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12

Einige Jährlein waren hinabgeglitten in den gleichmäßig dahin dießenden Strom der Zeit wie kleine Sandkörnlein in den Unterteil der Uhr, und gar die wuchtigen Pulsschläge des Lebens im Lande und im Reiche haben das Gleichmaß nicht zu stören vermocht.

Zur Osterzeit nach dem Verspruche ist Jungfer Gertraut dem Stefflinger zum Altare gefolgt. Ich hätte sollen die Einsegnung der Ehe vornehmen, aber ich hatte zur selben Zeit in Metten zu tun gehabt, und als ich zurückkam, waren die jungen Eheleute schon fort nach Steffling.

Im Lande und im Reiche wogten Zwiespalt, Neid und Selbstsucht, Hass und Unfrieden hart und wirr durcheinander, und kein einziger Lichtblick erhellte das unerfreuliche Bild.

Ich hatte den Kaiser selmal reden hören und ernstlich gehofft, es werde sich der Himmel einmal halbwegs klären, aber das Hoffen seines Hauses und wolle zu schönem Untergange rüsten, zu einem Untergange, da rosenrotes Abendrot dem Reiche einen schönen Tag künden solle, und er hat doch wieder nicht also gehandelt.

Es ist ja wahr, dass der damals achtzehnjährige Graf von Tirol, des Böhmekönigs schwächlicher Sohn, der hochfahrenden und herrschsüchtigen Gemahlin Margaretha Maultasch nicht gewachsen gewesen ein mochte, und dass die Ehe eine hart unglückliche gewesen sein soll. Der Kaiser wurde zur Hilfe gerufen und setzte es durch, dass der Trennung kein Hemmnis in den Weg gelegt wurde. Damit war er noch allweg so weit im Rechte. Selbst der Papst erklärte nach Anhörung der Gründe seine Zustimmung. Aber damit tat der Kaiser eine Schritt vom rechten Pfade, als er dies Margareth Maultasch mit seinem Sohne Ludwig dem Brandenburger wieder verheiratet. Zum ersten hatte er abermals die Vergrößerung seiner Hausmacht im Sinne, da die Maultasche Tirol an Bayern mitbrachte, und zum anderen ist es nach kirchlichem Rechte unstatthaft, dass ein Geschiedenes sich zu Lebzeiten des anderen Eheteiles wieder verheirate.

Die Unterhandlungen wegen Lösung des Bannes zogen sich immer und immer wieder in die Länge, aber der Kaiser arbeitet kräftig, einen Fürstentag zuwege zu bringen, der den allgemeinen Landfrieden beschließen sollte, und es hatte da den Anschein, als wollte er wirklich so schönen Abgang schaffen, wie er selmal geredet. Aber es sollte doch nicht also kommen.

Der Frankenkönig ließ keinen Papst dazu kommen, den Bann zu lösen, und die Lützelburger trieben hinterhältig Spiel. Als der Kaiser sogar noch seine Gemahlin Margareth mit dem erledigten Reichslehen Holland belehnte wuchs der Neid ins Ungemessene, und die Feinde holten zum Hauptschlage aus. Papst Clemens VI. sprach den Bann aufs Neue über den Kaiser, entsetzte den kaiserlichen Erzbischof und Churfürsten Heinrich von Mainz seines Amtes, setzte an seine Stelle den Grafen Gerlach von Nassau, einen kaum zwanzigjährigen Jüngling, und damit war die kräftige Stütze Kaiser Ludwigs niedergebrochen, denn Mainz war der erste Chursitz des Reiches.

In aller Stille fanden sich die Churfürsten von Mainz, Trier Köln, Sachsen und Böhmes zusammen und erklärten das Reich für erledigt seit den Tagen Heinrichs des Siebenten, trotzdem acht Jahre vorher vier von ihnen das Gegenteil behauptet und beschlossen. Nach dieser Erklärung kürten sie den Markgrafen Karl von Mähren, den Sohn des Lützelburgers Johann von Böhmen zum römischen König und deutschen Kaiser.

Mit einem Gegenkönig hatte Ludwig die Regierung angetreten, und mit einem Gegenkönig sollte er seine Tage beschließen.

Ich weiß nicht, habe ich recht gedacht oder unrecht, aber in meiner Einfalt kam es mir vor, als möchte zwischen Kaiser Ludwig, genannt der Bayer, und seinem Gegenkönige Friedrich dem Schönen nicht alles so ganz recht und gerecht gegangen sein, und die ewige Vergeltung nutze nun dasselbe Maß, das ihr in die Hand gedrücket worden. Es mag anders auch sein, aber ich habe mir nicht anders denken können.

In denselben Tagen ging ein Gerücht um im Volke, als sei nach der also vorgenommenen Wahl ein am Rheinufer aufgestecktes Reichsbanner in die Tiefen des Rheines versunken, so dass es keiner mehr herauszufischen vermocht. Und dies deutete man als arg schlimmes Zeichen und fürchtete für die Zukunft.

Die Fackel des Krieges loderte nun von Neuem auf, und allerorten gab es Kampf und Zwist. Dem Frankenkönige waren die Lützelburger, Johann, der Vater, und Karl, der Sohn und deutsche Gegenkönig, zu Hilfe gezogen wider den Engelländer, wurden aber bei Crecy sehr hart geschlagen. Der blinde König Johann, der sich zu zweien Rittern ins Gefecht hatte führen lassen, wurde getötet, und Karl musste sein Hein in der Flucht suchen.

Dess' freuete sich Kaiser Ludwig, und er berief eine Versammlung von Abgesandten der Städte nach Speyer. Und dieser Ding Ding, Versammlung; davon dingen = etwas ausmachen, verabreden. der Städte beriet, dass keine einzige Stadt am Rheine, in Schwaben und in Franken sich kümmern um die Wahl des Lützelburgers und den neuerlich ausgesprochenen Bann. Zweiunddreißig Jahre wäre Ludwig Kaiser und König gewesen, und all die Zeit her hatten ihn die Fürsten und Edlen also angesehen und ihre Lehen und sonstigen empfangenen Gnadenaus eine Hand angenommen, und jetzt täten sie so, als ob es all die Zeit her keinen Kaiser und Reichsfürsten gegeben.

Herr Peter ging die Zeit über umher wie ein brüllender Löwe. Er hasste die Lützelburger ob ihres ewigen Ränkespieles wider seinen Herr und des Reiches Oberhaupt, und öfter denn einmal wünschte er, wenn er losfahren dürfte wider sie. Man hörte auch einmal, dass die Böhmen die Reichsstraße über Cham nach Regensburg verlegen wollten, aber ausgesandte Boten wussten nichts solche zu vermelden. Vielleicht kam man auch nicht dazu, weil es im Berglande Tirols wieder zu harten und wüsten Kämpfen gekommen sein soll.

So verging die Zeit. Die Donau dießete nach wie vor durch das Donaugäu dahin, dem ersten Grün des anbrechenden Lenzes folgte die Blütenpracht des Maien und des anderen Maien, und über Blütengefilde schlich sich der Sommer ins Land. Tiefer Friede lag über dem Gäu und dem dahinter aufsteigenden Walde, und man vernahm selten mehr als die Hauptsache von alledem, was sich draußen im Reiche und in der Ferne und den ehernen Griffel der Geschichtsschreiberin Zeit nicht zur Ruhe kommen lassen wollte.

Seit Jungfrau Gertraut aus dem Hause war, ist es geworden, als hätte leichtes Nebelgewölke sich über der Familie Sonne gelegt, aber es mochte vielleicht nur Einbildung und Wahn sein. Doch war es gewiss, dass die Söhne nun mehr auf Weidgängen und Heimsuchungen bei anderen waren, denn daheim am Herde des Elternhauses. Selbst Herr Peter, der Jung, kam selten mehr vom Natternberg herüber. Man hatte ihm auch verschiedentlich zugeredet, er möge ein Weib nehmen und guten Hausstand gründen, und vielleicht hielt ihn auch solches Drängen ferne. Herr Thiemo aber hielt sich zumeist auch dort auf, seit er sich mit Frau Berthel etliches überworfen.

Die hatte nämlich einmal gewollt, er möge die Jungfrau Wolffindis, eines Hachelingers Tochter und entfernte Gesippe von ihr, zum Trautgemahl küren und als Ehegespons heimführen, und er hat das nicht unmaßen schöne Mägdelein einen alten, dreifüßigen Schragen genennet n seiner ungeschlachten Redeweise und damit die Ungunst und den Unmut der Stiefmutter geweckt. Es war zu kurzem, ungutem Redewechsel gekommen. Herr Peter hatte den Sohn derb geschändet ob der Widergerte Widergerte, Trotzigkeit, Unbotmäßigkeit. und der ungeziemenden Reden gen die Mutter. Das war vorübergegangen, aber ein merkbares Stachelein blieb in jedwedes Herzen zurück, zumal Thiemo nicht danach getan war, sich die Gunst der Stiefmutter durch Schmeicheln wieder zu erringen.

Es bleichte das Getreid auf den Feldern des Gäubodens, die Ähren füllten sich mit ländernährenden Körnern, und zwischen dem goldgelben Gehalme lugten und lachten rote Raden und blaue Kornblumen. Es kamen die Schnitter mit Sichel und Sense und sammelten, was der Herr in seiner Güte als Lohn für des Bauern Schweiß und Mühen bescheret. Es ragten die Stoppeln, und es wuchsen die weißen Herbstblümelein auf Wies' und Anger, und auch die fielen der Sense zum Opfer. Kahl und öde war der Gäuboden wieder geworden im ringkreisenden Laufe des Jahres, und der Herbst schritt über das Land.

Kein Vogelein sang mehr, und die Welt rüstete sich zum Einschlafen.

Wohl strahlte der Sonne Schein goldiger hernieder als zur schönsten Sommerszeit, wohl schwebten die zarten Fäden des Altweibersommers in ruhigem Zuge dahin durch die Lüfte, an der Vögel Flug gemahnend, aber der Menschen Herz und Gemüte ließ sich nicht täuschen. Die schöne Sommerszeit war vorüber, und der ungute Winter dräute aus der Ferne mit Kälte, Sturm und Ungemach.

An solch einem Tage war es, als wir zu Tische saßen indes Viztums Hause und die Knaben und Diener das Essen auftrugen.

Ich hatte mich nach der Messe hinausgemacht vor die Stadt, war herumgestrichen auf den verödeten Fluren, hatte des Herbstes Schöne bewundernd geschaut und den Gedanken an Vergehen und Versterben alles Irdischen nicht gewehret, und mein Herz ward so gestimmt wie eine Fiedel, wenn der Fiedler wehmütige, trübe Weise spielen will. Aber ich hatte gesunden Hunger bekommen und freuete mich des Essens. Und ich betete den Tischsegen vor: »Herr, segne uns alle Speis' und Trank, so du und vorgesetzt in deiner Milde wie ein liebreicher Vater seinen geliebten Kindern, auf dass wir unser Leben fristen mögen nach deinem Willen und zu des Lebens Frist nach deinem Geheiß und Gebote wandeln vor deinen Augen. Und in des Lebens letzter Stund sei uns Kraft und Stärkung mit süßem Himmelsbrote und führe uns gnädiglich zur Tafelrunde deiner Seligen in den Himmelssaal. Amen.«

Wir langten zu, aber kaum hatten wir etliche Bissen gegessen, entstand im Hofe Lärm und Getümmel, und Herr Peter sprang rasch auf und eilte ans Fenster.

»Das bedeutet etwas«, stieß er hastig heraus.

Wir eilten auch hin und sahen ein zusammengestürzt Ross im Hofe liegen, darum her die Knechte und das Gesinde standen, und gleich darauf hastete ein bärtiger Mann mit verstaubtem Koller und verschwitztem Gesichte herein.

»Wo ist Herr Peter, der Viztum?« frug er keuchenden Atems.

»Ich bin's«, beschied Herr Peter. »Was bringt Ihr für Kunde?«

»Ich komme von der Stadt Furth am Walde …«

»Und?«

»Der Pfleger und der Stadtrichter schicken mich als Boten. Die Böhmen reiten mit zweitausend Helmen an wider die Markung und die Stadt. Sie mögen wohl schon bei Glattau sein, dieweil ein anderer Zug gegen Zwiesel im Wald fahren soll.«

»Endlich!« schrie Herr Peter hell auf, und schier klang es hinter dem Rufe wie helle Freude. »Auf! Ich, meines Herzogs Viztum und Stellvertreter, dinge den allgemeinen Heerbann auf … Eppo, bringet allsogleich den Kammerer der Stadt herbei!« schaffte er dem langen Christenberger. Und der hastete nur so davon.

»Nun esset noch!« wandte er sich an uns andere. »Esset nur, dazu ist noch Zeit. Und Ihr, Herr Bote: Da ist mein Tisch, und Ihr seid mein viellieber Gast, wer Ihr auch sein möget … Esset!« schaffte er nochmals. »An mich brauchet ihr euch nicht zu kehren; ich kann nichts mehr essen.«

Aber auch uns erging es also. Nur der Bote schlang gierig hinunter, was ihm gereicht und vorgesetzt worden und löschte seinen glühenden Durst in langen Zügen.

Bald darauf kam der Kammerer der Stadt zu Straubing.

»Was soll es, dass man nicht einmal Zeit findet zum Essen?« frug er sichtlich ungehalten ob der Eile, die ihm der lange Eppo angeraten.

»Krieg ist«, beschied Herr Peter kurz. »Ich, des Herzogs Viztum, dingen den Heerbann auf, und männiglich hat zu gehorsamen. Die Bürgerssöhne haben nach altem Gesatz jedweder seinen Harnisch und sein Wehr gerüstet zu haben, und sie sollen sich binnen vierer Tage Frist waffen zum Fehdezuge. Und ihrer fünfzig schicket mir allsogleich, gut beritten und leicht gerüstet, weil ich Boten brauche und weil unsere Rosse gerastet sein müssen zur Zeit des Aufbruches.«

»Es wird nicht so rasch gehen wollen«, flüchtete der stark zur Bequemlichkeit neigende Kammerer aus. »Fünfzig reitende Boten …«

»Es muss gehen«, beharrte Herr Peter. »In dreier Stunden Frist will ich sie aufgestellt sehen auf der Schranne, und so dies nicht wäre, nehme ich Euch in Gewahrsam.«

»Ich will's versuchen«, versprach der Kammerer und trippelte davon, aber in währendem Gehen greinte er halblaut vor sich hin. »Krieg! Und da soll alles gehen, wie wenn man ein Bündel Spähne abbricht über das Knie. O, mir hat schon lange geschwant von solch unseliger Zeit; ich hätt' es schon lange gewusst und mich danach gerichtet  …«

Herr Peter ging mit langen Schritten den Saal auf und ab, uns seine sprühenden Augen musterten die an den Wänden herumhängenden Halsberken und Waffen.

»In fünf Tagen längstens sind wir zum Abzug bereit, und bis wir hinkommen, wird wohl die Stadt Furth das leidige Hunnenvolk aufhalten«, redete er schier nur mit sich selbst. »Furth rüstet doch?« wandte er sich dann an den Boten.

»Wie ein Nest zorniger Hornisse«, beschied der. »Alles rüstet, aber des Landes Fallgatter ist Furth. Was zählen Eschelkam, die Hofmark Stachesried und was die Burge am Freibach, am Fuße des Hochbogen Hochbogen, Neukirchen, später Neukirchen hl. Blut genannt.? Wie lange können sich die halten?«

»Furth hält, bis wir kommen, und dann … mag's krachen und brechsen, wie wenn der Thorer fährt in einen Haufen Holzscheite.«

»Du ziehst doch nicht selbst mit?« entsetzte sich Frau Berthel schier.

»Warum nicht?«

»Wer ist des Herzogs Vizum, da du in der Fehde weilest? Wer verwaltet das Amt und wahret des Rechtes und des Herzogs Vorteil?«

»Ihr müsst auf Eurem Platze bleiben«, erinnerte auch ich, das Bedenken bekräftigend, denn Herr Peter konnte auf seinem Platze und in seinem Amte hart mehr nützen, denn als Streiter auf der Walstatt.

»Ich muss mir's überlegen«, sagte Herr Peter unschlüssig. »Ich wollt dabei sein bei diesem Reigen und dem Lützelburger verschiedentlich Gelüsten verargen.«

Doch redete jeglicher und alles an ihm, bis er für sicher kundtat, er wolle nur seines Amtes warten und alldort trachten, für des Kaisers und des Reiches Sache zu wirken.

Drei Stunden nachher standen wirklich fünfzig Berittene auf der Schranne, und der Kammerer und die Ratsherren standen dabei und redeten lebhaft mitsammen von Krieg und Kriegszeit, von Schlachten und Siegen.

»Zweitausend Helme sollen die Böhmen stark sein?« zweifelte ein dicker Ratsherr mit vollmondscheinigem Gesicht und samtenem Wamse. »Wird oftmals mehr dazu gemacht.«

»Mit hundert Mann zieht keiner in den Krieg«, erinnerte der Kammerer geringschätzig. »Wir dürfen aufbieten, was zu haben ist. Nur allweg guten Hieb!« mahnte er die Berittenen.

»Eine arge Zeit!« nickte Herr Heimeram der Lerchfelder. »Der Randsberger wird mitziehen müssen, und Alheit kann auf dem Haidstein eine Belagerung mitmachen mit all den Schrecknissen.«

»Die Böhmen werden kaum Zeit finden zu langem Belagern«, mutmaßte der Türnitzer.

Da kam Herr Peter, der Viztum, hinzu.

»Sind die Boten alle gerüstet?« frug er.

»Sind mutige und wackere Leute«, beschied der Kammerer.

»Gut: So komme einer nach dem anderen her zu mir und höre, was er zu tun.« Und einer um den anderen stieg vom Rosse und trat an ihn heran.

»Ihr reitet nach Natternberg und vermeldet meinem Sohne, er solle bis übermorgen mit all seinen entbehrlichen Leuten bei mir sein!« trug er dem ersten auf. »Saget, es gibt Krieg wider den Lützelburger, der sich fälschlich deutscher Kaiser nenne lässt. Habt Ihr verstanden?«

»Ja.«

»Reitet, so schnell Ihr es vermöget!«

»Ihr reitet nach Rinkam mit derselben Botschaft!« schaffte er dem zweiten. »Und ihr nach Geishausen und Mitterfels, Ihr nach Haibach und Chouzell, Ihr dahin und Ihr dorthin!« Und so wusste er fast für alle der fünfzig einen Botenritt, und gar bis ins Viechtreich hinauf in den Wald sandte er Boten.

Und die wackeren Gesellen ritten davon wie der helle Sausewind, und noch desselben Abends kamen viele zurück, die nicht sonderlich weit zu reiten gehabt.

Ganz Straubing glich nun mehr einem aus der altgewohnten Ruhe aufgestörten Ameisenhaufen oder einem Kriegslager denn einer friedlichen Stadt, deren Bürger allzeit dem Landbau, dem Gewerb und etlichem Handel oblagen. Die Harnische wurden besehen und geprobt, ausgebessert und auch häufig blank gescheuert, das Gewafen wurde geschliffen und geschärft, und die Waffenschmiede pochten, klopften und feilten ohn Unterlass. Gar die Hackenschmiede mussten viel der Arbeit fertigen, die Rosse frisch beschlagen und dies und solches.

Die Männer redeten von Krieg, von Tjosten, Gestechen und Schwertschlägen, von harten Helmen, guten Schildern und giftscharfen Schwertern, und gar mancher von ihnen hatte bei Mühldorf Mühldorf, Schlacht bei Mühldorf und Ampfing, 28. Okt. 1322. selbst wacker mitgfochten und mitgehauen. Die Weiber aber schimpften und schändeten über die Böhmen, über die Kurfürsten, die solchen Friedensstörer zum Kaiser und König gekoren, über dies und jenes, und jammerten über ihre Söhne, deren gar mancher die Stadt zu Straubing nimmer sehen durfte. Sind sie deswegen große gezogen worden mit Müh und Kümmernis, dass sie in den schönsten Jahren versterben sollten, weil der Lützelburger nicht Frieden halten will?

Die für den Feldzug auserkorenen Bürgerssöhne aber standen auf der Schranne, in den Gassen, vor den Häusern und da und dort umher, oder tranken in den Schenken eine Kanne und redeten und prahlten, wie sie dreinhauen wollten, so sie den Feind träfen. Jeder wollte der Stärkste sein und der Behändeste, und es kam darob etliche Male zu Streit und Unfrieden.

Des anderen Tages aber kam Herr Peter zu mir.

»Herr Gotswin«, sagte er, »ich hätte ein Gebitt an Euch, und so Ihr es mir nicht abschlagen wolltet, tätet Ihr mir hart großen Gefallen.«

»So mir mein Stand und mein Ordenskleid es erlaubet, sei die Bitte gewährt«, versprach ich von vornweg.

»Ich würde nichts Unbilliges verlangen, aber etlicher Mühsal und Beschwer müsstet Ihr Euch unterziehen.«

»Dess' scheue ich mich niemals.«

»Also höret! Meine Söhne ziehen in die Fehde, und ich teile Petern und Thimo eine Schar zur Führung zu. Man weiß nicht, was dem Menschen zustoßen kann an Fährlichkeit im eigenen Hause und friedlichen Leben; im Kriege rollt das Unheil umher wie eine Kugel. Möchtet Ihr mitziehen und Euch der Söhne annehmen zur bösen Stunde? Es mag sein, dass einer oder der andere verwundet wird und Eurer Hilfe als in der Arzneikunst wohlerfahrenem Manne benötigt; es kann aber auch sein, dass es einem oder des anderen Lebensfaden abgehauen wird in der mordwütigen Schlacht, und da könnte Ihr Euren Amtes als Pfaffe walten und die letzte Wegzehrung spenden. Wolltet Ihr?«

»Ich ziehe mit«, sagte ich bestimmt zu. »Vielleicht bedarf auch sonst einer meiner Hilfe.«

»Herzensdank!« sagte Herr Peter, fasste meine Hand und drückte sie lebhaft. »Ich übe Schildes Amt von Jugend auf und habe mannigfache Fehde mitgemacht in früheren Jahren; ich bin ein Kriegsmann ohne Wank und Furcht, aber glaubet mir: Da ich Euch mit meinen Buben weiß, ist mir leichter … Rüstet also! Suchet Euch einen Harnisch, wie er Euch nach Gefallen ist, denn zur Fehdezeit schadet etliche Sicherung nicht! Darüber möget Ihr immer Euer Ordenshabit legen. Nehmet auch etliches mit, das Ihr brauchen könntet, wenn Ihr Arzt sein sollt! Das beste Ross steht zu Eurem Dienste.«

Ich wähnte die Sorgen seines Vaterherzens zu verstehen und rüstete mich zum Zuge. Ich war zur selben Zeit schon des Leibes und der Kräfte, eine Brünne so leicht zu tragen wie ein etwas scherer Wams, und ich sah ein, dass zur Fehdezeit gute Sicherung nicht unnütz wäre, trotzdem ich mir vornahm, keine Hand zu heben wider den oder jenen gemäß des Gebotes des Herrn: Du sollst nicht töten! Ich nahm aber auch viel mit, was ich brauchen konnte, so ich Verwundeten beistehen sollte mit meinen Kräften und meinem geringen Können.

Zur bedungenen Frist kamen die Ritter und Dienstmannen des Herzogs an mit ihren Knechten, Zug um Zug, und auf der Schranne stellten sie sich auf zur Musterung und Schau. Und auch Hagen der Randsberger kam mit seinen Leuten und Sibot der Haibacher, und beide rannten gleich auf mich zu und drückten mir die Hand.

»Zieht Ihr etwan auch mit?« frug Hagen, da er mich bei Herrn Peter dem Jüngeren stehen sah.

»Warum?«

»Ich weiß nicht, aber mir schwanet.«

Wie einem etwas schwanen kann, vermag ich nicht zu begreifen, trotzdem ich vielfach davon reden gehört, es müsste denn sein, dass außer den bekannten fünf Sinnen noch einer wäre oder dass der Seele zu Zeiten ein leises Blinzeln erlaubt wäre und gelänge hinter den Vorhang, der heute von morgen scheidet und einen Augenblick vom folgenden.

»Ja, ich ziehe mit«, beschied ich.

»Dess' freut sich mein Herz wie ein wunderlich Kind«, lache Sibot mit dem ganzen Schalksgesicht. »Da soll es wieder gute Red geben unter und wie ehezeit auf Mitterfels.«

»Auf Mitterfels!« seufzte Hagen schier auf. »Ja, das war fröhliche Weile.«

»Mich dünket, Euer Herz und Euer Sinnen sind zur Halbscheid in Randsberg oben«, scherzte Sibot.

»Ich leugne es nicht«, gestand Hagen aufrichtig. »Es wird manchem so ergehen. Und die daheim werden sich sorgen und härmen Stund um Stunde, wenngleich nicht allweg Ursach vorhanden.«

»Das täte mir leid!« lachte Sibot wieder. »Um mich braucht sich niemand zu sorgen, und ich härme mich auch um keines. So lebt man am geruhigsten. Was, Herr Peter?« frug er den jungen Eckher, der schweigend daneben stand. »Ihr scheint im selben Stern zur Welt gekommen zu sein wie ich. Ist aber ein hart gut Zeichen: nicht übrig viel Herz, richtigen Verstand und leichten Sinn. Was?« lachte er wieder hell und schallend auf.

Der Kammerer und der Rat hatten Herbergen beschafft für die Kriegsleute, und nachdem jeder Ritter dem Viztum vermeldet, was er an Leuten mitgebracht, suchten sie ihre Herbergen. Des Abends aber fanden sich die Angesehensten und solche, die Herr Peter gut leiden mochte, im Rittersaale der Herzogsburge zusammen zu einem Imbiss und einiger Rede.

Der grauende Morgen aber fand alles gerüstet und in Waffen.

Dichter Nebel lag über der Stadt und dem Donaugäu, und wie ein ungestalter schwarzer und stachelborstiger Lintwurm stand das Heer auf der Schranne. Die Rosse wieherten und scharrten, das Eisenzeug klirrete, und da und dort fiel grobschlächtige, harte Rede.

Ich hatte einen Tisch aufgestellt bekommen an der Wand des hochragenden Stadtturmes, las die heilige Messe in der schlichtesten Art, betete für das Glück unserer Waffen und flehete des Höchsten Segen herab über jeden, der gezwungenermaßen in die Fehde rücken musste.

Herr Peter stand nebenan, seine beiden Söhne, ein Hachelinger, ein Degenberger und noch etliche, die zu befehlen hatten, und als ich das letzte Amen gesprochen, sprengte einer daher in wildem Ritte.

Es war ein Bote aus Deggendorf, der Nachricht brachte, dass die Unteren gen Zwiesel ziehen müssten.

Herr Peter gab ihm kurze Weisung, und er wandte sich und sprengte wieder davon. Dann beurlaubte sich Herr Peter von seinen Söhnen.

»Ziehet in Gottes Namen und haltet euch wacker!« sagte er. »Haltet mir der Eckher Schild rein und kämpfet für das Land und das Reich!« Und auch uns bot er jedem die Hand und wünschte Glück und Gottes Segen.

Kampfmutiger Heilruf hallte in die Stille der Stadt, und dann setzten sich die Massen in Bewegung.

Durch dichten Nebel ging es dahin, schwerfällig übersetzte der Zug die Donau, und schwerfällig bewegte er sich durch das immer noch tennebene Gelände. Nur selten fiel ein rau Wort, und Hufgetrampel und Eisengeklirre hallte allweg. Erst als wir die erste Höhe erklommen, versank der Nebel hinter uns, und wir tauchten in goldigen Sonnenschein.

Da wurden die Gemüter heiterer, und fröhlicher Scherz und herzerquickend Lachen brachte sich Bahn.

Bald aber stießen andere Geharnische zu uns, die klüglicher Weise nicht erst bis Straubing hinabgeritten, und Hagen zürnte, dass ihm solches nicht auch beigefallen. Von Randsberg herüber bis zur Chamer Straße hätte er gar nicht so arg weit gehabt.

Wir kamen auf eine Höhe, so der Apholtersberg geheißen, und wo Überbleibsel alter Verschanzungen zu sehen. Ein Chouzeller erzählte, dass allhier vor alter Zeit der Gaugraf Aswin von Bogen die räuberisch eingefallenen Böhmen hart geschlagen und hierauf in einen großen Tännling ein mächtig Kreuz gehauen mit seiner Streitaxt.

Wir hielten wieder Rast und suchten und fanden den Tännling mit dem Kreuze, und wie ein Heil- und Kampfgruß aus längst entschwundenen Zeiten umsäuselte und umschwirrte es uns. Nichts mag mehr da sein von dem Gaugrafen und seinen Kämpen und Degen, als vielleicht ein Häuflein Staub und Asche, aber die Mär meldet die Tat des starken Helden; in der Nachwelt Sagen lebt sein Erinnern gleich einem unvergänglichen Denksteine, und die Tanne ragt auch noch, darein er mit eigener Hand das Kreuz gehauen.

Es war ernste Rede, die da fiel, aber plötzlich nahm Hagen der Randsberger das kleine Reichsbanner, das neben dem weißblauen bayerischen Banner an der Spitze des Zuges geführt wurde, und stellte sich vor dem Tännlinge auf. Und mit heller und weithin hallender Stimme hub er an zu sagen und zu singen:

Die Sturmfahn' flatter hoch im Winde,
Es sträubt die Schwingen stolz der Aar.
Dahinter steht in dichten Reihen
Des Kaisers Kämpen mut'ge Schar.

Des Reiches Einheit ist gefährdet:
Der Lehensmann will Kaiser sein
Und dringt mit seinen Räuberscharen
In seines Kaisers Erbland ein.

Ein Rauschen zieht zu unsern Häupten
Durch stillen Waldes traute Ruh:
Die Geister unsrer Heldenahnen,
Sie raunen Gruß und Ruf uns zu.

Es blinkt die Wehr, die Augen funken,
Ein Heldentrutzen schwellt die Brust,
Und selbst der Knechte allerletzten
Beseelet frohe Kampfeslust.

So zeuch denn, schwarzer deutscher Adler
In goldnem Feld mit rotem Band!
Zeuch und voran! Wir folgen wacker;
Wir schirmen deutschen Kaisers Land.

Und er riss sein Schwert aus der Scheide und schwang es über sich und vor dem schwarzen Kaiseraar.

»Wafenâ! Heil Wafenâ!« Wie aus einem Munde hallte der Ruf aus tausend rauen Kriegerkehlen hinaus in die Stille des Waldes, und die Vögel flatterten scheu und erkommen auf im dunklen Geäste und flohen.

Wie einer der Barden, von denen die Alten berichten, kam mir der Randsberger vor, und eitel Freude überkam mein Herz ob des prächtigen Freundes.

Wir ritten wieder weiter, und dem Zuge voran flatterte des Reiches Sturmbanner lustiger denn ehevor. Wir kamen nach Cham, wo wir nächtigten, aber des andern Tages verließ ein großer Teil der Unsern die alte Vohburgerfeste wieder und zog morgenwärts. Der Feind sollte schon um Furth her hausen, morden und brennen, aber vorzurücken vermöchte er doch nicht gut. Die Führer berieten Kriegslist und Verteilung der Kämpfen, und so ritten wir denn weiter. Vor Chameregg entbot uns Herr Eisenreich der Chamerauer seinen Gruß.

Wuchtig und ruhig und schier verwundert schaute die Kirche von Chammünster auf alle die Ritter und Reisigen, die allda des Weges zogen durch das herbstliche Gefilde. Auf den Spitzen der Türme ragte das Kreuz, das Zeichen desjenigen, der geboten: Der Friede sei mit euch! Und nach Frieden sah der Zug nicht aus.

Diese Kirche ist wohl eine der ältesten im Walde, vielleicht die älteste. Man sagt, sie wäre unter der Herrschaft des Frankenkönigs Karl erbaut worden, und es mag wohl so sein.

Zur Zeit, als die Herzoge aus Agilolfingischem Geschlechte im Lande herrschten, war Bayern von einer Größe wie nachher nie wieder, und das Christentum breitete sich im Lande wie der Schein der belebenden Lenzessonne. Aber der Vorwand, das Land wegen Einführung des Christentums zu erobern, war nur Rauch uns Schall, die einzige Ursach war nur der Bau des Weltreiches der Franken. Wer hatte ein Recht, Thassilo, des Landes Herzog, zu entthronen und zum Tode zu verurteilen? Der Franke nicht. Und gerade der Trotz der nun geknechteten Bajuwaren wandte viele dem Christentume wieder ab. Und wenn das ganze Land noch heidnisch gewesen wäre, tat der Franke recht, die Lehre dessen mit Schwert und Blut und Tod einzuführen, der Frieden und Leben geboten und gelehret? Es mögen andere anders denken, ich kann nicht anders: Der Frankenkönig hat sich groß versündet wider des Heilands Gebot, da er dessen Lehre mit Blut und Tod einführen wollte und an das sonnhell strahlende Kreuz das blutgefärbte Schergenschwert hängte.

Wir zogen durch den Fluss, so der Regen geheißen, und kamen zur mächtigen Burge Runding, deren Eigner eine Harfe im Wappen führen. Ein Teil des Heeres blieb auch da zurück, und wir klommen die Höhe hinan, darauf der Haidstein ragt.

Wie ein weitausschauend Geiernest unter hochragendem Tännlingswipfel steht die Burge oben auf dem Berge, und ich musste lange Weile stehen und staunen, als ich oben war auf hoher Zinne und in die Runde schaute.

Schier das ganze Chambereich lag ausgebreitet vor mir mit seien Siedlungen, seine Wäldern, Dörfern, Burgen und Vesten, und wie ein die Stachelborsten trutzig von sich starrender Igel stand der Hochbogen drüben an der Morgenseite, allwo die Markung gen Böhmen hinlaufen soll. Ich sah Furth, die Stadt und Türschwelle des Chambereichs, und hier und dort zog sich der Rauch vom Feinde niedergebrannter Häuser und Hütten dahin.

Es hat einer geboten, nicht zu töten und nicht zu schädigen des Nächsten Hab und Gut und Leben, und die Menschen kehren sich nicht daran und treiben es wie das wilde Gevieh des Waldes, das nichts weiß von einem Gott und seinem Geheiße.

Auch für uns, die wir in Rüst und Waffen hieher gezogen zu blutiger Tat, gilt desselben Gottes Geheiß und Gebot, aber wir sind nur ausgezogen, den Friedensstörer und Räuber zu schlagen und zu verscheuchen und unseren Brüdern Hilfe zu bringen.

Wir hielten Mittag am Tische Heinrichs des Chamerauers, und dann zogen wir hinab gen den Ort und die Burge zu Arnschwang, darauf das Edelgeschlecht der Arnschwanger hausete, nur Thiemo der Eckher blieb mit seinen Leuten zurück auf Haidstein. Frau Alheit hätte lieber den Randsberger dort gesehen, aber Herr Heinrich mochte es sich zur Ehre schätzen, den Sohn des mächtigen Viztums in seinen Mauern zu beherbergen.

Da Herr Peter der Jung näher gen den Feind zog, ging ich mit diesem, dieweil er so meines Beistandes früher bedürftig sein könnte.

Ein eigentümlich Gefühl überkam jeden von uns, da wir hinab zogen ins Tal von Chamb, in die nächtste Nähe des Feindes, und ich glaube, dass ohn dieses Gefühl und diesen Mut keine Schlacht gewonnen wird. Wir fühlten uns die Schützer des Volkes, die Verteidiger des Rechtes und die Schirmer des Kaisers, und das Blut floss ganz anders durch unsere Adern denn zu anderer Zeit.


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