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Die zwölf Bräute

Ein Ritter und seine Frau, sehr reich an Gütern dieser Welt, hatten nur ein Kind, einen Knaben. Als dieser zwölf Jahre zählte, starb der Vater, und die Mutter zog mit ihrem Kind auf eine Burg, die inmitten eines Sees stand, um von der Welt abgeschieden ganz ihrer Trauer leben zu können. Der Knabe aber wuchs und nahm zu an Schönheit und Verstand. Doch war er immer so bleich und in sich gekehrt. Er liebte es, allein zu sein, und hatte sich daher das Zimmer gewählt, welches am entlegensten die schönste Aussicht auf den See gewährte.

Träumerisch schaute er immer hinaus in den See. Als er 24 Jahre alt war, drang die Mutter in ihn, sich eine Braut zu wählen. Ihr war das Leben zu einsam geworden. Er aber wollte nicht. Eines Abends, nachdem die Mutter recht ernstlich in ihn gedrungen war, lehnte er sich betrübt an das offene Fenster und sah den Mond gar lieblich im Wasser sich spiegeln. Da dachte er an eine Braut und wie sie aussehen müsse, ihm zu gefallen. Ermüdet ging er zu Bett, vergaß aber, das Fenster zu schließen.

Plötzlich bemerkte er einen lichten Schein am Fenster. Er blickte auf, konnte aber nichts unterscheiden. Schon wollte er einschlummern, da rauschte der Vorhang des Bettes, und ein weibliches Wesen mit Seidenhaaren und leichten Gewändern lag an seiner Seite. Der matte Schein des Mondes gestattete ihm so viel, daß er ein bleiches, wunderschönes Frauenhaupt neben sich bemerken konnte. Sie schmiegte sich an ihn, und in liebendem Spiel und Gesprächen verging die Nacht. Am Morgen war das Frauenbild verschwunden. Kurz vorher hatte sie ihm eröffnet, daß sie wieder kommen werde. Denn oft habe sie ihn gesehen, wie er im Mondlicht hinausgeblickt hatte auf den See, und sie wäre schon früher zu ihm eingetreten, wenn die Fenster offen geblieben wären.

So lag jede Nacht ein Frauenbild an seiner Seite, und glücklich war er in dieser Liebe. Nur meinte er, es sei nicht immer dasselbe Wesen, welches mit ihm das Bett teile. Um so mehr bat er, sie möge sich bei Tage zeigen, seine Mutter dränge, daß er ein Weib nehme; möge sie auch arm sein, er werde sie zum Altar führen. Sie aber entgegnete immer: »Mein Lieber, das kann nicht sein. Ich kann mich nicht trauen lassen nach deiner Weise. Laß mich dein Weib sein, wie ich es bisher war!«

Indessen hatte sich die Mutter selbst um eine Braut für den säumigen Sohn umgesehen. Doch sie ließ ihn kalt, und als er abends zu Bett ging, seufzte das Frauenbild. Die Mutter aber eilte und bestimmte den Tag der Hochzeit.

Er kam. Am ersten Tag wurde getanzt bis in den Morgen, den zweiten füllten Bankette aus, am dritten führten die Frauen die Braut in sein Gemach. Als sie eintraten, rauschten die Vorhänge an der Himmelbettstatt. Die Braut erschrak. Sie sollte zuerst das Bett besteigen, und glaubte es schon besetzt zu finden. Lachend über ihre Ängstlichkeit folgte der Bräutigam nach. Aber zwischen beiden lag die Wasserfrau. Vom eisigen Atem angeweht, wich die Braut an den äußersten Rand. So war es jeden Abend. Der Ritter vermeinte, seine Braut im Arm zu haben, die Braut aber härmte sich und starb noch vor Jahresfrist als Jungfrau.

In gleicher Weise erging es noch zehn Frauen, welche die Mutter dem Sohn gesucht hatte. Alle starben vor Jahresfrist. Die zwölfte Braut aber war klug und holte sich Rat bei einer Hexe. Von dieser erfuhr sie, wie Wasserfrauen schuld seien an dem Unglück der früheren Bräute. Sie könne sich aber schützen, wenn sie am dritten Tag der Hochzeitsfeier ihren Gatten nicht vor Ende der Geisterstunde begleiten würde. Sie solle ihm nicht folgen, um ihn und sich zu retten. Er werde zwar um die Mitternachtsstunde meinen, es ziehe ihn bei den Haaren hinaus in sein Schlafgemach, sie solle aber standhaft bleiben. Ferner möge sie nicht unterlassen, das Fenster gegen den See schließen zu lassen, ja recht fest, damit die Geister nicht herein können. Der Gatte werde sich dann von einem klagenden Ton angezogen fühlen, es werde ihn drängen, hinaus zu springen in die Fluten. Davor werde er aber mit einem Zauberspruch bewahrt und mit Kräutern, welche sie unter das Bett werfen solle. Außerdem bekam sie noch die Warnung, ja nicht vor ihrem Gatten die Vorhänge des Bettes auseinander zu ziehen und dieses zu besteigen sowie alles, was sie gehört hatte, für sich als Geheimnis zu bewahren. Sonst würde sich ihr Gatte unfehlbar wieder in die Gewalt der Wasserfrauen begeben.

Nun kam der dritte Hochzeitstag. Es war Abend, Mitternacht. Immer unruhiger zeigte sich der Gatte. Es hatte ihn schon angewindet. Immer wollte er fort, aber die Braut hielt ihn zurück, bis Mitternacht lange vorüber war. Im Schlafzimmer angelangt, öffnete er die Bettvorhänge. Da seufzte es zwölfmal.

Die Braut sprach ihren Zauberspruch und betete mit ihrem Gatten. Seit zwölf Jahren hatte dieser nicht mehr an Gott gedacht. Nun vernahmen sie wilden Gesang und Brausen des Wassers. Der See stieg, daß die Wellen an dem Fenster leckten. Aber die Nacht war gewonnen und der Friede eingekehrt für immer.

* * *


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