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3

Ein wünniglicher Morgen hatte sich schon über das Land gelagert, als ich erwachte und mein Fenster öffnete. Die Luft war so rein und klar, dass man weithin jeden Baum sah, und die Vogelein sangen und jubelten ganz unmäßig.

Ich verrichtete meine vorgeschriebenen Gebete, las dann in der Stube, die zur Kapelle hergerichtet, die Messe, und nach dem Morgenimbiss schritt ich über die Zugbrücke hinaus in die schöne Welt und den prächtigen Morgen.

Ein Bächlein dießet aus dem Walde herab durch ein einsam und wanddunkel Tal, und das heißet der Perlbach, weil darin eine eigene Art von Fröschen Frösche, Perlmuscheln, ehedem für eine Art von Fröschen angesehen. lebet, so in zwei Schalen verborgen und die kostbaren Perlen machen. Ein mächtiger Galgen raget am Eingange in das düstere Tal als Mahnzeichen, dass sich niemand gelüsten lasse, von den Perlen zu nehmen.

Ich ging am Ufer dahin, hörte das Rauschen der Wasser, das Singen der Vögel und das Säuseln der Bäume und sann bald hin, bald wider, und da ich die Tiere ersah, wie sie langsam durch den Schlamm des Baches dahinkrochen, überlief mich plötzlich ein Schauern. Wegen so einem unwerten Vieh und seiner Perlen sollt' einer das Leben lassen?

Ich wandte mich vom Bache weg und ging über schwellend Moos und buntes Geblume das Talufer hinan zur lichten Höhe, und meine Blicke suchten die Weite, die sich vor mir breitete wie ein buntgewirkter Pfeller Pfeller, Teppich., grün und grüner, mit einem blauen Bande der Donau und dem blauweißen Himmel darüber.

Von Windeberg herüber klang ein Glöcklein, ober mir jubelte eine Lerche, und in mir wuchs ein freudig Sehnen. Wie schön ist doch die Welt trotz der Unschöne, die das Menschengeschlecht darain gesetzet in üblem Wahne. Taugt zu all der Pracht der Mächtigen Streit und der hölzerne Galgen unten im düsteren Tale des Perlbaches?

Taugt zu der Schöne das Ringen der einzelnen und das Ringen der Völker? Wird es ohne Kampf und Streit gegangen sein, als sich die Römer festgesetzet im Lande? Haben die Hunnen das Land überschwemmt, ohne Mord und Totschlag zu üben am Ebenbilde Gottes? Achten die Edlen und Grafen das Leben im gemeinen, hörigen Manne oder gar im unehrlichen Menschen? Wie frohgemut ist der Zug der Nibelungen die Donau hinabgegangen, dem Tode in König Etzels Hunnenlande entgegen?

Und doch ist sie so schön, diese Welt, und der Widerschein der Schöne spiegelt sich in des Menschen Brust und lässt Hass und Leid vergessen.

Halb im Gehage versteckt stand ein hölzern Hüttlein, und gleichmäßiges Puchen hallte zu mir. Wer war darinnen, und was trieb man dort?

Ich ging hin und fand ein alt Weib sitzen unter blühender Hollerstaude, und das sang mit heiserer Stimme zweien Kindlein ein altes Lied, die Mär vom hürnen Seyfried.

Bis dahin hatte das größere der Kinder, ein schöner, rotwangiger Knabe mit zerrissenem Hemde und halbzerfetztem Höschen, andächtig zugehorchet und keinen Blick vom runzeligen, schier unbebarteten Munde der Alten verwendet, aber nun hob er plötzlich gar trutzig sein Ärmchen und einen Holzhammer. »Wenn ich noch größer bin, erschlag' ich auch alle Würm«, unterbrach er die Alte. »Und after After, althd. aftar, after; got. afar (mundartlich heute noch afar oder after) = nachher, spatter, hinter. zieh ich auch an des Königs Hof und bin ganz hornen. Und den König erschlag ich auch  …«

»Wer gäb dir hernach seine Königstochter? Wandet die Alte lächelnd ein, und gleich darauf ersah sie mich.

»Wo habt Ihr das Lied gehört?« frug ich, da mir sonst keine Anrede beifiel.

»Warum?«

»Es gefällt mir; aber es mag noch länger sein.«

»O!« machte die Alte und fuhr dabei mit der knochigen Hand in die Luft. »Das ist lang, arg lang, und gehört hab' ich es schon von meiner Mutter. So wird's auch schon seit alt sein. Ich kann mich selbst kaum mehr entsinnen auf jedes Gesätzel, aber die Hilti wüsst es schon ganz …«

»Was für eine Hilti? Die in der Mitterfelser Burge drunten?«

» Ja; kennt Ihr sie etwas?«

»Ich hab' sie gestern gesehen im Speisesaal.«

»Seid Ihr nachher vielleicht aus der Burg? Etwan gar der Burgpfaffe? Ja, und was haltet Ihr von der Hilti?«

»Ich bin erst seit gestern zu Mitterfels und kann noch von niemanden sagen, wes Art und Sinnes er sein möge«, gab ich zu bedenken.

»So?«

»Ist die Hilti villeicht Eure Tochter?«

»Die jüngste Herr.«

»Dass Ihr sie aber wohlbehütet …« Ich beendete meine Rede und fragte nicht, aber die Alte verstand mich.

»Da fehlt nichts«, versicherte sie. »Frau Berthel hat schier hundertmal um mich geschickt, hat geredet und gelobet, bis ich eingewilligt. Sie ist allweg um die Fraue und die Gertraut, so die Tochter ist. Herre! Die Hilti und die zwei Narren sind mein Herzblut. Der zwei Narren Mutter ist auch meine Tochter gewesen, die Chuniund, die im Freithofe zu Arnschwang liegt und modert. Eine rote Wildsau hat sie unter die Erde gebracht … Ja, und die Hilti! Frau Berthel hat versprochen, wenn die Hilti fleißig und tugendlich wäre, tät sie selbst sie gut versorgen, so dass sie es ihr Lebetag gut hätte und viel geachtet wäre.«

Und das letzte Geheiß mochte vielleicht für die Mutter das beste gewesen sein.

In der Stube klopfte und puchte es, und es mochte wohl Girg, der Leineweber, dort am Webstuhl sitzen und mit seinen unehrlichen Händen das Tuch fertigen, damit sich ehrliche Leute kleiden. Ich warf im Vorübergehen einen Blick durch das offene Fenster, und ein eingefallen, bartstummelig Gesicht blickte mir entgegen.

Da ich die Hänge hinabschritt, zogen trotz des prächtigen Tages mancherlei trübe Gedanken durch meinen Kopf, und ich vermeinte ein frisch Grab zu sehen in wildfremdem Freithofe, und dahinter grinste eine rote Wildsau. Und ein Abscheu ging mich an ob des entarteten Hofelebens, dass ich nur das Kleinste merkte, was nicht recht und ehrlich. Das sollen sein die Edelsten im Lande, die hohen Minnesang pflegen und feine Hofsitten und die hinter herabgelassenen Fallgitter ein zügelloses Leben führen!

Im Walde drunten jagten ein paar Rüden dahin, und dahinter her kamen vier Waidmänner. Der eine fiel mir alsogleich auf: es war Eppo von Christenberg, der längste der Dienstmannen Herrn Peters. Aber auch Thiemo und Peter waren dabei, des Eckhers Söhne, und Sibot von Haibach.

»Wollt Ihr den Waidgang nicht mitmachen, Herr Gotswin?« lud mich der Jungher Peter ein, aber ich widerneinte. Ich habe noch nie Lust empfunden, dem Getiere des Waldes nach dem Leben zu trachten.

Als ich in mein Stüblein zurückkam, war es fast Mittag, und bald wurde ich zum Essen geboten.

Hilti diente wieder bei der Tafel, und leise Sorge schlich in mein Herz, da ich das Mägdelein ersah und mich der Reden der Alten vom Berge entsann. Und zur selben Stunde nahm ich mir vor, über es zu wachen nach meinen Kräften.

Die Tafel war mehr denn zur Hälfte leer, denn die Großzahl der Dienstmannen schien auf dem Waidgang zu sein.

»Morgen wird es fröhliche Weile geben«, erzählte Frau Berthel nach dem Essen. »Die von Chounzell haben einen Boten gesandt, sie kämen morgen zu Gaste, und deshalb sind die Leute alle fort auf den Waidgang. Danach haben wir noch nach Randsberg geschickt, nach Geishausen, Hofedorf und Haibach und die Ritter alle geladen. Weil ihrer schon so viel zusammenkommen, soll Albert gleich die Schwertleite empfahen.«

»Dann soll er eine Zeitlang fort«, sagte Herr Peter. »Vielleicht an den Hof des Herzogs. Ein Eckher ist dort allweg ein gern gesehener Gast.«

Ich sann eine Zeitlang, ob ich wohl morgen nicht etwa fortgehen solle, denn das zu verhoffende laute Treiben war nicht nach meinem Sinne, aber später überwand die Neugier die Abneigung, und ich blieb.

Des anderen Morgen waren die Knechte sauber gewandet, und die Dienstmannen Herrn Peters hatten die stahlgrauen Ringbrünnen angeschnallt, und ihrer zwei hielten hoch zu Rosse vor der Zugbrücke Wacht, die schwarzweiß gestreiften Eichenlanzen hochhaltend, und an der Spitze der Lanzen flatterten die Fähnlein mit dem schräg geteilten schwarz-weißen Wappenschilde der Eckher.

Herr Peter und die Jungherren Peter und Thiemo hatte kostbare Halsberken angeschnallt statt der gewöhnlichen Ringbrünnen, und Frau Berthel und Gertraut suchen ihre besten Kleider aus den Truhen hervor, Gebande, Borten, Ketten und Fürspangen, und schmückten sich damit aufs Beste.

Zuerst ritt Egbert von Christenberg an mit einigen Frauen und Knechten, und erst gen Mittag kam der Chounzeller.

Die Marställe waren gestopft von Rossen, die Knechtekammern gedrängt voll Knechte, und der Phiesel oder die Kemenate, wo sich zur Winterszeit alles zusammendrängt um den wärmestrahlenden Kamin, und die Gaststuben waren voll von Rittern, Frauen und Leuten.

Nach mannigfachem, durch Hofesitten bedingtem Willkommgruße setzten wir uns zum Mittagstische im Rittersaale nieder, und die Knaben und Dienerinnen trugen auf, was gestern der Waidgang als Beute geliefert.

Nach dem Mahle tat man sich zu geselliger Red und Widerrede zusammen, und ein junger Ritter, der Reginhart geheißen und einer der Gewolfen von Degenhart gewesen sein soll, zur Zeit aber beim Haibacher als Dienstmann war, suchte eine verstimmte Laute herfür und sang ein höfisch Minnelied.

Ich mag die honigsüßen Reime nicht aufschreiben, ich wüsste sie vielleicht auch nimmer recht, aber gefallen hat mir das Lied nicht. Wenn man so übersüßen Sang hört und wenn man weiß, wie schlecht oftmals einer sein Weib hält, das er ehedem als Cherub und Tausendengel besungen, so widert ihn solche Lüge an.

Da hat mir viel besser gefallen, was Haben von Randsberg nachher gesungen. Ich habe das Lied früher des Öfteren vernommen – man sagt, Walther von der Vogelweide habe es ersonnen …, aber niemals hab' ich es so treu und ehrlich singen hören.

Von der Elbe bis an den Rhein
Und her wieder bis an Ungarland,
Da mögen wohl die besten sein,
Die ich in der Welte han erkannt.
Kann ich rechte schauen
Gut Gelass Gelass, davon »gelassen«, eingezogen, still, züchtig. und Leib,
Ja, bei Gott, ich schwöre, dass hie die Weib
Besser sind denn andre Frauen.

Deutsche Mann sind wohl gezogen,
Recht als Engel sind die Weib getan.
Wer sie schilt, der ist betrogen,
Ich kann seiner anders nicht verstahn.
Tugend und reine Minne,
Wer die suchen will,
Der soll kommen in unser Land, da ist der Wonne viel,
Lange möchte ich leben darinne.

Der das Lied ersonnen und erfunden, mag das Maß nicht von den schlechtesten Schuhen genommen haben; das deutsche Volk ist noch allweg besser denn andere Völker, und wie das ganze Volk nicht ein Diebsvolk ist, wenn einer stiehlt, so ist auch das ganze Volk nicht angefault im Herzen, wenn es zwanzig und zweihundert sind.


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