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Kaspar und Resi

Jungstark sind sie beide; Kasper und Resi; und haben sich gern. Macht nur kein Gesicht; es ist alles in Ehren: sind Mann und Weib. Im Kasten in der Kammer, im Schubfach rechts, liegt der Trauschein. Seht selber nach; die beiden haben nicht Zeit. Sie haben zu kratzen. Es geht um den Kreuzer, von der Hand in den Mund. Er muß Sommer und Winter, Abend für Abend nach Innsbruck zu; neben den Gäulen her, mit hochgeladener Botenfuhr, auf einsamer, nächtiger Straße; und früh wieder heim. Sie bürstet, wäscht, ringt und scheuert in fremden Häusern im Tagwerk; greift überall zu, wo ein Gulden zu erschinden; denn das Leben schlägt hart wie ein Schmiedehammer: Der Zins für die Kammer; Milch und Kaffee; und der Zucker sündteuer, schmeckt bald schon mehr bitter wie süß.

Mitten in den schläfrigen Morgen hinein gellt schrillend der Wecker. Mit einem Ruck die Resi vom Lager auf. Das Mannsbett daneben steht unberührt. Der tappt irgendwo auf staubiger Straße neben den Gäulen. Sie striegelt und wäscht sich in fliegender Eile, aber darum nicht weniger sauber. Auf Reine hat Jung-Resi noch immer gehalten. Lüftet die Kammer, stellt den Kaffee auf: »Kaffee sied'; ich muß ins Tagwerk; der Rat übersiedelt!«

Singt ein Liedel; deckt des Mannes Bett auf und das ihre zu. Ihre Augen hängen immer am Uhrenzeiger. Schlürft stehend das Frühstück, stellt des Mannes Teil warm, und zur Tür hinaus in die Morgenfrische. Eben ächzt die hochgeladene Botenfuhr in den Gassenbug ein. Bockstarr; steifbeinig, den Kopf gesenkt, trottet der riesige, blondschnauzige Kasper hundmüde neben den dampfenden Gäulen: »Hü!«

»Der Kaffee steht im Ofenröhrl,« ruft ihm das Weib im Vorüberlauf zu; sieht ihn an, wie verloren, einen Augenblick lang; und schon hastig um die Ecke, daß der Kittel fliegt: Der Rat übersiedelt!

»Bis morgen mittag muß die Holzfuhr vom Wald vor der Ladentür stehn, sonst ...«

So läßt der Krämer dem Kasper sagen. Und er spaßt nicht, der Krämer.

»Bis morgen ist noch lang!« Der breitbrustige Fuhrknecht torkelt in die einsame Kammer. Sieht Resis Bett säuberlich zugedeckt; das seine steht offen.

Da kläfft er wie ein böser Hund:

»Der Kaffee steht im Ofenröhrl!«

Als hätten erst jetzt ihm ihre Worte ans Hirn geschlagen. Ja, Schwerfuhrleute fahren langsame Bahnen. Greift mit derbroten Fingern die Schale heraus; sauft sie stehend zur Neige; wischt sich den tropfenden, weißblonden Schnauzbart. Sieht nach, ob das Weib ihm den Wecker gesteckt für Spätnachmittag; zum Wagenladen. Sie hat's nicht vergessen, heut nicht und nie; er schmunzelt dazu, bleckt die hundweißen Zähne: »Ist schon recht, die Resi!«

Hilft sich schwerklotzig aus den krustigen Stiefeln und mit einem bleischweren Wurf querüber ins Bett. Und schon sägt schlafwütige Müdigkeit laut schnarchend durch die einsame Kammer.

Ja, wenn ein Rat übersiedelt! Das geht in die Füße. Treppauf und treppab schleppt Resi die Lasten; ja, jung, stark muß man sein, da kommt was vom Fleck; Kisten und Kästen, Matratzen und Gläser. Klirr – eins liegt in Scherben. Die Frau Rat hinterher: »Dafür zieh' ich dir zwei Zwanziger vom Taglohn ab!«

Zwei Zwanziger gleich! Die Resi steht da; macht ein hartes Gesicht. Doch die Arbeit drängt weiter; keuchend und schnaufend treppauf und treppnieder, Kästen ein, Kästen aus, durch Zimmer und Kammer.

Das Leben schlägt hart wie ein Schmiedehammer!

Junger Fuhrknecht steh auf! Der Wecker schnurrt ab! Liegst noch immer querüber? Spät nachmittag ist! Wagen laden, Botenfahren fünf Stund' weit nach Innsbruck, und früh wieder heim!

Er schnellt laubfrisch vom einsamen Lager auf; lacht.

»Kreuztibiteufl, dös heiß ich geschlafen!«

Wer so schanzt, der wird müde; wer so müd' ist, der schläft; wer so schläft, wacht stark auf. Er pfeift sich ein Liedel und hinein in die Stiefel.

»Kraft han ich für Sechse; einen Baum reiß ich aus!«

Schaut sich in der Kammer um, als such' er einen Feind. Sieht das Weibsbett fein säuberlich zugedeckt. Flucht:

»Kreuztibiteufl!« Und geht Wagen laden.

»Dreißig Mehlsäck' fahren mit; sechs Ölfasseln auch; und drei Ballen Tuch kriegt der Tuchscher retour; haben nicht die richtige Breite! Und bis morgen mittag muß die Holzfuhr vom Wald vor der Ladentür stehn – Schubladenzieher; Zibebenklauber ...«

Als hätten Krämers Worte erst jetzt ihm ans Hirn geschlagen. Die Fuhr ist bald geladen; lachend schwingt der Kasper Sack und Ballen auf die Wagenbrücke; singt noch dazu. Jetzt die »Plache« darüber. Die Gäule haben gefuttert: »Marsch aus dem Stall, Rapp und Tiger! Eing'spannt wird! Findest her da zum Wagenscheit; Sattlgaul, du Teufelskaliber!«

Die Peitsche in der Hand, fahrbereit, steht der Kasper noch zaudernd vor den massigen Gäulen. Greift die alte Spindeluhr, vom Großvater her, aus dem blauverschossenen Fuhrmannskittel; sieht genau auf die Zeiger: »Ein Viertlstund' gib ich noch zu; wenn sie jetzt käm'! Möcht' gern noch ein bißl diskuriern mit der Resi!«

Und späht mit seinen blitzblauen Fuhrmannsaugen scharf über die mächtigen Gäule hinweg, gierig in den dunkelnden Gassenbug: »Aber so ein Teufelsweib ist wie ein Pfitschipfeil! Kriegst es nie zum Schießen!«

Dort kommt sie um die Ecke. Das läßt sich der Fuhrknecht gefallen: »Ah, Resi, jetzt kommst mir grad' recht! Können wir noch ein Viertlstund' diskuriern!«

Greift schmunzelnd nach ihr mit täppischen Fingern.

»Sauber bist, Resi!« Und zieht sie ins Dunkel.

»Gib mir ein Ruh! Spür' kein Hand und Fuß mehr vor lauter Müd; und morgen große Wäsch' beim Richter! Diskutier' du mit deinen zwei Gäulen!«

Sie schiebt ihn von sich; hält sich kaum auf den Füßen.

Und schon vorüber an ihm, der Kammer zu; haut die Tür ins Schloß; ist selber springgiftig, daß sie jetzt so hundmüde. Steckt sich den Wecker für morgen; schält sich schon im Halbschlaf aus Kittel und Mieder; fällt in ihr Bett; weiß nichts mehr.

Der Kasper haut fluchend auf die Gäule ein: »Hü! Kreuztibiteufl!«

Tappt neben dem knarrenden Wagen gen Innsbruck zu, einsam die nächtige Straße.

Das Weib schläft wie ein Sack durch die ganze Nacht; ohne Traum; sechs Ellen tief, als hätte man sie ins Wasser geworfen. Bis der Wecker in den dämmernden Morgen schrillt. Da streckt sie gesund wie ein Jagdhund die Glieder: »Ah; geschlafen hab' ich! Kreuzpudelwohl!«

Wie die jungen Arme und Beine ordentlich federn. Mit einem frischfrohen Ruck vom Lager auf.

Das Mannsbett nebenan steht unberührt. Der tappt irgendwo auf einsamer Straße und »dischkuriert« mit seinen zwei Gäulen.

Sie zieht sich an im Fluge und singt dazu; deckt des Mannes Bett auf und das ihre zu. Lüftet die Kammer; stellt den Kaffee auf. Schießt um wie eine Forelle im frischen Wasser. Rechnet dabei: »Heut Wäsch' beim Richter; langt für Zucker und Kaffee. Morgen ist Sonntag, da bin beim Apotheker Flaschen putzen; tragt zwei Gulden; der zahlt noch am besten; damit kauf ich einen weißen Vorhang für unsere Kammer; und dem Kasper ein Hemed; und wenn's noch langt, ein' blaue Schürze für mich! Will mein' Wirtschaft sauber haben; nicht untergehn in Dreck und Speck ...«

Ihre Augen hängen immer am Uhrenzeiger: »Kaffee sied'! Es geht schon auf sechse!«

Schlurft stehend das Frühstück; stellt des Mannes Teil warm; stellt ihm den Wecker für Spätnachmittag zum Wagen laden; will hinaus auf die Gasse. Kommt die Richterische Magd, ein plumpsackiger Trampel: »Die Gnädige laßt sagen, sie laßt heut erst um halbe sieben mit der Wäsche anfangen; dafür zieht sie dann was ab!« Und wieder ohne Gruß zur Tür hinaus; die fühlt sich beim Richter.

Die Resi macht ein hartes Gesicht; sieht auf die Uhr: »Da lauf' ich ja ein' ganze halbe Stund' leer!« Setzt sich auf den Rand des Mannsbettes hin in der einsamen Kammer.

»Wenn der Kasper jetzt käm' ...«

Es leidet sie nicht in der einsamen Stube; tritt vor die Tür in den dämmernden Morgen. Überschattet die Augen mit der flachen Hand; lugt sehnsüchtig aus nach dem Straßenbug: »So ein Mannsbild kommt auch nie zur rechten Zeit!«

Eben biegt die hochgeladene Botenfuhr ächzend und knarrend in die Gasse ein.

Dem Weib fährt ein froher Schwall Blut ins Gesicht. Steif stiefelt der Kasper neben den dampfenden Gäulen, treibt sie zur Eile: »Hü! Kreuztibiteufl!«

Grüßt ihn das Weib mit liebsfreudigen Augen: »Kasper, bist da? Noch ein Viertelstund' hätt' ich Zeit! Könnten wir noch ein bißl diskuriern!«

»Kreuztibiteufl! Laß mich in Rueh! Heut bin ich geladen! Diskurier' du beim Waschtrog!«

Kein Wunder auch; müde wie ein Hund nach dem Hasentrieb und noch immer kein Rasten: Bis heute mittag muß die Holzfuhr vom Wald vor der Ladentür stehen, sonst –! Und der spaßt nicht, der Schubladenzieher, der Zibebenklauber.

»Hü!«

Und vorüber an der Resi mit blutrotem Kopf stiefelt der Kasper neben der ächzenden Fuhr und den schnaubenden Gäulen. Daß sie jetzt so Zeit hätt, das macht ihn noch wilder.

Beim Nachbar, dem Krämer, stellt er die Fuhr:

»Öh!«

Spannt aus in der Eile. Kummet und Riemenzeug; heut verwickelt sich alles.

»Heb den Haxen auf, Sattlgaul; stehst ja auf dem Leitseil! Kreuztibiteufl«

Bringt die Gäule zum Stall. Die sind müde. Schirrt den Rotfuchs ein, der hat die Nacht durch gerastet; wirft ihm das messingglänzende Kummet über; das mit den Eichhornschwänzen. Greift immer wieder mit mühsamen Fingern die Spindeluhr vom Großvater her aus dem blauverschossenen Fuhrmannskittel; die Zeit lauft wie ein Windhund. Kasper, mach' weiter; die Holzfuhr bis heut mittag! Er wischt sich den Schweiß; schiebt den Leiterwagen vor; im Flug aus dem Schuppen. Spannt ein in der Eile: »Fuchs; her da zum Wagscheit; du ausgeschlafner Seehund!«

Überprüft noch ein letztes Mal Stränge und Riemen mit fuchswilden Augen: »Die Sperrkettn ist zu; den Beißzaum hat er um!« Dann rittlings auf den Wagenrand, das Leitseil um die Faust:

»Jetzt aber hü!«

Und rasselt in wildem Galopp durch die morgenschläfrige Gasse.

»Jetzt hätt' sie derweil; Kreuztibiteufl!«

Das junge Weib steht wie verloren. Es klingt ihr im Ohr, wie ein uraltes Lied von der Sorge ums Brot und vom Liebeversäumen. Sie steht nicht lange; hat zum Träumen nicht Zeit, denn das Leben schlägt hart wie ein Schmiedehammer.

»Jesus; meine Wäsch'! Mir rumpelt ja niemand!«

Und frisch, flink um die Gasse, aufs Tagwerk aus, daß der Kittel fliegt im kaltnassen Morgen.


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