommen, von Ihren Arbeitern, von Ihren Dörflern.

Und was habe ich Denen gethan? Ich meine doch, ich bin ihnen mit dem unbedingtesten Wohlwollen, mit dem größten Vertrauen entgegen gekommen.

Das ist es eben. Wissen Sie, wohin Sie mit Ihrer Art Wohlwollen gekommen sind? dahin, daß Sie uns die ganze Gegend demoralisirt haben.

Ich – die Gegend demoralisirt?

Es ist nicht anders. Und ehe viel Zeit vergeht, werden Sie selbst am meisten darüber klagen. Sie haben mir zuerst gesagt, daß Ihr treuer alter Sparenberg, der ehrlichste Bursche weit und breit, ein Schelm sei. Sodann haben Sie mir gestanden, daß die ganze Natur ein böses, den Menschen feindseliges Ding sei. Ihre nächste Entdeckung wird die sein, daß die ganze ländliche Arbeiterbevölkerung aus Spitzbuben bestehe!

Aber mein Gott!

Es ist so, Herr von Milendonk – und wie das zugeht, ist nicht schwer zu durchschauen. Die ersten Menschen, mit denen Sie hier zu thun bekamen, haben alsogleich Ihre völlige Unbekanntschaft mit den Dingen und den Preisen der Dinge gemerkt. Sie haben dies zu benutzen gesucht; sie haben Sie zu unnützen Ankäufen beredet, haben Ihnen Dinge, welche keinen Werth für Sie hatten, als unumgängliche Bedürfnisse aufgeschwätzt; sie haben Sie bei Allem überfordert, anfangs mäßig, dann immer unverschämter. Sie aber, Sie haben alles mit demselben rückhaltlosen Wohlwollen für diese ehrlichen Leute aufgenommen, alles mit derselben zuvorkommenden Bereitwilligkeit bezahlt. Man hat sich das lachend erzählt: die Unehrlichen haben die nur halb Ehrlichen verlockt, von Ihnen ähnliche Profitchen zu machen: die halb Ehrlichen haben es dann zur Mode gemacht, den wohlwollenden, vertrauenden Baron zu plündern, und der Allgewalt der Mode haben natürlich am Ende auch die früher ganz Ehrlichen nicht widerstanden. Alles glaubt jetzt ein Recht zu haben, Sie zu plündern; wollen Sie aufhören, sich plündern zu lassen, so wird man das als eine unbefugte Neuerung von Ihnen betrachten und unverschämt gegen Sie werden. Sie werden dagegen sich empört fühlen, vielleicht aufbrausen und sich nun bittere Feinde unter diesem Volke machen. Man wird Sie dann ärgern wie man irgend kann, Sie verlästern, das Ihrige beschädigen – und Sie, mein Herr von Milendonk, Sie werden am lautesten klagen, daß rund um Sie eine Bevölkerung von Galgenkandidaten wohne. Und doch werden Sie selbst es gewesen sein, der den Gedanken an unehrliche Gewinne in diese Menschen gebracht, oder ihn dadurch, daß Sie ihm nicht Widerstand zu leisten wußten, gehegt und großgezogen hat. – Sie selbst werden es gewesen sein, der dann durch seinen verspäteten Widerstand böse Leidenschaften in ihnen geweckt hat. Und deshalb sage ich, Sie haben uns mit Ihrer Liebenswürdigkeit gegen Jedermann, mit Ihrem naiven Vertrauen auf die unverwüstliche Ehrlichkeit eines Jeden, die ganze Gegend demoralisirt.

Wenn das wahr ist, sagte ich mit einem Gefühle von großer Bitterkeit, so bin ich der würdigste Gegenstand der Ironie, den es geben kann! Ich habe mich nämlich bereits als den verehrten Wohlthäter der ganzen Gegend erblickt – und nun stellen Sie mich in solchem Lichte dar!

Ich stelle Sie nicht so dar – ich gieße nur etwas von jenem Wasser über Sie aus, von welchem wir eben redeten, antwortete sie lachend.

Sie sagen mir die Wahrheit – ich will es Ihnen einräumen, aber dann sollen Sie mir auch einräumen, daß Sie ein besonderes Vergnügen daran haben, mir so scharf und unumwunden, wie es Ihnen irgend möglich ist, die Wahrheit zu sagen. Ja, Sie haben ein ganz besonderes Vergnügen daran, mir Bitterkeiten zu sagen. Ihren Rath dagegen verweigern Sie mir. – Sophie, was hab' ich Ihnen eigentlich zu Leide gethan? Weshalb hassen Sie mich?

Sie warf mir einen ganz eigenthümlichen Blick zu und sah dann vor sich nieder.

Hassen! sagte sie – weshalb sollte ich Sie hassen? Etwa deshalb, weil ich Ihnen keinen Rath geben wollte? Ihnen ist nicht zu rathen. Sie werden nur allmälich durch Schaden klug werden.

Und deshalb überlassen Sie mich meinem Schicksal – nun, ich muß mich darein fügen!

Es war nichts aus ihr herauszubringen, was die Bitterkeit, die sich meiner bemächtigt hatte, nur in etwas versöhnt hätte. Ich kürzte deshalb meinen Besuch ab. Ich war in der wüthendsten Laune. Soll ich es Dir gestehen Max, ich hatte in der letzten Zeit Träume eines schönen Glückes gehegt. Sie hatten sich um das Bild dieses eigenthümlichen Mädchens geschlungen, das nach und nach einen so mächtigen Reiz auf mich zu üben gewußt. Was soll ich mit einer Salonprinzeß aus der Stadt hier auf dem Lande? hatte ich mir gesagt. Ich werde nur glücklich werden mit Sophien. Unsre Naturen werden sich auf's Schönste und Harmonischeste ergänzen. Sie wird dafür sorgen, daß dem rachsüchtigen, despotischen Realismus des Lebens sein Recht nicht verkümmert werde, etwas, das sich so bitter straft; ich dagegen werde das ideale Element hüten – die Initiative des Weiterstrebens, des Verbesserns, des Verschönerns. Unser Zusammenleben wird ein reiches, gegenseitig beglückendes sein, denn wir werden Beide einander zu geben und uns zu bereichern haben – wir werden die Schätze zweier ganz verschiedener Lebenskreise gegen einander austauschen.

Das Alles lag nun am Boden. Ich verwünschte ihren Realismus, den niederen Flug ihrer Seele, der an meine Seele keinen andern Maaßstab heranbrachte, wie den der alltäglichsten, poesielosesten Verständigkeit. Wenn sie mir Vorwürfe über Mißgriffe und Irrthümer machte, mußte sie dann nicht wenigstens anerkennen, aus welchem Grunde, aus welch' guter Absicht, aus welchem edlen Wollen diese Irrthümer hergeflossen? Und wie konnte sie in die Nichtigkeiten des Lebens, in die schalen Interessen der Wirklichkeit, in all das untergeordnete Material, das doch nur bestimmt ist, die ganz äußerliche Grundlage einer menschenwürdigen Existenz zu bilden, so sich verirrt haben, um den geistigen Werth eines Menschen nach dem Verhältniß desselben zu all diesen Jämmerlichkeiten zu beurtheilen! Wie hatte ich mich in ihr geirrt! Sie war eine engherzige, harte Natur ohne einen Funken von Idealität.

Und doch, als ich länger über sie nachdachte, gestand ich mir, daß ich ihr Unrecht thue. In den Gesprächen mit ihr hatte ich oft genug bemerkt, daß Schwung und Idealität durchaus nicht todt in ihr seien. Und die Härte und Bitterkeit des Urtheils, welche sie mir zeigte, contrastirte ja auch in eigenthümlicher Weise gegen die Milde der Beurtheilung, welche sie für den Charakter andrer Personen hatte, sobald sie dieselben gegen mich vertheidigen konnte. Dazu kam die besondre Erregtheit, in welcher sie immer gewesen, wenn sie mich hofmeisterte, die Art von innerer Befriedigung, welche ihr das zu gewähren schien.

Es waltet etwas andres zwischen uns ob. Sie haßt mich. Ich bin ihr meinem ganzen Wesen nach eine abstoßende Erscheinung. Es gibt Antipathien, die sich beim ersten Anblick eines Menschen geltend machen, ohne daß wir uns des Grundes bewußt würden. Vielleicht haßt sie mich auch, weil ich gekommen bin, mit fremdartigen Anschauungen Schlaglichter in den engen Kreis ihres Interesses zu werfen, welche ihr beunruhigend und unheimlich sind, weil sie ihr zeigen, daß sie in einer Sphäre befangen ist, deren geistige Dürftigkeit sie sich nicht gestehen will. Vielleicht auch hat sie sich nur ganz trivial und niedrig denkend gesagt: dieser übermüthige Stadtherr bewirbt sich um mich, er glaubt nur die Hand ausstrecken zu dürfen, um die reichste Erbin weit und breit daran hängen zu haben – ich will ihm zeigen, wie sehr er sich verrechnet hat!

Der Himmel werde klug daraus – ich weiß gewiß nur das Eine, daß sie mich haßt. Und darin liegt für mich etwas, das ich nicht recht auszudrücken weiß, etwas so Niederdrückendes, als ob dieses eigensinnige, altkluge Landfräulein vom Schicksal bestellt sei, über meinen Werth oder Unwerth endgültig und unwiderruflich zu entscheiden und als ob ich für ewig ein unglücklicher mit sich zerfallener Mensch sein müsse, seitdem ihr Urtheil so ungünstig gelautet.

Wahrhaftig, ich bin das ganze Landleben satt! Es macht den Menschen zum Thoren, weil er sich in Ermangelung mannichfaltiger Erscheinungen und rasch abwechselnder Eindrücke in irgend ein Interesse, welches sich ihm darbietet, einbohrt, darin festbeißt, sich ihm endlich mit Leib und Seele gefangen hingibt! – Das war auch ich zu thun im Begriffe; aber Gott lob, ich bin immer noch früh genug zur Vernunft gekommen und hoffentlich von meiner fixen Idee noch zu heilen!


10.

Milendonk, am 20. März 185*.

Ich habe Dir beinahe seit Jahresfrist nicht geschrieben, lieber Max, aufrichtig gesagt, weil ich Deine Antworten fürchtete. Deine Neckereien thaten mir weh. Ich war nach und nach in eine so ernste Verstimmung gerathen, durch Alles, was mir hier widerfuhr, daß ich für die ironische Art und Weise, welche Ihr in der Stadt für solche Dinge habt, nicht mehr die nöthige sorglose Heiterkeit besaß. Ich wurde durch Deinen Ton verletzt.

Wenn ich nun heute an Dich schreibe, so darf Dir das kein Beweis sein, daß jene Heiterkeit mir zurückgekommen sei. Im Gegentheil, dieser Brief ist weit eher ein Nothschrei – der Ruf eines Ertrinkenden, den die Wellen zu verschlingen drohen. In der That, ich bin in einer Lage, in der alles heillos ist, ausgenommen die außerordentliche Leichtigkeit, womit ich sie Dir bezeichnen kann. Ich gehe zu Grunde, weil ich in den Raum meines Lebensschiffes, um es in den Wellen aufrecht zu halten, nicht den Ballast von 20 000 elenden Thalern werfen kann. Das ist Alles. An diesem einfachen, an diesem so rein äußerlichen Umstande, an einer Geldfrage, die man über bessere und menschenwürdigere Gedanken ja nach einer Viertelstunde wieder vergessen müßte, soll ein ganzes Menschenschicksal zu Grunde gehen, soll der letzte Träger eines einst glänzenden Namens in Dunkelheit verkommen, wenn er etwa nicht vorzieht, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen – und wahrhaftig, das thue ich eher, als daß ich mein Stammhaus von Juden erschachert, meine Wappen herunter geschlagen, die Bilder meiner Ahnen in Trödlerläden wandern sehe!

O Max, welche armselige Geschöpfe sind wir! Denke Dir einen reichen und mächtigen Geist, ein hochschlagendes Herz, einen Mann voll Thätigkeitsdrang, edle Ziele verfolgend, rund um sich her beglückend, gestaltend und wirkend: denke Dir diesen Mann, wie er mitten in seiner ganz geistigen, ganz hochfliegenden Existenz einen Schmerz in seiner Brust, einen Wurm in seiner Lunge fühlt, der nagt und weiter nagt und eitert – so daß der Unglückliche sich sagen muß: an diesem elenden kleinen Geschwür, diesem entsetzlichen Tropfen Eiter muß ich untergehen mit meiner ganzen Welt von Gedanken!

Ist es nicht so, daß es eigentlich gar nicht zu glauben, nicht zu fassen? Muß dieser seiner ganzen Geistesmacht Bewußte, noch seine volle Lebenskraft ungebeugt in jeder Muskel fühlende Mann nicht in eine grenzenlose Verzweiflung gerathen? Ist das erlaubt, ist das nicht vielmehr diabolisch, daß wir mit allem unserm reichen geistigen Sein von solchen Aeußerlichkeiten, solchen Erbärmlichkeiten abhängig gemacht sind? Wer die Menschen erfand, sollte sie auch anständig zu behandeln gewußt haben; daß das Schaf an seinem Hirnwurm zu Grunde geht, will ich gelten lassen, aber für die Menschen sollten andere Gesetze gelten als für die Schafe!

Aber was helfen solche Ergüsse – wollte ich sie verfolgen, so käme ich nur wieder auf meine alte Beobachtung über die Bosheit der Natur, der wir verfallen sind wie arme Schiffbrüchige, die an die Küste eines wüsten, von Raubthieren bewohnten Gestades geworfen werden.

Ich komme zur Sache. Auf meinem Gute lastet seit langen Zeiten, noch aus den Kriegsjahren herrührend, eine Hypothekschuld von 20 000 Thalern. Mein Großohm in seiner Gott und den Menschen wohlgefälligen Indolenz hat sie so übernommen und jährlich still verzinst, – er hätte sicherlich sich des Hochverrathes gegen seinen geehrtesten Heiligen, Sanct Schlendrian, schuldig und sein Haus des »Glücks von Edenhall« für immer verlustig geglaubt, wenn er ein durch so lange Zeiten sanctionirtes Verhältniß angetastet und das Capital abgetragen hätte, wie es ihm ohne Zweifel möglich gewesen wäre. Wegen der großen Kosten, die mir meine Meliorationen gemacht haben und wegen der schlechten Ernte, die ich im vorigen Jahre hatte – sie war vollständig mißrathen, – habe ich die Zinsen nicht zahlen können. Dieser einfache Umstand nun, ein einziges Jahr hindurch seine Zinsen nicht einlaufen zu sehen, ist dem Gläubiger hinreichend gewesen, mich mit der Kündigung des Capitals zu chicaniren.

Anfangs erweckte dieser Schritt in mir nichts als das Gefühl mitleidiger Verachtung für den engherzigen Geldmenschen. Ich gab ruhig meinem Rechtsbeistand den Auftrag, das Capital anderswoher zu beschaffen. Dafür hat sich der Letztere denn auch alle Mühe gegeben, aber denke Dir meine unangenehme Ueberraschung, als er gestern kam, mir zu gestehen, daß es ihm unmöglich geworden.

Beim Henker, mein Gut ist 60 000 Thaler werth, mein Herr Doctor! sagte ich – und darauf finden Sie nicht ein Darlehn von nur 20 000?

Allerdings, es ist 60 000 Thaler werth, d. h. mit den Gebäuden, die auf dem Lande nichts eintragen und nur für den Bewohner selbst eine Rente repräsentiren.

Nun, wenn auch?

So bleibt doppelte Sicherheit immerhin und wohl noch mehr, fiel der Geschäftsmann beistimmend ein; aber was hilft uns die Sicherheit, wenn wir Niemand finden, der sie haben will? Ich muß ganz offen gegen Sie sein, Herr Baron, und Sie müssen mir das nicht übel nehmen. – Sie könnten sonst denken, es habe an meinem Eifer, Ihren Wunsch zu erfüllen, gefehlt. Man weiß, daß Ihnen das Capital gekündigt ist, weil Sie mit den Zinsen in Rückstand geblieben sind; das ist eine üble Empfehlung bei den Herren Capitalisten, der furchtsamsten und mißtrauischesten Menschenrace, die es giebt. Man weiß, daß Sie große Meliorationen begonnen haben, die für die nächste Zeit Sie so in Anspruch nehmen, daß es Ihnen schwer werden muß, jetzt pünktlicher in der Abtragung der Zinsen zu sein. Ein Theil Ihrer Einkünfte fällt während jener Arbeiten ohnehin aus; Ihre umgebauten Gärten und Wiesen tragen Ihnen nichts ein, so lange die Arbeiten darin dauern. Man weiß vielleicht auch, daß Sie bereits 2000 Thaler zu 7½ Procent bei einem Banquier in der Stadt aufgenommen haben – kurz und mit einem Wort, man glaubt, daß Sie sich derangiren werden!

Glaubt man, in der That, glaubt man das, mein Herr Doctor? Nun, man ist sehr wohlwollend in seinen Urtheilen hier zu Lande, das weiß ich längst. Aber was ist denn zu thun? Wenden Sie sich an irgend eine Hypothekenbank oder dergleichen.

Derartige Dinge, solch treffliche Institute wie in Schlesien z. B. die Ritterschaft hat, besitzen wir hier zu Lande nicht, antwortete der Rechtsgelehrte. Wir haben von alle Dem nichts als die Rentenbank. Für den Bauern, der Geld bedarf, um die sechs Pfund Wachs, die er jährlich seinem Pfarrer, oder die fünf Thaler Grundrenten, die er seinem Gutsherrn zahlen muß, abzulösen, ist aufs mildiglichste gesorgt. Für Den aber, der schwere Zinsen an den Capitalisten zu zahlen hat, giebt es keine Hülfe: vom Gutsherrn hilft man den Bauern frei, aber nicht vom Juden. Ja, statt dem Grundbesitzer zu helfen, sich von den Hypotheken zu befreien, durch eine Bank etwa, die ihre Vorschüsse durch die Verzinsung nach und nach amortisiren ließe – statt dessen nimmt der Staat den unglücklichen Schuldner noch in eine namhafte Geldstrafe, sobald es ihm gelungen ist, durch eigene Kraft, durch den äußersten Fleiß und Sparsamkeit eine Schuld abzutragen.

Eine Geldstrafe? Wie so?

Man läßt ihn dann für die »Löschung im Hypothekenbuche« zahlen, daß er schwarz wird!

Das ist überaus weise eingerichtet! fiel ich bitter lachend ein. Aber welchen Rath geben Sie mir denn? Wäre es Ihnen nicht möglich, das Capital gegen das Versprechen höherer Zinsen als der üblichen aufzubringen?

Wer auf höhere Zinsen als die üblichen speculirt, der wirft sein Geld auf industrielle Unternehmungen; man schlägt sich förmlich um Bergwerkskuxe, um Spinnerei – Actien, um Eisenbahnantheile – dahin strömen die Capitale und für den Grund und Boden bleibt wenig übrig.

Der Teufel hole die Industrie! – Sie wissen also gar keinen Rath, mein Herr Doctor? hob ich nach einer Pause an.

Er zuckte die Achseln.

Wollen Sie etwa bei Ihrem Gutsnachbar, dem alten Hauptmann auf Osterlohe, anpochen – er soll sehr reich sein. –

Ich wandte ihm rasch den Rücken, um ihm den Eindruck nicht zu zeigen, der sich bei diesem Vorschlage auf meinem Gesichte abprägte.

Er ging endlich und ich blieb in voller Verzweiflung zurück. Was soll ich thun, Max? Du weißt, Lehnrecht und Fideicommißgesetze gelten nicht mehr und schützen mich nicht – schaff ich das Geld nicht, so geräth mein »alter, befestigter Grundsitz«, das Stammhaus meiner Väter, unter den Hammer – und das überlebe ich nicht!

Weißt Du denn im Kreise Deiner Bekannten Niemand, der retten könnte, wollte?


11.

Am 19. April.

Du hast nichts als philosophischen Trost für mich, mein guter Max, das heißt etwas, das ganz vortrefflich ist für Leute, welche sorgenfrei sich in ihrem Fauteuil schaukeln – ich aber bin nicht sorgenfrei, ich bin außer mir, bin wüthend obendrein – denke Dir, welche Entdeckung ich gemacht habe! Mein Rechtsanwalt hat mir mitgetheilt, daß Sophie, diese heimtückische Sophie, vor wenigen Tagen die mir von meinem Gläubiger gekündigten Schuldbriefe an sich gekauft hat. Es war nicht möglich, daß die Verlegenheit, in welcher ich mich befinde, unbekannt blieb; dazu hat mein Advokat zu viele Schritte gethan, um mir zu helfen. Auch Sophie muß davon vernommen haben, und nun hat sie sich mit meinem Gläubiger in Verbindung gesetzt und ihn seine Forderungen zu Gunsten ihres Vaters, der aber nur den Namen zu dem hergiebt, was sie beschließt, abtreten lassen. Also mit ihr habe ich es jetzt zu thun, ihr muß ich am 1. Juli dieses Jahres Capital und sämmtlichen Zinsenrückstand mit Grazie in die graulinnene Gartenschürze legen, oder sie läßt mich von Haus und Hof treiben.

Ich stehe hier vor einem dunklen, ängstigenden Geheimniß, vor einem psychologischen Problem, das ich nicht zu lösen weiß und das mir innerlich Grauen macht. Was habe ich diesem Mädchen gethan, daß sie mich mit einer so erbitterten Feindschaft verfolgt, daß sie sich das Vergnügen, mich verderben zu können, förmlich ankauft? Woher dieses dämonische Verlangen, mir wehe zu thun, mich moralisch zu brechen, zu vernichten?

Man könnte ganz einfach sagen, in ihrem prosaischen Realismus und Egoismus beabsichtige sie, mein schönes Gut durch eine leichte Operation ihrem Erbe einzuverleiben – aber das ist es nicht – das kann es nicht sein, was sie bestimmt, ich müßte dann an allem Guten in einer Menschenseele verzweifeln! Nein, lieber nehme ich Leidenschaften und Gefühle, und wenn auch die dunkelsten und heillosesten, in ihr an – lieber denke ich sie mir böse als so gemein gewinnsüchtig!

Ich schließe – soeben bekomme ich ein Billet von Sophiens Vater, worin er mir mittheilt, daß er durch eine notarielle Cession Inhaber der auf meinem Gute haftenden Hypothek geworden und demnach der pünktlichen Einzahlung des bereits gekündigten Capitals mit sämmtlichen fälligen und bis zum Zahlungstage noch anwachsenden Zinsen entgegensehe!

Mir ist die Stimmung zum Schreiben ausgegangen!


II.
Max von Eggstein an Fräulein Sophie Menther.

12.

B*** am 27. April.

Verzeihen Sie mir, mein verehrtes Fräulein, wenn das Gefühl einer eben so warmen, als tief in Sorge versetzten Freundschaft mich so kühn sein läßt, diese Zeilen an Sie zu richten, ohne daß ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu sein. Ich erhalte Berichte von meinem Freunde Milendonk, die mich drängen, so viel an mir liegt zu thun, um ihn seinem Gram zu entreißen. Er sieht dem Verluste seines Gutes entgegen und zwar durch Sie – das ist ihm das Schmerzlichste dabei! Denn, um es mit einem Worte zu sagen – er liebt Sie, und hegt dabei den Glauben, daß Sie diese seine innige und tiefe Neigung nicht allein nicht erwiedern, sondern er hat sich auch fest in den Kopf gesetzt, daß Sie eine Abneigung wider ihn empfinden, ja daß Sie eine erbitterte Feindschaft wider ihn hegen, und daß Sie zur Befriedigung derselben ihn zu verderben suchen!

Ich glaube dieses Verhältniß klar zu durchschauen; es ist eines von jenen, die, so unendlich verwickelt und neu, so beispiellos in der Geschichte sie den Betheiligten scheinen, doch so einfacher Natur und so leicht zu schlichten sind, wenn ein Freundeswort, die Mißverständnisse klärend, der unnützen Selbstqual ein Ende macht. – Zürnen Sie deshalb einem Ihnen völlig Unbekannten nicht, wenn er ein solches Freundeswort hier auszusprechen wagt.

Julius von Milendonk liebt Sie, ohne sich selbst gestanden zu haben, wie sehr; Sie, mein verehrtes Fräulein, haben sich zwischen ihn und sein böses Schicksal gestellt, um seine Retterin zu werden – das war einzig und allein Ihre Absicht, als Sie sich zu seiner Gläubigerin machten, aus Ihrer Hand sollte er sein ganzes, ungetheiltes Glück zurückempfangen und wieder der unumschränkte Herr des Erbes seiner Väter werden – das ist mir zweifellos klar. Er soll nur darum bitten, er soll nur zu Ihnen zurückkehren; aber Sie haben nicht dabei in Anschlag bringen können, daß er nicht wagt, Sie zu bitten oder zu Ihnen zurückzukehren, weil er die fixe Idee hat, daß Sie ihn hassen.

Ich brauche nichts mehr hinzuzusetzen; was zu thun ist, wird Ihnen Ihr eigenes Gefühl eingeben: ich brauche Ihnen weder zu schildern, in welcher Verzweiflung er ist, noch welches Glück ihm zu gewähren in Ihrer Hand liegt!

Ich bin mit der größten Verehrung

Ihr

gehorsamster Diener
Max von Eggstein.


Die Correspondenz, welche wir bis hierher unsern Lesern vorlegen konnten, findet mit diesem Briefe, den Milendonk's Freund in der Residenz an Sophie Menther richtete, ein Ende. Wir sind gezwungen, die Entwickelung des Verhältnisses, welches Max von Eggstein so leicht zu schlichten glaubt, selber zu erzählen.

Sophie Menther warf den Brief des Freundes, nachdem sie ihn zweimal gelesen, mit dem Ausdruck der Verachtung in ihren sprechenden Zügen in das Kaminfeuer.

Welche Anmaßung! sagte sie dabei. Wie klar diesem eifrigen Freunde meine Beweggründe sind! Du lieber Gott! Er glaubt, ich habe eigentlich wohl die Schuldurkunde nur angekauft, damit sein Freund gezwungen sei, mich um meine Hand zu bitten! O, Sie sind im Irrthum, mein Herr von Eggstein!

Julius von Milendonk hatte unterdeß in seiner Herzensangst noch mehrere Schritte gethan, sich aus seiner Noth zu reißen. Sie waren alle vergeblich geblieben. Man hielt ihn für einen leichtsinnigen Städter, der im Begriffe stehe, durch sein dilettantenhaftes Experimentiren mit dem Landbau sich zu Grunde zu richten. Er fühlte sich unbeschreiblich gedemüthigt durch diese wiederholten abschlägigen Antworten von Commissionären und Geschäftsleuten.

Der Termin, an welchem die Zahlung erfolgen sollte, rückte näher und näher. Sollte er Sophien gestehen, er könne nicht zahlen, und müsse ihr anheimstellen, ob sie sein Gut verganten lassen wolle? Das war ein Gedanke, den er nicht ertrug. In welcher Weise auch immer er seiner grausamen Gläubigerin eine solche Mittheilung machen ließ, es mußte stets den Anschein haben, als bitte er um ihre Gnade. Und das wollte, das konnte er nicht – nun und nimmermehr!

Von dem Schritte seines Freundes ahnte er natürlich nichts.

Endlich faßte er einen Entschluß. Er beauftragte seinen Rechtsanwalt, dem Herrn Menther und seiner Tochter zu eröffnen, daß er, des Landlebens überdrüßig, seine Besitzung zu veräußern wünsche und ihnen dieselbe zum Kauf antrage.

So, fügte er hinzu, sind wenigstens die Dehors gewahrt; daß ich der einsamen Existenz hier müde bin, wird man sehr begreiflich finden; ein Verkauf aus freier Hand wird deshalb nichts Auffallendes haben; darum schließen Sie ihn ab, Herr Doctor, zu welchem Preise Sie wollen, ich werde dann immer sagen können: tout est perdu, sauf l'honneur!

Der Rechtsanwalt versprach sein Bestes thun zu wollen; als er ging, gab ihm Milendonk noch den Auftrag, in den Contract ja irgend eine Clausel zu bringen, die ihm die Hoffnung lasse, einst in besseren Verhältnissen das Stammhaus seiner Ahnen wieder an sich kaufen zu können.

Ich werde unterdeß mein Leben lang nur einen Gedanken haben, sagte er, wie einst Warren Hastings Warren Hastings (1732-1818), war von 1761 bis 1764 Mitglied des Rates der Verwaltung der Ostindien-Kompanie in Kalkutta. 1764 nach England zurückgekehrt, verlor er sein Vermögen, trat deshalb wieder in die Dienste der Ostindischen Kompanie. 1773 wurde er Generalgouverneur in Britisch-Ostindien und als solcher der eigentliche Begründer der britischen Herrschaft in Indien. 1785 wurde er abberufen und vor dem Unterhaus angeklagt, in Ostindien mit tyrannischer Willkür gehandelt, unmäßige Geldsummen erpresst und den Sturz mehrerer indischer Fürsten veranlasst zu haben. Hastings wurde zwar im April 1795 freigesprochen, verlor allerdings durch die Prozesskosten sein Vermögen. – Anm.d.Hrsg., der inmitten seiner Groß-Mogul-Glorie und als Gebieter Indiens nur den einen Gedanken hatte: sein Stammhaus wieder an sich bringen und sich Hastings von Daylesford schreiben zu können.

Dann bereitete sich Julius von Milendonk vor, sein Gut zu verlassen. Es litt ihn nicht länger hier. Es war ihm, als trieben ihn böse Geister, welche in den Mauern der alterthümlichen Säle und der stillen, unbewohnten Zimmer nisteten, von hinnen; als wären sie es, die ihm Unglück über Unglück in diesem verwünschten Schloß gesandt hätten. Seine Stimmung wurde noch verbitterter durch eine Reihe von demüthigenden Gedanken, die ihm kamen.

Ich habe doch am Ende mein Unglück selbst verschuldet! sagte er sich. Tu l'as voulu, George Dandin! Es ist wahr, ich bin viel zu stolz, zu übermüthig, wie Sophie sagt, hier eingezogen. Ich habe viel zu leichtsinnig in Dinge, die ich nicht verstand, eingegriffen. Ich hätte wissen sollen, daß ein alter Filz Krämpfe bekommt, wenn seine Zinsen ausbleiben. Ich hätte so viel Lebensklugheit haben sollen, einen so schönen Besitz zu erhalten. Die Strafe ist hart, aber vielleicht nicht mehr als gerecht. Gute Freunde werden sie wenigstens nicht anders als gerecht finden. Ja, Eine weiß ich, die findet sie sicherlich noch viel zu milde. Und das Gute hat sie wenigstens, daß sie mich von hier forttreibt. Denn ich muß fort, um mich wieder aufzurichten unter anderen, unter geistigeren Menschen. Unter ihnen werde ich von anderen Dingen hören als von Weizen- und Heupreisen, von Hypotheken und Rinderzucht; unter ihnen werde ich mich selber wieder finden als einen Menschen, der auch dann etwas gilt, wenn er gleich nichts vom Kornhandel versteht.

Der Anwalt Milendonk's kam von Osterlohe zurück – mit einer ablehnenden Antwort.

Man ist zum Kauf nicht geneigt, sagte er, Fräulein Sophie meinte, Sie würden einen Verkauf sicherlich später bereuen, da der Schmerz nicht ausbleiben könne, Ihr schönes Familienerbe in fremden Händen zu sehen. Ihr Vater werde dazu die Hand nicht bieten.

Die Schlange! rief Milendonk erbittert aus.

Was beschließen Sie nun? fragte der Geschäftsmann. Man sieht der Zahlung in Osterlohe am ersten Juli entgegen.

Das Beschließen überlasse ich Ihnen, antwortete der junge Mann. Ich gehe, noch am morgigen Tage. Après nous le déluge! Führen Sie als mein Generalbevollmächtigter die Administration, so lange ich noch hier Eigenthümer bin. Sorgen Sie bei dem gerichtlichen Verfahren, welches dann folgen wird, so gut Sie können, für mich. Suchen Sie durch eine Sequestration einem öffentlichen Verkauf vorzubeugen. Das ist Alles, was ich Ihnen noch zu sagen habe. Verhandeln Sie über alles Detail mit Sparenberg. Und somit Gott befohlen!

Julius von Milendonk befahl seinem Diener zu packen.

Um die Mittagsstunde des folgenden Tages wollte er nach der nächsten Eisenbahnstation abreisen. Etwa eine Stunde vorher ging er mit Sparenberg durch einige der Zimmer des Hauses und bezeichnete ihm mehrere Gegenstände, welche er sich in die Residenz nachsenden lassen wollte. Es waren einige durch alterthümliche Arbeit merkwürdige Möbel, einige Ahnenbilder und Silbersachen, die er sich aus dem Schiffbruch retten wollte. Da begehrte ein Bote aus Osterlohe ihn persönlich zu sprechen, weil er einen Brief habe, den er nur dem Herrn selber übergeben dürfe.

Milendonk veränderte die Farbe bei dieser Meldung. Mit zitternder Hand nahm er das zierlich gefaltete, von Sophiens Hand überschriebene Billet entgegen und riß es auf. Es lautete:

»Ich vernehme, daß Sie im Begriffe sind, Ihr Gut zu verlassen. Und soll das ohne Abschied geschehen? Ich meine, unsere Bekanntschaft ist dazu eine zu gute gewesen, und ich hätte ein Recht darauf, ein Lebewohl von Ihnen zu hören, ein Recht, das Ihre Galanterie nicht in Frage stellen kann noch wird. Sollte das aber dennoch der Fall sein – nun wohl, dann bitte ich um einen Abschiedsbesuch!

Ihre ergebenste

Sophie Menther

Wozu das? fragte sich Julius von Milendonk, als er diese mit großen, festen und auffallend regelmäßigen Zügen geschriebene Epistel gelesen hatte. Er wies seinen Verwalter und die Diener, die um ihn mit dem Packen beschäftigt waren, fort, und stürmte dann in eigenthümlicher Aufregung im Zimmer auf und ab.

Was hat sie beabsichtigt mit diesen Zeilen? fragte er sich weiter. Ist es Neugier, die sie dazu verführte, will sie von meinen Vorsätzen für meine Zukunft etwas erfahren – oder will sie gar sich die innere Genugthuung verschaffen, mich gedemüthigt und gebrochen zu sehen?

Während Julius von Milendonk sich diese Frage halblaut mit den Lippen aussprach, flüsterte sein Herz ihm eine Antwort darauf zu, die er sich heftig sträubte anzuhören. Es ist doch vielleicht Alles anders, sagte dies vorlaute Herz, und obwohl es mit seiner Bemerkung strenge und stolz zur Ruhe verwiesen wurde, flüsterte es doch immer wieder: Es ist vielleicht Alles anders als es scheint! –

Nur um es nicht länger anhören zu brauchen, rief Milendonk endlich aus: Mag sie beabsichtigt haben, was sie will, ich gehe zu ihr, weil es feige von mir wäre, nicht zu gehen!

Dann eilte er hinaus, ließ sein Pferd satteln und war in wenigen Minuten auf dem Wege nach Osterlohe.

Als er hier ankam, erblickte er schon von ferne Sophie an einem der Fenster stehen; sie sah ihn, als er hinaufgrüßte, mit einem ernsten Blicke an und die Art, wie sie durch ein leises Kopfneigen seinen kalten, respectvollen Gruß erwiederte, hatte etwas schwermüthig Gehaltenes.

Julius wurde in das Wohnzimmer geführt, der alte Hauptmann war wie immer nicht sichtbar. Sophie trat dem Kommenden entgegen, blässer als gewöhnlich und offenbar heute weniger als je in kaltblütiger Fassung; sie trat hastig auf und reichte Julius die Hand, was sie bisher nie gethan.

Ist es wahr, daß Sie abreisen wollen? fragte sie; die Landluft scheint Ihnen nicht zu bekommen. Sie sehen angegriffen aus – wie lange hat man Sie nicht gesehen; setzen Sie sich dort, der Fauteuil steht noch von Ihrem letzten Besuche her an derselben Stelle – ich glaube es ist ein Jahrhundert!

Julius entging keineswegs, so bewegt er auch selbst sich fühlte, das aufgeregte Wesen des jungen Mädchens, das sonst durchaus nicht die Gewohnheit hatte – ihm gegenüber wenigstens nicht – derartige freundliche Vorwürfe zu machen.

Wenn ich lange nicht mehr zu Ihnen gekommen bin, sagte er, so ist der Grund einfach der, daß ich mich nicht erwartet und nicht willkommen glaubte!

Und in Beidem hatten Sie Unrecht.

Wahrhaftig, das haben Sie mir früher nicht gezeigt, antwortete Julius bitter.

Sie haben mich nicht verstanden, versetzte Sophie, den Blick ablenkend.

Das ist richtig – und ich verstehe Sie auch jetzt noch nicht –

Ist es wahr, sagte sie ablenkend, daß Sie Ihr Gut und Ihre Geschäfte im Stich lassen wollen, um nie zurückzukehren?

Das ist wahr.

Ein tapferer Capitain vertraut die Vertheidigung seines Schiffes nicht Andern an; er ist der Letzte, der es verläßt!

Wenn aber der Kampf hoffnungslos, wenn der Capitain überhaupt nicht kämpfen mag und will wider die Flagge, welche ihn angreift –

Das Alles entbindet ihn seiner Pflicht nicht!

Doch wenn er nun sein Schiff unter seinen Füßen versinken sieht?

Welche tragische Auffassung der Dinge! Desto bitterer muß ich empfinden, daß Sie dennoch nicht sich herablassen wollten, mir ein Wort zu gönnen. Also lieber dem Ruin entgegengehen? Und vielleicht noch jetzt weisen Sie mich stolz zurück, wenn ich Ihnen sage, daß mein Vater auf keine Weise beabsichtigt, Ihnen mit seiner Geldforderung Verlegenheiten zu bereiten, daß er sich desto geehrter durch solchen Beweis Ihres Vertrauens fühlen würde, je mehr Sie diese Angelegenheit nach Ihrem Belieben, nach Ihren Wünschen arrangiren würden!

Julius sah sie groß und verwundert an.

Das zurückweisen, antwortete er nach einer stummen Pause tief aufathmend, das zurückweisen kann ich nicht, darf ich nicht – und das wissen Sie recht gut, Sophie!

Aber noch einmal, weshalb sprachen Sie denn nicht nur ein einziges offenes Wort zu mir?

Hatte ich darin nicht Recht? Was konnte ich von Ihnen erwarten? Mußte ich es nicht für eine unnütze Demüthigung halten – noch eben hätte ich geschworen, daß Sie mir kurzweg abschlagen würden, wenn ich Sie bäte –

Und noch vor kurzer Frist, antwortete Sophie mit einem eigenthümlichen Lächeln, hätte ich Ihnen auch wirklich abgeschlagen, was Sie etwa erbeten hatten –

Seitdem aber? Denken Sie denn anders seitdem?

Nein, ich habe seitdem nur zu Ende geführt, was ich thun wollte!

Etwa: mich vollends demüthigen?

Und wenn ich nun sagte: Ja!

So würde ich nichts hören, was mich überraschen könnte! antwortete Julius von Milendonk mit einem Tone, der seine frühere Bitterkeit verloren hatte, um jetzt eine tiefe Niedergeschlagenheit zu verrathen.

War es dieser Ausdruck, der Sophie rührte? Sie sah ihn plötzlich mit einem Blicke an, in welchem eine warme Innigkeit lag und zu gleicher Zeit reichte sie ihm über den schmalen Arbeitstisch, der zwischen ihnen stand, ihre Hand hin.

Lassen Sie uns Frieden schließen! sagte sie, und geben Sie mir Ihre Hand – glauben Sie mir, ich bin nicht so böse wie Sie mich dafür halten, ich bin nicht Ihre Feindin, und was ich gethan habe, das geschah –

Etwa um mich zu retten, fiel Julius ein, um mich nicht in der Gewalt eines schonungsloseren Gegners zu lassen? Dann muß ich Ihnen erwiedern, daß ich trotzdem alle Bitterkeit meiner Lage schonungslos habe durchkosten müssen!

Nein, antwortete sie, es geschah auch nicht deshalb. Ich habe beschlossen, in dieser Stunde ganz offen gegen Sie zu sein – darum gestehe ich Ihnen auch, daß ich selbst es war, die Ihnen zuerst das Unheil erweckte – ich machte Ihren Gläubiger, den Herrn Schmidt, auf die Gefahr aufmerksam, in welche sein Capital bei Ihnen gerathen könne, und darauf hin kündigte er Ihnen dasselbe.

Aber um Gottes Willen –

Weshalb? wollen Sie mich fragen. Ich will es Ihnen erklären. Ich wollte, daß das Leben Ihnen eine große, schmerzliche, aber darum auch unvergeßliche Lehre gebe. Sie kamen hierher, durch und durch eitel, ein reiner Träumer, ein Idealist, der in dem Wahne lebt, daß er nur zu wollen brauche, um das Beste und Schönste in's Leben zu rufen, daß sein Gedanke unbedingt die reale Wirklichkeit beherrsche, bloß weil es der adelige Herr Gedanke ist und alles Andere nur die zum Dienen und zum Geknetetwerden geschaffene schlechte Materie. Die reellen Dinge sind aber nicht so schmiegsamer Natur, sondern halsstarrig, unbeugsam und hart, ja grausam wider Den, der ihre Gesetze verachtet und sich ihnen nicht unterwürfig zeigt. Ich sah voraus, daß Sie unfehlbar zu Grunde gehen würden an Ihrem Irrthum. Ich sah eine lange, jahrelange Zeit des unseligsten Kampfes mit den schmerzlichen und immer wachsenden Sorgen voraus, welche die Wirklichkeit, Ihre immer hoffnungsloser sich gestaltenden Verhältnisse, Ihnen aufbürden würden. Am Ende dieses Kampfes wären Sie freilich gescheidt gewesen und hätten, von der Erfahrung belehrt, sich gesagt: es ist wahr, »der Mensch lebt nicht allein vom Brode, aber doch hauptsächlich; die Mühle, welche ihm dieses Brod schafft, ist für ihn eben so beachtenswerth und unantastlich wie der Tempel seiner Ideen. Es ist also seine erste Aufgabe, klug und besonnen die realen Dinge aufzufassen, wie sie aufgefaßt werden wollen und ihnen abzugewinnen, so viel man bedarf.« Aber diese Erfahrung wäre zu spät gekommen, und gegen den Gewinn derselben hätten Sie vielleicht Ihren Glauben, Ihr Vertrauen auf Gott ausgetauscht, denn Charaktere wie der Ihrige sind nicht gestählt genug, um so edle Güter durch einen vollständigen Lebensschiffbruch zu retten. Das habe ich mir gesagt, und um Ihnen zu Hülfe zu kommen, habe ich gethan, was das Beste zu Ihrem Heile war – ich habe herbeigeführt, daß die Lehre, welche das reale Leben Ihnen vorbehielt, sich nicht tropfenweise nach und nach in Ihren Becher mischte, sondern daß sie sich concentrire und Ihnen ihre ganze Bitterkeit, aber auch ihre ganze Heilsamkeit auf einmal zu kosten gebe. Dies, glaube ich, ist geschehen und heute sind Sie ein Mann, der um zwanzig Jahre klüger ist, als er es vor einem Jahre war. Heute sind Sie ein würdiger Herr Ihres Gutes. Es ist nicht genug, daß man sich gnädig herablasse, so etwas sich vererben zu lassen. Es ist nicht genug, daß man den Namen davon auf seine Karte stecken lasse und es als Folie der Persönlichkeit in den Salons gebrauche. Man muß es klug zu behandeln, zu schätzen, ihm Opfer zu bringen wissen – kurz, man muß es lieben lernen – dadurch lernt man es sich zu erhalten, was das Wesentlichste und die Hauptsache ist. Sie sind im Begriffe gewesen, Ihr Stammhaus zu verlassen, für ewig zu verlieren; in diesem Augenblicke erst haben Sie den wahren Werth, den es für Sie besitzt, empfunden; in diesem Augenblicke erst ward es Ihnen mehr als eine vornehme, adelige Fassung Ihrer Person. Jetzt erst bekamen die Räume, in welchen Ihre Väter geboren und gestorben sind und als redliche Männer einen treuüberlieferten Besitz zu wahren und zu verbessern gesucht haben, eine Bedeutung für Ihr Gemüth. Jetzt erst empfanden Sie eine Ahnung, daß der Schauplatz von Freud und Leid voraufgegangener Geschlechter, die Wände, welche manchen Seufzer und manches stille Gebet Ihrer Ahnen gehört haben, der Boden, auf den sicherlich manche Thräne niedergeflossen ist, aus Augen, welche der Schmerz des Lebens feuchtete, – jetzt erst empfanden Sie eine Ahnung, daß dies Alles einen inneren Zusammenhang mit Ihrem Gemüthe habe, der nicht, ohne für immer eine Wunde zurückzulassen, zerschnitten werden könne! – Ist es nicht so?

Julius Milendonk blickte die Sprechende an mit einem Gesichte, auf welchem sich die widerstreitendsten Gefühle ausdrückten.

Sie haben eine furchtbar schlechte Meinung von mir! sagte er.

Indem ich Ihnen das grenzenlose Vertrauen, daß ich Ihnen offen jede Wahrheit sagen darf, zeige? Indem ich mir solche Mühe gebe, Sie mit der Welt, mit der Sie in Zwiespalt verfielen, zu versöhnen? Denn das war es. Sie begannen, mit der Welt entzweit zu werden – um Sie zu heilen, mußte ich Sie mit sich selbst entzweien, das heißt, Sie mußten in eine Lage gerathen, wo Ihnen kein Vorwand mehr blieb, der Welt Ihre Schuld zuzuschieben, wo Sie unerbittlich sich sagen mußten: Du selbst hast die Schuld. Sonst wären Sie allmälig durch die Eitelkeit, welche sich selbst fleckenlos sieht und deshalb Natur und Schicksal, Himmel und Vorsehung befehdet, lästert, verflucht, zur Gottlosigkeit, zum Atheismus gekommen. Die Gefahr ist für Sie vorüber. Wenn man einen prächtigen Besitz, der ein Jahrhundert lang die Eigenthümer zu wohlhabenden, einflußreichen und geachteten Leuten machte, schon nach anderthalb Jahren der Bewirthschaftung vermöbelt hat, dann kann auch die verstockteste Eigenliebe nicht »der Antipathie der Natur« dieses glorreiche Ergebniß zuschreiben!

Ja, darin haben Sie Recht, weshalb sollte ich nicht aufrichtig genug sein, Ihnen darin aus voller Seele beizustimmen? versetzte Julius Milendonk kleinlaut. Sie haben aber noch mehr erreichen wollen, als Sie sagen – etwas, was nicht so ganz meinetwillen, sondern das Ihretwillen geschehen sollte!

Und das ist?

Sie haben mich demüthigen wollen, demüthigen zu Ihrer eigenen inneren Befriedigung. Und das ist Ihnen jedenfalls am sichersten gelungen. Ich bin mehr gedemüthigt, als es je ein Mann geworden ist! Und, setzte Julius Milendonk mit tieftraurigem Tone hinzu, daß das gerade von Ihnen kommen mußte – von Ihnen, Sophie –

Er vollendete nicht, sondern blickte niedergeschlagen auf den Boden.

Sie thun mir Unrecht, antwortete sie; glauben Sie mir, ich bin nichts weniger als triumphirend in diesem Augenblick, eher bin ich – ich weiß nicht weshalb, und nicht, ob vor mir selber oder vor Ihnen, beschämt; vielleicht deshalb, weil ich nicht weiß, was Sie über ein so keck ihren Eingebungen und Beschlüssen folgendes Mädchen denken werden. Daß ich Alles für Sie thun möchte, sehen Sie hier!

Sie zog bei diesen Worten die Schieblade ihres kleinen Arbeitstisches auf, und nahm ein Convolut gestempelter und sehr actenmäßig aussehender Papiere heraus.

Da sind Ihre Schulddocumente, sagte sie; Sie werden am Ende meines Vaters »löschfähige« Quittung finden. Wie der reiche Fugger, fügte sie lächelnd hinzu, die Verschreibung weiland Kaiser Caroli Quinti in das Kamin, werf ich sie in die hell lodernden Flammen der begeisterten Vorsätze, welche diese Stunde in Ihnen weckt. Nun ist beseitigt, was Ihren Kummer bildete – und das Geld werden Sie zurückzahlen, wann Sie es können und mögen.

Aber mein Gott, fiel Julius ein, Ihre, freilich bitter grausame Sorge um mich, und nun dies noch, wie soll ich Alles das deuten, Sophie?

Sie sah ihn groß und erröthend an.

Wollten Sie, fuhr er eifrig fort, wirklich mit all Dem, was Sie thaten, nur mein Glück? Dann müssen Sie auch mein ganzes Glück wollen.

Was gingen Sie mich denn an, wenn ich Sie nicht liebte? antwortete sie mit einer bewundernswürdigen Naivetät, und streckte ihm abermals die Hand entgegen.

Er bedeckte sie mit feurigen Küssen.

Ich bin Ihnen gut gewesen, sagte sie, von dem Augenblicke an, wo ich Sie zum ersten Male sah. Ich habe auch Ihr Werben um mich wohl verstanden. Aber wir waren zwei zu verschiedene Menschen. Ich mußte dem Pegasus, der mit mir in's Joch des Lebens gespannt sein wollte, erst die Flügel stutzen!

Und das ist Ihnen gelungen, Sophie – Sie haben mir die Flügel arg gestutzt, aber nur, um mir neue dafür wachsen zu lassen, die des Glücks – doch Sie geben mir auf einmal zu viel, als daß ich es annehmen dürfte – Sie werden zu sehr meine Wohlthäterin, meine Lehrerin in der Schule des Lebens – ich bin Ihr Schüler, Ihr Geschöpf, Sie können mich nicht achten!

Mein Schüler, antwortete sie lächelnd, und doch noch nicht belehrt genug – sonst würden Sie sich nicht sträuben, ganz vernünftig und besonnen eine Hand anzunehmen, welche Ihnen Ihren eignen Besitz ungetheilt wieder giebt und noch Osterlohe dazu legt – verstehen Sie noch die realen Dinge nicht zu schätzen?

Sie geben mir zu viel des Glücks – und, was werfe ich dagegen in die Wagschale? O, damit Sie mich achten könnten, müßte ich Ihnen zeigen, daß Sie doch Unrecht haben, daß der Geist des Menschen dennoch die Wirklichkeit zu vergessen, sich über sie hinauszusetzen berufen ist, weil er sie beherrschen kann, sobald er nur den Willen, die männliche Beharrlichkeit, die Kraft hat! Erst will ich eine That des Geistes, die Ihnen imponirt, vollbringen, einen Sieg im Reiche des Gedankens erkämpfen, eine geistige Schöpfung hervorrufen, die wie eine Sonne hoch über all dem ökonomischen Realismus von Milendonk sammt Osterlohe steht.

Sophie legte, satyrisch lächelnd, ihre Hand auf des eifernden Julius' Schulter und sagte, voll Hingabe zu ihm aufblickend:

Das wäre freilich schön und bewundernswürdig von Ihnen; aber da einiges Kopfzerbrechen dazu gehören dürfte und einige Jahre Zeit, um damit zu Stande zu kommen, so rathe ich Ihnen, vorläufig mich als Ihre Gehülfin anzunehmen, damit wir zusammen nachsinnen, wie es in's Werk zu richten. Und sollten sich dabei unerwartete Schwierigkeiten zeigen, so überlasse ich Ihnen, in die Wagschale, von der Sie reden, etwas Anderes zu werfen, das ich als vollgültigen Ersatz annehmen würde –

Und das ist?

Liebe! sagte sie, und Julius drückte, überwunden, seinen Mund auf die Lippen seiner hocherröthenden »Feindin«.



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