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Anna Mayala

In einem Dorf lebte Veri, ein schöner, junger Taglöhner, und sein Liebchen war das schönste Mädchen weit und breit, Anna Mayala mit Namen, aber arm. Die vielen Freier, die sich meldeten, machten beiden Leutchen vielen Kummer, doch siegte am Ende die Standhaftigkeit, und der Tag zur Hochzeit wurde bestimmt. Veri aber hatte von Natur etwas Wildes an sich. Er war so träumerisch und in sich versunken und sang gar oft gottlose Lieder von der Unterwelt. Davon hieß er der tolle Veri.

Am Tag vor der Hochzeit ging er in den Wald, um Wild für das Fest zu erlegen. Mit einem prächtigen Rehbock auf dem Rücken war er auf dem Weg nach Hause. Doch seine Gedanken irrten wild umher, blieben nicht bei der Braut. Während er seinen wilden Träumen nachdachte, kam er an einen Steg. Schon leuchtete der Mond. Da ward er böse über sich, daß er sich verspätet und versäumt habe, den Vorabend seiner Hochzeit bei der Braut zu verbringen.

Der Steg ging über ein helles, flaches Wasser, und der Mond spiegelte sich gar schön darin. Das zog ihn wieder ab. Es wehte ihn so wehmütig an. So legte er sein Ohr, sich niederkniend, auf die Wasserfläche, ob er nichts höre. Da vernahm er denn süßes Singen, je länger, desto schöner, je schöner, desto bezaubernder. Immer mehr neigte er das Ohr den wunderlieblichen Tönen, und er dachte, hinab zu sinken in die Fluten, wäre gar so süß.

Da schaute er hinein in die dunkle Tiefe. Es war, als ob schöne Beine, wie er sie nie gesehen, im Tanz auf– und niederschwebten. Veri hob das Auge und sah Mädchen schön und reizend, in leichter Bewegung nach den Tönen der Musik einen Reigen beginnen. Alle waren schön, eine vor allen. Er fragte sie, wie es da unten wäre. Sie näherte sich, legte ihr bleiches Haupt auf seine Brust und sagte in Wehmut: »Ach, es ist bei uns so schön, so ruhig, viel mehr Luft und Leben als bei euch. Willst du mit mir?«

Er bejahte es. Sie aber fügte noch hinzu: »Sieh, ich war auch einst auf der Erde. Du hast eine Braut. Kannst du sie vergessen? Wenn du mit mir gingest, dürftest du nicht mehr an sie denken. Jedes Sehnen nach der irdischen Braut würde dir Strafe zuziehen.« Bei diesen Worten schaute sie ihm so gewinnend in die Augen, daß er sie umschlang. Die Füße glitten ihm aus, er sank hinunter mit ihr in das unbekannte Land. Im Dorfe aber harrte die Braut umsonst des Geliebten. Er kam nicht. Man suchte allerorten, fand aber nichts als auf dem Steg sein Gewehr und den Rehbock.

So vergingen viele Jahre. An einem Dienstag sah man einen Hochzeitszug sich zur Kirche bewegen, die Braut schön und anmutig wie eine Rose, Anna Mayala genannt, hinter ihr Vater und Mutter. Letztere erschien bleich und leidend, an Jahren noch nicht fortgeschritten, mit den Spuren hoher Schönheit.

Der Zug ging über einen Steg. Tief auf seufzte die Mutter. Der Vater suchte sie zu trösten. »Ist die Gegenwart«, sprach er zu ihr, »nicht besser als die Vergangenheit? Haben wir nicht in Frieden und Treue gelebt miteinander, und ist unsere schöne Tochter nicht dein sprechendes Abbild?« Inniger lehnte sie sich an ihn.

Plötzlich lief einer, die langen Haare wild in der Luft flatternd, in hastiger Eile den Bergabhang herunter, gerade auf die Braut zu. Wie ein Rasender schlägt er sich vor die Stirne, wie ein Irrsinniger faßt er das Mädchen und nennt sie seine Braut. Erst gestern habe er sie verlassen, sie müsse mit ihm zum Altare. Mit gewaltigem Arm schleudert ihn der Bräutigam hinweg, die Mutter bebt und meint zusammenzubrechen, der Zug geht weiter.

Nach zwei Tagen geht die junge Frau um Wasser an den Teich. Wieder kommt der wilde Mensch und umschlingt sie und will sie nicht lassen, und wieder wird er vom kräftigen Arm des Gatten hinweggeschleudert. Darauf sah man ihn im Dorf herumgehen und nach Leuten fragen, die alle schon tot waren. Zuletzt ging er aus dem Pfarrhaus heraus, und seitdem sah und hörte man nichts mehr von ihm.

Später kam ein Franziskaner alljährlich ins Dorf, bleich und leidend, noch schön von Angesicht, und nirgends kehrte er lieber zu als bei dem Anna Mayala. So oft er kam, befiel die Mutter ein Zagen, das sie nicht erklären konnte.

Nun starb der Vater. Der Mönch erschien zur Stelle, um die trauernde Witwe zu trösten. Er sprach folgende Worte zu ihr: »Gutes Weib, bedenkt, daß alles Leben hart ist. Betrachtet mich und was ich gelitten, so werdet ihr euch weniger eurem Schmerz hingeben.«

Da sah ihn die Trauernde an, sie forschte, zagte, erschrak. Sie hatte den Veri erkannt, welcher in ihr schon längst sein Anna Mayala gefunden hatte. Nun kam die Reihe zu klagen an ihn. Doch er ermannte sich und fuhr fort: »Ich habe da unten gelebt, in der Erde, in einem geisterhaften Reich, gelebt mit einer Wasserfrau, schön und verführerisch, wie mit meinem Weib. Stets war sie um mich, nur an Freitagen blieb sie mir unsichtbar. Ich wäre wohl glücklich gewesen in ihrer Liebe. Doch blieb mir etwas zurück im Herzen, das keine Befriedigung fand. Zeitweise quälte mich eine Leere, die ich nicht auszufüllen vermochte. Sie war eben doch kein rechtes Weib. Besonders fiel mir auf, daß ihre Füße stets mit Schleifen gebunden und verhüllt waren. Sechs Kinder hatte sie mir geboren, und auch ihnen waren die Füße gebunden. Die Kinder wuchsen schnell zur vollen Größe. So oft sie ein Kind gebar, war das vorhergehende schon vollkommen erwachsen.

Das Geheimnis mit den Füßen peinigte mich aber immer mehr. Da löste ich, als sie einmal schlief, die Hülle der Füße, sie hatten Gänsefüße, Schwimmhäute zwischen den Zehen, und an diesen kleine Krallerln. Ich erboste und fluchte und wünschte, daß doch das siebente Kind ein Mensch werden, mit menschlichen Füßen zur Welt kommen möchte. Und mein Wunsch ward erfüllt.

Die Wasserfrau aber, als sie das Kind zum ersten Male sah, stieß einen Schrei des Entsetzens aus, daß sie einem solchen krüppelhaften Wesen zur Mutter werden mußte und überhäufte mich mit Verwünschungen. Und nicht lange, so kamen die anderen Wasserfrauen, meinem Weib zur Geburt Glück zu wünschen. Sobald sie aber die Menschenfüße des Kindes sahen, ergrimmten sie. Sie nahmen das Kind, zerrissen es in Stücke, und begierig verschlangen sie die kleinen Glieder. Denn Menschenfleisch gewährt ihnen wieder auf 300 Jahre Schönheit und Jugend und macht die Männer in Liebe zu ihnen entbrennen.

Machtlos mußte ich alles dieses über mich ergehen lassen. Zuletzt tippte mich mein Weib an mit einem Stäbchen, ich verfiel in Schlaf, und als ich erwachte, befand ich mich an derselben Stelle, von welcher ich früher in das Wasser hinabgeglitten war. Ich sah den Hochzeitszug deiner Tochter. Sie hielt ich der Ähnlichkeit halber für dich, denn es war mir alles wie ein Traum. Das übrige weißt du. Erst der Pfarrherr klärte mich auf, daß seitdem schon mehr denn zwanzig Jahre verlaufen seien, und ich hatte gedacht, es wäre alles erst von gestern. Im Kloster büße ich für meinen Frevel. Deinen Enkeln habe ich Perlen und Edelsteine gebracht.«

Nicht lange, und die Mutter kam zum Sterben. Wieder fand sich der Mönch ein. Er kniete sich hin vor die Sterbende und legte ihre Hände in die seinen. Das Haupt sank ihm hernieder. Beide waren Leichen. Sogleich sah man zwei weiße Tauben zum Fenster hinausfliegen. Die größere davon hatte aber an einem Fuß sieben schwarze Flocken hängen, welche bei der Berührung mit der kleinen fleckenlosen Taube am Fenster abgestreift wurden und weiß zur Erde fielen. Es waren Zettelchen, auf diesen standen die Namen der sieben Kinder des Wasserfräuleins. Denn auch ihnen hatte der Vater durch sein späteres frommes Leben die Erlösung erwirkt, so daß auch sie in den Himmel eingehen durften.

Um die beiden Leichen abzuwaschen, ging eine der Enkelinnen hinaus an den Teich, um Wasser zu schöpfen. Und schon war Avemaria vorbei, als sie zum Steg kam. Da begegnete ihr eine Freundin, welche sie fragte, warum sie zu so ungewöhnlicher Zeit Wasser hole. »Ach«, erwiderte sie, »es ist ja meine Großmutter gestorben, und ihr Geliebter, der Veri.« Da vernahm sie eine leise Stimme rufen: »Wer ist gestorben?« Und nun brauste der Teich, die Wellen hoben sich und wälzten sich auf das Haus zu und füllten die Stube, wo die Verblichenen lagen, und flözten sie hin und her. Die Leute erschraken, gaben den Leichen Weihwasser, und die Fluten zogen ab. Aber sie ließen sechs neue Leichen zurück, schöne Knaben und Mädchen, zwischen zehn und siebzehn Jahren, die Füße verhüllt, in den herabhängenden Händen einen Zettel fassend, auf welchem geschrieben stand: »Wir sind erlöst.« Zuunterst an den Kinderleichen aber lagen zwei Füße eines Knaben, der dazugehörige Leib war in seinen Umrissen wie ein Schatten auf den Boden gezeichnet. Daneben gab ein Zettelchen folgenden Aufschluß: »Der Leib ist verzehrt, die Seele währt.« Es war das siebte Kind der Wasserfrau, von welchem nur die menschlichen Füßchen übrig geblieben waren.

So oft der Jahrestag des Todes des tollen Veri kommt, bricht der Teich aus. An anderen Tagen schlägt er in seinem Gestade wilde Wellen. Seitdem scheint aber auch der Mond nicht mehr in seinen Spiegel.

* * *


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